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Polizeifestigkeit von unfriedlichen Versammlungen

BVerwG, Beschluss vom 27.3.2024 – 6 C 1.22, NVwZ 2024, 1008

Sachverhalt

(Gekürzt und abgewandelt)

Am 30.04.2016 und 01.05.2016 jeweils von 8 – 18 Uhr findet auf dem Messegelände der Stadt S in Bundesland BW der Bundesparteitag der AfD-Partei (A) statt.

Der L ist politischer Gegner der A-Partei und will verhindern, dass deren Parteitag in S stattfinden kann. Dazu hat er sich einer Gruppe angeschlossen, die einen entscheidenden Kreisverkehr zwischen Flughaften und Messegelände besetzen will, um die Anreise der Parteimitglieder zu stören oder sogar zu verhindern.

Als die in schwarz oder in einmal verwendbaren weißen Overalls gekleideten, mehrheitlich vermummten Mitglieder der Gruppe in den frühen Morgenstunden des 30.04. an dem ausgewählten Kreisverkehr ankommen, versperren sie alle Ausfahrten des Kreisels mit von umliegenden Baustellen herangeschafften Baumaterialien. Die Mitglieder der Gruppe haben Transparente und Plakate dabei auf denen u.a. geschrieben steht: „AfD-Parteitag verhindern – Nationalismus ist keine Alternative“. Außerdem zünden Mitglieder der Gruppe Pyrotechnik.

Die Polizei hatte bereits im Vorfeld herausgefunden, dass 850 – 1000 gewaltbereite Personen aus dem linksautonomen Spektrum derartige Ziele verfolgen würden und vorhätten an Gewalttaten bei der Eröffnung der EZB 2015 (also ein Jahr zuvor) anzuknüpfen.

Die Polizei machte sich sodann auf den Weg zu dem Kreisverkehr. Als die Polizei in die Nähe des Kreisels kam, setzte sich die Gruppe von Aktivisten in Richtung des Messegeländes in Bewegung und es wurde eine sog. Rauchbombe in Richtung der Polizei gezündet und geworfen.

Die Polizei kesselte sodann die Gruppe gegen 7:00 Uhr morgens ein, in dem sie von nebeneinander aufgereihten Polizisten umringt wurde. Aus einem der Polizeiwagen wurde dann über die Lautsprecher folgende Durchsage gemacht: „An alle Teilnehmer, die den friedlichen Verlauf der Versammlung stören: Sie genießen wegen ihrer Vermummung und der Errichtung von Barrikaden nicht mehr den Schutz des Versammlungsrechts. Sie befinden sich in polizeilichem Gewahrsam und werden in Kürze polizeilich behandelt.“

Die eingekesselten rund 400 Personen wurden sodann einzeln abgeführt. Der L wurde gegen 8:00 Uhr aus dem Kessel geführt, in sog. Einwegschließen (Kabelbindern) gefesselt und in einem bereitstehenden Bus in die nahe gelegene Gefangenensammelstelle gebracht.

Dort angekommen, kam es aufgrund der Vielzahl der abgeführten Personen zu Verzögerungen im Ablauf, so dass L erst gegen ca. 13:30 Uhr von der Polizei einer Identitätsfeststellung und der Erkennungsdienstlichen Behandlung (Fingerabdrücke, Fotoaufnahme) unterzogen wurde. Danach wurden ihm die Handfesseln abgenommen und er wurde in eine Einzelzelle in einen Gefangenenbus gesperrt.

Der Polizei war es wegen weiterer Großeinsätze nicht möglich, weitere Kräfte für eine schnellere Bearbeitung hinzuzuziehen.

Die Polizei vor Ort entschied zu diesem Zeitpunkt, dass mit einer richterlichen Entscheidung durch die ortsansässigen (und erreichbaren) Richter nicht vor Wegfall des Gewahrsamsgrundes zu rechnen war, weshalb eine richterliche Entscheidung nicht eingeholt wurde.

Gegen 18 Uhr wurde dem L ein Platzverweis für das Messegelände bis zum 01.05.2016 um 20 Uhr erteilt. Er wurde zum 16 km entfernten Bahnhof in E gebracht, wo er dann gegen 20 Uhr aus dem polizeilichen Gewahrsam entlassen wurde.

Während des gesamten Zeitraums wurde L kein Toilettengang ermöglicht und Trinkwasser vorenthalten.

Kurz nach dem Vorfall lässt L durch seinen Anwalt Akteneinsicht nehmen. Ein Jahr später, am 02.05.2017 erhebt der L Klage. Er macht geltend, dass die polizeiliche Einkesselung, der polizeiliche Gewahrsam, die Fesselung, die Identitätsfeststellung und das Vorenthalten des Trinkwassers und die Nichtermöglichung eines Toilettengangs rechtswidrig waren. Er macht insbesondere geltend, dass das Versammlungsrecht diese Maßnahmen gar nicht zulasse. Damit die Polizei aber Maßnahmen auf Grundlage des Polizeirechts treffen könnte, müsste sie zunächst die Versammlung auflösen, was nicht geschehen war.

Hat die Klage des L gegen die Ingewahrsamnahme und gegen das Nichtermöglichen des Trinkens Aussicht auf Erfolg?

Bearbeitervermerk: Grundlage der Entscheidung ist das Versammlungsgesetz des Bundes (anwendbar in Bundesland BW) und das Polizeigesetz Baden-Württemberg. Auf entsprechende Vorschriften in anderen Bundesländern wird in der Lösung jeweils hingewiesen.

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Skizze

Gutachten

Die Klage des L hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und soweit sie begründet ist.

A. Zulässigkeit

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

Die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges richtet sich mangels aufdrängender Sonderzuweisung nach § 40 I 1 VwGO. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit ist dabei nach der modifizierten Subjektstheorie eine solche, bei der die streitentscheidenden Normen einseitig einen Träger öffentlicher Gewalt berechtigen oder verpflichten. Streitentscheidend sind hier das VersG und das PolG, die die zuständige Behörde als Träger öffentlicher Gewalt einseitig berechtigen und verpflichten. Die Streitigkeit ist auch nichtverfassungsrechtlicher Art. Es könnte indes eine abdrängende Sonderzuweisung nach  § 23 EGGVG vorliegen. Dafür müsste die Polizei repressiv, also zur Strafverfolgung und nicht präventiv, also zur Gefahrenabwehr, tätig geworden sein.  Die Polizei hat die Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Straftaten ausgesprochen und ist somit nicht repressiv tätig geworden. Auch wenn die Identitätsfeststellung und die erkennungsdienstliche Behandlung Teil eines repressiven Vorgehens sein könnten, stellt sich der Einsatz im Ganzen als Maßnahme zur Gefahrenabwehr dar. Darum findet auch insbesondere die abdrängende Sonderzuweisung von § 23 EGGVG keine Anwendung. Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet.

II. Statthafte Klageart

Der L müsste eine statthafte Klage erhoben haben.

