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"Quarzsand- statt Samthandschuhe"

Angelehnt an BGH, Urteil vom 18.12.2024 – 2 StR 297/24, BeckRS 2024, 45803


Sachverhalt

Dem Sohn des A wird vom Gewerbeaufsichtsamt ein Bußgeld auferlegt. A ist darüber verärgert und hält das Verhalten der Behörde für Schikane. Deshalb möchte er dem zuständigen Mitarbeiter O und den anderen Kollegen einen Denkzettel verpassen.

A fasst den Entschluss, den O für sein Verhalten im Zusammenhang mit dem familiären Betrieb durch einen massiven körperlichen Angriff „abzustrafen“. Gleichzeitig will A mit dem Übergriff sämtliche weitere Mitarbeiter des Ordnungsamtes in K einschüchtern. Er weiht seine Bekannten B und C in seinen Plan ein und die drei beschließen, den O krankenhausreif zu schlagen. Zur Planung seiner Tat bringt A die Wohnadresse des O und dessen Arbeitsweg nebst den üblichen Gehzeiten in Erfahrung. Am Tattag fährt A mit seinen Bekannten B und C zur Wohnadresse des O und parkt in einiger Entfernung. Als O sein Haus verlässt, weist A den B und den C auf den O hin. Noch im Auto zieht B spezielle, im Bereich der Fingerknöchel mit Quarzsand verstärkte Schlaghandschuhe (sog. Quarzsandhandschuhe) an; A und C erkennen dies, wissen um die verstärkende Schlagwirkung und billigen deren Einsatz.

Gemäß einer zu dritt getroffenen Absprache rennen B und C gemeinsam von hinten auf O zu, der sie nicht wahrnimmt. C springt O von hinten an, legt seinen Arm und dessen Hals und reißt ihn zu Boden. Dort drehen B und C den O auf den Rücken und beginnen beide, mit Fäusten auf seinen Kopf einzuschlagen, wobei ihnen bewusst ist, dass sie ihm dabei potenziell lebensgefährliche Verletzungen beibringen können. Aufgrund des überraschenden Angriffs ist O zu einer Verteidigung außerstande. Er schreit und versucht, seinen Kopf mit seinen Armen zu schützen. Nachdem B und C den O  – wie zuvor mit A besprochen – innerhalb von maximal 30 Sekunden zwanzigmal wuchtig ins Gesicht geschlagen haben, laufen sie zurück zum Auto des A und fahren davon.

O erleidet aufgrund des Angriffs eine beidseitige Fraktur der Augenhöhlen, eine Gehirnerschütterung und zahlreiche Prellungen im Gesicht. Diese Verletzungen hätten ohne zeitnahe medizinische Intervention zum Tode geführt.

Strafbarkeit des B und des A wegen Totschlags gem. § 212 StGB?

Skizze


Gutachten

A. Strafbarkeit des B

B könnte sich gem. §§ 212 I, 22, 23 I, 25 II StGB wegen versuchten Totschlags in Mittäterschaft strafbar gemacht haben, indem er dem O mit in Quarzsandhandschuhen gekleideten Fäusten gemeinsam mit C zwanzigmal ins Gesicht schlug woraufhin O eine beidseitige Fraktur der Augenhöhlen, eine Gehirnerschütterung und zahlreiche Prellungen im Gesicht erlitt, wobei die Verletzungen ohne zeitnahe medizinische Intervention zum Tod geführt hätten.

0. Vorprüfung

1. Keine Tatvollendung

Der Erfolg in Gestalt des Todes des O ist ausgeblieben, sodass die Tat nicht vollendet ist.

2. Strafbarkeit des Versuchs

Die Strafbarkeit des versuchten Totschlags ergibt sich aus der Verbrechenseigenschaft des Totschlags, § 212 I, 23 I, 12 I StGB.

