
AG Riesa, Urteil vom 24.04.2019 – 9 Cs 926 Js 3044/19 – BeckRS 2019, 11922
Sachverhalt
Der Y ist Eigentümer einer 40×40 cm großen und 300 g schweren, mit einer Kamera ausgestatteten, fernsteuerbaren Drohne (sog. Quadrocopter). Y erlaubt dem X mit dieser Drohne in der Nachbarschaft umher zu fliegen. Diese von X gesteuerte Drohne fliegt über die 3 m hohe Hecke des Nachbargrundstücks. Auf diesem Grundstück wohnen M und V mit ihren 3- und 7-jährigen Töchtern T und O, die an diesem Vormittag im Garten spielen. Als sie bemerken, wie die Drohne in 15 m Flughöhe über dem Garten fliegt, laufen T und O schreiend vor Angst zu dem V, der die Drohne zu diesem Zeitpunkt noch nicht bemerkt hatte. Kurz darauf will die M den Hausmüll zum 30 m vom Hauseingang entfernten Müllcontainer bringen. Dabei folgt die Drohne der M gezielt in ihren Bewegungen. Insbesondere wendet sie, als die M vom Müllcontainer zurück zum Haus geht. Anschließend verbleibt die Drohne in einer Höhe von 5-15 m über dem Grundstück der Familie. Eine Erlaubnis im Luftraum über dem Grundstück zu fliegen ist weder durch V noch durch M erteilt worden. Der X hatte zu keinem Zeitpunkt vor, Aufnahmen anzufertigen und zu speichern. Verärgert über das Geschehen holt V ein handelsübliches, frei verkäufliches und vor den Kindern sicher verwahrtes Luftgewehr aus dem Haus. Mit dem angelegten Luftgewehr ruft er vergeblich, dass sich die Drohne entfernen solle. Daraufhin gibt V einen Schuss ab und trifft die Drohne, die Drohne auf das Garagendach stürzt und einen Totalschaden erleidet (Wert: 1.500 €).
Strafbarkeit des V?
§ 1 LuftVG
(1) Die Benutzung des Luftraums durch Luftfahrzeuge ist frei, soweit sie nicht durch dieses Gesetz, durch die zu seiner Durchführung erlassenen Rechtsvorschriften, durch im Inland anwendbares internationales Recht, durch Rechtsakte der Europäischen Union und die zu deren Durchführung erlassenen Rechtsvorschriften beschränkt wird.
(…)
§ 21b Luft-VO
(1) Der Betrieb von unbemannten Luftfahrtsystemen und Flugmodellen ist verboten, sofern er nicht durch eine in § 21a Absatz 2 genannte Stelle oder unter deren Aufsicht erfolgt
(…)
7. über Wohngrundstücken, wenn die Startmasse des Geräts mehr als 0,25 Kilogramm beträgt oder das Gerät oder seine Ausrüstung in der Lage sind, optische, akustische oder Funksignale zu empfangen, zu übertragen oder aufzuzeichnen, es sei denn, der durch den Betrieb über dem jeweiligen Wohngrundstück in seinen Rechten betroffene Eigentümer oder sonstige Nutzungsberechtigte hat dem Überflug ausdrücklich zugestimmt,(…)
Skizze
Gutachten
Strafbarkeit gem. § 303 I Alt. 2 StGB
V könnte sich der Sachbeschädigung gem. § 303 I Alt. 2 StGB strafbar gemacht haben, indem er mit dem Luftgewehr auf die Drohne des Y schoss, diese zum Absturz brachte und sie totalgeschädigt wurde.
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
Die Drohne ist ein körperlicher Gegenstand, der nicht im Alleineigentum des V, sondern des Y stand. Daher liegt ein taugliches Tatobjekt vor.
V müsste die Drohne auch beschädigt oder zerstört haben. Eine Zerstörung ist die völlige Aufhebung der Funktionstauglichkeit einer Sache.[1] Lackner/Kühl/Heger, Kommentar zum StGB, 29. Aufl. 2018, § 303 Rn. 7. Vorliegend erleidet die Drohne einen Totalschaden, sodass die Brauchbarkeit völlig aufgehoben, sie also zerstört ist.
Nach der condition-sine-qua-non-Formel ist die Tathandlung des Schießens nicht hinwegzudenken, ohne dass der Taterfolg, nämlich die Zerstörung der Drohne entfällt. Durch den Schuss schafft der V auch ein rechtlich missbilligtes Risiko, dass sich in der Zerstörung der Drohne verwirklicht. Daher liegen Kausalität und objektive Zurechnung vor.
