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Polizei und Neue Rechte

OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27.07.2023 – OVG 4 S 11.23

Sachverhalt

(gekürzt und abgewandelt)

Seit seiner Kindheit träumte Polizeianwärter P davon Polizist bei der Kriminalpolizei zu werden. Im Oktober 2020 wurde dieser Kindheitstraum wahr, und er wurde in ein Beamtenverhältnis auf Widerruf zur Vorbereitung auf den gehobenen Dienst in der Kriminalpolizei Berlin berufen. Privat führte P eine inzwischen gelöschte Instagram-Seite, in deren Profil er auf „German“, „Heimat“, „Treue um Treue“ und ein Bibelzitat verwies. Mit diesem Profil folgte er den Instagram-Seiten „patriotische_boomer_partei“, „bananenrepublik.de“ sowie einem, wegen seiner rechten Einstellung vom Staatsschutz beobachteten und verurteilten, Influencer. Auf all diesen Seiten likte er mehrfach Beiträge.

Am 13. April 2022 sprachen Beamte des Staatsschutzes P daraufhin in der Polizeihochschule zur Durchführung einer Gefährderansprache an – eine Maßnahme zur Verhütung von Straftaten, bei der ein potenzieller Gefahrenverursacher ermahnt wird, Störungen der öffentlichen Sicherheit zu unterlassen. P äußerte, dass es sich bei den gelikten Posts um Satire gehandelt habe und er sich somit über verfassungsfeindliche Einstellungen habe lustig machen wollen. Er selber sei verfassungstreu, verstehe aber, dass das Liken der relevanten Posts einen missverständlichen Eindruck erwecken könne. Den Beamten zufolge sei seine Ausdrucksweise sowie sein überdurchschnittlich ausgeprägtes Wissen über beispielsweise nordische Mythologien oder den „Heimatbegriff“ besonders auffällig gewesen. Insgesamt habe er einen informierten und kontrollierten Eindruck ohne jugendlichen Leichtsinn oder Naivität vermittelt.

Kurz darauf wurde P, nach einer Anhörung, aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf entlassen, weil berechtigte Zweifel daran bestünden, dass er die erforderliche charakterliche Eignung für einen Beamten bei der Kriminalpolizei besitze. Der zuständige Dienstherr begründete die Entscheidung damit, dass P einer Reihe von Instagram-Seiten der Neuen Rechten folge und seine Zustimmung zu einzelnen Beiträgen mehrfach durch Likes ausgedrückt habe. Dabei verwiesen sie unter anderem auf das Liken verschiedener offen antisemitischer und muslimfeindlicher Beiträge, die unter anderem die Coronapolitik mit dem Nationalsozialismus gleichsetzten. 

Mit gesonderter Begründung und nach Anhörung wurde ferner die sofortige Vollziehbarkeit der Entlassung schriftlich angeordnet. Es bestünde ein öffentliches und fiskalisches Interesse daran, dass P nicht weiter unter Fortzahlung der Bezüge im Beamtenverhältnis auf Widerruf verbleibt.

P machte geltend, dass sein Instagram-Konto nicht zu beanstanden sei. Man könne nicht einzelne Aspekte herausgreifen, ohne den Gesamtkontext zu betrachten. Bei den von ihm gelikten Posts handle es sich, wie bereits erwähnt, um Satire. Schon von Hause aus sei er insbesondere mit der Geschichte des Holocausts vertraut gemacht worden. Sein Vater, über den er auf den Leitspruch „Treue um Treue“ aufmerksam geworden sei, sei bis 2004 Bundeswehrsoldat gewesen. Seine Eltern seien im öffentlichen Dienst tätig. Er stehe absolut auf dem Boden des Grundgesetzes und sei sich seiner Treuepflicht als Beamter bewusst. Abgesehen davon greife auch die Meinungsfreiheit. Außerdem müsse auch sein einwandfreies Verhalten im Dienst berücksichtigt werden. P erhebt Widerspruch. Nun möchte er auch gerichtlich die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung erreichen.

