BGH, Urteil vom 09.07.2021 – V ZR 30/20; NJW-RR 2021, 1382
Sachverhalt
B und S sind Geschwister. Der 1944 geborene B erlitt am 2013 einen Herzinfarkt. Nach einer mehrwöchigen Genesungsphase macht der B sich Gedanken über seine zukünftige Gesundheit und Pflege. B sieht sich selbst als betreuungs- und pflegebedürftig. In Folge dessen geht der B auf seine Schwester S zu. Er bittet sie zusammen mit ihrem Ehemann in sein Haus einzuziehen und für ihn zu sorgen. Im Gegenzug will er ihr das Haus, welches einen objektiven Wert von 100.000 € hat, übertragen.
Die S stimmte dem Vorgehen zu, könnte sie sich selbst doch ein solches Haus, auch nicht in Ratenzahlung, leisten. Zusammen mit dem B schließen sie Ende 2013 einen Übertragungsvertrag, beurkundet durch einen Notar. Der Übertragungsvertrag sieht unter anderem eine Übertragung nebst Auflassung des Eigentums an dem Grundstück des B an die S vor. Der Vertrag regelt zudem die Verpflichtung der S zur „lebenslangen Betreuung und Pflege“ des B. Die Betreuung und Pflege soll nach den Vorstellungen des B und der S mit 80.000 € anzusetzen sein. Ebenso wird dem B ein einzutragendes Wohnrecht an bestimmten Räumen der Immobilie eingeräumt. Letztlich vereinbaren die S und der B ein Rücktrittsrecht für den Fall, dass die S das Grundstück ohne die Zustimmung des B veräußert, die S vor dem B verstirbt oder aber für den Fall, dass sich die Vermögenslage der S wesentlich verschlechtert.
Wie durch den Notarvertrag vorgesehen, wird die S als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen. Anfangs läuft das Zusammenleben zwischen der S und dem B wie vorgesehen. Anfang des Jahres 2014 kommt es jedoch immer wieder zu Streitigkeiten zwischen dem B und der S, deren Anlass sowohl in der S als auch dem B zu sehen sind. In Folge der vielen Streitigkeiten stellt die S ab März 2014 die Pflege des B ein und will nunmehr Miete von dem B verlangen. B, der sich unter diesen Umständen ohnehin nicht mehr von der S pflegen lassen will, ist maßlos enttäuscht, verlangt aber von S auch nicht die weitere Pflege. Er wendet sich an die S und betont, dass er unter diesen Umständen nicht mehr am Vertrag festhalten wolle und – hätte er geahnt das S sich so benehmen würde – nie den Vertrag abgeschlossen hätte. Sie solle ihm sein Haus zurückgeben und mit ihrem Ehemann ausziehen. Die S zeigt sich allerdings uneinsichtig. Schließlich habe auch der B Ursachen für die Streitereien gesetzt. Die Konsequenzen dürfte sie daher nicht alleine tragen. Außerdem hätte der B die Konsequenzen androhen müssen, dann hätte sich die S vielleicht nochmal überlegt, ob sie den B vlt. doch weiter gepflegt hätte.
Kann der B von S die Rückübereignung des Grundstückes verlangen?
Skizze
Gutachten
A. Anspruch aus §§ 530, 531 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. § § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB
Möglich erscheint zunächst ein Anspruch auf Rückübertragung des Grundstückes aus §§ 530, 531 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB.
Anmerkung: Rückübertragung auf Grundlage des BereicherungsrechtesHierzu müsste S etwas durch Leistung erlangt haben, wobei der Rechtsgrund später entfallen ist, § 812 I 2 Alt. 1 BGB. Fraglich ist jedoch schon, ob tatsächlich der Rechtsgrund zwischen den Parteien nachträglich entfallen ist. Als Rechtsgrund kann zunächst der notarielle Übertragungsvertrag herangezogen werden. Dieser könnte aber nachträglich wegen groben Undanks gem. §§ 530, 531 Abs. 1 BGB widerrufen worden sein.
