
VG Berlin, Beschl. v. 28.06.2024 – VG 1 L 156/24 und VG Berlin, Beschl. v. 01.11.2024 – VG 1 L 387/24
Sachverhalt
A ist Ballettkritikerin und schreibt seit mehr als 20 Jahren sowohl für ihren eigenen Blog als auch für verschiedene regionale Tageszeitungen unter anderem über die Ballettaufführungen des Staatsballetts (eine Stiftung des öffentlichen Rechts, deren Mindereinnahmen aus öffentlichen Steuergeldern finanziert werden). Sie hat schon hunderte Veranstaltungen des Staatsballetts besucht und darüber geschrieben. Sie steht dem aktuellen Intendanten kritisch gegenüber. Ungefähr ein Drittel ihrer bisherigen Artikel befasste sich mit Veranstaltungen des Staatsballetts, die anderen Artikel befassten sich mit Aufführungen an anderen Spielorten in Deutschland.
Seit 2016 war die A mehr als 100 Mal im Staatsballett. In dieser Zeit kam es zu verschiedenen Auseinandersetzungen:
Am 22.01.2016 gab es eine Auseinandersetzung zwischen der A und den Mitarbeitenden des Staatsballetts am Einlass und an der Garderobe. Die A hatte sich geweigert eine große Tasche abzugeben und war in der folgenden Auseinandersetzung gegenüber den Mitarbeitenden ausfällig und beleidigend geworden. Die Mitarbeitenden haben sich nach eigener Aussage daraufhin bedrängt und in hohem Maße unwohl gefühlt.
Am 01.03.2020 wurde der A der Kauf sog. Steuerkarten (vergünstigten Tickets, die u.a. an Journalist:innen ausgegeben werden) verweigert. Daraufhin wurde sie gegenüber den Verkäufer:innen an der Abendkasse ausfällig und beleidigte diese rassistisch. Die Mitarbeitenden haben sich nach eigener Aussage danach stark beleidigt und in hohem Maße unwohl gefühlt.
Am 16.03.2024 war die A in einer Abendvorstellung und machte während der Veranstaltung (entgegen der Vereinbarung nur Fotos während des Schlussapplauses zu machen) Fotos von der Vorführung und hat dadurch die Sicht anderer Besucher:innen auf die Vorführung beeinträchtigt. Daraufhin kam es zu einem Handgemenge zwischen den sich eingeschränkt gefühlten Besucher:innen und der A.
Nach den ersten beiden Ereignissen sprach der Intendant I mit der Ballettkritikerin. Er ermahnte sie in Zukunft derartiges Verhalten zu unterlassen und drohte ihr in Zukunft ein Hausverbot zu erteilen, wenn sie wieder ausfällig werden sollte.
Nach dem dritten Ereignis hörte der Intendant die A mit Schreiben vom 26.08.2024 an und erließ daraufhin am 10.09.2024 ein sofort vollziehbares Hausverbot für das Staatsballett für die Spielzeit 2024/2025 (gültig bis zum 18.07.2025). Dieses begründete I damit, dass eine Wiederholung des Verhaltens der A auch in Zukunft drohe. Die Ereignisse hatten die Abläufe des Staatsballetts jeweils erheblich gestört und hatten sowohl Mitarbeitende als auch andere Besucher:innen erheblich verletzt und gestört. Der I müsse als Intendant des Hauses den reibungslosen Ablauf der Veranstaltungen sicherstellen und auch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht und die Gefühle der Betroffenen schützen. In der Gesamtschau der Ereignisse werde klar, dass so etwas immer wieder passieren würde.
Das zeitlich begrenzte Hausverbot sollte der A gleichzeitig eine Störung in naher Zukunft unmöglich machen, aber würde sie nicht unverhältnismäßig stark beeinträchtigen. Schließlich könne die A weiterhin Interviews mit den Darstellenden und anderen Akteur:innen der Szene an anderen Orten machen und auch alle anderen Ballettaufführungen in Deutschland besuchen – nur eben die des Staatsballetts nicht mehr.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Hausverbots begründete er damit, dass die Gefahr einer Wiederholung eines derartigen Ereignisses unmittelbar bevorstehe und im Falle eines gerichtlichen Vorgehens gegen das Hausverbot dieses aufgrund der zu erwartenden Zeit, die ein Verfahren brauchen würde, möglicherweise bereits abgelaufen sein könnte, bevor eine abschließende gerichtliche Entscheidung ergehe.
