OLG Bremen, Beschluss vom 8.1.2025 – 1 ORs 26/24, NJW 2025, 847
Sachverhalt
K steht im Verdacht, kinderpornografische Bilddateien verbreitet zu haben. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wurde ein Durchsuchungsbeschluss erlassen, der im März 2023 vollstreckt wurde. Der (rechtmäßig erlassene) Beschluss erstreckte sich unter anderem auf das Auffinden und die Sicherstellung des Mobiltelefons von K.
Im Rahmen der Durchsuchung wurde K durch den eingesetzten Polizeibeamten P befragt, ob er im Besitz eines Mobiltelefons sei. K gab an, kein funktionsfähiges Mobiltelefon zu besitzen. Während der Maßnahme klingelte jedoch ein Mobiltelefon, das im Bereich des Sofas aufgefunden wurde und dem K zugeordnet werden konnte.
Polizeibeamter P nahm das Mobiltelefon an sich und stellte fest, dass dieses gesperrt war. Er forderte K auf, das Gerät zu entsperren. K verweigerte die Entsperrung. Daraufhin wurde er durch P darüber belehrt, dass im Weigerungsfall eine Entsperrung mittels unmittelbaren Zwangs durch das Auflegen seines Fingers erfolgen werde.
K versuchte daraufhin, sich der Maßnahme zu entziehen, indem er das Zimmer verlassen wollte. Um dies zu verhindern, ergriff P den Arm des K. In der Folge versuchte K, sich durch Schläge und Wegdrehen aus dem Griff zu befreien.
Daraufhin wurde K von einem weiteren Polizeibeamten mittels eines sog. Kopf-Kontroll-Griffs zu Boden gebracht. Dies ermöglichte es P, den Finger des K zur Entsperrung des Mobiltelefons zu verwenden.
Strafbarkeit des K?
Skizze
Gutachten
Strafbarkeit gem. § 113 I StGB.
K könnte sich gem. § 113 I StGB strafbar gemacht haben, indem er sich gegen P wehrte, als dieser den Finger des K dazu nutzen wollte, sein Mobiltelefon zu entsperren.
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a. Amtsträger
Dafür müsste P ein Amtsträger sein. Ein Amtsträger ist gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB, wer nach deutschem Recht Beamter oder in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis steht oder sonst dazu bestellt ist, Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen.
Im vorliegenden Fall handelt es sich bei dem Polizeibeamten P um einen Angehörigen der Polizei, der hoheitlich tätig war. Polizeibeamte sind Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB. P war somit Amtsträger.
b. Diensthandlung
P als Amtsträger müsste sich bei der Ausübung einer Diensthandlung befunden haben. Eine Diensthandlung ist eine Handlung, die der Amtsträger in Ausübung seines Dienstes vornimmt, d.h. in seinem funktionellen Aufgabenbereich tätig wird.[1]Dazu Fischer, Fischer/Anstötz, 72. Aufl. 2025, § 113 Rn. 7.
Im konkreten Fall vollstreckte P einen rechtmäßig erlassenen Durchsuchungsbeschluss, der sich ausdrücklich auch auf das Auffinden des Mobiltelefons von K bezog. Die Aufforderung zur Entsperrung des Handys, ebenso wie die Verhinderung des Verlassens des Raumes und das Ergreifen des Arms des K, geschahen im Rahmen dieser Maßnahme. Folglich lag eine Diensthandlung vor.
Vernetztes Lernen: Muss die Diensthandlung, gegen die sich der Widerstand richtet, rechtmäßig sein – oder reicht es aus, dass sie dienstlich ist, also im funktionellen Aufgabenbereich des Amtsträgers liegt?Nach der herrschenden Meinung muss die Diensthandlung rechtmäßig sein. Das bedeutet, dass die Amtsträger sachlich und örtlich zuständig sind und die förmlichen Wesentlichkeiten eingehalten sind (z.B. die Eröffnung des Vorführungsbefehls nach § 134 stopp, Vorzeigen des Haftbefehls bei Verhaftung).[2]Fischer, Fischer/Anstötz, 72. Aufl. 2025, § 113 Rn. 16 f. Das Argument lautet, dass nur der Amtsträger, welcher im Rahmen seiner Befugnisse handelt, den strafrechtlichen Schutz nach § 113 StGB verdient.
