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Kennzeichnung für Polizist*innen
BVerwG Urt.  v.  26.9.2019  –  2 C 32.18, NVwZ 2020, 247 & VerfG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 07.05.2019 – LVG 4/18; BeckRS 2019, 10350; NVwZ 2019, 1198.

Sachverhalt (abgewandelt und gekürzt)

Der Landesgesetzgeber L verabschiedet § 12 a LSOG. Dieser sieht vor, dass alle Polizeibeamt*innen des Landes L grundsätzlich bei jedem öffentlichen Tätigwerden ein Namensschild für alle offen lesbar tragen müssen. Bei besonders sensiblen Einsätzen, wird dies durch eine fünfstellige rückverfolgbare Dienstnummer ersetzt. Innerhalb einer Einsatzeinheit (Hundertschaft) müssen individuell rückverfolgbare Kennzeichnungen (taktische Kennzeichnung) getragen werden. Das Gesetz trifft außerdem Regelungen zur Speicherung und dem regelmäßigen Löschen der Daten. Darin ist geregelt, dass ein Abgleich der Daten nur bei tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Straftat oder eine nicht unerhebliche Dienstpflichtverletzung im Dienst erfolgt. Während das Gesetz vor allem darauf abzielt die Strafverfolgung von strafbaren Handlungen von Polizist*innen zu ermöglichen, legt der Gesetzgeber auch Wert darauf, dass durch das offene Tragen eines Namensschildes die Polizeibediensteten den Bürgern offener entgegen treten ließe und Bürgernähe dadurch gestärkt werden würde.

Viele Polizist*innen stören sich an der Regelung. Man würde damit einen Generalverdacht aussprechen, der nicht gerechtfertigt sei. Außerdem greife diese Regelung über die Maßen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein, v.a. müsse man ab jetzt immer Angst vor radikalen Polizeigegnern oder von Einsätzen persönlich negativ Betroffenen haben, die nun auch private Informationen kennen würden. Außerdem müsste man damit rechnen, dass dann immer wieder ungerechtfertigte Anzeigen gegen Polizist*innen erhoben werden würden. Einige fühlen sich besonders „hintergangen“, da das Land ja eine besondere Fürsorgepflicht für seine Bediensteten treffe.

So oder so, zeigten doch die extrem geringen Erfolgsquoten von Anzeigen gegen Polizeibeamte von weniger als 1 %, dass es kein Bedürfnis gebe Polizistinnen und Polizisten im Einsatz identifizieren zu können. Das findet auch die A-Partei. Die A-Fraktion im Bundestag nimmt es auf sich, sich für die Polizist*innen einzusetzen und stellt einen Antrag vor dem Bundesverfassungsgericht auf Überprüfung des §12 a LSOG. Man sei sich sicher, dass die diffizile Abwägung der hier widerstreitenden Interessen zu Gunsten der tadellosen Arbeit der 99,9 % der Polizist*innen ausfallen müsse und das Gesetz verfassungswidrig sei. Die A-Fraktion findet insgesamt 189 Mitstreiter*innen, die allesamt „der Polizei den Rücken stärken“ wollen.

Den Argumenten widersprechen die Fraktionen, die das Gesetz unterstützten: Man wisse bis heute gar nicht, wie groß die Dunkelziffer von nicht angezeigten Delikten sei, weil es bisher fast unmöglich sei Polizeibeamte zu identifizieren, die sich nicht angemessen verhalten haben, gerade im Gewusel eines Einsatzes. Außerdem seien die Polizist*innen besondere Repräsentanten des Staates. Man müsste gerade bei ihnen hohe Anforderungen bezüglich der Verfolgbarkeit von Straftaten stellen können.

Wie wird das angerufene Bundesverfassungsgericht über den zulässigen Antrag entscheiden?

Bearbeitervermerk: Prüfungsmaßstab ist allein das GG.

Anmerkung: Der Fall ist zwar etwas konstruiert, da es nur wirklich selten vorkommt, dass durch ein Bundesorgan die Überprüfung von Landesrecht angestrengt wird, denkbar ist es.


