OVG Münster, Beschl. v. 08.07.2025 – 5 B 579/25, NVwZ 2025, 1547
Sachverhalt
(abgewandelt und gekürzt)
Der 18-jährige A mit Wohnsitz im nordrhein-westfälischen Köln ist in der Vergangenheit, auch im letzten Jahr, mehrfach strafrechtlich aufgrund von Taten unter Verwendung von Messern aufgefallen. Teils wurden die staatsanwaltschaftlichen Verfahren gegen ihn eingestellt, teils wurde er verurteilt. Die nach Landesrecht zuständige Polizeibehörde befürchtet, dass A auch zukünftig einschlägig in Erscheinung treten wird. Daher ordnet sie nach ordnungsgemäßer Anhörung, Begründung und Rechtsbehelfsbelehrung am 03.03.2025 gegenüber A an:
„1. Das Mitführen von Messern jeglicher Art, gefährlichen Werkzeugen, gefährlichen Sportgeräten und Reizstoffsprühgeräten aller Art ist Ihnen bis zum 03.03.2028 in den Städten Köln, Bonn, Leverkusen und Bergisch Gladbach untersagt.
2. Die Anordnung zu 1. ist sofort vollziehbar.“
Die Polizeibehörde stütz die Anordnung auf die polizeiliche Generalklausel. Sie ist der Ansicht, dass das Waffenrecht des Bundes nicht der effektiven, auf konkrete Personen bezogenen Gefahrenabwehr entgegenstehen könne. Das sei auch nicht die Intention des Bundesgesetzgebers, was sich an § 42b II 4 WaffG zeige. Sie möchte, wie es einer landesweiten Strategie entspricht, künftig häufiger auf vergleichbare Messerverbote zurückgreifen und vermehrte Kontrollen durchführen.
A hat die Angelegenheit mit seinen Freunden besprochen. Sie sind sich alle einig, dass dem Bescheid die Rechtswidrigkeit auf die Stirn geschrieben stehe. Eine derart weitreichende Einschränkung der Grundrechte könne doch nicht einfach so angeordnet und schon gar nicht auf die polizeiliche Generalklausel gestützt werden. Ein Freund wirft ein, seine Mutter, die Anwältin ist, habe beim Abendbrot erzählt, dass in einem Rechtsstaat bei eingriffsintensiven polizeilichen Maßnahmen auch eine spezielle Regelung erforderlich sei. Außerdem sei doch das Waffenrecht vollständig auf Bundesebene geregelt. Gerade durch die wegen der erhöhten Relevanz von Messerdelikten jüngst erfolgte Novellierung des WaffG, nämlich die Einführung von § 42a I Nr. 3, § 42 IVa, V sowie § 42b I 1 Nr. 2 WaffG, sowie mit Blick auf § 1 II Nr. 2b, IV WaffG i.V.m. Anl. 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 2 Nr. 2.1, habe der Bundesgesetzgeber abschließende Regelungen getroffen. Daher hätten die Landespolizeibehörden ihm gegenüber überhaupt nichts anzuordnen.
Durch das Gespräch mit seinen Freunden fühlt sich A nun sicher, dass er die Anordnung möglichst schnell zu Fall bringen kann. Ohne vorher etwas bei der Behörde zu beantragen, stellt er daher am 10.03.2025 einen entsprechenden Antrag beim zuständigen Gericht. Ob er noch eine Klage erhebt, möchte er später entscheiden.
Hat der Antrag des A Erfolg?
Bearbeitungshinweis:
Es ist davon auszugehen, dass keine spezielle Befugnis nach dem Landespolizeigesetz einschlägig ist. NRW hat von § 78 I Nr. 2 VwGO keinen Gebrauch gemacht. Ein Vorverfahren ist vor der Erhebung einer Anfechtungsklage im vorliegenden Fall nicht statthaft (vgl. § 110 I 1 JustG NRW). Auf § 41 WaffG ist nicht einzugehen. Hingewiesen wird auf folgende Vorschriften:
§ 2 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
(1) Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat die Polizei diejenige zu treffen, die den einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt.
(2) Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht.[1]Entsprechende Vorschriften finden sich auch in anderen Ländern, siehe nur Art. 4 BayPAG, § 3 Bbg PolG, § 4 HSOG, § 4 NPOG.
