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Gedopter Boxer
OLG Köln, Beschluss vom 4.4.2019 – 2 Ws 122/19 – JR 2020, 322

Sachverhalt

Profiboxer T tritt im Rahmen eines durch die World Boxing Association organisierten internationalen Boxwettkampf gegen G an. T gewann den Kampf nachdem er G mit seinen Boxhandschuhen mehrere Schläge versetzt hat, die bei G Hämatome verursachen. Im Nachhinein wird bekannt, dass T über einen längeren Zeitraum das Dopingmittel Stanozolol einnimmt, welches das Muskelwachstum fördert und so die Schlaggeschwindigkeit und Maximalkraft des T nachweislich verbessert. Stanozolol ist in der Anlage I des Internationalen Übereinkommens gegen Doping als Dopingmittel aufgeführt. T wusste, dass G wohl nicht gegen ihn angetreten wäre, wenn er von dem Doping gewusst hätte.

Strafbarkeit des T gem. §§ 223 ff. StGB?


Skizze


Gutachten

Anmerkung: Weitere Strafbarkeiten
Die Fallfrage schränkt das Prüfprogramm auf die Körperverletzungsdelikte ein, da sich die Entscheidung vor allem mit diesen Fragestellungen auseinandersetzt. Insbesondere In Konstellationen, in denen ein Preisgeld ausgelobt wird kommen zudem Betrugsstrafbarkeiten zu Lasten des Preisspenders und des Konkurrenten in Betracht. Hier lassen sich viele in der Literatur stark umstrittene Probleme aufwerfen. Zum Beispiel die Frage, ob dem Preisspender überhaupt ein Vermögensschaden entsteht, wenn der gedopte Sportler den Preis erhält. Lässt sich in einem solchen Fall die Zweckverfehlungslehre fruchtbar machen? Und besteht Stoffgleichheit zwischen dem Unterlassen der Geltendmachung des Anspruchs des Zweitplatzierten und dem Bereicherungsgegenstand des Gedopten?

Strafbarkeit gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB

T könnte sich der gefährlichen Körperverletzung gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB zulasten des G strafbar gemacht haben, indem er ihm während des Boxwettkampfes mehrere Schläge versetzte und sich bei G Hämatome bildeten.

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a) Taterfolg

T müsste G körperlich misshandelt oder an der Gesundheit geschädigt haben. Eine körperliche Misshandlung ist jede üble und unangemessene Behandlung, die das körperliche Wohlbefinden eines anderen mehr als nur unerheblich beeinträchtigt.[1]Rengier, Strafrecht Besonderer Teil II, 21. Aufl. 2020, § 13 Rn. 9. Eine Gesundheitsschädigung ist jedes Hervorrufen, Steigern oder Aufrechterhalten eines pathologischen Zustandes.[2]Rengier, Strafrecht Besonderer Teil II, 21. Aufl. 2020, § 13 Rn. 16. Gegen den Körper gerichtete Schläge stellen grundsätzlich eine üble und unangemessene Behandlung dar. Jedenfalls stellen die Hämatome des G einen pathologischen Zustand dar, den T mittels der Boxschläge hervorrief. Daher liegt der Taterfolg vor.

b) Kausale Handlung

Zudem müsste T diese Verletzung kausal verursacht haben. Nach der conditio-sine-qua-non-Formel ist eine Handlung für einen Erfolg kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner tatbestandsmäßigen Gestalt entfiele.[3]Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2019, § 13 Rn. 3. Hier lassen sich die Schläge des T nicht hinwegdenken, ohne dass die Hämatome des G entfallen. Folglich ist die Handlung kausal.

c) Objektive Zurechnung

Der Erfolg müsste T auch objektiv zurechenbar sein. Objektiv zurechenbar ist ein Erfolg dann, wenn der Täter eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen hat, die sich in dem tatbestandlichen Erfolg realisiert hat.[4]Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2019, § 13 Rn. 46. Mit den Boxschlägen gegen G verursachte T die rechtlich missbilligte Gefahr von Hämatomen, Platzwunden, Schädel-Hirn-Traumata etc., die sich in den Hämatomen des G niedergeschlagen hat. Daher ist der Erfolg objektiv zurechenbar.

