BVerfG, Urt. V. 19.05.2020 – 1 BVR 2835/17 – NJW 2020, 2235
Sachverhalt (abgewandelt und gekürzt)
Jahrelang war die Praxis der Auslandsaufklärung des Bundesnachrichtendienstes weitgehend ungeregelt. 2016 wurde das BNDG geändert. Seitdem ist die sog. strategische Telekommunikationsüberwachung gesetzlich geregelt. Dieses Instrument zur Informationsgewinnung über Aktivitäten von Ausländern im Ausland ermöglicht es dem BND u.a. am weltweit größten Internetknotenpunkt in Frankfurt a.M. Daten verdachtsunabhängig abzugreifen und anhand von sog. Selektoren zu durchsuchen. Selektoren können E-Mail-Adressen, Stichworte, Geräteadressen u.ä. sein. Da die Tätigkeit des BND auf die Auslandsaufklärung begrenzt ist, ist es dem BND verboten die Daten von deutschen Staatsangehörigen und im Inland ansässigen Personen auszuwerten. Diese werden bereits technisch weitestgehend gefiltert (z.B. alle Internetadressen mit der Endung .de). Später von Mitarbeiter*innen des BND bei der Prüfung der Daten entdeckte Daten, die in der Form das Inland betreffen und die nicht schon technisch aussortiert wurden, werden umgehend händisch gelöscht.
Die strategische Telekommunikationsüberwachung soll der Aufklärung von Ereignissen mit außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die BRD dienen.
Der Gesetzgeber hatte dabei lediglich Tätigkeiten des BND vom Inland aus geregelt. Den BND für Tätigkeiten im Ausland zu ermächtigen hielt der Gesetzgeber mangels Grundrechtsrelevanz für nicht notwendig.
Die gewonnenen Informationen können – auf das neue Gesetz gestützt – auch mit ausländischen Geheimdiensten ausgetauscht werden.
Die Beschwerdeführerin J ist Journalistin in Lateinamerika. Der Verein Reporter ohne Grenzen (R) ist ein französischer Verein, der sich für die Pressefreiheit weltweit einsetzt. Der Anwalt A ist deutscher Staatsangehöriger, der für eine außereuropäische Organisation im Ausland tätig ist. Die drei Beschwerdeführer*innen meinen in Art. 10 I GG verletzt zu sein. J meint darüber hinaus auch in Art. 5 I S. 2 GG verletzt zu sein. Schließlich nutzten sie alle drei regelmäßig Internetkommunikation, um mit Personen im Ausland zu kommunizieren, die – angesichts ihrer Funktionen – wahrscheinlich auch im Fokus des BND stünden. Sie müssten also auch davon ausgehen, von Maßnahmen auf Grundlage der neu geschaffenen Befugnisse betroffen zu sein.
Deshalb reichen die Drei form- und fristgerecht Verfassungsbeschwerde ein. Ihrer Ansicht nach sind die §§ 6, 7, 13 bis 15 BNDG verfassungswidrig, soweit sie die Ausland-Ausland-Aufklärung in Form der strategischen Kommunikationsüberwachung betreffen.
Die Vertreter*innen der BRD meinen, dass die Auslandstätigkeiten bereits nicht in den Anwendungsbereich der Grundrechte fielen.
Hat die Verfassungsbeschwerde Aussicht auf Erfolg?
