BVerwG, Urteil vom 06.06.2024 – 3 C 5.23
Sachverhalt
(gekürzt und abgewandelt)
K wohnt in einer Einbahnstraße, der E-Straße, in der gemütlichen Altstadt der kreisfreien Stadt H. Um seine Tochter zur Kindertagesstätte zu bringen oder Geschäfte des alltäglichen Lebens wahrzunehmen, sucht er regelmäßig auch die A- und B-Straße auf. Die historischen Straßenzüge in den einander kreuzenden A-, B- und E-Straße sind recht eng. Wegen der schlechten Parksituation ist das sogenannte „Gehwegparken“, also das aufgesetzte Parken auf dem Gehweg, in der gesamten Stadt und insbesondere der besonders engen Altstadt verbreitet. Dies gilt auch für die A-, B- und E-Straße: Hier sind die Fahrbahnen zwischen 5 m und 5,50 m breit, während die Gehwegbreite der beidseitig vorhandenen Gehwege zwischen 1,75 m und 2 m beträgt. Seit Jahren wird auf beiden Seiten der drei Straßen nahezu durchgehend aufgesetzt auf den Gehwegen geparkt. Verkehrszeichen zum Halten und Parken gibt es dort nicht. Durch das aufgesetzte Parken verengt sich der Gehweg regelmäßig auf 1,20 m oder bis zu 0,90 m. K ärgert sich sehr: Dadurch, dass die Autos zur Hälfte auf dem Gehweg parken, kann er den Gehsteig mit dem Kinderwagen teilweise nur schwerlich passieren. Seine Tochter hat außerdem Probleme, in der A-, B- und E-Straße mit dem Rad zu fahren. K hat auch bereits beobachtet, wie Rollstuhlfahrer*innen wegen der Enge rangieren mussten. So besteht stets das Risiko, für ein kurzes Stück auf die Fahrbahn ausweichen zu müssen.
Er wendet sich daher an die Straßenverkehrsbehörde S der Stadt H und verlangt, dass die S Maßnahmen gegen das Gehwegparken ergreift. So sei nach der Straßenverkehrsordnung das Parken auf Gehwegen grundsätzlich verboten; die StVO würde eine Schutzwirkung für ihn entfalten. Dadurch, dass Fußgänger*innen die Wege nicht mehr benutzen könnten, würde die Situation in der Straße, insbesondere für Kinder, immer unerträglicher und gefährlicher. Das Ordnungsamt hätte er, der K, in der Nachbarschaft auch seit Jahren nicht mehr gesehen. Die Verkehrsbehörde hätte daher gar keine andere Wahl: Es bedürfe verkehrslenkender Regelungen, z.B. durch das Abschleppen verkehrswidrig geparkter Fahrzeuge oder durch das Aufstellen von Pollern, Pfählen oder Parkverbotsschildern, damit Passanten die Gehwege weiterhin nutzen könnten.
Die Stadt antwortete darauf mit einem ablehnenden Verwaltungsakt. Erstens sei sie gar nicht zuständig und zweitens handele es sich beim aufgesetzten Parken um ein Überwachungs-problem – die A-, B- und E-Straßen seien nicht die einzigen Straßen in dem Falschparker*innen überwacht werden müssen. Im Vergleich zu anderen Straßen sei die Situation in der A-, B- und E-Straße geradezu komfortabel und verkehrssicher. Es gelte insoweit das Opportunitätsprinzip. Bei konkreten Verkehrsbehinderungen könne sich K direkt an das Ordnungsamt oder die Polizei wenden. Nicht zuletzt hätte K gar keinen Anspruch aus der StVO – sonst „könne ja jeder daherkommen“.
K erhebt hiergegen Widerspruch. Ein Verweis auf die Polizei sei ungenügend, da diese mangels akuter Notsituation regelmäßig keine Notwendigkeit für ein Vorgehen im Sofortvollzug annähme. Die Straßenverkehrsbehörde sei genauso für die Herstellung der öffentlichen Sicherheit zuständig. Daher müsse sie geeignete Maßnahmen ergreifen, um das regelmäßige Parken auf den Gehwegen in den drei Straßen zu unterbinden.
Den Widerspruch weist die zuständige Widerspruchsbehörde formgerecht aus drei Gründen zurück. Erstens sehe sie sich nicht für die Gefahrenabwehr zuständig. Zweitens wäre überhaupt nicht eindeutig, was „geeignete Maßnahmen“ und „regelmäßig“ bedeuten solle und was für eine konkrete Verwaltungshandlungsform der K fordere. Jedenfalls möchte sie keine Verkehrsschilder aufstellen. Insofern sei die StVO klar; es gelte: „So viele Verkehrszeichen wie nötig, so wenig wie möglich“. Bei einer reinen Wiederholung des Gesetzes sei dieser Grundsatz missachtet.
K möchte das nicht auf sich sitzen lassen und entscheidet sich, vor das Verwaltungsgericht zu ziehen. Er beantragt fristgerecht erstens, dass der ursprüngliche, ablehnende Bescheid und auch der Widerspruchsbescheid aufgehoben werden. Zweitens, dass die Behörde verpflichtet wird, „irgendwelche“ Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, das regelmäßige Parken auf den Gehwegen in der A-, B- und E-Straße zu unterbinden und hilfsweise drittens, dass die Behörde verpflichtet wird, den Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Hat die Klage des K Erfolg?
Bearbeitungshinweis: Gefahrenabwehrrechtliche Anspruchsgrundlagen sind nicht zu prüfen.
[…] [4] 1Zum Parken ist der rechte Seitenstreifen, dazu gehören auch entlang der Fahrbahn angelegte Parkstreifen, zu benutzen, wenn er dazu ausreichend befestigt ist, sonst ist an den rechten Fahrbahnrand heranzufahren.
