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Parteienfinanzierung: Mehr Geld nur begründet

BVerfG, Urt. v. 24.01.2023 – 2 BvF 2/18; NJW 2023, 672

Sachverhalt

(abgewandelt und gekürzt)

Der Bundestag beschließt mit den die Regierung tragenden Fraktionen ein neues Gesetz zur Erhöhung der Parteienfinanzierung.

Die staatliche Teilfinanzierung politischer Parteien richtet sich in ihrer Verteilung nach dem Wahlerfolg, den Mitgliedsbeiträgen und den erhaltenden Spenden der jeweiligen Partei. Als relative Obergrenze gilt, dass die Höhe der staatlichen Teilfinanzierung die selbst erwirtschafteten Einnahmen nicht übersteigen darf. Ferner besteht eine absolute Obergrenze, die sich an einem Preisindex orientiert und 2018 für alle Parteien insgesamt 165 Mio. € betragen hätte. Das neue Gesetz, beschlossen am 10.07.2018, hebt die absolute Obergrenze auf 190 Mio. € an, die dann bei der im Jahr 2019 erfolgenden Festsetzung der Auszahlungen staatlicher Mittel an die Parteien maßgeblich sein soll. In der Begründung des Gesetzesentwurf wird unter näherer Schilderung der digitalisierungsbezogenen, veränderten Verhältnisse (mehrere Informationskanäle müssten bedient, umfangreiche Datenschutzregelungen dabei eingehalten werden, neue Möglichkeiten innerparteilicher Partizipation usw.) ausgeführt, dass die Anhebung aufgrund der Digitalisierung der Kommunikationswege und der Medien erforderlich sei. Durch die Digitalisierung entstünde ein erheblicher finanzieller Mehrbedarf.

Die Abgeordneten der damaligen Oppositionsfraktionen ziehen gegen die Anhebung der absoluten Obergrenze vor das BVerfG. Sie sind der Meinung, dass schon das Gesetzgebungsverfahren nicht ordnungsgemäß abgelaufen sei. So haben – was zutrifft – zwischen der Verteilung des Gesetzentwurfs und dem Beschluss in dritter Lesung nur 10 Tage gelegen, ohne dass für die Kürze der Beratungszeit Gründe vorgebracht wurden. Die Öffentlichkeit habe ferner durch diesen begrenzten Zeitraum keine ausreichende Möglichkeit gehabt, von dem neuen Gesetz Kenntnis zu nehmen und es gegebenenfalls zu kritisieren. Auch materiell sei das Gesetz verfassungswidrig. Schließlich werde ein erhöhter Finanzbedarf zwar dem Grunde nach begründet, warum die Obergrenze aber nun bei 190 Mio. € liegen solle, sei nicht ersichtlich und wird – was zutrifft – in der Gesetzesbegründung auch nicht weiter erläutert. Auch würden mögliche Einsparpotenziale aufgrund der Digitalisierung nicht berücksichtigt. Vielmehr habe die Gesetzesbegründung – was ebenfalls zutrifft – darauf abgestellt, dass mit der Hebung der absoluten Obergrenze die 2015 erfolgte Erhöhung der relativen Obergrenze auch realisiert werden könne, weil die an der relativen Obergrenze orientierten Zuwendungen anderenfalls, d.h. ohne Erhöhung der absoluten Obergrenze, möglicherweise nicht voll berücksichtigt werden könnten, sondern anteilig zu kürzen wären.

Ist die Anhebung der absoluten Obergrenze verfassungswidrig?


Skizze


Gutachten

Die Anhebung der absoluten Obergrenze könnte formell und/oder materiell verfassungswidrig sein.

