BGH-Urteil vom 28.06.2017 – 5 StR 20/16 – NJW 2017, 3249
Sachverhalt
A ist betreuende Ärztin in einem Transplantationszentrum und betreut die Patienten B und C. Beide benötigen dringend eine Spenderleber. Damit ihre Patienten eine neue Leber erhalten können, veranlasste A die Aufnahme auf die Warteliste von Eurotransplant. Eurotransplant ist eine privatrechtliche Stiftung, welche Organe im Rahmen eines internationalen Austausches vermittelt auf Grundlage des TPG. Wahrheitswidrig gab sie dabei gegenüber Eurotransplant an, dass sich B bereits in Dialysetherapie befindet und der Kreatin-Wert sehr hoch ist (dieser zeigt die Dringlichkeit einer Transplantation an). C wiederum hat Leberprobleme aufgrund von übermäßigem Alkoholkonsum, sodass die Bundesärztekammerrichtlinie vorsieht, dass solche Patienten erst nach sechs Monaten Abstinenz auf die Transplantationsliste gesetzt werden dürfen. Diese sechs Monate waren in diesem Zeitpunkt noch nicht vergangen, was A gegenüber Eurotransplant nicht mitteilte. A weiß, dass ihre Patienten ohne diese wahrheitswidrigen Angaben nicht auf die Warteliste der Eurotransplant aufgenommen worden wären. Sie wollte jedoch die Überlebenschancen ihrer Patienten erhöhen. Sie hielt es für möglich, dass diese anderen Patienten im Rang vorgezogen werden könnten und die dahinterliegenden Ränge gegebenenfalls keine Organspende erlangen und dadurch versterben könnten. Das Sterberisiko hielt sie jedoch für gering, zudem wusste A, dass trotz einer Organspende die Patienten versterben können. A wusste, dass nicht für alle Patienten auf der Liste eine Spenderleber vorhanden ist, ging jedoch davon aus, dass für die dringenden Fälle stets ein Organ zur Verfügung steht. Ihre Patienten haben eine Organspende erhalten. Ob tatsächlich jemand infolgedessen gestorben ist, kann nicht ermittelt werden.
Strafbarkeit der A nach dem StGB? § 278 StGB ist nicht zu prüfen.
Skizze
Gutachten
A. Strafbarkeit aufgrund der Angaben zu B: §§ 212 I, 22, 23 I StGB
Indem A veranlasste, dass B aufgrund wahrheitswidriger Angaben in die Warteliste von Eurotransplant aufgenommen wurde, könnte sie sich wegen versuchten Totschlags an den „überholten“ Patienten gemäß §§ 212 I, 22, 23 I StGB strafbar gemacht haben.
I. Vorprüfung
Die Tat wurde nicht vollendet, weil nicht festgestellt werden kann, ob infolge der Handlung der A andere Patienten gestorben sind, sodass in dubio pro reo davon auszugehen ist, dass der Tod eines anderen nicht verursacht wurde. Die Strafbarkeit des Versuchs folgt aus § 23 I, 12 I iVm. 212 I BGB.
Vernetztes Lernen: In welcher Weise können unklare Sachverhalte im Strafrecht noch relevant werden?1. Postpendanzfeststellung
Liegt vor, wenn lediglich das Nachtatgeschehen sicher ist, wobei die rechtliche Bewertung der ungewissen Vortat notwendig ist.
Bsp.: A war entweder am Diebstahl mittäterschaftlich beteiligt und hat das Diebesgut auf diese Weise erlangt oder er hat das Diebesgut als Hehler erhalten. Sicher ist nur, dass A das Diebesgut an den gutgläubigen B verkauft hat. Für die Beurteilung der Hehlerei ist jedoch wichtig, ob A am Diebstahl beteiligt war (Stichwort: Stehler ist nie Hehler).
2. Prädendanzfeststellung
Liegt vor, wenn lediglich das Vorgeschehen sicher ist, wobei die rechtliche Bewertung der ungewissen Nachtat notwendig ist.
Bsp.: Unklar ist, ob A an einem Mord beteiligt war oder nicht. Sicher ist nur, dass er von dem Mord wusste und diesen nicht angezeigt hat.
3. Echte Wahlfeststellung
Liegt vor, wenn kein Beweis für eine bestimmte Tat geführt werden kann. Es steht jedoch fest, dass zwangsläufig eine von mehreren möglichen Taten begangen wurde. Sicher ist, dass ein strafloser Hergang ausscheidet.