[4a] Ist das Parken auf dem Gehweg erlaubt, ist hierzu nur der rechte Gehweg, in Einbahnstraßen der rechte oder linke Gehweg, zu benutzen. […]
(1) 1Zuständig zur Ausführung dieser Verordnung sind, soweit nichts anderes bestimmt ist, die Straßenverkehrsbehörden. 2Nach Maßgabe des Landesrechts kann die Zuständigkeit der obersten Landesbehörden und der höheren Verwaltungsbehörden im Einzelfall oder allgemein auf eine andere Stelle übertragen werden. […]
[1] 1Die Straßenverkehrsbehörden können die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. […]
[9] 1Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen sind nur dort anzuordnen, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist.
Skizze
Gutachten
Die Klage des K hat Erfolg, soweit sie zulässig und soweit sie begründet ist.
A. Zulässigkeit des Antrags
I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs
Die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges richtet sich mangels aufdrängender Sonderzuweisung nach § 40 I 1 VwGO. Demnach müsste eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht-verfassungsrechtlicher Art vorliegen, die nicht im Wege einer abdrängenden Sonderzuweisung einem anderen Gericht zugewiesen ist. Von einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit ist nach der modifizierten Subjektstheorie auszugehen, wenn die streitentscheidenden Normen einen Träger öffentlicher Gewalt einseitig berechtigen oder verpflichten. Streitentscheidend sind die Regelungen der StVO, die die zuständigen Behörden als Träger öffentlicher Gewalt einseitig berechtigen. Die Streitigkeit ist auch nicht-verfassungsrechtlicher Art i.S.d. Theorie der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit, sodass die Voraussetzungen des § 40 I 1 VwGO erfüllt sind. Eine abdrängende Sonderzuweisung ist nicht ersichtlich und der Verwaltungsrechtsweg damit eröffnet.
II. Statthafte Klageart
Die statthafte Klageart richtet sich gem. § 88 VwGO nach dem Klagebegehren. K hat hier drei verschiedene Klagebegehren vorgebracht.
1. Erstes Klagebegehren: Aufhebung der Ablehnung
Das erste Klagebegehren ist auf die Aufhebung des ablehnenden Widerspruchsbescheids gerichtet. Zunächst liegt durch den ursprünglich ablehnenden Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids sowohl der Form als auch dem Inhalt nach ein anfechtbarer Verwaltungsakt i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG vor. K will aber letztendlich eine Begünstigung erreichen, d.h. eine im Vergleich zur Ausgangslage verbesserte Situation. Es geht dem K also nicht um die Aufhebung des Widerspruchsbescheids an sich – vielmehr soll die Behörde zum Erlass eines begünstigenden Verwaltungsakts verpflichtet werden.[1]Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 13. Aufl. 2024, § 15 Rn. 6. Soweit das Klagebegehren die im Ablehnungsbescheid enthaltene Zurückweisung des Einschreitens durch Verwaltungsakt betrifft, kommt dem Aufhebungsbegehren keine eigenständige Bedeutung zu – es ist bereits in dem Verpflichtungsbegehren des zweiten und dritten Antrags enthalten.[2]OVG Bremen, BeckRS 2022, 44530, Rn. 26. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn K der Aufhebung eine eigenständige Bedeutung beimisst. Dies wird hier aber nicht ersichtlich. Insofern wird eine Anfechtungsklage dem Klagebegehren des K nicht gerecht.
Anmerkung: Zulässigkeit des Antrags2. Zweites Klagebegehren: Ergreifen geeigneter Maßnahmen
Dem Begehren des K „Maßnahmen zu ergreifen“, könnte sowohl durch den Erlass von Verwaltungsakten als auch durch die Ausführung von Realakten nachgekommen werden. Insofern kommt eine Leistungsklage und/oder eine Verpflichtungsklage aus § 42 I Alt. 2 VwGO in Betracht. Die allgemeine Leistungsklage ist zwar gesetzlich nicht geregelt, wird aber in § 43 II VwGO vorausgesetzt.
Eine dahingehende Entscheidung könnte jedoch dahinstehen, wenn es dem zweiten Antrag an einer hinreichenden Bestimmtheit fehlt. Das Erfordernis der Bestimmtheit eines Klageantrags ergibt sich aus § 82 I 2 VwGO. Im Antrag, der aus sich selbst heraus verständlich sein muss, müssen Art und Umfang des begehrten Rechtsschutzes benannt werden.[5]OVG Bremen, BeckRS 2022, 44530, Rn. 33. Damit werden der Streitgegenstand festgelegt und der Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis abgesteckt; außerdem soll dem Beklagten so eine präzise Verteidigung erlaubt werden.[6]OVG Bremen, BeckRS 2022, 44530, Rn. 33.
Unter Umständen kann ein Verweis auf „geeignete“ Maßnahmen ausreichen, um die entsprechenden Handlungspflichten der beklagten Partei hinreichend klar erkennbar zu machen. Zum Beispiel dann, wenn sich die konkret geforderten Maßnahmen unter Berücksichtigung der Begründung ermitteln lassen.[7]BVerwG, NJW 2021, 1610, Rn. 20. Vorliegend ist aber zunächst zu beachten, dass H selbst im Falle eines bestehenden Anspruchs auf ein Einschreiten keinen konkreten Erfolg im Sinne einer bestimmten Maßnahme schuldet, sondern nur ein pflichtgemäßes Entscheiden über die Ergreifung von Maßnahmen, die Regelungen zum Verbot des Gehwegparkens durchzusetzen.[8]OVG Bremen, BeckRS 2022, 44530, Rn. 34. Für ein Vorgehen der H kommen – wie auch K annimmt („irgendwelche“) – eine Vielzahl von Maßnahmen in Betracht.
