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Paritätsgesetz – Gleichberechtigung auf der Wahlliste

ThürVerfGH, Urt. v. 15.07.2020 – VerfGH 2/20NVwZ 2020, 1266; zugleich: VerfG Bbg, Urt. v. 23.10.2020 – VfGBbg 9/19 – NJW 2020, 3579

Sachverhalt

(leicht verändert und gekürzt)

In der 19. Wahlperiode des deutschen Bundestages lag der Anteil der weiblichen Abgeordneten bei 30,9 %. In den Landesparlamenten sieht es nicht anders aus. Weil damit auch die Perspektive von Frauen im Gesetzgebungsprozess zu kurz komme, finden sich im Parlament des Bundeslands B die Koalitionsfraktionen zusammen und beschließen in formell einwandfreier weise ein sog. Paritätsgesetz. Darin wird für die kommenden Landtagswahlen vorgeschrieben, dass auf den von den Parteien zu beschließenden Landeslisten jeweils abwechselnd Frauen und Männer gesetzt werden müssen. So soll sichergestellt werden, dass zumindest die Kandidat*innen, die über die Landeswahllisten in das Parlament gewählt werden zu (annähernd) 50 % weiblich sind. Auf die Auswahl der Direktkandidat*innen in den Wahlkreisen hat das Gesetz keine Auswirkungen.

Die Regelung in § 12 B-LWahlG lautet nun wie folgt:

(1) Die Landesliste ist abwechselnd mit Frauen und Männern zu besetzen. Der erste Platz kann entweder mit einer Frau oder einem Mann besetzt werden. Die jeweils einem Geschlecht zur Verfügung stehenden Listenplätze können in Ausnahmefällen mit Personen des anderen Geschlechts besetzt werden, z.B. falls nicht genügend Kandidatinnen bzw. Kandidaten zur Verfügung stehen. Personen, die im Personenstandsregister als „divers“ eingetragen sind, können unabhängig von der Reihenfolge kandidieren. Nach einer diversen Person setzt sich die abwechselnde Reihenfolge von dem vorhergehenden Platz aus betrachtet fort.

(2) Dies gilt nicht für diejenigen Parteien, die die aus programmatischen Gründen ausschließlich einem Geschlecht zugeordnet sind.

(3)

Außerdem enthält § 13 B-LWahlG folgende Regelung:

(1) Wahllisten, die nicht den Anforderungen des § 12 B-LWahlG entsprechen, werden zurückgewiesen. Wahlvorschlage, die § 12 B-LWahlG zum Teil entsprechen, werden nur bis zu dem Listenplatz zugelassen, mit dessen Besetzung den Vorgaben des § 12 B-LWahlG entsprochen wurde.

(2)

Die Koalitionsfraktionen argumentieren, dass mehr als 100 Jahre nach der Einführung des Frauenwahlrechts 1918 endlich dem Auftrag aus Art. 3 Abs. 2 GG entsprochen werden müsste. Es könne nicht angehen – und sei auch verfassungsrechtlich bedenklich – dass Frauen, die 51,5 % der wahlberechtigten Bevölkerung ausmachen, derart unterrepräsentiert seien. Frauen sollte durch das Gesetz die chancengleiche Teilnahme am politischen Prozess ermöglicht werden. Das Gesetz sei schon aus Gründen der gleichberechtigten demokratischen Teilhabe geboten.

Die Oppositionsfraktionen A und F meinen hingegen, dass damit das passive und aktive Wahlrecht und die Grundsätze der Freiheit und Gleichheit der Wahl verletzt würden. Außerdem würden die Parteien übermäßig in ihrer Autonomie beeinträchtigt. Wenn eine Partei nur einen geringen Anteil an Frauen habe, die bereit seien sich aufstellen zu lassen, könnte es im Zweifel dazu kommen, dass eine Partei weniger Sitze im Parlament erhalte, als ihr nach dem Anteil der Stimmen zustehe – dies verletze fundamentale Grundsätze der Wahl.

Dem hält die Koalitionsfraktion entgegen, dass etwaige Beschränkungen gerechtfertigt seien. Schließlich sei in Art. 3 Abs. 2 GG der verfassungsrechtliche Auftrag zur Herstellung der tatsächlichen Gleichberechtigung ausdrücklich vorgesehen – und dies im Wesentlichen seit 1949 (ergänzt 1994). Außerdem komme kein Bewerber zu kurz: Männer wie Frauen könnten sich auf die Hälfte der Listenplätze bewerben und hätten damit die gleichen Chancen.

Dem wiederum entgegnen die Abgeordneten der A und der F Fraktion, was zutrifft, dass in fast allen Parteien bereits heute der Anteil der Frauen auf den Landeswahllisten höher sei, als in den Parteien insgesamt. Man bemühe sich also schon Frauen besonders zu fördern. Es sollte den Parteien selbst überlassen sein, ob sie hier weitere Maßnahmen ergreifen wollten.

Die Abgeordneten der A und der F Fraktion erheben beim – mangels prozessualer Mittel vor dem Landesverfassungsgericht in B – zuständigen Bundesverfassungsgericht eine zulässige abstrakte Normenkontrolle.

Ist die abstrakte Normenkontrolle begründet?