I. Tatbestand

1. Tatentschluss

B müsste mit Tatentschluss gehandelt haben. Der subjektive Tatbestand beim Versuch enthält den Vorsatz bezüglich der in Aussicht genommenen Tat sowie bei einigen Delikten besondere subjektive Unrechtsmerkmale. B müsste somit mit Tötungsvorsatz gehandelt haben. Vorsatz ist der Wille zur Verwirklichung eines Straftatbestands in Kenntnis all seiner objektiven Tatumstände.

B könnte mit bedingtem Vorsatz (auch Eventualvorsatz oder „dolus eventualis“) gehandelt haben. Ein Täter handelt mit bedingtem Vorsatz, wenn er den Erfolgseintritt für möglich hält und billigend in Kauf nimmt.

Fraglich ist, ob B hier schon bedingt vorsätzlich oder „lediglich“ bewusst fahrlässig handelte. Vorsatz und bewusste Fahrlässigkeit unterscheiden sich nach der Rechtsprechung des BGH darin, dass der bewusst fahrlässig Handelnde mit der als möglich erkannten Folge nicht einverstanden ist und deshalb auf ihren Nichteintritt vertraut, während der bedingt vorsätzlich Handelnde mit dem Eintreten des schädlichen Erfolgs in der Weise einverstanden ist, dass er ihn billigend in Kauf nimmt oder dass er sich wenigstens mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet [1]BGH, Beschluss vom 05.03.2008 – 2 StR 50/08, BeckRS 2008, 5898, Rn. 4. .

Ein bedingter Tötungsvorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Ziels willen zumindest mit dem Eintritt des Todes eines anderen Menschen abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement) [2]BGH Urt. v. 23.3.2023 – 3 StR 277/22, BeckRS 2023, 9841, Rn. 20.. In Bezug auf beide Elemente bedarf es einer Würdigung aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen sind [3]BGH Urt. v. 23.3.2023 – 3 StR 277/22, BeckRS 2023, 9841, Rn. 20..

 B und C schlugen den O gemeinsam mit den Fäusten zwanzigmal wuchtig ins Gesicht, wobei B Quarzsandhandschuhe trug. Sie führten die Tathandlungen gemeinschaftlich aus und das Vorgehen war von einem gemeinsamen Tatplan gedeckt, sodass sich B und C den Tatbeitrag des jeweils anderen gem. § 25 II StGB zurechnen lassen müssen. Einen Menschen mit einer derartigen Schlagfrequenz mit durch Quarzsandhandschuhen verstärkten Fäusten ins Gesichtsfeld zu schlagen, stellt eine äußerst gefährliche Gewalthandlung dar. Die gemeinschaftliche Begehungsweise ist für das Opfer regelmäßig ebenfalls besonders gefährlich. B war bewusst, dass sie O damit potenziell lebensgefährliche Verletzungen beibrachten, sodass er mit der Möglichkeit rechnete, dass O zu Tode kommen könnte. Er fuhr aber – gemeinsam mit C – mit den hochfrequenten Schlägen mit Quarzsandhandschuhen gegen den Kopf des O fort.

Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen, und – weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt – einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt [4]BGH, Urteil vom 18.12.2024 – 2 StR 297/24, Rn. 22.. Indem B und C mit ihrem äußerst gefährlichen Handeln fortfuhren, nahmen sie den Tod des O billigend in Kauf. B handelte mit bedingtem Tötungsvorsatz und insofern mit Tatentschluss.

Anmerkung: Beurteilung des Tötungsvorsatzes bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen

Der BGH hatte ein Urteil des LG Marburg unter anderem deshalb kassiert, weil es den fehlenden Tötungsvorsatz aus dem Überleben des Tatopfers geschlossen habe [5]BGH, Urteil vom 18.12.2024 – 2 StR 297/24, Rn. 21.. Nach Ansicht des BGH hätte das Gericht umfassender prüfen müssen, um den bedingten Tötungsvorsatz verwerfen zu können [6]BGH, Urteil vom 18.12.2024 – 2 StR 297/24, Rn. 25 ff..
In einem solchen Fall hätte das Gericht die konkrete Angriffsweise, die psychische Verfassung der Täter und die Motivationslage mit in die rechtliche Würdigung einbeziehen müssen [7]BGH, Urteil vom 18.12.2024 – 2 StR 297/24, Rn. 22.. In dem fraglichen Fall sei die äußerst gefährliche Tathandlung für die Beurteilung des Vorsatzes besonders bedeutsam gewesen. Bei „äußerst gefährlichen (Gewalt-)Handlungen“ liege es nahe, dass der Täter mit dem möglichen Tod des Opfers rechnet. Wer mit der Handlung aber fortfahre, nehme den Tod dann billigend in Kauf, schlussfolgert der BGH [8]BGH, Urteil vom 18.12.2024 – 2 StR 297/24, Rn. 22..
Nach Ansicht des BGH sei schon nicht klar gewesen, ob es überhaupt das Anliegen des Vaters war, dem Behördenleiter nur einen „Denkzettel“ für die Zukunft zu verpassen. Soweit es dem Vater um eine Einschüchterung der Ordnungsbehörden ging, hätte der Tod des Behördenmitarbeiters das erst recht erreicht [9]BGH, Urteil vom 18.12.2024 – 2 StR 297/24, Rn. 26f..
Des Weiteren kritisiert der BGH, dass das LG in der Urteilsbegründung von „lediglich“ 20 Schlägen ins Gesicht binnen maximal 30 Sekunden gesprochen habe. Dies lasse bezweifeln, ob es den Angriff richtigerweise als besonders gefährlich eingeordnet habe. Das Argument, die Täter hätten vor Ort „nicht auf die Lebensgefahr schließen müssen“, sei ein Zeichen dafür, dass das LG eher auf die Tatfolgen als auf die gefährliche Tat an sich abgestellt habe [10]BGH, Urteil vom 18.12.2024 – 2 StR 297/24, Rn. 29f..
Das Besondere daran, den Tötungsvorsatz auf diese Weise festzustellen ist die Bedeutung einer äußerst gefährlichen Tathandlung bei der Prüfung des voluntativen Vorsatzelements.

2. Unmittelbares Ansetzen

B müsste unmittelbar zur Tat angesetzt haben. Unmittelbares Ansetzen liegt vor, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum „jetzt gehts los“ überschritten hat und, aus der Sicht eines objektiven Dritten, ex ante keine weiteren entscheidenden Schritte zur Tatbegehung erforderlich sind. Indem er hier die Tathandlung in Gestalt der behandschuhten Schläge gegen den Kopf bereits vollständig ausführte – wobei ihm die Schläge des C gem. § 25 II StGB zuzurechnen sind – setzte B unmittelbar zur Tat an.

II. Rechtswidrigkeit

Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich. B handelte rechtswidrig.

III. Schuld

Entschuldigungs- oder Schuldausschließungsgründe sind nicht ersichtlich. B handelte schuldhaft.

IV. Rücktritt, § 24 StGB

An der Tat waren mit B und C mehrere Täter beteiligt, sodass sich die Voraussetzungen des Rücktritts nach § 24 II StGB richten.

1. Kein fehlgeschlagener Versuch

Der Versuch dürfte nicht fehlgeschlagen sein. Ein Versuch ist fehlgeschlagen, wenn der Täter nach seiner Vorstellung den Taterfolg mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nicht oder nicht ohne zeitliche Zäsur herbeiführen kann. B hätte den Tod des O mit weiteren Schlägen herbeiführen können. Diese Verletzungen hätten ohne zeitnahe medizinische Intervention zum Tode führen können. Der Versuch ist nicht fehlgeschlagen.

2. Geeignete Rücktrittshandlung

Aufgrund der besonderen Gefährlichkeit und Unkontrollierbarkeit reicht bei der Begehung mittels mehrerer Beteiligter die bloße Aufgabe der Tat (im Unterschied zu § 24 I 1 Alt. 1 StGB) dem Wortlaut des § 24 II StGB nach grundsätzlich nicht aus. Da hier bereits mit C als Mittäter zumindest eine weitere Person an der Tat mitgewirkt hat, ist Abs. 2 anwendbar.

