OVG Münster, Beschl. v. 05.05.2023 – 19 B 466/23, BeckRS 2023, 9996; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 03.05.2023 – 17 L 615/23.
Sachverhalt
(abgewandelt und gekürzt)
Im Oktober 2024 soll in der ungarischen Stadt N eine Kampfsportveranstaltung stattfinden. Mitveranstalter ist unter anderem ein deutsches Neonazi-Label. Die genaue Ausgestaltung des Events ist aber nicht bekannt. Durch interne Quellen und die Bewerbung des Events ist jedoch nachweisbar, dass das wesentliche Ziel der Veranstaltung in der transnationalen Vernetzung der rechtsextremen Szene besteht. Schon 2022 sollte eine ähnliche Kampfsportveranstaltung im sächsischen O veranstaltet werden. Dort hatte O die Veranstaltung verboten. Unter Beobachtern gilt daher die Veranstaltung in N als quasi Ersatzveranstaltung für das geplante Kampfsportevent in O.
Jedoch sind diesmal auch andere, neutrale Veranstalter aktiv, die bisher reguläre Sportevents veranstaltet haben.
Teilnehmer und einer der Mitveranstalter soll ebenfalls der V sein. Dieser ist schon oft in der Kampfsport-Szene aktiv gewesen, hat aber auch Verbindungen in die rechte Szene. So soll er in mehreren Gruppierungen, die der rechten Szene zugeordnet werden, führend und tonangebend agieren. Zudem hat er schon Demos mit rechtsextremem Hintergrund organisiert.
Als die Behörden im Bundesland Nordrhein-Westfallen erfuhren, dass eine ganze Gruppe von bisher auffälligen Rechten zu dem Kampfsport-Event reisen wollen, versucht sie dies zu verhindern. Unter anderem gerät der V in den Blickpunkt der Behörden. Insofern ordnete Ende August 2024 die zuständige Behörde (B) die Passentziehung (§ 8 PassG) an. Zudem solle sich der V bei der zuständigen Behörde jeden Tag im Zeitraum der Veranstaltung persönlich melden. Damit sollte ebenso das Ziel verfolgt werden die Ausreise zur Abwehr einer Gefahr für das internationale Ansehen zu verhindern. Diese Maßnahme stützt die B auf die gefahrenabwehrrechtliche Generalklausel, da in dem Bundesland keine spezielle Ermächtigung für eine solche Maßnahme bestehe.
Für die Maßnahmen erklärt die B die Anordnungen für sofort vollziehbar. Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit war ordnungsgemäß begründet. Der V ist schockiert. Das Event habe niemals eine politische Botschaft senden wollen. Er verstehe auch nicht wie seine Teilnahme auf der einen Seite über das PassG und auf der anderen Seite die Ausreise ebenso über das „Polizeigesetz“ verhindert werden kann.
Insbesondere ist er aber verwundert, dass die Anordnung ohne eine Möglichkeit zur Stellungnahme erlassen wurden. Auf eine telefonische Rückfrage habe man ihm nur gesagt, dass Gefahr im Verzug vorliege und daher eine vorherige Anhörung eine nicht hinnehmbare Zeitverzögerung dargestellt hätte.
Der V legt daher am 3.9.2024 einen Antrag auf einsteiligen Rechtsschutz gegen die Maßnahmen beim zuständigen Verwaltungsgericht ein.
Ist der zulässige Antrag nach § 80 V 1 Hs. 2 VwGO begründet?
Auszüge aus dem PassG
§ 7 Passversagung
(1) Der Pass ist zu versagen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, dass der Passbewerber
1. die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet;
[…]§ 8 Passentziehung
Ein Pass oder ein ausschließlich als Passersatz bestimmter amtlicher Ausweis kann dem Inhaber entzogen werden, wenn Tatsachen bekanntwerden, die nach § 7 Absatz 1 die Passversagung rechtfertigen würden.