Bearbeitervermerk: Prüfen Sie gutachterlich am Maßstab des Grundgesetzes.


Skizze


Gutachten

A. Begründetheit

Schema der Zulässigkeit der abstrakten Normenkontrolle vor dem BVerfG
I. Zulässigkeit

1. Zuständigkeit, Art. 93 Abs. I Nr. 2 GG, §§ 13, Nr. 6, 76 ff. BVerfGG

BVerfG ist zuständig für die Überprüfung von Bundes- oder Landesrecht mit dem Grundgesetz oder Landesrecht mit sonstigem Bundesrecht.

2. Antragsberechtigung, Art. 93 Abs. 1 Nr. 2, § 76 Abs. 1 BVerfGG

Bundesregierung, eine der Landesregierungen, ein Viertel der Mitglieder des Bundestages

3. Antragsgegenstand

Jedes in Kraft getretene (oder im Ausnahmefall zumindest verkündete) Bundes- oder Landesrecht, geschrieben oder ungeschrieben, in formeller und materieller Hinsicht, vor- und nachkonstitutionelles Recht

4. Antragsbefugnis, Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG / § 76 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG

Nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG reichen Meinungsverschiedenheiten oder Zweifel aus; nach § 76 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG bedarf es eines „für nichtig halten“. Auch wenn das BVerfGG auf das „für nichtig halten“ abstellt, ist die Literatur einhellig der Meinung, dass lediglich die vom Grundgesetz aufgestellte Forderung der „Meinungsverschiedenheiten oder Zweifel“ eingehalten werden müssen. Dafür spricht nicht zuletzt die Normenhierarchie.
Ist eine Norm bereits für nichtig erklärt, mangelt es am Klarstellungsinteresse.

5. Form, § 23 Abs. 1 BVerfGG

Schriftform, aber keine Frist.

6. Ergebnis

Die abstrakte Normenkontrolle der Fraktionen ist begründet, wenn die Vorschriften des B-LWahlG gegen Vorschriften des Grundgesetzes verstoßen. Das ist der Fall, wenn der Gewährleistungsgehalt einer verfassungsrechtlichen Vorschrift beeinträchtigt wird und dies verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt ist.

I. Beeinträchtigung von Art. 38 Abs. 1 S. 1

Durch die §§ 12, 13 B-LWahlG könnten die grundrechtsgleichen Wahlrechtsgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG beeinträchtigt sein. Die Abgeordneten des Parlaments werden gem. Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG in allgemeinen, unmittelbaren, freien und geheimen Wahlen gewählt. Hier kommt eine Beeinträchtigung des Grundsatzes der Freiheit der Wahl und der Gleichheit der Wahl in Betracht.

Anmerkung: Begrifflichkeiten
Das Bundesverfassungsgericht spricht bei grundrechtsgleichen Rechten nicht von Eingriffen, sondern von Beeinträchtigungen. Dies kann man, muss man aber nicht in der Klausur machen.

1. Beeinträchtigung der Freiheit der Wahl, Art. 38 Abs. 1 S. 1 (aktiv)

Das sog. Paritätsgesetz könnte den Wahlrechtsgrundsatz der Freiheit der Wahl beeinträchtigen. Die Freiheit der Wahl verlangt, dass Wahlen nicht durch Zwang und Druck von staatlicher Seite beeinflusst werden und dass der Prozess der Willensbildung des Volkes „staatsfrei“ verläuft.[1]so ThürVerfGH, NVwZ 2020, 1266, 1267 Rn. 78; VerfG Bbg, NJW 2020, 3579, 3584 Rn. 138. Die Freiheit der Wahl entfaltet nicht nur eine Wirkung für den Wahlakt, sondern garantiert auch die Freiheit der wahlvorbereitenden Akte, wie die Aufstellung der Landeslisten durch die Parteien.[2]Butzer in BeckOK GG, Art. 38, Rn. 71. Der Akt der Aufstellung von Wahllisten durch die Parteien ist ein für alle Beteiligten offener Akt, in dem die Möglichkeit Wahlvorschläge zu unterbreiten einen unmittelbaren Einfluss auf die spätere Zusammensetzung des Parlaments hat. Die Freiheit der Wahl umfasst also die wahlvorbereitenden Akte als Ganzes.

a) Beeinträchtigung der Wähler*innen

Hier werden die Wähler*innen dahingehend eingeschränkt, dass sie keine Möglichkeit haben durch die Wahl einer Liste, die mehrheitlich mit Männern oder mehrheitlich mit Frauen besetzt ist, Einfluss auf die Verteilung der Geschlechter im Parlament ausüben zu können. Durch das Gesetz werden alle Listen in gleicher Weise gebildet und die Freiheit der Wähler*innen eine andersgehende Präferenz zum Ausdruck zu bringen, wird gänzlich verhindert. Die geschlechtsbezogene Zusammensetzung des Parlaments wird durch die gesetzgeberischen Vorgaben determiniert.[3]ThürVerfGH, NVwZ 2020, 1266, 1267, Rn. 78. VerfG Bbg, NJW 2020, 3579, 3584 Rn. 138. Entscheidend ist an dieser Stelle, ob man die bisher bestehenden Einflussmöglichkeiten der Wähler*innen auf die Zusammensetzung des Parlaments dafür ausreichen lässt: Diese bestehen auch bereits bisher lediglich darin eine vorher von der Partei festgelegte Liste (und damit die dort vorgesehene Geschlechterverteilung) zu wählen oder nicht zu wählen.[4]Diese Kritik äußerte der djb in seiner Stellungnahme zum Urteil: https://www.djb.de/presse/pressemitteilungen/detail/st20-23 zuletzt abgerufen am: 26.05.2021. Da hier jedoch nicht die Frage der Intensität der Beeinträchtigung entschieden werden muss, sondern ob eine Beeinträchtigung vorliegt, reicht dies hier aus.