Der Taterfolg in Form des Todes des O wurde ohne Zutun von B verhindert indem O medizinische Hilfe erhielt, die den Tod abwendete. Damit liegt ein Fall des § 24 II 2 StGB vor. Die erforderliche Rücktrittshandlung ist demnach ein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern durch B. Auch wenn umstritten ist, welche Anforderungen das Verhalten des Täters im Übrigen erfüllen muss, damit es als ernsthaftes Bemühen um die Nichtvollendung gewertet werden kann, insbesondere wenn dem Täter mehrere als aussichtsreich erachtete Rettungsmaßnahmen zur Verfügung stehen, so ist allgemein anerkannt, dass für einen wirksamen Rücktritt nach § 24 II 2 StGB erforderlich ist, dass der Täter eine Handlung vornimmt, die er selbst für geeignet hält, die Vollendung zu verhindern [11]MüKoStGB/Hoffmann-Holland StGB § 24 Rn. 142.. Der Beteiligte muss Maßnahmen ergreifen, die ihm mit hinreichender Sicherheit geeignet erscheinen, den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs zu verhindern [12]MüKoStGB/Hoffmann-Holland StGB § 24 Rn. 179.. Um den drohenden Tod des O abzuwenden, hätte B vorliegend ernsthafte Rettungsversuche unternehmen müssen, beispielsweise Erste-Hilfe-Maßnahmen leisten und einen Krankenwagen rufen. Hier hat B schlicht gemeinsam mit C den Tatort verlassen. Er bemühte sich damit nicht ernsthaft, den Eintritt des Todes bei O abzuwenden. B leistete keine taugliche Rücktrittshandlung und ist damit nicht wirksam vom Versuch zurückgetreten.

V. Ergebnis

B hat sich gem. §§ 212 I, 22, 23 I, 25 II StGB wegen versuchten Totschlags in Mittäterschaft strafbar gemacht.

Anmerkung: Strafbarkeit wegen Körperverletzung

Für alle Beteiligten wäre noch eine Strafbarkeit wegen vollendeter mittäterschaftlicher gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 2 2. Alt., Nr. 3, Nr. 4, Nr. 5, 25 II StGB zu prüfen gewesen.

B. Strafbarkeit des A

A könnte sich gem. §§ 212 I, 22, 23 I, 25 II StGB wegen versuchten Totschlags in Mittäterschaft strafbar gemacht haben, indem er mit B und C einen Plan ausmachte, den O krankenhausreif zu schlagen, sich Informationen über den Tagesablauf des O beschaffte, B und C zur Wohnung des O fuhr, ihnen den O zeigte und B und C vom Tatort wegfuhr, nachdem sie dem O zwanzigmal ins Gesicht schlugen, wobei B Quarzsandhandschuhe trug.

0. Vorprüfung

1. Keine Tatvollendung

Der Erfolg in Gestalt des Todes des O ist ausgeblieben, sodass die Tat nicht vollendet ist.

2. Strafbarkeit des Versuchs

Die Strafbarkeit des versuchten Totschlags ergibt sich aus der Verbrechenseigenschaft des Totschlags, § 212 I, 23 I, 12 I StGB.

I. Tatbestand

1. Tatentschluss

A müsste mit Tatentschluss gehandelt haben. A hatte mit C und B gemeinsam den Tathergang geplant, der vorsah, den O mit zwanzig wuchtigen Schlägen ins Gesicht krankenhausreif zu schlagen. Die mittäterschaftliche Begehungsweise war von A selbst bewusst herbeigeführt worden; somit war diese auch von seinem Vorsatz umfasst. Dabei wollte A auch, dass B bei der Tatbegehung Quarzsandhandschuhe trug, daher war auch die besonders gewalttätige und dementsprechend besonders gefährliche Begehungsweise vom Vorsatz des A umfasst.