§ 10 Untersagung der Ausreise
(1) Die für die polizeiliche Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs zuständigen Behörden haben einem Deutschen, dem nach § 7 Absatz 1 ein Pass versagt oder nach § 8 ein Pass entzogen worden ist oder gegen den eine Anordnung nach § 6 Absatz 7 des Personalausweisgesetzes ergangen ist, die Ausreise in das Ausland zu untersagen. Sie können einem Deutschen die Ausreise in das Ausland untersagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass bei ihm die Voraussetzungen nach § 7 Absatz 1 vorliegen oder wenn er keinen zum Grenzübertritt gültigen Pass oder Passersatz mitführt. Sie können einem Deutschen die Ausreise in das Ausland auch untersagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Geltungsbereich oder die Gültigkeitsdauer seines Passes nach § 7 Absatz 2 Satz 1 zu beschränken ist.
[…]Auszüge aus dem PAuswG
§ 6 Gültigkeitsdauer des Ausweises; vorzeitige Beantragung; räumliche Beschränkungen
[…](7) Unter den Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 des Passgesetzes kann die zuständige Behörde im Einzelfall anordnen, dass der Ausweis nicht zum Verlassen Deutschlands berechtigt.
[…]Auszug aus dem PolG NRW
§8 Allgemeine Befugnisse, Begriffsbestimmung
(1) Die Polizei kann die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende, konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (Gefahr) abzuwehren, soweit nicht die §§ 9 bis 46 die Befugnisse der Polizei besonders regeln.
[…]Skizze
Gutachten
Der Antrag des V könnte begründet sein.
Der Antrag nach § 80 V 1 Hs. 2 VwGO ist begründet, wenn die Anordnung der sofortigen Vollziehung formell rechtmäßig ist und/oder nach summarischer Prüfung das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes überwiegt.
I. Formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung
Zunächst müsste die Anordnung der sofortigen Vollziehung formell rechtmäßig sein. Zuständigkeits-, Verfahrens- oder Formvorschriften müssten also eingehalten worden sein. Problematisch könnte hier das Verfahrenserfordernis der Anhörung sein. Grundsätzlich ist der Adressat eines belastenden Verwaltungsaktes nach § 28 I VwVfG vor dem Erlass des Verwaltungsaktes anzuhören. Nach § 28 I VwVfG muss bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit gegeben werden, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Der V wurde aber vor dem Erlass der sofortigen Vollziehung nicht angehört.
Fraglich ist indes, ob im Rahmen der Anordnung der sofortigen Vollziehung überhaupt eine Anhörung nach § 28 VwVfG vor Erlass der Anordnung erfolgen muss.
Eine direkte Anwendung scheidet nach überwiegender Ansicht aus, da es sich bei der Anordnung nicht um einen Verwaltungsakt i.S.d. § 35 VwVfG handelt und der § 28 VwVfG sich ausdrücklich, nach seinem Wortlaut, nur auf Verwaltungsakte bezieht.[1]Anstatt vieler siehe Gersdorf, in: BeckOK VwGO, 61. Ed. 1.7.2021, § 80 Rn. 81; Schoch, in: Schoch/Schneider, 42. EL Februar 2022, § 80 VwGO Rn. 258.
Gegen eine analoge Anwendung wird vorgetragen, dass die Analogievoraussetzungen nicht erfüllt sind. Es fehle an der planwidrigen Regelungslücke, da die § 80 II 1 Nr. 4, III VwGO abschließend die formellen Voraussetzungen an die Anordnung der sofortigen Vollziehung regeln. Außerdem läge keine vergleichbare Interessenlage vor. Die Anhörung dient auch dazu, dem Beteiligten vor Fristversäumung und Bestandskraft die Möglichkeit der Stellungnahme zu geben. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung kann im Gegensatz zum Verwaltungsakt jedoch nicht bestandskräftig werden.[2]Gersdorf, in: BeckOK VwGO, 61. Ed. 1.7.2021, § 80 Rn. 81; a.A. Müller, NVwZ 1988, 702ff. Demnach scheidet auch eine analoge Anwendung des § 28 VwVfG aus.
Insofern kann hier die sofortige Vollziehung ohne Anhörung formell rechtmäßig angeordnet werden. Die restlichen formellen Voraussetzungen wurden erfüllt. Insbesondere wurde die Anordnung hinreichend begründet.
Vernetztes Lernen: Woraus ergibt sich das Begründungserfordernis und kann diese bei Unterbleiben nachgeholt werden?Gemäß § 80 III 1 VwGO ist bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 II 1 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Ob die Begründung zutrifft, ist jedoch eine Frage der materiellen Rechtmäßigkeit. Lediglich relevant ist, dass die Begründung einer formellen Betrachtung nach schlüssig und substantiiert ist.