Bsp.: A war entweder am Diebstahl mittäterschaftlich beteiligt und hat das Diebesgut auf diese Weise erlangt oder er hat das Diebesgut als Hehler durch Ankauf erhalten.
4. Unechte Wahlfeststellung
Liegt vor, wenn die verwirklichte Strafnorm feststeht, jedoch nicht klar ist, durch welche Handlung die Strafnorm verwirklicht wurde.
Bsp.: A hat als Zeuge in zwei verschiedenen Verhandlungen völlig unterschiedlich ausgesagt, wobei seine Aussage sich in beiden Verhandlungen auf denselben Sachverhalt bezog. Es steht damit nur fest, dass er in einer der beiden Verhandlungen gelogen haben muss, in welcher kann nicht festgestellt werden.
II. Tatentschluss
A müsste Tatentschluss hinsichtlich der Tötung eines anderen Patienten gehabt haben. Tatentschluss liegt vor, wenn der Täter Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale hatte und auch alle sonstigen subjektiven Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Vorsätzlich handelt, wer bei Begehung der Tat zumindest für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, dass durch sein Verhalten alle Umstände, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören, verwirklicht werden. A erkannte, dass die Rangliste sich aufgrund ihrer Angaben verändern würde und möglicherweise ein Patient keine oder erst später eine Organspende erhält und die Möglichkeit eines Todesfalles bestand. Fraglich ist, ob A sich auch vorstellte, den Tod des „überholten Patienten“ kausal herbeizuführen.
1. Vorsatz hinsichtlich der Kausalität
Nach der Äquivalenztheorie ist eine Handlung kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der tatbestandliche Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. [1]Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Auflage 2019, § 13, Rn. 3. Ohne die unwahren Angaben wäre B nicht auf die Wartelistegekommen, sodass diese Angaben nicht hinweggedacht werden können, ohne dass die Veränderung der Rangplätze entfiele. A ging davon aus, dass ohne ihre Veränderung der „überholte“ Patient früher eine Organspende erhalten hätte, wobei A auch wusste, dass auch nach einer Organspende Patienten versterben können. A hatte demnach keine konkrete Vorstellung bezüglich des Ausbleibens des Todes, vielmehr hatte sie hypothetische Überlegungen und Vorstellungen bezüglich eines möglichen weiteren Krankheitsverlaufs des „überholten“ Patienten. Sie hatte demnach keine sichere Vorstellung über den weiteren Kausalverlauf.
Fraglich ist, ob diese hypothetische Vorstellung bezüglich der Möglichkeit einer früheren Organtransplantation und einer möglichen Überlebenswahrscheinlichkeit Berücksichtigung finden kann. Grundsätzlich sind Reserveursachen, welche ebenfalls zum Eintritt des tatbestandlichen Erfolges führen, in der Kausalität nicht zu berücksichtigen, da sie nicht zum Erfolg in seiner konkreten Gestalt führen. In dieser Konstellation handelt es sich jedoch um eine Ursache, welche in einen anderen Kausalverlauf eingreift. Betrachtet man die Vergabe des Organes und der damit verbunden Transplantation, kann festgestellt werden, dass in dieser Handlung eine Rettung des Lebens des „überholten“ Patienten zu sehen ist. Demnach hat A in einen fremden rettenden Kausalverlauf eingegriffen. In solchen Konstellationen sind Reserveursachen ausnahmsweise für die Kausalitätsfrage zu berücksichtigen. In diesem Fall wird der tatsächliche Kausalverlauf nicht durch einen hypothetischen Verlauf ersetzt, sondern lediglich ergänzt. Maßgeblich ist demnach, ob der Täter einen konkreten, rettenden Kausalverlauf unterbricht, der zur Rettung des Opfers geführt hätte. [2]Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2019, § 13 Rn. 20.
Vernetztes Lernen: Liegt bei einem Eingriff in einen rettenden Kausalverkauf ein Tun oder Unterlassen vor?Hier muss differenziert werden. Unterschieden wird hier zwischen dem Abbruch eigener und fremder Rettungsbemühungen. [3]Vgl. zu den Abgrenzungskriterien: Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2019, § 48 Rn. 9ff.
1. Verhindern fremder Rettungsbemühungen
Greift der Täter in einen rettenden Kausalverlauf ein, der von einem Dritten in Gang gesetzt wurde, so handelt es sich immer um ein Tun, eine Untätigkeit kommt nicht in Betracht. Sowohl nach der naturalistischen Betrachtung als auch nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit haben wir positiven Energieeinsatz, welcher einen Kausalverlauf anstößt. Ein Unterlassen wäre nur in der Form denkbar, in welcher der Täter das Rettungsmittel, welches von einem Dritten überlassen wurde, vorenthält.