I. Vorliegen einer Schenkung, § 516 BGB
Damit der B den Vertrag jedoch wegen groben Undanks gem. §§ 530, 531 I BGB widerrufen kann, muss es sich bei dem Übertragungsvertrag um einen – zumindest gemischten – Schenkungsvertrag i.S.d. § 516 I BGB handeln.
Ein Schenkungsvertrag setzt objektiv eine durch die Erfüllung des Vertrags bewirkte Entreicherung des Schenkers und eine sich daraus ergebende Bereicherung des Beschenkten, mithin eine auf dem Schenkervermögen beruhende Mehrung des Vermögens des Beschenkten, sowie subjektiv die Übereinstimmung der Beteiligten voraus, dass diese Zuwendung unentgeltlich erfolgen, die Vermögensmehrung des Beschenkten mithin nicht (vollständig) durch eine Gegenleistung an den Schenker ausgeglichen werden soll.[3]BGH BeckRS 2020, 36312 Rn. 17; BeckOK BGB/Gehrlein, 61. Ed. 1.2.2022, BGB § 516 Rn. 2
Soweit eine Gegenleistung durch den Beschenkten erfolgt, kann auch eine gemischte Schenkung vorliegen. Eine gemischte Schenkung liegt vor, wenn die Leistung des Schenkers den Wert etwa versprochener Gegenleistungen objektiv überwiegt und die Parteien sich darüber einigen, dass die Wertdifferenz unentgeltlich zugewendet werden soll.[4]BeckOK BGB/Gehrlein, 61. Ed. 1.2.2022, BGB § 516 Rn. 13 Der unentgeltliche Charakter des Geschäfts überwiegt dabei dann, wenn der Wert der Gegenleistung weniger als die Hälfte des effektiven Wertes des Geschenkes beträgt.[5]BGH, Urteil vom 11.04.2000 – X ZR 246/98; OLG Hamm Urt. v. 17.1.2019 – I-22 U 97/17, BeckRS 2019, 47051 Rn. 20)
Vernetztes Lernen: Formerfordernis der SchenkungDass allerdings im Alltag nicht jede Schenkung nichtig ist, liegt an der Regelung des § 518 II BGB. Danach wird der Mangel der Form durch die Bewirkung der versprochenen Leistung geheilt, sog. Handschenkung.
Textform, § 126b BGB
Elektronische Form, § 126a BGB
Notarielle Beurkundung, § 128 BGB
Öffentliche Beglaubigung, § 129 BGB
Vorliegend sind damit auf der einen Seite der Wert des Grundstückes heranzuziehen und dieser dem Wert der Pflegeleistung gegenüberzustellen. Der Wert des Grundstückes beträgt hier 100.000 €, während die Pflegeleistung mit 80.000 € zu taxieren ist. Damit überwiegt keineswegs die Unentgeltlichkeit in dem Austauschverhältnis zwischen S und B. Mithin kann nicht von einer dem Übertragungsvertrag zu Grunde liegenden Schenkung ausgegangen werden
II. Zwischenergebnis
Mangels Schenkungsvertrag scheidet ein Anspruch auf Rückübertragung gem. §§ 530, 531 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. § § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB aus.
B. Anspruch aus § 346 I BGB.
Möglich erscheint aber ein Anspruch auf Rückübertragung aus einem Rückgewährschuldverhältnis gem. § 346 I BGB.
I. Rücktrittserklärung, § 349 BGB
Zunächst müsste B hierfür den Rücktritt erklärt haben. Die Rücktrittserklärung muss gegenüber dem „anderen Teil“, also dem Geschäftspartner erklärt worden sein, § 349 BGB. Dies kann ausdrücklich oder konkludent aus dem Verhalten geschehen. Nicht notwendig ist es daher, dass der Erklärende das Wort „Rücktritt“ nutzt.
B erklärte der S, dass er unter den vorliegenden Umständen nicht mehr am Vertrag festhalten wolle. Damit erklärte er – zumindest konkludent – den Rücktritt gegenüber der S.
