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Prügelei in der JVA
BGH-Beschluss vom 26.01.2021 – 1 StR 463/20, BeckRS 2021, 794

Sachverhalt

A und B verbüßten in der Justizvollzugsanstalt in C jeweils Haftstrafen. Sie waren auf verschiedenen Ebenen in der JVA untergebracht, sodass sie lediglich bei gemeinsamen Arbeiten oder beim Hofgang miteinander in Kontakt kamen. Über eine längere Zeit hinweg kam es zwischen ihnen zu Streitigkeiten und wechselseitigen Beleidigungen. Beiden war klar, dass es demnächst bei einer weiteren Begegnung zu einer körperlichen Auseinandersetzung kommen würde, was auch für Dritte ersichtlich war. Bei einem Hofgang ließ B dem A über einen anderen Häftling mitteilen, „dass es heute soweit sei“. A lief nach Erhalt dieser Information auf B zu und versetzte diesem einen wuchtigen Faustschlag gegen den Kopf. Aufgrund der dadurch bedingten starken Bewegung des Kopfes kam es bei B zu einem Gefäßabriss im Bereich der Hirnbasis. B stürzte daraufhin zu Boden und schlug mit dem Hinterkopf auf. B versuchte mit den letzten Kräften sich noch am T-Shirt des A festzuhalten und ihm einen Schlag zu verpassen, was ihm jedoch nicht gelang. Danach versetzte A dem B noch einen Tritt mit dem Fuß gegen die Stirn. B verstarb im Krankenhaus an einer Hirnblutung. Eine gerichtsmedizinische Untersuchung ergab, dass der durch den Faustschlag verursachte Gefäßabriss für den Tod ursächlich war. A hielt zu keinem Zeitpunkt der Auseinandersetzung den Tod des B für möglich. 

Strafbarkeit des A?


Skizze

Gutachten

A. Strafbarkeit gemäß § 223 Abs. 1 StGB im Hinblick auf den Faustschlag

Indem A dem B mit seiner Faust ins Gesicht schlug, könnte er sich wegen Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben. 

I. Tatbestand

A hat den B durch den Faustschlag übel und unangemessen behandelt, wodurch das körperliche Wohlbefinden des B aufgrund der Schmerzen mehr als nur unerheblich beeinträchtigt wurde.  Zudem erlitt B durch den Faustschlag einen Gefäßriss, sodass A bei diesem einen krankhaften Zustand hervorrief. 

Der Faustschlag kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass der tatbestandliche Erfolg entfiele, sodass dieser auch kausal war. 

Mit dem Faustschlag hat A eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen, welche sich in dem tatbestandlichen Erfolg realisiert hat, sodass dieser ihm auch objektiv zurechenbar war. 

A schlug mit Wissen und Wollen bezüglich einer konkreten Verletzung des B in dessen Gesicht, sodass er auch vorsätzlich handelte. 

Damit hat A den Tatbestand der Körperverletzung erfüllt.

II. Rechtswidrigkeit 

A müsste auch rechtswidrig gehandelt haben. 

Vernetztes Lernen: Was sind die wichtigsten Rechtfertigungsgründe außerhalb des StGB?
Notwehr § 227 BGB
Defensivnotstand § 228 BGB
Aggressivnotstand § 904 BGB
Selbsthilfe allgemein § 229 BGB
Selbsthilfe des Vermieters § 562b BGB
Selbsthilfe des Verpächters §§ 581 Abs. 2, 562b BGB
Selbsthilfe des Gastwirts §§ 704, 562b BGB
Selbsthilfe des Besitzers § 859 BGB

Festnahmerecht § 127 StPO

1. Notwehr § 32 StGB

Zwar liegt ein gegenwärtiger Angriff des B vor, denn dieser hatte beabsichtigt, den A nach der Ankündigung direkt zu verletzten, sodass der Angriff unmittelbar bevorstand.

Jedoch standen A mildere gleich wirksame Mittel, insbesondere die Verständigung eines Justizvollzugsbeamten, zur Verfügung. Damit war eine Verteidigungshandlung nicht erforderlich, sodass die Notwehr nach § 32 StGB ausscheidet. 

2. Rechtfertigende Einwilligung

A könnte jedoch gerechtfertigt sein, wenn die Ankündigung des B, „es sei heute soweit“ eine rechtfertigende Einwilligung darstellen würde. 

