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Identifizierende Verdachtsberichtserstattung
BGH, Urteil vom 16.11.2021 – VI ZR 1241/20, NJW 2022, 940

Sachverhalt

(abgewandelt und gekürzt)

K hatte im V-AG-Konzern von 2001 bis 2016 verschiedene Leitungspositionen im Bereich der Motorenentwicklung inne – zuletzt als Verantwortlicher für Forschung und Entwicklung im Vorstand der P-AG. Diese Position hatte er bis zu seiner Beurlaubung im September 2015 im Zusammenhang mit der Aufdeckung des so genannten Dieselskandals inne. Interne Untersuchungen im Konzern wiesen dem K im Folgenden kein persönliches Fehlverhalten nach. Im Jahr 2016 schied der K nach Abschluss eines Aufhebungsvertrags aus dem Unternehmen aus.

Im Zusammenhang mit dem Dieselskandal veröffentlichte die B, ein großer Zeitschriften- und Onlineverlag, einen Onlineartikel auf ihrer Internetseite mit dem Titel „Dieselskandal (-) Hochrangiger Ex-V-AG-Manager in Untersuchungshaft“ über den K unter voller Namensnennung und mit einem unverpixelten Foto. Dort hieß es unter anderem, der Ex-V-AG-Manager befinde sich in Untersuchungshaft; die US-Justiz habe ihn als möglichen „Mitverschwörer“ bei Abgasmanipulationen verdächtigt, der „Bescheid gewusst oder zumindest darüber hinweggesehen“ habe. Sein Verlassen des Konzerns 2015 könne darauf hindeuten, dass er eine tragende Rolle im Abgasskandal gespielt habe. Vor dieser Berichterstattung hatte die B keine Maßnahmen ergriffen, um dem K Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Nach Abmahnung durch den K ergänzte die B – trotz Hinweis auf eine fehlende rechtliche Pflicht hierzu – ihren Artikel um eine Stellungnahme des Verteidigers des K, in der die Vorwürfe als falsch zurückgewiesen wurden und ausgeführt wurde, der einzige Belastungszeuge beschuldige den K im Ermittlungsverfahren mutmaßlich nur, um selbst aus der Haft zu kommen.

Der K verlangt von der B Unterlassung der Wort- und Bildberichterstattung sowie Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten, die für die Abmahnung angefallen sind. Zu Recht?

Auszug aus dem Kunsturhebergesetz

§ 22 KUG

Bildnisse dürfen nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden. Die Einwilligung gilt im Zweifel als erteilt, wenn der Abgebildete dafür, daß er sich abbilden ließ, eine Entlohnung erhielt. Nach dem Tode des Abgebildeten bedarf es bis zum Ablaufe von 10 Jahren der Einwilligung der Angehörigen des Abgebildeten. Angehörige im Sinne dieses Gesetzes sind der überlebende Ehegatte oder Lebenspartner und die Kinder des Abgebildeten und, wenn weder ein Ehegatte oder Lebenspartner noch Kinder vorhanden sind, die Eltern des Abgebildeten

§ 23 KUG

(1) Ohne die nach § 22 erforderliche Einwilligung dürfen verbreitet und zur Schau gestellt werden:

1. Bildnisse aus dem Bereiche der Zeitgeschichte;
2. Bilder, auf denen die Personen nur als Beiwerk neben einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeit erscheinen;
3. Bilder von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen, an denen die dargestellten Personen teilgenommen haben;
4. Bildnisse, die nicht auf Bestellung angefertigt sind, sofern die Verbreitung oder Schaustellung einem höheren Interesse der Kunst dient.

(2) Die Befugnis erstreckt sich jedoch nicht auf eine Verbreitung und Schaustellung, durch die ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten oder, falls dieser verstorben ist, seiner Angehörigen verletzt wird.

Skizze


Gutachten

A. Unterlassungsanspruch bzgl. der Wortberichtserstattung, §§ 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, 823 Abs. 1 BGB

Die K könnte gegen B aus §§ 1004 Abs. 1. S. 2 BGB analog, 823 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Unterlassung der Wortberichtserstattung über ihn in der Weise, wie es in dem Artikel „Dieselskandal (-) Hochrangiger Ex-V-AG-Manager in Untersuchungshaft“ geschehen ist, haben.

I.    Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG

Zunächst müssten ein Eingriff in ein taugliches Rechtsgut gegeben sein. § 1004 BGB schützt in seiner direkten Anwendung lediglich das Eigentum. Da jedoch für andere Rechtsgüter ein vergleichbarer Schutz durch die Rechtsordnung nötig ist, wird § 1004 BGB analog auf alle Ausschließlichkeitsrechte (absolute Rechte) und sonstige Rechte im Sinne von § 823 BGB angewendet (sog. (quasi-)negatorischer Unterlassungsanspruch).


In Betracht kommt vorliegend ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs.1, 1 Abs. 1 GG als sonstiges Recht im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB.

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt das Recht des Trägers auf Achtung seiner personalen und sozialen Identität sowie Entfaltung und Entwicklung seiner individuellen Persönlichkeit gegenüber dem Staat und im privaten Rechtsverkehr.[1]Palandt/Sprau, 80. Auflage 2021, § 823 BGB Rn. 86 Wegen der Eigenart des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der EMRK interpretationsleitend zu berücksichtigen sind.[2]BGH, Urteil vom 16.11.2021 – VI ZR 1241/20, NJW 2022, 940 Rn. 15; BGH, Urteil vom 18.12.2018 – VI ZR 439/17, NJW 2019, 1881, Rn. 10 In der Praxis haben sich verschiedene Ausprägungen herausgebildet wie beispielsweise der Schutz des eigenen Wortes, Schutz des eigenen Bildes, Schutz der Privat-/Sozialsphäre, Recht auf informationelle Selbstbestimmung etc. Geschützt wird auch der gute Ruf einer Person.