2. Subjektiver Tatbestand
V müsste auch vorsätzlich gehandelt haben. Hier bezweckte der V nicht primär die Zerstörung der Drohne, sondern vielmehr eine Beschädigung, um den weiteren Flug über dem Hausgarten zu beenden. Daher handelte er nicht mit dolus directus 1. Grades, nahm jedoch durch den Abschuss eine Zerstörung, etwa bei Absturz der Drohne billigend in Kauf und handelte daher mit dolus eventualis.
II. Rechtswidrigkeit
V müsste auch rechtswidrig gehandelt haben.
1. Notwehr
In Betracht kommt vorliegend der Rechtfertigungsgrund der Notwehr gem. § 32 StGB.
a) Notwehrlage
Zunächst müsste ein gegenwärtiger und rechtswidriger Angriff auf ein notwehrfähiges Rechtsgut vorliegen.
aa) Notwehrfähiges Rechtsgut
Notwehrfähig ist jedes rechtlich geschützte (Individual-)Interesse.
(1) Hausrecht
Zunächst kommt eine Beeinträchtigung des Hausrechts des V in Betracht. Ein solches ergibt sich aus Art. 14 GG und ist nicht erst durch die Verwirklichung des Tatbestandes des § 123 StGB beeinträchtigt.[2]BGH NStZ-RR 2010, 140. Fraglich ist, ob der Luftraum über einem Grundstück überhaupt vom Hausrecht umfasst ist. Insofern stellt § 905 S. 1 BGB fest, dass die Rechte des Eigentümers auf den Raum über der Oberfläche erstrecken. Gleichzeitig begrenzt § 905 S. 2 BGB diese Ausschlussrechte auf Einwirkungen, die in einer Höhe vorgenommen werden, die ein schutzwürdiges Interesse am Ausschluss begründen.
Diese Interessenabwägung könnte wiederum maßgeblich durch den speziellen § 1 LufVG bestimmt werden, der zunächst einmal vorschreibt, dass der Luftraum zur Benutzung durch Luftfahrzeuge frei ist. Eine Grenze dieser Nutzbarkeit findet sich jedoch in § 21b I Nr. 7 Luft-VO[3]Vgl. zum Telos dieser Norm auch Begründung der Verordnung zur Regelung des Betriebs von unbemannten Fluggeräten, abgedruckt in BR-Drucks. 39/17, S. 25; näher … Continue reading, der den zustimmungslosen Überflug eines Wohngrundstücks u.a. dann verbietet, wenn das Flugmodell mehr als 0,25 Kilogramm wiegt.[4]Vgl. auch Holle/Bredebach NZV 2020, 132 (135). Daher liegt in dem Überflug des X ein Verstoß gegen diese Vorschrift und eine unzulässige Nutzung des Luftraum i.R.d. § 1 LuftVG.
Dennoch ist im Einzelfall festzustellen, ob in dem Überflug und in diesem Fall dem Verstoß gegen § 21b I Nr. 7 Luft-VO auch eine Einwirkung gesehen werden kann, an deren Ausschluss V gem. § 905 S. 2 BGB ein schutzwürdiges Interesse hat.[5]Anm. Krumm MMR 2019, 548 (552). Ein pauschaler Hinweis auf die geringe Flughöhe dürfte insofern nicht ausreichend sein.[6]So auch Anm. Krumm MMR 2019, 548 (551 f.). Jedoch ist hier im Einzelfall auch die Beeinträchtigung durch die Fluggeräusche und das Gefühl der Beobachtung innerhalb eines privat genutzten und abgeschirmten Bereichs mit einzubeziehen. Diese sprechen erheblich für eine empfindliche Beeinträchtigung des Hausrechts durch den Überflug in geringer Höhe und ein Interesse am Ausschluss gem. § 905 S. 2 BGB. Daher ist das Hausrecht beeinträchtigt.
