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Widerruf eines Verwaltungsaktes - Zweckverfehlung und Widerrufsfrist

BVerwG, Urteil vom 25.05.2022 – 8 C 11.21; BVerwG, NVwZ 2022, 1912

Sachverhalt

(abgewandelt und gekürzt)

Die Behörde B unterstützt Unternehmen bei der Schaffung betrieblicher Ausbildungsplätze durch Übernahme der Ausbildungsinhalte, die diese nicht selbst anbieten können (überbetriebliche Ausbildung). Das Land N gewährte aufgrund einer Richtlinie vom 27. Juni 2015 Zuwendungen zur Förderung der Bereitstellung betrieblicher Ausbildungsplätze in einem Ausbildungsverbund im Jahr 2015. Die Zuwendung betrug 150 € je Teilnehmer/Woche für maximal 30 Wochen und sollte der Deckung der Personal- und Sachausgaben des am Verbund beteiligten Bildungsdienstleisters/Leitbetriebes dienen.

Mit Bescheid vom 29. Juli 2015 gewährte die B der U Zuwendungen in Höhe von 31 500 € für Personal- und Sachausgaben in den überbetrieblichen Phasen der Ausbildung von sieben in dem Bescheid näher bezeichneten Ausbildungsverhältnissen. Am 31. August 2016 übersandte die U den Verwendungsnachweis nebst Ausgabenbelegen und Teilnehmerlisten. Auf Nachfrage der B vom 15. Dezember 2016 teilte sie am 20. Dezember 2016 mit, ein Auszubildender habe an acht Wochen der angebotenen Lehrgänge nicht teilgenommen, weil er von seinem Ausbildungsbetrieb nicht freigestellt worden sei. Die B verfasste noch 2016 einen Prüfvermerk zum Verwendungsnachweis, in dem ausgeführt wird, die acht Fehlwochen könnten nach der Förderpraxis nicht als förderfähig anerkannt werden.

Am 3. September 2018 hörte die B die U zum Widerruf der ihr gewährten Zuwendung in Höhe von 1 200 € an. Mit Bescheid vom 16. Dezember 2018 widerrief die B seinen Zuwendungsbescheid hinsichtlich des 30 300 € übersteigenden Zuwendungsbetrages. Zur Begründung verwies sie auf die genannten Fehlzeiten eines der geförderten Auszubildenden. Den fristgerechten Widerspruch der U wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 2018 zurück.

U wendet ein, dass bei Erlass des Teilwiderrufs die Frist bereits abgelaufen gewesen sei. Vorliegend habe die maßgebliche Entscheidungsreife bereits im Jahr 2016 bestanden. Im Dezember 2016 habe die U den Grund für die Fehlzeiten mitgeteilt und eine Korrespondenz darüber habe stattgefunden. In der Anlage zu dem der U übermittelten Prüfvermerk sei der Erlass eines Teilwiderrufs angekündigt worden. Eine weitere Anhörung sei nicht erforderlich gewesen. Diesem Ergebnis stehe nicht entgegen, dass die B über die Frage des Widerrufs erst habe entscheiden wollen, wenn auch die Überprüfung der Förderung der Sachleistungen abgeschlossen gewesen sei, weil es sich bei der Zuwendung um eine teilbare Leistung handele. Zudem wäre keine Zweckverfehlung eingetreten. Die Fehlzeiten stehen nicht in Verbindung mit der Bereitstellung des Arbeitsplatzes. Etwas anderes ist auch nicht im Zuwendungsbescheid oder der Zuwendungsrichtlinie geregelt.

Dem entgegnet die B die Jahresfrist habe nicht schon mit der Anfrage an die U und ihrer Antwort (jeweils im Dezember 2017) oder der Erstellung des Prüfvermerks zum Verwendungsnachweis, sondern erst mit der Anhörung der U im Jahr 2018 zu laufen begonnen. Der Zuwendungszweck ergebe sich zudem aus der Förderpraxis. Daraufhin erhebt die U Klage gegen den Widerruf vor dem zuständigen Verwaltungsgericht.