Problematisch könnte insofern sein, dass es dem A zumindest auch darum ging, dem O einen „Denkzettel“ zu erteilen und damit auch die anderen Behördenmitarbeiter abzuschrecken. Damit ist fraglich, ob A auch billigend in Kauf nahm, dass O sterben könnte oder ob es ihm „lediglich“ darum ging, O so stark zu verletzen, dass dieser in Zukunft sein dienstliches Handeln nach den Vorstellungen des A gestalten würde und andere Mitarbeiter abgeschreckt würden. Jedoch hätte der Tod des O auch die von A beabsichtigte abschreckende Wirkung bei den Behördenmitarbeitern erst recht gehabt. Es ist darüber hinaus auch nicht klar, ob es dem A „nur“ darum ging, dem O einen Denkzettel zu verpassen. Dass der A mitunter auch das Ziel verfolgte, dem O und seinen Kollegen einen Denkzettel zu verpassen, bedeutet mithin nicht, dass er den Tod des O nicht billigend in Kauf genommen haben kann.

Im Übrigen gilt auch für A das oben Gesagte und auch A nahm den Tod des O billigend in Kauf, sodass er mit Tötungsvorsatz handelte. Folglich handelte A mit Tatentschluss. 

Anmerkung: Argumentation zum Tötungsvorsatz

Das Landgericht hatte in der vom BGH kassierten Entscheidung ursprünglich argumentiert, der A habe dem O lediglich einen „Denkzettel“ erteilen wollen. Damit habe er erreichen wollen, dass O dieser sein dienstliches Handeln künftig im Sinne der Familie des A gestalte. Weil die Zielsetzung, dem Tatopfer einen „Denkzettel“ zu erteilen, eine andere ist als, das Opfer töten zu wollen, hatte das LG den Tötungsvorsatz bei A abgelehnt.
Der BGH widersprach dem LG in dieser Argumentation. Zunächst hätten tatsächliche Anhaltspunkte gefehlt, dass A dieses Vorstellungsbild gehabt habe. So sei schon nicht klar gewesen, ob es überhaupt das Anliegen des Vaters war, dem Behördenleiter nur einen „Denkzettel“ für die Zukunft zu verpassen
Darüber hinaus sei nur von einem „Denkzettel“ auszugehen, hier nicht konsequent: Soweit es dem Vater um eine Einschüchterung der Ordnungsbehörden ging, hätte der Tod des Behördenmitarbeiters das erst recht erreicht, indem auch dies die beabsichtigte Abschreckungswirkung auf die Ordnungsämter erhöht hätte (BGH, Urteil vom 18.12.2024 – 2 StR 297/24, Rn. 26f.).

2. Unmittelbares Ansetzen

A müsste unmittelbar zur Tat angesetzt haben. A fuhr B und C zur Wohnung des O und zeigte ihnen den O als anvisiertes Tatopfer. Diese Handlungen stellen nur reine Vorbereitungshandlungen und noch kein unmittelbares Ansetzen dar. Jedoch könnte dem A das unmittelbare Ansetzen des B und des C im Rahmen der Mittäterschaft gem. § 25 II StGB zuzurechnen sein.

a) Gemeinschaftliche Tatbegehung

A müsste die Tat gem. § 25 II StGB mit B und C „gemeinschaftlich“ und damit als Täter begangen haben. Wann dies der Fall ist, ist zwischen herrschender Lehre und Rechtsprechung umstritten.