Skizze


Gutachten

Anmerkung: Welche Antragsart kann hier dem Ziel der A-Fraktion gerecht werden?
Die A-Fraktion (und ihre Mistreiter*innen) im Bundestag haben Zweifel daran, ob §12a LPOG verfassungskonform ist. Damit kommt eine abstrakte Normenkontrolle in Betracht, Art. 93 I Nr. 2 GG.
Anmerkung: Was hätte in der Zulässigkeit noch besonders adressiert werden müssen?
Art. 93 I Nr. 2 GG setzt lediglich Meinungsverschiedenheiten oder Zweifel bezüglich der Vereinbarkeit des angegriffenen Gesetzes mit dem höherrangigen Recht voraus. §76 I BVerfGG setzt voraus, dass der Antragssteller das angegriffene Gesetz für nichtig hält. Unabhängig von dem hier als uneindeutig beschriebenen Fall, stellt sich also die Frage, welche Anforderungen an den Antrag gestellt werden müssen.
Offensichtlich ist zunächst, dass die Regelung in Art. 93 I Nr. 2 GG höherrangiges Recht ist.
Das Bundesverfassungsgericht sieht in den strengeren Voraussetzungen des § 76 I BVerfGG die Regelung des besonderen objektiven Klärungsinteresses, also eher eine Konkretisierung der grundgesetzlichen Vorschrift.[1]Morgenthaler in BeckOK GG, 43. Ed. Art. 93, Rn. 34
Die mehrheitliche Meinung in der Literatur sieht jedoch eine unzulässige Verengung der Antragsvoraussetzungen des Grundgesetzes. Raum für eine Konkretisierung gebe es – angesichts der klaren Formulierung im Grundgesetz – nicht.

Das BVerfG wird das Gesetz für nichtig erklären, Art. 78 BVerfGG, wenn der zulässige Antrag begründet ist.

A. Begründetheit

Der Antrag der A-Fraktion ist begründet, wenn §12 a LSOG gegen verfassungsrechtliche Vorschriften verstößt.

I. Formelle Verfassungsmäßigkeit

Zunächst müsste das Land L zuständig gewesen sein für den Erlass eines entsprechenden Gesetzes. Dies wäre dann nicht der Fall, wenn der Bundesgesetzgeber zuständig ist und damit der Landesgesetzgeber verdrängt worden wäre, Art. 30, 70 I GG.

Die Regelung fällt in den Bereich der Vorsorge der Verfolgung von Straftaten und damit in den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes nach Art. 74 I Nr. 1 GG. Unzulässig wäre eine Regelung des Landesgesetzgebers dann, wenn in dem Bereich bereits eine abschließende Regelung des Bundesgesetzgebers getroffen worden wäre. 

Der Bundesgesetzgeber hat von seiner Kompetenz zur Regelung des Rechts der Strafverfolgung, Art. 74 I Nr. 1 GG, durch die StPO Gebrauch gemacht. Hier handelt es sich jedoch um eine Regelung der Strafverfolgungsvorsorge im Vorfeld eines Straftatverdachts.[2]zu diesem Abschnitt: LVerfG LSA NVwZ 2019, 1198, 1199 Rn. 46 Der Bundesgesetzgeber hat zwar auch in Teilen Regelungen zur Strafverfolgungsvorsorge getroffen, diese jedoch nicht in den Bereichen der – den Ländern zustehenden – Gefahrenabwehr durch die Polizei erstreckt. Damit kann der Landesgesetzgeber Regelungen in diesem Bereich erlassen.

Anmerkung: Prüfung des Gesetzgebungsverfahrens?
Das angerufene BVerfG kann Landesrecht nur anhand eines Verstoßes gegen das Grundgesetz überprüfen. Die Verfassung enthält – abseits von grundlegenden Vorgaben bezüglich der Einhaltung von demokratischen Grundsätzen – keine besonderen Anforderungen an Landesgesetzgeber. Nur die in Bezug auf die Zuständigkeit getroffenen Regelungen entfalten auch für die Länder Wirkung. Eine Prüfung des weiteren Gesetzgebungsverfahrens muss hier also ausbleiben.