Ist die zulässige Klage gegen den Widerrufsbescheid begründet?

Vermerk: Auf alle Rechtsprobleme ist einzugehen.


Skizze


Gutachten

Die Klage der U müsste begründet sein.

A. Ermächtigungsgrundlage

Ermächtigungsgrundlage für den Widerruf ist § 49 III 1 Nr. 1 VwVfG.

B. Formelle Rechtsmäßigkeit

Gegen die formelle Rechtmäßigkeit bestehen keine Bedenken.

C. Materielle Rechtmäßigkeit

I. Tatbestandsvoraussetzung

Die Voraussetzungen für den Widerruf müssen vorliegen.

1. Widerrufsgrund

Der Widerruf könnte sich aus § 49 III 1 Nr. 1 VwVfG ergeben. Diese Norm ermächtigt zum Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsakts, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung zur Erfüllung eines bestimmten Zwecks gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, wenn die Leistung nicht alsbald nach der Erbringung oder nicht mehr für den in dem Verwaltungsakt bestimmten Zweck verwendet wird. Entscheidend ist, dass der Zweck hinreichend bestimmt und klar ersichtlich ist.[1]BVerwG, NVwZ 2022, 1912 Rn. 13f.

Vernetztes Lernen: Anwendbarkeit des Widerrufs auf rechtswidrige Verwaltungsakte

Der Widerruf nach § 49 VwVfG setzt grundsätzlich einen rechtmäßig ergangenen Verwaltungsakt voraus. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes ist die geltende Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses. Sollte die Rücknahme nicht möglich sein, stellt sich die Frage, ob ein rechtswidriger Verwaltungsakt nach den Voraussetzungen des § 49 VwVfG widerrufen werden kann. Eine Ansicht verneint dies. Für eine analoge Anwendung fehle es an einer vergleichbaren Interessenlage. Für das Ermessen seien andere Erwägungen bei rechtmäßigen und rechtswidrigen Verwaltungsakten entscheidend. Die herrschende Meinung begründet eine analoge Anwendung in Ausnahmefällen mit einem Erst-Recht-Schluss. Wenn bereits ein rechtmäßiger Verwaltungsakt aufgehoben werden darf, dann muss dies erst recht für einen rechtswidrigen Verwaltungsakt gelten.[2]Abel, in: BeckOK VwVfG, 58. Ed. 1.10.2022, VwVfG § 49 Rn. 1f.

Zunächst kommt als Zweckverfehlung die Nichtteilnahme eines von dem Betrieb nicht freigestellten Auszubildenden an der geförderten und von der U angebotenen Ausbildung in Betracht. Dies lässt sich aber weder aus dem Zuwendungsbescheid noch aus der von ihm in Bezug genommenen Förderrichtlinie herleiten. Die Zweckbestimmung wurde allein aus einer nach Auffassung der Beteiligten bestehenden Förderpraxis abgeleitet. Explizit wird in der Richtlinie nur von der „Bereitstellung betrieblicher Ausbildungsplätze in einem Ausbildungsverbund“ geredet. Was unter Bereitstellung zu verstehen ist wird nicht weiter ausgeführt. Gängig wird das Kriterium erfüllt sein, wenn der Auszubildende den Ausbildungsplatz nutzen kann. Dieser Zweck wird nicht dadurch verfehlt, dass ein Auszubildender mangels Freistellung durch seinen Betrieb an Teilen der bereitgestellten überbetrieblichen Ausbildung nicht teilnehmen konnte.[3]BVerwG, NVwZ 2022, 1912 Rn. 14. Insofern ist schon der Zweck der Förderung nicht verfehlt. Somit ist kein Widerrufsgrund gegeben.