2. Abbruch eigener Rettungsbemühungen
Wie der Abbruch eigener Rettungsbemühungen zu beurteilen ist, ist umstritten.
Eine Ansicht stellt auf den konkreten Zeitpunkt der Handlung ab und schaut, ob der rettende Kausalverlauf die Sphäre des Opfers bereits erreicht hat oder noch nicht. Wurde die Sphäre des Opfers noch nicht erreicht, handelt es sich um ein Unterlassen, danach um ein aktives Tun.
Nach einer anderen Ansicht kommt es darauf an, ob der Täter den rettenden Kausalverlauf bereits aus der Hand gegeben hat oder noch nicht. Hat er diesen aus der Hand gegeben, so liegt aktives Tun vor.
Stellungnahme: Gegen die erste Ansicht spricht, dass diese nicht im Einklang steht mit der Beurteilung bezüglich eines Abbruches bei fremden rettenden Kausalverläufen. Der Eingriff in einen fremdenden Kausalverlauf stellt immer ein aktives Tun dar, weshalb dies bei der Beurteilung der Unterbrechung des eigenen Kausalverlaufes anders zu beurteilen ist, erschließt sich nicht. Für diese Ansicht spricht jedoch, dass der Täter durch den Abbruch der Rettungsbemühungen für das Opfer ein neues Risiko schafft. Durch die bereits fortgeschrittene Rettung wurde zunächst die Lage des Opfers verbessert und wird durch den Eingriff des Täters wieder verschlechtert. Maßgeblich ist demnach, ob die erste Rettungsmaßnahme bereits die Sphäre des Opfers erreicht hat, oder noch nicht.
2. Vorsatz bei hypothetischen Kausalverläufen
Für den Tatentschluss maßgeblich ist somit, ob A annahm, dass die frühere Vergabe des Organes den Tod des „überholten“ Patienten verhindert hätte. A hat sich vorgestellt, dass der „überholte“ Patient früher eine Organspende erhalten hätte, erkannte aber auch, dass Patienten trotz erfolgreicher Organtransplantation sterben können, da eine Heilung von vielen individuellen Faktoren abhängig ist. Es stellt sich nun die Frage, welche Anforderungen an das kognitive Vorsatzelement bei hypothetischen Kausalverläufen zu stellen sind.
a) Rspr. BGH
Zunächst könnte der „nicht in Gang gesetzte“ rettende Kausalverlauf als Unterlassen gewertet werden, sodass es darauf ankommen könnte, dass der Täter annehmen müsste, dass das Opfer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte gerettet werden können. A erkannte, dass auch nach einer Organtransplantation Patienten sterben können, sodass sie gerade nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen konnte, dass der „überholte“ Patient ohne die Manipulation bei der Vergabe überlebt hätte. Nach dieser Ansicht ist bereits das kognitive Vorsatzelement nicht gegeben, sodass ein Tatentschluss abzulehnen wäre.
b) a. A.
Nach einer anderen Auffassung liegt Vorsatz bereits vor, wenn der Täter die Rettung durch den rettenden Kausalverkauf zumindest für möglich hält. A ging davon aus, dass sich die Überlebenschancen zumindest verbessern würden und damit auch die Möglichkeit bestand, dass eine frühe Organspende den Tod verhindern könnte. Nach dieser Ansicht wäre das kognitive Element gegeben, sodass die Ansichten zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen.
Eine Stellungnahme könnte jedoch entbehrlich sein, wenn der Vorsatz mangels des voluntativen Elements ebenfalls entfallen würde, sodass im Ergebnis kein Tatentschluss der A gegeben wäre.
Das voluntative Element wird verneint, wenn der Täter auf das Ausbleiben des Erfolges vertraut und gerade keinen Verwirklichungswillen hat. A ging davon aus, dass genügend Spenderorgane für dringende Patienten zur Verfügung stehen. Dies spricht dafür, dass sie darauf vertraute, nicht den Tod anderer Patienten zu verursachen und damit nicht den rettenden Kausalverlauf zu beeinflussen. A als Ärztin in einem Transplantationszentrum verfügt über genügend Wissen, um diese Vertrauensbasis zu haben. Demnach wäre auch das voluntative Element des Vorsatzes abzulehnen, sodass ein Streitentscheid hier entbehrlich ist. Nach beiden Ansichten ist der Vorsatz der A nicht gegeben.