Vorliegend hat B über K einen Artikel veröffentlicht und hierbei seinen Namen und ein unverpixeltes Foto verwendet. Inhaltlich ging es um ein laufendes Ermittlungsverfahren gegen K, die aktuelle Untersuchungshaft und insbesondere um eine mögliche Beteiligung des K im Rahmen des Dieselskandals. Es handelt sich daher um eine sog. identifizierende Berichtserstattung über ein Ermittlungsverfahren. Durch diese Informationen in Verbindung mit Namensnennung wird zwangsläufig in dessen Recht auf Schutz seiner Persönlichkeit und seines guten Rufs beeinträchtigt. weil sein mögliches Fehlverhalten öffentlich bekannt gemacht und seine Person in den Augen der Adressaten negativ qualifiziert wird.[3]BGH, Urteil vom 16.11.2021 – VI ZR 1241/20, NJW 2022, 940 Rn. 14; Palandt/Sprau, 80. Auflage 2021, § 823 BGB Rn. 126

Ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Schutzgut im Sinne von § 823 Abs.1 BGB und damit auch im Sinne von § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog ist damit gegeben.

Vernetztes Lernen:
Was sind Rahmenrechte i.S.v. 823 BGB und welche Besonderheiten sind bei der Prüfung zu beachten?

Rahmenrechte sind solche Rechte, bei denen die Reichweite nicht absolut feststeht (offener Tatbestand), sondern „erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden muss, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind.“ (vgl. BGH NJW 2018, 3506 Rn. 22)

Dies sind im Rahmen von § 823 I BGB:
Allgemeines Persönlichkeitsrecht
Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb

Folgen für die Prüfung:
– der Eingriff indiziert nicht die Rechtswidrigkeit
– es bedarf zur Feststellung einer umfassenden Güter- und Interessenabwägung im Einzelfall unter Berücksichtigung des jeweils betroffenen Grundrechts und vergleichbarer Gewährleistungen
– Rechtswidrigkeit ist erst gegeben, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt
– mögl. Abwägungskriterien (nicht abschließend)
= Schwere, Art und Intensität des Eingriffs, das eigene Verhalten des Betroffenen, Motiv und Zweck des Eingriffs

II.    Objektive Widerrechtlichkeit des Eingriffs

Weiterhin müsste der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeit des K auch objektiv widerrechtlich, also rechtswidrig, sein. Auf ein Verschulden oder das Bewusstsein der Widerrechtlichkeit vom Störer kommt es hingegen nicht an.

Anmerkung: Aufbau
Der nachfolgende Aufbau dient insbesondere der Übersichtlichkeit und dem verbesserten Verständnis der Ausführungen, da es sich bei der Rechtswidrigkeit um einen absoluten Schwerpunkt einer APR-Klausur im Zivilrecht handelt. Ohne diese Zwischenüberschriften wäre das Ergebnis in der Klausur mehr oder minder ein Blocktext über eine Vielzahl von Seiten, bei dem die Gefahr besteht, dass man sich in ausschweifenden Ausführungen verliert und die korrigierende Person den Gedankengang nicht mehr nachvollziehen kann. Das gleiche Ergebnis ließe sich natürlich auch mit entsprechenden Absätzen und Leerzeilen erreichen, was bei der Darstellung auf dieser Website nicht in gleicher Weise möglich ist. Ein festgeschriebener Aufbau ist dies selbstverständlich nicht.

1.  Keine Indizierung der Rechtswidrigkeit

Grundsätzlich wird die Rechtswidrigkeit eines Eingriffs durch die Tatbestandsmäßigkeit eines Verhaltens indiziert und kann lediglich durch Rechtfertigungsgründe oder eine Einwilligung ausgeschlossen werden. Bei dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht handelt es sich jedoch um einen offenen Tatbestand (sog. Rahmenrecht), dessen Schutzbereich nicht von vornherein absolut feststeht. Die Rechtswidrigkeit und damit die Reichweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts muss daher in jedem Einzelfall unter sorgfältiger Würdigung aller Umstände, insbesondere des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, festgestellt werden. Erforderlich ist eine umfassende Güter- und Interessenabwägung unter Berücksichtigung des jeweils betroffenen Grundrechts und vergleichbarer Gewährleistungen.[4]Palandt/Sprau, 80. Auflage, 2021, § 823 BGB Rn. 95

Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt.[5]BGH, Urteil vom 16.11.2021 – VI ZR 1241/20, NJW 2022, 940 Rn. 15

Anmerkung: Formulierungshilfen
Grundsätzlich bin ich kein großer Fan davon, Standartformulierungen für eine Klausur krampfhaft auswendig zu lernen. Im Rahmen der Rechtswidrigkeit beim APR (oder auch bei der Herleitung von Verkehrssicherungspflichten) bietet es sich aus meiner Sicht jedoch an, zumindest bestimmte Begrifflichkeiten immer wieder zu verwenden, die bei der Korrektur einfach nur abgehakt werden können, weil sie sich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in der Korrekturhilfe der Prüfungsämter wiederfinden. Dies sind hier beispielsweise Begriffe wie „offener Tatbestand/Rahmenrecht“, „kein absolut feststehender Schutzbereich“, „umfassende Güter- und Interessenabwägung“.
Ich habe mich hierfür immer an Palandt/Sprau, 80. Aufl., § 823 Rn. 15 orientiert, da dieser im 2. Examen als Hilfsmittel zugelassen war.