Beachte dabei folgende Vorschriften:
§ 6 BNDG
(1) Der Bundesnachrichtendienst darf zur Erfüllung seiner Aufgaben vom Inland aus mit technischen Mitteln Informationen einschließlich personenbezogener Daten aus Telekommunikationsnetzen, über die Telekommunikation von Ausländern im Ausland erfolgt (Telekommunikationsnetze), verarbeiten (Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung), wenn diese Daten erforderlich sind, um
1. frühzeitig Gefahren für die innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland erkennen und diesen begegnen zu können,
2. die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland zu wahren oder
3. sonstige Erkenntnisse von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung (…)
(2) (…)
§ 7 BNDG
(1) Für die weitere Verarbeitung der vom Bundesnachrichtendienst mit Mitteln der Fernmeldeaufklärung vom Ausland aus erhobenen Daten gilt § 6 Absatz 1 Satz 1, Absatz 3 bis 6 entsprechend. (…)
§ 13 BNDG
(1) Soweit der Bundesnachrichtendienst im Rahmen der Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung (§ 6) mit ausländischen öffentlichen Stellen, die nachrichtendienstliche Aufgaben wahrnehmen (ausländische öffentliche Stellen) kooperiert, dürfen dabei auch Informationen einschließlich personenbezogener Daten nach § 14 erhoben und nach § 15 ausgetauscht werden.
(2) Eine Kooperation nach Absatz 1 mit einer ausländischen öffentlichen Stelle ist zulässig, wenn
1. sie den Zielen des § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 3 dient und
2. die Aufgabenerfüllung durch den Bundesnachrichtendienst ohne eine solche Kooperation wesentlich erschwert oder unmöglich wäre.
Skizze
Gutachten
Die Verfassungsbeschwerde hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und soweit sie begründet ist.
A. Zulässigkeit
I. Zuständigkeit
Das BVerfG ist gem. Art. 93 I Nr. 4a GG, § 13 Nr. 8a BVerfGG zuständig für Verfassungsbeschwerden, wie hier in Form einer Rechtssatzverfassungsbeschwerde.
II. (P) Beteiligtenfähigkeit
Gemäß § 90 I BVerfGG ist jedermann, also jeder Träger von Grundrechten, beteiligtenfähig. J und A sind natürliche Personen und damit Grundrechtsträger*innen und beteiligtenfähig.
Fraglich ist, ob R, als französischer Verein beteiligtenfähig ist. Gemäß Art. 19 III GG gelten die Grundrechte auch für inländische juristische Personen, soweit die Grundrechte ihrem Wesen nach anwendbar sind.
R ist mit Sitz in Frankreich keine inländische juristische Person. Das BVerfG hat jedoch anerkannt, dass juristische Personen aus dem innereuropäischen Ausland, die sich im Anwendungsbereich des allgemeinen Diskriminierungsverbots aus Art. 18 AEUV und der jeweiligen speziellen Grundfreiheiten bewegen, auch auf Art. 19 III GG berufen können (sog. Anwendungserweiterung über den Wortlaut hinaus).[1]Enders in Epping/Hillgruber 43. Edition Art. 19 GG Rn. 37. Handeln diese dann mit hinreichendem Inlandsbezug, ist die Anwendung der Grundrechte ihnen gegenüber geboten.[2]ebd. Rn. 37.
Anmerkung: PrüfungsortDafür müsste sich die Tätigkeit von R im Anwendungsbereich des Unionsrechts bewegen. Die R empfängt und erbringt Dienstleistungen in unterschiedlichen (EU-) Ländern. Damit bewegt sie sich im Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV.
Darüber hinaus müsste auch ein ausreichender Inlandsbezug bestehen. Die Tätigkeit des BND aufgrund des BNDG könnten auch der Überwachung der R dienen. Ein ausreichender Inlandsbezug besteht damit.
Art. 10 I GG ist dem Wesen nach auch auf juristische Personen anwendbar. Damit ist R jedenfalls Trägerin der geltend gemachten Grundrechten. Auch R ist beteiligtenfähig.
III. Beschwerdegegenstand, § 90 I BVerfGG
Beschwerdegegenstand kann jeder Akt öffentlicher Gewalt sein, § 90 I BVerfGG. Die hier angegriffenen Vorschriften des BNDG sind Akte der gesetzgebenden Gewalt und damit tauglicher Beschwerdegegenstand.