Hat der Antrag vor dem Verwaltungsgericht Erfolg?

§ 7 Polizei-Laufbahnverordnung (Pol-LVO)

[…] (3) Wer sich während des Vorbereitungsdienstes auf Grund der dienstlichen Leistungen, der Fähigkeiten oder der Persönlichkeit als nicht geeignet erweist […], ist aus dem Vorbereitungsdienst und dem Beamtenverhältnis auf Widerruf zu entlassen

§ 33 BeamtStG

(1) Beamtinnen und Beamte dienen dem ganzen Volk, nicht einer Partei. Sie haben ihre Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen und ihr Amt zum Wohl der Allgemeinheit zu führen. Beamtinnen und Beamte müssen sich durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten.

(2) Beamtinnen und Beamte haben bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergibt.


Skizze


Gutachten

Der Antrag des P hat Erfolg, wenn er zulässig und soweit er begründet ist.

A. Zulässigkeit des Antrags

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

Der Verwaltungsweg müsste eröffnet sein. Vorliegend greift eine aufdrängende Sonderzuweisung aus § 54 BeamtStG, da P Beamter auf Widerruf i.S.d. § 4 IV BeamtStG ist.  

II. Ordnungsgemäßer Antrag

Es müsste ein statthafter Antrag seitens P vorliegen. Welcher Antrag statthaft ist, richtet sich nach dem Antragsbegehren, §§ 88, 122 VwGO. P möchte die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Widerruf aus dem Beamtenverhältnis wiederherstellen. 

Zuerst muss zwischen § 123 VwGO und §§ 80 V, 80a VwGO differenziert werden. Nach § 123 V VwGO sind die §§ 80, 80a VwGO vorrangig. Gem. § 80 V i.V.m. 80 I 1 VwGO finden diese Anwendung, wenn der Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, d.h. wenn in der Hauptsache eine Anfechtungsklage (§ 42 I Alt. 1 VwGO) oder ein Anfechtungswiderspruch (§ 68 VwGO) statthaft ist. Der Widerruf aus dem Beamtenverhältnis stellt einen Verwaltungsakt i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG dar, sodass Anfechtungsklage und -widerspruch statthaft sind. Gegen diesen Verwaltungsakt hat P auch bereits Widerspruch gem. § 68 I 1 VwGO erhoben, sodass § 80 V VwGO heranzuziehen ist.

Nach § 80 V VwGO dürfte dieser Widerspruch auch keine aufschiebende Wirkung entfalten. Entweder weil der Rechtsbehelf schon keine aufschiebende Wirkung hat (§ 80 II 1 Nr. 1–3 VwGO) oder weil dies besonders angeordnet wurde (§ 80 II 1 Nr. 4 VwGO). Insofern muss innerhalb des § 80 V 1 VwGO die Anordnung der aufschiebenden Wirkung (Alt. 1) von der Wiederherstellung der Anordnung (Alt. 2) abgegrenzt werden. Vorliegend wurde der Entfall der aufschiebenden Wirkung nach § 80 II 1 Nr. 4 VwGO durch den Dienstherrn besonders angeordnet, sodass § 80 V 1 Alt. 2 VwGO einschlägig ist.[1]VG Berlin, Beschl. v. 21.2.2023, AZ 26 L15/23, Rn. 20. 

Der Antrag des P ist damit statthaft. 

III. Antragsbefugnis

Um Popularklagen zu verhindern, müsste P analog § 42 II VwGO auch antragsbefugt sein. Eine Antragsbefugnis i.S.d. Möglichkeitstheorie liegt vor, wenn nicht von vorneherein ausgeschlossen ist, dass die sofortige Vollziehung des Verwaltungsakts den P in seinen Rechten verletzt. P könnte in seiner Berufsfreiheit aus Art. 12 GG, jedenfalls aber wegen der belastenden Wirkung des Verwaltungsakts in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG, verletzt sein. Eine Antragsbefugnis liegt vor.