2. Maßstab der Güter- und Interessenabwägung

Im Rahmen der Güter- und Interessenabwägung sind die gegenseitigen betroffenen Schutzgüter von Verletztem und Schädiger abzuwägen. Auf Seiten des K ist der Schutz der Persönlichkeit und des guten Rufs aus Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK betroffen. Dem gegenüber steht die Meinungs- und Medienfreiheit der B aus Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 10 EMRK. Abwägungskriterien sind regelmäßig die Schwere des Eingriffs, das eigene Verhalten des Verletzten, Motiv und Zweck des Eingriffs und die Art und Intensität des Eingriffs.[6]dazu: Palandt/Sprau, 80. Auflage 2021, § 823 Rn. 96ff.

a)   Anwendbarkeit der Grundsätze zur Verdachtsberichtserstattung

Fraglich ist weiterhin, ob die Abwägung anhand der Grundsätze der Rechtsprechung zu den Voraussetzungen einer zulässigen Verdachtsberichtserstattung vorzunehmen ist. Voraussetzung hierfür wäre es, dass es sich bei dem Bericht der B nicht nur um die bloße Wiedergabe von als wahr erwiesener Tatsachen (auch im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens) handelt, sondern gerade um eine Berichtserstattung über einen bloßen Verdacht.


Vorliegend wird durch B darüber berichtet, dass sich der K in Untersuchungshaft befindet und dass ein Ermittlungsverfahren gegen ihn läuft. Dabei handelt es ich isoliert betrachtet um wahre Tatsachen. Jedoch ist zu beachten, dass sich der Artikel gerade nicht in der Wiedergabe dieser Tatsachen erschöpft. In dem Artikel wird darüber hinausgehend als Grund der Inhaftierung der „Dieselskandal“ genannt und mitgeteilt, die Beurlaubung des K von seinem Vorstandsposten bei der P-AG könnte darauf hindeuten, dass er eine tragende Rolle im „Abgasskandal“ gespielt habe. Die US-Justiz habe den K als möglichen „Mitverschwörer“ bei Abgasmanipulationen verdächtigt, der „Bescheid gewusst oder zumindest darüber hinweggesehen“ habe.[7]BGH, Urteil vom 16.11.2021 – VI ZR 1241/20, NJW 2022, 940 Rn. 17

Auch wenn in der angegriffenen Berichterstattung der von den deutschen Ermittlungsbehörden gegenüber dem K erhobene Tatvorwurf nicht explizit genannt wird, stellt der Artikel somit nach dem maßgeblichen Verständnis eines unbefangenen Durchschnittslesers die mögliche – eventuell sogar maßgebliche – Beteiligung des K an der Entwicklung und Verwendung einer betrügerischen Motorsteuerungssoftware und einen durchaus konkreten Tatverdacht als Grund für seine Inhaftierung in den Raum.[8]BGH, Urteil vom 16.11.2021 – VI ZR 1241/20, NJW 2022, 940 Rn. 17

Im Rahmen der Abwägung müssen daher die Kriterien einer zulässigen Verdachtsberichtserstattung daher erfüllt sein.

b) Grundsätze der Verdachtsberichtserstattung

Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH und des BVerfG darf eine Tatsachenbehauptung, deren Wahrheitsgehalt ungeklärt ist und die eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit betrifft, demjenigen, der sie aufstellt oder verbreitet, solange nicht untersagt werden, wie er sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten darf (Art. 5 GG§ 193 StGB). Eine Berufung hierauf setzt voraus, dass vor Aufstellung oder Verbreitung der Behauptung hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt werden. Die Pflichten zur sorgfältigen Recherche über den Wahrheitsgehalt richten sich dabei nach den Aufklärungsmöglichkeiten. Sie sind für die Medien grundsätzlich strenger als für Privatleute. An die Wahrheitspflicht dürfen im Interesse der Meinungsfreiheit keine Anforderungen gestellt werden, die die Bereitschaft zum Gebrauch des Grundrechts herabsetzen. Andererseits sind die Anforderungen umso höher, je schwerwiegender die Äußerung das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt. Allerdings ist auch das Interesse der Öffentlichkeit an derartigen Äußerungen zu berücksichtigen.[9]BGH, Urteil vom 16.11.2021 – VI ZR 1241/20, NJW 2022, 940 Rn. 18; BVerfG, Beschluss vom 18.03.2020 – 1 BvR 34/17, BeckRS 2020, 9600 Rn. 5