IV. (P) Beschwerdebefugnis, § 90 I BVerfGG
Die Beschwerdeführer müssten auch beschwerdebefugt sein. Beschwerdebefugt ist, wer geltend macht, durch den angegriffenen Akt öffentlicher Gewalt selbst, gegenwärtig und unmittelbar in seinen Grundrechten verletzt zu sein.
Die Beschwerdeführer machen respektive geltend durch die Ausland-Ausland-Aufklärung in ihren Grundrechten aus Arts. 10 I GG, also der Wahrung ihres Telekommunikationsgeheimnisses und als Journalist*innen in ihrer Pressefreiheit aus Art. 5 I S. 2 GG verletzt zu sein.
Dafür müssten sich im Ausland lebende Ausländer auf Grundrechte des Grundgesetzes berufen können. Da dies bisher nicht abschließend geklärt ist, besteht zumindest die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung.
Weiter müssten die Beschwerdeführer selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen sein. Allerdings können sie nicht nachweisen von der Ausland-Ausland-Aufklärung tatsächlich betroffen zu sein. Jedoch haben sie dargelegt, dass sie mit Personen kommunizieren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Ziel von Maßnahmen des BND werden können. Damit ist eine hinreichende Wahrscheinlichkeit gegeben, dass die Beschwerdeführer selbst und gegenwärtig von Maßnahmen des BND betroffen sind.
Maßnahmen, die die Kommunikation des deutschen Staatsangehörigen A betreffen, sind zwar gem. §6 IV BNDG verboten, allerdings kann bereits in der Kenntnisnahme durch Mitarbeiter, die nicht technisch ausgeschlossen werden kann, ein Grundrechtseingriff liegen.[3]BVerfG, Urt. V. 19.05.2020 – 1 BVR 2835/17 Rn. 75.
Weiter müsste die Betroffenheit auch unmittelbar sein. Dies ergibt sich bei einer Rechtssatzverfassungsbeschwerde nur, wenn die belastende Wirkung sich ohne weiteren Vollzugsakt ergibt, die Norm also self-executing ist.
Hier ist ein Vollzugsakt notwendig, in Form der Vornahme der Überwachung durch den BND. Diese geschieht jedoch heimlich und ohne, dass die Betroffenen die Möglichkeit der Kenntnisnahme haben. Kenntnis würden die Beteiligten nur erlangen, wenn ein weiterer Vollzugsakt auf die Erkenntnisse aus der Überwachung gestützt würde. Damit ist es den Betroffenen nicht möglich bereits gegen die Überwachung ihrer Kommunikation vorzugehen. Außerdem sind sie nicht darauf zu verweisen weitere Vollzugsakte abzuwarten. Damit sind sie auch unmittelbar betroffen.
Die Beschwerdeführer sind beschwerdebefugt.
V. Rechtswegerschöpfung, § 90 II S. 1 BVerfGG
Die Beteiligten müssten alle ihnen zur Verfügung stehenden Rechtsmittel eingelegt haben. Gegen das Gesetz selbst, gibt es keinen Rechtsweg außer die Verfassungsbeschwerde.
VI. Subsidiarität, § 90 II S. 1 BVerfGG
Außerdem müssten die Beteiligten den Grundsatz der Subsidiarität beachtet haben. Also alle ihnen zur Verfügung stehenden Rechtsmittel ausgeschöpft haben, mit denen sie ihre Grundrechtsbeeinträchtigung vor den Fachgerichten unterbinden könnten. Hier käme eine Feststellungs- oder Unterlassungsklage in Betracht. Dies ist jedoch dann nicht notwendig, wenn aus der fachgerichtlichen Prüfung keine verbesserte Entscheidungsgrundlage zu erwarten ist. Die Beschwerdeführer*innen würden im Rahmen einer fachgerichtlichen Klage die spezifisch verfassungsrechtlichen Fragen klären wollen. Eine verbesserte Entscheidungsgrundlage ist daraus nicht zu erwarten. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht subsidiär.