Dabei darf nicht lediglich der Gesetzestext wiedergegeben werden. Vielmehr muss die schriftliche Begründung in nachvollziehbarer Weise die Erwägungen erkennen lassen, die die Behörde zur Anordnung der sofortigen Vollziehung veranlasst haben. Unter Beachtung des konkreten Falls müssen ebenso die Ermessenserwägungen aus der Begründung hervorgehen.[3]Gersdorf, in: BeckOK VwGO, 61. Ed. 1.7.2021, § 80 Rn. 87.
Fraglich ist, ob bei mangelnder oder fehlender Begründung diese noch nachgeholt werden kann. Zunächst käme durch eine nachträgliche Begründung eine Heilung nach § 45 I Nr. 2 VwVfG in Betracht. Der § 45 VwVfG gilt seinem Wortlaut nach nur für Verwaltungsakte, sodass auch hier, wenn überhaupt, eine analoge Anwendung möglich wäre. Eine Heilungsmöglichkeit wird mit dem rechtsstaatlichen Standpunkt der Prozessökonomie begründet, sodass eine Nachholung der fehlenden bzw. unzureichenden Begründung bis zur Stellung eines Eilantrags gemäß § 80 V VwGO oder sogar noch im gerichtlichen Aussetzungsverfahren möglich sein soll.[4]OVG Berlin NJW 1966, 798; LKV 1992, 333; OVG Bln-Bbg NVwZ-RR 2008, 727; OVG Bremen NJW 1968, 1539, 1540 f.
Nach der anderen Ansicht ist eine Heilung nicht möglich. Eine Heilungsmöglichkeit widerspräche dem Schutzzweck der Vorschrift und könnte in der Praxis zu deren Aushöhlung führen. Es wäre mit der Warn- und Appellfunktion des Schriftlichkeitserfordernisses unvereinbar, da beim Fehlen jeglicher Sanktionen diese Anforderung andernfalls nicht mehr ernst genommen würde. Deswegen müsse im Zeitpunkt der Verfügung der Maßnahme die Warnfunktion nach § 80 II 1 Nr. 4 VwGO in der Begründung seinen Niederschlag finden, und nicht etwa bei einer späteren Gelegenheit.[5]Schoch, in: Schneider/Schoch, 44. EL März 2023, VwGO § 80 Rn. 249.
Der Behörde steht es nach den die Nachholung ablehnenden Ansichten offen, eine neue formell ordnungsgemäße sofortige Vollziehung zu erlassen. Ebenso kann in Einzelfällen in einer schriftlichen Nachbesserung eine erneute sofortige Vollziehung gesehen werden, die jedoch dann ebenso nur für die Zukunft gilt.[6]München NJW 2002, 3044; Schenke VerwArch 2000, 587, 600, 604.
II. Interessenabwägung
Jedoch könnte das private Aussetzungsinteresse des V das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes überwiegen. Dies richtet sich nach den Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Demnach überwiegt das Aussetzungsinteresse das Vollziehungsinteresse, wenn sich der angefochtene Verwaltungsakt nach summarischer Prüfung als rechtswidrig erweist und den Kläger in seinen Rechten verletzt.
1. Ermächtigungsgrundlage
Die Verpflichtung des V jeden Tag während der Veranstaltung persönlich bei der B vorzusprechen, stellt eine sogenannte Meldeauflage dar. Eine Meldeauflage ist eine Maßnahme, die den Adressaten daran hindern soll, zu einer bestimmten Zeit einen bestimmten Ort aufzusuchen. In NRW ist die Meldeauflage nicht spezialgesetzlich geregelt. Insofern kann diese nur auf die Generalklausel gestützt werden, § 8 PolG NRW.
Anmerkung: Meldeauflage in den Polizei- und OrdnungsgesetzenTeilweise ist die Maßnahme der Meldeauflage explizit in den Polizei- und Ordnungsgesetzen der Länder geregelt, Art. 16 Abs. 2 S. 2 BayPAG, § 15a Abs. 1 BbgPolG, § 29c S. 1 ASOG. Falls die Meldeauflage nicht als Standardmaßnahme normiert ist, muss auf die Generalklausel der Gefahrenabwehrermächtigung zurückgegriffen werden. .