Vernetztes Lernen: In welchem Verfahren vor dem BVerfG wäre das im Fall zu prüfen?
Die Abgeordneten der Oppositionsfraktionen machen nicht die Verletzung eigener Rechte geltend sondern wenden sich davon losgelöst an das BVerfG. Einschlägig wäre die abstrakte Normenkontrolle gem. Art. 93 I Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 I BVerfGG.
Vernetztes Lernen: Welche Prüfungsschritte bestehen hierfür in der Zulässigkeit?
I. Zuständigkeit
Art. 93 I Nr. 2 GG, § 13 Nr. 6 BVerfGG
II. Antragsberechtigung
Art. 93 I Nr. 2, § 76 I BVerfGG: Bundesregierung, Landesregierung oder ein Viertel der MdB
III. Antragsgegenstand
Art. 93 I Nr. 2 GG, § 76 I BVerfGG: Bundes- oder Landesrecht
IV. Antragsgrund
Art. 93 I Nr. 2 GG: Meinungsverschiedenheiten oder Zweifel;
§ 76 I BVerfGG: „Für-nichtig-halten“, d.h. Überzeugung von der Nichtigkeit
– Umgang mit Diskrepanz: Verfassungskonforme Auslegung, Teilnichtigkeit des § 76 I BVerfGG, dann genügen jeweils Zweifel; oder zulässige Konkretisierung i.S.v. Art. 94 II 1 GG, dann ist Überzeugung von Nichtigkeit erforderlich.
V. Objektives Klarstellungsinteresse
– Indiziert durch Antrag; nur ausnahmsweise etwa dann zu verneinen, wenn die betreffende Norm außer Kraft getreten ist und keine Rechtswirkungen mehr von ihr ausgehen oder wenn die Gültigkeit der Norm in einem Parallelverfahren geprüft wird.
VI. Form
§ 23 I BVerfGG; keine Frist

A. Formelle Verfassungsmäßigkeit

Das Gesetz wäre verfassungswidrig, wenn es nicht die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gesetzgebungskompetenz, das Gesetzgebungsverfahren und/oder die Form eingehalten hat.

I. Gesetzgebungskompetenz

Der Bundesgesetzgeber ist nach Art. 21 V GG ausschließlich gesetzgebungskompetent.

II. Gesetzgebungsverfahren

Das Gesetzgebungsverfahren könnte verfassungswidrig abgelaufen sein, indem zwischen der Verteilung des Gesetzentwurfs und dem Beschluss nur zehn Tage lagen. Nach Art. 77 I GG werden die Gesetze vom Bundestag beschlossen. Eine konkrete Dauer der Beratung sieht das GG nicht vor. Es bedarf aber der Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, um zu beurteilen, wann die Beratungsdauer angemessen ist, wobei es grundsätzlich der Parlamentsmehrheit obliegt, die Prioritäten und Abläufe zu bestimmen.[1]BVerfG NJW 2023, 672, 673. Dabei sind insbesondere der Grundsatz der gleichberechtigten Teilhabe der Abgeordneten gem. Art. 38 I 2 GG und der Grundsatz der Parlamentsöffentlichkeit gem. Art. 42 I 1 GG zu beachten.

1. Grundsatz der gleichberechtigten Teilhabe der Abgeordneten

Alle Abgeordnete haben als Ausfluss des Art. 38 I 2 GG den gleichen Status. Sie haben das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe an der parlamentarischen Willensbildung, wozu auch das Recht gehört, auf der Grundlage hinreichender Informationen zu beraten und an der Beschlussfassung des Parlaments mitzuwirken.[2]BVerfG NJW 2023, 672, 673.

Vernetztes Lernen: Welche grundlegenden Statusrechte werden neben dem Recht auf gleichberechtigte Teilhabe an der parlamentarischen Willensbildung gewährleistet?
Art. 38 I 2 GG gewährleistet verschiedene Mitgliedschafts- und Statusrechte. Es geht vornehmlich um das Recht auf Mitwirkung im Bundestag.[3]S. näher Butzer, in: BeckOK-GG, 51. Ed. Stand: 15.02.2023, Art. 38 Rn. 137 ff.; Maurer, Staatsrecht I, 6. Aufl. 2010, § 13 Rn. 70 f.; s. aus unserem Repertoir die Fälle zur Wahl des Präsidiums im … Continue reading Dazu gehören v. a.:
– Anwesenheitsrecht bei Sitzungen des Bundestages
– Rederecht
– Antrags- und Initiativrecht
– Recht zu kandidieren
– Abstimmungsrecht
– Frage- und Informationsrecht ggü. der Bundesregierung
– Recht sich in Fraktionen zusammenzuschließen
Abgeordnete können diese Rechte insbesondere im Rahmen des Organstreitverfahrens gem. Art. 93 I Nr. 1 GG, §§ 13 NR. 5, 63 ff. BVerfGG geltend machen. Ganz ausnahmsweise, wenn sie eine Statusrechtsverletzung nicht anders vor dem BVerfG geltend machen können, ist nach dem BVerfG auch die Verfassungsbeschwerde statthaft.[4]Näher Butzer, in: BeckOK-GG, 51. Ed. Stand: 15.02.2023, Art. 38 Rn. 173 ff.
2. Grundsatz der Parlamentsöffentlichkeit