Die A ist entsetzt. Sie meint, der I wolle lediglich ihre scharfen Kritiken unmöglich machen, indem er sie ausschließe. Das verletze sie aber in ihrer Pressefreiheit und in ihrer Berufsfreiheit. Das Staatsballett sei der Hauptort ihrer Tätigkeit. Zwar könne sie weiter andere Personen interviewen, aber ihre Berichte über die Aufführungen seien die Texte, die die Zeitungen ihr abkauften.
Sie meint außerdem, die Darstellungen seien übertrieben. Bei der Situation 2016 hätte ihr der I zuvor zugesagt, dass sie die Tasche mit ins Haus nehmen könne. Bei der Situation 2024 sei vielmehr sie von den anderen Besucher:innen attackiert und angegangen worden, einfach nur, weil sie fotografiert hätte. Daraufhin hätten sich die Mitarbeitenden des Hauses völlig anlasslos gegen sie gewandt.
Was die A aber auch rechtsstaatlich höchst bedenklich findet, ist dass sie aufgrund von 3 Situationen innerhalb von 20 Jahren unbescholtener Tätigkeit auf einmal von ihrem Beruf ausgeschlossen werden soll.
Sie will das aus ihrer Sicht unverschämte Vorgehen des Intendanten nicht auf sich sitzen lassen und legt dagegen Widerspruch ein und beantragt zugleich beim zuständigen Verwaltungsgericht einstweiligen Rechtsschutz gegen den richtigen Antragsgegner, das Staatsballett.
Mit Erfolg?
Bearbeitervermerk: In dem Bundesland, in dem das Staatsballett sitzt, können Behörden selbst verklagt werden.
Skizze
Gutachten
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hat Aussicht auf Erfolg, wenn dieser zulässig und soweit er begründet ist.
A. Zulässigkeit
Der Antrag müsste zunächst zulässig sein.
I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs
Mangels aufdrängender Sonderzuweisung ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 I S. 1 VwGO eröffnet, wenn es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art handelt und keine abdrängende Sonderzuweisung vorliegt.
Dafür müsste die Streitigkeit zunächst öffentlich-rechtlicher Art sein. Nach der modifizierten Subjektstheorie ist eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich, wenn die Streitentscheidende Norm eine solche des öffentlichen Rechts ist, also einen Hoheitsträger einseitig berechtigt oder verpflichtet.
Der Intendant, ist derjenige, dem die Ausübung der Rechte, die dem Staatsballett als Stiftung des Öffentlichen Rechts zustehen, übertragen wurden. Er könnte das Hausverbot auf die Ausübung privatrechtlicher Rechte stützen (§§ 859 ff., § 903, 1004 BGB). Gleichermaßen könnte das Hausverbot jedoch auch öffentlich-rechtlicher Natur sein. Dann würde die Ermächtigungsgrundlage für das Hausverbot in der Annexkompetenz der Leitung einer öffentlichen Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt (also einer Behörde i.S.v. § 1 IV VwVfG), begründet sein.
Die Abgrenzung, ob ein Hausverbot privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich ist, erfolgt im Einzelfall unter Berücksichtigung des Zwecks des Hausverbots[1]BVerwGE 35, 103, 106. Während in der Vergangenheit teilweise auf den Zweck des Besuchs abgestellt wurde, wird heute regelmäßig anhand des Zwecks des Hausverbots entschieden, welchem Rechtsgebiet das Hausverbot zuzuordnen ist. Dies folgt aus folgenden Erwägungen: Es lässt sich oftmals nicht feststellen, was der Zweck des Besuches ist [2]Ruthig, in: Kopp/Schenke, Aufl. 29 2023, VwGO 40 Rn. 20.. Der Behörde geht es viel mehr beim Hausverbot um den Schutz ihrer öffentlich-rechtlichen Aufgaben. Das Hausverbot stellt somit den eben erwähnten „Annex“ der behördlichen Tätigkeit dar.
Entscheidend ist daher hier die Einordnung des Zwecks der Hausverbots.
Hier verfolgte der Intendant das Ziel den ordnungsgemäßen Ablauf der Veranstaltungen am Staatsballett sicherzustellen und die anderen Mitarbeitenden zu schützen. Mithin verfolgte er den Zweck die öffentlich-rechtliche Tätigkeit zu sichern. Das Hausverbot erging auf Grundlage der Annexkompetenz, die dem Intendanten als Behördenleiter zusteht. Dabei handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Norm, die einseitig Hoheitsträger berechtigt.