b) Beeinträchtigung der Parteimitglieder

Außerdem könnten durch diese Regelung auch die Parteimitglieder in der Aufstellung der Wahllisten beeinträchtigt werden. Die Mitglieder können nicht frei wählen, auf welchen der zur Verfügung stehenden Listenplätzen welche Person gesetzt wird. Hierbei sind sie in ihrer Auswahl auf die durch das Gesetz festgelegte Geschlechter-Reihenfolge beschränkt.

Dem könnte man entgegen halten, dass eine in einer Parteisatzung festgelegte Quotenregelung nach herrschender Ansicht keine Beeinträchtigung der Parteimitglieder darstellt.[5]Entscheidung des Bundesschiedsgerichts Bündnis 90-Die Grünen, NVwZ-RR 1999, 545, 546 m.w.N. Die Einführung einer parteiinternen Quotenregelung entspringt jedoch der durch Art. 21 Abs. 1 GG garantierten Freiheit der Parteien in Bezug auf die Satzung und ihre programmatischen Ziele. Dementsprechend lassen sich hieraus keine Argumente für oder gegen eine entsprechende Beeinträchtigung durch den Gesetzgeber ableiten.[6]ThürVerfGH, NVwZ 2020, 1266, 1267 Rn. 79.

Mithin liegt in der Regelung sowohl eine Beeinträchtigung der Wähler*innen in ihrer Wahlfreiheit als auch der Wahlfreiheit der Parteimitglieder bei der Aufstellung der Landeslisten.

2. Beeinträchtigung der Freiheit der Wahl, Art. 38 Abs. 1 S. 1 (passiv)

Überdem könnte die passive Wahlfreiheit beeinträchtigt sein. Die passive Wahlfreiheit schützt die Tätigkeit, sich zur Wahl aufstellen zu lassen. Als Kehrseite der aktiven Wahlfreiheit schützt die passive Wahlfreiheit, das Recht sich ohne staatliche Beschränkungen zur Wahl zu stellen.[7]ThürVerfGH, NVwZ 2020, 1266, 1267 Rn. 81. VerfG Bbg, NJW 2020, 3579, 3583 Rn. 127.

Durch die angegriffenen Vorschriften des B-LWahlG wird jedoch (abgesehen von dem sehr kleinen Anteil an Kanddiat*innen, die im Personenstandsregister als „divers“ eingetragen sind) die Hälfte aller Plätze entweder dem einen oder dem anderen Geschlecht zugewiesen, so dass individuell betrachtet jeder Bewerberin oder jedem Bewerber nur die Möglichkeit eröffnet wird sich auf „geschlechtsentsprechende“ Plätze der Liste zu bewerben. Wenn ein Platz, auf den man sich bewerben möchte für das andere Geschlecht vorgesehen wird, kann eine Person also in der passiven Wahlfreiheit beeinträchtigt sein.

3. Beeinträchtigung der Gleichheit der Wahl, Art. 38 Abs. 1 S. 1 (aktiv)

Auch die Gleichheit der Wahl könnte beeinträchtigt sein. Die Wahlgleichheit gibt vor, dass jede Stimme den gleichen Zählwert und im Rahmen des Wahlsystems auch den gleichen Erfolgswert hat.[8]ThürVerfGH, NVwZ 2020, 1266, 1268 Rn. 83. In Hinblick auf die Gewährleistung in Bezug auf die aktive Wahlfreiheit könnte eine Beeinträchtigung insbesondere in § 13 B-LWahlG liegen.

Die Vorschrift sieht vor, dass Wahllisten, wenn sie vollständig unter Missachtung der Regelung in § 12 B-LWahlG erstellt werden, zurückgewiesen werden, sowie Wahllisten teilweise zurückgewiesen werden, wenn ab einem Listenplatz die vorgegebene Reihenfolge nicht eingehalten wird. Auf eine Zurückweisung hin besteht die Möglichkeit einer Nachnominierung, welche jedoch eine Neuwahl unter Einhaltung der dafür vorgeschriebenen Regelungen voraussetzt. Die Regelung in B (anders als die Regelung in Thüringen [9]ThürVerfGH, NVwZ 2020, 1266, 1268, Rn. 83 f., die vorsieht, dass eine Wahlliste zwangsläufig endet, wenn keine weiteren Kadidat*innen des anderen Geschlechts aufgestellt werden) erlaubt es, den Rest einer Liste mit Kandidat*innen eines Geschlechts aufzustellen, wenn keine weiteren Personen des anderen Geschlechts zur Verfügung stehen. Nichtsdestotrotz besteht die Gefahr, dass nach einer Zurückweisung der Wahlliste auch bis zum Zeitpunkt der Wahl keine ordnungsgemäß verabschiedete Liste zustande kommt. In einem solchen Fall würden Stimmen, die auf eine nicht ordnungsgemäß zusammengestellte Liste abgegeben werden, dementsprechend nicht zur Zusammensetzung des Parlaments beitragen und damit ihren Erfolgswert verlieren. Eine Beeinträchtigung liegt vor.