Problematisch könnte jedoch der Reglungszweck – die Ausreise zur Abwehr einer Gefahr für das internationale Ansehen zu verhindern – sein. Die Anwendung der polizeilichen Generalklausel ist mit Blick auf die speziellere bundesrechtliche Regelung in §§ 7 und 8 PassG grundsätzlich ausgeschlossen. Die Vorschriften des PassG sind abschließend, soweit die Ausreise eines Bundesbürgers zur Abwehr einer Gefahr für die innere oder äußere Sicherheit oder zum Schutz sonstiger erheblicher Belange der Bundesrepublik Deutschland verhindert werden soll (s. § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG). Die Behörde stützt den Zweck der Maßnahme einzig und allein auf die Verhinderung zur Abwehr einer Gefahr für das internationale Ansehen. Das ist gerade ein Regelungsgehalt der den Vorschriften des PassG vorbehalten bleibt. Anders wäre die Situation zu beurteilen, wenn zudem oder vorrangig Straftaten durch die Meldeauflage verhindert werden sollen.[7]So auch VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 03.05.2023, Az. 17 L 615/23, Rn. 7.. Mithin findet das Polizeirecht keine Anwendung, sodass die Meldeauflage auf keiner Ermächtigungsgrundlage basiert und rechtswidrig ist.
Für die Passentziehung ist § 8 PassG die Ermächtigungsgrundlage. Nach § 8 PassG kann ein Pass dem Inhaber entzogen werden, wenn Tatsachen bekanntwerden, die nach § 7 I PassG die Passversagung rechtfertigen würden.
Vernetztes Lernen: Spezialgesetzliche Regelungen zur Rücknahme und Widerruf von Verwaltungsakten mit ExamensrelevanzBekannt dürften aus dem Verwaltungsrecht die §§ 48, 49 VwVfG für die Rücknahme und den Widerruf von Verwaltungsakten sein. Diese finden jedoch nur Anwendung, wenn keine spezialgesetzliche Regelung vorhanden ist.
Examensrelevant ist immer wieder der Widerruf von waffenrechtlichen Erlaubnissen. Der Widerruf findet seine Rechtsgrundlage in § 45 II 1 WaffG. Danach ist eine waffenrechtliche Erlaubnis zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen.
Weitere spezialgesetzliche Reglungen die man kennen sollte, sind der Widerruf der Gaststättenerlaubnis nach § 15 II GastG und der Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltskammer gem. § 7 BRAO.
2. Formelle Rechtmäßigkeit
Zudem müssten die formellen Zuständigkeits-, Verfahrens- und Formvoraussetzungen eingehalten worden sein. Problematisch ist indes auch hier die Einhaltung des Anhörungserfordernisses. Grundsätzlich ist bei einem belastenden Verwaltungsakt der Adressat vor dem Erlass anzuhören. Ausnahmen des Anhörungserfordernisses sind in § 28 II VwVfG normiert. Nach § 28 II Nr. 1 VwVfG kann von der Anhörung abgesehen werden, wenn eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug notwendig erscheint. Auf diese Ausnahme beruft sich die B. Eine Anhörung hätte zu erheblichen Zeitverlust geführt. Allgemein tritt Gefahr in Verzug ein, wenn durch eine vorherige Anhörung auch bei Gewährung kürzester Anhörungsfristen ein Zeitverlust einträte, der mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Folge hätte, dass die behördliche Maßnahme zu spät käme, um ihren Zweck noch zu erreichen.[8]BVerwG NJW 2012, 2823 Rn. 14. Dabei können auch telefonische Anhörungen in Betracht gezogen werden. Jedenfalls wäre durch eine solche kein erheblicher Zeitverlust entstanden. Bis zum Event war noch mindestens ein Monat. In dieser Zeit hätte gar eine postalisch gesetzte Frist noch eingehalten werden können. Insofern lag kein Gefahr in Verzug vor.
Damit ist der Verwaltungsakt grundsätzlich formell rechtswidrig.
§ 45 I Nr. 3 VwVfG gestattet jedoch ausdrücklich die Heilung von Anhörungsfehlern. Die Heilung kann dabei bis zum Ende des Vorverfahrens, bis zur Klageerhebung, und sogar bis zum Abschluss eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens stattfinden. Damit erging die Passentziehung zwar formelle rechtswidrig, die Anhörung kann jedoch nachgeholt werden.