VII. Form und Frist, §§ 23 I, 92, 93 III BVerfGG
Formgerecht und unter Einhaltung der einjährigen Frist wurde die Verfassungsbeschwerde ordentlich erhoben.
VIII. Ergebnis Zulässigkeit
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
B. Begründetheit
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn die Beschwerdeführer*innen durch die angegriffenen Vorschriften in ihren Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt wurden, §§ 95 I, III BVerfGG.
I. (P) Anwendbarkeit der Grundrechte auf Ausland-Ausland-Aufklärung
Zu klären ist zunächst, ob sich im Ausland aufhaltende Ausländer überhaupt auf die Grundrechte berufen können. Ausgangspunkt der Beantwortung ist Art. 1 III GG, welcher festhält, dass die drei Staatsgewalten (Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung) unmittelbar durch die Grundrechte gebunden sind. Die Vorschrift selbst enthält keine Beschränkung auf das deutsche Staatsgebiet. Jedoch ist davon auszugehen, dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes bei dessen Schaffung von einer rein innerdeutschen Wirkung ausgingen. Dies spricht jedoch nicht grundsätzlich gegen eine Bindung von deutschen Staatsorganen bei Handlungen mit Wirkung gegenüber Ausländern im Ausland.
Jedoch findet sich z.B. in der EMRK eine Beschränkung der Anwendbarkeit auf Situationen in denen der Staat Hoheitsgewalt ausüben kann, also mit dem Gewaltmonopol versehene Hoheitsmacht inne hat.
Vielmehr kann man der ausdrücklichen Benennung der drei Gewalten im Wortlaut den Willen entnehmen, dass jedes staatliche Handeln, lückenlos, von der Grundrechtsbindung erfasst sein soll.[4]Zu dem Abschnitt: BVerfG, Urt. V. 19.05.2020 – 1 BVR 2835/17 Rn. 88 ff. Grundrechtsbindung soll diesem Verständnis nach immer dann bestehen, wenn Entscheidungen auf staatlicher Ebene im Namen aller Bürgerinnen und Bürger getroffen werden. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Handlung in Deutschland oder im Ausland mit Wirkung in Deutschland oder im Ausland gegenüber Deutschen oder Nicht-Deutschen vorgenommen wird.
Fraglich ist jedoch, ob die Grundrechte als handlungsleitende Regelungen für die Staatsorgane auch einen korrespondierenden individuellen Anspruch der Betroffenen enthalten. Die Grundrechte zeichnen sich jedoch gerade durch den Individualcharakter aus. Bestünde kein individueller Anspruch auf Einhaltung der Grundrechte von Ausländern im Ausland, wäre eine Überprüfung der Einhaltung der Grundrechte in diesen Fällen ausgeschlossen.
Die Geltung von Grundrechten für Ausländer im Ausland fügt sich auch in die Einbindung der BRD in die internationale Staatengemeinschaft, wie sie in Art. 1 II GG vorgesehen ist, nahtlos ein. Die Grundrechte stehen auch im Zusammenhang mit den internationalen Menschenrechtsgewährleistungen, die dem Menschen als Menschen gilt. Dies wird auch dadurch betont, dass die Grundrechte im Lichte der Menschenrechte ausgelegt werden.[5]st. Rspr. BVerfG NJW 2011, 2113.
Staaten sind jedoch grundsätzlich bei ihren Handlungen auf ihr Staatsgebiet beschränkt (sog. Interventionsverbot, Art. 2 Ziff. 7 UN-Charta). Die Bindung an die Grundrechte erweitert aber nicht die Handlungsmöglichkeiten von deutschen Staatsorganen im Ausland gegenüber Ausländern. Ein Verstoß gegen das völkerrechtliche Interventionsgebot liegt darin gerade nicht.