Diese Grundsätze gelten auch für die Berichterstattung über Ermittlungsverfahren unter namentlicher Nennung des Beschuldigten. In diesem Verfahrensstadium steht lediglich fest, dass ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, in der Regel ist aber nicht geklärt, ob der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Straftat begangen hat. Zwar gehört es zu den legitimen Aufgaben der Medien, Verfehlungen – auch konkreter Personen – aufzuzeigen.  Dies gilt auch für die Berichterstattung über eine Straftat, da diese zum Zeitgeschehen gehört und die Verletzung der Rechtsordnung und die Beeinträchtigung von Rechtsgütern der betroffenen Bürger oder der Gemeinschaft grundsätzlich ein anzuerkennendes Interesse der Öffentlichkeit an näherer Information über Tat und Täter. Besteht allerdings – wie im Ermittlungsverfahren – erst der Verdacht einer Straftat, so sind die Medien bei besonderer Schwere des Vorwurfs angesichts des damit verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in die persönliche Ehre in besonderem Maße zu sorgfältigem Vorgehen verpflichtet. Dabei ist im Hinblick auf die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende und in Art. 6 Abs. 2 EMRK anerkannte Unschuldsvermutung die Gefahr in den Blick zu nehmen, dass die Öffentlichkeit die bloße Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mit dem Nachweis der Schuld gleichsetzt und deshalb im Fall einer späteren Einstellung des Ermittlungsverfahrens oder eines Freispruchs vom Schuldvorwurf „etwas hängenbleibt“.[10]BGH, Urteil vom 16.11.2021 – VI ZR 1241/20, NJW 2022, 940 Rn. 19

Erforderlich ist daher jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst „Öffentlichkeitswert“ verleihen. Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist.[11]BGH, Urteil vom 16.11.2021 – VI ZR 1241/20, NJW 2022, 940 Rn. 20

3. Interessenabwägung im Einzelfall

Vorliegend handelte es sich bei sämtlichen Informationen rund um den „Dieselskandal“ um Informationen, bei den ein großes Interesse der Allgemeinheit bestand. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass es sich um einen schwerwiegenden strafrechtlichen Vorwurf handelte, der in Bezug auf K im Raum stand und es sich derzeit um ein noch laufendes Ermittlungsverfahren ohne Anklageerhebung handelte. Vor diesem Hintergrund war die B wegen der besonderer Schwere des Vorwurfs und angesichts des damit verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in die persönliche Ehre in besonderem Maße zu sorgfältigem Vorgehen verpflichtet. Gleichwohl hat die B es unterlassen, vor Veröffentlichung des Artikels eine Stellungnahme des K einzuholen und diese in den Artikel einfließen lassen. Damit hat sie die nötige Sorgfalt im Rahmen der Berichterstattung grundsätzlich verletzt, sodass die Persönlichkeitsinteressen des K überwiegen.

Anders könnte dies jedoch dann sein, wenn die Einholung einer Stellungnahme durch B im Einzelfall entbehrlich gewesen ist. Ob und wann dies der Fall ist, wird unterschiedlich bewertet.

a)  Entbehrlichkeit wegen der zu erwartenden Reaktion

In Betracht kommt zunächst eine Entbehrlichkeit der Stellungnahme vor dem Hintergrund eines von K zu erwartenden Dementis.

(aa )  Obergerichtliche Rechtsprechung und Literatur

In der obergerichtlichen Rechtsprechung und in der Literatur ist eine Kontaktierung dann für entbehrlich gehalten worden, wenn der Betroffene bereits im Vorfeld eindeutig zu erkennen gegeben hat, keine Stellung zu den in der Berichterstattung enthaltenen Vorwürfen nehmen zu wollen, oder sich bereits in einem bestimmten Sinne zu ihnen geäußert hat.[12]OLG Köln, Beschluss vom 23.02.2015 – 15 U 219/14, BeckRS 2015, 18155 Rn. 14f.; BeckOK InfoMedienR/Söder, 33. Ed., § 823 BGB Rn. 249; … Continue reading Weiterhin wird vertreten, die Anhörung des Betroffenen sei rechtlich nur erforderlich, wenn dadurch Aufklärung erwartet werden könne, hingegen nicht, wenn sich bei vernünftiger Prognose ergebe, dass von vornherein mit einem Dementi zu rechnen sei.[13]Löffler/Steffen, Presserecht, 6. Aufl., § 6 LPG Rn. 170

Ob sich K gegenüber B zu den Vorwürfen geäußert hätte, ist gerade nicht bekannt. Aus Sicht einer ex ante-Prognose erscheint es jedoch nicht unwahrscheinlich, dass der K angesichts des laufenden Ermittlungsverfahrens zum Schutz vor einer etwaigen Selbstbelastung von einer umfassenden Stellungnahme abgesehen hätte.

Anmerkung: Subsumtion
Feststellungen dazu, wie sich der K verhalten hätte, wurden nicht getroffen. Es wurde lediglich der Schluss vom OLG gezogen, dass nicht bereits deshalb von einem Demeti auszugehen war, weil der K vor der Inhaftierung auf Interviewanfragen nicht reagiert hatte. Für eine Prognose wären daher eher weitere Informationen im Sachverhalt nötig, wenn eine solche verlangt sein sollte. Sie obige Subsumtion wurde daher sehr offen gehalten.
(bb) Ausführungen des BGH

Die gegenteilige Ansicht verneint die Entbehrlichkeit der Kontaktaufnahme selbst bei einem zu erwartenden Dementi des Betroffenen. Als Begründung wird angeführt, dass durch die Möglichkeit einer Stellungnahme sichergestellt werden soll, dass auch der Betroffene zu Wort kommen und sein Standpunkt zum Verdacht gegen ihn in Erfahrung und zum Ausdruck kommen kann. Insofern soll es nicht nur notwendig sein, dass eine Stellungnahme eingeholt wird, sondern diese auch in der Berichterstattung sichtbar wird. Selbst ein bloßes Dementi soll dabei geeignet sein, der Gefahr der Vorverurteilung durch die Leser:innen entgegenzuwirken, ohne dass es einer Äußerung zu einzelnen Vorwürfen bedarf.[14]BGH, Urteil vom 16.11.2021 – VI ZR 1241/20, NJW 2022, 940 Rn. 25

Demnach wäre die Stellungnahme vorliegend nicht entbehrlich gewesen, sodass wegen der Verletzung der bei einer Verdachtsberichtserstattung notwendigen Sorgfalt der Persönlichkeitsschutz des K überwiegen würde.