1. Klageart

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem klägerischen Begehren, § 88 VwGO. L möchte die Rechtswidrigkeit der angegriffenen Maßnahmen festgestellt haben. Die Maßnahmen haben sich bereits vor Klageerhebung erledigt. Soweit es sich um Maßnahmen mit Verwaltungsaktsqualitäten handelt, kommt eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 I S. 4 VwGO (analog) in Betracht. Bei Maßnahmen, die sich in Realakten erschöpfen, kommt eine Feststellungsklage nach § 43 I VwGO in Betracht.

a) Ingewahrsamnahme

Die Ingewahrsamnahme enthält ausdrücklich oder konkludent eine Duldungspflicht, also ein verbindliches Ge- und Verbot. Damit handelte es sich um eine Maßnahme mit Verwaltungsaktsqualität.

Bei Maßnahmen mit Verwaltungsaktsqualität ist vor der Erledigung eine Anfechtungsklage nach § 42 VwGO statthaft. Die Ingewahrsamnahme hat sich jedoch spätestens mit der Entlassung des L aus der Maßnahme gegen 20 Uhr erledigt.

Statthaft könnte damit eine Fortsetzungsfeststellungsklage analog[1]Analog, weil § 113 I 4 VwGO direkt nur die Erledigung nach Klageerhebung aber vor Aufhebungserklärung durch das VG erfasst. § 113 I 4 VwGO sein.

Für die analoge Anwendung müsste eine planwidrige Reglungslücke und eine vergleichbare Interessenlage vorliegen.

Die für die Analogie erforderliche Regelungslücke könnte aufgrund der Möglichkeit einer allgemeinen Feststellungsklage gem. § 43 I VwGO abzulehnen sein, wenn Erledigung vor Klageerhebung eintritt.[2]S. BVerwG NVwZ 2000, 63,  64. Die Befugnis zum Erlass eines VAs könnte ein überprüfbares Rechtsverhältnis i.S.v. § 43 I VwGO darstellen[3]Dafür Schenke/Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO,  § 113 Rn. 99; dagegen Rozek, JuS 1995, 414, 415.

Für eine analoge Anwendung von § 113 I 4 VwGO spricht der Umstand, dass es nicht von der Zufälligkeit des Erledigungszeitpunkt abhängen darf, ob unterschiedliche Anforderungen an die Zulässigkeit gestellt werden.[4]Vgl. Detterbeck, Allg. Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2020, Rn. 1421; Schenke/Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO,  § 113 Rn. 99. Da zumindest nach der Rspr. des BVerwG bei der Fortsetzungsfeststellungsklage im Falle der Erledigung vor Klageerhebung (und vor Bestandskraft des VA) die Fristanforderungen nach § 74 I VwGO nicht greifen und zudem ein Vorverfahren nach § 68 VwGO entbehrlich sein soll,  bleiben kaum unterschiedliche Anforderungen an die Zulässigkeit von allgemeiner Feststellungsklage und Fortsetzungsfeststellungsklage, wenn Erledigung vor Klageerhebung eingetreten ist.[5]Vgl. Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand: 39. EL, Juli 2020, § 113 Rn. 100, 107. Schließlich ist auch bei der Anwendung von § 43 I VwGO bei Erledigung vor Klageerhebung ein besonderes Feststellungsinteresse parallel zur Fortsetzungsfeststellungsklage erforderlich.[6]Möstl, in: BeckOK-VwGO, 56. Ed. Stand: Oktober 2020, Art. 43 Rn. 24. Allein das Erfordernis einer Klagebefugnis bei der Fortsetzungsfeststellungsklage (als verlängerter Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage), welche bei § 43 I VwGO nicht gleichermaßen gefordert wird, spricht für divergierende Voraussetzungen und damit dafür, die Fortsetzungsfeststellungsklage bei Erledigung vor Klageerhebung analog § 113 I 4 VwGO zu behandeln.

Jedenfalls wenn man die Fortsetzungsfeststellungsklage als besondere Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage einordnet,[7]So Schenke/Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO,  § 113 Rn. 98; für eine besondere Form der Feststellungsklage hingegen Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand: 39. EL, Juli 2020, § 113 Rn. 107, … Continue reading spricht zudem § 43 II VwGO für eine Spezialität des § 113 I 4 VwGO auch bei Erledigung vor Klageerhebung. Eine vergleichbare Interessenlage liegt ebenfalls vor. § 113 I 4 VwGO ist damit die sachnähere Regelung bei einer Erledigung auch vor Klageerhebung.[8]Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand: 39. EL, Juli 2020, § 113 Rn. 107; so auch die überwiegende Rechtsprechung des BVerwG, vgl. BVerwG, NVwZ-RR 2011, 279, 280 m.w.N. Statthaft ist hier folglich eine Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 I 4 VwGO.

Anmerkung: Ausführlichkeit der Darstellung
Die Anwendung von § 113 I S. 4 VwGO analog auf Verwaltungsakte, die sich vor Klageerhebung erledigt haben, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der Literatur weithin anerkannt.
Deshalb muss man dies in der Bearbeitung auch können. Es handelt sich um einen Klassiker, der häufig in Prüfungen abgefragt wird.
Zugleich ist es nicht immer notwendig den Streit in dieser Ausführlichkeit zu führen. Ich persönlich würde vorschlagen, dass man den Streit dann ausführlicher führt, wenn man die Zeit dazu hat. Hier müssen später noch mehrere Maßnahmen eingeordnet werden, weshalb hier eher weniger Zeit verbleiben wird. Demnach wäre eine kurze Feststellung ausreichend.
b) Vorenthaltung von Trinkwasser

Das Vorenthalten von Trinkwasser erschöpft sich in seinem realen Gehalt und enthält keine Ge- und Verbote, weshalb es sich um einen Realakt handelt. Hier könnte die Feststellungsklage nach § 43 I VwGO die statthafte Klageart sein. Dafür müsste ein konkretes Rechtsverhältnis bestehen. Dieses entsteht aus dem Streit um die Rechtmäßigkeit des Eingriffs in die Rechte des Klägers. Damit ist die Feststellungsklage bezüglich dieser Maßnahmen statthaft.

2. Ergebnis: Statthafte Klagearten

Statthafte Klageart ist damit bezüglich der Ingewahrsamnahme die Fortsetzungsfeststellungsklage und bezüglich des Vorenthalten des Trinkwassers die Feststellungsklage.

III. Klagebefugnis bezüglich der mit der FFK angegriffenen Maßnahme

Analog[9]Str. vgl. Detterbeck, Allg. Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2020, Rn. 1425. § 42 II VwGO muss L geltend machen, in eigenen Rechten verletzt zu sein. Eine Verletzung muss zumindest möglich sein. Als Adressat der belastenden VAs ist es nicht ausgeschlossen, dass L zumindest in Art. 2 I GG verletzt ist. Auch ist es nicht völlig ausgeschlossen, dass L in seiner Demonstrationsfreiheit, Art. 8 I GG, verletzt sein könnte. Mithin ist L klagebefugt.