Nach der sog. Tatherrschaftslehre ist Täter, wer arbeitsteilig oder allein als Zentralgestalt des tatbestandlichen Geschehensablaufs durch seinen Tatbeitrag die Verwirklichung des Tatbestandes beherrscht und einen entsprechenden Willen hierzu besitzt. Vorliegend waren bestimmte Teilaufgaben des Geschehens dergestalt zwischen B, C und A aufgeteilt, dass A die Adresse und den Wohnort des O ermittelte, B und C zur Wohnung fuhr, ihnen den O als anvisiertes Tatopfer zeigte und sie nach den Schlägen vom Tatort wegfuhr. B und C hingegen hatten die Aufgabe, den O zu schlagen. Mit seinen arbeitsteiligen Beiträgen beherrschte A die Verwirklichung der versuchten Tötung des O insofern als seine Tatbeiträge wesentlich für das Gelingen der Tat waren. Ohne die Ermittlung der Adresse und des Tagesablaufs des O, hätten B und C ihr Opfer nicht antreffen können. Ohne die Transportmöglichkeit hätten B und C den O nicht wie geplant erreichen können. Ohne die Identifikation des Tatopfers hätten B und C nicht gewusst, wen sie zusammenschlagen sollen. Damit besaß A Tatherrschaft. A kam es maßgeblich darauf an, den O mit den Schlägen des C und des B „abzustrafen“ und die Tat durch seine Handlungen überhaupt zu ermöglichen. Damit wollte er den tatbestandlichen Geschehensablauf in dieser Form in den Händen halten. Damit besaß er auch den Willen zur Tatherrschaft. Nach der Tatherrschaftslehre ist O als Mittäter und nicht bloß als Teilnehmer zu qualifizieren.

Nach der von der Rechtsprechung praktizierten sog. Gesamtbetrachtungslehre oder auch Kombinationstheorie werden die Tatherrschaftslehre und die subjektive Theorie der früheren Rechtsprechung kombiniert, sodass eine wertende Betrachtung vorgenommen wird, um die Täterschaft zu bestimmen. Der Täter muss hiernach Tatherrschaft und Täterwillen besitzen. Der Täterwille wird vor allem durch äußere Umstände ermittelt. Darunter fallen u.a. ein eigenes Interesse an der Tat oder die Aufteilung der Tatbeute. Wie soeben gezeigt, kam dem A Tatherrschaft zu. Fraglich ist, ob er auch Täterwillen besaß. Es war A, der die Idee hatte, den O für dessen Verhalten durch einen gewalttätigen Übergriff zu bestrafen. A verfolgte mit diesem Plan auch ein weiteres Ziel, nämlich die Mitarbeiter des Ordnungsamtes von K einzuschüchtern. Damit wollte er erreichen, dass sein Sohn nicht weiter bei dem Betrieb seiner Wettannahmestelle gestört würde und das Ordnungsamt die familiären Betriebe auch im Übrigen in Ruhe ließ. Dem A kam insofern ein großes eigenes Interesse an der Tat zu. Er war der eigentliche Initiator der ganzen Tat, was darauf schließen lässt, dass er die Tat als seine eigene betrachtete und nicht nur als die für ihn fremde Tat des B und des C. Die äußeren Umstände lassen folglich auf einen Täterwillen des A schließen. Somit kommt auch die Gesamtbetrachtungslehre zu dem Ergebnis, dass A als Täter und nicht nur als Teilnehmer zu qualifizieren ist. Damit ist ein Streitentscheid entbehrlich.

A, C und B begingen die Tat gemeinschaftlich im Sinne des § 25 II StGB.

b) Gemeinsamer Tatplan

Der Tatbeitrag des A müsste auf einem gemeinsamen Tatplan beruht haben. Dafür ist ein gemeinschaftlicher Entschluss erforderlich, d.h. ein ausdrückliches Einvernehmen, gemeinsam ein deliktisches Ziel zu verfolgen. A weihte B und C in seinen Plan ein und die drei beschlossen, den O krankenhausreif zu schlagen. Damit beruhte der Beitrag des A auf einem gemeinsamen Tatplan mit B und C.

c) Zwischenergebnis

Die Voraussetzungen des § 25 II StGB sind erfüllt. Damit wird das unmittelbare Ansetzen des B und des C dem A zugerechnet. A hat unmittelbar zur Tat angesetzt.

Vernetztes Lernen: Versuchter Mord und versuchte schwere Brandstiftung: Zeitpunkunkt des Versuchsbeginns beim nicht handelnden Mittäter

In unserem Beitrag „Der versuchte Brandanschlag“ werden versuchter Mord und versuchte schwere Brandstiftung geprüft. Dort wird auch auf die Theorien des Zeitpunkts des Versuchsbeginns für den nicht handelnden Mittäter eingegangen.