(cc) Streitentscheid

Da die Ansichten zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, ist ein Streitentscheid notwendig. Für die zweite Ansicht spricht die Tatsache, dass die Öffentlichkeit die bloße Einleitung eines Ermittlungsverfahrens unter Umständen mit dem Nachweis der Schuld gleichsetzt, insbesondere, wenn – wie hier – sogar eine Untersuchungshaft angeordnet wurde. Dieser Gefahr der Vorverurteilung kann bereits dann zumindest entgegengewirkt werden, wenn sich in der Berichtserstattung wiederfindet, dass die Vorwürfe durch den Beschuldigten – wenn auch nur pauschal -zurückgewiesen und somit beide Positionen dargestellt werden.[15]vgl. BGH, Urteil vom 16.11.2021 – VI ZR 1241/20, NJW 2022, 940 Rn. 25

Die Stellungnahme war daher nicht wegen der von K möglicherweise zu erwartenden Reaktion entbehrlich. Eine Einschätzungsprärogative der Presse, ob sie ein Dementi als nichtssagend einstuft und daher in einer Berichterstattung nicht berücksichtigt, besteht insofern nicht.[16]Brost, NJW 2022, 906 Rn. 30

b) Entbehrlichkeit wegen schwieriger Kontaktaufnahme

Fraglich ist jedoch, ob die Einholung einer Stellungnahme deshalb entbehrlich gewesen ist, weil der K inhaftiert und der B die Person des Strafverteidigers oder Medienrechtsanwalts des K nicht bekannt war.

Hierfür könnte sprechen, dass nach Rechtsprechung des BVerfG und der BGH die Anforderungen an die pressemäßige Sorgfalt und die Wahrheitspflicht nicht überspannt und insbesondere nicht so bemessen werden dürfen, dass darunter die Funktion der Meinungsfreiheit leidet. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass Straftaten zum Zeitgeschehen gehören, dessen Vermittlung zu den Aufgaben der Medien gehört. Dürfte die Presse, falls der Ruf einer Person gefährdet ist, nur solche Informationen verbreiten, deren Wahrheit im Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits mit Sicherheit feststeht, so könnte sie ihre durch Art. 5 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gewährleisteten Aufgaben bei der öffentlichen Meinungsbildung nicht durchweg erfüllen. Auch ist zu beachten, dass die ohnehin begrenzten Mittel zur Ermittlung der Wahrheit bei den Medien durch den Zwang zu aktueller Berichterstattung verkürzt sind und ein ewiges Abwarten nicht möglich ist.[17]BGH, Urteil vom 16.11.2021 – VI ZR 1241/20, NJW 2022, 940 Rn. 28

Hieraus kann jedoch nicht folgen, dass die zu diesen Sorgfaltspflichten bei einer identifizierenden Verdachtsberichterstattung zählende Einholung einer Stellungnahme des Betroffenen im Hinblick auf den – im Zeitalter elektronischer Medien noch gesteigerten – Aktualitätsdruck regelmäßig verzichtbar ist. Dies würde der Bedeutung des Persönlichkeitsrechts nicht gerecht. Vielmehr besteht der Vorrang des Informationsinteresses grundsätzlich nur, wenn dem Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde. Insofern ist es selbst bei Inhaftierung und unbekanntem Verteidiger zumutbar, im Rahmen des Möglichen- Kontaktaufnahme bei Familie oder über Dritte – eine Möglichkeit zur Stellungnahme einzuräumen und mit der Berichterstattung abzuwarten. Diese zumutbaren Möglichkeiten hat die B im Falle des gegenständlichen Berichts nicht genutzt.

Im Ergebnis war die Möglichkeit der Stellungnahme daher nicht entbehrlich, sodass der Schutz der Persönlichkeit und des guten Rufs des K aus Art. 2 Abs. 1, 1 Abs.1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK der Meinungs- und Medienfreiheit auf Seiten von B im Einzelfall überwiegt.

Anmerkung: Güter- und Interessenabwägung
Letztlich ist die Subsumtion des BGH vorliegen keine „typische“ Güterabwägung, wie sie oftmals in Klausuren Gegenstand ist. Nach meinem Verständnis liegt dies daran, dass nach der Rechtsprechung des BGH stets die Interessen an der Veröffentlichung überwiegen, solange die publizistischen Sorgfaltsanforderungen eigenhalten worden sind. Insofern findet eher eine Subsumtion unter die abstrakt aufgestellten Kriterien statt, ohne wirklich im Großen und Ganzen abzuwägen.

Der Eingriff in das APR des K ist damit auch rechtswidrig und somit objektiv rechtswidrig.

III. Erstbegehungs- bzw. Wiederholungsgefahr

Für einen Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB ist nach dem Wortlaut „Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen“ weiterhin erforderlich, dass eine Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr auf Seiten der B besteht.