Nach Art. 42 I 1 GG verhandelt der Bundestag öffentlich. Der hierin zum Ausdruck kommende Grundsatz der Parlamentsöffentlichkeit ermöglicht Bürger*innen eine Kontrolle und bezweckt damit die Rückkoppelung des Parlaments an das Wahlvolk.[5]BVerfG NJW 2023, 672, 674. Die Parlamentsöffentlichkeit ermöglicht einen öffentlichen Diskurs als wesentliches Element der parlamentarischen Demokratie.[6]Ebd. Damit die Öffentlichkeit durch diesen Diskurs widerstreitende Interessen ausgleichen kann, muss gerade wichtigen Entscheidungen ein Gesetzgebungsverfahren vorausliegen, das eine öffentliche Debatte über das Vorhaben  ermöglicht.[7]Ebd. Hier scheint, auch wenn das BVerfG das nicht explizit macht, das insb. von Jürgen Habermas vertretene und entwickelte demokratietheoretische Konzept der deliberativen Demokratie durch. Näher … Continue reading

3. Hinreichende Berücksichtigung von 1. und 2. im Gesetzgebungsverfahren

Die verkürzte Beratungszeit im Hinblick auf das fragliche Gesetzesvorhaben könnte gegen die gleichberechtigte Teilhabe der Abgeordneten gem. Art. 38 I 2 GG sowie den Grundsatz der Parlamentsöffentlichkeit gem. Art. 42 I GG verstoßen. Inwieweit diese Grundsätze das Gesetzgebungsverfahren im Hinblick auf die Beratung(-szeit) binden und wie sie mit dem Gestaltungsspielraum der Parlamentsmehrheit ins Verhältnis zu setzen sind, ist bislang nicht geklärt. Jedenfalls eine missbräuchliche, sachgrundlose Beschleunigung des Vorhabens bei Außerachtlassen der genannten Grundsätze ist aber unzulässig.[8]Zum Absatz BVerfG NJW 2023, 672, 674.

Für die Angemessenheit der zehntägigen Beratungsdauer könnte die Überschaubarkeit und Nachvollziehbarkeit des Beratungsgegenstandes sprechen. Andererseits wurden keine Gründe für die Kürze der Beratungszeit vorgebracht. Das im Juli beschlossene Gesetz betraf eine Festsetzung, die erst im Jahr 2019, also im nächsten Jahr, erfolgen sollte. Insbesondere im Hinblick auf Abgeordnete der Fraktionen, die bei der Einbringung des Entwurfs als Opposition noch nicht beteiligt waren, erscheint es möglich, dass eine ausreichende Informationszeit nicht gegeben war. Denkbar ist, dass vor dem Hintergrund des Gesetzesinhalts eine zu lange Beratungszeit ausgeschlossen werden sollte, um eine zu starke Debatte über die Inhalte und eine Gegenöffentlichkeit auszuschließen.[9]Zum Absatz BVerfG NJW 2023, 672, 674 f. mit Verweis auf die insofern unterschiedlichen Auffassungen der verschiedenen Antragssteller*innen und die Ausführungen des Sachverständigen. Es bestand daher kein ersichtlicher, sachlicher Grund für die kurze Beratungsdauer. Vielmehr erscheint es möglich, dass diese sachwidrig einer intensiven Debatte entgegenwirken wollte. Vor dieser Folie verstößt das kurze Gesetzgebungsverfahren gegen die Grundsätze der gleichberechtigten Teilhabe der Abgeordneten aus Art. 38 I 2 GG und der Parlamentsöffentlichkeit gem. Art. 42 I GG. Diese Verstöße führen zur formellen Verfassungswidrigkeit des Gesetzes.[10]S. zur Frage, ob bei Verstößen gegen Vorschriften des Gesetzgebungsverfahrens, die formelle Verfassungswidrigkeit folgt oder nicht, weil es sich um „bloße Ordnungsvorschriften“ handelt, … Continue reading