In der Literatur wird teilweise vertreten, dass es ausreicht, dass die Handlung dienstlich, also im Aufgabenbereich liegt, selbst wenn diese rechtswidrig ist. Solang sie nicht völlig außerhalb der Amtskompetenz liegt. Das Argument dieser Ansicht lautet, dass die Funktionsfähigkeit staatlicher Vollstreckung auch bei späterer Korrektur durch Gerichte geschützt sein müsse.[3]Vgl. dazu ,Rengier, Strafrecht BT II, 26. Aufl. 2025, § 113 Rn. 48 f.
c. Widerstandleisten
K müsste darüber hinaus Widerstand geleistet haben. Ein Widerstand im Sinne des § 113 StGB liegt vor, wenn der Täter die Diensthandlung durch körperliche Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu erschweren versucht.[4]Fischer, Fischer/Anstöz, 72. Aufl. 2025, § 113 Rn. 22.
K versuchte, sich der Maßnahme zu entziehen, indem er das Zimmer verlassen wollte, also einer polizeilichen Maßnahme auswich. Als P dies verhindern wollte, schlug K mehrfach um sich und drehte sich weg, um sich aus dem Griff des Beamten zu befreien. Durch diese aktive körperliche Gegenwehr leistete K Widerstand durch Gewalt.
Vernetztes Lernen: Wie sind der tätliche Angriff und der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte konkret abzugrenzen?1. Tätlicher Angriff gem. § 114 StGB
Ein tätlicher Angriff ist ein unmittelbares, feindseliges Tätigwerden gegen die Person des Amtsträgers oder der zur Vollstreckung befugten Personen.
Er zielt auf eine direkte körperliche Einwirkung, z. B. Schläge, Stöße, Würgen oder andere körperliche Angriffe. Der Angriff ist aktiv und unmittelbar auf die körperliche Integrität oder Bewegungsfreiheit des Beamten gerichtet. Ein tätlicher Angriff kann auch in der Vorbereitung der Diensthandlung bestehen, wenn der Täter bereits körperlich auf den Beamten einwirkt.
2. Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gem. § 113 StGB
Widerstand umfasst alle Widerstandshandlungen gegen die Diensthandlung, die nicht als tätlicher Angriff zu qualifizieren sind.
Dies sind insbesondere Abwehrhandlungen, wie das sich Wegdrücken, Festhalten, Wegziehen oder Blockieren der dienstlichen Maßnahme. Der Widerstand kann sich gegen den Einsatz von unmittelbarem Zwang oder gegen sonstige Maßnahmen richten, ohne dass der Täter den Amtsträger unmittelbar angreift. Widerstand ist daher eine passivere, aber beharrliche Verweigerung oder Behinderung der Diensthandlung.
Kurzfassung:
Tätlicher Angriff = direkte, feindselige, körperliche Einwirkung auf den Amtsträger selbst.
Widerstand = jede sonstige physische Behinderung oder Verweigerung gegenüber der Diensthandlung ohne unmittelbare Körperverletzung.
2. Subjektiver Tatbestand
K müsste vorsätzlich gehandelt haben. Vorsatz bedeutet Wissen und Wollen in Bezug auf alle objektiven Tatbestandsmerkmal. K war bewusst, dass es sich bei P um einen Polizeibeamten handelte, der eine hoheitliche Maßnahme durchführte. Er erkannte auch, dass die Aufforderung zur Entsperrung des Handys Teil der Durchsuchung war. Durch das aktive Schlagen und Drehen handelte K zielgerichtet gegen die polizeiliche Maßnahme. Mithin handelte K vorsätzlich.
Vernetztes Lernen: Sind die allgemeinen Irrtumsregelungen auf Para. 113 StGB anwendbar?Nein, denn der Straftatbestand enthält eigene Irrtumsregelungen. Bei der Anwendung des § 16 StGB wäre es problematisch, dass die objektive Rechtmäßigkeit der Diensthandlung nicht vom Vorsatz erfasst sein muss. Auch wenn der Täter sich über die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung keine Gedanken macht, liegt beim Widerstandleisten trotzdem eine strafbare Tat nach § 113 StGB vor. Im Umkehrschluss entfällt die Strafbarkeit, wenn die Diensthandlung tatsächlich nicht rechtmäßig ist.
Der Irrtum des Täters wird in § 113 StGB abweichend von den sonst für Irrtümer über Rechtfertigungsgründe geltenden Regeln behandelt: Nach § 113 III 2 StGB ist eine Strafbarkeit auch dann ausgeschlossen, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist, der Täter sie aber irrig für rechtmäßig hält. Ein subjektives Rechtfertigungselement ist hierfür also nicht erforderlich.[5]Fischer, Fischer/Anstötz, 72. Aufl. 2025, § 113 Rn. 28.