Vernetztes Lernen: Welche Formen der „Einwilligung“ gibt es?
Tatbestandsausschließende Einwilligung (auch Einverständnis genannt): einschlägig, wenn schon ein Tatbestandsmerkmal mit dem Willen des Rechtsgutinhabers verknüpft ist und damit mit dieser Einwilligung bereits der Tatbestand nicht erfüllt wird.

Rechtfertigende Einwilligung: hier wird der Tatbestand grundsätzlich verwirklicht. Das tatbestandliche Handeln wird jedoch ausnahmsweise wegen des Willens des Rechtsgutinhabers gerechtfertigt. Dieser ist mit der konkreten Rechtsgutverletzung einverstanden.

Mutmaßliche Einwilligung: ist grundsätzlich subsidiär. Diese greift nur, wenn die Rechtsgutverletzung mit dem vermutetem Willen des Berechtigten, welcher sich aus der ex-ante Perspektive beurteilt, übereinstimmt.

Hypothetische Einwilligung: insbesondere in Arzthaftungsfragen bedeutend, aus dem Zivilrecht hergeleitet und dem Grunde nach umstritten. Dort soll eine Haftung des Arztes entfallen, wenn der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den jeweiligen Eingriff zugestimmt hätte.

a. Disponibilität, Befugnis und Einwilligungsfähigkeit

Eine solche Einwilligung setzte zunächst die Disponibilität des Rechtsguts, die Dispositionsbefugnis, sowie die Einwilligungsfähigkeit des Einwilligenden voraus. 

Bei der körperlichen Unversehrtheit handelt es sich um ein disponibles Rechtsgut, auf dessen Schutz B als Inhaber dessen grundsätzlich verzichten kann. Anhaltspunkte, die gegen eine Einwilligungsfähigkeit sprechen sind nicht ersichtlich. 

b. Einwilligungserklärung und Willensmängel

B müsste vor der Tat die Einwilligung zur Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ausdrücklich oder konkludent erklärt haben.[1]Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 8. Aufl. 2017, § 9 Rn. 31. 

Eine ausdrückliche Erklärung seitens des B liegt nicht vor, sodass nur eine konkludente Erklärung in Betracht kommt. Eine solche umfasst eine stillschweigende Erklärung durch ein schlüssiges Verhalten, wodurch der Empfänger die Erklärung redlicherweise als Einwilligung auffassen darf.[2]Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2019, § 23 Rn. 21. B hat durch einen anderen Strafgefangenen die Nachricht überbracht bekommen, „es sei heute soweit“. Den Beteiligten war aufgrund der immer wiederkehrenden Streitereien und der wechselseitigen Beleidigungen bewusst gewesen, dass es demnächst zu einer körperlichen Auseinandersetzung kommen wird. Die Nachricht war damit eine stillschweigende Erklärung, welche im Kontext der Streitigkeiten zur schlüssigen Einwilligungserklärung führt, welche A auch so verstehen durfte. 

Willensmängel des B bei der Abgabe der Willenserklärung sind nicht ersichtlich. 

Anmerkung: Rechtsgutsbezogenheit eines Willensmangels
Aufgrund der fehlenden Anhaltspunkte für Willensmängel, waren diese nicht weiter zu thematisieren. Es ist jedoch umstritten, ob Willensmängel rechtsgutbezogen sein müssen.
Eine Ausarbeitung zu dieser Fragestellung findet ihr in „Gedopter Boxer“ von Maximilian Nussbaum vom 13.06.2020 unter https://staging.examensgerecht.de/gedopter-boxer-2/
c. Wirksamkeit der Einwilligung nach § 228 StGB

Fraglich ist, ob die Einwilligung aufgrund Sittenwidrigkeit gemäß § 228 StGB unwirksam ist.

