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Probefahrt bei Motortausch
BGH, Urteil vom 17.3.2017 – V ZR 70/16 – BGH NJW-RR 2017, 818

Sachverhalt

C ist Eigentümerin eines Audi A6. Sie verleiht den Wagen an ihren guten Freund D. Als D mit dem Wagen fährt, tritt ein schwerer Motorschaden auf. Pflichtbewusst lässt D den Schaden in der Werkstatt der W reparieren. Diese bestellt einen neuen Motor und baut ihn in den Wagen ein. Als D den Wagen in der Werkstatt der W wieder abholen will, setzt er sich mit W als Beifahrerin in den Wagen für eine Probefahrt.

Es kommt aufgrund angeblich noch ausstehender Zahlungen zu einer Auseinandersetzung zwischen D und W. Erbost zieht W den Schlüssel aus dem Zündschloss. Als D aus dem Wagen aussteigt setzt sich W auf den Fahrersitz und bringt den Wagen in ihre Werkstatt, wo sie den Motor wieder ausbaut.

C verlangt von W die Herausgabe des zuvor eingebauten Motors. Zu Recht?


Skizze


Gutachten

A. Anspruch aus § 631 BGB

C könnte einen Anspruch auf Herausgabe des Motors gegen W aus § 631 BGB haben. Dies erfordert zunächst einen Werkvertrag zwischen C und W. Zwar sollte W den Wagen der C reparieren, gleichwohl einigten sich hierauf D und W. Eine Stellvertretung des D für C gem. § 164 BGB ist soweit nicht ersichtlich. Besteller ist somit nicht C, sondern vielmehr der D. Es mangelt daher bereits an einem Werkvertrag zwischen C und W.

B. Anspruch aus § 985 BGB

C könnte allerdings einen Anspruch auf Herausgabe gegen W aus § 985 BGB haben.

I. C ist Eigentümer

Dazu müsste C Eigentümer des Motors sein. Ursprünglich war W Eigentümer des Motors. Anlass für die Annahme eines rechtsgeschäftlichen Erwerbs gem. § 929 S.1 BGB besteht nicht.

Hingegen scheint es möglich, dass C gem. § 947 Abs. 2 BGB kraft Gesetzes durch Verbindung Eigentümer geworden ist. Das wäre dann der Fall, wenn durch den Einbau des Motors dieser zum wesentlichen Bestandteil des Autos i.S.d. § 93 BGB geworden wäre. Gem. § 93 BGB sind Bestandteile dann wesentlich, wenn sie von einander nicht getrennt werden können, ohne dass der eine oder der andere Teil zerstört oder in seinem Wesen verändert wird.[1]MüKoBGB/Stresemann, 8. Aufl. 2018 Rn. 10, BGB § 93 Rn. 10. Für die Beurteilung sind die abgetrennten und die verbleibenden Teile für sich einzeln zu betrachten,[2]Wolf/Neuner BGB AT § 25 Rn. 24; MüKoBGB/Stresemann, 8. Aufl. 2018 Rn. 10, BGB § 93 Rn. 10. ferner also ob jene weiterhin wirtschaftlich genutzt werden können.[3]BGH NJW 1956, 945; MüKoBGB/Stresemann, 8. Aufl. 2018 Rn. 10, BGB § 93 Rn. 10. Unabhängig davon ist die Auswirkung auf die Gesamtsache.[4]BGH NJW 1955, 1793.

Ein serienproduzierter Motor lässt sich aus einem Auto ausbauen, ohne dass dieser oder die restliche Karosserie Schaden erleidet. Regelmäßig kann der ausgebaute Motor weiterhin in Autos der gleichen Serie verwendet werden. Selbst außerhalb eines Autos der gleichen Serie kann ein Motor ohne das restliche Auto betrieben werden. Davon unabhängig ist, dass das Auto ohne Motor nicht mehr funktionieren wird. Denn Karosserie und Motor – also die die Bestandteile in ihrer Vereinzelung – behalten ihre Funktionalität und ihren wirtschaftlichen Wert. Mithin handelt es sich bei dem Motor nach dem Einbau nicht um einen wesentlichen Bestandteil i.S.d. § 93 BGB. Ein gesetzlicher Eigentumsübergang gem. § 947 Abs. 2 BGB liegt nicht vor. C ist nicht Eigentümer des Motors gewesen.