(2) Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 GG
Neben dem Hausrecht des V könnte zudem das allgemeine Persönlichkeitsrecht (APR) aus Art. 2 I i.V.m. 1 I GG verletzt sein. In Betracht kommen zwei Anknüpfungspunkte und Ausprägungen des APR:
Erstens könnte der V und seine Familie in ihrem APR in der Ausprägung der Privatsphäre betroffen sein. Zu einem solchen Recht auf Privatsphäre gehört die Integrität eines räumlichen Bereichs, der dazu bestimmt ist, für sich zu sein, zu sich zu kommen, sich zu entspannen oder sich auch gehenlassen zu können.[7]AG Potsdam ZD 2016, 236; Regenfus NZM 2011, 799 (800) m.w.N. Davon ist auch der Hausgarten umfasst, der, gerade wenn er durch hohe Hecken vor Blicken Dritter abgeschirmt ist, typischer Rückzugsort für seine Nutzer ist. Daher verletzen Beobachtungen und Ausspähungen anderer Personen die Privatsphäre. Dem kann auch kein berechtigtes Interessen des Drohnennutzers X entgegengehalten werden. Zum einen ist seine Nutzung nicht von § 1 LuftVG gedeckt (s.o.). Zum anderen lässt er sich auf die genügenden Flächen und Räume verweisen, um seinem Hobby nachzugehen, ohne Dritte zu stören.[8]Vgl. auch AG Potsdam ZD 2016, 236.Zweitens könnten die Familienmitglieder des V in ihrem APR in der Ausprägung des Rechts am eigenen Bilde betroffen sein. Hier stellt das Anfertigen von Bildern ohne Einverständnis des Betroffenen zwar keinen Eingriff in § 22 KunstUrhG dar, da hierdurch ausdrücklich nur das Verbreiten oder öffentliche Zurschaustellen von Bildnissen geregelt ist.[9]Vgl. Solmecke/NowakMMR 2014, 431 (433 f.) Jedoch erfasst das Recht am eigenen Bilde als Unterform des APR auch das Anfertigen des Bildnisses, da insofern ein Eingriff in das Selbstdarstellungsrecht vorliegt: Das Bildnis wird nämlich von der Person des Abgebildeten losgelöst und ihm damit die Verfügungsgewalt über die Selbstdarstellung entzogen.[10]AG Riesa MMR 2019, 548 (549); ferner BGH NJW 1966, 2353 (2354); LK/Rönnau/Hohn, Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Aufl. 2019, § 32 Rn. 84; MüKo-StGB/Erb, Münchener Kommentar zum StGB, 4. Aufl. … Continue reading Ein solcher Eingriff kann im Aufnehmen der Familie des V im Hausgarten und insbesondere der M, indem die Drohne ihr auf dem Weg zum Müllcontainer und zurück folgt und sie dabei filmt, unabhängig von einer etwaigen Speicherung und Verbreitungsabsicht gesehen werden. Es ist bei einer Abwägung zu berücksichtigen, dass das Bildnis zum einen nicht lediglich in der Sozialsphäre, sondern wie gezeigt in der Privatsphäre der Familie aufgenommen wurde und es bei der Aufnahme während der Verfolgung der M kaum nur um die sichere Navigation der Drohne ging.[11]Vgl. dazu Uschkereit/Zdanowiecki NJW 2016, 444 (449). Daher liegt auch ein Eingriff in das Recht am eigenen Bilde, insbesondere der M, vor.
Anmerkung: Notwehrhilfebb) Angriff
Ein Angriff ist jede durch menschliches Verhalten drohende Verletzung von notwehrfähigen Rechtsgütern. Problematisch ist hier, dass die unmittelbare Beeinträchtigung von der Drohne ausgeht. Diese wird jedoch von einem Menschen als Werkzeug gesteuert, weshalb von einem menschlichen Angriff auszugehen ist.[12]Marosi/Skobel CR 2019, 65 (71); ferner Lackner/Kühl/Kühl, 29. Aufl. 2018, § 32 Rn. 2; Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 8. Aufl. 2017, § 7 Rn. 26 f.; Jaritz BLJ 2017, 52 … Continue reading
Vernetztes Lernen: Liegt ein Angriff vor, wenn ein Hundebesitzer seinen Kampfhund auf einen anderen hetzt?cc) Gegenwärtigkeit des Angriff
Fraglich ist, ob der Angriff zum Zeitpunkt der Notwehrhandlung noch gegenwärtig ist, er also unmittelbar bevorstand, gerade stattfand oder noch andauert.[14] Schönke/Schröder/Perron/Eisele, 30. Aufl. 2019, § 32 Rn. 5a. Der Angriff auf das Hausrecht fand in dem Moment der Schüsse noch statt, überflog die Drohne zu diesem Zeitpunkt doch noch den Hausgarten des V. Gleiches gilt für den Eingriff in die Privatsphäre der Familie des V. Anderes dürfte bzgl. des Eingriffs in das Recht am eigenen Bilde der M durch das Verfolgen gelten: Hier ging es lediglich um die Aufnahme, nicht aber um die Speicherung des Bildnisses, weshalb der Angriff in dieser Hinsicht als abgeschlossen gelten kann. Im Gesamten ist der Angriff gegenwärtig.