IV. Korrekter Antragsgegner

Der Antrag müsste sich gegen den richtigen Antragsgegner richten, § 78 VwGO analog. Mangels entgegenstehender Angaben ist vom Rechtsträgerprinzip nach § 78 I Nr. 1 VwGO analog auszugehen, sodass das Land Berlin Antragsgegner ist. 

V. Beteiligten- und Prozessfähigkeit

P ist gem. § 61 Nr. 1 VwGO beteiligten- und nach § 62 I Nr. 1 VwGO prozessfähig. Das Land Berlin wiederum kann seine Beteiligten- und Prozessfähigkeit aus § 61 Nr. 1 Alt. 2, § 62 Abs. 3 VwGO herleiten.

VI. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis

P müsste auch rechtsschutzbedürftig sein. Dies ist anzunehmen, wenn ein berechtigtes Interesse an der Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe besteht und das angestrebte Ziel nicht auf einfacheren oder kostengünstigeren Wegen erreicht werden kann.

1. Offensichtliche Unzulässigkeit

Das Rechtsschutzbedürfnis könnte entfallen, wenn die Klage in der Hauptsache oder der Widerspruch offensichtlich unzulässig wäre. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn die Hauptsache verfristet wäre. Diesbezüglich sind aber keine Bedenken anzumelden.

2. Erforderlichkeit eines vorherigen Antrags

Bevor das Verfahren angestrengt wird, muss P keinen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gem. § 80 IV VwGO bei der zuständigen Behörde stellen. Aus einem Umkehrschluss aus § 80 VI VwGO ergibt sich, dass ein solcher Antrag nur für Fälle nach § 80 II 1 S. 1 Nr. 1 VwGO notwendig ist.

3. Erforderlichkeit der vorherigen Klageerhebung

Es ist gem. § 80 V 2 VwGO nicht erforderlich vor Antragsstellung die Klage in der Hauptsache zu erheben. 

Vernetztes Lernen: Gilt dies auch, wenn kein Vorverfahren stattgefunden hat, beispielsweise da dieses nicht statthaft war?
Wenn das Vorverfahren beispielswiese nach § 68 I 2 VwGO nicht statthaft war, bejaht eine Ansicht dies. Würde man zum verfrühten Widerspruch oder Klageerhebung gezwungen, nur um die Anordnung der sofortigen Vollziehung angreifen zu können, könne dies eine unbillige Verkürzung der Klagefrist darstellen.[2]Gersdorf, in: BeckOK, VwGO, 65. Edition (2021), § 80 Rn. 164. Damit würde die Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 IV GG unterlaufen.
Die herrschende Meinung geht davon aus, dass zumindest zeitgleich mit dem Antrag, wenn auch nicht vorher, ein Widerspruch oder eine Klageerhebung erfolgen muss. Wurde weder Widerspruch noch Anfechtungsklage erhoben, gibt es keinen Rechtsbehelf, dessen aufschiebende Wirkung das Gericht anordnen oder wiederherstellen könnte.[3]Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 21. Aufl. 2023, Rn. 1498. Insofern läuft die gerichtliche Anordnung des Suspensiveffekts ins Leere. Insbesondere stellt das Erfordernis der gleichzeitigen Erhebung auch keinen gravierenden Eingriff in den Rechtsschutz dar, da der/die Kläger*in ohnehin die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts darlegen muss (s.o.), sodass ohnehin schon praktisch ein Vortrag zu Fragen der Begründetheit erfolgt.

4. Zwischenergebnis

Ein Rechtsschutzbedürfnis seitens P liegt vor.

VII. Zwischenergebnis

Der Antrag des P ist zulässig. 