IV. Klagebefugnis bezüglich der mit der Feststellungsklage angegriffenen Maßnahme

Umstritten ist, ob bei der Erhebung der Feststellungsklage nach Erledigung außerdem die Klagebefugnis nach § 42 II VwGO analog angewendet wird. Dagegen könnte sprechen, dass bereits das qualifizierte Feststellungsinteresse Popularklagen weitgehend ausschließt, doch sind diese beiden Prüfungen nicht deckungsgleich, weshalb zu diesem Zweck die Notwendigkeit der Prüfung der Klagebefugnis angenommen wird. Hier kann der L geltend machen, dass durch das Vorenthalten des Trinkwassers er möglicherweise in seinem Recht auf körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt wird. Damit steht dem L eine Klagebefugnis nach § 42 II VwGO analog zu.  

V. Fortsetzungsfeststellungsinteresse und qualifiziertes Feststellungsinteresse (P)

Bezüglich des Akts mit VA-Qualität, der mit der Fortsetzungsfeststellungsklage angegriffen wird, muss der L ein besonderes Fortsetzungsfeststellungsinteresse geltend machen. Bezüglich des Akts, der mit der Feststellungsklage angegriffen wird, muss der L ein qualifiziertes Feststellungsinteresse geltend machen.

Gerichtlicher Rechtsschutz bezüglich erledigter Maßnahmen, kann nur bei Hinzutreten einer der anerkannten Gründe gewährt werden.

Sowohl das Fortsetzungsfeststellungsinteresse als auch das qualifizierte Feststellungsinteresse kann sich allgemein in vier Fallgruppen ergeben: Bei Wiederholungsgefahr, einem Rehabilitationsinteresse bzw. einem tiefgreifenden Grundrechtseingriff oder bei Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses[10]Die Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses kann nur bei einer Erledigung nach Klageerhebung, also nicht bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage analog oder einer Feststellungklage nach Erledigung, … Continue reading.

Bisher nicht eindeutig entschieden ist, ob bereits allein – also ohne hinzutreten eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs – die typischerweise kurzfristige Erledigung von Grundrechtseingriffen ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse begründet.[11]Siehe dazu die Nachweise in den Anmerkungen von Eibenstein in BVerwG NVwZ, 2024, 1008, 1020 (Anm. Eibenstein). 

Jedenfalls enthalten die hier angegriffenen Akte Grundrechtseingriffe mit teils erheblicher Intensität, so z.B. in die Freiheit des L (Art. 2 II S. 2 GG), seine körperliche Unversehrtheit (Art. 2 II GG), seiner Demonstrationsfreiheit (Art. 8 I GG) und seines Persönlichkeitsrechts (Art. 2 I GG). Mithin treten jedenfalls hier neben die typischerweise kurzfristige Erledigung tiefgreifende Grundrechtseingriffe.

Anmerkung: Umgang mit der Auseinandersetzung um die Anforderungen an das Fortsetzungsfeststellungsinteresse
Der 6. Senat des BVerwG scheint hier eigentlich eine Klarstellung treffen zu wollen und verabschiedet sich anscheinend davon, dass er selbst in der Vergangenheit bereits die typischerweise kurzfristige Erledigung für ausreichend erachtet hat. Die Klarstellung bleibt nur leider selbst etwas unklar. Der 6. Senat setzt nämlich voraus, dass sich die Maßnahmen (neben der schnellen Erledigung) auch als tiefgreifend darstellen KÖNNEN sollen (in Rn. 26 heißt es „potentiell tiefgreifend“).
Unklar bleibt damit weiterhin zweierlei: Erstens, was bedeutet „tiefgreifend“. Zweitens, was bedeutet „potentiell“.
Der 1. Senat des BVerwG ließ zuletzt allein die typischerweise kurzfristige Erledigung von Maßnahmen ausreichen.
In der Klausur erscheint es aufgrund dieser Unklarheit weiterhin völlig vertretbar auch nur auf die typische kurzfristige Erledigung abzustellen.

VI. Klagefrist

Die Feststellungsklage nach § 43 I VwGO setzt keine Frist voraus.

Ob eine Fortsetzungsfeststellungsklage bei der Erledigung des VAs vor Erhebung der Klage fristgebunden i.S.v. § 74 I VwGO ist, ist umstritten. L hat die Klage erst mehr als 12 Monate nach Erledigung des VAs erhoben. Die einmonatige Klagefrist des § 74 I VwGO wäre damit jedenfalls abgelaufen.

Wäre eine Anfechtungsklage zum Zeitpunkt der Erledigung des VA verfristet, wäre eine Fortsetzungsfeststellungsklage gleichermaßen verfristet. Eine unzulässige Anfechtungsklage kann nicht aufgrund der Erledigung zu einer zulässigen Fortsetzungsfeststellungsklage werden.

L hat die Klage mehr als ein Jahr nach der Maßnahme erhoben. Hier wurde dem L keine Rechtsbehelfsbelehrung erteilt, weshalb sich die Klagefrist auf ein Jahr seit dem Beginn der Maßnahme verlängert, § 58 II VwGO. Die Anfechtungsklage wäre damit verfristet gewesen, wenn die Frist des § 74 I VwGO auf Fortsetzungsfeststellungsklagen anwendbar ist.

Fraglich ist, ob die Fortsetzungsfeststellungsklage einer Fristbindung unterliegt. Vereinzelt wird eine Fristbindung auch der Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß oder analog § 74 I VwGO befürwortet.[12]So z.B. R.P. Schenke, JuS 2007, 697, 700. Dagegen spricht, dass die Fortsetzungsfeststellungsklage ihrer Natur nach eine Feststellungsklage und keine Anfechtungsklage (bzw. Verpflichtungsklage) ist. Feststellungsklagen unterliegen keiner Fristbindung. Auch die Zwecke der Frist – Rechtssicherheit herzustellen und Vertrauensschutz dadurch zu gewährleisten, dass der VA bestandskräftig wird – greifen bei bereits erledigten VAen nicht.[13]So die h.M. vgl. Detterbeck, Allg. Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2020, Rn. 1433 f.; aus der Rspr. vgl. nur BVerwG NVwZ 2000, 63, 64; VGH München BeckRS 2018, 21843 Rn. 21. Mithin sprechen die überzeugenderen Argumente dafür, bei der Fortsetzungsfeststellungsklage gem. § 113 I S 4 analog VwGO auf eine Fristbindung zu verzichten.

Fraglich ist, ob eine Verwirkung – sowohl in Bezug auf die Fortsetzungsfeststellungsklage als auch die Feststellungsklage – eingetreten ist. Jedoch hat L durch seinen Anwalt bereits kurz nach der Maßnahme Akteneinsicht beantragt, weshalb ein mögliches Vertrauen auf das Ausbleiben einer Klage bereits nicht begründet wurde.[14]BVerwG Beschluss vom 27.3.2024 – 6 C 1.22, Rn. 21. Mithin ist die Klage von L nicht verfristet.

VII. Klagegegner

Die Klage ist analog § 78 I Nr. 1 VwGO gegen den Rechtsträger der zuständigen Behörde zu richten, also hier das Land BW.