Mithin handelte es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit. Die Streitigkeit ist auch nicht-verfassungsrechtlicher Art und eine abdrängende Sonderzuweisung ist nicht ersichtlich.
Vernetztes Lernen: Begründung auf Grund der 2-Stufen-TheorieDie 2-Stufen Theorie besagt, dass das „Ob“ der Nutzung öffentlich-rechtlicher Einrichtungen stets öffentlich-rechtlich ist, während die Ausgestaltung des „Wie“ auch privatrechtlich erfolgen kann.
Das VG Berlin hat in seiner ersten Entscheidung die öffentlich-rechtliche Natur des Hausverbots damit begründet, dass der vorübergehende Ausschluss von der Nutzungsmöglichkeit das „ob“ der Nutzung (also die erste Stufe) betrifft.[3]VG Berlin, Beschl. v. 28.06.2024 – VG 1 L 156/24 Rn. 9 ff.
Da das BVerwG in stetiger Rechtsprechung auf den Zweck des Besuchs abstellt, scheint es vorzugswürdig diese Begründung heranzuziehen.
II. Statthafte Antragsart
Das Begehren der A müsste mit einer statthaften Antragsart verfolgt werden können. Die statthafte Antragsart richtet sich nach dem klägerischen Begehren, §§ 88, 122 VwGO. Die A will gegen das Hausverbot vorgehen. Dazu stehen ihr im einstweiligen Rechtsschutz der Antrag nach § 123 VwGO oder der Antrag nach § 80 V VwGO zur Verfügung. Da § 123 V VwGO bestimmt, dass der Antrag nach § 123 VwGO subsidiär zu einem Antrag nach § 80 V VwGO ist, sind zunächst dessen Voraussetzungen zu prüfen.
Ein Antrag nach § 80 V VwGO ist statthaft, wenn in der Hauptsache eine Anfechtungsklage statthaft wäre, also wenn sich die Antragsstellerin in der Hauptsache gegen einen Verwaltungsakt wenden würde und ein Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung hat. Das wäre der Fall, wenn Rechtsbehelfe aus den in § 80 II 1 Nr. 1 – 3 VwGO genannten Gründen keine aufschiebende Wirkung hat oder weil die sofortige Vollziehung besonders angeordnet wurde, gem. § 80 II 1 Nr. 4 VwGO.
Hier hat der I der A mit einem formellen Bescheid nach einer Anhörung ein Verbot der Nutzung einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung erteilt. Damit liegt ein Verwaltungsakt vor i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG vor. Die A würde sich in einer etwaigen Hauptsache also gegen einen Verwaltungsakt wenden.
Da der Verwaltungsakt für sofort vollziehbar erklärt wurde, hat jedoch ein Vorgehen im Wege des Widerspruchs (oder auch einer Anfechtungsklage) keine aufschiebende Wirkung. Die A müsste also die Entscheidung im Widerspruchsverfahren und ggf. in einem anschließenden Gerichtsverfahren abwarten, bevor sie möglicherweise das Staatsballett wieder besuchen könnte. In dieser Prozesssituation kann dem Begehren der A entsprochen werden, indem die aufschiebende Wirkung des von ihr bereits eingelegten Widerspruchs wiederhergestellt wird, § 80 V 2. HS, II Nr. 4 VwGO.
Ein Antrag nach § 80 V VwGO stellt die statthafte Antragsart dar.
III. Antragsbefugnis
Um Popularklagen zu verhindern, müsste A gem. § 42 II VwGO analog antragsbefugt sein. Die Antragsbefugnis liegt vor, wenn i.S.d. Möglichkeitstheorie nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass die sofortige Vollziehung des Verwaltungsakts den Antragssteller in seinen Rechten verletzt. A könnte in der Pressefreiheit und in ihrer Berufsfreiheit verletzt sein. Jedenfalls könnte A als Adressatin eines belastenden Verwaltungsakts in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG verletzt sein. Die Antragsbefugnis ist gegeben.
IV. Antragsgegner
Laut Sachverhalt richtet die A ihren Antrag gegen das Staatsballett als den richtigen Antragsgegner.