Auch für den Verbotsirrtum hat der Gesetzgeber eine eigene Regelung geschaffen: § 113 Abs. 4 StGB regelt den sogenannten Verbotsirrtum. Danach ist der Täter auch dann strafbar, wenn er glaubt, dass die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist, sich also im Irrtum über die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung befindet.
Das bedeutet: Selbst wenn der Täter die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung verkennt und fälschlicherweise meint, die Handlung sei unrechtmäßig, wird ihm der Widerstand nicht aus diesem Irrtum heraus zugunsten ausgelegt. Der Verbotsirrtum ist hier also nicht strafbefreiend. Die Norm will so verhindern, dass sich Täter auf den Irrtum über die Rechtmäßigkeit berufen, um sich der Strafbarkeit des Widerstands zu entziehen.
Kurz gesagt:
Nach § 113 VI StGB ist die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Widerstands auch dann gegeben, wenn der Täter fälschlich annimmt, die Diensthandlung sei rechtswidrig.[6]Fischer, Fischer/Anstötz, 72. Aufl. 2025, § 113 Rn. 29.
II. Objektive Rechtmäßigkeit der Diensthandlung
Weiterhin müsste die Diensthandlung objektiv rechtmäßig gem. § 113 III StGB gewesen sein.
Problematisch ist, ob das zwangsweise Entsperren des Mobiltelefons rechtmäßig war.
Als Rechtsgrundlage für den unmittelbaren Zwang kommt § 81b I StPO in Betracht. Hiernach dürfen Fingerabdrücke der Beschuldigten auch gegen ihren Willen aufgenommen werden, wenn ihre Aufnahme für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens notwendig ist.
Fraglich ist daher, ob darunter auch das zwangsweise Entsperren des Mobiltelefons fällt.
Die eine Ansicht (Teile der Literatur[7]Vgl. Mansouri/Rückert, JR 2025, 476; Zühlke/Grzesiek, StV 2021, 117; Horter, NStZ 2023, 447.) ist der Meinung, dass § 81b I StPO den zwangsweisen Eingriff nicht rechtfertigen kann. Demnach fehlt es der polizeilichen Handlung des P an einer Rechtsgrundlage und sein Handeln ist rechtswidrig. Die objektive Rechtmäßigkeit der Diensthandlung läge demnach nicht vor.
Eine andere Ansicht (herrschende Rechtsprechung[8]OLG Bremen, NJW 2025, 847, BGH NJW 2025, 22265. bejaht die Anwendung des § 81b I StPO auf die Konstellation. Demnach könnte der durch P angewendete unmittelbare Zwang zum Entsperren des Handys auf § 81b I StPO als Rechtsgrundlage gestützt werden und die objektive Rechtmäßigkeit der Diensthandlung wäre gegeben.
Da die Ansicht zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, ist eine Stellungnahme notwendig.
Für die erste Ansicht wird angeführt, dass § 81b StPO seinem Sinn und Zweck nach lediglich erkennungsdienstlichen Maßnahmen zur Identitätsfeststellung erfasse und nicht jegliche Maßnahmen, die darauf abzielen, den Zugang zu einem geschützten, personenbezogenen Datenträger ermöglichen soll.[9]Vgl. Jahn, Jus 2025, 790, 791. Das zwangsweise Entsperren eines Smartphones stelle einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte des Beschuldigten dar, insbesondere in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie auf die Integrität informationstechnischer Systeme (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG). Das Smartphone stelle für die Ermittlungsbehörden einen „Goldschatz“ dar, mit dessen Hilfe sich die Kommunikations-, Bewegungs- und Persönlichkeitsprofile generieren lassen. Daher verdiene es gerade einen besonderen Schutz.[10]Dazu Anmerkung El-Ghazi, NJW 2025, 847, 850. Zudem sei eine solche Maßnahme nicht mit der Selbstbelastungsfreiheit (nemo tenetur se ipsum accusare) vereinbar, da der Beschuldigte durch das Auflegen seines Fingers aktiv an seiner eigenen Überführung mitwirken müsse. Eine derart tiefgreifende Maßnahme erfordere eine eigenständige, spezifische gesetzliche Ermächtigung; § 81b StPO sei für derart eingriffsintensive Maßnahmen nicht bestimmt. Aus § 81b StPO werde auf diese Weise eine universelle Entschlüsselungsermächtigung.[11]Jahn, JuS 2025, 790, 791. Der Zugriff auf einem Mobiltelefon gespeicherten Daten stelle außerdem eine qualitativ andere und wesentlich intensivere Maßnahme dar als die ursprünglich Zwecke des § 81b StPO.[12]Anmerkung Cornelius, NJW 2025, 2264, 2265. Schließlich verstoße darüber hinaus die Heranziehung dieser Norm in solchen Fällen gegen das Bestimmtheitsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG), da die Rechtsgrundlage nicht hinreichend klar erkennen lasse, dass sie auch zur Entsperrung digitaler Geräte dienen soll.[13]Vgl. Mansouri/Rückert, JR 2025, 476; Zühlke/Grzesiek, StV 2021, 117; Horter, NStZ 2023, 447.
