
BGH Urteil vom 22.8.2024 – VII ZR 68/22, NJW 2024, 3445
Sachverhalt
A will sich nach vielen Jahren nunmehr den Traum eines Eigenheimes erfüllen. Hierzu kauft A zunächst ein Grundstück und wendet sich sodann an den B, welcher sein Traumhaus errichten soll. Dabei handelt es sich um ein Fertighaus „von der Stange“ ohne Anpassungen, dessen wesentliche Teile in der Fabrik des B hergestellt werden und auch von B am Bauort aufgestellt werden. Am 10.12.2012 schließen A und B einen Vertrag über den Bau eines Einfamilienhauses zu einem Preis von 500.000,00 EUR. Zeitnah beginnt der B auch mit dem Bau. Am 14.10.2013 kommt es zur Abnahme des Hauses. Nach dem Einzug stellt A allerdings fest, das von dem Lüfter und der Abwasseranlage des Hauses erheblicher Lärm ausgeht, was A bei der Abnahme nicht wusste und nicht bemerken konnte. A beauftragt einen Sachverständigen, der zutreffend feststellt, dass der vertragliche und vorgesehen Schallschutz nicht ausreichend sei, auch nicht dem gewöhnlichen Standard gleichartiger Häuser entspräche und dadurch das Haus einen merkantilen Minderwert von 10.000,00 EUR ausweise. A erklärt daher gegenüber dem B die Minderung in dieser Höhe und überweist lediglich 490.000,00 EUR. B nimmt dies zähneknirschend hin. A überlegt sich jedoch am Folgetag, dass er den Schallschutz auch ausgebessert haben will. A tritt also an B heran, der jedoch eine Nachbesserung endgültig ablehnt. Dem A ist dies ohnehin jetzt lieber, da er den Arbeiten des B nicht mehr vertraut. A will daher einen Dritten mit der Ausbesserung beauftragen. Dem Gutachten des Sachverständigen ist hierzu – ebenso zutreffend – zu entnehmen, dass die Ausbesserung 30.000,00 EUR kostet. A ist jedoch aufgrund des Hauskaufs knapp bei Kasse. Er wendet sich also an B und gibt zu verstehen, dass dieser für die Ausbesserung aufkommen müsse und er hierzu einen Vorschuss in eben jener Höhe von 30.000,00 EUR haben will.
B ist empört. A habe sich schließlich bereits dafür entschlossen, den Kaufpreis zu mindern. Im Übrigen könne er wohl kaum den Minderwert und die Ausbesserung in voller Höhe verlangen. Letztlich sei er sich nicht sicher, ob das alles so ginge, wie der A sich das vorstellt, schließlich sei Werkvertragsrecht – so habe er in der Ausbildung gelernt – überhaupt nicht anwendbar.
Hat A einen Anspruch auf Leistung des Vorschusses?
Skizze
Gutachten
A. Anspruch aus §§ 634 Nr. 2, 637 Abs. 1, 3 BGB
A könnte gegen B einen Anspruch auf Zahlung eines Vorschusses in Höhe von 30.000,00 EUR aus §§ 634 Nr. 2, 637 Abs. 1, 3 BGB haben.
I. Werkvertrag
Dazu müsste es sich zunächst bei dem zwischen A und B geschlossenen Vertrag um einen Werkvertrag i.S.d. § 631 BGB handeln. Möglich erscheint aber auch, dass es sich um einen Werklieferungsvertrag i.S.d. § 650 BGB handelt, sodass gem. § 650 Abs. 1 S. 1 BGB Kaufrecht und damit gerade nicht Werkvertragsrecht anzuwenden wäre.
Ob es sich vorliegend um einen Werklieferungsvertrag oder aber einen Werkvertrag handelt, ist durch Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Von Bedeutung ist dabei der Schwerpunkt der Vertragspflichten. Regelmäßig liegt bei einem Werklieferungsvertrag der Schwerpunkt der Leistung in der Verschaffung des Eigentums, während bei einem Werkvertrag der Schwerpunkt bei der Herstellung der Sache liegt. Übertragen auf einen Hauskauf bedeutet dies, dass insoweit die von den Bauunternehmern übernommenen Pflichten maßgeblich sind. Hat er das genormte Baumaterial, die Fertigteile, nur zu liefern, so erbringt er keine werkvertragliche Werkleistung. Anders ist es dagegen, wenn der Unternehmer gerade die Errichtung des Fertighauses schuldet. Wie beim Bauvertrag über ein konventionelles Haus steht dann die für den Werkvertrag typische Schöpfung eines Werkes gerade für den Besteller im Mittelpunkt der vertraglichen Beziehungen Dem Bauherrn kommt es dann neben der Lieferung der vorgefertigten Teile in erster Linie auf die Errichtung des Bauwerks an, bei der es sich um das wesentliche, die Rechtsnatur des Fertighausvertrages prägende Merkmal handelt.[1]BGH, Urteil vom 10-03-1983 – VII ZR 302/82, NJW 1983, 1489; MüKoBGB/Busche, 9. Aufl. 2023, BGB § 650 Rn. 13 mwN Auch hier kommt es bei einer verständigen Würdigung des Sachverhalts dem A auf die Errichtung seines Fertighauses an und nicht etwa, auf die Lieferung des Einzelnen Wände. Mithin handelt es sich vorliegend um einen Werkvertrag i.S.d. § 631 BGB.