V. Beteiligten- und Prozessfähigkeit
A ist gem. § 61 Nr. 1 VwGO beteiligten- und nach § 62 I Nr. 1 VwGO prozessfähig. Das Staatsballett ist gem. § 61 Nr. 3 VwGO i.V.m. der landesrechtlichen Vorschrift beteiligten- und nach § 62 III VwGO prozessfähig.
VI. Rechtsschutzbedürfnis
A müsste auch ein Rechtsschutzbedürfnis haben. Das wäre der Fall, wenn ein berechtigtes Interesse an der Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe besteht und das angestrebte Ziel nicht auf einfachere Weise erreicht werden kann.
Das Rechtsschutzbedürfnis würde entfallen, wenn die Klage in der Hauptsache oder der Widerspruch offensichtlich unzulässig wären. Da hier keine Angaben zu einer alsbald laufenden Frist vorliegen und auch keine anderen Gründe ersichtlich sind, weshalb ein Rechtsbehelf in der Hauptsache unzulässig sein sollte, bestehen hier keine Bedenken.
Auch ist das Stellen eines vorherigen Antrags bei der zuständigen Behörde auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung nach § 80 IV VwGO nicht notwendig, wie sich aus dem Umkehrschluss aus § 80 VI VwGO ergibt.
Gemäß § 80 V 2 VwGO ist auch die Klageerhebung vor Antragsstellung nicht erforderlich. Die A hat auch einen Widerspruch gleichzeitig mit dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz eingelegt.
Vernetztes Lernen: Ist ein statthafter zumindest gleichzeitig eingelegter Widerspruch notwendig?In einer Situation, in der weder eine Klage (dass dies möglich ist, ist wie soeben gesehen ausdrücklich im Gesetz benannt) noch ein Widerspruch eingelegt wurde, obwohl dieser statthaft wäre, ist es umstritten, ob das Rechtsschutzbedürfnis entfällt.
Eine Ansicht stellt darauf ab, dass ein Erfordernis einen Widerspruch einzulegen dazu führen würde, dass man zur Erhebung eines Rechtsbehelfs zu einem bestimmten Zeitpunkt verpflichtet werden könnte. Man nehme z.B. den Fall an, dass die Rechtsbehelfsfrist aufgrund einer unterbliebenen oder fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung gem. § 58 VwGO ein Jahr beträgt. Will man nun die Widerherstellung der aufschiebenden Wirkung erreichen, würde eine Pflicht zur gleichzeitigen Einlegung eines Rechtsbehelfs effektiv zu einer Verkürzung der Frist führen.[4] Gersdorf, in: BeckOK, VwGO, 65. Edition (2021), § 80 Rn. 164.
Eine andere Ansicht meint, dass ohne die zumindest gleichzeitige Erhebung irgendeines (zulässigen) Rechtsbehelfs das Ziel eines Antrags nach § 80 V VwGO (Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung) keinen Bezugspunkt hätte. Es wäre unklar, worauf sich die Anordnung / Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung beziehen würde. Die Anordnung des Suspensiveffekts würde ohne bisher eingelegten Rechtsbehelf „ins Leere“ laufen.[5]Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 21. Aufl. 2023, Rn. 1498. Diese Ansicht stellt auch darauf ab, dass die „Pflicht“ zur Einlegung eines Rechtsbehelfs auch deshalb nur eine geringe Belastung für die antragsstellende Person darstellt, weil sie im Rahmen des Antrags nach § 80 V VwGO bereits einen Vortrag zur Begründetheit des Hauptsacheverfahrens vorbringen muss, um mit ihrem Antrag durchzudringen.
VII. Zwischenergebnis
Der Antrag der A ist zulässig.
B. Begründetheit
Der Antrag ist begründet, wenn die Anordnung der sofortigen Vollziehung formell rechtswidrig ist oder eine umfassende Güter- und Interessenabwägung zu dem Ergebnis kommt, dass das private Aussetzungsinteresse der A das öffentliche Vollziehungsinteresse überwiegt.
I. Formell rechtmäßige Anordnung der sofortigen Vollziehung
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung müsste zunächst formell rechtmäßig erfolgt sein.
1. Zuständigkeit
Gem. § 80 II Nr. 4 VwGO ist die Behörde, die den Ausgangsbescheid erlassen hat, auch für die Anordnung der sofortigen Vollziehung zuständig. Der I als Leiter der Behörde, die den Ausgangsbescheid erlassen hat, war mithin für die Anordnung der sofortigen Vollziehung zuständig.