B. Begründetheit

  Der Antrag ist begründet, wenn die Anordnung der sofortigen Vollziehung formell rechtswidrig ist oder eine umfassenden Güter- und Interessenabwägung zu dem Ergebnis kommt, dass das private Aussetzungsinteresse des P das öffentliche Vollziehungsinteresse Berlins überwiegt.

I. Formell rechtmäßige Anordnung der sofortigen Vollziehung

1. Zuständigkeit

Dem Sachverhalt ist zu entnehmen, dass eine Zuständigkeit bestand. 

2. Verfahren

Laut Sachverhalt ist eine Anhörung erfolgt. Weitere Bedenken bezüglich der Rechtmäßigkeit des Verfahrens bestehen nicht. 

Anmerkung: Notwendigkeit der Anhörung
Auf den typischen Streit um die Notwendigkeit der Anhörung im Rahmen von § 80 II 1 Nr. 4 VwGO kommt es hier daher nicht an, vgl. dazu die Zusatzfrage.

3. Form

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung muss gem. § 80 III 1 VwGO schriftlich und begründet erfolgen. 

Ob die Begründung zutrifft, ist eine Frage der materiellen Rechtmäßigkeit. Hier ist lediglich relevant, dass die Begründung einer formellen Betrachtung nach schlüssig, konkret und substantiiert ist. Das Land verweist auf das fiskalische Interesse, dass P nicht weiter von den Bezügen profitieren soll.[4]Vgl. OVG, Beschl. v. 27.07.2023, AZ 4 S11/23, Rn. 14., womit es sich um eine an sich schlüssige, individuelle Begründung handelt.

4. Zwischenergebnis

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist formell rechtmäßig.  

II. Richterliche Güterabwägung 

Das private Aussetzungsinteresse des P müsste das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegen. Dies richtet sich nach den Erfolgsaussichten der Hauptsache. Demnach überwiegt das Aussetzungsinteresse, wenn der angefochtene Verwaltungsakt, hier also der Widerruf aus dem Beamtenverhältnis im Rahmen der polizeilichen Ausbildung, nach summarischer Prüfung rechtswidrig ist und P in seinen Rechten verletzt. 

Anmerkung: Aufbau der Begründetheit
Wenn unter I. Formelle Rechtmäßigkeit geprüft wurde, so stellt die richterliche Güterabwägung unter II. die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung dar – sie wird nur anders betitelt.

1. Ermächtigungsgrundlage

Als belastender Verwaltungsakt bedarf die Entlastung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf einer Ermächtigungsgrundlage. Diese liegt hier in § 7 III Pol-LVO. 

2. Formelle Rechtmäßigkeit

Der Verwaltungsakt dürfte ferner nicht formell rechtswidrig sein. Mithin müssten Zuständigkeit, Verfahren- und Formvorschriften gewahrt worden sein. 

Insbesondere wurde eine Anhörung nach § 28 VwVfG durchgeführt. Weitere Bedenken hinsichtlich der formellen Rechtswidrigkeit bestehen nicht. 

3. Materielle Rechtmäßigkeit

Der Verwaltungsakt könnte aber materiell rechtswidrig sein. Dies wäre der Fall, wenn der Tatbestand der Ermächtigungsgrundlage schon nicht erfüllt ist. Eine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf gem. § 7 III Pol-LVO ist möglich, wenn sich der/die Anwärter*in während des Vorbereitungsdienstes auf Grund der Persönlichkeit als nicht geeignet erweist. Die persönliche Eignung könnte hier in Frage gestellt werden, da begründete Zweifel an Ps Verfassungstreue bestehen könnten. Diese Treuepflicht, die so auch in § 33 BeamtStG niedergelegt ist, gehört zu den in Art. 33 V GG niedergelegten hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums.

a) Beurteilungsspielraum der Behörde

Die Frage der persönlichen Eignung stellt einen unbestimmten Rechtbegriff dar. Insofern kommt dem Dienstherrn ein Beurteilungsspielraum zu. Fraglich ist, inwieweit dieser gerichtlich überprüfbar ist. Grundsätzlich sollen trotz der besonderen Sachnähe und Kompetenz der Verwaltung deren Entscheidungen aus dem Grundgedanken des effektiven Rechtsschutzes heraus gerichtlich überprüfbar sein. Daher ist eine beschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit der Beurteilung nur in Ausnahmefällen anzunehmen.