VIII. Beteiligten- und Prozessfähigkeit

Der L ist nach §§ 61 Nr. 1 Alt. 1 VwGO beteiligten- und gem. § 62 I Nr. 1 VwGO prozessfähig. Das Land BW ist gem. §§ 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO beteiligten- und gem. § 62 III VwGO prozessfähig.

IX. Zwischenergebnis

Die Fortsetzungsfeststellungsklage sowie die Feststellungsklage von L sind zulässig.

B. Objektive Klagehäufung

Die Rechtswidrigkeit verschiedener Maßnahmen kann aufgrund § 44 VwGO mit einer Klage verfolgt werden, wenn die angegriffenen Maßnahmen sich gegen denselben Beklagten richten, im Zusammenhang stehen und dasselbe Gericht zuständig ist. Hier wurden die beiden angegriffenen Maßnahmen durch dieselbe Polizeieinheit in einem einheitlichen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang begangen, weshalb die Voraussetzungen der objektiven Klagehäufung nach § 44 VwGO vorliegen.

C. Begründetheit

Die Fortsetzungsfeststellungsklage des L ist begründet, soweit die polizeilichen Maßnahmen rechtswidrig waren und der L in seinen Rechten verletzt wurde, § 113 I S. 4 analog VwGO. Die Feststellungsklage ist begründet, soweit das behauptete Rechtsverhältnis besteht oder nicht besteht.

I. Anwendbarkeit des Versammlungsrechts oder des Polizeirechts (P)

Zunächst ist fraglich, ob die Maßnahmen der Polizei auf das Versammlungsrecht oder auf das Polizeirecht gestützt wurden. Dazu ist zunächst zu klären, ob eine Versammlung vorlag.

1. Anwendbarkeit des Versammlungsrecchts

Vorliegend kam es zu einer Zusammenkunft mehrerer Personen zum Zwecke der gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Die Teilnehmenden hatten bei ihrer öffentlichen Versammlung (unter freiem Himmel) Plakate dabei, auf denen sie ihre politische Forderung deutlich machten. Demnach wäre zunächst das Versammlungsrecht anwendbar. Das Versammlungsrecht erlaubt die Auflösung einer nur Versammlung, wenn die Durchführung der Versammlung die öffentliche Sicherheit (nicht: Öffentliche Ordnung) unmittelbar gefährdet und die Gefahr nicht anders abgewehrt werden kann, § 15 VersammlG. Ebenfalls erlaubt das Versammlungsrecht sog. Minusmaßnahmen, also z.B. den Ausschluss einzelner Teilnehmenden die den Ablauf der Versammlungen gröblich stören, § 18 VersammlG.

Anmerkung: Gleichlautende Vorschriften in anderen Bundesländern
In Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Sachsen und Thüringen findet jeweils ebenfalls das VersammlG des Bundes Anwendung.
In anderen Bundesländern sind die folgenden Vorschriften anwendbar:
Art. 15 BayVersG; §§ 14, 16 VersFG BE (Berlin); §§ 14, 22 HVersFG (Hessen); §§ 8, 10 NVersG (Niedersachsen); §§ 13, 14 VersG NRW; §§ 13, 16 VersammlG LSA (Sachsen-Anhalt); §§ 13, 14 VersFG SH (Schleswig-Holstein).

Die Maßnahmen der Polizei (Einkesselung, Ingewahrsamnahme, Identitätsfeststellung und erkennungsdienstliche Behandlung und Verbringung zum Bahnhof, Vorenthaltung von Trinkwasser und Vorenthaltung von Toilettengängen) wären auf Grundlage des Versammlungsgesetzes nicht möglich. Möglich gewesen wäre, die Auflösung der Versammlung. Diese muss jedoch formal ausgesprochen werden. Durch die Durchsage der Polizei, an „die Teilnehmer, die den friedlichen Verlauf der Versammlung stören“, ist gerade nicht die Auflösung der Versammlung ausgesprochen worden. Die Durchsage legt eher nahe, dass es weiterhin eine Versammlung gab und nur die den friedlichen Ablauf störenden Versammlungsteilnehmenden ausgeschlossen werden sollten. Eine Auflösung ist hier nicht erfolgt.

2. Sperrwirkung des Versammlungsrechts

Nach bisher herrschender Auffassung entfaltet die Anwendung des Versammlungsrechts auf Versammlungen solange eine Sperrwirkung als lex specialis gegenüber dem Polizeirecht, bis die Versammlung aufgelöst wurde (sog. Polizeifestigkeit von Versammlungen).

a) Verlust der Sperrwirkung auf Grund einer reinen Widerstands-Versammlung (Verhinderungsblockade)

Fraglich ist, ob die Sperrwirkung auch dann gilt, wenn die Versammlung allein auf den Widerstand gegen eine Maßnahme gerichtet ist.

Auch Blockadeaktionen fallen grundsätzlich unter den Versammlungsbegriff, wenn die gemeinschaftlich begangene Blockade vom Zweck der Meinungskundgabe getragen wird.[15]VGH VGH Mannheim Urteil vom 18.11.2021 – 1 S 803/19, Rn. 45; BVerwG, Beschl. v. 14.01.1987 – 1 B 219.86 für eine unfriedliche Sitzblockade. So kann z.B. die Versammlungsfreiheit in Anspruch genommen werden, wenn damit das Ziel einer plakativen, aufsehenerregenden Meinungskundgabe durch eine Blockadeaktion verfolgt wird.[16]VGH VGH Mannheim Urteil vom 18.11.2021 – 1 S 803/19, Rn. 46, 47; BVerfG, Beschl. v. 07.03.2011 – 1 BvR 388/05. Eine sog. demonstrative Blockade[17]BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90. ist damit vom Versammlungsbegriff erfasst.

Dies gilt jedoch nicht, wenn die Blockade lediglich Selbstzweck ist. Wenn die Blockade also nicht ein dem Kommunikationsanliegen untergeordnetes Mittel zur symbolischen Unterstützung des Protests und damit zur Verstärkung der kommunikativen Wirkung in der Öffentlichkeit ist, unterfällt sie nicht dem Schutz des Versammlungsrechts.[18]BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90.

So verhält es sich mit der sog. „Verhinderungsblockade“, bei der die Blockade-Aktion dem Zweck dient Dritte zu behindern und eigene (konkrete) Forderungen durch die Blockade unmittelbar zwangsweise durchzusetzen. Also z.B. die Durchführung einer von den Ansammlungsteilnehmenden missbilligten Veranstaltung oder einer anderen Versammlung tatsächlich zu stören oder zu verhindern. Dieses Verhalten unterfällt nicht dem Versammlungsrecht.[19]BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90; VGH Mannheim, Senat, Urt. v. 06.11.2013 – 1 S 1640/12, HambOVG, Beschl. v. 03.07.2017 – 4 Bs 142/17; HessVGH, Beschl. v. 02.10.2020 … Continue reading

Angesichts der Gewalttätigkeiten, der Verbarrikadierung des Kreisverkehrs mit dem möglichen Ziel der Verhinderung des AfD-Parteitags und der erklärten Absicht den AfD-Parteitag zu verhindern, könnte versucht werden die Versammlung unter die Anforderungen einer „Verhinderungsblockade“ zu subsumieren.[20]So der VGH Mannheim Urteil vom 18.11.2021 – 1 S 803/19.