2. Verfahren
Es ist umstritten, ob vor Anordnung der sofortigen Vollziehung eine Anhörung analog § 28 VwVfG zu erfolgen hat. Dagegen spricht, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung gerade keinen eigenen Regelungsgehalt hat und damit selbst kein Verwaltungsakt ist. Da auch keine vergleichbare Interessenlage vorliegt, ist wohl mit der h.M. anzunehmen, dass eine Anhörung vor Anordnung der sofortigen Vollziehung erfolgen braucht.[6]Siehe dazu: Zusatzfrage Nr. 1 in der Besprechung der Entscheidung OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27.07.2023 – OVG 4 S 11.23 unter: https://examensgerecht.de/polizei-und-neue-rechte/.
Darauf kommt es jedoch nicht an, da hier eine Anhörung in der (wohl) auch die sofortige Vollziehung angekündigt wurde, erfolgte.
3. Form
Gemäß § 80 III 1 VwGO ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Die Begründung darf nicht lediglich formelhafte Erläuterungen zur Eilbedürftigkeit enthalten, sondern muss unter Berücksichtigung des konkreten Einzelfalls die Eilbedürftigkeit erläutern. Ob diese Begründung in materieller Hinsicht überzeugt, ist eine Frage der Rechtmäßigkeit.
Hier hat der I die Anordnung der sofortigen Vollziehung unter Verweis auf die aus seiner Perspektive drohende Wiederholungsgefahr und die Notwendigkeit des Schutzes der Betroffenen gestützt. Außerdem hat er erläutert, dass – würde das Hauptsacheverfahren abgewartet – das Hausverbot durch Zeitablauf droht faktisch wirkungslos zu werden.[7]Siehe gerade auch zum letzten Punkt: VG Berlin, Beschl. v. 01.11.2024 – VG 1 L 387/24, Rn. 14.
Darin liegt eine nicht nur lediglich formelhafte Begründung. Die Formanforderungen sind gewahrt.
II. Interessenabwägung
Das private Aussetzungsinteresse könnte das öffentliche Vollziehungsinteresse überwiegen. Das wäre insbesondere der Fall, wenn nach dem Ergebnis einer summarischen Prüfung die Hauptsache Aussicht auf Erfolg hätte, also wenn der Verwaltungsakt rechtswidrig wäre, da an der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kein öffentliches Interesse bestehen kann.
1. Ermächtigungsgrundlage
Da keine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage besteht, ist fraglich woraus sich die Ermächtigungsgrundlage zur Erteilung eines Hausverbots ergeben könnte. Diese könnte sich als Annexkompetenz aus den dem I als Intendanten übertragenen Verwaltungsaufgaben ergeben. Da das Staatsballett als Teil der öffentlichen Verwaltung hoheitliche Aufgaben übernimmt, ist die Sicherstellung der Arbeitsfähigkeit des Staatsballett eine implizite Kompetenz, die mit der Behördenleitung verbunden ist. Das Hausrecht ist notwendiger Bestandteil dieser Zuständigkeit.[8]Ruthig, in: Kopp/Schenke, Aufl. 29 2023, VwGO 40 Rn. 20. Ein Träger öffentlicher Gewalt, dem eine bestimmte Verwaltungsaufgabe zugewiesen wird, muss zur Sicherstellung der Arbeitsfähigkeit der Behörde eigenständig entscheiden können, wem der Zugang zu den Räumlichkeiten gestattet und wem er verwehrt wird, insbesondere dann, wenn die ordnungsgemäße Erfüllung des Widmungszwecks gefährdet oder gestört ist und eine Wiederholung solcher Vorfälle zu erwarten ist.[9]Siehe dazu auch die Besprechung des Urteils des VG Gelsenkirchen, 17.07.2024 – 15 K 1173/23, abrufbar unter: https://examensgerecht.de/hausverbot/ .
2. Formelle Rechtmäßigkeit
Da der I die A vor Erlass des Hausverbots gem. § 28 I VwVfG angehört hat und das Hausverbot schriftlich und mit Begründung (§§ 37, 39 VwVfG) erlassen hat, bestehen keine Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit des Hausverbots.
3. Materielle Rechtmäßigkeit
Das Hausverbot müsste auch materiell rechtmäßig ergangen sein.
a) Identifikation der Tatbestandsmerkmale
Im Gegensatz zum privatrechtlichen Hausverbot, welches dem Inhaber im Grunde die freie Entscheidung darüber ermöglicht, wem er den Zutritt zu seinen Örtlichkeiten gestattet oder verwehrt, ist das öffentlich-rechtliche Hausverbot an strengeren Maßstäben zu messen.