Anmerkung: Länge der Ausführungen zur vertraglichen EinordnungII. Sachmangel
Ferner müsste es sich bei dem fehlenden Schallschutz um einen Sachmangel des Hauses handeln. Grundsätzlich ist ein Mangel eine Abweichung des Ist- vom Sollzustand. Eine solcher Sollzustand kann sich gem. § 633 Abs. 2 S. 1 BGB aus einer vereinbarten Beschaffenheit ergeben. Hier ist indes nicht ersichtlich, dass A und B in ihrem Vertrag eine explizite Regelung zur Beschaffenheit des Schallschutzes getroffen haben.
Daneben kann sich der Soll-Zustand aber auch aus einer üblichen Beschaffenheit gem. § 633 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 BGB ergeben. Das ist dann der Fall, wenn sich die Sache nicht für die gewöhnliche Verwendung eignet oder nicht die Beschaffenheit aufweist, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Besteller nach der Art des Werkes erwarten kann. Bei einem Haus der gleichen Art ist allerdings ein besserer Schallschutz üblich. Es ist auch nicht ersichtlich, warum A hier ausnahmsweise ein anderer Schallschutz erwarten musste. Damit weicht die Ist- von der Sollbeschaffenheit des Hauses ab. Ein Mangel liegt somit vor.
Anmerkung: Sachmängel beim HausbauIII. Ausschluss der Gewährleistung
Die Gewährleistung dürfte aber auch nicht ausgeschlossen sein.
1. Ausschluss nach § 640 Abs. 3 BGB wegen Abnahme
In Frage kommt zunächst ein Ausschluss des Gewährleistung nach § 640 Abs. 3 BGB. Danach kann sich der Besteller auf die Mängelgewährleistung nicht mehr berufen, wenn er bei der Abnahme des Werkes die Mängel bereits kannte. Zwar hat A das Werk in der Form des Hauses bereits abgenommen, allerdings waren ihm die Mängel an dem Schallschutz zu diesem Zeitpunkt unbekannt. Die Gewährleistungsrechte sich demnach nicht gem. § 640 Abs. 3 BGB ausgeschlossen.
2. Ausschluss nach §§ 637 Abs. 1, 635 Abs. 3 BGB
Ein Ausschluss kommt aber aufgrund der §§ 637 Abs. 1, 635 Abs. 3 BGB in Frage. Danach ist die Befugnis des Bestellers auf Selbstvornahme und damit der Anspruch auf Kostenvorschuss nach § 637 Abs. 1 BGB ausgeschlossen, wenn der Unternehmer zu Recht die Nacherfüllung verweigert. Nach § 635 Abs. 3 BGB kann der Unternehmer die Nacherfüllung verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist. Unverhältnismäßig im Sinne des § 635 Abs. 3 BGB sind die Kosten für die Beseitigung eines Mangels dann, wenn der damit in Richtung auf die Beseitigung des Mangels erzielte Erfolg bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls in keinem vernünftigen Verhältnis zur Höhe des dafür geltend gemachten Geldaufwandes steht.[2]BGH Urteil vom 22.8.2024 – VII ZR 68/22, ZfBR 2024, 720 Rn. 20 Unverhältnismäßigkeit wird in aller Regel anzunehmen sein, wenn einem objektiv geringen Interesse des Bestellers an einer mangelfreien Vertragsleistung unter Abwägung aller Umstände ein ganz erheblicher und deshalb vergleichsweise unangemessener Aufwand gegenübersteht [3]BGH Urteil vom 22.8.2024 – VII ZR 68/22, ZfBR 2024, 720 Rn. 20; Urteil vom 24. April 1997 – VII ZR 110/96, BauR 1997, 638 Rn. 13. Hier liegen Schallschutzmängel vor, die für die Qualität des Wohnens von nicht unwesentlicher Bedeutung sind. Zum anderen sind die Aufwendungen, mit denen die Beklagten einen vertragsgerechten Schallschutz herstellen können, keinesfalls unangemessen. Das Recht ist damit nicht gem. §§ 637 Abs. 1, 635 Abs. 3 BGB ausgeschlossen.