(3) …
§ 8 PolG NRW
(1) Die Polizei kann die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende, konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (Gefahr) abzuwehren, soweit nicht die §§ 9 bis 46 die Befugnisse der Polizei besonders regeln.[2]Entsprechende Vorschriften finden sich auch in den anderen Ländern, siehe nur § 3 BWPolG, Art. 11 Abs. 1 BayPAG, § 10 BbgPolG, § 11 HSOG, § 11 NPOG.
(2) …
Skizze
Gutachten
Der Antrag des A hat Erfolg, soweit er zulässig und begründet ist.
A. Zulässigkeit
Zunächst müsste der Antrag zulässig sein.
I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs
Mangels aufdrängender Sonderzuweisung richtet sich die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 I VwGO. Es müsste sich demnach um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art handeln, die nicht abdrängend einem anderen Gericht zugewiesen ist. Nach der modifizierten Subjektstheorie ist eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich, wenn die streitentscheidenden Normen einen Träger öffentlicher Gewalt einseitig berechtigen oder verpflichten. Streitentscheidend ist hier § 8 I PolG NRW, der einseitig die Landespolizei als Träger öffentlicher Gewalt berechtigt. Es geht hier auch nicht um besondere verfassungsrechtliche Funktionen und Kompetenzen eines Verfassungsrechtssubjekts, sodass die Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art ist.[3]Vgl. BVerwG, Urt. v. 26.03.2025 – 6 C 6.23 Rn. 25. Mangels abdrängender Sonderzuweisung ist der Verwaltungsrechtsweg damit eröffnet.
Anmerkung: Hinweis für die KlausurbearbeitungEs ist hier nicht notwendig und verfehlt, vertieft darauf einzugehen, ob die Polizei vorliegend repressiv oder präventiv tätig wird. Ein präventives Tätigwerden ist nach dem Sachverhalt offensichtlich. Eine kurze Abgrenzung unter Verweis auf § 23 I 1 EGGVG schadet aber nicht.t.
II. Statthaftigkeit
Die Statthaftigkeit richtet sich nach dem Begehren des Antragsstellers, §§ 122 I, 88 VwGO. Da A zügigen Rechtsschutz begehrt, kommt ein Vorgehen im einstweiligen Rechtsschutz in Betracht. Ein Verfahren nach § 80 V 1 VwGO ist statthaft, wenn A die Suspendierung eines VA begehrt, in der Regel also, wenn in der Hauptsache eine Anfechtungsklage gem. § 42 I Alt. 1 VwGO statthaft wäre. Das konkretisierte Waffenverbot, gegen das sich A wendet, stellt einen Verwaltungsakt gem. § 35 S. 1 VwVfG NRW (entspricht § 35 S. 1 VwVfG des Bundes) dar. Vorliegend wurde zudem die sofortige Vollziehung nach § 80 II 1 Nr. 4 VwGO angeordnet. Statthaft ist mithin die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gem. § 80 V 1 Alt. 2 VwGO.
III. Antragsbefugnis
Analog § 42 II VwGO muss die Möglichkeit einer eigenen Rechtsverletzung bestehen. Es handelt sich um eine an A gerichtete, für ihn belastende Maßnahme, sodass A nach dem Adressatengedanken zumindest in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt sein könnte. Er ist folglich antragsbefugt.
IV. Antragsgegner
Antragsgegner ist gem. § 78 I Nr. 1 VwGO das Land Nordrhein-Westfalen.
V. Beteiligten- und Prozessfähigkeit
A ist nach § 61 Nr. 1 Alt. 1 VwGO beteiligten- und gem. § 62 I Nr. 1 VwGO prozessfähig. Das Land Nordrhein-Westfalen ist nach § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO beteiligten- und gem. § 62 III VwGO prozessfähig, wenn es sich ordnungsgemäß vertreten lässt.
VI. Rechtsschutzbedürfnis
Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt nur, wenn dem Antragssteller ein einfacherer oder effektiverer Weg zur Verwirklichung seines Rechtsschutzziels zur Verfügung steht.
Vorliegend könnte das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, sofern A zunächst einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung bei der zuständigen Polizeibehörde hätte beantragen müssen. Nach § 80 VI VwGO ist ein solcher Antrag in den Fällen des § 80 II 1 Nr. 1 VwGO erforderlich. Im Umkehrschluss ist ein entsprechender Antrag in den Fällen des § 80 II 1 Nr. 2–4 VwGO nicht notwendig.