Da mit dem öffentlich-rechtlichen Hausverbot Personen der Zugang zu öffentlichen Einrichtungen verwehrt wird, muss das Hausverbot auf Gründe gestützt sein, die den Ausschluss von der Nutzung der öffentlichen Einrichtung rechtfertigen, Art. 20 III GG. Das ausgesprochene Hausverbot hat daher zunächst in seiner Begründung die Tatsachen zu benennen, die in vorangegangener Zeit den Hausfrieden und Betriebsablauf gestört haben. Zudem kann das Hausverbot nur zu präventiven Zwecken, aber nicht als repressives Mittel eingesetzt werden.
Ein öffentlich-rechtliches Hausverbot ist also rechtmäßig, wenn es präventiven Zwecken dient und die Gründe den Ausspruch des Hausverbots rechtfertigen und das Hausverbot insgesamt verhältnismäßig ist.
Anmerkung: Tatbestandsmerkmale eines Hausverbotsb) Gründe
Die Gründe, die der I vorgebracht hat, müssten den Betriebsablauf in der Vergangenheit gestört haben und eine Wiederholungsgefahr für die Zukunft begründen.
aa) Ereignisse in der Vergangenheit
Der I hat drei Ereignisse aus einem Zeitraum von 8 Jahren geschildert, die jeweils ein ausfälliges Verhalten gegenüber den Mitarbeitenden und/oder den anderen Besucher:innen des Staatsballetts zeigten. Diese Ereignisse störten jeweils den Ablauf des Staatsballetts. Zwar kann nicht jede Auseinandersetzung mit den Mitarbeitenden über Verfahren und Abläufe eine ausreichend gewichtige Störung des Ablaufs begründen, aber da die A 2016 und 2020 ausfällig reagiert hat und die Mitarbeitenden teils rassistisch beleidigt hat und diese sich durch die Beleidigungen verletzt gefühlt haben, war der Ablauf jeweils gestört. Würde ein derartiges Verhalten regelmäßig auftreten, könnten sich die Mitarbeitenden dauerhaft unwohl fühlen und der Ablauf wäre erheblich gestört. Das Ereignis aus dem Jahr 2024, bei dem die A während der Aufführung Fotos machte und in eine Auseinandersetzung mit den anderen Gästen geriet, störte den Ablauf in einem Maße, dass – sollte eine Wiederholung drohen – der ordnungsgemäße Betrieb nicht sichergestellt wäre.
Mithin haben die Ereignisse den Betriebsablauf in der Vergangenheit erheblich gestört.
bb) Wiederholungsgefahr / Prognose
Die drei Ereignisse müssten auch eine Wiederholungsgefahr begründen. Eine Wiederholungsgefahr läge demnach vor, wenn aufgrund des Verhaltens in der Vergangenheit auch in näherer Zukunft mit einem ähnlichen Verhalten zu rechnen ist.
Problematisch könnte sein, dass die Ereignisse in einem großen zeitlichen Abstand von jeweils ungefähr vier Jahren erfolgten. Damit ist jedenfalls ein zeitlich naheliegender weiterer Vorfall nicht sicher zu prognostizieren.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die A in dieser Zeit wohl mehr als 100 Mal im Staatsballett zu Besuch war und damit nur in einem geringen Anteil der Besuche ausfällig wurde. Eine Neigung zu ausfälligem Verhalten kann daher wohl nicht angenommen werden.
Auch ist die Heranziehung von einzelnen Ereignissen zur Begründung einer Wiederholungsgefahr stets im Einzelfall zu beurteilen. So ist die Heranziehung eines acht Jahre zurückliegenden Ereignisses – wenn überhaupt – nur noch mit einem deutlich reduzierten Gewicht möglich. Zwar kann ein auch weit in der Vergangenheit liegendes Ereignis Teil der Begründung sein, dafür müsste es aber eine schwerwiegende Störung darstellen. Jedoch war die Auseinandersetzung im Jahr 2016, auch wenn sie mit Beleidigungen geführt wurde, nicht derartig schwerwiegend, dass diese acht Jahre später noch herangezogen werden könnte.