II. Materielle Verfassungsmäßigkeit

Das Gesetz müsste auch materiell verfassungskonform sein.

1. Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, Art. 2 I i.V.m. 1 I GG

Hier kommt zunächst eine Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (APR) aus Art. 2 I i.V.m. 1 I GG in Betracht.

a) Anwendbarkeit der Grundrechte auf verbeamtete Polizist*innen

Die Polizist*innen müssten sich gegenüber ihrem Dienstherren auf Grundrechte berufen können. Fraglich ist dies nur bei verbeamteten Polizist*innen. Diese stehen zu ihrem staatlichen Dienstherren in einem Sonderstatusverhältnis. Aber auch in Sonderstatusverhältnissen finden die Grundrechte dann Anwendung, wenn das Grundverhältnis – nicht das Dienstverhältnis – betroffen ist. Dieses ist betroffen, wenn die Frage den Beamten oder die Beamtin als Person betrifft (nicht in ihrer oder seiner institutionell eingegliederten Funktion).[3]Grundlegend zu Sonderstatusverhältnissen: G.v. Kielmansegg, JA 2012, 881 Die Regelung verpflichtet Polizist*innen ihren persönlichen Namen auf der Dienstkleidung zu tragen. Damit geht es gerade um die Schaffung der Verbindung zwischen der Person (durch das offene Tragen des Namens)  mit der Funktion, die die Person ausfüllt. Einerseits könnte man sagen, dass darin v.a. eine Verpflichtung zur Gestaltung der Arbeit liegt. Andererseits wird durch diese Regelung eine Person verpflichtet mit „ihrem Namen“ als Vertreter*in für die Funktion, die sie ausfüllt, in der Öffentlichkeit zu stehen. Da der Name zu den ursprünglich privaten Daten gehört ist die Verpflichtung zum Zeigen des Namens auch eine Regelung, die das Grundverhältnis betrifft.  

Vernetztes Lernen: Welche Gruppen stehen noch in einem Sonderstatusverhältnis zum Staat?
Verbeamtete Personen (v.a. Lehrer*innen, Soldat*innen), Personen die Haftstrafen verbüßen, Schüler*innen [4]G.v. Kielmansegg, JA 2012, 881

Beim Tragen einer individuell rückverfolgbaren Kennzeichnung oder einer Kennziffer (2.), könnten durch mögliche falsche Anschuldigungen und damit einhergehende (nicht begründete) dienstrechtliche und strafrechtliche Konsequenzen die Polizist*innen auch originär als Person in ihrem Grundverhältnis betroffen sein.

Damit können sich verbeamtete wie auch angestellte Polizist*innen auf ihre Grundrechte berufen.

b) Schutzbereich

Weiterhin müsste der Schutzbereich eröffnet sein. Dass APR schützt auch die Befugnis des Einzelnen grundsätzlich selbst zu entscheiden wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden.[5]st. Rspr spätestens seit dem Volkszähungsurteil: BVerfGE 65, 1, 43 = NJW 1984, 419. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, als besondere Ausprägung des APR umfasst alle Informationen, die etwas über die Bezugsperson aussagen könnten, also auch Basisdaten wie Namen und Anschrift.[6]BVerfGE NJW 1984, 419, 423 Der Schutzbereich des APR in Form des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist eröffnet.