II. Bestehen eines Rücktrittsrechts
Darüber hinaus müsste dem B aber auch ein Rücktrittsrecht zugestanden haben.
1. Vertragliches Rücktrittsrecht
In Frage kommt zunächst ein vertragliches Rücktrittsrecht. Ein ausdrücklich normiertes Rücktrittsrecht im Vertrag greift hier indes nicht. Ausdrücklich regelten B und S nur ein Rücktrittsrecht für den Fall, dass die S das Grundstück ohne die Zustimmung des B veräußert, die S vor dem B verstirbt oder aber für den Fall, dass sich die Vermögenslage der S wesentlich verschlechtert. Keiner dieser Fälle ist eingetreten.
Möglich erscheint aber, dass im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung die Regelung hinsichtlich der Rücktrittsrechte dahingehend zu ergänzen ist, dass sie auch den Fall des Zerwürfnisses zwischen den Parteien oder aber der Einstellung der Pflege umfassen sollte.
Anmerkung: Nicht Teil des gewöhnlichen ErwartungshorizontesVoraussetzung für eine ergänzende Vertragsauslegung ist zunächst, dass die Vereinbarung der Parteien eine Regelungslücke – eine planwidrige Unvollständigkeit – aufweist. [6]BGH NJW 2002, 2310, 2310; NJW 1994, 3287; NJW-RR 1991, 176, NJW 1997, 652 Eine Regelungslücke liegt dann vor, wenn die Parteien einen Punkt übersehen oder wenn sie ihn bewusst offengelassen haben, weil sie ihn im Zeitpunkt des Vertragsschlusses für nicht regelungsbedürftig gehalten haben, und wenn sich diese Annahme nachträglich als unzutreffend herausstellt.[7]BGH NJW 2002, 2310, 2310
Es ist jedoch allein aufgrund des bloßen Fehlens einer Regelung für die Zerrüttung nicht rückschließbar, dass die Parteien von den gesetzlichen Regelungen für den Rücktritt abweichen wollten oder aber das Risiko abseits der gesetzlichen Regelungen verteilen wollten.
Anmerkung:Abweichung der BerufungsinstanzEs kann daher auch im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung nicht von einem vertraglichen Rücktrittsrecht ausgegangen werden.
2. Gesetzliches Rücktrittsrecht, § 323 I BGB
In Frage kommt aber auch ein gesetzliches Rücktrittsrecht gem. § 323 I BGB, indem die S die Pflege des B einstellte.
Anmerkung: Der einfache Weg des BGHa) Nichtleistung trotz fälliger und einredefreier Leistungspflicht
Hierfür müsste S nicht geleistet haben, obwohl eine fällige und einredefreie Leistungspflicht bestand, § 323 I Alt. 1 BGB. Teil des Übertagungsvertrages zwischen S und B war die Pflicht der S, den B zu pflegen. Unzweifelhaft war nach der vertraglichen Pflicht diese Leistung sowohl fällig als auch einredefrei. Dennoch stellte S die Pflege ab März ein. S leistete mithin trotz fälliger und einredefreier Leistungspflicht nicht.
b) Erfolglose Fristsetzung oder Entbehrlichkeit der Fristsetzung nach § 323 II BGB
Weiterhin hätte B erfolglos eine Frist zur Leistung setzen müssen, soweit die Fristsetzung nicht entbehrlich gewesen ist, § 323 I, II BGB.
B forderte die S nicht zur weiteren Pflege auf. Mithin setzte er keine Frist i.S.d. § 323 I BGB.
Möglich erscheint jedoch, dass die Fristsetzung gem. § 323 II BGB entbehrlich gewesen ist. Gem. § 323 II Nr. 3 BGB ist eine Fristsetzung dann entbehrlich, wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen.