Mithin darf das Verwaltungsgericht lediglich überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums verkannt worden sind. Also, ob der Entscheidung ein unrichtiger Sachverhalt zugrunde liegt oder ob allgemeine Wertmaßstäbe beachtet und sachfremde Erwägungen vermieden worden sind[5]OVG, Beschl. v. 27.07.2023, AZ 4 S11/23, Rn. 7.  

Geht es im Rahmen der persönlichen Eignung um Verfassungstreue von Beamt*innen, reicht es in der Regel aus, dass die Entscheidung sich auf feststellbare und festgestellte äußere Verhaltensweisen von hinreichendem Gewicht stützt und wertend auf eine möglicherweise darin zum Ausdruck kommende innere Einstellung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung geschlossen wird. Hingegen ist eine ausdrückliche Feststellung über die tatsächliche innere Einstellung in der Regel nicht erforderlich.

Insofern unterliegen die Berufsbeamt*innen einer politischen Treuepflicht. Gemeint ist damit nicht eine Verpflichtung, sich mit den Zielen oder einer bestimmten Politik der jeweiligen Regierung zu identifizieren. Vielmehr ist Kritik am Staat innerhalb des Rahmens der Verfassung und mit den verfassungsrechtlich vorgesehenen Mitteln möglich und verfassungsrechtlich auch von Art. 5 GG geschützt, solange nicht eben dieser Staat und seine verfassungsmäßige Grundlage in Frage gestellt werden. Unverzichtbar ist, dass Beamt*innen den Staat und die geltende verfassungsrechtliche Ordnung bejahen, sie als schützenswert anerkennen, in diesem Sinne sich zu ihnen bekennen und aktiv für sie eintreten.[6]OVG, Beschl. v. 27.07.2023, AZ 4 S 11/23, Rn. 5. Dabei fordert die politische Treuepflicht mehr als nur eine formal korrekte, im Übrigen uninteressierte, kühle, innerlich distanzierte Haltung gegenüber Staat und Verfassung; Beamt*innen müssen sich eindeutig von Gruppen und Bestrebungen distanzieren, die diesen Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren.[7]BVerwG, NJW 2008, 2568 ff., Rn. 17.

Vernetztes Lernen: Welche anderen Konstellationen, in denen nur eine begrenzte gerichtliche Überprüfung möglich ist, gibt es?
Wie eingangs bereits erwähnt, gibt es nur einige wenige Fallgruppen, in denen ein begrenzte gerichtliche Beurteilung angenommen wird. Dazu gehören neben den beamtenrechtlichen Beurteilungen:

– Abschlussprüfungen und prüfungsähnliche Entscheidungen,
– Prognose- und Risikoentscheidungen, z.B. im Atom- und Chemikalienrecht
– Höchstpersönliche Akte wertender Erkenntnis (insb. Gremienentscheidungen)

Insbesondere die letzte Fallgruppe ist in der Prüfung problematisch. Gerade weil in diesen Fällen der persönliche Eindruck der Amtswalter maßgeblich ist, steht der Behörde ein eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu – so in der Regel auch bei pluralistisch besetzten Ausschüssen und Gremien.[8]Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 21. Aufl. 2023, Rn. 372 ff.  In der Rechtsprechung ist aber keine klare Linie erkennbar. Seit der sog. Bushido-Entscheidung geht das BVerfG aber in jüngster Zeit davon aus, dass z.B. eine Gremienentscheidung über die Indizierung jugendgefährdender Schriften voll justiziabel ist.[9]Dazu: Beisel, Anm. zu BVerwG, NVwZ 2020, 233 (241). Prüfungstechnisch ist daher Zurückhaltung geboten, sodass es empfehlenswert sein kann, die Fallgruppe zwar anzusprechen, aber mit Verweis auf den Ausnahmecharakter und den effektiven Rechtsschutz abzulehnen.