Zugleich sind die inhaltlichen Schutzwirkungen der Grundrechtsbindung kontextabhängig und können sich somit beim Einsatz im Ausland von denen in Deutschland unterscheiden. Die Wirkung von Grundrechten als Abwehrrechte, als Leistungsrechte, als verfassungsrechtliche Wertentscheidung oder als Grundlage von Schutzpflichten muss dabei unterschieden werden. Bezüglich der hier in Rede stehenden Abwehrrechte aus Art. 10 I und Art. 5 I S. 2 GG ist jedoch keine Einschränkung ersichtlich.
Vielmehr würde ein auf nationale Geltung beschränktes Verständnis der Grundrechtsbindung den technischen Möglichkeiten der Telekommunikationsüberwachung zu wenig Beachtung schenken. Diese ist weder auf nationale Grenzen noch auf Nationalitäten begrenzt.
Die Grundrechte sind damit jedenfalls hier in Bezug auf die Ausland-Ausland-Aufklärung anwendbar.
II. Verstoß gegen Art. 10 I GG
Die auf §§ 6, 7 und 13 BNDG gestützten Maßnahmen könnten gegen die Grundrechte der Beschwerdeführer aus Art. 10 I GG verstoßen.
1. Schutzbereich
Zunächst muss der Schutzbereich eröffnet sein. Art. 10 I GG schützt das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis. Vom Fernmeldegeheimnis ist auch die Kommunikation im Internet umfasst.[6]Ogorek in Epping/Hillgruber 43. Edition Art. 10 GG Rn. 35 ff. Der Schutzbereich ist mithin eröffnet.
2. Eingriff
Außerdem müsste ein Eingriff vorliegen. Nach dem sog. klassischen Eingriffsverständnis ist ein Eingriff jeder staatliche Akt, der final und unmittelbar die Rechtssphäre des Bürgers verkürzt und mit Befehl und Zwang durchsetzbar ist. Die Daten werden dem BND gezielt zur Datenerhebung und auch in Bezug auf die Datenverwendung und -übermittlung zugänglich gemacht.
Anmerkung: Warum nicht Recht auf informationelle Selbstbestimmung?
3. Rechtfertigung
Der Eingriff könnte jedoch gerechtfertigt sein. Art. 10 II GG enthält einen einfachen Gesetzesvorbehalt.
a) Verfassungsmäßigkeit der BNDG Vorschriften
Zunächst ist festzustellen, dass das InfrAG eine für alle gleichermaßen Die §§ 6, 7, 13 – 15 BNDG müssten insoweit eine zulässige Konkretisierung der Schranke sein. Sie müssten formell und materiell verfassungskonform sein.
aa) Formelle Verfassungsmäßigkeit
(1) Gesetzgebungskompetenz
Dafür müsste zunächst eine Gesetzgebungskompetenz bestehen. Gemäß Art. 73 I Nr. 1 GG hat der Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für die auswärtigen Angelegenheiten sowie die Verteidigung. Entsprechend den Aufgaben des BND und des § 6 I Nr. 1 BNDG sind diese nur zur Gewinnung von Erkenntnissen über das Ausland, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung sind, erlaubt. Der Bund hat damit die Gesetzgebungskompetenz.
Anmerkung: Warum nicht Nr. 9a und Nr. 10?(2) Zitiergebot, Art. 19 I S. 2 GG
Hier könnte das Zitiergebot verletzt worden sein. Das Zitiergebot verpflichtet den Gesetzgeber darauf die jeweils durch das Gesetz eingeschränkten Grundrechte zu benennen.
Vernetztes Lernen: Wann gilt das Zitiergebot nicht?Der Gesetzgeber ging fälschlicherweise davon aus, dass die Grundrechte nur in Bezug auf Deutsche oder in Deutschland ansässige Personen in diesem Zusammenhang Grundrechtsrelevanz hätten. Da die Grundrechte jedoch auch in Bezug auf im Ausland ansässige Ausländer gelten, ist das Zitiergebot verletzt.
bb) Materielle Verfassungsmäßigkeit
Neben der formellen Verfassungswidrigkeit könnten die Vorschriften auch materiell verfassungswidrig sein.