Das kann in etwa dann der Fall sein, wenn durch ein grobes Fehlverhalten des Schuldners die Vertrauensgrundlage derart erschüttert ist, dass es dem Gläubiger nicht mehr zumutbar ist, die Leistung vom Schuldner anzunehmen. Der Gläubiger kann sich aber nach Treu und Glauben dann nicht auf seine Rechte berufen, wenn er seinerseits damit im Zusammenhang stehende Pflichtverletzungen begangen hat.[9] OLG Hamm Urt. v. 17.1.2019 – I-22 U 97/17, BeckRS 2019, 47051 Rn. 36; Palandt/Grüneberg, BGB, § 323 Rn. 29 m.w.N.
Die Auseinandersetzungen zwischen der S und den B stellen sich hier allerdings vielmehr als wechselseitige Streitereien dar. Unabhängig also der Frage, ob das die Vertrauensgrundlage derart erschüttert ist, dass ein Festhalten an der Leistung unzumutbar ist, setzte der B ebenso einen erheblichen Verursachungsbeitrag für die Erschütterung.
Eine Fristsetzung war damit nicht gem. § 323 II Nr. 3 BGB unentbehrlich. Ebenso setzte der B aber auch keine Frist zur Nacherfüllung.
3. Zwischenergebnis
Mangels Fristsetzung liegt auch kein gesetzliches Rücktrittsrecht nach § 323 I BGB vor. Ein Anspruch nach § 346 I i.V.m. § 323 I BGB oder einem vertraglichen Rücktrittsrecht scheidet aus.
C. Anspruch aus §§ 313 I, III 1, 346 I BGB
Möglich erscheint aber, dass der B einen Anspruch auf Rückübertragung des Grundstückes nach den Grundlagen der Störung der Geschäftsgrundlage gem. §§ 313 I, III 1, 346 I BGB hat.
Anmerkung: Prüfungsreihenfolge und Subsidiarität– den Gewährleistungsvorschriften (§§ 437 ff., 536 ff., 634 ff., 651c ff. BGB)
– Ermittlung des Vertragsinhalts durch (ergänzende) Auslegung (§§ 133, 157 BGB)
– der Anfechtung (§ 119 ff.)(Str.)[11]BeckOK BGB/Lorenz, 61. Ed. 1.2.2022, BGB § 313 Rn. 18
– den Vorschriften über die Unmöglichkeit und die Leistungshindernisse iSd § 275 Abs. 2 und 3 BGB
– der Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund (§ 314 BGB) (hM zumindest für § 313 III BGB)
– der Zweckverfehlungskondiktion (§ 812 I 2 Alt. 2 BGB)
Dies ist dann der Fall, wenn die Parteien einen Umstand, der nicht Vertragsinhalt ist, zur Geschäftsgrundlage gemacht haben und dieser sich nach Vertragsschluss verändert hat (reales Element), die Parteien den Vertrag bei Kenntnis der Sachlage nicht bzw. anders abgeschlossen hätten (hypothetisches Element) und einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls unter Beachtung der gesetzlichen und vertraglichen Risikoverteilung ein Festhalten am Vertrag nicht zugemutet werden kann (normatives Element).
I. Wegfall oder Änderung einer Geschäftsgrundlage (reales Element)
Zunächst müsste daher einen Umstand durch S und B zur Geschäftsgrundlage gemacht worden sein, welcher sich nach Vertragsschluss verändert hat. Geschäftsgrundlage sind die bei Abschluss des Vertrages zutage getretenen, dem anderen Teil erkennbar gewordenen und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Partei oder die gemeinsame Vorstellungen beider Parteien von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt bestimmter Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf dieser Vorstellung aufbaut.[12]Grüneberg/Grüneberg, 81. Aufl. 2022, § 313 Rn. 3; BGH NJW 16, 3100
Gegenstand des zwischen S und B geschlossenen Übertragungsvertrages war die Übertragung des Grundstückes von B an S im Gegenzug zur lebenslangen Pflege des B durch S. Eine Pflege erfordert jedoch stets – nicht zuletzt allein aufgrund der erheblichen körperlichen Nähe und häufigen Schutzlosigkeit des Gepflegten – eine Vertrauensbeziehung zwischen dem Pflegenden und dem Gepflegten. Es ist daher davon auszugehen, dass sowohl bei S als auch bei B diese Vertrauensbeziehung und dessen Fortbestehen als Grundlage der Pflege vorausgesetzt wurde. Diese Vertrauensbeziehung ist jedoch zwischen S und B weggefallen. Mithin hat sich ein Umstand, welcher zur Vertragsgrundlage geworden ist, nach Vertragsschluss geändert.