Anmerkung: Sportrisiken auf Tatbestandsebene
Auch richtig und von der Literatur vermehrt vertreten wäre es, schon auf Tatbestandsebene zu problematisieren, dass beim (Kampf-)sport Verletzungsrisiken in Kauf genommen werden, ja ggf. sogar dem Sport naturgemäß anhaften. Dafür könnte zum einen die Übelkeit und Unangemessenheit der Behandlung in Zweifel gezogen werden. Damit würde eine Restriktion aufgrund der alternativ genügenden Gesundheitsschädigung kaum gelingen. Zum anderen könnte innerhalb der objektiven Zurechnung diskutiert werden, ob es sich um ein erlaubtes Risiko handelt (Risikoschaffung) oder die Eigenverantwortlichkeit des Gegners zurechnungsunterbrechend wirkt (Risikorealisierung).[5]Vgl. zu diesen Literaturansichten Kühl, in: Lackner/Kühl, 29. Aufl. 2018, § 228 Rn. 2a; Sternberg-Lieben/Schuster, in: Schönke/Schröder, 20. Aufl. 2019, § 15 Rn. 214. Im Folgenden wird auf Grundlage der Einwilligungslösung der h.M. insbesondere der Rspr. Weitergeprüft.

Vernetztes Lernen: Beachte, dass sich die Frage, ob Sportrisiken auf Tatbestands- oder Rechtfertigungsebene zu behandeln sind, sich parallel bei der Tatbestandsmäßigkeit des ärztlichen Heileingriffs wiederfindet. Hier wird diskutiert, ob der zu Zwecken der Heilung durchgeführte Eingriff durch die Bejahung des Tatbestands sittlich auf die gleiche Stufe mit dem Angriff eines Messerstechers gestellt werden darf. Für die Einwilligungslösung des BGH spricht jedoch, dass sie dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten durch die Beachtlichkeit von Irrtümern bestmöglich Rechnung trägt.[6]Vgl. ausführlich zu diesem Streit Joecks (Hardtung), in: MüKo-StGB, 3. Aufl. 2017, § 223 Rn. 45 ff.

d) (P) Qualifikation: § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB

Fraglich ist, ob es sich bei den Fäusten oder Boxhandschuhen des T um ein gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB handelt. Ein gefährliches Werkzeug ist jeder körperliche Gegenstand, der nach Art seiner Beschaffenheit und in der konkreten Verwendung dazu geeignet ist mehr als nur unerhebliche Verletzungen hinzuzufügen.[7]Rengier, Strafrecht Besonderer Teil II, 21. Aufl. 2020, § 14 Rn. 27. Bei den Fäusten des T selbst lässt sich zwar annehmen, dass Schläge, die durch diese vermittelt werden im Vergleich zu solchen von wenig Kampfsporterfahrenen von anderer Stärke und Geschwindigkeit, mithin gefährlicher sind. Im Hinblick auf die Wortlautgrenze (Art. 103 II GG) bereitet es jedoch erhebliche Bedenken Körperteile von Kampfsportlern als „körperliche Gegenstände“ zu verstehen. Systematisch ließe sich in extremen Fällen auch auf § 224 I Nr. 5 StGB verweisen.[8]Rengier, Strafrecht Besonderer Teil II, 21. Aufl. 2020, § 14 Rn. 36.

Bei den in Einsatz gebrachten Boxhandschuhen handelt es sich zwar um körperliche Gegenstände, jedoch ist fraglich, ob sie die Gefährlichkeit eines Schlages erhöhen. Insofern lässt sich auf der einen Seite sagen, dass das zusätzliche Gewicht der Boxhandschuhe die Kraftwirkung des Schlages erhöhen dürfte. Auf der anderen Seite vergrößert der Handschuh die Kontaktfläche und verringert so das Risiko punktueller Verletzungen (z.B. sog. Cuts).[9]Lorenz/Bade JR 2020, 322, 327. Es kann zumindest bedacht werden, dass es sich bei den Boxhandschuhen um „bestimmungsgemäß zum Einsatz gebrachte Sportgeräte“[10]OLG Köln BeckRS 2019, 5525, Rn. 36. handelt und sie daher nicht als „Angriffswerkzeug“ verwendet werden. Eine solche Bewertung setzt sich aber dem Vorwurf der Widersprüchlichkeit aus: Denn auch die Schläge innerhalb des Boxkampfes werden „bestimmungsgemäß“ ausgeführt, sollen aber nach der Einwilligungslösung dennoch tatbestandsmäßig sein. Daher kann konsequenterweise nichts anderes für die Qualifikation als gefährliches Werkzeug gelten.[11]Lorenz/Bade JR 2020, 322, 327. Von diesem Argument unabhängig lässt sich letztlich aber sagen, dass trotz des erhöhten Gewichts den Handschuhen eher eine verletzungsvermindernde Wirkung zukommen soll. Folglich liegt keine Verletzung mittels eines gefährlichen Werkzeuges vor.