Wichtige (!) Anmerkung: Prüfung des BVerfG
Im konkreten Fall lässt es das BVerfG – anders als die hier vorgeschlagene Lösung – offen, ob die kurze Beratungsdauer gegen Art. 38 I 2 GG und Art. 42 I GG verstößt und daraus die formelle Verfassungswidrigkeit des Gesetzes folgt. Das könne dahinstehen, weil das Gesetz – Achtung: Spoiler-Alarm – gegen Art. 21 I GG verstoße. In einer Klausur im Modus der Ersten Prüfung sollte man aber klar Stellung beziehen, ob ein Verstoß vorliegt oder nicht – man schreibt schließlich ein Gutachten.
Die Ausführungen des BVerfG können trotz des Offenlassens als Warnung an den Gesetzgeber gelesen werden, es mit der Kürze der Beratungsdauer nicht zu übertreiben. Angesichts des Offenlassens erscheint in einer Klausur eine andere Ansicht mit Blick auf die (geringe) Schwierigkeit des Beratungsgegenstands und den verfahrensbezogenen Gestaltungsspielraum der Parlamentsmehrheit (noch) vertretbar.
Dabei dürfte es auf den jeweiligen Beratungsgegenstand ankommen und allgemein gelten:
1. Je komplizierter der Beratungsgegenstand, desto länger muss die Beratungsdauer sein;
2. je höher das öffentliche Interesse, desto länger muss die Beratungsdauer sein, damit eine ausreichende öffentliche und parlamentarische Debatte und Kontrolle stattfinden kann;
3. je dringlicher die Gesetzesänderung, desto kürzer darf die Beratungsdauer sein;
und jeweils vice versa. Nach dieser Maßgabe können die jeweiligen Verfassungsgüter nach dem Grundsatz praktischer Konkordanz [11]Näher und grundlegend Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1995, Rn. 72. zu größtmöglicher Wirksamkeit gelangen. S. auch noch die Zusatzfrage unten.
Dass hiermit keine Rechtssicherheit schaffende, allgemeine Grenzlinie gegeben ist, ist angesichts des Gestaltungsspielraums der Parlamentsmehrheit hinzunehmen. Die Prüfungsintensität des BVerfG ist dann zurückgenommen und auf unvertretbare und missbräuchliche, etwa sachwidrig begründete (z.B. mit der Verhinderung einer öffentlichen Debatte) Ansetzungen einer kurzen Dauer der parlamentarischen Debatte begrenzt.

III. Zwischenergebnis

Das Gesetz ist bereits formell verfassungswidrig

B. Materielle Verfassungsmäßigkeit

Ferner könnte das Gesetz zur Anhebung der absoluten Obergrenze der staatlichen Parteienfinanzierung gegen Art. 21 I GG verstoßen. Dafür müsste das neue Gesetz gegen die grundgesetzlichen Anforderungen an die staatliche Teilfinanzierung politischer Parteien verstoßen.

I. Verfassungsrechtliche Anforderungen an die staatliche Teilfinanzierung politischer Parteien

1. Ausgangspunkt: Vermittlerrolle und Staatsfreiheit der Parteien

Gem. Art. 21 I 1 GG wirken politische Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Damit sie ihre verfassungsrechtliche Vermittlerrolle zwischen Staat und Gesellschaft wahrnehmen können, kann der Staat politischen Parteien Mittel für die Finanzierung dieser Tätigkeit gewähren.[12]BVerfG NJW 2023, 672, 675. Dabei ist die Finanzierung aufgrund der ständigen Rückkoppelung zwischen Volk, Parteien und Staatsorganen nicht auf die Wahlkampfkosten beschränkt.[13]Ebd.