Darüber hinaus könnte es dem Kriterium der „Regelmäßigkeit“ an einer hinreichenden Bestimmtheit fehlen, sodass nicht nur die Maßnahme selbst, sondern auch der von dem Kläger erwartete Erfolg unklar bleibt. Zum Beispiel wäre ein einmal im Monat festgestelltes Gehwegparken im Wortsinne ebenso „regelmäßig“ wie ein wöchentliches oder tägliches Gehwegparken.[9]OVG Bremen, BeckRS 2022, 44530, Rn. 36. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, dass es selbst eine Definition des zu erreichenden Erfolges erarbeitet, die dann zudem von dem abweichen könnte, was der Kläger sich hierunter vorgestellt hat.[10]OVG Bremen, BeckRS 2022, 44530, Rn. 36. Ebenso wenig ist es seine Aufgabe, anstelle des Klägers die in Betracht zu ziehenden Maßnahmen verbindlich und abschließend zu konkretisieren, um dem Antrag die hinreichende Bestimmtheit zu verschaffen.[11]OVG Bremen, BeckRS 2022 44530, Rn. 36.
Das von dem Kläger beantragte Ergreifen „geeigneter Maßnahmen“ gegen das „regelmäßige“ Gehwegparken genügt den Bestimmtheitsanforderungen daher nicht.[12]A.A. BVerwG, NVwZ 2024, 1838 (1839), Rn. 16 f.
Anmerkung: Bestimmtheit3. Drittes Klagebegehren: Neubescheidung
Das dritte Klagebegehren des K, namentlich der hilfsweise geltend gemachte Neubescheidungsanspruch, zielt – ebenso wie der zweite Antrag – auf ein Einschreiten durch Verwaltungsakt oder durch Realakt ab.[13]OVG Bremen, BeckRS 2022, 44530, Rn. 38. Dem Begehren des K, neu über die „Maßnahmen“ zu entscheiden, könnte H sowohl durch den Erlass von Verwaltungsakten, z.B. durch Aufstellen von Straßenschildern, als auch durch die Ausführung von Realakten, wie dem Aufstellen von Pollern oder dem Abschleppen der abgestellten Kraftfahrzeuge, nachkommen.[14]VG Bremen, 11.11.2021, 5 K 1968/19, S. 11. Schon in seinem ursprünglichen Antrag konkretisiert K nicht, ob er konkret den Erlass eines Verwaltungsakts begehrt.
Für die Statthaftigkeit der Verpflichtungsklage könnte sprechen, dass einem Realakt regelmäßig eine Verwaltungsentscheidung in Form eines Verwaltungsakts vorgeht. Jedoch geht einer potentiellen Ausführung des begehrten Realakts nicht zwingend ein Verwaltungsakt vor. Hier liegt kein Fall vor, in dem das Fachrecht stets zwingend den Erlass eines derartigen Verwaltungsaktes fordert. Außerdem ist die konkrete Art und Weise des Verwaltungshandelns häufig durch Gesetz determiniert (z.B. wenn ein Handeln durch öffentlich-rechtlichen Vertrag vorgeschrieben ist), sodass die einer Maßnahme vorausgehende Prüfung der Rechtslage nicht zwingend etwas über deren Einordnung oder Nichteinordnung als Verwaltungsakt aussagt. Mithin kann ein Realakt auch ohne vorausgehenden Verwaltungsakt erlassen werden. Das isolierte Erheben einer Verpflichtungsklage würde das Klagebegehren dann nicht vollständig abbilden. Insofern müssen die allgemeine Leistungsklage und die Verpflichtungsklage kombiniert werden, um das Klagebegehren vollständig zu erfassen.
Dass H den Antrag des K in Form eines Verwaltungsakts i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG abgelehnt hat, ändert daran nichts – eine statthafte Verpflichtungsklage setzt voraus, dass die begehrte Amtshandlung ein Verwaltungsakt ist.[15]OVG Bremen, BeckRS 2022, 44530, Rn. 31. Daher ist es ohne Belang, in welcher Form die Behörde im Vorfeld des gerichtlichen Verfahrens über das entsprechende Begehren entschieden hat. Zudem entspräche dies vorliegend nicht dem Klagebegehren des K, da er gerade keinen (weiteren) an sich gerichteten Verwaltungsakt fordert.[16]OVG Bremen, BeckRS 2022, 44530, Rn. 31.
Daher ist eine Kombination aus einer jeweils auf die Neubescheidung ausgerichteten Verpflichtungs- und allgemeinen Leistungsklage statthaft.
Anmerkung: Abgrenzung von Leistungs- und VerpflichtungsklageIII. Antragsbefugnis
K müsste darüber hinaus klagebefugt sein, § 42 II VwGO. Das Erfordernis einer Klagebefugnis ist, soweit die Klage den Erlass von Verwaltungsakten betrifft, unmittelbar und, soweit es die allgemeine Leistungsklage betrifft, als allgemeines Strukturprinzip des Verwaltungsrechtsschutzes, entsprechend anzuwenden.[18]BVerwG, NVwZ 2014, 64, Rn. 18. Wird ein Anspruch auf behördliches Einschreiten gegen Dritte geltend gemacht, darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein, dass die als Anspruchsgrundlage heranziehbare Eingriffsnorm zumindest auch den individuellen Interessen des Klägers zu dienen bestimmt ist.[19]OVG Bremen, BeckRS 2022, 44530, Rn. 39.
Hier kommen verschiedene Eingriffsnormen in Betracht, die jeweils auf ihren individualschützenden Charakter hin untersucht werden müssen. Zum einen § 45 I, IX 1 StVO und zum anderen die jeweilige gefahrabwehrrechtliche Generalklausel, jeweils in Verbindung mit § 12 IV und IVa StVO in Betracht.