Vernetztes Lernen: Skalpell als gefährliches Werkzeug beim ärztlichen Heileingriff?
Eine ähnliche Argumentation und ein mit ihr verbundener Wertungswiderspruch findet sich bei der Frage des ärztlichen Heileingriffs. Eigentlich handelt es sich bei dem Skalpell um einen körperlichen Gegenstand, der geeignet ist durch das Schneiden erheblichste Verletzungen zuzufügen. Jedoch verneint die h.M. das Vorliegen des Qualifikationsmerkmals, wenn das Skalpell im Rahmen eines ärztlichen Heileingriffes zum Angriffs- oder Verteidigungszweck verwendet wird.[12]Krit. m.w.N. zu der h.M. Eschelbach, in: BeckOK-StGB, 46. Ed. 2020, § 224 Rn. 28 ff. Auch hier lässt sich Kritik üben: Der Heileingriff selbst soll nach h.M. tatbestandsmäßig sein, obwohl er zum Besten des Patienten vorgenommen wird. Das Skalpell soll aber aus diesem Grund kein gefährliches Werkzeug sein.
e) Zwischenergebnis

Der objektive Tatbestand des § 223 I StGB ist erfüllt.

2. Subjektiver Tatbestand

T müsste auch mit Vorsatz gehandelt haben. Vorsatz ist der Wille zur Tatbestandsverwirklichung in Kenntnis aller wesentlicher Tatumstände zum Zeitpunkt der Tat.[13]Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2019, § 14 Rn. 5. Hier wollte T dem G, schon des Siegens wegen, Schläge versetzen. Er handelte mithin vorsätzlich.

II. Rechtswidrigkeit

T könnte jedoch durch eine rechtfertigende Einwilligung des G gerechtfertigt handeln.

1. Disponibilität des Rechtsguts

Zunächst müsste es sich bei der körperlichen Unversehrtheit um ein disponibles Rechtsgut handeln. Disponibel sind grundsätzlich alle Individualrechtsgüter, mit Ausnahme des Lebens (vgl. § 216 StGB).[14]Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2019, § 23 Rn. 9. Daher ist die körperliche Unversehrtheit disponibel.

2. Einwilligungsfähigkeit

G müsste auch einwilligungsfähig sein. Einwilligungsfähig ist, wer nach seiner geistigen und sittlichen Reife im Stande ist Wesen, Bedeutung und Tragweite des fraglichen Eingriffs zu erkennen und zu beurteilen. Je gewichtiger der Eingriff ist, desto höhere Anforderungen werden an diese Einsichtsfähigkeit gestellt.[15]Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2019, § 23 Rn. 15. Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, aus denen sich für den Volljährigen G ergeben könnte, dass er nicht hinreichend einsichtsfähig ist. Daher ist die Einwilligungsfähigkeit zu bejahen.

Vernetztes Lernen: Sind Minderjährige einwilligungsfähig?
Die Einwilligungsfähigkeit richtet sich nicht nach bestimmten Altersgrenzen, die etwa für die zivilrechtliche Geschäftsfähigkeit gelten. Vielmehr kommt es entsprechend der tatsächlichen Entwicklung des Minderjährigen auf seine Einsichtsfähigkeit an. Hier gilt insbesondere: Je gewichtiger der Eingriff, desto weniger ist davon auszugehen, dass der Minderjährige die notwendige Einsichtsfähigkeit besitzt.[16]Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2019, § 23 Rn. 25 f.