Für die andere Ansicht wird angeführt, dass das zwangsweise Auflegen des Fingers auf einen Sensor eine Maßnahme sei, die ihrem äußeren Vorgang nach der Abnahme eines Fingerabdrucks vergleichbar sei und daher vom Wortlaut der Norm („Fingerabdrücke“ und „ähnliche Maßnahmen“) erfasst werde.[14]BGH NJW 2025, 22265. § 81b StPO sei zudem als technikoffene Norm zu verstehen, die auch neue technische Formen der Identifikation oder Zugriffsermöglichung einschließe. Ein Verstoß gegen die Selbstbelastungsfreiheit liege nicht vor, da der Beschuldigte lediglich eine passive körperliche Mitwirkung erbringen müsse; er sei nicht verpflichtet, eine PIN oder ein Passwort einzugeben. Das bloße Fingerauflegen stelle kein intellektuelles Offenbaren von Wissen dar und sei daher mit dem nemo-tenetur-Grundsatz vereinbar. Auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit sei die Maßnahme gerechtfertigt.[15]OLG Bremen, NJW 2025, 847 Rn. 11 ff; dazu ebenfalls BGH, Beschluss vom 13.03.2025 – 2 StR 232/“4, NJW 2025, 2265. Der Zugriff auf ein Smartphone könne für die Strafverfolgung von zentraler Bedeutung sein (insbesondere bei schwerwiegenden Delikten wie der Verbreitung kinderpornografischer Inhalte). Zudem sei der Eingriff im Vergleich zu anderen Maßnahmen – etwa einer forensischen Umgehung der Gerätesperre – weniger intensiv, da keine dauerhafte Speicherung biometrischer Daten erfolge und der Zugriff nur einmalig erfolge.[16]OLG Bremen, NJW 2025, 847 Rn. 11 ff. Darüber hinaus sei die Maßnahme auch deshalb als verhältnismäßig anzusehen, weil der Richtervorbehalt gewahrt worden sei, sofern zuvor eine richterlich angeordnete Durchsuchung nach §§ 102, 105 I StPO erfolgt wäre, die gezielt das Auffinden von Mobiltelefonen zum Gegenstand gehabt hätte.[17]BGH NJW 2025, 2264.
Bei der Entscheidung, dass bei der Nutzung eines Mobiltelefons die Daten gespeichert werde, müsse damit gerechnet werden, dass die Strafverfolgungsbehörde Zugriff auf diese haben möchte. Dies sei die Konsequenz unserer Welt und der komfortablen und bequemen Nutzung der Mobiltelefone.[18]So Kudlich, JA 2025, 696, 697.
Die besseren Argumente sprechen für die letzte Ansicht. Während die ablehnende Ansicht zu Recht zwar auf die besondere Schutzwürdigkeit personenbezogener Daten und die strukturelle Nähe der Maßnahme zur erzwungenen Selbstbelastung hinweist, überzeugt aber die zustimmende Ansicht durch eine funktionale und technikoffene Auslegung der Norm sowie durch das Ziel effektiver Strafverfolgung.
Somit ist die Zwangsmaßnahme des P objektiv rechtmäßig.
Anmerkung: Zum StreitentscheidIm 1. Examen ist es generell egal, welcher Ansicht gefolgt wird. Wichtig ist, dass die Stellungnahme gut begründet ist. Es wäre hier durchaus denkbar, nicht der Rechtsprechung zu folgen, denn die Herleitung über § 81b StPO erscheint angesichts der Eingriffsintensität und der unklaren gesetzlichen Grundlage letztlich bedenklich. Der Gesetzgeber sollte klarstellend tätig werden, um die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Vorhersehbarkeit und Verhältnismäßigkeit derartiger Maßnahmen zu erfüllen. Bis dahin ist eine restriktive Auslegung von § 81b StPO durchaus vertretbar.[19]Vgl. Anmerkung El-Ghazi, NJW 2025, 847, 850; ebenfalls ablehnend Mansouri/Rückert, JR 2025, 476.