dd) Rechtswidrigkeit des Angriffs
Letztlich müsste der Angriff auch rechtswidrig sein, also im Widerspruch zur Rechtsordnung stehen. Nach einer Ansicht entfällt dieser Widerspruch erst dann, wenn der Angriff seinerseits gerechtfertigt ist.[15]BGH NStZ 1990, 435; 2003, 599 (600); 2012, 144; Rengier StrafR AT, 11. Aufl. 2019, § 18 Rn. 28 ff. Nach anderer Ansicht bedarf es abstellend auf das Verhaltensunrecht zusätzlich einer Vorsätzlichkeit oder einer objektiven Sorgfaltspflichtverletzung. Hier nahm X jedenfalls billigend in Kauf, mit seinem Überflug in die Privatsphäre der Familie des V einzudringen. Außerdem kann die objektive Sorgfaltswidrigkeit in dem Verstoß gegen § 21b Abs. 1 S. 1 Nr. 7 Alt. 1 Luft-VO gesehen werden. Der Angriff ist somit auch nach der engeren Auffassung rechtswidrig.
Anmerkung: 201a StGBb) Notwehrhandlung
Grundsätzlich beschränken sich die durch die Notwehr gedeckten Verteidigungshandlungen auf solche, die gegen Rechtsgüter des Angreifers gerichtet sind.[16] Schönke/Schröder/Perron/Eisele, 30. Aufl. 2019, § 32 Rn. 31 ff. Vorliegend richtet sich die Notwehrhandlung des Abschießens der Drohne jedoch gegen das Eigentum des J. Eine Ansicht möchte jedoch dann eine Ausnahme zulassen, wenn der Eigentümer die Sache einem Dritten einverständlich überlässt. Sie solle sogar unabhängig davon gelten, ob dieser mit der Verwendung im Rahmen eines rechtswidrigen Angriffs rechnen konnte.[17]MüKo-StGB/Erb, 4. Aufl. 2020, § 32 Rn. 127; HK-GS/Duttge, 4. Aufl. 2017, § 32 Rn. 18. Für diese Ansicht wird angeführt, dass derjenige, der Dritten durch die Besitzüberlassung die Möglichkeit des Missbrauchs an die Hand gibt, sich nachher kaum darauf berufen können soll, dass er selbst nicht Angreifer war. Denn ein solches Vorgehen führe letztlich zu einer Schmälerung der Verteidigungsmöglichkeiten, betrachte man, dass in Notstandssituationen eine Interessenabwägung stattzufinden hat, auf die bei der Notwehr verzichtet werden kann.[18] MüKo-StGB/Erb, 4. Aufl. 2020, § 32 Rn. 127. Jedoch spricht erheblich gegen diese „Drittwirkung“ der Notwehr, dass sie mit dem Wortlaut des § 32 II StGB kaum vereinbar ist und den Eigentümer durch den Missbrauch seiner Sache zum „Angreifer“ gemacht wird.[19]Vgl. Hecker JuS 2019, 913 (915); Schönke/Schröder/Perron/Eisele, 30. Aufl. 2019, § 32 Rn. 32/33 m.w.N. Daher liegt in dem Abschuss keine taugliche Notwehrhandlung. Eine Rechtfertigung aus § 32 StGB scheidet aus.
2. Defensivnotstand, § 228 BGB
V könnte jedoch durch einen Notstand gem. § 228 BGB gerechtfertigt sein.