3. Einwilligungserklärung

Es müsste eine Einwilligungserklärung vorliegen. Die Einwilligung muss nach außen kundgetan werden, was durch ausdrückliche oder konkludente Erklärung vor der Tat geschehen kann.[17]Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2019, § 23 Rn. 21 f. Der G hat zumindest konkludent durch die Teilnahme an dem Boxkampf erklärt, dass er einwillige gegnerische Schläge „einzustecken“. Daher liegt eine Einwilligungserklärung vor.

4. (P) Keine Sittenwidrigkeit, § 228 StGB

Gem. § 228 StGB besteht die Grenze der Einwilligung in eine Körperverletzung dort, wo sie gegen die guten Sitten, also gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden verstößt.[18]BGHSt 49, 34, 41; Rengier, Strafrecht Besonderer Teil II, 21. Aufl. 2020, § 20 Rn. 3. Dabei soll es nicht auf die sittlich verwerflichen Motive der Tat, sondern in erster Linie auf das Gewicht des tatbestandlichen Rechtsgutsangriffs und dem damit verbundenen Umfang der drohenden Verletzung des Opfers ankommen.[19]Rengier, Strafrecht Besonderer Teil II, 21. Aufl. 2020, § 20 Rn. 4. Daher sind grundsätzlich dort Grenzen zu ziehen, wo die Körperverletzung die konkrete Gefahr des Todes oder einer schweren Folge i.S.d § 226 StGB nach sich zieht.[20]Fischer, 67. Aufl. 2020, § 228 Rn. 23a; Rengier, Strafrecht Besonderer Teil II, 21. Aufl. 2020, § 20 Rn. 4 f. Bei Boxkämpfen kommt es trotz umfangreichen Regelwerks häufig zu gravierenden Verletzungen der Sportler. Dennoch führt dieses Risiko nicht zu einer Sittenwidrigkeit jeder Körperverletzung im Rahmen eines Sportkampfes. Dies wird damit begründet, dass der Sport als gesellschaftlich anerkannter Zweck dieser Gefährdung gesehen wird.[21]Vgl. BGH NJW 2015, 1540, 1542; Lorenz/Bade JR 2020, 322, 326.

Nun ließe sich anführen, dass das – möchte man es grundsätzlich annehmen – nur dann gelte, wenn der Sport auch regelkonform betrieben werde. Man könnte dann eine Sittenwidrigkeit versuchen auf zwei Wegen zu begründen: 

Erstens indem man annimmt, der Sport und damit das Verletzungsrisiko verliere seine gesellschaftliche Anerkennung durch das regelwidrige Dopen. Dies führte aber zu einer Beachtlichkeit des AntiDopG für die Sittenwidrigkeit durch die Hintertür: Anknüpfungspunkt der Sittenwidrigkeit soll nämlich nicht das Allgemeinrechtsgut der „Integrität des Sportes“ sein, sondern vielmehr die körperliche Unversehrtheit des Einwilligenden. Möchte man also den Sport als Grund sehen, mehr als sonst erhebliche Gefährdungen zuzulassen, ist Vorsicht bei einer solchen Einschränkung Vorsicht geboten: Denn unabhängig von den faktischen Auswirkungen auf den Kampf „saubere Schläge“ als gerechtfertigt „dreckige Schläge“ gedopter Boxer als rechtswidrig einzustufen, führte zurück auf die Anknüpfung des § 228 StGB an die Motive des Täters. 

Zweitens ließe sich aber an das Rechtsgut Körper anknüpfen und anführen, dass Stanozolol die Schlagkraft und damit das Risiko erheblicherer Verletzungen erhöht. Zweifelhaft ist indessen, ob  der Gewinn an Schlaggeschwindigkeit und -kraft es vermag, den (verfälschten) Boxkampf auf eine Stufe mit einer regelfreien Schlägerei zu heben.[22]Vgl. insofern auch BGHSt 58, 140, 143 ff. Daher ist die Einwilligung auch nicht gem. § 228 StGB unwirksam.