Es gilt hierbei der Grundsatz der Staatsfreiheit der Parteien, der es dem Staat verbietet, auf die Willensbildung der Parteien Einfluss zu nehmen.[14]BVerfG NJW 2023, 672, 675 f., zum ganzen Absatz. Die Willensbildung verläuft in der Richtung vom Volk über die Parteien zum Staat und nicht andersherum. Das verlangt die Unabhängigkeit der Parteien vom Staat und ihre Verwurzelung im gesellschaftlichen Bereich. Parteien müssen daher auf die zivilgesellschaftliche und mitgliedschaftliche finanzielle Unterstützung angewiesen bleiben. Eine alleinige oder überwiegende staatliche Unterstützung verletzte den Grundsatz der Staatsfreiheit der Parteien. Erforderlich ist daher einerseits die im Sachverhalt genannte relative Obergrenze der staatlichen Parteienfinanzierung in Abhängigkeit der nicht-staatlichen finanziellen Unterstützung. Das sichert die maßgebliche Verwurzelung in der Gesellschaft.

2. Absolute Obergrenze der Parteienfinanzierung

Staatsfreiheit der Parteien verlangt aber andererseits auch, dass die staatliche Finanzierung nicht absolut grenzenlos ist, sodass ihnen nicht mehr zugewendet wird, als Parteien bei sparsamer Mittelverwendung benötigen.[15]BVerfG NJW 2023, 672, 676 f., zum ganzen Absatz und zur Kritik an der absoluten Obergrenze; neuerdings kritisch und spitz Lenz/Gerhold, NVwZ 2023, 375, 376 f. auch mit Verweis auf andere Staaten mit … Continue reading Eine nach oben offene Finanzierung gefährdete das Ansehen der Parteien, das BVerfG spricht von „Selbstbedienung“, und damit auch ihre Fähigkeit, ihre verfassungsrechtliche Vermittlerrolle auszuführen.[16]A.A. Lenz/Gerhold, NVwZ 2023, 375, 377, die dabei aber nicht in Rechnung stellen, dass es wegen der Besonderheit der Materie, keine dem sonstigen parlamentarischen Verfahren vergleichbare Opposition … Continue reading Daher besteht eine absolute Obergrenze der Parteienfinanzierung, die sich danach bemisst, „was zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit sowie zur Erfüllung des Verfassungsauftrags der Parteien unerlässlich ist und von ihnen nicht selbst aufgebracht werden kann“[17]BVerfG NJW 2023, 672, 676..

3. Anforderungen bei Anhebung der absoluten Obergrenze

Der Grundsatz der Staatsfreiheit der Parteien begrenzt daher die Anhebung der absoluten Finanzierungsobergrenze.[18]Zum Absatz BVerfG NJW 2023, 672, 677 f. Neben der Zulässigkeit der Anhebung aufgrund der Preisentwicklung kann eine solche v.a. zulässig sein, weil sich die für die Erfüllung des Verfassungsauftrags gem. Art. 21 I GG (Vermittlerrolle) relevanten Verhältnisse geändert haben. Trifft das zu, kann der Vorwurf einer zu starken Selbstbedienung der Parteien nicht erhoben werden, der bei seiner Berechtigung die Aufgabenerfüllung der Parteien gefährdete. Eine relevante Veränderung erfordert im Vergleich zur letzten Bestimmung der Obergrenze das Eintreten von Umständen, die die Parteien insgesamt und von außen betreffen und den Finanzbedarf zur Erfüllung der Vermittlerrolle gem. Art. 21 I GG nachhaltig und deutlich anheben lassen, und dem die Parteien durch eigene (zivilgesellschaftlich eingeworbene) Finanzmittel nicht gerecht werden können. Die Anhebung muss angesichts geänderter Verhältnisse für die Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Parteiensystems notwendig sein. Aus Art. 21 I GG ergibt sich insofern keine exakte Bezifferung der Höhe der neuen Festsetzung, dem Gesetzgeber verbleibt vielmehr ein Gestaltungsspielraum.