Die Grenze der Einwilligung in eine Körperverletzung liegt dort, wo sie gegen die guten Sitten, also gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt.[3]Rengier, Strafrecht Besonderer Teil II, 21. Aufl. 2020, § 20 Rn. 3. Der Begriff der Sittenwidrigkeit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, welcher der weiteren Auslegung bedarf. In erster Linie kommt es bei der Sittenwidrigkeit aufgrund des Telos der Vorschrift auf das Gewicht des tatbestandlichen Rechtsgutsangriffs und dem damit verbundenen Umfang der drohenden Verletzung und der Gefahr für das Opfer an.[4]Rengier, Strafrecht Besonderer Teil II, 21. Aufl. 2020, § 20 Rn. 4. Dabei ist aus der ex-ante-Perspektive eine einzelfallabhängige Prüfung des Gewichts des Rechtsgutangriffes vorzunehmen. Anhaltspunkte für den Maßstab dieser Prüfung finden sich im Gesetz, insbesondere in § 216 und § 226 StGB. Daher sind grundsätzlich dort Grenzen zu ziehen, wo die Körperverletzung die konkrete Gefahr des Todes nach sich zieht und dadurch eine besondere Gefährlichkeit der Tat ergibt.[5]Fischer, 67. Aufl. 2020, § 228 Rn. 23a. Zudem ist § 231 StGB zu entnehmen, dass der Gesetzgeber die konkreten äußeren Bedingungen einer Tat als abstrakt gefahrerhöhend ansieht, indem er eine Eskalationsgefahr aufgrund der Dynamik des Geschehens normiert. 

Zunächst könnte sich aus dem wuchtigen Faustschlag in das Gesicht eine solche Sittenwidrigkeit ergeben. Grundsätzlich sind Schläge in das Gesicht geeignet erhebliche Verletzungen hervorzurufen, insbesondere wenn durch den Schlag das Gehirn geschädigt wird. Diese abstrakte Gefahr reicht für sich genommen noch nicht aus, sondern muss vielmehr im konkreten Einzelfall eine Todesgefahr innehaben. Zu berücksichtigen ist hierbei insbesondere, dass den Beteiligten keine Waffen oder andere gefährliche Gegenstände zur Verfügung standen. Der Schlag wurde lediglich durch Verwendung der eigenen Körperteile getätigt. Während der Auseinandersetzung war zu keinem Zeitpunkt ein schwerer gesundheitlicher Schaden oder gar eine Todesgefahr zu erwarten oder von den Beteiligten gewollt. Der Grad der Gefährlichkeit war im Hinblick auf den Faustschlag begrenzt, sodass der Dispositionsbefugnis des Einzelnen Vorrang zu gewähren und eine Sittenwidrigkeit abzulehnen ist. Damit begründet der wuchtige Faustschlag ins Gesicht des B keine Sittenwidrigkeit im Sinne des § 228 StGB

Als weiterer Anknüpfungspunkt für die Sittenwidrigkeit kommt das äußere Geschehen in Betracht, da sich die Auseinandersetzung innerhalb einer Justizvollzugsanstalt während eines Hofganges mit vielen weiteren Strafgefangenen ereignete, sodass potenziell eine Eskalationsgefahr im Hinblick auf mögliche weitere Beteiligung angelegt war. Auch hier reicht jedoch die allgemeine abstrakte Eskalationsgefahr nicht aus, sondern ist für den konkreten Fall festzustellen. Die anderen Strafgefangenen waren nicht in die Streitigkeiten zwischen A und B involviert und haben sich an der Auseinandersetzung nicht beteiligt. Sie haben auch nicht die Situation angefacht oder eine Partei besonders unterstützt. Trotz großer Anzahl an potenziellen Straftätern ist zu bedenken, dass diese von Justizvollzugsbeamten überwacht werden, welche für einen ordentlichen Hofgang verantwortlich sind. Zudem ist eine sofortige Hilfe von medizinischem Fachpersonal innerhalb einer Justizvollzugsanstalt gesichert, sodass eine mögliche Verletzung schnell behandelt werden kann.  Eine besondere Gefahr in der angelegten Situation ist nicht ersichtlich. Damit ergibt sich auch nicht aus der besonderen Situation innerhalb einer Justizvollzugsanstalt eine Sittenwidrigkeit.  

Anmerkung: Andere Argumentationsansätze
Der BGH bestätigt hier einige Ansatzpunkte für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit. Die unterschiedliche Behandlung der Sittenwidrigkeit ist schon länger Diskussionspunkt in Literatur und Rechtsprechung. Es gibt andere Stimmen, welche die hier aufgezeigte Rechtsprechung des BGH kritisieren. Insbesondere haben sich dabei Ansichten herausgebildet, welche diese Anknüpfungspunkte als Selbstgefährdung auslegen und gerade sich nicht auf die Einwilligung stützen.[6]Für eine andere Argumentationsweise vgl. insbesondere Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 5. Aufl. 2017, § 228 Rn. 109b.