5. (P) Keine Willensmängel

Fraglich ist, ob die Einwilligung des G an Willensmängeln leidet. In Betracht kommt insofern ein Irrtum des G darüber, dass der T ohne gedopt zu sein, also regelkonform an dem Boxkampf teilnimmt. Insofern ist umstritten, ob (täuschungsbedingte) Irrtümer eine bestimmte Qualität aufweisen müssen, um die Unwirksamkeit der Einwilligung bewirken zu können. Nach der engsten Ansicht sind nur solche Fehlvorstellungen relevant, die rechtsgutsbezogen sind, also Art, Umfang, Schwere oder Risiken des Eingriffs betreffen.[23]Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 8. Aufl. 2017, § 9 Rn. 37 m.w.N für diese Ansicht. Nach der weitesten Auffassung, soll jeder (wesentliche) Irrtum, also auch ein solcher über Zweck, Motiv und Begleitumstände, zur Unwirksamkeit der Einwilligung führen können.[24]Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2019, § 23 Rn. 25, 35 m.w.N für diese Ansicht. Nach einer vermittelnden Ansicht sollen Motivirrtümer dann beachtlich sein, wenn sie derart gravierend sind, dass von einer freiwilligen Preisgabe der Rechtsgüter nicht mehr zu sprechen ist und die Täuschung einer Drohung gleichkommt.[25]So auch Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 8. Aufl. 2017, § 9 Rn. 39 m.w.N für diese Ansicht; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, 20. Aufl. 2019, Vor §§ 32 ff. Rn. 47. Klassisches Beispiel ist die Hornhautspende einer Mutter, in dem glauben, dass diese für die Tochter benötigt werde.[26]Beispiel bei Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil I, § 13 Rn. 104.

Jedenfalls erliegt der G täuschungsbedingt einem Irrtum darüber, dass der Boxkampf regelkonform abläuft. Es ließe sich auch sagen, dass er einem Irrtum über seine Gewinnchancen erliegt, wenn er davon ausgeht gegen einen ungedopten Boxer anzutreten. Fraglich ist jedoch, ob er auch einem rechtsgutsrelvanten Irrtum i.S.d. engsten Auffassung unterliegt. Dafür spricht, dass bei dopingbedingten Steigerung der Schlagkraft- und geschwindigkeit stärkere Verletzungen drohen, der G also über die Tragweite der Preisgabe seines Rechtsgutes irrt. Dagegen spricht, dass es in der Natur des Sportwettkampfes liegt, keinen Einblick in den Trainingsstand oder auch Tagesverfassung des Gegners zu haben. Mit schwankenden und nicht vorhersehbaren Leistungen des Gegenübers dürfte stets zu rechnen sein.[27]Lorenz/Bade JR 2020, 322, 326. Ob das Doping im vorliegenden Fall einen qualitativ über diese zu erwartenden Schwankungen hinausgehenden Einfluss auf die Schwere der möglichen Körperverletzungen hat ist zu bezweifeln.

Daher ist ein Streitentscheid erforderlich. Für die Begrenzung auf rechtsgutsbezogene Irrtümer wird angeführt, dass bei einer Beachtlichkeit des Autonomiemangels der Schutzzweckzusammenhang zum Delikt aufgelöst zu werden droht.[28]Vgl. dazu Paeffgen/Zabel, in: NK-StGB, 5. Aufl. 2017, § 228 Rn. 26 f. Hier: Die §§ 223 ff. StGB sollen gerade die körperliche Unversehrtheit und nicht das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen schützen. Noch deutlicher macht es ein abgewandeltes Beispiel: G lässt sich 500 € für das „Einstecken“ eines herben Kinnhakens versprechen, obwohl T von Anfang an nicht vor hatte, nach dem „Austeilen“ dementsprechend zu zahlen. Sollte dieser Motivirrtum als beachtlich bewertet werden, würde das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit durch das des Vermögens ausgetauscht werden; dafür verbliebe aber schließlich eine Strafbarkeit nach § 263 StGB.[29]Vgl. Nachweise bei Paeffgen/Zabel, in: NK-StGB, 5. Aufl. 2017, § 228 Rn. 26 f. Gegen dieses Argument und für die weitere Auffassung lässt sich jedoch anführen, dass ein Schutz des Selbstbestimmungsrechts nicht völlig ohne derartige Betrachtungen auskommt. Dieses Recht umfasse nämlich auch, die Preisgabe eines Rechtsguts mit bestimmten Zwecken zu verbinden.[30]Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2019, § 23 Rn. 32; auch Paeffgen/Zabel, in: NK-StGB, 5. Aufl. 2017, § 228 Rn. 27 m.w.N. Aus diesem Grund wird hier der weitesten Theorie gefolgt. 