4. Begründungspflicht im Gesetzgebungsverfahren

Gerade weil aus Art. 21 I GG keine exakte Quantifizierung der absoluten Obergrenze folgt, bedarf es prozeduraler Sicherungen, um den Anforderungen des Art. 21 I GG gerecht zu werden.[19]BVerfG NJW 2023, 672, 678 f., zum ganzen Absatz. Das bedeutet zum Zwecke der Nachvollziehbarkeit der Einhaltung der Anforderungen an die Staatsfreiheit der Parteien primär eine Pflicht zur Begründung im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens. Diese muss die Veränderung der Verhältnisse sowie die Notwendigkeit der Höhe der Finanzierungsanpassung betreffen. Die Einschätzung der politischen Lage obliegt dabei aber aufgrund der fehlenden verfassungsrechtlichen Quantifizierbarkeit grundsätzlich dem Parlament. Die verfassungsgerichtliche Kontrolle beschränkt sich im Hinblick auf die tatsächliche Verhältnisänderung und den daraus resultierenden finanziellen Anpassungsbedarf insofern auf eine Vertretbarkeitsprüfung, sofern eine nachvollziehbare Begründung im Gesetzgebungsverfahren erfolgte.

II. Verstoß gegen diese Anforderungen durch Anhebung der absoluten Obergrenze

Gegen diese Anforderungen könnte das fragliche Gesetz zur Anhebung der absoluten Obergrenze der staatlichen Parteienfinanzierung verstoßen.

1. Erhöhter Finanzbedarf aufgrund veränderter Verhältnisse dem Grunde nach

Die Begründung des Gesetzentwurfs geht auf die veränderten Verhältnisse durch die Digitalisierung ein.[20]Zum Absatz BVerfG NJW 2023, 672, 680 f. Insofern wurde dem Begründungserfordernis entsprochen. Auch dass die Digitalisierung einen erheblichen Anstieg des Bedarfs an Ressourcen bedeutet, wurde hinreichend begründet. Die Annahme des Gesetzgebers ist folglich vertretbar, dass die Verhältnisse sich so verändert hätten, dass die Anhebung der absoluten Obergrenze gerechtfertigt ist.

Anmerkung: Prüfung des BVerfG
Das BVerfG geht ferner auf Begründungen für die Anhebung der absoluten Obergrenze ein, die im Ergebnis aber nicht vertretbar seien: Das gilt sowohl für erhöhte Transparenz- und Rechenschaftspflichten, deren Erhöhung nicht nachvollziehbar dargelegt und begründet wurden, wie auch für den Umstand, dass eine Erhöhung der relativen Obergrenze die Erhöhung der absoluten Obergrenze begründe.[21]BVerfG NJW 2023, 672, 681 f. auch zu Plakatkosten etc., die aber schon nicht in der Gesetzesbegründung geltend gemacht wurden und insofern außen vor bleiben könnten.
2. Festlegung auf 190 Mio. €

Nicht begründet hat der Gesetzgeber allerdings, dass die absolute Obergrenze gerade auf 190 Mio. € gehoben werden muss, um den veränderten Verhältnissen gerecht zu werden.[22]BVerfG NJW 2023, 672, 682 f., auch zum Folgenden. Unklar ist damit auch, ob die staatliche Parteienfinanzierung beschränkt ist auf das, was für die Funktionsfähigkeit des Parteiensystems notwendig ist. Die notwendige Höhe der Finanzanpassung bleibt in der Gesetzesbegründung offen. Auch eine Darlegung möglicher Einsparpotenziale durch die Digitalisierung erfolgt nicht.

Die Gesetzesbegründung hat hingegen darauf abgestellt, dass mit der Hebung der absoluten Obergrenze die 2015 erfolgte Erhöhung der relativen Obergrenze auch realisiert werden könne, weil die an der relativen Obergrenze orientierten Zuwendungen anderenfalls, d.h. ohne Erhöhung der absoluten Obergrenze, möglicherweise nicht voll berücksichtigt werden könnten, sondern anteilig zu kürzen wären. Daraus lässt sich aber – und darauf kommt es bei der Hebung der absoluten Obergrenze an – kein erhöhter Finanzbedarf aufgrund veränderter Verhältnisse und keine Bezifferung eines solchen ableiten.

Allein mit der Darlegung der Gründe für die bestimmte Höhe der absoluten Obergrenze und einem Eingehen auf mögliche Einsparpotenziale wäre sichergestellt, dass die gem. Art. 21 I GG erforderliche Staatsfreiheit eingehalten ist und die staatliche Finanzierung auf das für die Funktionsfähigkeit des Parteiensystems Notwendige begrenzt ist.