1. Drittschützende Wirkung des § 45 StVO
§ 45 I 1 StVO könnte dem oder der Einzelnen einen auf ermessensfehlerfreie Entschließung der Behörde beschränkten Anspruch auf Einschreiten gegen rechtswidriges Verkehrsverhalten Dritter oder verkehrsrechtswidrige Zustände vermitteln, wenn durch dieses Verhalten die öffentlich-rechtlich geschützten Interessen beeinflusst werden.[20]StRspr., vgl. OVG Bremen, BeckRS 2022, 44530, Rn. 41. Als derart geschütztes Interesse kommt das in § 12 IV und IVa StVO enthaltende grundsätzliche Verbot des Gehwegparkens in Betracht. Anwohner*innen werden durch das Gehwegparken nicht unerheblich in der Nutzung des an sein Grundstück grenzenden Gehwegs beeinträchtigt, sodass das Verbot des Gehwegparkens nicht nur die Allgemeinheit, sondern auch speziell Anwohner*innen schützen könnte.[21]BVerwG, NVwZ 2024, 1838 (1842), Rn. 43. Ein Drittschutz kann daher zumindest nicht von vorneherein ausgeschlossen werden.
2. Drittschützende Wirkung der polizeilichen Generalklausel
Die gefahrabwehrrechtliche Generalklausel erlaubt es den Sicherheitsbehörden zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit notwendige Maßnahmen zu treffen. Diese polizeiliche Generalklausel dient, wie auch andere polizei- und ordnungsrechtliche Ermächtigungen, auch der Effektivierung der staatlichen Schutzpflichten gegenüber den Bürgern. Durch das gegen § 12 IV und IVa StVO verstoßende Gehwegparken könnte das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit in Gestalt der Unverletzlichkeit der Rechtsordnung betroffen sein. Da diese Bestimmung möglicherweise drittschützend ist (s.o.), kann jedenfalls ein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein Einschreiten nicht von vorneherein ausgeschlossen werden.[22]OVG Bremen, BeckRS 2022, 44530, Rn. 42.
IV. Vorverfahren, §§ 68 ff. VwGO
Vor Klageerhebung bedarf es eines ordnungsgemäßen Widerspruchsverfahrens gem. § 68 II, I 1 VwGO. K hat Widerspruch erhoben. Dieser ist von der Widerspruchsbehörde verworfen worden, vgl. § 73 VwGO. Das Vorverfahren wurde ordnungsgemäß durchgeführt.
V. Klagefrist
Die Klagefrist nach § 74 II, I 1 VwGO ist laut Sachverhalt eingehalten worden.
Anmerkung: FristVI. Korrekter Klagegegner
Die Klage ist gem. § 78 I Nr. 1 VwGO gegen den Rechtsträger der zuständigen Behörde zu richten. Mangels entgegenstehender Angaben ist davon auszugehen, dass es kein Landesrecht i.S.d. § 78 I Nr. 2 VwGO gibt. Hier handelt die Straßenverkehrsbehörde als Sonderordnungsbehörde. Daher ist Rechtsträgerin der Straßenverkehrsbehörde die kreisfreie Stadt H. Die Klage ist gegen H zu richten.
VII. Beteiligten- und Prozessfähigkeit
K ist als natürliche Person nach § 61 Nr. 1 Alt. 1 VwGO beteiligten- und gem. § 62 I Nr. 1 VwGO prozessfähig. H ist wiederum gem. § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO beteiligten- und gem. § 62 III VwGO prozessfähig, wenn sie von ihrem gesetzlichen Vertreter vertreten wird.
VIII. Zwischenergebnis
Die Klage des K ist teilweise, und zwar nur in Hinsicht auf den dritten Klageantrag, zulässig.
Anmerkung: KlagehäufungB. Begründetheit
Die Klage ist begründet, wenn ein Anspruch auf das begehrte Tun, Dulden oder Unterlassen besteht oder, soweit die Ablehnung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist und K dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Letzteres ist der Fall, wenn K einen Anspruch auf Vornahme des Verwaltungsakts gem. § 113 V 1 VwGO (Vornahmeurteil) oder auf ermessensfehlerfreie Bescheidung seines Antrags gem. § 113 V 2 VwGO (Bescheidungsurteil) hat.
Anmerkung: ObersatzI. Anspruchsgrundlage
Es bedürfte einer geeigneten Anspruchsgrundlage. Insofern kommt § 45 I 1 StVO i.V.m. § 12 IV, IVa StVO in Betracht. § 45 I 1 StVO berechtigt die Straßenverkehrsbehörde zu verkehrslenkenden Maßnahmen. Gem. § 45 IX StVO kann dazu auch das Aufstellen von Verkehrsschildern gehören.
Fraglich ist, ob die Anspruchsgrundlage dem Individuum, also dem K, einen individuellen Anspruch auf behördliches Einschreiten vermittelt. Nach der Schutznormtheorie vermittelt eine Rechtsnorm Drittschutz, wenn sie objektiv-rechtlichen Schutz enthält und in qualifizierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist.[23]BVerwG, NJW 1978, 62 (63). Einen individuellen Anspruch auf behördliches Einschreiten vermitteln solche Vorschriften, die zumindest auch der Rücksichtnahme auf individuelle Interessen oder deren Ausgleich untereinander dienen.[24]OVG Bremen, BeckRS 2022, 44530, Rn. 69. In der Regel lässt sich erst durch eine teleologische Auslegung der Norm ermitteln, ob ein „abgrenzbarer Kreis der Betroffenen” vorliegt, der sich von der Allgemeinheit unterscheidet, da der Gesetzgeber derartige Rechte nur in Ausnahmefällen ausdrücklich statuiert.[25]OVG Bremen, BeckRS 2022, 44530, Rn. 69.