Damit lag eine wirksame Einwilligung des B vor. 

d. Subjektives Element

A müsste auch in Kenntnis und aufgrund der Einwilligung gehandelt haben. Sowohl B als auch A war bewusst, dass aufgrund der vielen Streitigkeiten eine körperliche Auseinandersetzung drohte. Diese Auseinandersetzung beruhte auf Gegenseitigkeit und war von beiden bewusst herbeigeführt worden. Damit handelte A auch in Kenntnis und aufgrund der Einwilligung. 

Damit ist A durch die rechtfertigende Einwilligung des B gerechtfertigt und handelte nicht rechtswidrig. 

III. Ergebnis

A hat sich nicht der Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. 

B. Strafbarkeit gemäß § 227 StGB im Hinblick auf den Faustschlag

Eine Strafbarkeit nach § 227 StGB ist ebenfalls ausgeschlossen. Aufgrund der Rechtfertigung des Grunddeliktes und der Tatsache, dass die Todesfolge bereits in der Verletzungshandlung des Grunddeliktes angelegt war, scheidet eine Strafbarkeit aus. 

C. Strafbarkeit gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, Nr. 5 StGB im Hinblick auf den Tritt

A könnte sich jedoch gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, Nr. 5 StGB wegen gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht haben, indem er gegen den Kopf des B, welcher bereits am Boden lag, trat. 

I. Erfüllung des Grunddeliktes § 223 Abs. 1 StGB

A hat durch den Tritt bei dem B zumindest Schmerzen verursacht, sodass er diesen körperlich misshandelt hat. A handelte dahingehend auch vorsätzlich. Damit ist der Tatbestand des Grunddeliktes erfüllt. 

II. Qualifikation § 224 StGB

1. Anderes gefährliches Werkzeug 

Der beschuhte Fuß des A könnte den Begriff des anderen gefährlichen Werkzeuges erfüllen. 

Ein anderes gefährliches Werkzeug ist ein körperlicher Gegenstand, der der konkreten Art seiner Verwendung nach geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen.[7] Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, 30. Aufl. 2019, StGB § 224. Davon kann bei Tritten mit einem „beschuhten“ Fuß nur dann ausgegangen werden, wenn der Täter entweder schweres Schuhwerk trägt oder aber „normale“ Schuhe konkret gefährlich einsetzt.[8]BGH Beschl. v. 26.10.2016 − 2 StR 253/16, NStZ 2017, 164. Dies ergibt sich aus dem besonderen Strafrahmen der Qualifikation, welche eine erhöhte Gefährlichkeit der Körperverletzung fordert. Nähere Angaben zum konkreten Schuh des A existieren nicht, sodass er im Zweifel einen „normalen“ Schuh trug. Damit müsste A diesen Schuh konkret gefährlich eingesetzt haben. Ein solcher gefährlicher Einsatz ergibt sich dabei insbesondere aus der konkreten Wucht des Trittes oder dem Anvisieren besonders empfindlicher Körperteile.[9]BGH NStZ 2010, 151, HRRS 07 Nr. 159. A trat hier den am Boden liegenden B mit dem Fuß ins Gesicht, was aufgrund der besonderen Gefahren einer Verletzung im Bereich des Gehirns ein empfindliches Körperteil darstellt.[10]So auch BGHSt 30 377, NStZ 99, 616, NStZ-RR 11, 337, BeckRS 15, 11650. Damit hat A ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet. 

Vernetztes Lernen: In welchen anderen Strafnormen taucht der Begriff des „anderen gefährlichen Werkzeuges“ auf? Wird dieser immer gleich definiert?
Der Begriff des gefährlichen Werkzeugs wird im StGB in § 127 StGB und in den Qualifikationstatbeständen der §§ 113 Abs. 2 Nr. 1, 177 Abs. 7 Nr. 1, Abs. 8 Nr. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2; 244 Abs. 1 Nr. 1a, 250 Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 2 Nr. 1 StGB verwendet.