II. Rechtswidrigkeit

A handelte rechtswidrig.

III. Schuld

A handelte schuldhaft.

IV. Rücktritt vom Versuch

A könnte strafbefreiend vom Versuch zurückgetreten sein.

1. Kein fehlgeschlagener Versuch

Der Versuch dürfte für A nicht fehlgeschlagen sein.

Fraglich ist, wie es sich diesbezüglich auswirkt, dass A es vorliegend auf ein außertatbestandliches Ziel abgesehen hatte, indem er O durch einen massiven körperlichen Angriff abstrafen wollten. In diesen sog. Denkzettelfällen hat es der Täter primär auf ein außertatbestandliches Ziel abgesehen (z.B. jemandem einen Denkzettel zu verpassen), wobei der tatbestandliche Erfolg (z.B. die Tötung) vom Eventualvorsatz erfasst ist.

Nach der sog. Einzelakttheorie ist mit der ersten einmaligen Handlung, die nicht tödlich war, die Tötung fehlgeschlagen und ein Rücktritt daher nicht möglich. Dies wäre hier nach dem ersten potenziell lebensgefährlichen Schlag in den Gesichtsbereich – der A gem. § 25 II StGB zuzurechnen ist – der Fall gewesen.

Nach der sog. Gesamtbetrachtungslehre bzw. Lehre vom Rücktrittshorizont stellt das Erreichen des „Denkzettels“ nur ein Zwischenziel dar. Ist die Tötung in der Gesamtbetrachtung weiterhin möglich und daher nicht fehlgeschlagen, sei auch ein Rücktritt weiterhin möglich. Vorliegend war die Tötung des O weiterhin möglich und der Versuch damit auch nach dieser Ansicht nicht fehlgeschlagen. Somit ist der Versuch nach beiden Ansichten nicht fehlgeschlagen.

2. Geeignete Rücktrittshandlung

A müsste eine geeignete Rücktritthandlung im Sinne des § 24 II 2 StGB vorgenommen haben, indem er sich freiwillig und ernsthaft bemüht haben müsste, den Tod des O zu verhindern. Hier entfernte A sich jedoch schlichtweg mit B und C mittels Pkw vom Tatort. Er rief keine Hilfe und leistete keine Rettungsmaßnahmen, um den ohne medizinische Intervention drohenden Tod des O abzuwenden. A leistete keine geeignete Rücktrittshandlung. Damit ist er nicht wirksam vom Versuch zurückgetreten.

V. Ergebnis

B hat sich gem. §§ 212 I, 22, 23, 25 II StGB wegen versuchten Totschlags in Mittäterschaft strafbar gemacht.


Zusatzfragen

1. Wie ist die Verwendung der Quarzsandhandschuhe bei den Faustschlägen ins Gesicht durch B im Rahmen einer gefährlichen Körperverletzung mittels Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs gem. Para. 223 I, 224 I Nr. 2 2. Alt. StGB zu bewerten?

Die Verwendung der Quarzsandhandschuhe ist nicht nur bei der Feststellung eines bedingten Tötungsvorsatzes von Bedeutung, sondern auch für die Annahme eines gefährlichen Werkzeugs im Rahmen einer gefährlichen Körperverletzung gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 2 2. Alt. StGB. Das Werkzeug muss „gefährlich“, mithin nach den konkreten Umständen seiner Verwendung geeignet sein, eine erhebliche Körperverletzung herbeizuführen.
Handschuhe an sich sind regelmäßig keine gefährlichen Werkzeuge [13]MüKoStGB/Hardtung, 4. Aufl. 2021, StGB § 224 Rn. 28.. Besondere Handschuhe können hingegen – jedenfalls bei Schlägen ins Gesicht – gefährliche Werkzeuge in diesem Sinne sein; z.B. die besonders festen und schweren Quarzsandhandschuhe oder mit Plastik verstärkte Motorradhandschuhe [14]BGH 13.1.2005 – 4 StR 469/04, StV 2006, 228..