1. Beeinträchtigung der Gesundheit
Eine solche drittschützende Wirkung könnte sich hier aus § 12 IV und IVa StVO ergeben. Grundsätzlich dienen verkehrsrechtliche Regelungen dem Schutz der Allgemeinheit. Etwas anderes könnte jedenfalls bei potenziellenEigentums- und Gesundheitsverletzungen gelten.[26]OVG Bremen, BeckRS 2022, 44530, Rn. 70. Laut Sachverhalt sind die Gehwege in den betroffenen Straßen durchaus noch nutzbar und nicht etwa regelmäßig über die gesamte Gehwegbreite mit Kraftfahrzeugen verstellt: Bei 1,20 m bis 0,90 m Gehwegbreite verbleibt jedenfalls regelmäßig ein Freiraum, der es den einzelnen Fußgänger*innen ermöglicht, den Gehweg zu nutzen.[27]OVG Bremen, BeckRS 2022, 44530, Rn. 71. Eine Gefährdung der Schutzgüter des Art. 2 II GG durch eine Notwendigkeit für den Kläger, auf die Straße zu treten, ist vor diesem Hintergrund nicht festzustellen.
Anmerkung: Andere Ansicht2. Anderweitig unzumutbare Beeinträchtigung
Ein Drittschutz könnte sich aber daraus ergeben, dass § 12 IV und IVa StVO auch auf einen Schutz vor unzumutbaren Verkehrseinwirkungen durch das verbotswidrige Parken auf den streitgegenständlichen Gehwegen abzielt. Bei den Menschen, die vom Gehwegparkverbot profitieren, handelt es sich um einen großen Personenkreis. Vor diesem Hintergrund kann die individualschützende Funktion des § 12 IV und IVa StVO nicht so weit verstanden werden, dass sie jenseits einer unzumutbaren Schwere der Beeinträchtigung gegeben wäre.[28]OVG Bremen, BeckRS 2022, 44530, Rn. 77. Es muss also eine bestimmte Schwelle der Beeinträchtigungen erreicht werden, sodass Drittschutz nur insoweit besteht, als die Belange der Betroffenen in einer erheblichen und damit in qualifizierter Weise betroffen sind.[29]BVwerG, NVwZ 2024, 1838 (1842), Rn. 45.; vgl. auch OVG Bremen, BeckRS 2022, 44530, Rn. 76.
Auf die vorliegende Konstellation des verbotswidrigen Gehwegparkens bezogen, wäre diese Schwelle erreicht, wenn flächendeckend und dauerhaft eine für den Betroffenen unzumutbare Funktionsbeeinträchtigung des Gehweges eintritt.[30]OVG Bremen, BeckRS 2022, 44530, Rn. 77. Eine unzumutbare Funktionsbeeinträchtigung des Gehweges liegt nicht bereits dann vor, wenn überhaupt verbotswidrig auf dem Gehweg geparkt wird; sie tritt aber auch nicht erst dann ein, wenn eine Benutzung des Gehweges durch Fußgänger*innen wegen der Geringfügigkeit der verbleibenden Gehwegbreite nicht mehr möglich ist.[31]OVG Bremen, BeckRS 2022, 44530, Rn. 78.; vgl. dazu BVerwG, NVwZ 2024, 1838 (1842), Rn. 47. Die Funktion eines Gehwegs ist nicht erst dann beeinträchtigt, wenn Fußgänger*innen nicht mehr oder nur mit Mühe an parkenden Fahrzeugen vorbeikommen oder ein Gegenverkehr erschwert wird.[32]Vgl. OVG MV, DAR 2015, 715, 2. Leitsatz. Es genügt nicht, wenn nur ein schmaler Engpass verbleibt, den Rollstuhlfahrer*innen und Personen mit Rollator oder Kinderwagen „mit Mühe und Not“ passieren können. Vielmehr muss ein problemloser Begegnungsverkehr möglich bleiben.[33]OVG Bremen, BeckRS 2022, 44530, Rn. 80; vgl. auch Anm. v. Valentiner zu BVerwG, NVwZ 2024, 1838 ff. (1845). Dies ist bei einer Gehwegbreite von unter 1,20 m nicht mehr garantiert. Diese Gegebenheiten treten zumindest für Anwohner*innen auch in der notwendigen Regelmäßigkeit und Unausweichlichkeit auf, sodass ebenso die Elemente der Dauerhaftigkeit und der Flächendeckung erfüllt sind. Gerade durch diese Elemente, also der spezifischen Störungslage und ihrer räumlichen Zuordnung,[34]OVG Bremen, BeckRS 2022, 44530, Rn. 81. grenzen sich die Anwohner*innen vom Kreise der Allgemeinheit, d.h. anderen Fußgänger*innen, ab.Um diese Individualisierbarkeit sicherzustellen, ist die drittschützende Wirkung des Gehwegparkverbots aus § 12 IV und IVa StVO regelmäßig – und so auch hier – auf den Gehweg beschränkt, der auf der „eigenen“ Straßenseite des*der Anwohnenden verläuft. In der Regel ist auch nur der Straßenabschnitt bis zur Einmündung „seiner“ Straße in die nächste (Quer-)Straße erfasst.[35]BVerwG, NVwZ 2024, 1838 (1844), Rn. 62. In Bezug auf weitere Abschnitte des Gehwegs und andere Straßen sind die Anwohner*innen Teil des allgemeinen Kreises der Gehwegbenutzer*innen und nicht mehr hinreichend von der Allgemeinheit unterscheidbar.[36]BVerwG, NVwZ 2024, 1838 (1844), Rn. 62. Bezogen auf K bedeutet das, dass er einen individuellen Anspruch auf Einschreiten der Behörden für „seine“ Straßenseite in der E-Straße hat.
Anmerkung: Drittschützender CharakterII. Formelle Anspruchsvoraussetzungen
Darüber hinaus müssten die formellen Anspruchsvoraussetzung, also Zuständigkeit, Verfahren und Form, erfüllt sein. Gem. § 44 I 1 StVO ist die Straßenverkehrsbehörde grundsätzlich zuständig für die Ausführung der StVO, also auch für § 45 I 1 StVO. Anhaltspunkte für eine abweichende Regelung i.S.d. § 44 I 2 StVO liegen nicht vor. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass die Verfahrens- und Formvorschriften seitens K eingehalten wurden. Insbesondere hat er zuvor einen Antrag bei der Behörde gestellt. Die formellen Anspruchsvoraussetzungen liegen damit vor.