Bei § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB gilt nach h.M. jeder Gegenstand als gefährliches Werkzeug, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im konkreten Fall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen[11]vgl. BGH NStZ 2007, 95. Die Erheblichkeit der Körperverletzung konstituiert den Unrechtsgehalt und rechtfertigt den gegenüber § 223 StGB weit erhöhten Strafrahmen.

Es stellt sich vielfach die Frage, ob diese Definition und die damit einhegenden Grundsätze auch auf die anderen Straftatbestände übertragbar ist. Problematisch ist dies insbesondere bei den Vorschriften, wo der Wortlaut nicht von einem „Verwenden“ ausgeht, sondern das bloße „bei sich führen“ als Qualifikation ausreichen lässt. Die Problematik zeigt sich insbesondere bei beschuhten Fuß, welcher von der Rechtsprechung im Rahmen des § 224 StGB als Qualifikation bejaht wird. Würde man diese Herangehensweise übertragen wollen, würde ein Täter, welcher seine Tat nicht Barfuß begeht, stets ein „gefährliches Werkzeug bei sich führen“. Das kann von dem Gesetzgeber nicht gewollt gewesen sein, sodass die Definitionen nicht einheitlich sind. Das maßgebliche Kriterium der Gefährlichkeit kann im Rahmen einer Anwendung bei einem bloßen Beisichführen nicht berücksichtigt werden.

Der BGH ist in seiner Rechtsprechung dabei bisher nicht einheitlich, sodass in einer Klausur der Begriff stets diskutiert werden sollte, wobei jedes Ergebnis mit guten Argumenten vertretbar sein dürfte.[12]Vgl. statt aller insbesondere HRRS 2008, 378, BGH NStZ 2004, 261, BGH NStZ 1999, 301, NJW 2008, 2861, BGH NJW 2002, 2889.

2. Lebensgefährdende Behandlung

Der Tritt gegen den Kopf des B war nach den konkreten Umständen geeignet, dessen Leben mindestens in eine abstrakte Gefahr des Todes zu bringen, sodass er die Körperverletzung auch mittels einer lebensgefährdenden Behandlung begann. 

Anmerkung: Abstrakte Lebensgefahr
Ob eine konkrete oder abstrakte Lebensgefahr für das Vorliegen einer lebensgefährdenden Behandlung erforderlich ist, wird nicht einheitlich beantwortet.

Eine Ausarbeitung zu dieser Fragestellung findet ihr in „Operationsverweigerer“ von Maximilian Nussbaum vom 16.09.2020 unter https://staging.examensgerecht.de/operationsverweigerer/

3. Vorsatz

A handelte im Hinblick auf den Qualifikationstatbestand vorsätzlich. 

III. Rechtswidrigkeit 

Auch diese Handlung könnte jedoch aufgrund der rechtfertigenden Einwilligung des B gerechtfertigt sein. Hierfür müsste sich diese Einwilligung auch auf diese Handlung erstrecken.

Für eine solche Erstreckung könnte das Gesamtgeschehen als einheitliches Kampfszenario sprechen. Gegen eine solche Erstreckung spricht jedoch die Zäsurwirkung des Faustschlages, welcher den B bereits zu Boden fallen und kampfunfähig werden ließ. Es ist nicht ersichtlich, dass die Einwilligung auch über den konkreten Kampf hinaus Wirkung entfalten sollte. Mit dem Sturz zu Boden war vielmehr der Kampf bereits für A gewonnen und der B besiegt, sodass die aktive körperliche Auseinandersetzung bereits beendet war. Eine solche weitreichende konkludente Erklärung kann hier nicht angenommen werden. 

Die Frage kann jedoch offenbleiben, wenn die Einwilligung zumindest an einem weiteren Punkt scheitert. 

Der Tritt gegen einen bereits Kampfunfähigen könnte gegen gute Sitten gemäß § 228 StGB verstoßen, sodass die Einwilligung dahingehend unwirksam wäre. 

Ein Tritt mit einem beschuhten Fuß gegen den Kopf stellt im konkreten Einzelfall eine erhöhte Todesgefahr dar. Die Wucht eines Trittes, insbesondere in die Richtung eines am Boden Liegenden birgt die Gefahr erheblicher Verletzungen des Gehirns, welche zum Tode der getroffenen Person führen können. Unerheblich dabei ist, dass die Todesgefahr bereits durch den Faustschlag hervorgerufen wurde. In dem konkreten Tritt liegt für sich eine besonders gesteigerte Gefahr des Todes, sodass dieser zur Sittenwidrigkeit führt. 