Anmerkung: Notständea) Notstandslage
aa) Drohende Gefahr i.S.v. § 228 S. 1 BGB
Zunächst müsste eine drohende Gefahr für ein notstandsfähiges Rechtsgut vorliegen. Geschützt sind ebenso wie bei der Notwehr alle individuellen Rechte, also auch das APR und das Hausrecht. Ein Gefahr liegt vor, wenn bei ungehindertem Geschehensablauf eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts besteht. Eine Gegenwärtigkeit der Gefahr braucht es anders als bei der Notwehr nicht.[20]Staudinger-BGB/Repgen, Staudinger Kommentar zum BGB, 2019, § 228 Rn. 13. Vorliegend liegt eine Verletzung des Hausrechts und des APR bereits vor und eine Aufrechterhaltung, ggf. sogar Intensivierung droht. Daher liegt eine Gefahr i.S.d. § 228 S. 1 BGB vor.
bb) Gefahr geht von fremder Sache aus
Weiterhin müsste die Gefahr auch von einer fremden Sache ausgehen. Problematisch ist vorliegend, dass die Gefahr nicht durch die Drohne selbst, sondern erst durch ihre rechtswidrige Steuerung entsteht. Fraglich ist also, ob § 228 BGB einen solchen Angriff erfassen kann. Dagegen könnte die Funktionalisierung der Sache als Werkzeug für den Angriff sprechen, weshalb eine Gefahr nur mittelbar von der Sache ausgehe.[21]Vgl. zur Problematik eingehend JurisPK-BGB/Otto, juris Praxis-Kommentar zum BGB Band 1, 9. Aufl. 2020, § 228 BGB Rn. 7; Staudinger-BGB/Repgen, 2019, § 228 Rn. 20 Für ein Erfasstsein dürfte jedoch sprechen, dass ansonsten dort rechtfertigungslose Schutzlücken für den Angegriffenen entstehen, wo das Eigentum der Sache nicht beim Angreifer, sondern bei einem Dritten liegt.[22] Vgl. auch AG Riesa MMR 2019, 548 (549). Daneben lässt sich anführen, dass für den Gefahrabwendenden kaum ersichtlich ist, wer die Drohne steuert und er deshalb kaum in der Lage sein wird den mittelbaren Angriff gezielt durch eine Einwirkung auf den Angreifenden zu beenden.[23]Anm. Krumm MMR 2019, 548 (551). Daher ist hier dennoch von einer Gefahr zu sprechen, die primär von einer Sache und nicht einem Dritten ausgeht.
b) Notstandshandlung
aa) Gegen die Sache
Die Gegenwehr richtet sich gegen die Sache, von der die Gefahr ausgeht.
bb) Geeignetheit
Der Abschuss der Drohne war insofern geeignet, als dass er förderlich war die andauernde Gefahr für das Hausrecht und das APR abzuwehren.
cc) Erforderlichkeit
Fraglich ist, ob die Notstandshandlung auch erforderlich war, oder mildere, gleich geeignete Mittel zur Beendigung der Gefahr für das Hausrecht und das APR zur Verfügung standen. Der V versuchte bereits vergeblich die Aufforderung in Richtung der Drohne zu geben, dass diese entfernt werden solle.
Daneben sind verschiedene Handlungsalternativen denkbar: Ein blickdichtes Absichern des Hausgrundstücks wäre zwar ein milderes Mittel, dem V aber kaum zumutbar und im Moment der Beeinträchtigung auch nicht ad hoc zu realisieren. Das Abgeben eines Warnschusses, welches man im Rahmen des Schusswaffengebrauchs im Notwehrrecht kennt[24]Vgl. dazu BGH NJW 2001, 3200 (3201)., dürfte schon deshalb nicht zwingend erforderlich gewesen sein, weil es sich nicht um einen Gebrauch gegen Menschen handelt.
Letztlich kommt als milderes Mittel eine Flucht der Familie in das Haus in Betracht. Es ist auch anders als bei dem schneidigen Notwehrrecht nicht grundsätzlich ausgeschlossen, den Gefährdeten auf eine Flucht zu verweisen.[25]Vgl. zur Notwehr OLG Koblenz StV 2011, 622 (624); Jahn JuS 2011, 655 (656). Kühl StrafR AT, 8. Aufl. 2017, § 7 Rn. 78. Jedoch könnte die Gefahr für das Hausrecht durch eine Flucht in keiner Weise beendet und die Gefahr für das APR nur verringert werden.[26] AG Riesa MMR 2019, 548 (550). Mithin ist kein milderes gleichgeeignetes Mittel ersichtlich und die Notstandshandlung auch erforderlich.
dd) Verhältnismäßigkeit
Letztlich dürfte der durch die Abwendung der Gefahr entstandene Schaden nicht außer Verhältnis zu der abgewehrten Gefahr stehen. Daher ist an dieser Stelle eine umfassende Abwägung der Interessen vorzunehmen.