3. Ausschluss aufgrund Ausübung des Minderungsrechts
Weiter kommt indes ein Ausschluss des Rechts auf Vorschusszahlung in Betracht, weil A zuvor bereits sein Minderungsrecht ausgeübt hat. Dies wäre dann der Fall, wenn die Ausübung des Minderungsrecht ein Ausüben des Rechts auf Vorschusszahlung ausschließt.
Gegen einen solchen Ausschluss streitet zunächst der Wortlaut des Gesetzes.[4]BGH Urteil vom 22.8.2024 – VII ZR 68/22, ZfBR 2024, 720 Rn. 24 So hat der Gesetzgeber nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Mängelrechte des § 634 BGB mit einem „oder“ abzugrenzen. Im Gegenteil verknüpft er die Mängelrecht des § 634 Nr. 3 und Nr. 4 mit einem „und“.
Auch die Gesetzeshistorie spricht nicht für eine Alternativität dieser Ansprüche. Es war dem Gesetzgeber in Abgrenzung zum alten Schuldrecht vielmehr ein Anliegen, die Wahrnehmung von Mängelrechten sowohl im Kauf- als auch im Werkvertragsrecht flexibler zu gestalten und Käufer sowie Besteller mehr Möglichkeiten zur Wahrnehmung ihrer berechtigten Interessen einzuräumen.[5]BGH Urteil vom 22.8.2024 – VII ZR 68/22, ZfBR 2024, 720 Rn. 25; BT-Drucks. 14/6040, S. 226, 263
Auch systematische Erwägungen streiten gegen eine Alternativität. So hat der Gesetzgeber für den Fall des Schadensersatzes statt der Leistung (§ 634 Nr. 4, § 281 Abs. 1 BGB) ausdrücklich geregelt, dass der Anspruch auf Nacherfüllung (§ 634 Nr. 1 BGB) erlischt, sobald der Besteller Schadensersatz statt der Leistung verlangt (§ 634 Nr. 4, § 281 Abs. 4 BGB).[6]BGH Urteil vom 22.8.2024 – VII ZR 68/22, ZfBR 2024, 720 Rn. 26 Eine solche Regelung findet sich für die Ausübung des Rechts auf Vorschusszahlung gegenüber dem Minderungsrecht nicht.
Fraglich ist aber, ob teleologische Gründe für eine Alternativität der Ansprüche streiten. Sinn und Zweck des Rechtes auf Vorschusszahlung ist es, dem Besteller die Nachteile und Risiken abzunehmen, die mit einer Vorfinanzierung der Mängelbeseitigung einhergehen. Die Vorschusszahlung steht damit in direktem Zusammenhang mit dem kleinen Schadensersatz statt der Leistung. Sowohl Minderung als auch Schadensersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes sind ihrem Inhalt nach dabei darauf gerichtet, das verletzte Leistungsinteresse des Bestellers, der das mangelhafte Werk behält, auszugleichen. Allerdings ergänzen sich die Mängelrechte und schließen sich nicht etwa aus. Um einen möglichst umfassenden Ausgleich des Leistungsinteresses zu gewährleisten, ist es gerechtfertigt, dem Besteller ergänzend einen Schadensersatzanspruch statt der Leistung (kleinen Schadensersatz) zuzubilligen, wenn ein über den Minderungsbetrag hinausgehender Schaden entsteht.[7] BGH Urteil vom 22.8.2024 – VII ZR 68/22, ZfBR 2024, 720 Rn. 32 Dem Unternehmer ist darüber hinaus auch kein schützenswertes Interesse zuzubilligen, nach einer einmal erfolgten Minderung der Vergütung nicht mehr auf die Kosten einer Mängelbeseitigung in Anspruch genommen werden zu können. Es besteht nach der Konzeption der Mängelrechte durch die Schuldrechtsreform kein Grund, über das Erlöschen des Nacherfüllungsanspruchs hinaus die Dispositionsfreiheit des Bestellers zugunsten des Unternehmers einzuschränken. Es ist vielmehr der Unternehmer, der in doppelter Weise vertragswidrig gehandelt hat, indem er weder ein mangelfreies Werk herstellte noch seiner Pflicht zur Nacherfüllung nachkam.[8] BGH Urteil vom 22.8.2024 – VII ZR 68/22, ZfBR 2024, 720 Rn. 33
Im Übrigen darf der Unternehmer auch nicht davon ausgehen, dass der Besteller nach Ausübung des Minderungsrechts das Vorschussrecht nicht mehr ausüben wird. Denn mit der Minderung bringt der Besteller nicht zum Ausdruck, an dem Vertrag nicht mehr festhalten zu wollen, an der Sache nicht mehr interessiert zu sein oder aber den Mangel nicht selber beheben zu wollen.
