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Gejammer um den Jammer

BGH, Beschluss vom 17.10.2017 – 3 StR 349/17NStZ 2018, 212 

Sachverhalt

O stellt sein PKW im Parkhaus ab. Als er es mittels Fernbedienung abschließen will verwendet der T einen technischen Störsender (sog. Jammer), der ein Schließen des Fahrzeugs verhindert. T wartet, bis O das Parkhaus verlassen hat und nimmt das Tablet (Wert: 500 €) des O vom Beifahrersitz, verstaut es in dem mitgebrachten Rucksack und verlässt das Parkhaus fluchtartig. 

Strafbarkeit nach dem StGB?


Skizze

Gutachten

Strafbarkeit gem. §§ 242 I, 243 I 1, 2 Nr. 2 StGB

T könnte sich des Diebstahls im besonders schweren Fall gem. §§ 242 I, 243 I 1, 2 Nr. 2 StGB strafbar gemacht haben, indem er das Tablet des O aus dessen aufgrund des Jammereinsatzes unverschlossenen PKW entnahm.

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a) Fremde bewegliche Sache

Bei dem Tablet handelte es sich um eine fremde, nämlich im Alleineigentum des O stehenden beweglichen Gegenstand.

b) Wegnahme

T müsste das Tablet weggenommen haben. Die Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendiger Weise tätereigenen Gewahrsams. Zunächst ist zu fragen, ob der O noch Gewahrsam an dem Tablet hatte, nachdem als er das Parkhaus verließ. Gewahrsam ist die vom natürlichen Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft über eine Sache. Die Reichweite des Gewahrsams bestimmt sich nach der Verkehrsanschauung. Zwar übte der O nach Verlassen des Parkhauses nicht mehr eine unmittelbare Sachherrschaft aus, jedoch handelt es sich bei dem Fahrzeug um eine Gewahrsamssphäre des Berechtigten und der generelle Gewahrsamswille umschließt grundsätzlich alle sich darin befindlichen Gegenstände. Innerhalb dieser befindliche Gegenstände fallen sodann nach der Verkehrsanschauung Berechtigten zu. T bricht diesen Gewahrsam, indem er das Tablet aus dem Fahrzeug entfernt, ohne das dabei ein Einverständnis des O vorliegt. Neuen Gewahrsam begründet er durch das Verstauen in seinem Rucksack (Gewahrsamsenklave).

Vernetztes Lernen: Wie lässt sich anhand der Gewahrsamslockerung ein Trickdiebstahl vom Sachbetrug abgrenzen? Bsp.: Juwelier J gibt dem Dieb D einen Ehering zur Anprobe aus der Auslage. D flieht aus dem Ladengeschäft des J.
Hier markiert die Gewahrsamslockerung die äußerste Grenze des Diebstahls, der nach hM in einem Exklusivitätsverhältnis zum Betrug steht. Es ist stets zu fragen, ob mit der Handlung des Opfers noch ein hinreichendes – wenn auch gelockertes – Herrschaftsverhältnis zum Gegenstand anzunehmen ist oder ob mit der Handlung bereits eine unmittelbare Vermögensminderung in Form einer konkreten Vermögensgefährdung eingetreten ist. Besteht noch ein hinreichendes nach der Verkehrsanschauung zu bewertendes Herrschaftsverhältnis, so liegt ein Schwerpunkt auf dem zweiten Akt, der durch den Täter vorgenommen wird. Zum Beispiel: Hier dürfte noch ein hinreichendes Verhältnis von J zum Ring vorliegen. Würde der J dem D hingegen erlauben, den Laden zu verlassen, um den Ring bei Tageslicht in Augenschein zu nehmen, dann könnte der Fall anders zu bewerten sein. Letztlich lassen sich so Risikosphären ähnlich der objektiven Zurechnung bilden und in die Merkmale Gewahrsamslockerung und unmittelbare Vermögensminderung übersetzen.

2. Subjektiver Tatbestand

S handelte auch mit dolus eventualis bzgl. des Erfolgseintritts und hatte Vorsatz bzgl. der Garantenstellung. 

Anmerkung: Probleme der Zueignungsabsicht
Zu anspruchsvollen Problemen der Zueignungsabsicht s. Fall „Pfandflaschen“.

II. Rechtswidrigkeit

Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich. S handelt rechtswidrig.

III. Schuld

Entschuldigungs- oder Schuldausschließungsgründe sind nicht ersichtlich und die Vornahme der Rettungshandlung ist dem S auch zumutbar, sodass er schuldhaft handelt.