III. Materielle Anspruchsvoraussetzungen
Der Verwaltungsakt könnte aber materiell rechtswidrig sein. Dies wäre der Fall, wenn der Tatbestand der Ermächtigungsgrundlage schon nicht erfüllt ist. Eine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf gem. § 7 III Pol-LVO ist möglich, wenn sich der/die Anwärter*in während des Vorbereitungsdienstes auf Grund der Persönlichkeit als nicht geeignet erweist. Die persönliche Eignung könnte hier in Frage gestellt werden, da begründete Zweifel an Ps Verfassungstreue bestehen könnten. Diese Treuepflicht, die so auch in § 33 BeamtStG niedergelegt ist, gehört zu den in Art. 33 V GG niedergelegten hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums.
1. Tatbestand
a) Beeinträchtigung der Sicherheit und Ordnung
Nach § 45 I 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten. Mit dem Schutzgut der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs verwendet § 45 I 1 StVO die Definition aus dem allgemeinen Polizeirecht. Notwendig ist demnach eine konkrete Gefahr für die Rechtsordnung, Rechte Dritter oder den Bestand des Staates und seiner Einrichtungen sowie Veranstaltungen. Für deren Annahme genügt es, dass die konkrete Situation nahelegt, es könnten irgendwann in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Beeinträchtigungen eintreten.
Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit umfasst insbesondere die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung. Das aufgesetzte Parken in den streitgegenständlichen Straßen verstößt gegen das aus § 12 IV und IVa StVO abzuleitende Verbot, Gehwege ohne spezielle Erlaubnis zum Abstellen von Kraftfahrzeugen zu nutzen. Nach § 12 IV 1 StVO ist zum Parken der rechte Seitenstreifen zu benutzen, wenn ein solcher vorhanden und ausreichend befestigt ist, sonst ist an den rechten Fahrbahnrand heranzufahren. Hieraus folgt, dass auf Gehwegen nicht geparkt werden darf, soweit nicht im Einzelfall das Parken explizit gestattet worden ist oder ein besonderer Rechtfertigungsgrund vorliegt. Es besteht zudem die konkrete Gefahr, dass derartige Verstöße sich auch in der Zukunft fortsetzen, da die Parksituation schon seit Jahren andauert. Ohne ein Einschreiten der H wird in den betroffenen Straßen höchstwahrscheinlich weiterhin flächendeckend verbotswidrig auf den Gehwegen geparkt. Dabei ist auch mit Beeinträchtigungen Dritter zu rechnen, insbesondere wenn eine Mobilitätseinschränkung vorliegt.
b) Einschränkung des § 45 IX 1 StVO
Einer verkehrsregelnden Maßnahme in Form eines Verkehrsschildes könnte aber die Regelung in § 45 IX 1 StVO entgegenstehen. Die Straßenverkehrsbehörde der H brachte insoweit vor, dass das Anordnen von Verkehrsschildern und -einrichtungen restriktiv nur dort anzuordnen sei, wo dies wegen besonderer Umstände zwingend erforderlich sei.
Nach § 45 IX 1 StVO sollen die zuständigen Behörden vor der Anordnung von Verkehrszeichen prüfen, ob ein Verkehrszeichen zwingend erforderlich ist, weil die bestehenden Verhaltensregeln der StVO für einen sicheren und geordneten Verkehrsablauf nicht ausreichen.[37]BR-Drs. 374/97, S. 8. Eine solche Erforderlichkeit ist nur dann abzulehnen, wenn die mit der Verhaltensregel bezweckte Wirkung ohnehin schon erreicht wird.[38]BVerwG, NVwZ-RR 2018, 12, Rn. 6. Dementsprechend können auch Verkehrszeichen, die gesetzliche Regelungen lediglich wiederholen, zwingend erforderlich sein, wenn die Regelungen nicht hinreichend erkennbar sind oder nicht hinreichend beachtet werden.[39]BVerwG, SVR 2020, 35 (36). Das allgemeine Verbot des Parkens auf Gehwegen wird in den streitgegenständlichen Straßen offensichtlich nicht beachtet. Vor diesem Hintergrund stünde einer mit der entsprechenden Zielsetzung erfolgenden Anordnung von Verkehrszeichen nichts entgegen.
2. Rechtsfolge
Gem. § 45 I 1 StVO „können“ Straßenverkehrsbehörden den Verkehr beschränken. Ihnen kommt also Ermessen i.S.d. § 40 VwVfG zu. Grundsätzlich kommt dem Kläger gem. § 113 Abs. 5 S. 2 VwGO nur ein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung zu. Das heißt, dass i.S.d. § 114 VwGO kein Ermessensfehler vorliegen darf. Nur wenn sich die möglichen behördlichen Entscheidungen im Sinne einer Ermessenreduzierung auf Null auf eine einzige ermessensfehlerfreie Entscheidung verdichten, besteht ein Anspruch auf die Entscheidung gem. § 113 V 1 VwGO.