Vernetztes Lernen: Gefährliches Werkzeug bei medizinischen Eingriffen

Siehe zum gefährlichen Werkzeug – insbesondere im Kontext eines medizinischen Eingriffs – auch unseren Fall „Die Zahnextraktionszange“.

Anmerkung: Das gefährliche Werkzeug bei Para. 244 I Nr. 1a StGB und Para 250 I Nr. 1a StGB

Während bei den Körperverletzungsdelikten (§ 224 I Nr. 2 StGB; s.o.) weitgehend Einigkeit darüber besteht, dass ein gefährliches Werkzeug ein beweglicher Gegenstand ist, der nach seiner Beschaffenheit und konkreten Verwendung geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen, ist die Definition bei § 244 I Nr. 1a StGB und § 250 I Nr. 1a StGB weiterhin umstritten [15]s. zu diesem Streit beispielsweise die Ausführungen bei BeckOK StGB/Wittig StGB § 244 Rn. 6-8.2..
Nach einer objektiv-abstrakten Ansicht kommt es auf die generelle Gefährlichkeit des Gegenstands an, unabhängig von einer konkreten Verwendungsabsicht. Quarzsandhandschuhe sind – neben ihrem Bestimmungszweck als Arbeitswerkzeuge – auch maßgeblich objektiv dazu bestimmt, die Schlagkraft zu erhöhen und erhebliche Verletzungen zu ermöglich (u.a. werden sie deshalb von Polizei und Militär eingesetzt; u.a. deshalb sind sie teilweise bei Veranstaltungen oder Demonstrationen untersagt). Nach dieser Theorie gelten Quarzsandhandschuhe als gefährliches Werkzeug.
Eine subjektive Ansicht verlangt, dass der Täter eine Verwendungsabsicht hat oder sich zumindest vorbehält, den Gegenstand notfalls einzusetzen. Quarzsandhandschuhe wären nur dann ein gefährliches Werkzeug, wenn der Täter sie mit der Absicht trägt, sie zur Verletzung einzusetzen. Ohne diese Absicht (z.B. sie nur als Arbeitshandschuhe zu tragen) würden sie nach dieser Ansicht keine gefährlichen Werkzeuge darstellen.
Eine weitere Ansicht verlangt, dass der Gegenstand eine waffenähnliche Funktion (sog. Waffenersatzfunktion) hat, um Alltagsgegenstände auszuschließen. Quarzsandhandschuhe sind keine Alltagsgegenstände und diesen primär der Verstärkung von Schlägen (s.o.). Sie erfüllen damit eine waffenähnliche Funktion und sind nach dieser Ansicht als gefährliche Werkzeuge einzustufen.

2. Warum spricht man im Rahmen der Versuchsprüfung von „Tatentschluss“ und nicht von „Vorsatz“?

Die Bezeichnung als „Tatentschluss“ stellt die inhaltliche Übereinstimmung mit dem subjektiven Tatbestand des vollendeten Deliktes nicht in Frage, sondern verdeutlicht allein die Unvollkommenheit der Tat gegenüber dem Vorhaben des Täters [16]Rath JuS 1998, 1006 (1011). sowie den Umstand, dass ein bloß „tatgeneigter“ Täter den subjektiven Tatbestand des Versuchs nicht erfüllt [17]LK-StGB/Murmann Rn. 28. Der Tatentschlussbegriff verdeutlicht, dass sich der Täter endgültig dazu entschieden hat, den Straftatbestand zu verwirklichen – also tatentschlossen ist [18]MüKoStGB/Hoffmann-Holland StGB § 22 Rn. 36.. Er ist damit geeignet, die Besonderheiten der bloß versuchten Tat zum Ausdruck zu bringen, ohne zugleich die Parallele zum vollendeten Delikt in Zweifel zu ziehen [19]MüKoStGB/Hoffmann-Holland StGB § 22 Rn. 36..

Zusammenfassung


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