Lässt man also das Ereignis von 2016 außen vor, müsste sich aus den Ereignissen von 2020 und 2024 ein Muster ergeben, auf welches die Wiederholungsgefahr gestützt werden kann. So könnte man aufgrund der Ereignisse prognostizieren, dass innerhalb der nächsten vier Jahre ein weiterer Vorfall sich ergeben könnte. Damit besteht im Allgemeinen eine Wiederholungsgefahr.
Anmerkung: Andere Ansichtc) Rechtsfolge: Ermessen
Die Erteilung des Hausverbots müsste auch ermessensfehlerfrei gewesen sein.
aa) Verhältnismäßigkeit
Insbesondere müsste das Hausverbot verhältnismäßig gewesen sein.
(1) Legitimes Ziel
Mit dem Hausverbot müsste ein zulässiges Ziel verfolgt worden sein. Zulässige Ziele sind alle von der Rechtsordnung gebilligten Ziele. Der I verfolgt hier das Ziel den Ablauf der Veranstaltungen des Staatsballetts ohne Störungen durchzuführen. Dabei handelt es sich um ein zulässiges Ziel.
(2) Geeignetheit
Die Aussprache des Hausverbots müsste geeignet gewesen sein. Geeignet ist ein Mittel, wenn es die Erreichung des zulässigen Ziels fördert. Problematisch könnte hier bereits sein, dass ein Hausverbot für ein Jahr bei einer angenommenen Wiederholungsgefahr innerhalb der nächsten Jahre ungeeignet sein könnte eine weitere Störung zu verhindern. Jedoch ist ein Hausverbot für ein Jahr in diesem Zeitraum geeignet weitere Störungen auszuschließen.
(3) Erforderlichkeit
Die Aussprache des Hausverbots müsste auch erforderlich gewesen sein. Erforderlich ist eine Maßnahme, wenn sie das mildeste gleich geeignete Mittel darstellt. Der Intendant hatte bereits in der Vergangenheit versucht die A durch Gespräche dazu zu bringen ihr Verhalten zu ändern. Dies hatte keinen Erfolg.
Als milderes Mittel könnte hier jedoch ein kürzer befristetes Hausverbot in Betracht kommen. Dieses wäre jedoch nicht gleich geeignet, da eine Störung nur für einen kürzeren Zeitraum ausgeschlossen wäre.
Anmerkung: Andere Ansicht(4) Angemessenheit
Die Maßnahme müsste auch im engeren Sinne angemessen gewesen sein. Die Angemessenheit und damit die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne erfordert, dass der mit der Maßnahme verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen.
Durch die Erteilung des Hausverbots sollte ein möglicher weiterer Vorfall, der den Ablauf des Staatsballetts stören könnte, verhindert werden.
Auf der anderen Seite wurde dadurch die Arbeitsfähigkeit der A erheblich beeinträchtigt. Durch das Hausverbot wird sie – mögen Interviews und Berichte auch unabhängig von Ballettveranstaltungen grundsätzlich weiterhin möglich bleiben – nach ihren Angaben in etwa einem Drittel ihrer journalistischen Tätigkeit eingeschränkt. Zu beachten ist dabei, dass der Kern der journalistischen Tätigkeit der Antragstellerin in der Berichterstattung über Ballettveranstaltungen selbst besteht und gerade diese vermag sie aufgrund des Hausverbots der Antragsgegnerin zu einem erheblichen Anteil nicht mehr zu besuchen.[10]vgl. VG Berlin, Beschl. v. 01.11.2024 – VG 1 L 387/24 Rn. 21.
Darin liegt ein Eingriff in ihre Pressefreiheit und in ihre Berufsfreiheit. Dieser ist auch erheblich. Eine Beschränkung der Pressefreiheit ist unter Berücksichtigung der Schranken in Art. 5 II GG zwar auch auf Grundlage des öffentlich-rechtlichen Hausrechts als Teil der allgemeinen Gesetze grundsätzlich möglich. Jedoch müssten die den Eingriff rechtfertigenden Gründe gewichtig sein, um den Eingriff in die Pressefreiheit zu rechtfertigen.