Die Handlung ist nicht durch die Einwilligung gerechtfertigt und damit rechtswidrig. 

IV. Schuld

A handelte auch schuldhaft. 

V. Ergebnis

A hat sich gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, Nr. 5 StGB strafbar gemacht. 

D. Strafbarkeit gemäß § 222 StGB im Hinblick auf den Tritt

Eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung kommt nicht in Betracht, da die zum Tode führende Handlung durch Einwilligung gerechtfertigt war. Der Tritt gegen den Kopf war nicht ursächlich für den Tod des B. 

E. Gesamtergebnis

A hat sich gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, Nr. 5 StGB strafbar gemacht. 


Zusatzfragen

1. C lief während eines Hofganges grundlos auf D los, wobei er einen Sportschuh mit harter Gummisohle bei sich führte. Mit diesem Schuh schlug C dem D heftig ins Gesicht, wobei D nur leicht verletzt wurde und dem C den Schuh abnahm. Darauf zog C aus seiner Hosentasche eine mitgeführte Glasflasche, welche dieser dem D auf den Kopf schlagen wollte. Die Flasche wurde dabei, bevor C zuschlagen konnte, von einem Justizvollzugsbeamten abgenommen und die Situation deeskaliert. Strafbarkeit des C?

Im ersten Handlungskomplex hat A sich wegen des Schlages mit dem Sportschuh in das Gesicht des B wegen einer gefährlichen Körperverletzung nach §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB strafbar gemacht.

A könnte darüber hinaus wegen dem versuchten Schlag mit der Flasche wegen einer versuchten Körperverletzung nach § 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, Nr. 5, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar sein. Dieser Tatbestand wäre unzweifelhaft erfüllt.

Fraglich ist jedoch, wie sich die beiden Tatkomplexe aus konkurenzrechtlicher Sicht verhalten. Zum einen liegt eine vollendete Qualifikationsvariante vor, zum anderen einen Versuch einer weiteren Qualifikationsvariante, wobei ein einheitliches Handlungsgeschehen gegeben ist. Dies würde grundsätzlich zur Tateinheit im Sinne des § 52 StGB führen. Etwas anderes könnte sich aus der Tatsache ergeben, dass in beiden Fällen das gleiche Rechtsgut in einem engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang betroffen ist. Zudem fehlt es an einer wesentlichen Zäsur, sodass insgesamt das Unrecht der Tat nicht intensiviert wird durch den Versuch. Damit ist die Vollendung als spezielle Gestaltung gegenüber dem Versuch desselben Deliktes zu sehen, sodass der Versuch grundsätzlich verdrängt wird. Dies gilt auch für die Verwirklichung verschiedener Qualifikationsmerkmale innerhalb eines Deliktes. Es handelt sich dabei um eine Tat im Rechtssinn.

Damit ist A nur gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB strafbar.[13]Angelehnt an BGH-Beschluss vom 05.05.2021 – 6 StR 132/21, NStZ-RR 2021, 212.

2. A ist vor dem Landgericht wegen Bandendiebstahl angeklagt. Im Rahmen der Hauptverhandlung wird der anwaltlich vertretene Zeuge Z vernommen, welcher wegen des gleichen Sachverhaltes bereits rechtskräftig verurteilt wurde. Er wurde vor der Vernehmung auf sein Auskunftsverweigerungsrecht hingewiesen. Z hatte bereits während der Ermittlungen, nach erfolgter Beschuldigtenbelehrung, vor einem Vernehmungsbeamten der Polizei ausgesagt, wobei diesem vor Beginn der Vernehmung zugesichert worden ist, dass er nicht wegen des Bandendiebstahl belangt und ebenfalls kein Haftantrag gestellt werden würde, wenn dieser an der Aufklärung des Sachverhaltes aktiv mitwirken würde. A wird wegen Bandendiebstahls verurteilt, wobei das Landgericht seine Entscheidung auf die Zeugenaussage des Z im Rahmen der Hauptverhandlung stützt.
Gegen seine Verurteilung erhebt A entsprechende Verfahrensrüge und macht die Unverwertbarkeit der Aussage des Z geltend. Zu Recht?
Die Verfahrensrüge des A hat Erfolg, wenn er die Verletzung einer Verfahrensnorm durch das Landgericht geltend machen kann, § 337 Abs. 1, Abs. 2 StPO.