II. Änderung oder Nichtabschluss bei Kenntnis (hypothetisches Element)
Zudem müsste davon auszugehen sein, dass S und B, in Kenntnis dieses Umstandes, den Vertrag nicht geschlossen hätten. Aufgrund der Erheblichkeit sowie nicht zuletzt der Äußerung des B ist davon auszugehen, dass weder S noch B den Vertrag mit der Verpflichtung zur Pflege geschlossen hätten, hätten sie gewusst, dass das Vertrauensverhältnis zwischen ihnen zerbrechen würde.
III. Unzumutbarkeit am Festhalten des Vertrages (normatives Element)
Dem B müsste aber auch unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Beachtung der gesetzlichen und vertraglichen Risikoverteilung ein Festhalten am Vertrag nicht zugemutet werden können.
Der Unzumutbarkeit könnte also zunächst entgegenstehen, dass S und B vertraglich eine Risikoverteilung hinsichtlich der Zerrüttung zu Lasten des B vorgenommen haben. Hierfür könnte sprechen, dass im Übertragungsvertrags bestimmte Rücktrittsgründe vereinbart wurden (Veräußerung oder Belastung des Grundstücks ohne Zustimmung des B; Vorversterben und wesentliche Verschlechterung der Vermögensverhältnisse der S), zu denen das Zerwürfnis zwischen ihm und der S nicht gehört.[13]BGH DNotZ 2022, 290 Rn. 9 Allerdings liegt eine Übernahme des Risikos der Zerrüttung durch den B nicht schon darin, dass die Parteien für diesen Fall ein vertragliches Rücktrittsrecht nicht vereinbart haben. Die Aufzählung der Rücktrittsgründe im Übertragungsvertrag ist nicht in dem Sinne abschließend, dass der B bei heilloser Zerrüttung des Verhältnisses zu der S nicht nach § 313 Abs. 3 BGB zurücktreten könnte. Für diesen Fall haben die Parteien vielmehr gerade keine Regelung getroffen. Das Ergebnis, dass der B das Risiko der Zerrüttung zu tragen hätte, ließe sich auch nicht aus einer ergänzenden Vertragsauslegung herleiten. Es sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die Parteien – hätten sie die Möglichkeit der Zerrüttung ihres Verhältnisses bedacht – das Risiko einer solchen Entwicklung allein dem B zugewiesen hätten (siehe hierzu auch oben).[14]BGH DNotZ 2022, 290 Rn. 9
Möglich erscheint jedoch, dass das Festhalten am Vertrag dem B zumutbar ist, weil er nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht schutzbedürftig ist. (BGH DNotZ 2022, 290 Rn. 13; MüKoBGB/Finkenauer, 8. Aufl., § 313 Rn. 75; Palandt/Grüneberg, 81. Aufl., § 313 Rn. 22). Dafür reicht es jedoch nicht aus, dass der Übertragende überhaupt zu dem Zerwürfnis beigetragen hat oder dass dieses ihm in stärkerem Maße zurechenbar ist als dem Übernehmenden. Weil typischerweise beide Vertragsparteien mit ihrem Verhalten zu der Zerrüttung des Verhältnisses beitragen und ein eindeutiger Schwerpunkt der Verursachung hierfür auch durch eine Beweisaufnahme regelmäßig nicht bestimmt werden kann, ist dem Übertragenden das Festhalten an dem Vertrag trotz der Zerrüttung nur dann zumutbar, wenn feststeht, dass ihm diese ausnahmsweise allein anzulasten ist.[15] BGH DNotZ 2022, 290 Rn. 13
Vernetztes Lernen: Wer könnte hierfür die Beweislast tragen?Der BGH macht hiervon jedoch hier eine Ausnahme. Steht bei einem Grundstücksübertragungsvertrag mit Pflegevereinbarung fest, dass das Verhältnis der Beteiligten zerrüttet ist, muss der Übernehmende die für ihn günstige Tatsache darlegen und beweisen, dass der Übertragende sich ausnahmsweise nicht auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen kann.[16]BGH NJW-RR 2021, 1382; MüKoBGB/Ernst, 8. Aufl., § 323 Rn. 293; Staudinger/Schwarze, BGB, 2020, § 323 Rn. E 9
Dies ist vorliegend aber nicht der Fall. Sowohl S als auch B haben zu den Streitigkeiten und letztlich zu dem Zerwürfnis beigetragen.