b) Missachtung des Beurteilungsspielraums durch die Behörde

Fraglich ist daher, ob das Land Berlin innerhalb der oben dargelegten Maßstäbe subsumiert hat. Von einem unrichtigen Sachverhalt oder sachfremden Erwägungen ist nicht auszugehen. Fraglich ist aber, ob Wertmaßstäbe verkannt worden sind. 

P hatte insofern angemerkt, dass die verschiedenen Aspekte nicht einzeln herausgegriffen werden könnten. Jedoch eignen sich nicht nur Einzeltatsachen von hinreichendem Gewicht für die Feststellung von Zweifeln an der Verfassungstreue, sondern auch mehrere Tatsachen, die erst in der Gesamtheit hinreichend schwer wiegen.[10]OVG, Beschl. v. 27.07.2023, AZ 4 S 11/23, Rn. 9; so auch zu Tätowierungen das BVerwG, NVwZ 2018, 1064 ff., Rn. 70. So kann das Folgen einzelner Accounts oder eines vereinzelten Likes gegebenenfalls noch nicht ausreichend sein, sondern gerade der Gesamteindruck, der sich durch die Häufung von Verhaltensweisen bildet, Anlass zur Vorsicht geben.[11]OVG, Beschl. v. 27.07.2023, AZ 4 S 11/23, Rn. 10. So verhält es sich hier mit der eigenen Instagram-Biografie, die an NS-Parolen erinnert („Treue um Treue“), dem Folgen verfassungsfeindlicher Accounts und mehrfachen Liken verfassungsfeindlicher Inhalte, die in ihrer Gesamtheit auf eine verfassungsfeindliche Haltung hindeuten. Aber auch schon ein einmaliges äußeres Verhalten, wie hier z.B. das Liken von NS-Vergleichen und die Diffamierung von Jüd*innen sowie Muslim*innen, ist daraufhin zu prüfen, ob es von hinreichendem Gewicht ist.[12]Vgl. OVG, Beschl. v. 27.07.2023, AZ 4 S 11/23, Rn. 11. Insofern liegen wiederholt feststellbare, nach außen gerichtete Verhaltensweisen von hinreichendem Gewicht vor, die auf eine negative innere Einstellung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung schließen lässt. 

Gerade weil P auf den Staatsschutz einen informierten und kontrollierten Eindruck gemacht hat, der nicht jugendlichen Leichtsinn oder Naivität schließen lässt, ist davon auszugehen, dass er die Bedeutung und Konsequenzen seines Handelns erfasst hat. Dass die Aussagen gegebenenfalls mehrdeutig zu verstehen sind, führt nicht dazu, dass sie nicht berücksichtigt werden dürfen. Diese Mehrdeutigkeit muss vielmehr in die Gesamtbetrachtung einfließen.[13]OVG, Beschl. v. 27.07.2023, AZ 4 S 11/23, Rn. 10. Jedoch ist Satire nicht politisch neutral.[14]OVG, Beschl. v. 27.07.2023, AZ 4 S 11/23, Rn. 12. Auch ist der satirische Gehalt der Postings hier schwerlich nachvollziehbar. In Gesamtansehung vermag Ps Argument des satirischen Likens daher nicht zu überzeugen. 

Auch greift die Argumentation bezüglich der Meinungsfreiheit nicht. Zwar kann Art. 5 I 1 GG i.R.d. Grenzen des Art. 5 II GG auch verfassungsfeindliche Meinungen schützen, so bedeutet dies nicht, dass diese grenzenlos gewährleistet wird. Vielmehr muss die Meinungsfreiheit mit der Verfassungstreue der Beamt*innen aus Art. 33 V GG abgewogen werden, wobei letzterer hier Vorrang genießt.[15]OVG, Beschl. v. 27.07.2023, AZ 4 S 11/23, Rn. 13.