Der Verwertung der Aussage des Z könnte ein Beweisverwertungsverbot, welches sich aus §§ 69 Abs. 3, 136a Abs. 1 S. 3 Alt. 2, Abs. 3 S. 2 StPO ergeben könnte, entgegenstehen. Dies wäre der Fall, wenn Z ein gesetzlich nicht vorgesehener Vorteil versprochen wurde und hieraus sich ein Beweisverwertungsverbot für A ergeben würde.

Hierfür müsste sich jedoch das Verwertungsverbot aus §§ 69 Abs. 3, 136a Abs. 1 S. 3 Alt. 2, Abs. 3 S. 2 StPO auf die Zeugenaussage des Z innerhalb der Hauptverhandlung erstrecken, denn das Landgericht hat nur diese Aussage zur Entscheidungsgrundlage gemacht und gerade nicht die Aussage während des Ermittlungsverfahrens. Fraglich ist damit, ob der mögliche Verstoß hier fortwirkt.

Grundsätzlich wirkt sich ein solcher Verstoß nicht fort, wenn während einer späteren Aussage die Willensfreiheit nicht mehr beeinträchtigt ist.
Wirkt ein Verstoß jedoch dergestalt fort, dass hierdurch auch bei einer zeitlich nachfolgenden Vernehmung die Aussage- und Entschließungsfreiheit des Beschuldigten oder eines Zeugen in rechtserheblicher Weise beeinträchtigt ist, umfasst das Verwertungsverbot aus § 136a StPO auch die spätere Beweiserhebung, sodass eine Fortwirkung anzunehmen ist. Bedeutend ist hierbei insbesondere ein naher zeitlicher Zusammenhang zwischen den Vernehmungen sowie die Schwere der konkreten Beeinträchtigung der Willensfreiheit.

In unserem Fall ist jedoch maßgeblich, dass Z bereits rechtskräftig verurteilt ist und während seiner Zeugenvernehmung anwaltlich vertreten ist. Es ist nicht ersichtlich, dass Z sich seiner Aussagefreiheit nicht bewusst ist. Insbesondere wurde Z auf sein Aussageverweigerungsrecht hingewiesen.

Fraglich bleibt, ob das Landgericht den Z aufgrund des früheren Verwertungsverbotes während der Hauptverhandlung des A hätte, qualifiziert belehren müssen und auf die Unverwertbarkeit seiner Beschuldigtenvernehmung hinweisen müssen.
Diese Frage kann jedoch offenbleiben, da ein Verstoß gegen eine qualifizierte Belehrungspflicht nicht ohne weiteres zur Unverwertbarkeit führt. In solchen Fällen ist vielmehr eine Abwägung vorzunehmen.
Im vorliegenden Fall bestehen keine Anhaltspunkte, dass Z noch unter dem Eindruck seiner früheren Vernehmung stand und eine Drucksituation fortwirkte. Zudem wurde Z während der Hauptverhandlung anwaltlich beraten und ebenfalls nach § 55 StPO belehrt. Es besteht hier zudem ein staatliches Interesse an der Strafverfolgung bezüglich A, da es sich bei der vorgeworfenen Tat um eine verhältnismäßig schwere Straftat handelt. Demnach überwiegt das staatliche Verfolgungsinteresse gegenüber dem Verfahrensverstoß.

Die Revision des A wird damit als unbegründet verworfen werden und hat keinen Erfolg.


Zusammenfassung

1. In eine Körperverletzung kann trotz § 228 StGB eingewilligt werden, soweit schwere bzw. tödliche Verletzungen nicht zu erwarten sind. Dies gilt unabhängig vom konkreten Eintritt der Gefährdung. 

2. Eine in der JVA vereinbarte Prügelei führt nicht aufgrund der abstrakten Eskalationsgefahr der konkreten Situation mit vielen anderen Strafgefangenen zur Annahme einer Sittenwidrigkeit. Es muss stets der konkrete Einzelfall begutachtet werden. 

3.Wird eine Qualifikationsvariante vollendet, so wird eine Versuchsstrafbarkeit im Hinblick auf eine weitere Variante durch dieselbe Tat verdrängt. 

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