3. Materielle Rechtmäßigkeit
Die Passentziehung müsste materiell rechtmäßig sein. Nach § 8 PassG kann ein Pass oder ein ausschließlich als Passersatz bestimmter amtlicher Ausweis dem Inhaber entzogen werden, wenn Tatsachen bekanntwerden, die nach § 7 I PassG die Passversagung rechtfertigen würden. Voraussetzung ist daher das Vorliegen eines Versagungsgrundes nach § 7 I PassG.
a) Versagungsgrund
In Betracht kommt der Versagungsgrund des § 7 I Nr. 1 PassG. Demnach müssen die Gefährdung der inneren oder äußeren Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik betroffen sein. Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ist gefährdet, wenn darauf zu schließen ist, dass der Passbewerber das innere Gefüge des Staates untergräbt oder zu untergraben beabsichtigt. Insbesondere ist die innere Sicherheit betroffen, wenn erwartet werden muss, dass der Passbewerber kriminelle, insbesondere terroristische Handlungen gegen die Bundesrepublik und deren demokratische Grundordnung ausführen wird. Die äußere Sicherheit ist durch die Vorbereitung von Angriffen auf das Bundesgebiet gefährdet, die von dem Passbewerber im Ausland zu befürchten ist.[9]Hornung, in: Hornung/Möller, PassG § 7 Rn10. Vorliegend ist indes nicht die Verhütung der Planung eines Aktes mit gewaltbereiter Angriffsrichtung geplant. Die B stellt daher auch auf das Ansehen der Bundesrepublik als gefährdetes Rechtsgut ab. Damit ist indes nicht die Sicherheit der Bundesrepublik iSd § 7 PassG betroffen.
Das internationale Ansehen könnte aber unter die sonstigen erheblichen Belange fallen. Der Begriff „sonstige erhebliche Belange“ ist als ein unbestimmter Rechtsbegriff zu werten, dessen Vorliegen in vollem Umfang nachprüfbar ist.[10]OVG Münster, Beschl. v. 05.05.2023 – 19 B 466/23, Rn. 5. Dies folgt aus dem Prinzip des effektiven Rechtsschutzes.
Dabei umfasst der Begriff Tatbestände, die in ihrer Erheblichkeit den beiden anderen Tatbestandsvarianten nahekommt.[11]BVerwG, Urteil vom 29.05.2019, 6 C 8.18, Rn. 20.
Als eine Gefährdung erheblicher Belange der Bundesrepublik Deutschland können demnach auch Handlungen gewertet werden, die geeignet sind, dem internationalen Ansehen Deutschlands zu schaden. Insbesondere können das internationale Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik Deutschland erheblichen Schaden erleiden, wenn der Eindruck entstünde, es würde nicht versucht, den Neonazismus, insbesondere grenzüberschreitend, zu unterbinden.[12]VG Köln, Beschl. v. 24. November 2020 – 10 K 1309/20 -, juris, Rn. 13. Die Veranstaltung sollte nach der B auch der Darstellung der Neonazi-Szene dienen. Erhebliche Belange sind daher betroffen.
b) Gefährdungslage
Aus dem Wortlaut ergibt sich, dass darüber hinaus auch eine entsprechende Gefährdungslage bestehen muss. Für die Beurteilung ist daher eine Gefahrenprognose anzustellen. § 7 PassG verlangt, dass bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, dass erhebliche Belange gefährdet sein, also konkrete Tatsachen vorliegen, die die Begründetheit der behördlichen Gefahreneinschätzung nachvollziehbar rechtfertigen. Die Anknüpfungstatsachen für die Gefahrenprognose müssen nach Zeit, Ort und Inhalt so konkret gefasst sein, dass sie einer Überprüfung im gerichtlichen Verfahren zugänglich sind.
Für die Gefahreneinschätzung sind aber keine eindeutigen Beweise notwendig. Ausreichend ist eine auf Tatsachen gestützte positive Gefahrenprognose. Auf der anderen Seite reicht eine bloße Möglichkeit oder eine reine Vermutung nicht aus.[13]Beimowski/Gawron, PassG § 7 Rn. 27..