Dass die Eltern des P gegebenenfalls selbst nicht verfassungsfeindliche Meinungen hegen und dem öffentlichen Dienst angehören, sagt nichts über Ps eigenen Einstellungen aus. Auch ist es für die innere Einstellung gegenüber der Verfassung nicht entscheidend, ob der Beamte ansonsten im Dienst selbst beanstandungsfrei gearbeitet hat – gute Leistungen sagen über die Verfassungstreue nichts aus.[16]OVG, Beschl. v. 27.07.2023, AZ 4 S 11/23, Rn. 7, 11.

Bei der Auslegung des Tatbestands in § 7 III Pol-LVO hat das Land Berlin die Grenzen seines Beurteilungsspielraums eingehalten. 

Anmerkung: Ermessensprüfung
Ein Ermessen muss hier nicht weiter geprüft werden, da es sich um eine gebundene Entscheidung handelt (Vgl. § 7 III Pol-LVO). Darüber hinaus gehen die sachlichen Erwägungen vollständig in der Subsumtion des unbestimmten Rechtsbegriffs auf.

4. Besonderes Vollzugsinteresse

Aus einem Umkehrschluss aus § 80 II 1 Nr. 1–3 VwGO kann geschlossen werden, dass die Rechtsordnung ein grundsätzliches Vollzugsinteresse bei einem Verwaltungsakt erfordert. Das Land begründet dieses mit dem fiskalischen Interesse, vergebliche Zahlungen von Bezügen zu vermeiden. Das Beamtenverhältnis auf Widerruf dient der Ausbildung, nicht der Unterhaltssicherung.[17]OVG, Beschl. v. 27.07.2023, AZ 4 S 11/23, Rn. 14. Insofern ist auch ein besonderes Vollzugsinteresse gegeben.

Anmerkung: Besonderes Eilbedürfnis?
Anders als bei § 123 VwGO setzt die Begründetheit des Antrags insbesondere kein besonderes Eilbedürfnis des Antragstellers voraus!

5. Zwischenergebnis

Die Entlassung des P aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf ist materiell rechtmäßig. Damit überwiegt das öffentliche Vollziehungsinteresse das private Aussetzungsinteresse des P.

III. Ergebnis

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist formell rechtmäßig. Das öffentliche Vollziehungsinteresse überwiegt. Demnach ist der Antrag unbegründet. 

C. Ergebnis

Der Antrag des P hat keinen Erfolg, da er zwar zulässig, aber unbegründet ist.


Zusatzfragen

1. Wie wäre es, wenn keine gesonderte Anhörung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung erfolgt wäre? Ist für die Anordnung eine solche notwendig?
Dies hängt davon ab, ob § 28 VwVfG auf die Anordnung der sofortigen Vollziehung überhaupt anwendbar ist. Das wäre nur anzunehmen, wenn die Anordnung einen Verwaltungsakt darstellt.

Eine Ansicht bejaht dies mit Verweis auf den Rechtsschutz der Bürger*innen. Die herrschende Meinung lehnt dies aber ab. Die Anordnung zur sofortigen Vollziehung ist nur akzessorisch zum Verwaltungsakt. Ohne einen „Hauptverwaltungsakt“ könnte die Anordnung gar nicht bestehen, sodass sie keine eigene materielle Rechtsfolge setzt und mithin keine Regelung i.S.v. § 35 S. 1 VwVfG vorliegt.[18]Vgl. Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, 43. EL (2023), § 80 Rn. 258 ff. Vielmehr hat sie nur verfahrensrechtliche Konsequenzen außerhalb des Verwaltungsverfahrens nach § 9 VwVfG. Ebenfalls ist eine Analogie abzulehnen, da in Angesicht der dezidierten Verfahrensregelungen (Vgl. § 80 III, V 2, VI VwGO) eine planwidrige Regelungslücke zu verneinen ist.