Dass der Motivirrtum für die Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes nicht völlig unwesentlich wird, lässt sich wohl schon damit begründen können, dass eher kein Kampfsportler sich auf den Wettkampf mit einem regelwidrig dopenden Mitstreiter einlassen wird. Es handelt sich nicht um eine völlig zu vernachlässigende Interessenposition, wie im klassischen Beispiel der Blutspende im irrigen Glauben, der Nachbar hätte auch gespendet. Normativ verdeutlicht das schon die Existenz des AntiDopG. Daher handelt es sich um einen beachtlichen Motivirrtum und die Einwilligung ist unwirksam. (a.A. ebenso vertretbar)[31]So mit einfachem Verweis darauf, dass der Umfang der Einwilligung nur regelkonformes Verhalten umfasst OLG Köln BeckRS 2019, 5525, Rn. 35; krit. Lorenz/Bade JR 2020, 322, 326.

6. Zwischenergebnis

T handelt rechtswidrig.

III. Schuld

Schuldausschließungs- oder Entschuldigungsgründe sind nicht ersichtlich. Daher handelt T auch schuldhaft.

IV. Ergebnis

T ist gem. § 223 I StGB strafbar. (a.E. ebenso vertretbar)


Zusatzfragen

Welche Strafbarkeit kommt für T in Frage, wenn der Coach des T in zur Einnahme des Mittels angestiftet hat?
Fraglich ist, ob sich T gem. §§ 223, 224 I Nr. 4 StGB strafbar macht, wenn er von seinem Coach angestiftet wurde zu dopen. Eine Körperverletzung wird gemeinschaftlich begangen, wenn mindestens zwei Personen einverständlich zusammenwirken.[32]Rengier, Strafrecht Besonderer Teil II, 21. Aufl. 2020, § 14 Rn. 46. Hier ergeben sich sodann zwei Fragen: Erstens ist zu klären, ob die gemeinschaftliche Begehung jeweils täterschaftlich zu erfolgen hat. Dafür könnte zunächst der Wortlaut „gemeinschaftlich“ sprechen, der gesetzlich ebenso für die Mittäterschaft gem. § 25 II StGB vorgesehen ist. Dagegen spricht indessen, dass § 28 II StGB den Begriff „Beteiligte“ unter Berücksichtigung von Tätern und Teilnehmern fasst. Auch bei teleologischer Auslegung mit Blick auf die erhöhte Gefährdung durch Konfrontation mit mehreren ergibt sich keine Notwendigkeit der Beschränkung auf Täter.[33]Rengier, Strafrecht Besonderer Teil II, 21. Aufl. 2020, § 14 Rn. 47.
Zweitens ist im Hinblick auf den Telos der Norm, also die erhöhte Gefährlichkeit für die körperliche Unversehrtheit des Tatopfers einschränkend zu fordern, dass das Opfer den Personen im Tatortbereich unmittelbar gegenübersteht. Unbeachtlich ist, ob das Opfer die Beteiligten allesamt wahrnimmt, denn es kommt allein auf die Erhöhung der Angriffsintensität und die Schwächung der Verteidigungsmöglichkeit an.[34]Rengier, Strafrecht Besonderer Teil II, 21. Aufl. 2020, § 14 Rn. 46. Zwar könnte die Teilnahme des Coaches als Anstifter gem. § 26 StGB grundsätzlich zu einer Qualifikation gem. § 224 I Nr. 4 StGB führen, jedoch war er am Tatort, also dem Ringkampf nicht aktiv beteiligt. G sah sich also auch bei objektiver Betrachtung nicht mit dem Verhalten mehrerer konfrontiert. Folglich ist die Körperverletzung des T nicht nach § 224 I Nr. 4 StGB qualifiziert.
Was sind Unterschiede eines Einverständnisses und einer Einwilligung?
Ein Einverständnis wirkt tatbestandsausschließend, während die Einwilligung rechtfertigende Wirkung entfaltet. Ein Einverständnis kommt nur bei solchen Delikten in Betracht, bei denen sich die Strafwürdigkeit eines Verhaltens erst dadurch ergibt, dass es ohne den Willen des Verletzten vorgenommen wird. So ist das Betreten von Räumlichkeiten anderer oder die Ansichnahme von Gegenständen per se nicht straflos. Erst durch den fehlenden Willen des Berechtigten ergibt sich eine Tatbestandsmäßigkeit nach § 123 StGB oder § 242 StGB.[35]Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2019, § 23 Rn. 4. Ein Einverständnis kommt dort nicht in Betracht, wo es auf den Willen des Verletzten nicht ankommt, so zum Beispiel bei der Körperverletzung (umstritten beim ärztlichen Heileingriff[36]Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2019, § 23 Rn. 3.). In all diesen Fällen kommt jedoch eine rechtfertigende Einwilligung des individuell Verletzten in Betracht (Ausnahme Leben, § 216 StGB). Ein wesentlicher Unterschied zur Einwilligung besteht bei dem Einverständnis in seiner faktischen Natur. Daher sind täuschungsbedingte Willensmängel (anders als nötigungsbedingte Willensmängel) im Rahmen des Einverständnisses weniger beachtlich. Das zeigt sich bei dem Verhältnis von Diebstahl und Betrug anschaulich: Wer täuschungsbedingt eine fremde Sache erlangt, nimmt sie nicht gem. § 242 StGB weg, sondern begeht u.U. einen Betrug gem. § 263 StGB. Gerade das ist Charakter des Betruges.[37]Vgl. dazu auch Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2019, § 23 Rn. 40 ff.
Wie wirken sich Irrtumskonstellationen bei dem Einverständnis / der Einwilligung aus?
Täter geht irrig vom Vorliegen eines Einverständnisses / einer Einwilligung aus:
Einverständnis – kein Vorsatz (§ 16 StGB)
Einwilligung – Erlaubnistatbestandsirrtum