Zunächst einmal lässt sich sagen, dass der aus der Gefahrabwendung entstandene Schaden in Form der Zerstörung des Eigentums des Y in Anbetracht des Wertes von EUR 1.500 nicht völlig unwesentlich ist.
Auf der anderen Seite ist sowohl das Hausrecht als auch die Privatsphäre der Familie empfindlich betroffen. Besonders schwer wiegt die Verletzung des Rechts am eigenen Bilde der M durch die Verfolgung der Drohne. Für einen besonders gewichtigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht durch den Drohnenüberflug und die Videoaufnahme könnte zudem angeführt werden, dass die Aufnahme von oben angefertigt wird und in dieser Heimlichkeit eine gesteigerte Erheblichkeit des Eingriffs zu sehen ist.[27]AG Riesa MMR 2019, 548 (549); AG Potsdam ZD 2016, 236; Solmecke/Nowak MMR 2014, 431 (434). Ob dieses Argument in Anbetracht der Flughöhe und der Größe der Drohne tatsächlich durchschlägt, kann jedoch bezweifelt werden.[28]Vgl. Anm. Krumm MMR 2019, 548 (551).
Zudem kann die Erheblichkeit des Eingriffs in die Privatsphäre der Familie mit einem Verweis auf die durch den Eingriff verwirklichte Strafbarkeit gem. § 201a I Nr. 1 StGB demonstriert werden:[29] AG Riesa MMR 2019, 548 (549). Strafbar macht sich, wer in rechtswidriger und schuldhafter Weise von einer anderen Person, die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet, unbefugt eine Bildaufnahme herstellt oder überträgt und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt. Ein besonders geschützter Raum kann dabei auch ein durch Hecken oder Mauern sichtgeschützter Garten und eine Übertragung bereits eine Echtzeitübertragung ohne Speicherung der Aufzeichnung sein.[30]Vgl. BT-Drs. 15/2466, S. 5. Daher hat sich der X durch den Überflug gem. § 201a I Nr. 1 StGB strafbar gemacht. Dies lässt die Gewichtigkeit des Eingriffs in das Schutzgut der Privatsphäre besonders hervortreten.
Letztlich ist die Abwägung gerade vor dem Hintergrund zu treffen, dass es anders als etwa bei § 34 StGB oder § 904 BGB für eine Verhältnismäßigkeit kein Überwiegen der geschützten Interessen braucht. Vielmehr ist ausreichend, dass der durch die Abwehr verursachte Schaden nicht außer Verhältnis steht. In Anbetracht des mittleren bis schweren Eingriffs durch den Drohnenüberflug ist die Verhältnismäßigkeit hier zu bejahen.
c) Subjektives Rechtfertigungselement
V handelte auch mit dem Ziel die von dem Drohnenüberflug ausgehende Gefahr für das Hausrecht und das APR abzuwenden, sodass das subjektive Rechtfertigungselement vorliegt.
III. Ergebnis
V hat sich nicht gem. § 303 I StGB strafbar gemacht.
Zusatzfragen
Welche Fallgruppen könnten im Rahmen der Gebotenheit problematisch werden?– Angriff sichtlich Schuldloser oder Irrender
– Einsatz tödlicher Waffen oder Werkzeuge
– Absichtsprovokation (und Fahrlässigkeitsprovokation)
– Enge Beziehung zum Angreifer
– Bei krassem Missverhältnis zwischen den Folgen der Verteidigung und drohenden Verletzung beim Angriff
Bsp.: Die Tür des Gerichtsgebäudes fällt während der Hauptverhandlung zu, sodass keine Zuschauer den Gerichtssaal betreten können.
Zusammenfassung
1. Der Drohnenüberflug über einem Privatgrundstück kann einen Angriff sowohl auf das Hausrecht als auch auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellen.
2. Nutzt ein Angreifer die Sache eines anderen als Werkzeug, so wird der Eigentümer der Sache nicht zum Angreifer (a.A. vertretbar).
3. Dass eine Sache von jemandem als Angriffswerkzeug verwendet wird schließt nicht aus, dass von der Sache eine Gefahr i.S.v. § 228 BGB ausgeht, da ansonsten eine Schutzlücke für den Angegriffenen „zwischen § 32 StGB und § 228 BGB“ entstehen würde.