Anmerkung: Motor als wesentlicher Bestandteil
In dem hier behandelten Urteil hat der BGH sich nur kurz mit der Frage beschäftigt, ob es sich bei einem eingebauten Austauschmotor um einen wesentlichen Bestandteil i.S.d. § 93 BGB handelt. Dies liegt vor allem daran, dass bereits 1973 dazu eine Entscheidung des BGH getroffen wurde.[5]BGH, Urteil vom 27. Juni 1973 – VIII ZR201/72 Beide Entscheidungen lassen sich jedoch hervorragend verbinden, so dass sich auch ein genauer Blick auf die BGH Entscheidung bzgl. des Einbaumotors lohnt. In jedem Falle empfiehlt es sich aus klausurtaktischer Perspektive an dieser Stelle der Ansicht des BGH zu folgen, denn andernfalls würde der im folgendem gesetzte Schwerpunkt abgeschnitten werden.
Vernetztes Lernen: Ist eine Einbauküche ein wesentlicher Bestandteil einer Wohnung?
Grds. kann davon ausgegangen werden, dass es sich bei einer Einbauküche nicht um einen wesentlichen Bestandteil iSd. § 93 einer Wohnung handelt, denn es fehlt meist an der Voraussetzung, dass die Küchenmöbel nicht von der Wohnung getrennt werden können. Genauer: die Sache darf nach der Trennung weder in der bisherigen Art, noch in Verbindung mit einer neuen Sache, wirtschaftlich genutzt werden können.[6]BGHZ 18, 226, 229; 20, 159, 162; BGH, Urt. v. 3. März 1956 – IV ZR 334/55, NJW 1956, 788. Selbst eine (geringfügige) Wertminderung durch den Ausbau, sofern der Restwert nicht bei null liegt, schadet nicht.[7]RGZ 69, 117, 122. Nach allgemeiner Erfahrung können serienmäßig hergestellte Teile einer Einbauküche abgebaut und abtransportiert werden, ohne dass sie mehr als unwesentlich beschädigt werden.[8]NJW-RR 1990, 586, 587. Dazu auch genauer: BGH NJW-RR 1990, 586.

II. Ergebnis

Ein Anspruch des C aus § 985 BGB auf Herausgabe des Motors besteht nicht.

C. Anspruch aus §§ 861 Abs. 1, 869 S. 1 BGB

Möglich erscheint allerdings ein Anspruch des C gegen W auf Herausgabe des Motors aus §§ 861 Abs. 1, 869 S. 1 BGB.

Dazu müsste D seinen Besitz durch verbotene Eigenmacht des W verloren haben. Verbotene Eigenmacht kann gleichwohl nur gegen den unmittelbaren Besitzer i.S.d. § 854 Abs. 1 BGB ausgeübt werden. Insofern müsste also D zunächst unmittelbarer Besitzer des Autos und damit des Motors gewesen sein.

Unmittelbarer Besitzer ist, wer die tatsächliche Gewalt über eine Sache ausübt (§854 Abs. 1 BGB). In wessen tatsächlicher Herrschaftsgewalt sich die Sache befindet, hängt maßgeblich von der Verkehrsanschauung ab. Bei einem Fahrzeug kommt es regelmäßig darauf an, wer die tatsächliche Herrschaftsgewalt über die Fahrzeugschlüssel ausübt.[9]PWW/Prütting, BGB, 11. Aufl., § 854 Rn. 8; Palandt/Herrler, BGB, 76. Aufl., § 854 Rn. 5.

Umgekehrt ist gem. § 855 derjenige, welcher lediglich Besitzdiener ist, nicht unmittelbarer Besitzer.

I. D als Besitzdiener, § 855 BGB

Möglich erscheint daher, dass D im Rahmen der Probefahrt lediglich Besitzdiener des W i.S.d. § 855. BGB ist.

Besitzdiener ist derjenige, welcher die tatsächliche Gewalt über eine Sache weisungsgebunden für einen anderen in einem Verhältnis der nach außen erkennbaren sozialen Abhängigkeit ausübt.[10]Schulze-BGB/Schulte-Nölke, § 855 Rn. 1ff.

Die soziale Abhängigkeit erfordert, dass der Besitzherr zumindest faktisch die Möglichkeit hat, seinen Willen gegenüber den Besitzdiener durchzusetzen.[11]NJW-RR 2017, 818, Rn. 13. Mithin also im Falle der Nichtbefolgung aufgrund eines Direktionsrecht oder vergleichbaren Befugnissen den Willen unmittelbar selbst durchsetzen kann.[12]NJW 2014, 1524, Rn. 14; NJW-RR 2017, 818, Rn. 13.