IV. Strafzumessung

T könnte zudem den besonders schweren Fall des Diebstahls gem. § 243 I 1 StGB erfüllt haben. 

1. § 243 I 1, 2 Nr. 1 StGB 

Zunächst kommt das Regelbeispiel des Einbruchsdiebstahls gem. § 243 I 1, 2 Nr. 1 StGB in Betracht. Voraussetzung ist, dass der Täter in einen umschlossenen Raum einbricht, einsteigt, mit einem falschen Schlüssel oder einem anderen nicht zur ordnungsgemäßen Öffnung bestimmten Werkzeug eindringt oder sich in dem Raum verborgen hält. Fraglich ist bereits, ob es sich bei dem Fahrzeug um einen umschlossenen Raum handelt. Darunter ist jedes Raumgebilde mit oder ohne Dach zu verstehen, das mindestens auch dazu bestimmt ist, von Menschen betreten zu werden, und das mit mindestens teilweise künstlichen Vorrichtungen umgeben ist, die das Eindringen von Unbefugten abwehren soll.[1]Rengier, BT I, § 3 Rn. 10. Bei Fahrzeugen wird indessen im Hinblick auf die Bestimmung von Menschen betreten zu werden differenziert: Der Insassenraum stellt eine umschlossene Räumlichkeit, der Kofferraum ggf. ein verschlossenes Behältnis i.S.v. § 243 I 2 Nr. 2 dar. [2]Rengier, BT I, § 3 Rn. 10, 23; vgl. auch BGHSt 1, 164; 2, 214; 4, 16. 

Weiterhin ist zu fragen, ob der T eine entsprechende Tathandlung vorgenommen hat. Einbrechen bezeichnet das gewaltsame Öffnen von Umschließungen, die ein tatsächliches Hindernis bilden und insoweit dem Eindringen in den umschlossenen Raum entgegenstehen.[3]Rengier, BT I, § 3 Rn. 13. Einsteigen bedeutet, dass der Täter unter Überwindung von Umschließungen auf einem zum ordnungsgemäßen Eintritt nicht bestimmten Wege in den geschützten Raum gelangt.[4]Rengier, BT I, § 3 Rn. 15. Beides lässt sich im Einsatz des Jammers nicht erblicken. Fraglich ist daher, ob der Jammer ein nicht zur ordnungsgemäßen Öffnung bestimmtes Werkzeug darstellt. Andere nicht zur ordnungsgemäßen Öffnung bestimmte Werkzeuge sind solche, mit denen der Schließmechanismus ähnlich wie mit einem Schlüssel ordnungswidrig in Bewegung gesetzt wird.[5]BGH NStZ 2018, 212. Hier steht jedoch bei einer wortlautorientierten Auslegung entgegen, dass der Jammer nicht zum Öffnen sondern zur Verhinderung des Verschließens benutzt wurde.[6]BGH NStZ 2018, 212. Auch der mittels des Begriffs „anderen“ zum Schlüssel hergestellte Bezug legt eine solch enge Auslegung nahe.[7]Hoven, NStZ 2018, 212.

2. Unbenannt schwerer Fall gem. § 243 I 1 StGB

In Betracht kommt trotz Verneinung des Regelbeispiels die Annahme eines unbenannt schweren Falles. Diese durch die von der Qualifikation abweichende Gesetzestechnik geschaffene Offenheit lässt eine erhöhte Strafzumessung zu, wenn das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem Maße abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist.[8]BGHSt 29, 319, 322. Eine solche Vergleichbarkeit von Unrecht und Schuld liegt hier schon deshalb nahe, weil es von einer rein technischen Zufälligkeit abhängt, ob der Jammer das Verschließen verhindert, oder etwa mittels eines technischen Verstärkers das Öffnungssignal der Fernbedienung „verlängert und ausgelöst“ wird.[9]Hoven, NStZ 2018, 212; vgl. auch Kudlich, JA 2018, 229, 230.

V. Ergebnis

T hat sich gem. §§ 242 I, 243 I 1 StGB strafbar gemacht.