In der Folge bleibt dem A das Vorschussrecht obgleich der Ausübung des Minderungsrechts unbenommen.
Vernetztes Lernen: Wie stehen die übrigen Mängelgewährleistungsrechte der Minderung gegenüber?IV. Fristsetzung
A müsste auch das Fristsetzungserfordernis erfüllt haben. A setzte hier dem B allerdings keine Frist zu Nacherfüllung. Dies könnte hier jedoch auch ausnahmsweise entbehrlich gewesen sein. Gem. §§ 637 Abs. 2, 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist eine Fristsetzung dann entbehrlich, wenn der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert. Hier äußerte der B gegenüber dem A ausdrücklich, dass er die Mängel nicht beseitigen werde. Eine Fristsetzung war damit entbehrlich.
V. Begrenzung des Vorschussrechts
Fraglich ist letztlich, ob das Vorschussrecht des A auch in der vollen Höhe der 30.000,00 EUR besteht. Grundsätzlich wird der Vorschussanspruch durch die Höhe der benötigten Aufwendungen begrenzt. Gleichzeitig muss der Besteller sich aber, um nicht doppelt bereichert zu sein, auch die durch die Minderung ersparte Vergütung anrechnen lassen, soweit sich Minderung und Vorschussbegehren auf denselben Mangel beziehen. Damit sind von den benötigten 30.000,00 EUR die ersparte Vergütung von 10.000,00 EUR abzuziehen. Mithin ist der Vorschussanspruch auf 20.000,00 EUR begrenzt.
B. Ergebnis
A hat gegen B einen Anspruch auf Zahlung eines Vorschusses aus Anspruch aus §§ 634 Nr. 2, 637 Abs. 1, 3 BGB, indes nur in Höhe von 20.000,00 EUR.I. Anspruch aus §§ 833 S. 1, 249 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB
Zusatzfragen
Wie lassen sich Kaufvertrag, Werkliefervertrag und Werkvertrag voneinander abgrenzen?Die Abgrenzung zwischen Werkvertrag und Werklieferungsvertrag erfolgt nach dem Schwerpunkt der Leistung.[12]u.a. LG Darmstadt Urt. v. 7.7.2023 – 17 O 23/22, BeckRS 2023, 50110 Rn. 16 Ein Werkvertrag liegt vor, wenn der Vertrag inhaltlich seinem Schwerpunkt nach auf der Herstellung eines Werkes gerichtet ist. Ein Kauf- bzw. Werklieferungsvertrag liegt hingegen vor, wenn der Schwerpunkt auf der Besitz- und Eigentumsverschaffung des nach bestimmten Vorgaben herzustellenden Gegenstandes liegt.[13]BGH Urteil vom 30.08.2018 – VII ZR 243/17 Das hilft aber nicht immer weiter. Deshalb macht es Sinn Kategorien zu bilden. Wenn Gegenstand des Vertrages die Herstellung einer Sache ist, die allerdings Massenware bzw. kein Einzelstück ist, so liegt ein Werklieferungsvertrag nahe. Wenn die Herstellung besonderen Aufwand erfordert und der klare Schwerpunkt ist, wird eher ein Werkvertrag naheliegt sein. So beispielweise bei der Errichtung eines Bauwerkes. [14]MüKoBGB/Busche, 9. Aufl. 2023, BGB § 650 Rn. 11 Anhaltspunkte bietet auch die Verjährungsvorschrift des § 634a, in deren Abs. 1 die möglichen Gegenstände des Werkvertrages näher konkretisiert sind.[15]MüKoBGB/Busche, 9. Aufl. 2023, BGB § 650 Rn. 11 Auch eine negative Abgrenzung kann manchmal Klarheit verschaffen. So unterfallen geistige Leistungen, die in einer beweglichen Sache verkörpert sind, wie die in Zeichnungen verkörperte planerische Leistung des Architekten, regelmäßig nicht dem Werklieferungsvertrag.[16]MüKoBGB/Busche, 9. Aufl. 2023, BGB § 650 Rn. 15, beck-online
Zusammenfassung
Die Minderung des Vergütungsanspruchs nach § 634 Nr. 3, Fall 2, § 638 BGB schließt einen Kostenvorschussanspruch nach § 634 Nr. 2, § 637 Abs. 3 BGB wegen des Mangels, auf den die Minderung gestützt wird, nicht aus.