3. Ergebnis
Mangels Tatentschlusses hat A sich nicht wegen versuchtem Totschlag nach §§ 212 I, 22, 23 I StGB strafbar gemacht, als sie wahrheitswidrige Angaben bezüglich B gegenüber Eurotransplant angab.
B. Strafbarkeit aufgrund der Angaben zu C: §§ 212 I, 22, 23 I StGB
Hinsichtlich der Angaben bezüglich C gegenüber Eurotransplant hat A ebenfalls keinen Vorsatz bezüglich der Kausalität, sodass auch diesbezüglich mit gleicher Argumentation einen Tatentschluss hinsichtlich eines Totschlages gegenüber des „überholten“ Patienten abzulehnen ist. Mangels Tatentschlusses hat A sich nicht wegen versuchtem Totschlag nach §§ 212 I, 22, 23 I StGB strafbar gemacht, als sie wahrheitswidrige Angaben bezüglich C gegenüber Eurotransplant angab.
AnmerkungSchaut man sich das BGH-Urteil genauer an, wird deutlich, dass er für die verschiedenen Konstellationen die fehlende Strafbarkeit anders begründet. Grundsätzlich wird in der Rechtsprechung keine objektive Zurechnung geprüft, nur in der Literatur haben wir diesen Prüfungspunkt. Für den BGH ist in früheren Entscheidungen nur die Kausalität maßgeblich gewesen, lediglich in Ausnahmefällen wird der objektive Tatbestand aufgrund eines Tatbestandausschlusses verneint. Unter dem Stichwort „rechtliche Missbilligung“, führt der BGH jedoch folgendes aus:
„Rn. 35: cc) Diese Umstände können bei der Interpretation des § 212 StGB nicht außer Acht bleiben. Zwar trifft es zu, dass das vorsätzliche Tötungsdelikt des § 212 Abs. 1 StGB (…) keine spezielle Form der Tatbegehung voraussetzt (…) könnte eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen (versuchter) Tötungs- oder Körperverletzungsdelikte vorliegend nur mit der formalen Verletzung der Richtlinien begründet werden. Es kann aber nicht in Betracht kommen, im Wege der Auslegung der §§ 212, 223 StGB eine allein an den Formalverstoß anknüpfende Bewehrung der – nach den vorbezeichneten Grundsätzen nicht strafrechtlich bewehrbaren – Richtlinienbestimmung herbeizuführen und insbesondere den Totschlagstatbestand hierdurch bei sehr hohen Strafdrohungen gleichsam als durch die Richtlinienbestimmung ausgefülltes Blankett auszugestalten (vgl. auch Schroth/Hofmann, FS Kargl, aaO, S. 539). Eine Auslegung in diesem Sinne würde Art. 103 Abs. 2 GG verletzen. (…)“
Diese Passage findet sich nur bei der Begründung der Strafbarkeit für C, da C grundsätzlich einen Anspruch auf einen Wartelisteplatz hat (lediglich sechs Monate später) und an den übrigen Einstufungen bezüglich des Ranges die A keine Verschiebung vorgenommen hat. Dadurch wird deutlich, dass der BGH diesen Verstoß als weniger „schwerwiegend“ erachtet und den Arzt vor einer Strafbarkeit schützen möchte, da diese nur auf Grundlage des Verstoßes gegen das TPG i.V.m. Richtlinie der Bundesärztekammer denkbar ist. In unserem geschilderten Fall (sowie in dem BGH-Fall) wäre die Strafbarkeit jedoch bereits aufgrund fehlendem Vorsatzes hinsichtlich der Kausalität ausgeschlossen, sodass es hier nicht mehr auf die objektive Zurechnung ankommt.
Zusatzfragen
Unterstellt, der Tatentschluss der A ist gegeben. In welchen Zeitpunkt hätte A unmittelbar zum Versuch angesetzt?Ein Täter hat unmittelbar zur Tat angesetzt, wenn für ihn subjektiv das Rechtsgut bereits konkret gefährdet erscheint und objektiv keine wesentlichen Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung mehr notwendig sind und er damit die Schwelle zum „Jetzt-geht-es-los“ überschritten hat. [4]Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2019, § 34 Rn. 22. Die „überholten“ Patienten sind konkret gefährdet, sobald die Angaben bezüglich der Patienten Eurotransplant übermittelt wurden. Mit der Übersendung der Daten hat A bereits alle Zwischenschritte zur Verschiebung der Ränge eingeleitet, die konkrete Verschiebung hängt aber noch von der Bewertung der Angaben durch Eurotransplant ab, sodass noch ein wesentlichen Zwischenschritt maßgeblich ist für die konkrete Gefährdung des „überholten“ Patienten. Wann der Täter in sollten Fällen unmittelbar ansetzt wird nicht einheitlich beantwortet.