Die Beurteilung, ob die Wiederholungsgefahr für ein beanstandetes Verhalten fortbesteht, ist im Wesentlichen tatsächlicher Natur. Hierbei ist zu beachten, dass – wie hier – im Falle des Vorliegens eines bereits erfolgten rechtswidrigen Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen eine tatsächliche, widerlegliche Vermutung für das Vorliegen der Wiederholungsgefahr besteht.[18]BGH, Urteil vom 16.11.2021 – VI ZR 1241/20, NJW 2022, 940 Rn. 34; Palandt/Sprau, 80. Auflage 2021, Einf. v. § 823 Rn. 29

Die Widerlegung verlangt, dass entweder ein erneuter Eingriff nicht mehr rechtswidrig ist (bspw. eine unzulässige Berichtserstattung ist zulässig geworden) oder dass das tatsächliche Verhalten des Störers sichere Gewähr gegen weitere Eingriffe gebietet.[19]Palandt/Sprau, 80. Auflage 2021, Einf. v. § 823 Rn. 29 An die Entkräftung dieser Vermutung sind strenge Anforderungen zu stellen.[20]BGH, Urteil vom 16.11.2021 – VI ZR 1241/20, NJW 2022, 940 Rn. 34 In Betracht kommt insbesondere eine umfassende, uneingeschränkte, bedingungslose und ernstliche (strafbewährte) Unterlassungserklärung des Störers.

Fraglich ist, ob die Vermutung vorliegend widerlegt sein könnte. Hierfür könnte sprechen, dass die B den Artikel zwischenzeitlich um eine Stellungnahme des Verteidigers des K ergänzt hat, wonach die erhobenen Vorwürfe als falsch zurückgewiesen würden und wonach mutmaßlich der einzige Belastungszeuge den K. im Ermittlungsverfahren nur deshalb beschuldige, um selbst aus der Haft zu kommen. Dagegen spricht jedoch entscheidend, dass B die Änderung nur unter dem Hinweis vorgenommen hat, dass sie hierzu rechtlich nicht verpflichtet sei. Hieraus ist zu schließen, dass sie ihren ursprünglichen Artikel weiterhin für zulässig hält und somit nicht auszuschließen ist, dass sie im Falle einer erneuten Berichterstattung von einer Stellungnahme des K absehen würde. Die strengen Anforderungen an die Widerlegung sind daher nicht erfüllt.

Die Wiederholungsgefahr wird daher weiter vermutet und liegt damit vor.

IV. Störer

B müsste weiterhin Störerin sein. Störer ist, wer – auch ohne Täter oder Teilnehmer zu sein – in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Beeinträchtigung des Rechtsguts beiträgt oder dessen Verhalten eine Beeinträchtigung befürchten lässt.[21]Palandt/Sprau, 80. Auflage 2021, Einf. v. § 823 Rn. 31 Bei Beiträgen im Internet ist dies insbesondere derjenige, der den Beitrag online stellt.

Die B, die den Artikel online gestellt und diesen zu verantworten hat, ist damit als Urheberin des Beitrags Störerin im Sinne von § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB.

V. Rechtsfolge

Als Rechtsfolge ist grundsätzlich nur die Unterlassung der konkret drohenden (künftigen)  Verletzungshandlung geschuldet. Hat eine vorangehende Handlung jedoch einen fortdauernden Störungszustand geschaffen, bezieht sich der Anspruch unabhängig von einem etwaigen Beseitigungsanspruch (§ 1004 Abs. 1 S. 1 BGB) auch auf das Ergreifen möglicher und zumutbarer zu dessen Beseitigung.[22]BGH, Beschluss vom 11.10.2017 – I ZB 96/16, NJW 2018, 1317 Rn. 17ff.; Palandt/Sprau, 80. Auflage 2021, Einf. v. § 823 BGB Rn. 32

Der von K geltend gemachte Anspruch besteht daher.

B. Unterlassungsanspruch bzgl. der Bildberichtserstattung, § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i.V.m. §§ 22, 23 KUG i.V.m Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG

K könnte weiterhin auch einen Anspruch auf Unterlassung hinsichtlich der Bildberichtserstattung (Verwendung seines unverpixelten Bildes) gemäß § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i.V.m. §§ 22, 23 KUG i.V.m Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG gegen B haben.

I.    Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des K

Durch die Verwendung des unverpixelten Bildes im Zusammenhang mit dem Onlineartikel wird in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des K in Ausformung des Schutzes des eigenen Bildes eingegriffen. Weiterhin wird zudem der Eingriff durch den Artikel (dazu oben) durch die Bebilderung noch verstärkt.[23]BGH, Urteil vom 16.11.2021 – VI ZR 1241/20, NJW 2022, 940 Rn. 36 Die Zulässigkeit der Verwendung des Bildes ist daher im Kontext mit der Verdachtsberichtserstattung und nicht zwingend isoliert zu bewerten.

II. Objektive Widerrechtlichkeit des Eingriffs

Weiterhin müsste der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeit des K auch objektiv widerrechtlich, also rechtswidrig, sein. Auf ein Verschulden oder das Bewusstsein der Widerrechtlichkeit vom Störer kommt es hingegen nicht an.

Die Zulässigkeit der Bildveröffentlichungen beurteilt sich nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG. Danach dürfen Bildnisse einer Person grundsätzlich nur mit deren –Einwilligung verbreitet werden (§ 22 Abs. 1 KUG). Hiervon besteht allerdings gem. § 23 Abs. 1 eine Ausnahme, wenn es sich bspw. um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt (Nr. 1). Diese Ausnahme gilt aber wiederum nicht für eine Verbreitung, durch die berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt werden (§ 23 Abs. 2 KUG).[24]BGH, Urteil vom 18.06.2019 – VI ZR 80/18, NJW 2020, 45 Rn. 30

Vernetztes Lernen:
Wie prüft man die 22ff. KUG im Rahmen der Rechtswidrigkeit?