Im Falle der Probefahrt zur Kontrolle von Reparaturleistungen besteht ein solches Weisungs- oder Direktionsrecht nicht. D bleibt als Werkbesteller vielmehr mittelbarer Besitzer des Fahrzeugs, denn der Werkvertrag stellt sich als Besitzmittlungsverhältnis i.S.d. § 868 BGB dar.[13]NJW-RR 2017, 818, Rn. 13. Die Stellung als mittelbarer Besitzer gegenüber dem unmittelbaren Besitzer schließt zugleich die Besitzdienerschaft gegenüber selbigen aus.

D ist folglich nicht Besitzdiener i.S.d. § 855 BGB des W.

Anmerkung: Abgrenzung zur Probefahrt zum Zwecke des Kaufes
Anders vermag es sich in den Fällen der Probefahrt zum Zwecke des Kaufes eines PKWs verhalten. Der Kaufinteressent ist schon bzgl. der Frage, ob die Probefahrt überhaupt stattfindet maßgeblich vom Verkäufer abhängig. Ob es sich gleichwohl beim Kaufinteressenten auf einer Probefahrt um einen Besitzdiener handelt wird dennoch unterschiedlich beurteilt. Im Rahmen der Argumentation kann es aber hilfreich sein, auf die Parallele hinzuweisen.

II. Besitzlockerung des W

Weiterhin kann D nur dann unmittelbarer Besitzer gewesen sein, wenn W zugleich seinen Besitz aufgegeben hat. Möglich erscheint hier eine Besitzaufgabe des W und eine Erlangung des unmittelbaren Besitzes durch die Übergabe des Schlüssels zwecks Probefahrt an D.

Gem. § 856 Abs. 1 BGB wird der Besitz dadurch beendet, dass der Besitzer die tatsächliche Gewalt über die Sache aufgibt oder in anderer Weise verliert. Mithin nicht nur eine bloße Lockerung des Besitzes vorliegt. Dabei bestimmt sich die Einordnung nach der Verkehrsanschauung.

Demnach gilt es die Frage zu beantworten, ob W – unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung – den Anschein erweckte, dass D wieder allein verfügungsbefugt sein sollte.

Maßgeblich gegen eine solche Betrachtung spricht, dass W den D auf die kurze Probefahrt begleitet hat. Insofern blieb er in enger räumlicher Beziehung zu dem Auto und gab seine Kontrollmöglichkeiten nicht auf. Denn gerade durch das Beiwohnen der Probefahrt will der Werkunternehmer regelmäßig verhindern, dass der Besteller mit der Sache ohne Zahlung des Werkunternehmerlohns nach seinem Belieben verfährt. Letztlich stellt dies die unmittelbare Ausübung seines sich aus dem Werkunternehmerpfandrecht ergebene Besitzrecht dar,[14]BGH NJW-RR 2017, 818 Rn. 21. welches aber gem. § 1257 i.V.m § 1253 Abs. 1 S. 1 BGB erlöschen würde, sofern er die Pfandsache willentlich an den Besteller herausgibt. Die Absicht die Sicherung seines Werkunternehmenerlohns vorzeitig aufzugeben lässt sich jedoch kaum unterstellen.

Dagegen ließe sich hier jedoch einwenden, dass im vorliegenden Falle gerade kein Pfandrecht am PKW entstanden ist, da D als Besteller nicht Eigentümer war. Allerdings kommt es bei der Beurteilung des Besitzes grundsätzlich auf die faktischen Verhältnisse an. Die wahre Rechtslage, die der Besteller im Zweifel nicht erkannte, kann demnach außer Acht gelassen werden.[15]NJW-RR 2017, 818 Rn. 21 ff.

Demnach kann der Schluss gezogen werden, dass W seinen Besitz lediglich lockern und ihn nicht zugunsten des D aufgeben wollte. D ist nicht unmittelbarer Besitzer gewesen.

III. Ergebnis

Ein Anspruch auf Herausgabe nach §§ 861 Abs. 1, 869 S. 1 BGB besteht nicht.



Zusatzfragen

Kann W als Werkunternehmerin bei einer Auftrags-Reparatur taugliche Verwenderin i.S.d. 994 Abs. 1 BGB sein?
Ob ein Werkunternehmer tauglicher Verwender i.S.d. §§ 994 Abs. 1 BGB sein kann wird unterschiedlich beurteilt.