A hat ferner nicht zumindest gleichzeitig Anfechtungsklage erhoben. Eine aufschiebende Wirkung kann das Verwaltungsgericht also nicht wiederherstellen. Indes sieht § 80 V 2 VwGO vor, dass der Antrag nach § 80 V 1 Alt. 2 VwGO schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig ist. Zudem wäre beim Erfordernis der gleichzeitigen Erhebung einer Anfechtungsklage die Frist zur Erhebung dieser verkürzt, zumal die Anfechtungsklage bei dem Begehren vorläufigen Rechtsschutzes früher als in § 74 I 1 VwGO vorgesehen zu stellen wäre[4]Gersdorf, Verwaltungsprozessrecht, 7. Aufl. 2024, Rn. 361.
Da die Anfechtungsklage noch fristgerecht eingelegt werden könnte, die Monatsfrist des § 74 I VwGO ist noch nicht abgelaufen, ist das Rechtsschutzbedürfnis auch nicht wegen offensichtlicher Unzulässigkeit des Rechtsbehelfs in der Hauptsache verfristet.
A ist folglich rechtsschutzbedürftig.
VII. Zwischenergebnis
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gem. § 80 V 1 Alt. 2 VwGO ist zulässig.
B. Begründetheit
Der Antrag ist begründet, wenn die Anordnung der sofortigen Vollziehung formell rechtswidrig ist und/oder wenn die gebotene Interessenabwägung ergibt, dass das Aussetzungsinteresse des A gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug der getroffenen Regelung überwiegt. Dies ist der Fall, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtsmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen und A dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Ist der Verwaltungsakt aber rechtmäßig, bedarf es einer weiteren Prüfung, ob das öffentliche Vollziehungsinteresse überwiegt.[5]Vgl. Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 33. Aufl. 2025, Rn. 1511: Es bedarf eines besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung, das über das grundsätzliche Interesse an der … Continue reading
Da die Anordnung der sofortigen Vollziehung hier laut Sachverhalt den Anforderungen an die Begründung gem. § 80 III 1 VwGO genügt, kommt es auf die Interessenabwägung an, die sich in erster Linie nach den sich aus summarischer Prüfung ergebenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache richten.
Vernetztes Lernen: Welche Anforderungen sind an die Begründung einer Anordnung der sofortigen Vollziehung zu stellen?Die Behörde muss gem. § 80 III 1 VwGO schriftlich Gründe darlegen, die über die den Verwaltungsakt rechtfertigenden Gesichtspunkte hinausgehen. Die Behörde muss das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung für den konkreten Einzelfall darlegen, sodass allgemeine Floskeln, die Wiederholung des Wortlauts von § 80 II 1 Nr. 4 VwGO oder ein schlichter Verweis auf die Rechtmäßigkeit nicht genügt.[6]Gersdorf, Verwaltungsprozessrecht, 7. Aufl. 2024, Rn. 379.
Die Anforderungen sind ausnahmsweise geringer, wenn die Anordnung besonders dringlich ist, wenn etwa nur die Anordnung der sofortigen Vollziehung die Realisierung erheblicher Gefahren verhindern kann. Dann müssen die besonderen Gründe genannt und es muss dargelegt werden, dass die Gründe ausreichend gewichtig sind, um ein besonderes – nicht nur allgemeines – öffentliches Interesse zu begründen.[7]OVG Münster, NVwZ 2025, 1547 Rn. 3.
Nach h.M. scheidet eine den Fehler heilende Nachholung entsprechend § 45 I Nr. 2, II VwVfG aus, da eine solche Heilung mit den Zwecken von § 80 III 1 VwGO nicht vereinbar wäre.[8]W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 31. Aufl. 2025, § 80 Rn. 87. Zweck der Begründungspflicht ist, dass die Behörde vor Erlass der Anordnung der sofortigen Vollziehung die Erwägungen anstellt und ihr den Ausnahmecharakter der Anordnung warnend vor Augen führt[9]W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 31. Aufl. 2025, § 80 Rn. 84.. Ferner soll Bürger*innen im Lichte von Art. 19 IV GG die Einschätzung ermöglicht werden, ob ein Antrag nach § 80 V 1 Alt. 2 VwGO Erfolgsaussichten hat.[10]Gersdorf, Verwaltungsprozessrecht, 7. Aufl. 2024, Rn. 379. Beiden Zwecken liefe es zuwider, wenn die Behörde zunächst auf eine Begründung verzichten und sie später im Falle eines Verfahrens nach § 80 V 1 Alt. 2 VwGO nachholen könnte.