Dagegen spricht jedoch, dass es im Rahmen der Versammlung zu Meinungskundgaben kam (insbesondere durch die Plakate und Transparente). Solange die Meinungskundgabe bzw. die Kommunikationsmittel nicht lediglich als Vorwand in einer handgreiflichen Weise ausgedrückt werden, sind diese als Formen der Meinungskundgabe zu berücksichtigen.

Solange es zu Meinungskundgaben bei einer Versammlung kommt, die die Elemente einer Verhinderungsblockade erfüllt, ist bei einer derart gemischten Ansammlung auf das Gesamtgepräge der Veranstaltung abzustellen. Überwiegt keiner der beiden Bereiche derartig, dass ein Übergewicht zweifelsfrei festgestellt werden kann, bewirkt der hohe Rang der Versammlungsfreiheit, dass die Veranstaltung wie eine Versammlung zu behandeln ist.[21]BVerwG Beschluss vom 27.3.2024 – 6 C 1.22, Rn. 42; mit Verweis auf: BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 2016 – 1 BvR 458/10 – BVerfGE 143, 161 Rn. 112 f., Kammerbeschluss vom 12. Juli … Continue reading

Anmerkung: Auffassung des VGH Mannheim
Der VGH hatte zuvor argumentiert, dass die Voraussetzungen der Verhinderungsblockade erfüllt seien. Der entscheidende Punkt des BVerfG, als es 2001 den Begriff der Verhinderungsblockade prägte, war jedoch, dass dies nur dann angenommen werden könnte, wenn man sich rechtsmissbräuchlich auf das Versammlungsrecht berufen würde, um eine Blockade, die nicht auf die öffentliche Meinungskundgabe gerichtet ist, dem Schutz des Versammlungsrechts zu unterstellen.
Siehe dazu ausführlich: Rusteberg, VerfBlog 22.05.2024, https://verfassungsblog.de/unfriedlichkeit-statt-verhinderungsblockade/
b) Gleichzeitige Anwendbarkeit von Versammlungsrecht und Polizeirecht bei Unfriedlichkeit der Versammlung

Fraglich ist jedoch, ob diese Bewertung anders ausfällt, wenn die Versammlung als unfriedlich einzustufen ist.

Nach bisheriger Auffassung war es notwendig, dass eine Versammlung – auch eine unfriedliche – zunächst aufgelöst werden muss, bevor die Polizeigesetze Anwendung finden.[22]So auch das VGH Mannheim Urteil vom 18.11.2021 – 1 S 803/19. Das BVerwG vertritt jedoch die Auffassung, dass eine Versammlung dann nicht dem Schutzbereich des Versammlungsrechts unterfällt, wenn diese von Beginn an und fortlaufend unfriedlich ist. Damit würde auch die Sperrwirkung gegenüber der Anwendung des Polizeirechts entfallen.[23]BVerwG Beschluss vom 27.3.2024 – 6 C 1.22, Rn. 56 ff., 64.

Für diese Ansicht spricht, dass bereits der verfassungsgebende Gesetzgeber in Art. 8 I GG nur friedliche Versammlungen dem Schutzbereich unterstellt. Da die Sperrwirkung des Versammlungsrechts gegenüber dem Polizeirecht in der Privilegierung durch Art. 8 I GG begründet ist, ist ein Gleichlauf des Schutzbereichs von Art. 8 I GG mit der Anwendung der Sperrwirkung des Versammlungsrechts vor dem Polizeirecht kohärent.

Nach dieser Ansicht findet das Polizeirecht neben dem Versammlungsrecht Anwendung, wenn eine Versammlung von Beginn an und fortdauernd bzw. durchgehend unfriedlich ist. Das Versammlungsrecht bleibt anwendbar, entfaltet aber keine Sperrwirkung gegenüber dem Polizeirecht.

Gegen diese Ansicht spricht zunächst, dass das Versammlungsrecht aller Bundesländer seit jeher in der Systematik von einer Anwendbarkeit des Versammlungsrechts auch auf unfriedliche und gewaltsame Versammlungen ausgeht und deshalb in diesen Fällen die Auflösung zulässt.

Gegen diese Ansicht spricht außerdem, dass durch eine Aufweichung der Sperrwirkung der Schutz anderer vermeintlich unfriedlicher Versammlungen geringer werden könnte, weil sie schlicht als „unfriedlich“ tituliert werden könnten und damit die Anwendbarkeit des Polizeirechts eröffnet wäre.

Die formale Auflösung verschaffte maßgeblich einen formalen Schutz, der Rechtssicherheit schaffte. Solange eine Versammlung nicht aufgelöst war, konnten sich die Teilnehmenden sicher sein, dass sie nur Maßnahmen nach dem Versammlungsgesetz „zu befürchten“ hatten. Nach dieser Ansicht kann es dazu kommen, dass die Polizei die Versammlung als unfriedlich einstuft und damit in ein anderes Maßnahmenregime übergeht, ohne, dass die Teilnehmenden dies erfahren.[24]Hierzu ausführlich: Rusteberg, VerfBlog, 22.05.2024, https://verfassungsblog.de/unfriedlichkeit-statt-verhinderungsblockade/; BVerwG, Beschluss vom 27.3.2024 – 6 C 1.22, Rn. 66. 

Die Aufweichung dieses formalen Schutzes kann im Zweifelsfall dazu führen, dass eine Art Beweislastumkehr entsteht. Zuvor musste (durch Hinzuziehung der Aufzeichnungen der Polizei) nachgewiesen werden, dass die Voraussetzungen für die Auflösung der Versammlung bestanden und eine Auflösung ausdrücklich erfolgte. Jetzt könnte es dazu kommen, dass unterschiedliche Auffassungen bezüglich des Vorliegens der Voraussetzungen der Annahme der Friedlichkeit/Unfriedlichkeit der Versammlung zwischen den Teilnehmenden und der Polizei bestehen, bei denen – trotz des Ermittlungsgrundsatzes im Verwaltungsverfahren – die Beweismöglichkeiten anders verteilt sind.

Letzteres Argument spielt sich jedoch auf einer rein tatsächlichen Ebene ab. Dem ist dadurch zu begegnen, dass die Beurteilung der Friedlichkeit einer Versammlung großzügig vorgenommen werden muss. So können – wie auch bisher – einzelne Störer nicht die Unfriedlichkeit einer Versammlung als Ganzes begründen, bezüglich der anderen Teilnehmenden der Versammlung bleibt es bei der Anwendung des Versammlungsrechts. Für die Annahme der Unfriedlichkeit ist es notwendig, dass Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten vorliegen.[25]BVerwG Beschluss vom 27.3.2024 – 6 C 1.22, Rn. 57. Nicht ausreichend ist es, wenn es zu Behinderungen Dritter kommt, seien diese auch gewollt und nicht nur in Kauf genommen.[26]BVerwG Beschluss vom 27.3.2024 – 6 C 1.22, Rn. 57.