Eine Ansicht führt dagegen auf, dass als Verwender lediglich derjenige in Frage kommt, der die Verwendung auf eigene Rechnung veranlasst und den Vorgang zumindest wirtschaftlich beherrscht. In Frage käme demnach nur der Besteller im Werksvertragsverhältnis. Dafür spricht die Parallele zu dem § 950 BGB, bei welchem unumstritten ein solches Beherrschungs- und Steuerungsverhältnis verlangt wird. Ein solches hätte der Werkunternehmer jedoch gerade nicht, denn er tätige die Verwendungen nicht aufgrund des Besitzes, sondern nur aufgrund der vertraglich zugesicherten Gegenleistung.[16]Staudinger/Gursky, 2013, Vorbem. Zu §§ 994 – 1003, Rn. 31.

Eine andere Ansicht will hingegen auch den Werkunternehmer als Verwender sehen. Dafür spricht, die Systematik des EBV. Diese ist – und das im Gegensatz zu § 951 – nicht durch schuldrechtliche Beziehungen geprägt, sondern ist rein sachbezogen.

W führt eine Auftragsreparatur durch. Sie weiß allerdings nicht, dass der Besteller nicht Eigentümer des Kfz ist. Kann Sie ein Werkunternehmerpfandrecht gutgläubig analog 1207 BGB erwerben?
Ob allerdings eine analoge Anwendung des § 1207 BGB möglich ist, ist umstritten.

Für eine analoge Anwendung spricht die Schutzbedürftigkeit des Werkunternehmers, der durch das Pfandrecht die Wahrung seiner Rechte sicher können soll. Weiterhin spreche der § 366 Abs. 3 HGB für eine analoge Anwendung, da– zumindest im Handelsrecht – auch das rechtsgeschäftliche Pfandrecht unproblematisch gutgläubig erworben werden könnte.[17]BeckOGK/Förster, 1.6.2020, BGB § 1257 Rn. 13.2.

Gegen eine analoge Anwendung sprechen allerdings die Wortlaute und die Systematik der §§ 1207 BGB und § 366 Abs. 3 HGB. So mangelt es bereits an der Planwidrigkeit der Regelungslücke. Denn einerseits zeigt der § 1257 BGB gerade, dass im Falle eines gesetzlichen Pfandrechts grundsätzlich kein gutgläubiger Erwerb möglich ist und andererseits wird durch den § 366 Abs. 3 HGB deutlich, dass Ausnahmen hiervon nur in abschließenden bestimmten Fällen möglich sind.[18]BGHZ 34, 153 (155 f.); Baur/Stürner (Fn. 2), § 55 Rdn. 40. Diese Fälle, welche sich durch die Ortsfremde und Anonymität des Kundenkreises auszeichnen (Kommissionär/Frachtführer oder Verfrachter) und daher eine Prüfung der Berechtigung des Auftraggebers erschweren, unterscheiden sich von den typischen Situationen des Werkunternehmers.[19]a.A.: BeckOGK/Förster, 1.6.2020, BGB § 1257 Rn. 13.2. Das HGB verhält sich gerade in solchen Fällen als lex specialis zum BGB. Auch knüpft das Entstehen der gesetzlichen Pfandrechte ausschließlich an tatsächlich Vorgänge, Zustände oder Ereignisse, die vom Parteiwillen unabhängig sind – mithin also auch unabhängig davon, ob die Partei das Pfandrecht erwerben will oder nicht.[20]BeckOGK/Förster, 1.6.2020, BGB § 1257 Rn. 13.1. Auch die Schutzwürdigkeit des Werkunternehmers vermag nicht zu einem anderen Ergebnisse kommen, denn er kann den Verwendungsersatzanspruch nach den §§ 994 ff. dem Eigentümer entgegenhalten.[21]BGHZ 34, 122, 127 ff.

Zusammenfassung:

1. Bei einem Werkvertrag ist der Besteller, der nach erfolgter Reparatur seines Kraftfahrzeuges eine Probefahrt vornimmt, nicht Besitzdiener des Werkunternehmers.[22]BGH NJW-RR 2017, 818, 818.

2. Jedenfalls dann, wenn eine zur Vorbereitung der Abnahme eines reparierten Kraftfahrzeugs durchgeführte Probefahrt des Bestellers in Anwesenheit des Werkunternehmers oder dessen Besitzdieners stattfindet, erlangt der Besteller keinen unmittelbaren Besitz an dem Fahrzeug. Vielmehr bleibt der Werkunternehmer unmittelbarer Besitzer; sein Besitz wird lediglich gelockert.[23]BGH NJW-RR 2017, 818, 818.


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