Jedoch kann die Behörde erneut die sofortigen Vollziehung anordnen. Dabei wird teilweise auch das (eigentlich unzulässige) Nachschieben der Begründung bezogen auf die vorherige Anordnung als erneute (zulässige) Anordnung der sofortigen Vollziehung ausgelegt.[11]Näher m.w.N. W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 31. Aufl. 2025, § 80 Rn. 87. Aufgrund des Erfordernisses einer ausdrücklichen Anordnung nach § 80 II 1 Nr. 4 VwGO wird das aber auch abgelehnt, zumal mit einer erneuten Anordnung der sofortigen Vollziehung kein unzumutbarer Verwaltungsaufwand in Relation zu den Zwecken der Begründung nach § 80 III 1 VwGO einhergeht.[12]Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, 47. EL Februar 2025, § 80 Rn. 251.
Eine direkte Anwendung des § 28 VwVfG setzt voraus, dass es sich bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung um einen Verwaltungsakt gem. § 35 S. 1 VwVfG handelt. Jedoch schließt die Anordnung kein Verwaltungsverfahren ab, wie es nach § 9 VwVfG bei Verwaltungsakten der Fall ist; zudem ist die Anordnung nicht selbst vollziehbar, sondern führt nur zur sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes, zu dem sie ein Annex darstellt; auch hat sie keinen Regelungsgehalt, der bestandskräftig werden kann.[13]Näher Gersdorf, Verwaltungsprozessrecht, 7. Aufl. 2024, Rn. 379. Auch scheidet eine analoge Anwendung aus, da es mit Blick auf § 80 III 1 VwGO keine Regelungslücke gibt und VA und Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht hinreichend vergleichbar sind: Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist etwa leichter zu Fall zu bringen (§ 80 V 1 Alt. 2 VwGO) als ein VA (§ 42 I Alt. 1 oder § 68 I VwGO) und hat – wie geschrieben – keinen bestandskraftfähigen Regelungsgehalt.[14]Vgl. Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, 47. EL Februar 2025, § 80 Rn. 258.
I. Rechtsgrundlage
Die Verfügung könnte ihre Rechtsgrundlage in der Generalklausel gem. § 8 I PolG NRW finden.
1. Vorrangiges Bundesrecht
Das Waffenrecht ist gem. Art. 73 I Nr. 12 Alt. 1 GG Gegenstand der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes. Der Bundesgesetzgeber hat es im Waffengesetz näher ausgestaltet.
Diese Ausgestaltung könnte die Verfügung eines Waffenverbots gem. § 8 I PolG NRW ausschließen. § 1 II Nr. 2b, IV WaffG i.V.m. Anl. 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 2 Nr. 2.1 umfasst bereits Spring-, Fall-, Faust und Butterflymesser. Mit § 42 IVa, V sowie § 42b I 1 Nr. 2 WaffG hat der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des WaffG auf sämtliche Messer erweitert, auch auf solche, die im Alltag verwendet werden. § 42b I 1 Nr. 2 WaffG bezieht sich dabei auf den öffentlichen Personennahverkehr und § 42 IVa WaffG auf das Führen bei öffentlichen Veranstaltungen. Auch § 42a I Nr. 3 WaffG verbietet das Führen bestimmter Messer. Diese recht weitreichende Regelung von Messerverboten bezieht sich auf die abstrakt-generelle Gefahr, die von dem Messer selbst ausgeht.[15]Vgl. OVG Münster, NVwZ 2025, 1547 Rn. 10. Diese Messerverbote nach dem WaffG beziehen sich hingegen nicht auf die Abwehr einer Gefahr, die sich aus dem konkreten Verhalten einer individualisierten Person ergibt. Diese konkret-individuelle Gefahr kann sich jederzeit mit schwerwiegenden Folgen für Leib und Leben realisieren. Die auf die individualisierte Person ausgerichtete Gefahrenabwehr bezweckt, der Person möglichst frühzeitig ein Tatwerkzeug zu erschweren.[16]OVG Münster, NVwZ 2025, 1547 Rn. 10. Zudem zeigt § 42b II 4 WaffG, obgleich bezogen auf die Bundespolizei, dass die Novellierung des WaffG nicht die bestehenden polizeilichen Befugnisse einzuschränken bezweckt, sondern auf einen Gewinn von Sicherheit abzielt.