Damit handelt es sich um eine rechtserhebliche Maßnahme in einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis, mithin um einen tauglichen Streitgegenstand.

c) Eingriff

Durch die Verpflichtung zum Zeigen des Datums (des Namens) müssen die Betroffenen entgegen ihrem Willen die persönliche Sphäre betreffende Informationen offenbaren. Damit liegt ein Eingriff vor.

d) Rechtfertigung

Der Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht könnte gerechtfertigt sein. Dafür dürfte es sich jedoch zunächst nicht um eine Verletzung der Menschenwürde der Bediensteten handeln. Zwar könnte man auf einen ersten Blick argumentieren, dass durch die Verpflichtung zum Tragen von Namenschildern / Kennzeichen die Verpflichteten zum Objekt staatlichen Handelns werden. Zugleich ermöglicht gerade das Namensschild die Träger*innen mit ihrem Namen anzusprechen und damit eine Identifikation mit der Person „unter der Uniform“. Damit wird die Subjektqualität der Betroffenen gestärkt.[7]Zu diesem sehr kurzen Abschnitt, der eingefügt wurde, da das vorinstanzliche Gericht die Menschenwürde als betroffen ansah: NVwZ 2020, 247, 249 Rn. 32

Jenseits des unantastbaren Kernbereichs privater Lebensgestaltung kann das APR auf Grundlage eines Gesetzes beschränkt werden, Art. 2 I HS 2 Var. 2. Dieses Gesetz muss besondere Anforderungen erfüllen: Es müssen Gründe des überwiegenden Allgemeininteresses vorliegen und Umfang und Beschränkungen des Gesetzes müssen klar erkennbar (erhöhte Anforderungen der Normenklarheit an Gesetze, die in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen) sein. Außerdem muss die Verhältnismäßigkeit gewahrt sein.

aa) Schranke

§12 a LSOG regelt die politisch umstrittene Frage der Verpflichtung von Polizeivollzugsbediensteten zur anlasslosen Angabe ihres Nachnamens an ihrer Dienstkleidung. Der Gesetzgeber hat in dem Gesetz selbst [8]in vielen anderen Bundesländern, in denen man eine ähnliche Verpflichtung schaffen wollte, wurden lediglich Verwaltungsvorschriften erlassen, die eine Verpflichtung zum Tragen von Erkennungszeichen … Continue reading normenklar die maßgeblichen Regelungen getroffen. 

(1) Verhältnismäßigkeit

Die Regelung müsste verhältnismäßig sein.

(a) Legitimes Ziel

§12 a LSOG müsste ein legitimes Ziel verfolgen. Das Gesetz dient der Stärkung der Transparenz der Arbeit der Polizei und der Erleichterung der straf- und disziplinarrechtlichen Aufklärung des rechtswidrigen Verhaltens von Polizeivollzugsbediensteten. Bereits darin liegen legitime Ziele.

Daneben kann die Regelung auch – durch die Erleichterung der Aufklärbarkeit von Übergriffen Polizeibediensteter die Gesetzesbindung der Verwaltung stärken und vorbeugende Wirkungen entfallen. Dadurch trägt es auch der Verwirklichung des Rechtsstaats bei, hat also eine besonders hohe Bedeutung. Schließlich erschüttert die Begehung einer Straftat durch einen Amtsträger im Amt das Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität staatlichen Handelns.

Auch kann diese Regelung dem Anschein vorbeugen, dass ein Vorgehen gegen Polizeivollzugsbedienstete besonders hohe Hürden überwinden müsste oder gegen diese weniger effektiv ermittelt würde.[9]NVwZ 2020, 247, 249 Rn. 30

(b) Geeignet

Die Abgeordnetenräume könnten erneut betreten werden; Die Verpflichtung zum Tragen der Namensschilder muss geeignet sein die Ziele des Gesetzes zu fördern. Die Möglichkeit den Namen von individuellen Polizeibediensteten zu erfahren, ohne danach Fragen zu müssen, ermöglicht Personen, die Opfer von persönlichen Verfehlungen von Polizeibediensteten diese anzuzeigen und fördert damit die Ziele des Gesetzes.

(c) Erforderlich

Das Gesetz müsste auch erforderlich sein. Erforderlich ist eine Maßnahme, wenn ein gleich geeignetes, milderes – also weniger eingriffsintensives – Mittel nicht ersichtlich ist. Würde das Gesetz es ermöglichen, dass die Polizist*innen anstatt durch ihren Nachnamen mit dauerhaft zugeordneten individuellen Kennziffern rückverfolgbar wären, müssten die Betroffenen ihren Nachnamen nicht öffentlich preisgeben. Dann würde jedoch das vom Gesetzgeber auch verfolgte Ziel der Bürgernähe weniger gefördert. Eine andere weniger eingriffsintensive Regelungsmöglichkeit ist nicht ersichtlich. Damit ist die Regelung auch erforderlich.

