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Keine Schadensersatzpflicht beim Sturz in ein Biberloch

(angelehnt an: OLG Nürnberg Beschl. v. 24.03.2021, Az. 4 W 362/21 – noch nicht veröffentlicht)

Sachverhalt

(verändert und gekürzt)

Im April 2021 war die in N ansässige B mit ihrem Hund unterwegs. Die B ist während des Gassi-Gehens mit ihrem Hund auf einer Wiese in der Stadt N in ein Erdloch gestürzt. Dabei hat sie sich am linken oberen Sprunggelenk verletzt. Das Erdloch ist von einem Biber gegraben worden. Die B führt aus, dass die Stadt für den Schaden verantwortlich sei. Die zuständige Behörde habe nicht die notwendigen Schutzmaßnahmen – wie etwa einen Hinweis auf das Biberloch oder Absicherungsmaßnahmen – ergriffen. Durch die Verletzung sind der B Behandlungskosten in Höhe von 5.000 Euro entstanden. Die Stadt N wendet gegen diesen Anspruch ein, dass sie durch Schilder hinreichend vor der Biberpopulation gewarnt habe und weitere Schutzmaßnahmen weder getroffen werden konnten noch erforderlich waren. Richtigerweise liegt das Biberloch in einem frei begehbaren Naturschutzgebiet. Die Population der Bieber ist in der Gegend bekannt. Zudem sind in den kleinen Flüssen von Bibern gebaute Dämme erkennbar und die Rinde der Bäume sind teilweise angenagt. Die Stadt weist auf die Existenz von den Bibern mit Schildern hin, jedoch nicht auf eine eventuelle Gefahr durch Biberlöcher.

Hat die B einen Amtshaftungsanspruch gegen die Stadt N?


Skizze


Gutachten

Die B könnte einen Schadensersatzanspruch i.H.v. 5000 Euro gegen die Stadt N haben.

Schema des Amtshaftungsanspruchs

I. Amtspflichtverletzung
II. Verschulden
III. Schaden
IV. Kausalität
V. Kein Haftungsausschluss
VI. Art und Umfang des Schadensersatzes
VII. Verjährung

A. Anspruchsgrundlage

Dabei normiert § 839 BGB, dass einem Dritten der Schaden zu ersetzten ist, wenn ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm dem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt hat. Nach Art. 34 GG trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst der Beamte steht

B. Anspruchsvoraussetzungen

I. Amtspflichtverletzung

Zunächst müsste ein Amtswalter bei der Ausübung seiner Tätigkeit eine ihm gegenüber einem Dritten obliegende Amtspflicht verletzt haben.

1. Amtswalter

Die Mitarbeiter der zuständigen Behörde sind hier zunächst unproblematisch als Amtswalter bzw. haftungsrechtlicher Beamte einzustufen.

Vernetztes Lernen: Wer kann „Beamter“ sein im Rahmen des Amtshaftungsanspruchs?
Der Begriff des klassischen „Beamten“ in § 839 BGB wird durch die Formulierung „jemand“ in Art. 34 GG erweitert. [1]Maunz/Dürig/Papier/Shirvani, 93. EL Oktober 2020 Rn. 104, GG Art. 34 Rn. 104
Dadurch sind in den Pflichtenkreis auch Personen miteinbezogen, die in ihrer Funktion mit der Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe betraut sind und nicht Beamte im statusrechtlichen Sinne sind, also solche die durch förmliche Ernennungsurkunde zum Beamten ernannt wurden und in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehen. [2]Maunz/Dürig/Papier/Shirvani, 93. EL Oktober 2020, GG Art. 34 Rn. 105 ff. Mithin zählen zu dem Kreis der Personen auch Beliehene wie der TÜV, Sachverständige oder Verwaltungshelfer. [3]BeckOK GG/Grzeszick, 47. Ed. 15.5.2021, GG Art. 34 Rn. 51

Problematisch und höchst klausurrelevant sind die Fälle, in denen ein Privater aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags (Dienst- oder Werkvertrag) tätig wird. Früher wurde die Einstufung anhand der Werkzeugtheorie vorgenommen, heute wird als Abgrenzungskriterium eher auf die Nähe zum öffentlich-rechtlichen Funktionsbereich abgestellt. [4]BGHZ 121, 161, 164 f.

Bekanntes Fallbeispiel wäre das private Abschleppunternehmen.