2. Widerrufsfrist

Der Widerruf könnte zudem verfristet sein. § 49 II VwVfG verweist für die einzuhaltende Frist auf die Fristenregelung des § 48 IV VwVfG für die Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte. Demnach beträgt die Frist ein Jahr ab dem Zeitpunkt, in dem die Behörde Kenntnis von Tatsachen erlangte, denen es für den Widerruf eines Verwaltungsaktes bedürfte. Die Regelung dient der Rechtssicherheit, in dem Vertrauen auf das Bestehen des Verwaltungsaktes bzw. Gewissheit in Bezug auf die Rücknahme entstehen kann. Nach dem Ablauf der Jahresfrist tritt somit die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung hinter der Rechtssicherheit zurück.[4]J. Müller, in: BeckOK VwVfG, 58. Ed. 1.10.2022, VwVfG § 48 Rn. 103. Entscheidend ist hier der Zeitpunkt des Fristbeginns. Dieser kann auf diverse Punkte gestützt werden. Maßgeblich hängt der in Betracht kommende Zeitpunkt davon ab, wie der Fristbeginn rechtlich zu bewerten ist.

Vernetztes Lernen: Fristbeginn bei Rechtsanwendungsfehlern

Ein ebenfalls beliebtes Klausurproblem sind die Auswirkungen auf die Frist bei sog. Rechtsanwendungsfehlern. In diesen Konstellationen erhält die Behörde nicht nachträglich Kenntnis von Tatsachen, sondern begeht einen Rechtsanwendungsfehler, welchen die Behörde zu einem späteren Zeitpunkt erkennt. Dabei betont immer wieder die höchstrichterliche Rechtsprechung, dass der § 48 IV VwVfG nicht zwischen „Tatsachenirrtum“ und „Rechtsirrtum“ unterscheide.[5]Schoch, in: Schoch/Schneider, 3. EL August 2022, VwVfG § 48 Rn. 240.
Oftmals sei nur schwer festzustellen, ob die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes auf unzutreffenden Feststellungen oder auf der unrichtigen Würdigung des entscheidungserheblichen Sachverhalts beruhe. Selbst wenn eine Unterscheidung möglich ist, lässt der Wortlaut des § 48 IV VwVfG keine hinreichende Differenzierung der Fälle zu.[6]J. Müller, in: BeckOK VwVfG, 58. Ed. 1.10.2022, VwVfG § 48 Rn. 108. Demnach ist die Frist auch bei Rechtanwendungsfehlern anzuwenden.

a) Reine Bearbeitungsfrist

Nach einer Ansicht ist die Jahresfrist als reine Bearbeitungsfrist zu verstehen. Demnach beginnt die Frist mit Kenntnis der Rechtswidrigkeit zu laufen.[7]Schoch, in: Schoch/Schneider, 3. EL August 2022, VwVfG § 48 Rn. 247. Im Dezember 2016 hat die U den Grund für die Fehlzeiten mitgeteilt. In dem U übermittelten Prüfvermerk der B ist der Erlass eines Teilwiderrufs angekündigt worden. Damit wäre die Bearbeitungsfrist für die Behörde in Gang gesetzt wurden und ein Widerruf erst im Jahre 2018 verfristet gewesen.

b) Entscheidungsfrist

Nach der zweiten Ansicht beginnt die Frist erst mit der Entscheidungsreife zu laufen. Demnach reicht die Kenntnis über die Tatsachen nicht aus, sondern die Behörde muss Kenntnis über alle für ihre Entscheidung erheblichen Tatsachen erlangt haben und auf dieser Grundlage zu der rechtlichen Erkenntnis gelangt sein, dass ihr die Rücknahmebefugnis zusteht.[8]J. Müller, in: BeckOK VwVfG, 58. Ed. 1.10.2022, VwVfG § 48 Rn. 108.. Ab diesem Zeitpunkt hat die Behörde ein Jahr Zeit die Entscheidung über den Widerruf zu erklären. In Betracht kommt für die Entscheidungsreife ebenfalls die Korrespondenz mit der U, die Erstellung des Prüfvermerks zum Verwendungsnachweis oder die Anhörung im Jahr 2018.