(d) Angemessenheit

Zuletzt müsste das Gesetz auch angemessen sein. Dabei müssen die widerstreitenden Interessen in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden.

Die Polizist*innen müssen ungefragt einer größeren Öffentlichkeit während der Diensttätigkeit ihren Namen bekannt geben. Dadurch ist es zwar denkbar, dass unberechtigte Anzeigen erstattet werden, eine solche Entwicklung ist jedoch rein hypothetisch und wäre erst in die Abwägung verstärkt einzubeziehen, wenn sich dieser Verdacht erhärten würde.[10]im Fall des BVerwG war die Regelungen bereits seit mehreren Jahren in Kraft, ohne dass eine solche Entwicklung sich abgezeichnet hätte.

Während durch das öffentliche Tragen des Familiennamens dieses Datum – der Nachname – preisgegeben wird, sind die daraus möglichen Schlüsse auf die hinter dem Namen stehende Person nur begrenzt.  Der Familienname einer Person ist kein Teil der engen Privatsphäre der Bediensteten.[11]NVwZ 2020, 247, 249 Nr. 26 ff.  Zugleich wird durch die Regelung der Name am Einsatzort der betreffenden Öffentlichkeit zugänglich und kann durch Filmaufnahmen und anschließende Veröffentlichung im Internet verbreitet werden.

Diese Pflicht zur Offenlegung dieses persönlichen Datums (des Nachnamens) wird jedoch bereits dadurch abgemildert, dass bei heiklen Einsätzen nur eine Kennziffer bzw. bei Großeinsätzen eine taktische Kennzeichnung getragen werden muss.

Während die erdenkbaren negativen „Spätfolgen“ der Veröffentlichung des Namens drastisch sind (gewaltvolle Attacken auf das Wohnhaus, Familienmitglieder etc.), ist in diesem Szenario die Kenntnis des persönlichen Namens eine notwendige, aber nicht die ausreichende Bedingung. Die Polizist*innen haben die Möglichkeit die Abfrage ihrer Daten beim Einwohnermeldeamt und in öffentlich zugänglichen Registrierungen zu sperren. Mit der Kenntnis des Namens selbst ist keine Bedrohungslage für die Polizist*innen geschaffen.

Deshalb ist die Veröffentlichung des Namens selbst auch nur ein Eingriff von geringer Intensität.

Die Möglichkeit sich rechtswidrig verhaltende Polizist*innen zu verfolgen auf der anderen Seite ist, wie zuvor dargelegt, nicht nur für das Vertrauen in Polizei und Rechtsstaat notwendig, sondern auch Teil der Verwirklichung des Rechtsstaates.

Allerdings könnte der Landesgesetzgeber L die Verpflichtung zur Achtung der Fürsorgepflicht verletzt haben, Art. 33 V GG. Der Dienstherr wird durch seine Fürsorgepflicht angehalten den Beamten vor unberechtigten Anschuldigungen zu schützen sowie seine wohlverstandenen Interessen in gebührender Weise zu berücksichtigen.[12]BVerfG NJW 1977, 1189. Dem Gesetzgeber steht es jedoch weiterhin frei auch andere Belange der Allgemeinheit (wie hier die Stärkung der Strafverfolgungsvorsorge – auch gegen Polizeibedienstete) gleich hoch oder höher zu gewichten und in einer allgemeinen Abwägung gegeneinander abzuwägen.

Die Strafverfolgungsmöglichkeit von rechtswidrig handelnde Polizist*innen spielt eine elementare Rolle bei der Verwirklichung des Rechtsstaats auf jeder Stufe. Die Regelung ist mithin angemessen.

(2) Zwischenergebnis

§12 a LSOG ist verhältnismäßig.

bb) Zwischenergebnis

Der Eingriff in das APR ist damit gerechtfertigt.