2. Amtspflicht

Zudem müsste eine Amtspflicht bestanden haben. Hier könnte ein Sonderfall der Verkehrssicherungspflicht vorliegen. Die B beruft sich nämlich darauf, dass die zuständige Behörde nicht die notwendigen Schutzmaßnahmen – wie etwa einen Hinweis auf das Biberloch oder Absicherungsmaßnahmen – ergriffen habe.

a) Verkehrssicherungspflicht als Amtspflicht

Zunächst müsste eine Verkehrssicherungspflicht eine Amtspflicht begründen. Dabei ist umstritten, ob die Verkehrssicherungspflicht eine Amtspflicht ist. [5]MüKoBGB/Papier/Shirvani, 8. Aufl. 2020, BGB § 839 Rn. 229 Die Verkehrssicherungspflicht beinhaltet die Pflicht, allgemein zugängliche Wege, Plätze und Räume in einem verkehrssicheren Zustand zu halten. Nach der Rechtsprechung sind Verkehrssicherungspflichten wegen ihrer Bedeutung für die deliktische Haftung grundsätzlich dem Zivilrecht zuzuordnen [6]BGHZ 80, 54; BGH, NJW 1973, 460, 461 Die Verletzung einer zivilrechtlichen Verkehrssicherungspflicht führt demnach dann zu einer Haftung nach allgemeinem Deliktsrecht. Teilweise wird in der Literatur jedoch die Verkehrssicherungspflicht als hoheitliche Aufgabe klassifiziert.

Jedenfalls sollen aber die Fäll eine Amtshaftungsrechtliche Verkehrssicherungspflicht begründen, in denen durch eine eindeutige rechtliche Regelung die Verkehrssicherungspflicht den hoheitlichen Aufgaben der zuständigen Behörde zugewiesen ist [7]MüKoBGB/Papier/Shirvani, 8. Aufl. 2020, BGB § 839 Rn. 229; BGH NJW 1983, 2313- In diesem Fall kann die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht zu einem Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG.

b) Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht

Der Streit um die Einordnung der Verkehrssicherungspflicht kann jedoch dahinstehen, wenn in dem konkreten Fall die Stadt gar nicht die Pflicht traf auf die Erdlöcher hinzuweisen oder auf eventuelle Gefahren ausreichend hingewiesen wurde.

Zunächst ist dabei festzustellen, dass die Betretung der freien Landschaft zu Erholungszwecken grundsätzlich auf eigene Gefahr geschieht. Für typische, sich aus der Natur ergebende, Gefahren besteht keine Haftung. Zudem ist es nicht unüblich, dass in einem Biberrevier im Bereich eines Flussufers auch Biberlöcher zu finden sind. Die Stadt hat auch durch Schilder das Gebiet hinreichend als Biberrevier gekennzeichnet. Schon dadurch ist der Erholungssuchende vorgewarnt und kann nicht völlig unbedacht an den Stellen der Biberpopulation wandern. Nach dieser Auslegung sind zusätzliche Hinweise auf Biberlöcher nicht notwendig. Mithin hat die Stadt N keine Verkehrssicherungspflicht verletzt.

C. Gesamtergebnis

Die B hat keinen Amtshaftungsanspruch.


Zusatzfragen

Vor welchem Gericht ist ein Amtshaftungsanspruch einzuklagen?
Nach Art. 34 S. 3 GG ist der Amtshaftungsanspruch vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen. Sachlich zuständig ist gemäß § 71 Abs. 2 Nr. 2 GVG in erster Instanz unabhängig vom Streitwert das Landgericht.
Was passiert, wenn ein Amtshaftungsanspruch vor dem Verwaltungsgericht erhoben wird?
Ist der von der Partei gewählte Rechtsweg unzulässig, so wird der Rechtsstreit gemäß § 17a Abs. 2 S. 2GVG von dem Gericht von Amts wegen an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges verwiesen
Gibt es ein ähnliches Institut für Verstöße des Staates gegen das Europarecht?
Durch den europarechtlichen Staatshaftungsanspruch müssen die Mitgliedsstaaten bei Verstößen gegen das Europarecht unter bestimmten Voraussetzungen gegenüber den betroffenen Unionsbürgern für die entstandenen Schäden aufkommen.
(Kurz-) Schema zum europarechtlichen Staatshaftungsanspruch:
1. Herleitung des Anspruch
Nicht ausdrücklich normiert aber Herleitung aus folgenden Punkten möglich:
– Gebot der vollen Umsetzung des EU-Rechts (effet utile)
Art. 340 Abs. 2 AEUV, wurzelnden allgemeinen Grundsatz der Haftung öffentlicher Stellen für Schadensverursachungen in Ausübung der Amtstätigkeit.
– Gemeinschaftliches Ve3rhalten auf Unionsebene
2. Handeln eines Hoheitsträgers
3. Verstoß gegen eine individualschützende Norm des EU-Rechts
4. Qualifizierter Verstoß gegen das Unionsrecht
Verletzung alleine reicht nicht aus. Verstoß muss offenkundig und erheblich sein
zB Nichtumsetzung einer Richtlinie
5. Unmittelbare Kausalität zwischen Verstoß und Schaden

Zusammenfassung:


1. Der Amtshaftungsanspruch ergibt sich aus § 839 Abs. 1 S.1 BGB i.Vm. Art 34 S.1 GG.

2. Verkehrssicherungspflichten sind grundsätzlich dem Zivilrecht zuzuordnen.

3.. Die Betretung der freien Landschaft zu Erholungszwecken erfolgt grundsätzlich auf eigene Gefahr, sodass nicht auf typische, sich aus der Natur ergebenden, Gefahren extra hingewiesen werden muss.


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