Nur dann, wenn das Gesamtgepräge einer Versammlung sich als unfriedlich darstellt, kann neben das Versammlungsrecht das Polizeirecht treten. Ansonsten bleibt es bei der Polizeifestigkeit von Versammlungen.

Soweit es um die Herleitung der Sperrwirkung des Versammlungsrechts geht, ist es jedoch nicht gänzlich unüberzeugend anzunehmen, dass diese mit dem Schutzbereich des Art. 8 I GG im Gleichlauf definiert werden kann, solange dadurch nicht der Schutz für Versammlungen zu weit zurückgedrängt wird.[27]Zur Kritik: Rusteberg, VerfBlog 22.05.2024, BVerwG NVwZ, 2024, 1008, 1020 f. (Anm. Eibenstein).

Anmerkung: Auflösung der festen Schranke der Sperrwirkung des Versammlungsrechts / Polizeifestigkeit von Versammlungen
Diese Neuerung der Auffassung des BVerwG bedeutet, dass der (Un-)friedlichkeit einer Versammlung jetzt größerer Wert zuzumessen ist. Zuvor wurde davon ausgegangen, dass jede Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes zunächst die Sperrwirkung begründet.
In der Praxis bereitete dies den Versammlungsbehörden überraschenderweise hin und wieder Schwierigkeiten.
Welche Bedeutung dem beizumessen ist, wird man abwarten müssen. Jedoch ist die Durchbrechung der Sperrwirkung des Versammlungsrechts in den Fällen, in denen eine unfriedliche Versammlung (jedenfalls wenn von Beginn an UND durchgehend) vorliegt eine relevante Entwicklung des Versammlungsrechts, soweit dies vom BVerfG aufrechterhalten wird.
Anmerkung: Umgang in der Klausur
Dabei handelt es sich um eine neue (aber höchstrichterliche) Auffassung, die von der Literatur kritisch beäugt wird.[28]Rusteberg schreibt u.a. davon, dass der „Teufel mit dem Beelzebub“ ausgetrieben wurde, Rusteberg, VerfBlog 22.05.2024, https://verfassungsblog.de/unfriedlichkeit-statt-verhinderungsblockade/ Es bleibt abzuwarten, ob das BVerfG dies so zulässt und die Kritik in der Literatur bestehen bleibt. Demnach ist es weiterhin gut vertretbar von einer vollumfänglichen Spezialität des Versammlungsrechts auszugehen.
Sollte eine Klausur jedoch so aufgebaut sein, wie dieser Fall, ist es dann (wenn man der alten Ansicht/der Literatur folgt) notwendig sich zu überlegen, z.B. ein (im Öffentlichen Recht ungewöhnliches) Hilfsgutachten anzufertigen, um die polizeilichen Maßnahmen zu prüfen. Sonst müsste man die Maßnahmen alle als nicht vom Versammlungsrecht gedeckt verwerfen (es handelt sich auch nicht um Minusmaßnahmen, weil so weitreichende Eingriffe in die Versammlung nicht mehr als Minusmaßnahmen möglich sind).
Es sollte aber sehr positiv bewertet werden, wenn Sie sich mit diesem Themenkomplex auseinandersetzen, wenn der Fall dazu Anlass gibt. Also immer dann, wenn die Frage besteht, ob polizeiliche Maßnahmen gegenüber einer Versammlung angewendet werden, obwohl die Versammlung nicht zuvor aufgelöst wurde.

Fraglich ist, ob die vorliegende Versammlung als unfriedlich eingestuft werden kann. Zur Annahme der Unfriedlichkeit ist es – wie soeben gesehen – notwendig, dass Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten vorliegen.[29]BVerwG Beschluss vom 27.3.2024 – 6 C 1.22, Rn. 57. Nicht ausreichend ist es, wenn es zu Behinderungen Dritter kommt, seien diese auch gewollt und nicht nur in Kauf genommen.[30]BVerwG Beschluss vom 27.3.2024 – 6 C 1.22, Rn. 57.

Nur dann, wenn das Gesamtgepräge einer Versammlung sich als unfriedlich darstellt, ist diese als unfriedlich einzuordnen.

Die vorliegende Versammlung war zunächst von der Blockade des Kreisverkehrs geprägt. Dabei wurden von den umliegenden Baustellen Materialien herangeschafft, wobei es sich um Gewalt gegen Sachen handelte. Außerdem wurde eine Rauchbombe dem sich nähernden Polizeifahrzeug entgegengeworfen. Diese Punkte könnten die Unfriedlichkeit der Versammlung begründen.

Nicht möglich ist es ohne nähere Anhaltspunkte auf die mögliche Anknüpfung an die Proteste ein Jahr zuvor bei der EZB-Eröffnung abzustellen. Darin läge lediglich eine (unsichere) Gefahrenprognose. Dafür war die Lage bis zum Zeitpunkt der Einkesselung noch nicht konkret genug absehbar.

Anmerkung: Kritik an der Einordnung als unfriedlich
Das BVerwG ließ diese Punkte ausreichen, auch wenn damit Zweifel verbleiben, ob die gesamte Versammlung auf dieser Grundlage pauschal als unfriedlich einzuordnen war.[31]Rusteberg, VerfBlog, 22.05.2024, https://verfassungsblog.de/unfriedlichkeit-statt-verhinderungsblockade/.
Insbesondere stellte das BVerwG auf die Prognose der Polizei ab, dass die Demonstrierenden an die Gewalttaten bei der EZB-Eröffnung im Vorjahr anknüpfen würden. Dafür gab es im (vom VGH ermittelten) Sachverhalt nicht ausreichend Anhaltspunkte.

Damit kann (mit dem BVerwG) die vorliegende Versammlung als unfriedlich eingestuft werden. Das Polizeirecht findet neben dem Versammlungsrecht Anwendung.

3. Ergebnis: Gleichzeitige Anwendbarkeit des Polizeirechts neben dem Versammlungsrecht

Das Versammlungsrecht schließt die Anwendbarkeit des Polizeirechts dann nicht aus, wenn es sich um eine von Beginn an und durchgehende unfriedliche Versammlung handelt. Hier handelte es sich um eine unfriedliche Versammlung, so dass das Polizeirecht neben dem Versammlungsrecht Anwendung findet.

II. Anwendung des Polizeirechts auf die einzelnen Maßnahmen

Wegen der Grundrechtsrelevanz der Maßnahmen sind diese vorrangig auf die Standardmaßnahmen des Polizeirechts zu stützen, weil dabei bereits vom Gesetzgeber eine abstrakte Abwägung der betroffenen Grundrechte vorgenommen wurde. Nur nachrangig und unter Berücksichtigung der grundgesetzlichen Schranken können Maßnahmen auf die polizeiliche Generalklausel gestützt werden.

Damit richtet sich die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Maßnahmen nach der Zulässigkeit nach dem Polizeirecht.