C. Ergebnis

Mangels ausreichender Begründung der Anhebung der absoluten Obergrenze der Höhe nach auf 190 Mio. € wird das Gesetz den aus Art. 21 I GG folgenden prozeduralen Anforderungen nicht gerecht. Das die Anhebung der absoluten Obergrenze vorsehende Gesetz verstößt daher gegen Art. 21 I GG und ist folglich (auch) materiell verfassungswidrig und nichtig.


Zusatzfrage

Wenn die Dauer zwischen Einbringung und Beschlussfassung nicht – wie im Fall – zu kurz liegt, sondern sich in die Länge zieht: Haben Gesetzesinitianten ein Recht darauf, dass ihre Initiativen innerhalb einer bestimmten Zeit beraten werden?
Aus dem Gesetzesinitiativrecht gem. Art. 76 I GG und dem Zusammenhang der Norm mit Art. 77 I und Art . 78 GG folgt ein Recht des Gesetzesinitianten, dass der Bundestag über das Vorhaben berät und beschließt, sog. Befassungsrecht.[23]BVerfG NVwZ 2017, 1108, 1109 f.; Brosius-Gersdorf, in: Dreier, GG II, 3. Aufl. 2015, Art. 76 Rn. 98, je auch zum Folgenden. Dieses Recht beinhaltet das Recht, dass der Bundestag auch in angemessener Frist berät und beschließt, vgl. Art. 76 III 6 GG. Zur Angemessenheit der Dauer bestehen keine grundgesetzlichen konkreten Aussagen oder solche aus der GO BT. Entscheidend ist eine Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls mit Blick auf den Gesetzentwurf (z.B. Komplexität und Dringlichkeit) und anderer Umstände, etwa sonstiger parlamentarischer Aufgaben. Grundsätzlich ist es Sache des Bundestages über die Reihenfolge der Behandlung seiner Angelegenheiten zu entscheiden. So kann es auch – ohne Verfassungsverstoß – passieren, dass sich Gesetzesinitiativen mit dem Grundsatz der Diskontinuität erledigen. Eine Verletzung des Befassungsrechts von Gesetzesinitianten liegt daher nur ausnahmsweise vor, etwa bei sachgrundloser oder missbräuchlicher Verzögerung der Beratung.

Zusammenfassung

1. Das Recht auf gleichberechtigte Behandlung der Abgeordneten gem. Art. 38 I 2 GG und der Grundsatz der Parlamentsöffentlichkeit gem. Art. 42 I GG können durch eine zu kurze Beratungsdauer von Gesetzesvorhaben verletzt sein.

2. Aus Art. 21 I GG folgt der Grundsatz der Staatsfreiheit der Parteien, der mit Blick auf die staatliche Finanzierung neben einer relativen Obergrenze – d.h. Finanzierung abhängig von Wahlerfolg, Mitgliedsbeiträgen und Spenden aber unterhalb der nichtstaatlichen Zuwendungen – eine absolute Obergrenze fordert. Diese begrenzt die Finanzierung auf das, was Parteien bei sparsamer Mittelverwendung zur Wahrnehmung ihrer verfassungsrechtlichen Mittlerrolle zwischen Gesellschaft und Staat benötigen. Ohne absolute Obergrenze wäre das Ansehen der Parteien gefährdet und damit auch ihre Fähigkeit, die verfassungsrechtliche Mittlerrolle gem. Art. 21 I GG zwischen Gesellschaft und Staat auszufüllen.

3. Eine Hebung der absoluten Obergrenze ist möglich, wenn sich die für die Erfüllung der Vermittlerrolle relevanten Verhältnisse geändert haben, die den Finanzbedarf steigen lassen.

4. Mangels konkreter quantifizierbarer Vorgaben aus der Verfassung sind aus Art. 21 I GG verfassungsrechtliche Anforderungen an die Begründung der Anhebung der absoluten Obergrenze zu stellen, die sowohl die Veränderung relevanter Verhältnisse als auch die Höhe der neuen absoluten Obergrenze betrifft.

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