2. Verstoß gegen das APR wegen der Verpflichtung zum Tragen einer taktischen Kennzeichnung oder einer Kennziffer

Während sich bereits die Frage stellt, ob in der Verpflichtung zum Tragen einer taktischen Kennzeichnung oder einer Kennziffer überhaupt ein Eingriff liegt, könnte ein solcher jedoch mit den soeben genannten Erwägungen zumindest gerechtfertigt werden. 

3. Verstoß gegen Art. 3 I GG

Es wäre denkbar, dass in der Regelung ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 I GG liegt.

Zum einen könnte eine Ungleichbehandlung gegenüber den Polizeibediensteten vorliegen, die die Verpflichtung zum Tragen eines Namensschildes nicht trifft. Die Verpflichtung zum Tragen des Namensschildes besteht nur bei einem öffentlichen Tätigwerden, bei dem ein Kontakt mit einer Person außerhalb der Polizei möglich ist. Jedoch besteht auch nur dann das Risiko eines anzuzeigenden Fehlverhaltens. Darin liegt ein ausreichender sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung.

4. Zwischenergebnis Grundrechtsverletzung

Damit scheidet eine Grundrechtsverletzung aus.

II. Ergebnis materielle Verfassungsmäßigkeit

Die Regelung des §12 a LSOG ist damit materiell verfassungskonform.

B. Ergebnis

Der von einem Viertel des Bundestags angestrengte Antrag vor dem Bundesverfassungsgericht hat keine Aussicht auf Erfolg.

Anmerkung: Verurteilung Deutschlands durch den EGMR
Die in mehreren Ländern eingeführten Gesetze zur Kennzeichnung von Polizeibeamt*innen sind im Lichte der Verurteilung Deutschlands im Jahre 2017 vom EGMR wegen eines Polizeieinsatzes , der nicht angemessen aufgeklärt wurde, zu sehen.
In dem Urteil hielt der EGMR fest, dass Polizist*innen eine unverwechselbare Kennzeichnung tragen sollten. Wenn dies nicht vorgeschrieben sei, müssten – zumindest bei ausreichenden Anhaltspunkten für ein Fehlverhalten von Polizist*innen – besonders hohe Anforderungen an die Aufklärung der Beteiligten gestellt werden.
Dies war nach Auffassung des EGMR in diesem Fall unterblieben. Darin liegt ein Verstoß gegen das vom Folterverbot abgeleitete Minimum in Bezug auf verfahrensrechtliche Anforderung an Aufklärung von Verdachtsfällen und damit ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK.

Zusatzfrage

Welche weiteren Ausprägungen hat das APR?

1. Das APR schützt die enge persönliche Lebenssphäre. Jeder Einzelne hat das Recht für sich zu bleiben, sich zurückzuziehen und abzuschirmen.

2. Das Recht am eigenen Bild. Jeder kann entscheiden, wie und in welcher Form er anderen Personen gegenüber abgebildet werden soll.

3. Das Recht am eigenen Wort. Jeder kann entscheiden, wie und in welcher Form das gesprochene Wort aufgenommen und wie und wo es abgespielt werden darf.

4. Personen, die ihre eigene Abstammung kennen wollen, können sich auf das APR in Form des Rechts auf Selbstbestimmung stützen.

5. Schutz vor Fragen im Berufsleben über persönliche Lebensumstände.

Zusammenfassung:

1. Die Pflicht zum Tragen eines Namensschildes greift in das Selbstbestimmungsrecht aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, Art. 2 I i.V.m. 1 I GG ein.

2. Die Förderung der Möglichkeiten zur Verfolgung von Fehlverhalten durch Polizist*innen ist – auch im Sinne der Rechtsprechung des EGMR – ein legitimes Ziel, dass der Verwirklichung des Rechtstaates dient.

3. In der Abwägung der widerstreitenden Interessen überwiegt die Verwirklichung des Rechtsstaats, insbesondere auch weil der Eingriff nicht besonders intensiv ist.


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