1. Ingewahrsamnahme

Die Ingewahrsamnahme (zu der die Einkesselung, Abführung und Verbringung in die Gefangenensammelstelle und später in den Bus ebenfalls gehört) könnte rechtmäßig gewesen sein. Die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richtet sich nach § 33 PolG BW. Außerdem müsste die Maßnahme verhältnismäßig gewesen sein.

Anmerkung: Äquivalente Vorschriften
Die Ingewahrsamnahme richtet sich in den anderen Bundesländern nach folgenden Vorschriften, die teilweise andere Voraussetzungen haben.
Bayern: Art. 17 PAG
Berlin: § 30 ASOG Bln
Brandenburg: § 17 BbgPolG
Bremen: § 13 BremPolG
Hamburg: § 13 SOG
Hessen: § 32 HSOG
Mecklenburg-Vorpommern: §§ 55 f. SOG MV
Nordrhein-Westfalen: § 35 PolG NRW
Niedersachsen: § 18 NPOG
Rheinland-Pfalz: § 14 POG
Saarland: § 13 SPolG
Sachsen: § 22 SächsPVDG
Sachsen-Anhalt: § 37 SOG LSA
Schleswig Holstein: §§ 204 f. LVwG
Thüringen: § 19 PAG
a) Formelle Rechtmäßigkeit

Es bestehen keine Anhaltspunkte, die Zweifel an der formellen Rechtmäßigkeit (Zuständigkeit, Verfahren, Form) der Ingewahrsamnahme begründen.

b) Materielle Rechtmäßigkeit

Die Maßnahme müsste auch materiell rechtmäßig gewesen sein.

aa) Tatbestand

Dafür müsste zunächst der Tatbestand erfüllt sein.

(1) Unmittelbar bevorstehende erhebliche Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung

Damit eine Person in Gewahrsam genommen werden kann, muss eine erhebliche Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung vorliegen. Die öffentliche Sicherheit umfasst alle Gesetze, die Rechtsgüter des Einzelnen, sowie den Bestand und die Institutionen des Staates.

Hier hatten die an der Demonstration beteiligten Personen bereits Straftaten begangen (Unerlaubter Einsatz von Pyrotechnik, das Verbringen der Baumaterialien auf den Kreisverkehr als mögliche Sachbeschädigung und Landfriedensbruch) und waren auf dem Weg die Veranstaltung des A-Parteitags durch Störungen zu behindern, wobei aufgrund der Gefahrenprognose (die auf Erkenntnisse über die anwesenden Personen gestützt waren) die Begehung von schwereren Straftaten zu erwarten war.

Mithin lag eine unmittelbar bevorstehende erhebliche Störung der öffentlichen Sicherheit vor.

(2) Nicht anders abwendbar

Die Begehung der Straftaten hätte auch nicht anders abwendbar sein dürfen. Die Polizei hätte auch Platzverweise aussprechen können, dies wäre jedoch angesichts der Nichtbefolgung der Anordnungen der Polizei bis hierhin nicht mit ausreichender Sicherheit erfolgsversprechend gewesen.

(3) Störerauswahl

Der L hat durch seine Teilnahme an den Aktionen der Demonstrant:innen zurechenbar jedenfalls den Anschein seiner Beteiligung erweckt und war deshalb jedenfalls Anscheinsstörer.

(4) Einhaltung des Verfahrens

Der in Art. 104 II GG vorgesehene Richtervorbehalt ist in § 33 III S. 2-S. 5 PolG BW umgesetzt. Nach Satz 3 muss eine richterliche Entscheidung unverzüglich herbeigeführt werden. Nach Satz 4 muss jedoch keine Entscheidung eingeholt werden, wenn anzunehmen ist, dass die Entscheidung erst nach dem Wegfall des Grundes für den Gewahrsam ergehen würde.

Hier trafen die Polizist:innen auf Grundlage der vorhandenen Informationen die Prognose, dass der Grund für den Gewahrsam entfallen sein würde, bevor eine Entscheidung durch eine Richterin oder einen Richter ergehen würde. Diese ist nicht zu beanstanden, insbesondere endete das Gewahrsam am Abend des gleichen Tages und damit vor Ablauf der in Satz 2 bestimmten Frist (bis zum Ablauf des nächsten Tages).

Anmerkung: Prüfungsstandort
Bei den Standardmaßnahmen bietet es sich an, die Einhaltung zusätzlicher Verfahrensanforderungen im Rahmen des Tatbestands zu prüfen. Diese gehören zwar nicht streng zu den Voraussetzungen der Ingewahrsamnahme, aber sind auch nicht Teil der Ermessenserwägungen. Eine Standardmaßnahme, bei der das besondere Verfahren nicht eingehalten wurde, ist materiell rechtswidrig, unabhängig von der Einhaltung des formellen Verfahrens und etwaiger Ermessensfehler.
bb) Rechtsfolge: Ermessen

Demnach konnte die Polizei den L in Gewahrsam nehmen. Bei der Vorschrift handelt es sich um eine Ermessensvorschrift. Dabei müsste sie ermessensfehlerfrei gehandelt haben, insbesondere den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt haben.

(1) Legitimes Ziel

Der Zweck der Ingewahrsamnahme war die Verhinderung künftiger zu befürchtender Straftaten. Darin liegt ein legitimer Zweck.

(2) Geeignetheit

Die Ingewahrsamnahme war auch geeignet, die Begehung zu befürchtender Straftaten rund um den Parteitag der A-Partei zu verhindern.

(3) Erforderlichkeit

Die Ingewahrsamnahme müsste auch erforderlich gewesen sein. Erforderlich ist eine Maßnahme, wenn kein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Verfügung steht. Hier hätte dem L ein Platzverweis erteilt werden können. Es war jedoch im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Umfeld angesichts der Gewaltbereitschaft der Gruppe und dem Ziel den Ablauf des A-Parteitags zu stören nicht mit Sicherheit davon auszugehen, dass der Platzverweis befolgt werden würde. Die Kontrolle der Befolgung des Platzverweises wäre angesichts der Größe der Gruppe außerdem nicht vollumfänglich möglich gewesen. Mithin war die Ingewahrsamnahme erforderlich.

(4) Angemessenheit

Außerdem müsste die Maßnahme angemessen gewesen sein. Dabei sind die widerstreitenden Interessen in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Hier wurde L in seiner Demonstrationsfreiheit und seiner Freiheit eingeschränkt. Zugleich war die Maßnahme ergriffen worden, um die öffentliche Sicherheit zu schützen, insbesondere die Begehung von zu befürchtenden Straftaten zu verhindern.

Fraglich ist, ob die Länge des Gewahrsams gerechtfertigt werden kann. Der Gewahrsam lief letztlich von ungefähr 8 Uhr bis ungefähr 20 Uhr abends. Der A-Parteitag war jedoch an dem Tag bereits um 18 Uhr beendet. Betrachtet man noch die Abfahrtszeiten der Delegierten zum Parteitag, ist ein Gewahrsamsende bis 20 Uhr kaum noch angemessen, da Störungen nach dem Ende des Parteitags nicht mehr zu erwarten waren und die Delegierten abgereist waren. Angesichts der Vielzahl der Personen und der damit verbundenen logistischen Herausforderungen, ist der Polizei jedoch ein (geringer) zeitlicher Verzug zuzugestehen, weshalb die Maßnahme auch in ihrer Länge insgesamt angemessen war. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn die Polizei nicht dazu in der Lage war noch zusätzliche Polizeikräfte anzufordern, die die schnellere Bearbeitung der Gefangenen möglich gemacht hätte. Dies war hier nicht der Fall.