a) Ermessensfehler
Es könnte ein Ermessensfehler in Form eines Ermessenunterschreitung vorliegen. In Bezug auf Gefahrabwehrmaßnahmen wurde bereits verkannt, dass die Straßenverkehrsbehörde auch für diese sachlich zuständig ist und ihr damit Befugnisse zur Gefahrenabwehr über die Möglichkeiten des § 45 I StVO hinaus zur Verfügung stehen – insoweit liegt ein Ermessensausfall vor.[40]OVG Bremen, BeckRS 2022, 44530, Rn. 83. In Bezug auf Maßnahmen nach § 45 I StVO wurde zwar erkannt, dass eine Ermessensentscheidung zu treffen war. Diese Entscheidung wurde aber nicht gem. § 114 S. 1 VwGO in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise ausgeübt, da die Entscheidung auf unzureichenden Erwägungen beruht. Im Widerspruchsbescheid wird die Ablehnung von Verkehrsschildern nach § 45 I 1, IX StVO darauf gestützt, dass hierdurch nur die gesetzliche Regelung wiedergegeben werde, was dem Grundsatz „nur so viele Verkehrszeichen wie nötig – so wenige Verkehrszeichen wie möglich“ widerspräche. Diese Überlegung allein kann vorliegend nicht genügen. Denn ein Verkehrszeichen kann auch dann nötig sein, wenn eine gesetzliche Regelung ständig missachtet wird.[41]Vgl. BayVGH, BeckRS 2011, 34058, Rn. 30, 32. Angesichts der massiven und dauerhaften Einschränkung der Nutzbarkeit der Gehwege war jedenfalls zu erwägen, ob ein wiederholendes Verkehrszeichen im Ausnahmefall notwendig ist. Der bloße Verweis auf die an sich wünschenswerte Vermeidung unnötiger verkehrsregelnder Anordnungen reicht nicht aus, weshalb ein Ermessensdefizit vorliegt.
Vernetztes Lernen: Welche Ermessensfehler gibt es?• Ermessensüberschreitung (insbesondere Verhältnismäßigkeit),
• die Ermessensunterschreitung (das Ermessen wird nicht im vollen Umfang ausgeübt, also werden z.B. relevante Tatsachen nicht berücksichtigt)
• und der Ermessensnichtgebrauch (das Ermessen wurde, z.B. weil man sich für rechtlich gebunden hält, gar nicht ausgeübt), mitgedacht werden.
b) Ermessensreduzierung auf Null
Fraglich ist, ob zu Gunsten des H eine Ermessensreduzierung auf Null besteht. K merkt an, dass die Behörde „gar keine andere Wahl hätte“. Eine Ermessensreduzierung auf Null ist immer dann anzunehmen, wenn nur noch eine Entscheidung ermessensfehlerfrei ist und alle anderen Entscheidungen ermessensfehlerhaft wären.[42]Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 21. Aufl. 2024, § 7 Rn. 24. Dies kann sich insbesondere aus einer schweren Beeinträchtigung von Grundrechten ergeben. Jedenfalls ist Zurückhaltung geboten, da es sonst zu einer Verschiebung der Verantwortung für Ermessensentscheidungen von den Verwaltungsbehörden auf die Gerichte käme, die nicht im Einklang mit der Gewaltenteilung stünde.[43]BVerwG, NVwZ 1988, 525 (526).
Zunächst ist zu berücksichtigen, dass auch, wenn die Beeinträchtigung der Gehwegnutzbarkeit in der streitgegenständlichen E-Straße ein hohes Maß erreicht hat, kein völliger Funktionsverlust vorliegt. Es verbleibt vielmehr eine – eingeschränkte – Nutzbarkeit.[44]OVG Bremen, BeckRS 2022, 44530, Rn. 89. Weiterhin sind Rechtsgüter überragender Wichtigkeit wie die Gesundheit nicht konkret gefährdet.
Anmerkung: PrüfungsaufbauAllein die Dauer und Häufigkeit der Parkverstöße führen nicht zu einer Ermessensreduzierung auf Null. Vielmehr erscheint es sachgerecht, gerade umgekehrte Ermessenserwägungen anzustellen, da es sich nicht um ein auf einzelne Straßen begrenzte Praxis handelt. Das Gehwegparken ist stadtweit und insbesondere in der Altstadt weit verbreitet und lange geduldet worden. Dass die Beklagte und ihre Straßenverkehrsbehörde das Problem nicht stadtweit gleichzeitig beseitigen können, liegt auf der Hand.[45]OVG Bremen, BeckRS 2022, 44530, Rn. 90. Die Straßenverkehrsbehörde in H hat sich zudem nicht nur dieser Teilfrage anzunehmen, sondern muss allen Aufgaben im Bereich der Regelung und Überwachung des Straßenverkehrs möglichst weitgehend nachkommen. Dabei sind ihre Ressourcen begrenzt. Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, wenn H zunächst die am stärksten belasteten Quartiere ermittelt, Straßen mit besonders geringer Restgehwegbreite priorisiert und ein entsprechendes Konzept für ein stadtweites Vorgehen umsetzt.[46]Vgl. BVerwG, 6.6.2024, 3 C 5.23. Soweit dabei geplant ist, gerade andere Straßen mit besonders geringen verbleibenden Restgehwegbreiten zu priorisieren, ist dagegen im Ausgangspunkt nichts einzuwenden – H darf berücksichtigen, in welcher Intensität die streitgegenständliche Straße in Relation zu anderen Straßen betroffen ist.[47]OVG Bremen, BeckRS 2022, 44530, Rn. 90.
Diese Erwägungen gelten nur so lange, wie dieses Konzept auch tatsächlich und nachvollziehbar verfolgt wird. Dabei wird der Gesichtspunkt der Verfolgung eines allgemeinen und planvollen Vorgehens über die Zeit umso mehr an Bedeutung verlieren, wie es nicht zu einer Umsetzung oder zu Verzögerungen kommt.[48]OVG Bremen, BeckRS 2022, 44530, Rn. 91. In Bezug auf Mittel, die mit überschaubaren (Personal-)Aufwand durchführbar sind, wie z.B. die Aufstellung von einseitigen Halteverbotsschildern, wird es einer besonders tragfähigen Begründung bedürfen, warum diese nicht ergriffen werden.[49]OVG Bremen, BeckRS 2022, 44530, Rn. 91. Es liegt keine Ermessensreduzierung auf Null vor, solange der Verweis auf das Konzept nicht lediglich eine Aufschiebetaktik zu sein scheint.
c) Zwischenergebnis
Die Behörde muss ihr Ermessen i.R.d. § 45 I 1 StVO fehlerfrei ausüben. Sie ist jedenfalls nicht verpflichtet, direkt in der E-Straße einzuschreiten.