Im 2. Examen habt ihr hierbei keine Wahl: Die Rechtsprechung bejaht einheitlich die Anwendbarkeit des § 81b StPO auf das zwangsweise Entsperren von Mobiltelefonen. Angesichts der erheblichen Bedeutung digitaler Beweismittel – insbesondere in Fällen wie Kinderpornografie, aber auch bei anderen Deliktsbereichen – wird der Zugriff auf das Smartphone des Beschuldigten regelmäßig als zulässig angesehen. Solange die obergerichtliche Linie in dieser Hinsicht gefestigt ist, sollte im Rahmen des Zweiten Examens ebenfalls dieser Ansicht gefolgt werden.
Der BGH weist in seiner Entscheidung schließlich darauf hin, dass auf Grundlage der Abwägungslehre auch bei fehlender Anwendbarkeit des § 81b StPO zur Entsperrung von Smartphones kein Verwertungsverbot für die aus dem Smartphone erlangten Daten folgen würde; dabei betont er, dass mit §§ 94, 110 StPO ausreichende gesetzliche Grundlagen für die Durchsicht des Smartphones und die Beschlagnahme der dort gespeicherten Daten vorhanden seien.[20]Dazu die Entscheidung des BGH NJW 2025, 2265.
III. Rechtswidrigkeit
Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich. K handelte somit rechtswidrig.
Insbesondere liegt kein Notwehrrecht des K vor (§ 32 StGB), da die Maßnahme der Polizei rechtmäßig und verhältnismäßig war. Ein etwaiges Notwehrrecht gegen rechtswidrige Zwangsmaßnahmen greift nicht ein, wenn die Maßnahme – wie hier – auf einem wirksamen Durchsuchungsbeschluss beruht.
Anmerkung: Differenzierung von Maßnahme, Zwangsmaßnahme und DiensthandlungMaßnahme: Jedes zielgerichtete Handeln eines Amtsträgers zur Regelung eines Einzelfalls mit hoheitlicher Wirkung
Beispiel: Aufforderung zur Ausweiskontrolle, Platzverweis
Zwangsmaßnahme: Maßnahme unter Anwendung oder Androhung von Zwang
Beispiel: Festnahme, Durchsuchung, Anwendung körperlicher Gewalt
Diensthandlung: Jede hoheitliche Handlung im Rahmen des dienstlichen Auftrags – egal ob zwang oder nicht
Beispiel: Streifenfahrt, Personenkontrolle, Anfahrt zum Einsatzort
IV. Schuld
Anhaltspunkte für einen Schuldausschließungs- oder Entschuldigungsgrund sind nicht ersichtlich. K handelte schuldhaft.
V. Ergebnis
K hat sich daher wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gem. § 113 StGB schuldig gemacht.
Zusatzfrage
Wie würde der Streit in der Assessorklausur untergebracht werden können?Das Problem des unmittelbaren Zwangs könnte bei jeder Beweiswürdigung als Problem eingebaut werden, da das Mobiltelefon als Beweismittel nahezu in jedem Durchsuchungsbeschluss mit aufgeführt wird. Daher würde das Problem nicht nur im Rahmen des § 113 StGB, sondern bei jedem Delikt abgeprüft werden können.
Wie wäre das Problem in der Assesorklausur zu lösen?
Das Problem ist im Zusammenhang mit der Zulässigkeit der Beweiserhebung zu erörtern. Anders als bei der klassischen Prüfung eines Beweisverwertungsverbots geht es hier nicht primär um die Frage, ob ein bereits erhobenes Beweismittel verwertet werden darf. Vielmehr stellt sich bereits vorgelagert die Frage, ob die Beweiserhebung selbst rechtmäßig war.
In jeder Prüfung eines Beweismittels ist deshalb zunächst zu klären, ob dessen Erlangung auf einer rechtmäßigen Maßnahme beruht. An dieser Stelle ist das zuvor thematisierte Problem – die Frage nach einer tragfähigen Rechtsgrundlage für das zwangsweise Entsperren des Smartphones – einzuordnen. Da die Rechtsprechung die Anwendung des § 81b StPO auf solche Fälle bejaht, ist in der Klausur regelmäßig nicht mehr über die grundsätzliche Zulässigkeit zu diskutieren. Vielmehr beschränkt sich die Auseinandersetzung darauf, im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung eine Abwägung zwischen den betroffenen Grundrechten des Beschuldigten (insbesondere informationelle Selbstbestimmung) und dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse vorzunehmen.