2. Vorenthalten des Trinkwassers

Es gibt keine Vorschrift im Polizeirecht, die das Vorenthalten von Trinkwasser vorsieht. Vielmehr ist die Polizei auf Grund von Art. 2 II S. 1 GG verpflichtet organisatorische Maßnahmen zu ergreifen, die – gerade wenn Vorerkenntnisse bestehen, dass eine größere Anzahl an Personen an möglicherweise gewaltbereiten Protesten teilnehmen könnten – sicherstellen, dass eine Versorgung mit Lebensmitteln besteht. Auch in dem Moment, wäre es der Polizei noch möglich gewesen größere Mengen Trinkwasser in die Gefangenensammelstelle zu bringen oder bringen zu lassen. Damit war das Vorenthalten von Trinkwasser jedenfalls nach dem Ablauf einiger Zeit rechtswidrig.[32]Ausführlicher dazu: VGH Mannheim Urteil vom 18.11.2021 – 1 S 803/19, Rn. 94.

Anmerkung: Rechtmäßigkeit der weiteren Maßnahmen: Einkesselung, Identitätsfeststellung und erkennungsdienstliche Behandlung und Verbringung zum Bahnhof, Vorenthaltung von Toilettengängen
Die anderen Maßnahmen sind nach den gleichen Maßstäben zu beurteilen. Das BVerwG bzw. der VGH hielt fest, dass die Fesselung phasenweise rechtswidrig war.[33]BVerwG, Beschluss vom 27.3.2024 – 6 C 1.22, Rn. 68 ff.
Die Identitätsfeststellung und die erkennungsdienstliche Behandlung ordnete das BVerwG aber als rechtmäßig ein. [34]ebd. Rn. 79 ff.
Die Verbringung zum Bahnhof wurde jedoch angesichts des Ende des Parteitags an diesem Tag bereits um 18 Uhr genau so für rechtswidrig gehalten[35]ebd. Rn. 74 ff., wie die Vorenthaltung von Toilettengängen[36]VGH Mannheim Urteil vom 18.11.2021 – 1 S 803/19, Rn. 91 ff..
Die Prüfung aller Maßnahmen in einer Klausur wäre zu umfangreich.

III. Ergebnis

Der Gewahrsam war rechtmäßig, das Vorenthalten von Trinkwasser rechtswidrig.

D. Gesamtergebnis

Die Klage des L hat teilweise Aussicht auf Erfolg.

Zusatzfragen

1. Können Maßnahmen im Vorfeld oder im Nachgang einer Demonstration auf das Polizeirecht gestützt werden oder müssen dabei auch Besonderheiten berücksichtigt werden?

Die Sperrwirkung des Versammlungsrechts gegenüber der Anwendbarkeit des Polizeirechts entfaltet erst mit Beginn der Versammlung seine Wirkung. Im Vorfeld einer Demonstration findet demnach – z.B. auf die Identitätsfeststellung von Personen, die sich auf den Weg zur Versammlung machen – das Polizeirecht Anwendung.

Entfaltet jedoch die Vorfeldmaßnahme (die auf das Polizeirecht gestützt wurde) eine beeinträchtigende Wirkung auf die Teilnahme an der Versammlung (z.B. weil eine Kontrollstation aufgebaut wurde und sich dadurch die Teilnahme an der Versammlung verzögert), dann unterfällt dieses Verhalten dem Schutzbereich des Art. 8 I GG. Das bedeutet nicht, dass hier das Versammlungsrecht Anwendung findet, sondern dass die auf das Polizeirecht gestützte Maßnahmen sich in ihrer Rechtmäßigkeit an dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit messen lassen muss. In der Prüfung ändert sich damit das Schema bei der Prüfung des Ermessens bei Vorfeldmaßnahmen.

2. Welche Neuerungen brachte die sog. Brokdorf-Entscheidung des BVerfG für das Versammlungsrecht?
Die Brokdorf Entscheidung (BVerfG 14.05.1985 – 1 BvR 233/81, NJW 1985, 2395) war eine der grundlegenden Entscheidungen, in denen sich das BVerfG mit diversen Aspekten des Versammlungsrechts beschäftigte.

Das BVerfG hielt fest, dass die Pflicht zur Anmeldung einer Versammlung mehr als 48 Stunden vor Versammlungsbeginn dann nicht verfassungskonform ist, wenn der Grund für die Versammlung erst kurz zuvor entsteht. Es schaffte damit die Kategorie der Spontanversammlung.

Außerdem legte es fest, dass die Schwelle für behördliches Eingreifen umso höher liege, je mehr die Versammlungsleitung in Kooperation mit der Versammlungsbehörde stehe. Die Versammlungsbehörde habe außerdem die Pflicht auf eine Kooperation hinzuwirken.

Außerdem hielt das BVerfG zum ersten Mal fest, dass friedliche Teilnehmende weiterhin den Schutz der Versammlungsfreiheit genießen, auch wenn es einzelne Teilnehmende gibt, die unfriedliche Aktionen starten.

Einen schönen Satz prägte das BVerfG auch noch: „Das Recht des Bürgers, durch Ausübung der Versammlungsfreiheit aktiv am politischen Meinungsbildungsprozeß und Willensbildungsprozeß teilzunehmen, gehört zu den unentbehrlichen Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens.“

Siehe dazu auch ausführlich: https://www.juracademy.de/rechtsprechung/article/brokdorf-beschluss-leitentscheidung-versammlungsrecht


Zusammenfassung

1. Eine Personenzusammenkunft, bei der es jedenfalls auch zu in den Rahmen der öffentlichen Meinungsbildung einzuordnenden Bekundungen kommt, fällt grundsätzlich unter den Versammlungsbegriff. Nur, wenn das kommunikative Anliegen und der Einsatz entsprechender Kommunikationsmittel in handgreiflicher Weise einen bloßen Vorwand darstellen, kann eine Personenzusammenkunft als „Verhinderungsblockade“ im Ausnahmefall angenommen werden. Dann entfällt der Schutz des Versammlungsrechts.

2. Das Vorliegen einer Versammlung entfaltet nach neuerdings vertretener Ansicht des BVerwG bei von Beginn an unfriedlichen Versammlungen keine Sperrwirkung gegenüber dem Polizeirecht (sog. Polizeifestigkeit), wenn die Versammlung von Beginn an und dann durchgehend einen unfriedlichen Charakter hat.

3. Das Vorenthalten von Trinkwasser nach einer Ingewahrsamnahme ist rechtswidrig, wenn das Gewahrsam einige Zeit andauert. 

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