In Anbetracht der Erheblichkeit der Vertrauensbeziehung für die Pflege, der nicht einseitigen Risikoverteilung sowie auch der fortbestehenden Schutzbedürftigkeit des B, ist diesem das Festhalten am Vertrag nicht zumutbar.
IV. Rechtsfolge: Rücktrittsrecht
Fraglich ist aber, ob dies auch zur Folge hat, dass dem B ein Rücktrittsrecht zusteht. Gem. § 313 III BGB ist dies nur dann der Fall, wenn eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar ist.
Als eine solche vorrangige Vertragsanpassung könnte eine (Raten-)Zahlung in Geld durch die S anstelle der Sach- und Dienstleistungen in Betracht kommen oder in Form eines Kapitalbetrags, was die Zahlung eines „nachträglichen Kaufpreises“ bedeuten würde. Allerdings hat die S weder die finanziellen Mittel für eine einmalige oder regelmäßige Zahlung. Mithin käme eine Vertragsanpassung nicht in Frage.
Folglich steht dem B ein Rücktrittsrecht aus §§ 313 I, III, 346 I BGB zu
Anmerkung: Andere Lösung des BGH
Zusatzfragen
Wie wäre der vorliegende Fall zu lösen, wenn die Beziehung der Parteien nicht Zerrüttet gewesen wäre, aber der B nur kurze Zeit nach dem Übertragungsvertrag gestorben wäre und die S ihn somit nicht oder kaum hätte pflegen müssen?Grundlage des vorgenannten ist die Entscheidung des OLG Frankfurt a. M. vom 6.5.2019 – 8 W 13/19 – NJW-RR 2019, 1417. Anspruchssteller waren in diesem Fall die Erben. Das OLG Frankfurt stellte aber fest, dass weder im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung (s.o.) Platz für ein vertragliches Rücktrittsrecht gewesen wäre, noch eine Störung der Geschäftsgrundlage vorliegen würde. Beides lässt sich mit der der gleichen Argumentation ablehnen: die Risikoverteilung ist ausgeglichen. Jeder Vertragsteil muss grundsätzlich damit rechnen, dass diese Verpflichtung infolge des Todes des Berechtigten bereits kurze Zeit nach dem Abschluss des Vertrags gegenstandslos wird.[18] OLG Frankfurt a. M., NJW-RR 2019, 1417 Rn. 35 Andererseits besteht auch das Risiko, dass der zu Pflegende besonders lange lebt und damit eine besonders lange Pflegezeit anfällt. Beide Parteien werden sich dieser beider Risiken bewusst sein. Eine Abweichung vom Grundsatz „pacta sunt servanda“ ist damit nicht zu rechtfertigen.
Zusammenfassung:
1. Bei einem Übertragungsvertrag mit Pflegevereinbarung unter Geschwistern ist die dauerhafte, von gegenseitigem Vertrauen der Parteien getragene Beziehung im Zweifel Geschäftsgrundlage des Vertrags.
2. Ist das Verhältnis zwischen dem Übertragenden und dem Übernehmenden heillos zerrüttet, führt dies – vorbehaltlich vertraglicher Vereinbarungen – zu dem Wegfall der Geschäftsgrundlage. Der Übertragende kann die Rechte aus § 313 BGB geltend machen, es sei denn, die Zerrüttung ist eindeutig ihm allein anzulasten.
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