(1) Bestimmtheitsgrundsatz
Eingriffe in Grundrechte müssen dem Gebot der Normenklarheit und dem Bestimmtheitsgrundsatz als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips, Art. 20 III GG entsprechen. In Bezug auf eine Ermächtigung zur heimlichen Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten sind gesteigerte Anforderungen zu stellen, da diese von den Betroffenen unbemerkt stattfindet.[8]BVerfG NJW 2016, 1781 Rn. 94; EGMR Urt. v. 13.09.2018 – 58170/13 Rn. 306.
In den angegriffenen Vorschriften werden keine klaren Überwachungszwecke genannt, es wird keine ausreichende Rücksicht auf die Gewährleistung des Kernbereichsschutz gefordert und auch Löschpflichten werden nicht ausdrücklich geregelt. Darüber hinaus werden keine expliziten Regelungen zur Einhaltung des pauschal aufgestellten Verbots zur Überwachung deutscher Staatsangehöriger nach § 6 IV BNDG ausgeführt, obwohl eine Unterscheidung allein technisch nicht möglich ist – womit ein Bedarf für eine genauere Ausgestaltung besteht. Die Anforderungen an Normenklarheit und den Bestimmtheitsgrundsatz werden nicht erfüllt.[9]Zu diesem Absatz: BVerfG, Urt. V. 19.05.2020 – 1 BVR 2835/17 Rn. 137.
(2) Verhältnismäßigkeit
Die Vorschriften müssten verhältnismäßig sein.
(a) Legitimes Ziel
Die Ausland-Ausland Überwachung müsste zunächst ein legitimes Ziel verfolgen. Sie soll dazu dienen Erkenntnisse von außen- und sicherheitspolitischer Relevanz zu erlangen und Organe der BRD mit sicherheitsrelevanten Informationen zu versorgen. Darin liegt ein legitimer Zweck.
(b) Geeignetheit
Die strategische Telekommunikationsüberwachung ermöglicht es an solche Informationen zu kommen. Damit ist es auch ein geeignetes Mittel.
(c) Erforderlichkeit
Die Maßnahmen müssten erforderlich sein. Auch wenn durch die massenhafte, anlasslose Telekommunikationsüberwachung viele zwar irrelevante, aber intime Informationen gesammelt werden, ist keine weniger eingriffsintensive Maßnahme ersichtlich, die vergleichbare Informationen zugänglich machen könnte. An der Erforderlichkeit der Maßnahmen zur Erreichung des Ziels bestehen keine Zweifel.
(d) Angemessenheit
Die Maßnahmen müssten jedoch auch angemessen sein. Angemessenheit liegt vor, wenn die vorgenommenen Maßnahmen zum Ziel nicht außer Verhältnis stehen.[10]Huster/Rux inEpping/Hillgruber 43. Edition Art. 20 GG Rn. 197.
In den hier zu behandelnden Fällen wird heimlich in die private, u.U. auch höchstvertrauliche Kommunikation eingegriffen, sowohl durch Abhören, als auch durch Verarbeitung der erlangten Daten. Darin liegt ein besonders schwerwiegender Eingriff in die Privatsphäre.
Auf der anderen Seite stehen hier die Außen- und Sicherheitspolitischen Interessen der BRD. Diese können zwar im Einzelfall ohne Weiteres derartig intensive Eingriffe rechtfertigen, nicht jedoch grundsätzlich. Vielmehr sind diese Eingriffe nur dann angemessen, wenn besonders gewichtige Rechtsgüter von hochrangiger Bedeutung für die Gemeinschaft geschützt werden sollen. Die Regelungen des BNDG enthalten jedoch keine Einschränkung in dieser Hinsicht. Bereits deshalb sind die angegriffenen Vorschriften nicht angemessen.