4. Beeinträchtigung der Gleichheit der Wahl, Art. 38 Abs. 1 S. 1 (passiv)

Auch die passive Wahlgleichheit könnte beeinträchtigt sein. Das wäre der Fall, wenn durch die angegriffene Regelung die Freiheit jedes volljährigen Bürgers sich – unter gleichen Voraussetzungen, also chancengleich – zur Kandidatur aufstellen zu lassen beeinträchtigt werden würde, Art. 38 Abs. 1, Abs. 2 GG. Auch die (passive) Gleichheit der Wahl erstreckt sich sowohl auf das Wahlverfahren i.e.S., als auch alle damit im Zusammenhang stehenden Vorbereitungsakte – wie eben auch die Chancengleichheit im innerparteilichen Wettkampf um einen Listenplatz.[10] VerfG Bbg, NJW 2020, 3579, 3583 Rn. 124 f.

Die Chancengleichheit lässt sich aus zwei divergierenden Warten betrachten:

Konzentriert man sich in der Betrachtung auf die Chance auf die Landesliste als Ganzes aufgenommen zu werden, könnte man argumentieren, dass sowohl Frauen als auch Männer (ungefähr) 50 % der Listenplätze für eine Kandidatur nutzen könnten. Damit besteht keine Verschiebung der Chancen zu Lasten oder zu Gunsten einer Person eines Geschlechts – das Gesetz fördert vielmehr eine paritätische Verteilung der Listenplätze.

Betrachtet man jedoch die Chancen im Hinblick auf jeden Listenplatz im Einzelnen, führt das Gesetz  sehr wohl zu einer Verzerrung der Chancengleichheit: Frauen sowie Männer können sich nur auf jeden zweiten Listenplatz bewerben. Eine Person, die Aussichten auf Listenplatz X hat, hat nicht gleichermaßen Aussichten auf Listenplatz XI. Die Chancengleichheit für jeden Bewerber oder jede Bewerberin wird durch den Grundsatz der Gleichheit der Wahl im Hinblick auf einen Listenplatz (X) genauso garantiert, wie in Hinblick auf einen anderen Listenplatz (XI).[11]Zu diesem Abschnitt: VerfG Bbg, NJW 2020, 3579, 3583 Rn. 127.

Entsprechend einer individuell fokussierten Betrachtung der Chancengleichheit in Bezug auf jeden Listenplatz im Einzelnen führen §§ 12, 13 B-LWahlG zu einer Beeinträchtigung der passiven Wahlgleichheit.

5. Zwischenergebnis

Durch die angegriffenen Regelungen wird damit die aktive und die passive Freiheit der Wahl als auch in die aktive und die passive Gleichheit der Wahl, Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG beeinträchtigt.

II. Rechtfertigung der Beeinträchtigungen von Art. 38 ABs. 1 S. 1

Anmerkung: Aufbau
Hier bieten sich unterschiedliche Aufbaumöglichkeiten an: Während das Thüringsche Verfassungsgericht die Rechtfertigung der Beeinträchtigungen aller Rechtsgüter gemeinsam vornahm, würde man klassischerweise die Rechtefertigung für jede Beeinträchtigung eines grundrechtsgleichen Rechts nacheinander prüfen. Hier kann es sich auch anbieten, nach den Beeinträchtigungen der Teile der Wahlrechtsgrundsätze die Rechtfertigung für die Beeinträchtigung von Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG zu prüfen. Nach dem zweiten „Themenbereich“ erfolgt dann auch eine zweite Rechtfertigungsprüfung.
Das wichtigste ist: Einen Aufbau zu wählen, den sie klar und deutlich „durchprüfen“.

Die Beeinträchtigungen des Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG könnten gerechtfertigt sein. Die Rechtfertigung von Beeinträchtigungen der Wahlgrundsätze bedarf einer differenzierten Betrachtung.

Die Beeinträchtigungen der aktiven und der passiven Wahlfreiheit bedürfen eines verfassungsrechtlich gewichtigen Grundes, um gerechtfertigt zu werden. Die Beeinträchtigung der Wahlrechtsgleichheit könnte jedoch strengere Anforderungen an die Rechtfertigung stellen. Beeinträchtigungen der Zählwertgleichheit können gar nicht gerechtfertigt werden. Eine Beeinträchtigung der Erfolgswertgleichheit kann aus zwingenden Gründen gerechtfertigt werden. Dabei handelt es sich um solche Gründe, die durch die Verfassung legitimiert sind und derartig gewichtig sind, dass sie der Wahlrechtsgleichheit die Waage halten können. Zudem muss die Beeinträchtigung verhältnismäßig sein.[12]ThürVerfGH, NVwZ 2020, 1266, 1269, Rn. 100. Dementsprechend bedarf die aus der Regelung resultierende Beeinträchtigung eines zwingenden Grundes, um gerechtfertigt werden zu können.