Hier findet die eigentliche Argumentation im Rahmen der Fallbearbeitung statt
Ist die zwangsweise körperliche Durchsuchung des Beschuldigten B zur Sicherstellung der mutmaßlich gestohlenen Ware durch Para. 81b StPO gedeckt und verhältnismäßig?
I. Anwendungsbereich des § 81b StPO
§ 81b StPO erlaubt die Durchführung von körperlichen Maßnahmen an einem Beschuldigten zum Zwecke des Strafverfahrens, wenn diese zur Aufklärung der Tat erforderlich sind.
Zudem ist B Beschuldigter im Strafverfahren wegen Ladendiebstahls.
Der Zweck der Maßnahme dient der Sicherstellung von Beweismitteln (gestohlene Ware).
Weiter liegt eine körperliche Maßnahme vor, da die körperliche Durchsuchung des Beschuldigten Sinne von § 81b I StPO fällt. Somit ist der Anwendungsbereich grundsätzlich eröffnet.
II. Verhältnismäßigkeit
Die Maßnahme muss erforderlich sein, d.h., es dürfen keine milderen Mittel zur Verfügung stehen, um das Beweismittel sicherzustellen.
Da das Beweismittel (Diebesgut) am Körper des Beschuldigten vermutet wird, ist die körperliche Durchsuchung das mildeste und unmittelbarste Mittel. Eine Durchsuchung der Kleidung oder der Körperoberfläche ist weniger eingriffsintensiv als andere Maßnahmen (z.B. körperliche Untersuchung mit medizinischen Eingriffen).
§ 81b I 2 StPO erlaubt auch den Einsatz von unmittelbarem Zwang, wenn die Maßnahme nicht freiwillig durchgeführt werden kann. Da B sich weigert, ist der Einsatz von Zwang grundsätzlich zulässig, sofern die Maßnahme selbst rechtmäßig ist.
Die Maßnahme muss verhältnismäßig sein. Die körperliche Durchsuchung ist geeignet, das Beweismittel aufzufinden. Es existieren keine milderen Mittel, da nur durch die Durchsuchung eine Sicherstellung der Ware möglich ist. Die Maßnahme greift zwar in die körperliche Unversehrtheit ein (Art. 2 II GG), jedoch ist der Eingriff geringfügig und zum Schutz der Rechtsgüter Dritter (Eigentum des Ladens) sowie zur Strafverfolgung gerechtfertigt. Das Interesse an Aufklärung und Beweissicherung überwiegt hier deutlich.
III. Richtervorbehalt
Nach § 81a StPO ist grundsätzlich bei körperlichen Untersuchungen, die einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit darstellen, eine richterliche Anordnung erforderlich. Die Durchsuchung des Äußeren des Körpers (Kleidung, Körperoberfläche) wird zumeist als weniger intensiver Eingriff betrachtet. Dennoch ist bei Zwangsanwendung der Richtervorbehalt zu beachten, sofern keine Gefahr im Verzug vorliegt. Im vorliegenden Fall wäre eine richterliche Anordnung also grundsätzlich erforderlich, es sei denn, es läge Gefahr im Verzug vor.
IV. Ergebnis
Die die Voraussetzungen des § 81b sind erfüllt, insbesondere sind die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit gegeben. Auch die richterliche Anordnung erfolgte. Die Maßnahme ist somit von § 81b StPO gedeckt.
Zusammenfassung
1. Die Entsperrung eines Mobiltelefons durch Auflegen eines Fingers des Beschuldigten auf den Fingerabdrucksensor kann auf die Ermächtigungsgrundlage des § 81b Abs. 1 StPO gestützt werden, wenn zuvor eine richterlich angeordnete Durchsuchung nach §§ 102, 105 Abs. 1 StPO erfolgte, die gerade auch das Auffinden von Mobiltelefonen zum Gegenstand hatte und der beabsichtigte Datenzugriff trotz der Eingriffsintensität verhältnismäßig war.
2. § 81b Abs. 1 StPO erlaubt – als sogenannte „Annexkompetenz“ – auch die Anwendung unmittelbaren Zwanges bei der Entsperrung eines Mobiltelefons durch Auflegen eines Fingers des Beschuldigten auf den Sensor.