4. Ergebnis
Die angegriffenen Vorschriften des BNDG §§ 6, 7, 13 bis 15 sind damit zu unbestimmt, unverhältnismäßig und verstoßen mithin gegen Art. 10 I GG.
II. Pressefreiheit, Art. 5 I S. 2 GG
Außerdem könnten die Vorschriften gegen die Pressefreiheit verstoßen.
1. Schutzbereich und Eingriff
Der Schutzbereich der Pressefreiheit umfasst die Tätigkeit von Journalist*innen im weitesten Sinne, also auch die Informationsbeschaffung von Informanten.[11]Schemmer in Epping/Hillgruber 43. Edition Art. 5 GG Rn. 44. Die angegriffenen Vorschriften ermächtigen den BND jede Kommunikation zu überwachen, also auch eine die in den Tätigkeitsbereich von Journalist*innen fällt. Der Schutzbereich ist eröffnet und es liegt ein unmittelbarer Eingriff vor.
2. Rechtfertigung
Die formell verfassungswidrigen Vorschriften (s.o.) sind, wie gesehen, auch zu unbestimmt. Sie könnten jedoch angemessen sein. Allerdings gilt auch hier, dass die Vorschriften die Überwachung ohne Einschränkung erlauben. Jedoch müssten die Bedürfnisse von Journalist*innen in einer angemessenen Form berücksichtigt werden. Da dies in keiner Form geschehen ist, sind die Vorschriften auch nicht angemessen. Eine Rechtfertigung scheidet in jeder Hinsicht aus.
3. Ergebnis
Die Vorschriften verstoßen mithin also auch gegen Art. 5 I S. 2 GG.
IV. Ergebnis
Die angegriffenen Vorschriften sind verfassungswidrig. Die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hat Erfolg. Während die Feststellung der Verfassungswidrigkeit grundsätzlich die Nichtigkeit der Vorschriften zur Folge hat, kann das Bundesverfassungsgericht sich auch darauf beschränken Vorschriften für mit dem Grundgesetz unvereinbar zu erklären, § 31 II S. 2 BVerfGG. Dies bietet sich insbesondere in Fällen an, in denen die unmittelbare Nichtigkeit der Vorschriften schwerwiegende Folgen hätte.
Anmerkung: Weitere Aspekte der OriginalentscheidungAußerdem hielt das BVerfG die Unterrichtung des Kanzleramts zur Entscheidungsfindung für einen ausreichend gewichtigen Grund. Die dafür gewonnen Daten dürften jedoch nicht für andere Zwecke eingesetzt werden, solange es nicht um besonders gewichtige Rechtsgüter gehe.
Zuletzt stellte das BVerfG auch klar, dass die Einhaltung der vom (neuen) BNDG aufgestellten Anforderungen durch eine unabhängige, gerichtsähnliche Kontrolle sichergestellt werden müsste.
Zusatzfragen
Muss die Bundesregierung kontrollieren, was ausländische Staaten auf deutschem Staatsgebiet tun (Ramstein Airbase)?Zusammenfassung:
1. Die deutsche Staatsgewalt ist auch bei Handlungen im Ausland nach Art. 1 III GG an die Grundrechte gebunden.
2. Spiegelbildlich steht damit auch Ausländern im Ausland die Berufung auf Grundrechte gegenüber der deutschen Staatsgewalt zu. Die Schutzintensität kann sich im Inland und im Ausland je nach dem Grundrecht und den Umständen unterscheiden.
3. Jedenfalls der Schutz des Fernmeldegeheimnisses gem. Art. 10 I GG und der Schutz der Pressefreiheit erstreckt sich auch in vollem Umfang auf Ausländer im Ausland.
4. Eine anlasslose und uneingeschränkte Ermächtigung zur Ausland-Ausland-Aufklärung ist nicht angemessen. Vielmehr kann diese weitreichende Maßnahme nur für den Schutz hochrangiger Ziele von gemeinschaftlicher Bedeutung gerechtfertigt sein.