aa) Teilbare Leistung

Zunächst ist zu entscheiden, ob die Jahresfrist bei teilbaren Bescheiden hinsichtlich ein- und denselben Widerrufsgrundes für jeden rechtlich selbständig beurteilbaren Teil des Bescheides gesondert läuft. Entscheidend ist auch hier die vollständige Entscheidungsreife. Erlaubt die bisherige Tatsachenkenntnis der Behörde ihr erst hinsichtlich eines Teils des Bescheides eine Prüfung, ob der jeweilige Widerrufsgrund vorliegt, beginnt die Jahresfrist hinsichtlich dieses Widerrufsgrundes noch nicht zu laufen. Der Fristbeginn setzt insgesamt voraus, dass die Behörde Kenntnis aller erforderlichen Tatsachen hat, um das Vorliegen des betreffenden Widerrufsgrundes für den gesamten Bescheid zu prüfen.[9]BVerwG, NVwZ 2022, 1912 Rn. 10.

bb) Anhörung und Entscheidungsreife

Dabei ist zu beachten, dass eine Anhörung selbst die Frist noch nicht in Lauf setzt. Erst mit einer dezidierten Stellungnahme des Betroffenen erhält die Behörde Kenntnis von den Umständen, die gegebenenfalls bei ihrer Ermessensausübung zu berücksichtigen sind. Somit ist nicht nach jeder Art der Stellungnahme des Adressaten von einer Entscheidungsreife auszugehen. Veranlasst z.B. die Stellungnahme des Betroffenen die Behörde zu weiterer Sachaufklärung, so läuft die Frist erst mit deren Abschluss und gegebenenfalls einer erneuten Anhörung.[10] vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Januar 2019 – 10 C 5.17 – Rn. 32.

Die Übermittlung des Prüfvermerks erfüllt diese Anforderungen nicht. Dem Prüfvermerk kann allenfalls entnommen werden, dass der verfahrensgegenständliche Teilwiderruf erwogen wird und erfolgen sollte. Gelegenheit zur Stellungnahme räumte er nicht ein. Vielmehr ist daher für den Fristbeginn im Rahmen der Entscheidungsfrist auf die ausführliche Anhörung im Jahr 2018 abzustellen.

Anmerkung: Auswirkungen auf die Auslegung der Entscheidungsfrist

Die Entscheidung zeigt, dass auch bei besonderen Fallkonstellationen der Fristbeginn zugunsten der Behörde ausgelegt wird.[11]so auch Hebeler, JA 2023, 175, 176. Entscheidend ist also die vollständige Entscheidungsreife.

c) Stellungnahme

Gegen die Auslegung des § 48 IV VwVfG als Entscheidungsfrist wird zwar eingewendet, dass die Behörde durch neue Ermittlungen die Frist immer wieder erneut in Gang setzen kann. Jedoch steht der Widerruf im Ermessen der Behörde. Insofern ist es aus Gründen der Rechtssicherheit geboten, der Behörde auch die Möglichkeit zu geben über alle den Widerruf betreffenden Tatsachen Entscheidungsreife zu erlangen. Gestützt wird dies auch vom Wortlaut, der von Kenntnis „rechtfertigender“ Tatsachen spricht.[12]Speyer, JA 2017, 838, 839. Insbesondere bei komplexen Sachverhalten wird unter der Bearbeitungsfrist keine sachgerechte Entscheidung möglich sein.

Vernetztes Lernen: Wie ist die Frist bei Rückforderungen der Behörde zu beurteilen?