1. Abbildungsgleichheit aus Art. 20 Abs. 2 S. 1?

Ein entsprechend gewichtiger, zwingender Grund könnte im Demokratieprinzip, Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG zu sehen sein. Dieser sieht vor, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Das Demokratieprinzip garantiert damit jedem und jeder, eine gleichberechtigte Teilnahme und effektive Einflussnahme auf die Ausübung der Staatsgewalt. Die Aufstellung der Wahllisten erfüllt eine elementare „Scharnier“-Funktion innerhalb einer repräsentativen Demokratie. Personen, die in einer Wahl zu Repräsentanten des Staatsvolkes gewählt werden, füllen Funktionen innerhalb der staatlichen Organe aus und werden so zu einem Teil des Staates. Einige meinen, dass – um eine effektive Teilhabe aller zu gewährleisten – die Aufstellung der Landeslisten dem bisher bestehenden Ungleichgewicht zu Lasten der Frauen entgegenwirken muss, damit Frauen gleichermaßen im politischen Prozess abgebildet werden, wie Männer (sog. Abbildungsgleichheit).

Welchen Inhalt hat das Demokratieprinzip?

Das Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG soll das „Bonmot“

Demokratie ist die „Regierung des Volkes, durch das Volk, für das Volk“ umsetzen.

Das Demokratieprinzip enthält folgende Elemente:

1. Volkssouveränität
– Kern des Prinzips: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.

a) Legitimation durch Wahlen
– Legitimationskette von Wahl bis zur Ernennung für jedes Amt [13]VerfG Bbg, NJW 2020, 3579, 3584 Rn. 133.
– Wahlen = Repräsentative Demokratie
– Abstimmungen (fast nur auf Landesebene) = Direkte Demokratie

b) Mehrheiten und Minderheitenschutz
– Grundsätzlich bildet die Mehrheit die Regierung und übernimmt „die Macht“
– Aber auch kleine Gruppierungen werden geschützt und erhalten besondere Rechte (wie das Recht einen Untersuchungsausschuss einzurichten)

2. Repräsentative und streitbare Demokratie
a) Repräsentative Demokratie
– „besondere Organe“ üben Staatsgewalt aus
b) Streitbare/wehrhafte Demokratie
– Das GG enthält ausreichende Mittel, um diejenigen zu „bekämpfen“, die die Freiheiten des GG missbrauchen, um zu versuchen das GG zu beseitigen.

Dem Art. 20 Abs. 2 GG und Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG ist jedoch lediglich ein Organisationsmodell zu entnehmen.[14]VerfG Bbg, NJW 2020, 3579, 3584 Rn. 130 ff. Dieses ist derart gestaltet, dass dem Volk als Ganzes die maßgebliche Bestimmungsmacht über die staatliche Gewalt verschafft wird. Jeder und jede Abgeordnete vertritt nach diesem Prinzip das gesamte Volk und ist gegenüber jeder Bevölkerungsgruppe verantwortlich.[15]VerfG Bbg, NJW 2020, 3579, 3584 Rn. 132, 134 f.; Morlko/Hobusch, DÖV 2019, 14, 20. Abgeordnete sind nicht einem Landkreis, einem Wahlkreis oder einer Bevölkerungsgruppe gegenüber besonders verpflichtet, sondern repräsentieren das Volk in seiner Gesamtheit. Ein „Anspruch“ auf Abbildungsgleichheit ist dieser Vorstellung fremd: Wahlen sollen nicht zu einer geschlechtermäßigen oder soziologischen Abbildung der Bevölkerung führen, sondern die parteipolitischen Präferenzen der Bevölkerung widerspiegeln. In dieser Dimension kann Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG dementsprechend nicht herangezogen werden.

2. Integrationsfunktion der Teilhaberechte?

Zu einer Rechtfertigung aufgrund von Art. 20 Abs. 2 könnte man jedoch kommen, wenn die Beeinträchtigungen notwendig wären, um die sog. Integrationsfunktion der demokratischen Teilhaberechte, insbesondere der Wahlen zu erfüllen. Die vom Bundesverfassungsgericht betonte Integrationsfunktion zielt auf eine Integration aller politischen und gesellschaftlichen Kräfte ab. Darin liegt auch ein zwingender Rechtfertigungsgrund. Die Integrationsfunktion müsste sich dafür aber auch auf die Teilhabe demokratischer Rechte von Frauen und Männern beziehen.

Die Integrationsfunktion zielt darauf ab, dass die pluralistische Gesellschaft mit den vielfältigen Perspektiven und Interessen nur dann sinnvoll vertreten ist, wenn auch die verschiedenen politischen Kräfte Teil an der Gesetzesgestaltung haben können.[16]VerfG BbG NJW 2020, 3579. 3585. Männer und Frauen haben – nach dem Verständnis des Grundgesetzes – aber keine inhärent divergierenden politischen Rechte oder Vorstellungen, die eines Ausgleichs bedürften. Vielmehr garantiert das Grundgesetz Frauen wie Männern in gleicher weise die Teilhabemöglichkeit an der politischen Willensbildung.[17]ThürVerfGH, NVwZ 2020, 1266, 1270 Rn. 107 f.