Eine Ansicht hält es für ausreichend, wenn das Täterhandeln abgeschlossen ist. Der Versuchsbeginn ist demnach gegeben, wenn der Täter aus seiner Sicht alles zur Erfolgsherbeiführung getan hat und den weiteren Geschehensablauf bewusst aus der Hand gegeben hat und mit zeitnaher Gefährdung rechnet.
A hat alle Angaben bezüglich ihrer Patienten getätigt und diese Übermittelt, sodass sie alles zur Erfolgsherbeiführung getan hat und den Geschehensablauf bewusst aus der Hand gab und damit rechnete, dass Eurotransplant nach seinen Vorgaben die Ränge einstufen wird. Nach dieser Ansicht hat A mit dem Absenden der Daten unmittelbar zur Tat angesetzt.
Nach einer anderen Ansicht ist der Zeitpunkt maßgeblich, in dem auch Sicht des Täters eine konkrete Gefährdung eingetreten ist. A als Ärztin im Transplantationszentrum kennt die Abläufe bei der Organverteilung. Sie weiß, dass Eurotransplant ihre Daten sofort auswerte und die Rangplätze anpassen wird. Demnach geht sie bereits bei Absendung der Daten davon aus, dass eine Verschiebung stattfinden wird und der „überholte“ Patient konkret gefährdet wird. Auch nach dieser Ansicht hat A mit der Absendung der Daten unmittelbar angesetzt.
Als A die Angaben der B wahrheitswidrig in die Patientenakte einträgt erscheinen Beamte der Polizei, da diese bereits seit längerer Zeit gegen A ermitteln, da eine Krankenschwester die Machenschaften der A gegenüber der Polizei meldete. Ohne weitere Förmlichkeiten fragen die Beamten, was die A in diesem Moment gerade tut und ob die Angaben bezüglich der B der Wahrheit entsprechen. A berichtete alles wahrheitsgemäß. A wird zur Polizeidienststelle mitgenommen und der Ermittlungsrichterin vorgeführt. Die Richterin belehrt sie über das Recht zu Schweigen und das Recht, sich einen Verteidiger zu nehmen. A wiederholt gegenüber der Richterin das Geständnis. Später in der Hauptverhandlung beruft sich A auf ihr Schweigerecht auf Anraten des Verteidigers.
Kann das Gericht seine Entscheidung auf das Geständnis der A stützen?
Gemäß § 261 StPO schöpft das Gericht seine Überzeugung aus der Durchführung der mündlichen Verhandlung. Ein Rückgriff auf die Ermittlungsakte ist dem Gericht nicht gestattet. Demnach wäre das Geständnis nur nach § 243 V S. 1 StPO verwertbar, wenn A dies während ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung wiederholt. Gemäß § 254 StPO ist ausnahmsweise die Verlesung eines früheren richterlichen Protokolls zulässig. Zudem wäre es möglich, die Polizeibeamten als Zeugen vom Hörensagen zu vernehmen. Eine solche Vernehmung widerspricht nicht dem Unmitelbarkeitsgrundsatz aus § 250 StPO, da die Beamten bezüglich Ihrer eigenen Wahrnehmung vernommen werden. Möglicherweise steht der Beweisaufnahme jedoch ein unselbstständiges Beweisverwertungsverbot entgegen, wenn das Geständnis der A verfahrensfehlerhaft zustande gekommen ist.
Zunächst ist möglicherweise die polizeiliche Vernehmung im Transplantationszentrum fehlerhaft.
Gemäß §§ 136 I S. 2, 163a IV S. 2 StPO hätte A vor ihrer Vernehmung belehrt werden müssen, wenn diese als Beschuldigte vernommen wurde. Die Beschuldigteneigenschaft setzt subjektiv Verfolgungswillen der Behörden voraus, der sich objektiv in einem Willensakt manifestiert haben muss. Die Beamten erschienen im Transplantationszentrum, da sie bereits gegen A ermitteln, sodass sie subjektiv Verfolgungswillen hatten und diesen auch objektiv durch das Vorgehen manifestierten. A wurde demnach als Beschuldigte befragt. Darüber hinaus müsste eine Vernehmung in den Räumlichkeiten des Transplantationszentrum stattgefunden haben. Dies ist der Fall, wenn der Beamte gegenüber dem Vernehmenden in amtlicher Funktion gegenübertritt und in dieser Eigenschaft eine Auskunft erlangt. Die Polizeibeamten sind in ihrer amtlichen Eigenschaft gegenüber A aufgetreten und sie hat gegenüber diesen ein Geständnis abgelegt.