Täter hat keine Kenntnis vom Vorliegen eines Einverständnisses / einer Einwilligung:
Einverständnis – Versuchsstrafbarkeit
Einwilligung – Fehlen des subjektiven Rechtfertigungselements (Rechtsfolge: h.M.: Versuchslösung; m.M.: Vollendungsstrafbarkeit)[38]Vgl. hierzu Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2019, § 17 Rn. 13 ff.


Zusammenfassung

1. Eine etwaige Straflosigkeit von Körperverletzungen innerhalb eines (Kampf-)sportes ist nach (noch) h.M. nicht auf Tatbestandsebene, sondern ggf. durch eine rechtfertigende Einwilligung zu erreichen.

2. § 228 StGB markiert die Grenze der Disponibilität der körperlichen Unversehrtheit bei der sittenwidrigen Körperverletzung. Die Sittenwidrigkeit hat sich in erster Linie an der konkreten Gefährlichkeit der Tat zu orientieren. Regelwidriges Doping kann eine Sittenwidrigkeit dann nicht begründen, wenn die tatsächliche Gefährlichkeit für Leib und Leben nicht entsprechend steigt. (a.A. wohl vertretbar)

3. Im Rahmen der Einwilligung wird diskutiert, ob nur rechtsgutsbezogene Irrtümer zu beachtlichen Willensmängeln führen können. Ob es sich indessen bei dem Irrtum über den gedopten Zustand des Gegenübers um einen Irrtum bzgl. der Tragweite der möglichen Verletzungen für Leib und Leben handelt ist zu bezweifeln.

4. Nach dem OLG Köln können Boxhandschuhe schon kein gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB darstellen, da es sich um „bestimmungsgemäß in Einsatz gebrachte Sportgeräte“ handele. Das darf in einer Klausur kritisch zu gesehen werden: Wenn der „bestimmungsgemäße“ Schlag des Boxers tatbestandsmäßig sein soll, warum dann nicht auch der Einsatz eines Boxhandschuhs, sofern man ihm eine die Gefährlichkeit steigernde Wirkung zumisst?

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