Voraussetzung ist daher hier, dass durch die Ausreise und Teilnahme an dem Kampfsportevent die Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik bei der Bekämpfung des Nationalsozialismus gefährdet ist. Ausgangspunkt für die Bewertung ist die zentrale Position des V in der rechten Szene und sein früheres Auftreten als Veranstalter ähnlich ausgerichteter Veranstaltungen. Die Veranstaltung in O wurde gar verboten. Dies alleine kann aber keine hinreichende Gefahrenprognose belegen. Viel mehr wären konkrete Anhaltspunkte dafür erforderlich, dass die Veranstaltung als Bühne für rechtsextremistische politische Agitation benutzt, zu Gewalt aufgerufen oder gewaltverherrlichende Äußerungen getätigt werden sollen. Darüber bestehen indes keine Informationen der Behörden über die Ausgestaltung des Events. Mit in die Bewertung aufzunehmen ist zudem, dass die Mitveranstalter des Events bisher nicht rechtsextrem in Erscheinung getreten sind. Zwar wird vermutet, dass das Event zu Festigung der transnationalen Beziehungen der rechten Szene genutzt wird, eine nach Außen wahrnehmbare politische Botschaft kann aber nicht nachgewiesen werden. Insbesondere bestehen keine Erkenntnisse darüber, ob die Teilnehmer Reden abhalten oder politische Botschaften mit dem Sportevent verbunden sind. Eine Außenwirkung von politischen Botschaften wird daher nicht erzielt. Mangels Außenwirkung hat die reine Veranstaltungsteilnahme daher keine Eignung, das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland in einer Weise zu beschädigen, die in ihrer Erheblichkeit einer Gefährdung der inneren oder äußeren Sicherheit nahekommt.
Anmerkung: Andere Bewertung der SachlageEine andere Ansicht kann oder ist gar zwingend geboten, wenn mit dem Sportevent erkennbare politische Botschaften verbunden sind. In einem Sachverhalt kann dies leicht eingebaut werden, indem das Programm des Events mit rechtsextremen Reden, die gar in Deutschland verboten wären, gespickt wird.
III. Ergebnis
Die Anordnungen waren daher formell und materiell rechtswidrig. Das Aussetzungsinteresse überwiegt den Vollzugsinteresse. Der Antrag des V ist begründet.
Zusatzfragen
1. Welche Ermächtigungsgrundlagen kommen noch in Betracht um eine Ausreise zu verhindern (siehe abgedruckte Normen)?Möglich wäre zunächst eine Ausreiseuntersagung nach § 10 PassG. Demnach können die für die polizeiliche Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs zuständigen Behörden einem Deutschen, dem nach § 7 I ein Pass versagt oder nach § 8 ein Pass entzogen worden ist oder gegen den eine Anordnung nach § 6 VII des PAuswG ergangen ist, die Ausreise in das Ausland untersagen.[14]näher dazu Beimowski/Gawron, PassG § 10 Rn. 6ff. Zudem käme die räumliche Beschränkung des Personalausweises nach § 6 VII PAuswG in Betracht. Dieser setzt aber ebenso das Vorliegen der Voraussetzungen des § 7 PassG voraus.
Insofern ist es für die Behörden bei der Ausreise für rechte Sportevents schwierig die Ausreise zu verhindern.[15]siehe OVG Sachsen, 15.08.2023 – 3 E 45/23..
Jede Gefahrenprognose ist nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts nach einer Korrelation aus Eintrittswahrscheinlichkeit und möglichem Schadensausmaß vorzunehmen. Dabei gilt zu Bewertung die Je-Desto-Formel. Je größer die möglichen Schäden sind, desto geringer Anforderungen sind an die Erkenntnistatsachen zu stellen. Anders gewendet bedeutet dies, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist.
Zusammenfassung
1. Vorschriften des PassG sind abschließend, soweit die Ausreise eines Bundesbürgers zur Abwehr einer Gefahr für die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland verhindert werden soll.
2. Als eine Gefährdung erheblicher Belange der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des § 7 I Nr. 1 PassG können unter besonderen Umständen auch Handlungen gewertet werden, die geeignet sind, dem internationalen Ansehen Deutschlands zu schaden.
3. Eine bloße Möglichkeit, eine reine Vermutung oder ein durch konkrete Tatsachen nicht belegbarer Verdacht genügen nicht, um eine konkrete Gefährdungslage im Sinn des § 7 I PassG zu begründen.