Davon zu trennen ist die Frage, ob Frauen in tatsächlicher Hinsicht aufgrund von tatsächlichen Gegebenheiten die ihnen in gleicher Weise zustehenden Rechte weniger häufig wahrnehmen als Männer. Maßnahmen, die darauf abzielen, die politische Beteiligung von Frauen in Parteien zu stärken, kann ein verfassungsrechtlich legitimes Ziel darstellen, allerdings hat es keine Relevanz unter dem Gesichtspunkt der Integrationsfunktion der Teilhaberechte.

3. Zwischenergebnis: Rechtfertigung aus dem Demokratieprinzip

Aus dem Demokratieprinzip lässt sich keine Rechtfertigung für die Beeinträchtigungen von Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG entnehmen.

4. Rechtfertigung aus Art. 3 Abs. 2 S. 2

Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung könnte sich jedoch aus Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG ergeben. Das besondere Gleichheitsrecht des Art. 3 Abs. 2 ist durch Satz 2 auch um einen Satz ergänzt der einen eigenständigen Gewährleistungsgehalt haben könnte. Der Staat ergreift hiernach Maßnahmen zur tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

Dafür müsste jedoch Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG überhaupt im Bereich der Wahlrechtsgrundsätze Anwendung finden. Diese Frage stellt sich, weil im Anwendungsbereich des Art. 38 Abs. 1 GG ein Rückgriff auf den allgemeinen Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG, ausgeschlossen ist.

In diesem Verhältnis wird Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG uneindeutig beurteilt.

Auf der einen Seite könnte man Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG als einen besonderen Gleichheitssatz verstehen, der in Idealkonkurrenz zu dem besonderen Gleichheitssatz des Art. 38 Abs. 1 GG steht. Betrifft eine Regelung (wie hier §§ 12, 13 B-LWahlG) den Gleichheitssatz des Art. 38 Abs. 1 GG, muss die Beeinträchtigung sich gleichermaßen an Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG messen.[18]Morlok/Hobusch, NVwZ 2019, 1734, 1736 f. Nach diesem Verständnis kann Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG nicht zur Rechtfertigung der Beeinträchtigungen herangezogen werden, sondern gesellt sich neben Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG.

Dem kann man jedoch entgegen halten, dass der Gewährleistungsgehalt des Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG Wirkungen einer Staatszielbestimmung entfaltet.[19]VerfG Bbg, NJW 2020, 3579, 3587 Rn. 161; Meyer, NVWZ 2019, 1245, 1248. Die Vorschrift kann entsprechend dem Gewährleistungsgehalt auch zur Rechtfertigung von Beeinträchtigungen als kollidierendes Verfassungsrecht herangezogen werden.[20]So auch das Sondervotum des Richters Heßelmann, S. 49.

Aber auch wenn man dem zuletzt genannten Verständnis folgt, sind Fördermaßnahmen nach Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG lediglich darauf gerichtet Chancengleichheit, nicht aber Ergebnisgleichheit herzustellen. Starre Quoten, wie die hier vorliegende Regelung, zielen jedoch auf Ergebnisgleichheit, welche gerade im Zusammenhang mit der Auswahl von politischen Repräsentanten dem Grundgesetz fremd ist.[21]In den Sondervoten der Richter*innen Licht und Petermann, die die bestehenden tatsächlichen Hürden für Frauen als derartig gewichtig ansehen, dass eine entsprechende Reglung gerechtfertigt sei. … Continue reading

Außer Betracht bleibt bei der vorgeschlagenen Regelung außerdem völlig, dass die Gleichheit nicht im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung verlangt werden kann, sondern im Verhältnis zu den Parteimitgliedern betrachtet werden müsste. Dabei gab es jedoch bei der letzten Bundestagswahl in allen Parteien außer der AfD eine höhere Repräsentation von Frauen auf den Landeslisten als es weibliche Mitglieder in den Parteien gab.[22]Morlok/Hobusch, NVwZ 2019, 1734, 1738. Das Problem bestand demnach nicht in der Auswahl der Personen auf den Landeslisten, sondern in der Unterrepräsentation von Frauen in Parteien.

Maßnahmen, die man auf Grund von Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG ergreifen wollte, müssten demnach das Ziel verfolgen die Beteiligung von Frauen in den Parteien zu stärken. Als Rechtfertigung der Eingriffe in Art. 38 Abs. 1 GG könnte Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG jedoch nicht herhalten.

5. Ergebnis Rechtfertigung

Die Beeinträchtigung kann damit nicht gerechtfertigt werden.

III. Beeinträchtigung der Parteienrechte

Zudem könnte hier auch ein Verstoß gegen Art. 21 Abs. 1 GG vorliegen. Ein solcher läge vor, wenn die Parteien durch die §§ 12, 13 B-LWahlG in der Betätigungsfreiheit oder in der Programmfreiheit beeinträchtigt werden würden oder eine Beeinträchtigung des Rechts der Parteien auf Chancengleichheit vorläge, welche jeweils nicht gerechtfertigt sein dürften. Art. 21 Abs. 1 GG garantiert den politischen Parteien die Gründungs- und Betätigungsfreiheit, die sich auch als Organisations- und Programmfreiheit darstellt. Parteien sind frei in der Auswahl und Bestimmung der identitätsbestimmenden Merkmale, sei es in Form der Gestaltung der politischen Ziele, in ihrer Ausrichtung und Programmatik und der Wahl ihrer Themen.[23]ThürVerfGH, NVwZ 2020, 1266, 1268, Rn. 89 f.