Demgegenüber liegen lediglich zwei noch beachtliche Fälle innerhalb von vier Jahren, die die Arbeitsfähigkeit des Staatsballetts zwar vor gesteigerte Herausforderungen stellen, den Ablauf aber nicht in einem Maße beeinträchtigten, dass die Arbeitsfähigkeit in Gefahr geriet. Es ist zwar nicht möglich auszuschließen, dass weitere Fälle in Zukunft auftreten werden. Jedoch reicht dies unter Berücksichtigung der Schwere des Eingriffs für die A nicht aus, um die entsprechenden Eingriffe in ihre Grundrechte zu rechtfertigen.
bb) Ergebnis Verhältnismäßigkeit
Mithin war das Hausverbot unverhältnismäßig.
d) Ergebnis Materielle Rechtmäßigkeit
Das Hausverbot war materiell rechtswidrig.
4. Ergebnis Interessenabwägung
Unter Berücksichtigung des zu erwartenden Ergebnisses des Hauptsacheverfahrens und der Verletzung der A in ihren Rechten, fällt die Interessenabwägung zu Gunsten des privaten Aussetzungsinteresses aus.
III. Ergebnis Begründetheit
Der Antrag der A ist begründet. Das Gericht wird die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung anordnen.
C. Gesamtergebnis
Der Antrag der A ist zulässig und begründet. Ein Vorgehen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes hat Erfolg.
Zusatzfrage
Abwandlung: Der Intendant hatte zuerst per E-Mail unter Hinweis auf die AGB des Hauses ein Hausverbot erteilt, was – seiner Ansicht nach – privatrechtlich gewesen sei. Dementsprechend war auch die sofortige Vollziehung nicht angeordnet und keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt. Tatsächlich war es aber ein öffentlich-rechtliches Hausverbot. Wie kann die A gegen das vermeintlich privatrechtliche Hausverbot vorgehen und ist ein Vorgehen zulässig?Der Intendant war davon ausgegangen, dass er ein privatrechtliches Hausverbot verhängen könnte und hat deshalb das Hausverbot „privatrechtlich“ per E-Mail ausgesprochen. Tatsächlich handelt es sich aber trotzdem um ein öffentlich-rechtliches Hausverbot. Bei der Prüfung sind die gleichen Maßstäbe anzulegen.
Da ein öffentlich-rechtliches Hausverbot auch per E-Mail ausgesprochen werden kann, liegt trotzdem ein Verwaltungsakt vor. Dieser ist auch bekannt gegeben worden.
Da aber keine sofortige Vollziehung angeordnet wurde, kann durch einen Widerspruch (§ 68 VwGO) die aufschiebende Wirkung erreicht werden. Fraglich ist, welche Anforderungen an den Widerspruch zu stellen sind.
Grundsätzlich ist der Widerspruch schriftlich oder in qualifiziert elektronischer Form einzulegen (§ 70 I VwGO). Ziel der Formvorschriften ist es sicherzustellen, dass der Aussteller der Erklärung erkennbar ist.
Das VG Berlin hat in seiner Entscheidung vom 28.06.2024 entschieden, dass die Formvorschriften nicht streng anzuwenden sind, sondern – soweit die Ausstellerin eindeutig erkennbar ist – eine Rückantwort per Mail (trotz eines darin liegenden Verstoßes gegen § 70 I VwGO) eine formgerechte Einlegung eines Widerspruchs ist, da sich die Verwaltung auf den gleichen Zustellungsweg eingelassen hat.[11]VG Berlin, Beschl. v. 28.06.2024 – VG 1 L 156/24 Rn. 18.
Der letzte Aspekt ist wohl nicht zu verallgemeinern, aber angesichts dessen, dass keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war, hätte die A die Möglichkeit innerhalb eines Jahres Widerspruch zu erheben (§ 58 I, II VwGO).
Zusammenfassung
1. Da mit dem öffentlich-rechtlichen Hausverbot Personen der Zugang zu öffentlichen Einrichtungen verwehrt wird, muss das Hausverbot auf Gründe gestützt sein, die den Ausschluss von der Nutzung der öffentlichen Einrichtung rechtfertigen, Art. 20 III GG.
2. Das ausgesprochene Hausverbot muss in seiner Begründung die Tatsachen zu benennen, die in vorangegangener Zeit den Hausfrieden und Betriebsablauf gestört haben und die Gründe, die den Ausspruch des Hausverbots als präventives Mittel notwendig machen.
3. Gegen einen per E-Mail bekannt gegebenen Verwaltungsakt kann unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben auch per E-Mail Widerspruch eingelegt werden, wenn die Person, die den Widerspruch einlegt, erkennbar ist und damit dem hinter den Formvorschriften stehenden Zweck Genüge getan ist (bisher Einzelfallentscheidung).