2. Wie verhält sich die Meinungsfreiheit zu nationalsozialistischem Gedankengut? Inwieweit ist dieses verfassungsrechtlich geschützt?
Als Meinung i.S.d. Art. 5 I GG wird grundsätzlich ein Werturteil verstanden, das sich durch ein Element der Stellungnahme und des Dafür- oder Dagegenhaltens auszeichnet. Streng definitorisch fallen darunter auch verfassungswidrige und -feindliche Ansichten. Dies bekräftigte das BVerfG in seiner Wundsiedel-Entscheidung: „Die Bürger sind rechtlich nicht gehalten, die Wertsetzungen der Verfassung persönlich zu teilen. (…) Die Bürger sind (…) frei, grundlegende Wertungen der Verfassung in Frage zu stellen, solange sie dadurch Rechtsgüter anderer nicht gefährden. Die pluralistische Demokratie des Grundgesetzes vertraut auf die Fähigkeit der Gesamtheit der Bürger, sich mit Kritik an der Verfassung auseinanderzusetzen und sie dadurch abzuwehren.“[19]BVerfG, NJW 2010, 47 ff. Erst wenn die Erwartung des Grundgesetzes in den Prozess der politischen Auseinandersetzung enttäuscht wird, kennt es Vereins- (Art. 9 Abs. 2 GG) und Parteiverbote (Art. 21 Abs. 2 GG), um die freiheitliche demokratische Grundordnung vor besonders gefährlichen Verfestigungen verfassungsfeindlicher Tendenzen zu schützen.[20]Kniesel/Poscher, in: Lisken/Denninger, Polizehandbuch, 7. Aufl. 2021, Rn. 165.

Jedoch kann sich auf Ebene der Rechtfertigung etwas anderes ergeben. Einschränkbar ist die Meinungsfreiheit durch Art. 5 II GG, insbesondere die „allgemeinen Gesetze“. Darunter fallen alle Normen, die nicht eine Meinung als solche verbieten, oder sich gegen die Äußerung einer Meinung richten, sondern dem Schutz eines schlechthin ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsguts dienen.[21]BVerfG, NJW 2010, 47 ff., Rn. 54. Gesetze, die sich explizit gegen nationalsozialistische Meinungen richten, wären davon nicht erfasst. Sie sind Sonderrecht. In der soeben genannten Wunsiedel-Entscheidung entwickelte das BVerfG aber eine verfassungsimmanente Ausnahme vom Grundsatz des allgemeinen Gesetzes für Meinungsäußerungen, die auf eine Gutheißung des Nationalsozialismus gerichtet sind. Die Ablehnung des NS-Regimes ist Grundkonsens des Grundgesetzes, das gerade den Gegenentwurf zum Nationalsozialismus darstellt. Dieser geschichtlich begründeten Sonderkonstellation muss auch Art. 5 II GG Rechnung tragen.[22]Vgl. auch Breder/Przygoda, JuS, 2010, 1004 (1008).


Zusammenfassung

1. Die persönliche Eignung von Beamt*innen umfasst die Verfassungstreue.

2. Die Feststellung dieser persönlichen Eignung und Verfassungstreue als unbestimmter Rechtsbegriff sind nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar. Hier reicht es in der Regel aus, dass die Entscheidung sich auf feststellbare und festgestellte äußere Verhaltensweisen von hinreichendem Gewicht stützt und wertend auf eine möglicherweise darin zum Ausdruck kommende innere Einstellung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung geschlossen wird.  

3. Sowohl die Mehrung bestimmter Verhaltensweisen in ihrer Gesamtheit, als auch einzelnes Verhalten, müssen auf ihr Gewicht geprüft werden, um festzustellen, ob die notwendige Verfassungstreue noch gegeben ist.

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