1. Beeinträchtigung der Betätigungsfreiheit, Art. 21 Abs. 1 GG

Hier könnte eine Beeinträchtigung der Betätigungsfreiheit bestehen. Die Betätigungsfreiheit umfasst die Freiheit bei der Festlegung der Personen, mit denen die Partei in den politischen Wettbewerb einziehen will.

Durch das Paritätsgesetz sind die Parteien gezwungen dasjenige Personal, dass durch die Wahllisten den Wähler*innen vorgeschlagen wird, auf Basis der in Hinsicht auf das Geschlecht alternierenden Besetzung zu bestimmen. Damit wird die Freiheit der Parteien eingeschränkt selbst zu entscheiden, wie viele weibliche und wie viele männliche Kandidat*innen auf der Wahlliste vorgeschlagen werden sollen.[24]ThürVerfGH, NVwZ 2020, 1266, 1268 Rn. 90. Eine Beeinträchtigung der Betätigungsfreiheit wird dadurch vorgenommen.

2. Beeinträchtigung der Programmfreiheit, Art. 21 Abs. 1

Auch die Programmfreiheit könnte beeinträchtigt sein. Die Programmfreiheit garantiert den Parteien die Freiheit in der Wahl der Themen, der Ausrichtung und der Bestimmung der politischen Ziele. Das Paritätsgesetz macht zwar keine ausdrücklichen Vorgaben im Hinblick auf die zu wählende Programmatik, allerdings werden die Parteien durch das Gesetz daran gehindert Inhalte und Aussagen des Programms mit einer spezifischen geschlechterbezogenen Besetzung der Wahllisten zu untermauern. Die freie Wahl der Mittel wie man sich der Wählerschaft präsentieren will – als Ausfluss der Programmfreiheit – wird damit beeinträchtigt.

3. Beeinträchtigung der Chancengleichheit, Art 21. Abs. 1

Auch die Chancengleichheit der Parteien könnte durch die Vorschriften beeinträchtigt werden. Das formal zu verstehende Recht der Chancengleichheit garantiert den Parteien den Schutz vor einer ungleichen Behandlung durch die Staatsgewalt, sofern sie nicht durch einen besonders zwingenden Grund gerechtfertigt werden kann.[25]ThürVerfGH, NVwZ 2020, 1266, 1269 Rn. 94.

Das Gesetz gilt für alle Parteien gleichermaßen, was vordergründig für eine Gleichbehandlung der Parteien spricht. Die Vorschriften könnten jedoch in mittelbarer Wirkung die Parteien unterschiedlich behandeln.

Es könnten beispielsweise diejenigen Parteien beeinträchtigt sein, die einen besonders hohen Anteil an Mitgliedern eines Geschlechts haben. Diese müssten unter Umständen auf weniger gut geeignete Kandidat*innensetzen, damit sie ausreichend Personen auf der Wahlliste unterbringen können. Diese Parteien könnten sich auch nicht auf die Ausnahme aus § 12 Abs. 2 B-LWahlG stützen, solange genug potentielle Kandidat*innen jedes Geschlechts in der Partei sind.. Darin läge eine Beeinträchtigung dieser Parteien.

Auch diejenigen Parteien, die sich die Förderung eines Geschlechts zur parteipolitischen Aufgabe gemacht haben, hätten durch die Behandlung des Gesetzes einen Vor- oder Nachteil. Die Verfolgung programmatisch „weiblicher“ oder „männlicher“ Interessen könnte durch die gesetzlich vorgeschriebene Besetzung der Wahllisten beeinträchtigt werden.

IV. Rechtfertigung der Beeinträchtigung der Rechte der Parteien, Art. 21 Abs. 1

Die Beeinträchtigung der Rechte der Parteien verlangt ebenso wie die Rechtfertigung der Beeinträchtigung von Art. 38 Abs. 1 GG einen besonders zwingenden Grund zur Rechtfertigung. Auch hierfür kommen nur Art. 20 Abs. 2 GG und Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG als Rechtfertigungsgründe in Betracht. Jedoch können – ähnlich wie oben – die dargestellten Rechtfertigungsversuche nicht die Beeinträchtigungen überwiegen. Auch die Beeinträchtigung der Rechte der Parteien, Art. 21 Abs. 1 GG ist eine ungerechtfertigte Beeinträchtigung.

B. Gesamtergebnis

Die Beeinträchtigungen der Wahlfreiheit und Wahlgleichheit (Art. 38 Abs. 1 GG) und der Betätigungsfreiheit und Chancengleichheit der Parteien (Art. 21 Abs. 1 GG) sind nicht gerechtfertigt. Die abstrakte Normenkontrolle ist mithin begründet.