Das Fehlen einer Belehrung gemäß § 136 I S. 2 StPO führt zu einem Verwertungsverbot mit Widerspruchsvorbehalt, soweit feststeht, dass der Beschuldigte seine Rechte nicht kannte. Die Angaben der A gegenüber der Polizei vor Ort sind nicht verwertbar, sodass eine Vernehmung der Polizeibeamten als Beweismittel ausscheidet.
Fraglich ist, ob die richterliche Vernehmung ordnungsgemäß war und das richterliche Protokoll verlesen werden kann. Die Richterin hatte A ordnungsgemäß über ihre Rechte belehrt. Allerding hat sie die A nicht darüber belehrt, dass ihr Geständnis gegenüber der Polizei nicht verwertet werden kann. Demnach fehlt eine qualifizierte Belehrung. Eine solche ist jedoch notwendig, um zu gewährleisten, dass der Beschuldigte auf sein Aussageverweigerungsrecht nicht nur deshalb verzichtet, da er möglicherweise glaubt, er sei durch seine eigene frühere Aussage bereits überführt. Ob dies zu einem Beweisverwertungsverbot führt wird nicht einheitlich beantwortet.
Nach der Literatur soll das Fehlen einer qualifizierten Belehrung keine andere Folgen haben als das Fehlen einer Beschuldigtenbelehrung selbst, sodass ein Beweisverwertungsverbot gegeben wäre. Nach Ansicht der Rechtsprechung hat der Verstoß gegen die Pflicht einer qualifizierten Belehrung jedoch nicht dasselbe Gewicht wie der Verstoß gegen § 136 I S. 2 StPO. Die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes ergibt sich vielmehr aus einer Einzelfallabwägung. Hierfür ist einerseits relevant, ob die Belehrung bewusst ausgeblieben ist, um die Geständnisbereitschaft zu sichern. Anderseits muss das Interesse an der Sachaufklärung berücksichtig werden. Ferner kommt es auch darauf an, ob aus den Umständen ersichtlich ist, dass der Vernommene davon ausging, dass er von seiner Aussage nicht mehr abrücken kann. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Aussage inhaltlich lediglich wiederholt wird.
A hat ihre Aussage gegenüber der Ermittlungsrichterin lediglich inhaltlich wiederholt. Eine bewusste Umgehung der Verfahrensvorschriften wird nicht ersichtlich. Es ist nicht davon auszugehen, dass A davon ausging, dass sie von ihrer Aussage nicht mehr abrücken kann. Aufgrund des Vertrauens in das Gesundheitswesen der Allgemeinheit besteht ein großes Interesse an der Aufklärung der Machenschaften der A, sodass das Interesse an der Sachaufklärung als hoch einzustufen ist. Zudem hängt von dem Vertrauen in das Gesundheitswesen auch die Organspendebereitschaft der Bevölkerung ab, welche durch solche Sachverhalte abnimmt. Ein Beweisverwertungsverbot ist demnach nicht gegeben. Das richterliche Vernehmungsprotokoll kann verlesen werden, sodass das Gericht seine Entscheidung auf das Geständnis der A stützen kann.
Zusammenfassung
1. Ersatzursachen in der Kausalität zu berücksichtigen ist nur verboten, wenn diese anstelle der wegzudenkenden Handlung hinzugedacht werden. Geboten ist dagegen, Umstände hinzuzudenken, die den Erfolg verhindert hätten, wenn die maßgebliche Handlung nicht stattgefunden hätte. Demnach handelt nur mit Tötungsvorsatz, wer sich vorstellt, dass das Opfer ohne die eigene Handlung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gerettet worden wäre.
2. Wird ein Beschuldigter bei seiner ersten Vernehmung nicht über seine Beschuldigtenrechte belehrt, so muss in der darauffolgenden Vernehmung qualifiziert darüber belehrt werden, dass die erste getätigte Aussage nicht verwertbar ist. Unterbleibt eine solche Belehrung folgt daraus nach der Rechtsprechung jedoch nicht zwangsläufig ein Beweisverwertungsverbot, sondern ist im Einzelfall zu beurteilen.