1. Einwilligung des Betroffenen, § 22 KUG
2. Entbehrlichkeit der Einwilligung, § 23 KUG
a) berechtigtes öffentliches Interesse (Fallgruppen des § 23 Abs. 1 Nr. 1 – )
b) Entgegenstehende berechtige Interessen des Betroffenen (Gesamtabwägung), § 23 Abs. 2 KUG
3. ggf. Ausnahme nach § 24 KUG

1.    Einwilligung gemäß § 22 KUG

Eine Einwilligung des K zur Veröffentlichung des Bildes ist nicht gegeben.

2. Gesamtabwägung bei berechtigtem öffentlichen Interesse, § 23 KUG

Fraglich ist daher allenfalls, ob die Veröffentlichung zulässig ist, weil es sich um ein Bild aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt und im Rahmen einer Gesamtabwägung keine berechtigten Interessen des K überwiegen.

Für eine Qualifikation eines Bildes des K als Teil der Zeitgeschichte könnte sprechen, dass er durchaus eine hochwertige Leitungsfunktionen ausübte und wegen der überragenden öffentlichen Interesses an der Aufarbeitung des Dieselkandals als möglicherweise bisher größtem deutschen Wirtschaftsskandal trotz der Unschuldsvermutung auch eine bebilderte Verdachtsberichterstattung jedenfalls theoretisch hätte hinnehmen müssen.

Gleichwohl ist auch hier wieder zu beachten, dass es sich um eine strafverfahrensbegleitende Berichterstattung im Ermittlungsverfahren, also um eine Verdachtsberichtserstattung handelte. Insofern hat in der Abwägung der widerstreitenden Interessen bzw. bereits bei der Prüfung, ob ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte i.S.d. § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG vorliegt – die Unschuldsvermutung Berücksichtigung zu finden. Auch insoweit ist eine entsprechende Zurückhaltung geboten und eine mögliche Prangerwirkung zu berücksichtigen. Auch hier wird oftmals bis zu einem erstinstanzlichen (nicht notwendig rechtskräftigen) Schuldspruch das Recht des Beschuldigten auf Schutz der Persönlichkeit das Interesse an einer identifizierenden Bildberichterstattung überwiegen. Etwas anderes kann nicht ohne Verstoß gegen die Unschuldsvermutung aus dem Gesichtspunkt hergeleitet werden, dass der Beschuldigte den Rechtsfrieden gebrochen habe, da dies gerade noch nicht feststeht.[25]Brost, NJW 2022, 906 Rn. 10 Selbst ein Geständnis würde lediglich dazu führen, dass die Unschuldsvermutung der Bildberichterstattung nur noch in eingeschränktem Maße entgegengehalten werden könnte. Eine individualisierende Bildberichterstattung über den Beschuldigten eines Strafverfahrens scheidet aber nicht in jedem Fall aus. Vielmehr können es die jeweiligen Umstände rechtfertigen, dass sich der Betreffende nicht bzw. nicht mehr mit Gewicht auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht berufen kann. Dies gilt etwa dann, wenn er kraft seines Amts oder wegen seiner gesellschaftlich hervorgehobenen Verantwortung bzw. Prominenz in besonderer Weise im Blickfeld der Öffentlichkeit steht und die Medienöffentlichkeit mit Rücksicht hierauf hinzunehmen hat.[26]BGH, Urteil vom 18.06.2019 – VI ZR 80/18, NJW 2020, 45 Rn. 46

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs und der Berücksichtigung der ansonsten mangels eingeholter Stellungahme bereits unzulässigen Berichtserstattung geht diese Abwägung auch zugunsten des Persönlichkeitsrechts des K, sodass die Verwendung des Bildnisses unzulässig ist. Der K muss es gerade nicht dulden, dass ein an sich neutrales Bild im Zusammenhang mit dem unzulässigen Artikel verwendet wird und damit zusätzlich zur Namensnennung auch noch seine Person selbst zu sehen ist.

Der Eingriff ist daher rechtswidrig.

III. Wiederholungsgefahr

Nach den obigen Ausführungen besteht auch die nötige Wiederholungsgefahr.

IV. Störer

B ist nach den obigen Ausführungen auch Störerin.

V. Rechtsfolge

Als Rechtsfolge ist grundsätzlich nur die Unterlassung der konkret drohenden (künftigen)  Verletzungshandlung geschuldet. Hat eine vorangehende Handlung jedoch einen fortdauernden Störungszustand geschaffen, bezieht sich der Anspruch unabhängig von einem etwaigen Beseitigungsanspruch (§ 1004 Abs. 1 S. 1 BGB) auch auf das Ergreifen möglicher und zumutbarer zu dessen Beseitigung.[27]BGH, Beschluss vom 11.10.2017 – I ZB 96/16, NJW 2018, 1317 Rn. 17ff.; Palandt/Sprau, 80. Auflage 2021, Einf. v. § 823 BGB Rn. 32

Der von K geltend gemachte Anspruch besteht daher.

C. Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten, § 823 Abs. 1 BGB

Aufgrund der Verletzung seines Persönlichkeitsrechts durch die angegriffene Berichterstattung besteht auf Seiten des K auch eine Anspruch auf Schadensersatz nach § 823 Abs. 1 BGB. Dieser umfasst auf Rechtsfolgenseite gemäß § 249 BGB auch den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten, soweit sie zur Wahrnehmung der Rechte erforderlich und zweckmäßig waren.[28]BGH, Urteil vom 16.11.2021 – VI ZR 1241/20, NJW 2022, 940 Rn. 38 Auch dabei ist gemäß dem Grundsatz der subjektbezogenen Schadensbetrachtung Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten zu nehmen.  An die Voraussetzungen des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen.[29]BGH, Urteil vom 29.10.2019 – VI ZR 45/19, NJW 2020, 144 Rn. 21

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, weil es sich nicht um einen einfach gelagerten Fall handelt, sodass es dem K nicht zumutbar war, die Abmahnung selbst aus der Untersuchungshaft heraus vorzunehmen.

K hat daher auch einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe der vorgerichtlich gezahlten Rechtsanwaltskosten.

D. Gesamtergebnis

K hat eine Anspruch auf Unterlassung bzgl. der Wort- und Bildberichterstattung sowie auf Erstattung seiner vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gegen B.

Zusatzfragen

Zivilprozessrecht: Welche Gerichtsstände sind für eine Klage des K einschlägig? Gäbe es eine sinnvolle Alternative zum normalen Klageverfahren?

1. Für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit sind die einschlägigen Gerichtsstände insbesondere nach den §§ 12ff. ZPO zu bestimmen.
Zunächst würde gemäß §§ 12, 17 ZPO ein allgemeiner Gerichtsstand am Sitz der B bestehen, wenn es sich bei B um eine juristische Person (z.B. GmbH oder AG) handelt.
Weiterhin besteht auch der besondere Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gemäß § 32 ZPO. Danach ist das Gericht an dem Ort zuständig, in dem die unerlaubte Handlung begangen worden ist. Hierbei gilt wegen der Veröffentlichung im Internet die Besonderheit, dass ein sog. „fliegender Gerichtsstand“ besteht, also theoretisch an jedem Ort geklagt werden kann in Deutschland, wo der Artikel abrufbar ist (vgl. zB. OLG Brandenburg, Urteil vom 28.11.2016 – 1 U 6/16)

Zwischen mehreren zuständigen Gerichten hat der K dann die freie Wahl, solange kein ausschließlicher Gerichtsstand (im Gesetz als solcher bezeichnet) besteht.

2. Alternativ zur Klage könnte der K auch zunächst im Wege der einstweiligen Verfügung (§§ 935ff. ZPO), also im einstweiligen Rechtsschutz vorgehen. Der Vorteil liegt darin, dass eine vorläufige Entscheidung deutlich schneller erreicht wird als beim normalen Klageverfahren und der Artikel so nicht für längere Zeit in der Form verfügbar ist. Gegenstand des Verfahrens ist aber nicht der Unterlassungsanspruch selbst, sondern dessen zwangsweise Sicherung, sodass die Hauptsache nicht vorweggenommen werden darf. Um eine Klage wird der K daher letztlich wohl am Ende nicht herumkommen.

Assessorexamen: Wie könnte ein Klageantrag im Rahmen einer Klage auf Unterlassung aussehen?

„Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu zwei Jahren, die Ordnungshaft zu vollstrecken an einem der Geschäftsführer der Beklagten, zu unterlassen, über den Kläger im Zusammenhang mit den strafrechtlichen Ermittlungen gegen seine Person unter Angabe seines Namens und unter Verwendung seines Bildnisses identifizierend zu berichten und/oder berichten zu lassen, wenn dies geschieht, wie in dem am 28.09.2017 unter der URL http://www. …html erschienenen Artikel mit der Überschrift „Hochrangiger Ex-W -Manager in Untersuchungshaft““ (Originalantrag vor dem Landgericht)

Wichtig bei einem solchen Antrag ist, dass er die zu beseitigende bzw. zu unterlassende Beeinträchtigung so konkret wie möglich bezeichnet, damit im Falle einer Zwangsvollstreckung die notwendige Bestimmtheit (und natürlich auch bei § 253 Abs. 2 S. 2 ZPO) gewahrt ist. Bei Unterlassung von bestimmten Äußerung findet sich oftmals eine Formulierung „es zu unterlassen, wörtlich oder sinngemäß folgende Aussagen zu tätigen“ mit anschließender Aufzählung der bereits erfolgten Äußerungen. Weiterhin ist natürlich an einen Antrag auf Androhung des Ordnungsgelds nach § 890 Abs. 2 ZPO zu denken, wobei dieser – anders als oben erfolgt – auch getrennt formuliert werden kann.


Zusammenfassung:

1. Für eine identifizierende Verdachtsberichterstattung ist jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst „Öffentlichkeitswert“ verleihen, erforderlich. Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist.

2. Das grundsätzliche Erfordernis einer Möglichkeit zur Stellungnahme soll sicherstellen, dass der Standpunkt des von der Verdachtsberichterstattung Betroffenen in Erfahrung und gegebenenfalls zum Ausdruck gebracht wird, der Betroffene also selbst zu Wort kommen kann. Dies setzt voraus, dass der Betroffene nicht nur Gelegenheit zur Stellungnahme erhält, sondern dass seine etwaige Stellungnahme auch zur Kenntnis genommen und der Standpunkt des Betroffenen in der Berichterstattung sichtbar wird.

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