[17]Näher hierzu und zur Gesetzesbegründung OVG Münster, NVwZ 2025, 1547 Rn. 10 ff. Kritik an dieser Argumentation bei Bartsch, NVwZ 2025, 1551: Es komme nicht auf den Zweck des Bundesgesetzes an, … Continue reading Vor diesem Hintergrund ist das WaffG auch nicht mit Blick auf die Neuregelungen abschließend, zumal der Zweck auf eine Förderung, nicht auf eine Beschränkung der Möglichkeiten zur Gewährleistung der inneren Sicherheit abzielt. Jenseits des Kompetenztitels des Art. 73 I Nr. 12 Alt. 1 GG bleibt es bei der grundsätzlichen Landeskompetenz zur Gefahrenabwehr gem. Art. 70 GG. § 8 I PolG NRW ist als Rechtsgrundlage für die Verfügung mit Blick auf die individuell-konkrete Abwehr von Gefahren durch sämtliche (Alltags-)Messer daher nicht aufgrund des bundesrechtlichen WaffG ausgeschlossen. Das WaffG schließt entsprechend auch nicht § 8 I PolG NRW als Rechtsgrundlage für das Verbot der übrigen von der Verfügung erfassten gefährlichen Gegenstände aus.
Anmerkung:Das OVG Münster stellt ergänzend auf § 41 I 1 Nr. 1 WaffG ab. Auf die Norm ist aufgrund des Bearbeitungsvermerks nicht einzugehen.
2. Ausschluss der Generalklausel aus Wesentlichkeitsgesichtspunkten
Jedoch könnte § 8 I PolG NRW als Rechtsgrundlage aufgrund des Parlamentsvorbehalts in Form des Wesentlichkeitsgrundsatzes ausgeschlossen sein. Der aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip folgende Wesentlichkeitsgrundsatz verlangt, dass alle wesentlichen, d.h. insbesondere grundrechtswesentlichen Fragen, dem Parlament vorbehalten sind.[18]Siehe nur BVerfGE 166, 93 (161 ff., Rn. 182 ff. Allerdings schreibt das Grundgesetz mit dem Wesentlichkeitsgrundsatz keinen „Gewaltenmonismus“ vor.[19]Dreier, in: Dreier, GG II, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Demokratie) Rn. 117. Gerade im Bereich der Gefahrenabwehr bedarf es zu ihrer Effektivität eines weiten Gestaltungsspielraums der Ordnungsbehörden. Generalklauseln sind daher möglich, auch aufgrund ihrer nicht völlig unbegrenzten Handhabung, sondern durch die bleibende Bindung an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und durch ihre verfassungskonforme Auslegung und Anwendung.[20]OVG Münster, NVwZ 2025, 1547 Rn. 14.
Etwas anderes könnte aber daraus folgen, dass nach einer landespolizeilichen Strategie künftig häufiger auf entsprechende Messerverbote zurückgegriffen werden soll.[21]Zum Absatz OVG Münster, NVwZ 2025, 1547 Rn. 15 f. Die polizeiliche Generalklausel ist jedoch nicht auf untypische Situationen begrenzt.[22]Die Typisierbarkeit jedoch als Grund für das Erfordernis einer gesetzgeberischen Regelung sehend Bartsch, NVwZ 2025, 1551, 1552. Da die Wesentlichkeit sich auch nach der Intensität der Grundrechtsbetroffenheit bemisst, ist auch die Grundrechtsbetroffenheit bei A und anderer Adressaten vergleichbarer Verbote in den Blick zu nehmen. Die verbotenen Gegenstände sind nicht alltagsüblich, das Verbot bezieht sich nur auf drei Jahre[23]Das ist freilich relativ; man könnte auch argumentieren, dass es immerhin um drei Jahre gehe, was eingriffsintensiv sei, so Bartsch, NVwZ 2025, 1551 f. und nur auf wenige Ortschaften. Vom Adressaten wird nur ein Unterlassen und kein aktives Tun gefordert. Vor diesem Hintergrund handelt es sich nur um einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit gem. Art. 2 I GG von geringem Gewicht, der als solcher noch nicht die Wesentlichkeit und Erforderlichkeit einer spezialgesetzlichen Regelung begründen kann. § 8 I PolG NRW genügt daher als Rechtsgrundlage für die Verbotsverfügung.[24]A.A. wohl Bartsch, NVwZ 2025, 1551 f.