Vernetztes Lernen: Angenommen der Anspruch auf Einschreiten sollte aus dem Polizeirecht abgeleitet werden. Wie würde sich die Prüfung verändern?Es würden sich sodann, z.B. in Bezug auf die drittschützende Wirkung, dieselben Problematiken stellen. In der materiellen Rechtmäßigkeit ist zu beachten, dass zwischen Tatbestand und Rechtsfolge noch die Störereigenschaft zu prüfen wäre.
Der § 45 StVO und die polizeirechtliche Generalklausel können auch nebeneinander geprüft werden, außer die Prüfung des Letzteren ist – wie im Ausgangssachverhalt – explizit ausgeschlossen. Sofern das Polizeirecht nicht ausgeschlossen ist, sollte wegen des lex specialis-Grundsatzes aber der Anspruch aus der StVO zuerst geprüft werden.
IV. Zwischenergebnis
K kommt aus § 45 I 1 StVO ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung zu (§ 113 V 2 VwGO).
C. Ergebnis
Der dritte Klageantrag ist zulässig und begründet. Ks Klage hat daher teilweise Erfolg.
Zusatzfragen
1. Angenommen die Straßenverkehrsbehörde stellt die fraglichen Verkehrsschilder auf. Raserin R fühlt sich nunmehr in ihrer „Freiheit als Autofahrerin“ verletzt. Sie möchte daher gegen die Aufstellung der Verkehrsschilder klagen. Welche Klageart wäre statthaft und ab wann und wie lange würde die Klagefrist – angenommen ein Widerspruchsverfahren wäre unstatthaft – laufen?Fraglich ist aber, wann die Klagefrist zu laufen beginnt. Die Klagefrist bemisst sich bei Unstatthaftigkeit des Widerspruchsverfahrens anhand von § 74 I 2 VwGO. Die einmonatige Klagefrist beginnt also ab „Bekanntgabe“, die sich wiederum an § 41 VwVfG misst. Verkehrsschilder werden nicht individuell bekanntgegeben, sodass allenfalls eine öffentliche Bekanntgabe nach § 41 III VwVfG in Betracht kommt. Entweder, weil diese durch Rechtsvorschrift vorgesehen ist (S. 1) oder weil eine Bekanntgabe an die Beteiligten untunlich ist (S. 2). Die Rechtsprechung versteht die §§ 39 I, 45 IV StVO als eben eine solche Rechtsvorschrift i.S.d. § 41 III 1 VwVfG.[50]BVerwG, NJW 2011, 246, Rn. 15. Andere gehen davon aus, dass wegen des Charakters von Verkehrsschildern als benutzungsregelnde Allgemeinverfügungen gem. § 35 S. 2 VwVfG, die Zulässigkeit der öffentlichen Bekanntgabe sich bereits aus § 41 III 2 VwVfG ergibt.
Dies muss regelmäßig nicht entschieden werden, weil eine öffentliche Bekanntgabe jedenfalls nach beiden Ansichten i.R.d. § 41 VwVfG zulässig ist. Das Verkehrsschild gilt in dem Zeitpunkt als bekanntgegeben, in dem es derartig aufgestellt wird, dass jeder durchschnittliche Verkehrsteilnehmer unter Beachtung der erforderlichen Sorgfalt nach § 1 StVO das Verkehrsschild wahrnehmen kann.[51]Ibid., Rn. 14 f.. Die Frist wird wegen Art. 19 IV GG aber erst dann ausgelöst, wenn sich der betreffende Verkehrsteilnehmer erstmals der Regelung des Verkehrszeichens gegenübersieht.[52]Ibid., Rn. 16. Mangels Rechtsbehelfsbelehrung besteht eine Jahresfrist nach § 74 I 2 iVm § 58 II VwGO. Praktisch bedeutet das, dass für viele Verkehrsteilnehmer*innen letztlich überhaupt keine Rechtsbehelfsfrist läuft, da diese nur behaupten müssen, mit dem Verkehrszeichen vorher noch nicht konfrontiert worden zu sein.[53]Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 22. Aufl. 2024, Rn. 562.
Beim Kostenbescheid für das Abschleppen von Fahrzeugen ist – länderübergreifend – regelmäßig die Rechtsgrundlage umstritten. Es handelt sich hier um ein „Standardproblem“: Fraglich ist, ob das Abschleppen von Fahrzeugen als Sicherstellung oder als Ersatzvornahme zu qualifizieren ist. Die h.M. geht davon aus, dass der Kostenbescheid über die Rechtsgrundlage der Ersatzvornahme abgewickelt werden muss, da es regelmäßig an einem Verwahrungswillen fehlt.[54]Kingreen/Poscher, Polizei- und Ordnungsrecht, 12. Auflage 2022, § 18 Rn. 5. Der Kostenbescheid müsste sodann formell sowie materiell rechtmäßig sein. D.h., dass der Kostenbescheid nur dann rechtmäßig ist, wenn die Ersatzvornahme rechtmäßig erfolgt ist.
Zusammenfassung
1. Das aus § 12 IV und IVa StVO folgende Verbot des Gehwegparkens schützt nicht nur Fußgänger*innen als Allgemeinheit, sondern auch das individuelle Interesse der Anwohner*innen an einer bestimmungsgemäßen Benutzung des Gehwegs (drittschützender Charakter).
2. Dabei ist der Schutz (vorbehaltlich besonderer örtlicher Gegebenheiten) auf den Gehweg der „eigenen“ Straßenseite des*der Anwohner*in begrenzt.
3. Insofern haben die Anwohner*innen einen Anspruch gegen die Straßenverkehrsbehörde auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung in Bezug auf das Einschreiten gegen das Gehwegparken.