Zusatzfragen

Ist eine reine Männer- reine Frauenpartei verfassungsrechtlich zulässig, wie sie im obigen § 12 B-LWahlG angesprochen wird?
Zunächst stellen sich hier eine Reihe an Fragen der expliziten Ausgestaltung. Jedoch kann man die grundsätzliche Frage anhand folgender Überlegungen einordnen.
Auf der einen Seite garantieren die Programmfreiheit der Parteien und die allgemeine Handlungsfreiheit auch den Parteien das Recht sich grundsätzlich frei und ohne Einschränkungen zu betätigen bzw. auszurichten. Eine Partei, die sich „einzig der Förderung der Rechte der Männer/ der Frauen“ in ihrem Parteiprogramm verschrieben hat, ist grundsätzlich zulässig. Solange Frauen und Männer Mitglieder der Partei werden können und Frauen und Männer gleichberechtigte Mitglieder der Partei wären gäbe es keine Anhaltspunkte für verfassungsrechtliche Bedenken.
Problematisch könnte es dann werden, wenn die entsprechende Partei in ihren Parteisatzungen festlegt, dass Mitglieder des einen Geschlechts andere Rechte haben, als Mitglieder des „anderen“ Geschlechts.
Hierdurch könnte z.B. Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG selbst eine eingeschränkt werden. Dieser enthält auch die Vorgabe für die Parteien, dass sie sich nach demokratischen Grundsätzen organisieren müssen. Dies würde jedenfalls bedeuten, dass in allen Fragen, in denen Wahlen durchgeführt werden das jeweils „andere“ Geschlecht die gleichen Rechte (insbes. aktives und passives Wahlrecht) haben muss. Eine entsprechende Ausgestaltung wäre jedenfalls verfassungswidrig.
Ginge die Partei noch einen Schritt weiter und entschiede sie sich ausschließlich Frauen oder ausschließlich Männer in die Partei aufzunehmen, würde sich die Frage stellen, ob unter Art. 21 GG bzw. des Grundgesetzes insgesamt eine derartige Parteisatzung zulässig wäre.
Die Vorgabe des Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG, dass demokratische Prinzipien verfolgt werden, könnte dem hier entgegen stehen, wenn man argumentierte, dass bereits der Zugang zu einer Partei von der Gewährleistung des Art. 21 Abs. 1 S. 3 umfasst wäre. Betrachtete man jedoch die Vorschrift lediglich als Vorgabe für die parteiinternen Abläufe (also das im Verhältnis der [bestehenden] Mitglieder untereinander demokratische Grundsätze eingehalten werden), enthielte Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG keine Vorgabe in Bezug auf die Neuzulassung von Mitgliedern und würde es nicht grundsätzlich verbieten Mitglieder nach Geschlecht auszuwählen. Nach vorherrschender Ansicht beschränkt sich die Wirkung von Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG auf das Verfahren der politischen Meinungs- und Willensbildung und setzt voraus, dass Entscheidungen auf den Willen eines kollektiven Subjekts zurückgeführt werden können. Art. 21 GG enthält also kein Verbot einer reinen „Männer-“ oder reinen „Frauenpartei“.
Andere Vorschriften des Grundgesetzes würden beim Zugang zu den Parteien diese nicht unmittelbar binden. Einfachgesetzlich könnte sich ein Anspruch aus AGG ergeben, welcher jedoch im Lichte der Freiheit der Parteien auszulegen ist.
Welche Rechte haben Abgeordnete im Parlament?
Abgeleitet aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG haben die Abgeordneten Mitwirkungsrechte, die sowohl im Parlament als auch in den Ausschüssen grundsätzlich gelten (Rederecht, Antragsrecht, Stimmrecht). Darüber hinaus sind die Abgeordneten zugleich als Teil der demokratischen Gewalten zur Kontrolle der Regierung angehalten, weshalb aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG auch ein Informationsrecht der Abgeordneten (Fragerecht) abgeleitet wird. Beschränkungen finden diese Rechte in der Funktionsfähigkeit des Parlaments (was z.B. die Begrenzung der Rededauer rechtfertigen kann) oder durch den Schutz geheimhaltungsbedürftiger Informationen (in Bezug auf die Informationsrechte der Abgeordneten).

Zusammenfassung:

1. Sog. Paritätsgesetze (wie sie in Brandenburg und Thüringen zunächst verabschiedet und dann von den Landesverfassungsgerichten für verfassungswidrig befunden wurden), die die Parteien dazu verpflichten Landeslisten in abwechselnder Reihenfolge mit Männern und Frauen zu besetzen beeinträchtigen die Freiheit und Gleichheit der Wahl, sowie die Rechte der Parteien aus Art. 21 Abs. 1 GG in Form der Betätigungsfreiheit und der Chancengleichheit der Parteien.

2. Das Demokratieprinzip enthält eine Verpflichtung auf ein Organisationsmodell, welches die gleichen Rechte zur Teilhabe der Bevölkerung als Ganzes garantiert. Ein Rechtfertigungsgrund liegt nicht darin, eine Repräsentation für einzelne Bevölkerungsgruppen oder eine dem soziologischen oder geschlechtlichen Bild der Bevölkerung entsprechende Abbildung im Parlament (Abbildungsgleichheit) erreichen zu wollen.

3. Auch die Förderpflicht des Staates aus Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG zur Förderung der gleichberechtigten Teilhabe enthält – unter der Annahme, dass darin nicht nur ein besonderes Gleichheitsrecht liegt – keine Rechtfertigung für die Beeinträchtigungen.


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