II. Rechtmäßigkeit nach der Generalklausel
1. Gefahr für die öffentliche Sicherheit
Gem. § 8 I PolG NRW müsste eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren sein.[25]Zum Absatz OVG Münster, NVwZ 2025, 1547 Rn. 19 ff. Öffentliche Sicherheit umfasst die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen sowie die Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates. Vorliegend geht es jedenfalls um die Unverletzlichkeit der subjektiven Rechtsgüter Leib und Leben (Art. 2 II 1 GG) der durch Messerdelikte gefährdeten Personen. Eine konkrete Gefahr liegt in einer Situation vor, in der bei ungehindertem Geschehensablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Schädigung eines geschützten Rechtsguts zu erwarten ist.[26]Näher Kingreen/Poscher, Polizei- und Ordnungsrecht, 13. Aufl. 2024, § 8 Rn. 9 ff. Dabei gilt, dass umso geringere Anforderungen an die Schadensnähe zu stellen sind, je höher das Gewicht des bedrohten Rechtsguts und größer das Ausmaß des Schadens ist. Angesichts der Gewichtigkeit der körperlichen Unversehrtheit und des Lebens genügt bereits eine entfernte, nicht nur theoretische Möglichkeit eines Schadenseintritts. Vorliegend ist A mehrfach wegen Gewaltdelikten unter Verwendung von Messern aufgefallen, auch im letzten Jahr. Die teilweise Einstellung durch die Staatsanwaltschaft ändert bei bleibendem Restverdacht nichts daran, dass eine konkrete Wiederholungsgefahr vorliegt.
Anmerkung: Argumentation des OVG MünsterDie Argumentation des OVG Münster ist noch differenzierter. Es geht u.a. auf eine niedrige Hemmschwelle beim Ast., auf die konkreten Taten und auf sein Verhalten in der Gruppe ein.[27]Näher OVG Münster, NVwZ 2025, 1547 Rn. 22. Hier kann aber auch gut eine andere Auffassung vertreten werden – und wird es vielleicht auch noch im Verfahren in der Hauptsache. Dabei kann man die konkrete von der abstrakten Gefahr abgrenzen und im Fall eine hinreichende Einengung in sachlicher, persönlicher und zeitlicher Dimension für die Annahme einer konkreten Gefahr ablehnen.[28]So Bartsch, NVwZ 2025, 1551, 1552; zum Unterschied von abstrakter und konkreter Gefahr Kingreen/Poscher, Polizei- und Ordnungsrecht, 13. Aufl. 2024, § 8 Rn. 9. Der Argumentation könnte man damit begegnen, dass bei gewichtigen Rechtsgütern auch eine weniger starke Konkretisierung stattfinden muss. Vgl. BVerfG NVwZ 2025, 495, 500 Rn. 78: „Je gewichtiger das gefährdete Rechtsgut, […] desto weniger fundiert dürfen gegebenenfalls die Tatsachen sein, die auf die Gefährdung des Rechtsguts schließen lassen.“; dies lässt Bartsch, a.a.O., nicht gelten, weil es bei der Je-desto-Formel um den Wahrscheinlichkeitsgrad und nicht die Gefahrenkategorie gehe.
2. Rechtsfolge
Gem. § 8 I PolG kann die Polizei die notwendigen Maßnahmen treffen. Es handelt sich damit um eine Ermessensentscheidung i.S.v. § 3 PolG NRW, sodass die Behörde ermessensfehlerfrei (vgl. § 40 VwVfG) handeln muss. Dabei muss sie insbesondere den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gem. § 2 PolG NRW beachten.[29]Zum Absatz: OVG Münster, NVwZ 2025, 1547 Rn. 23 ff. Hier dient das Verbot dem Schutz von Leib und Leben (Art. 2 II 1 GG) und damit einem legitimen Zweck der Gefahrenabwehr. Das Verbot erreicht den Zweck nicht mit Sicherheit, zumal die Wirksamkeit von effektiven Kontrollen abhängt. Eine Förderung des Zwecks genügt indes. Die Landespolizei möchte entsprechende Kontrollen vermehrt vornehmen, sodass das Messerverbot den Zweck fördert und folglich geeignet ist. Mildere, gleich effektive Mittel sind nicht ersichtlich, sodass die Maßnahme auch erforderlich ist. Die Belastung ist für A, wie beschrieben, nur gering. Zudem hat A angesichts des Charakters der Verfügung als Dauer-Verwaltungsakt die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit des Verbots unter Berücksichtigung aktueller tatsächlicher Entwicklungen gerichtlich prüfen zu lassen. Vor diesem Hintergrund kann der Dauer-Verwaltungsakt rechtswidrig werden, im jetzigen Zeitpunkt ist das Messerverbot aber verhältnismäßig.