Zusatzfragen

Wie ist der Fall zu beurteilen, wenn der T nicht ein Tablet, sondern eine Kaugummipackung entwendet?
Im Unterschied zum Ausgangsfall handelt es sich bei der Packung Kaugummis um eine geringwertige Sache (Verkehrswert unter 50€[10]Rengier, BT I, § 3 Rn. 40. im Sinne von § 243 II StGB. Die Geringwertigkeitsklausel stellt dabei eine Art Gegenindikation für das erhöhte Ausmaß des Unrechts dar. Problematisch ist es indessen dass nach dem Wortlaut des § 243 II StGB der schwere Fall nur in den benannten Fällen des Satzes 2 ausgeschlossen ist.[11]Zum ausf. Problemdarstellung Jesse, JuS 2011, 313 ff. Nach h.M. handelt es sich dabei um ein gesetzgeberisches Versehen. Danach wäre es widersprüchlich, wenn nur benannte schwere Fälle durch die Gegenindikation auszuschließen wären. Daher sei die Vorschrift entgegen ihrem Wortlaut auch auf Fälle des § 243 I 1 StGB zu erstrecken. Dabei liefe man auch nicht Gefahr gegen das Analogieverbot (Art. 103 II GG) zu verstoßen, da es sich um eine Analogie zu Gunsten des Täters handelt. Die m.M. hält jedoch überzeugende Argumente gegen eine Analogie vor: Sie stützten sich vor allem darauf, dass der Wert des Tatobjektes nicht primäres unrechtsprägendes Element ist, wie auch ein systematischer Vergleich zu § 244 StGB zeigt. Daneben führt sie an, dass die Geringwertigkeitsklausel einem Automatismus vorbeugen solle, einen besonders schweren Fall bei Vorliegen des Regelbeispiels anzunehmen, also die Indizfunktion praktisch zu übergehen. Eine solche Gefahr bestehe bei unbenannt schweren Fällen schon deshalb nicht, da der Rechtsanwender hier alle unrechtsprägenden Elemente miteinbezieht, eben auch den Wert der Sache. Letztlich kommt bei dieser Ansicht die generelle Skepsis zum Ausdruck, die Geringwertigkeit als überwiegend bedeutendes Kriterium zu erfassen.
Wie wäre mit dem Fall umzugehen, wenn der T einen sog. keyless-Diebstahl begangen hätte? Im gerichtlichen Verfahren kann nicht festgestellt werden, ob das Tablet aus dem verschlossenen Kofferraum oder dem Fahrgastinnenraum entnommen wurde.
„Bei einem Keyless Go-System kann der Pkw ohne aktive Benutzung eines Autoschlüssels entriegelt werden – ein Chip sendet hier ein Funksignal an das Fahrzeug, sobald sich der Besitzer dem Pkw nähert. Diebe machen sich diese Technik zunutze, indem sie das Signal des Funkschlüssels durch ein Verstärkergerät verlängern. Auf diese Weise kann ein Fahrzeug auch dann geöffnet werden, wenn es sich mehrere hundert Meter vom Chip entfernt befindet.“[12]Hoven, NStZ 2018, 212.

Hier ist entweder das Regelbeispiel des § 243 I 2 Nr. 1 StGB (Öffnen eines umschlossenen Raumes mit einem anderen nicht zur ordnungsgemäßen Öffnung bestimmten Werkzeugs) oder das des § 243 I 2 Nr. 2 StGB (verschlossenes Behältnis) verwirklicht. Auf den ersten Blick dürfte T nur gem. § 242 I StGB zu verurteilen sein, da in dubio pro reo anzunehmen wäre, dass keines der beiden Regelbeispiele verwirklicht wurde. In Fällen, in denen bei Sachverhaltsunklarheiten nach jeder der möglichen Alternativen eine Strafbarkeit vorliegen würde, ist unter bestimmten Voraussetzungen eine Wahlfeststellung möglich. Auch bei Regelbeispielen lassen sich die Grundsätze fruchtbar machen und eine echte Wahlfeststellung aufgrund der rechtsethischen und psychologischen Vergleichbarkeit der beiden Regelbeispiele annehmen. Zu der Differenzierung von echter und unechter Wahlfeststellung siehe die Zusatzfrage im Fall „Rückgabe von Pfandflaschen“.


Zusammenfassung

1. Beim Einsatz eines Störsenders (sog. Jammer) liegt das Regelbeispiel des § 243 I 2 Nr. 1 StGB nicht vor, da der Passagierraum des Fahrzeugs gar nicht erst verschlossen wird.

2. In solchen Fällen ermöglicht die Regelbeispielstechnik jedoch die Annahme eines unbenannt schweren Falls gem. § 243 I 1 StGB.

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