3. Zwischenergebnis
Das Messerverbot ist nach summarischer Prüfung rechtmäßig.
III. Interessenabwägung
Die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes genügt für sich noch nicht für die Annahme eines Überwiegens des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehbarkeit gegenüber dem privaten Aussetzungsinteresse.[30]Zum Absatz: OVG Münster, NVwZ 2025, 1547 Rn. 29. Die Belastung für A ist nur von geringem Gewicht. Es ist allein die allgemeine Handlungsfreiheit betroffen, zudem ist das Verbot räumlich, zeitlich und inhaltlich beschränkt. Es betrifft kein Alltagsverhalten. Demgegenüber sind die Gefahren von hohem Gewicht, die für die Gesellschaft entstünden, wenn sich das Verbot in der Hauptsache als gerechtfertigt erweisen sollte, aber nun die aufschiebende Wirkung gem. § 80 I VwGO wiederhergestellt würde. Daher ist die Vollziehung besonders dringlich.
C. Ergebnis
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gem. § 80 V 1 Alt. 2 VwGO ist zulässig, aber unbegründet und hat daher keinen Erfolg.
Zusatzfragen
Wie ist der Fall zu entscheiden, wenn A erst am 05.04.2025 den Antrag stellt und nach wie vor keine Klage erhoben hat (angenommen ein Widerspruch ist unstatthaft)?Auch wenn § 80 V 2 VwGO vorsieht, dass der Antrag schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig ist, darf diese nicht offensichtlich unzulässig sein. Eine aufschiebende Wirkung könnte dann nicht mehr wiederhergestellt werden. Bei einer Bekanntgabe gem. § 41 I 1 VwVfG am 03.03.2025 endet die Frist gem. § 57 II VwGO i.V.m. § 222 ZPO i.V.m. § 188 II BGB mit Ablauf des 03.04.2025. Der Antrag des A, gestellt am 05.04.2025, ist daher unzulässig, weil eine Anfechtungsklage offensichtlich unzulässig ist. Teils wird das über das Rechtsschutzbedürfnis, teils über die Statthaftigkeit gelöst, da der Antrag nach § 80 V VwGO darauf abzielt, die aufschiebende Wirkung eines nicht bestandskräftigen Verwaltungsakts anzuordnen/wiederherzustellen.[31]Näher Gersdorf, Verwaltungsprozessrecht, 7. Aufl. 2024, Rn. 362 f., 324.
Ein Antrag nach § 80 V 1 VwGO, nun aber analog, ist ebenfalls statthaft, wenn sich eine antragstellende Person gegen den drohenden faktischen Vollzug eines Verwaltungsaktes wehrt, obwohl eine Anfechtungsklage gegen diesen nach § 80 I VwGO aufschiebende Wirkung hat.[32]Näher Gersdorf, Verwaltungsprozessrecht, 7. Aufl. 2024, Rn. 341 ff. Die betroffene Person stellt dann einen Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 V 1 VwGO analog. Bei diesem Anspruch prüft das Gericht in der Begründetheit allein, ob dem Widerspruch bzw. der Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung zukommt. Eine Interessenabwägung nimmt es nicht vor. Als Annex ist auch hier der Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch nach § 80 V 3 (hier aber auch analog), sofern der Verwaltungsakt schon vollzogen ist, obwohl eine Anfechtungsklage (oder ein Widerspruch) aufschiebende Wirkung nach § 80 I VwGO hat.
Zusammenfassung
- Ein polizeirechtliches Waffenverbot, das sich gegen eine konkret-individualisierte Gefahr richtet, kann trotz des bundesrechtlichen Waffenrechts verfügt werden.
- Dieses Waffenverbot kann auf die polizeirechtliche Generalklausel gestützt werden. Das ist insbesondere nicht aus Wesentlichkeitsgesichtspunkten ausgeschlossen.