Unter welchen Voraussetzungen der Erstattungsanspruch nach § 49a I 1 VwVfG verjährt, ist im Verwaltungsverfahrensgesetz nicht geregelt worden. Auch wurde durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz nicht ausdrücklich geregelt welche Voraussetzungen für die Verjährung öffentlich-rechtlicher Erstattungsansprüche gelten. Fehlen einschlägige öffentlich-rechtliche Spezialregelungen, ist im Wege der Analogie nach dem Gesamtzusammenhang der für den jeweiligen Anspruch maßgebenden Rechtsvorschriften und der Interessenlage zu beurteilen, welche Verjährungsregelung als die „sachnächste“ heranzuziehen ist.[13]BVerwG, NVwZ 2017, 969 Rn. 18.

Analoge Anwendung der §§ 195, 199 BGB n.F.
Nach der Gegenansicht findet für den Erstattungsanspruch nach § 49a I 1 VwVfG seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (Schuldrechtsmodernisierungsgesetz) vom 26. November 2001 am 1. Januar 2002 nicht mehr die kenntnisunabhängige dreißigjährige Verjährungsfrist in entsprechender Anwendung des § 195 BGB a.F., sondern die kenntnisabhängige dreijährige Verjährungsfrist in entsprechender Anwendung des § 195 BGB n.F. Anwendung.[14]BVerwG 15.03.2017 – 10 C 3/16.

Anwendung der 30-jährigen Verjährungsfrist
Nach einer Ansicht gelte die kenntnisunabhängige 30-jährige Verjährungsfrist des alten Schuldrechts für öffentlich-rechtliche Erstattungsansprüche nach § 49a VwVfG weiter fort. So berücksichtige die dreijährige Verjährungsfrist die Besonderheiten des öffentlichen Rechts nicht ausreichend. Insbesondere liege es vielfach gerade nicht im Interesse des öffentlich-rechtlichen Gläubigers, den geltend gemachten Anspruch schnellstmöglich durchzusetzen. Das Gemeinwohlinteresse wie soziale Belange oder die Erhaltung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Adressaten verlangen eine Anwendung der 30-jährigen Verjährungsfrist.[15] OVG Koblenz Urt. v. 17.11.2015 – 6 A 10633/15.

Stellungnahme
Zunächst können zur Findung eines Ergebnisses als systematisches Argument die §§ 53, 102 VwVfG herangezogen werden. Mit der Novellierung der §§ 53, 102 VwVfG hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass die neuen Verjährungsregelungen im öffentlichen Recht anwendbar sind.[16]BVerwG, NVwZ 2017, 969 Rn. 19. Zudem tragen die kürzeren Verjährungsfristen zu mehr Rechtssicherheit bei. Die Verwaltung ist zum rechtzeitigen Verwaltungshandeln gezwungen und der Förderempfänger ist vor späteren plötzlichen Rückforderungsbegehren geschützt. Letztlich verweist die Gesetzesbegründung der Neufassung der Verjährungsregelungen im BGB eindeutig darauf, dass die Regelungen auch im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht berücksichtigt werden sollen.[17]BT-Drucksache 14/9007, S. 26. Hinsichtlich des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs nach § 49a I 1 VwVfG spricht mithin Überwiegendes für eine analoge Anwendung der neuen dreijährigen Verjährungsfrist des § 195 BGB n.F..

D. Ergebnis

Die Widerrufsfrist wurde zwar eingehalten, jedoch liegt kein Widerrufsgrund vor.

Die Klage der U ist somit begründet.


Zusatzfragen

Was sind die klassischen Zulässigkeitsprobleme bei Rückforderungsfällen?

Die klassischen Klausur-Konstellationen beinhalten einen Bescheid der Behörde mit der Rücknahme/dem Widerruf der Bewilligung, einem Rückerstattungsbegehren und einer Zinsforderung.

Öffentlich-rechtliche Streitigkeit
Zunächst ist bei Streitigkeiten über Förderungsgewährungen zu erörtern, ob der Verwaltungsrechtsweg § 40 I VwGO durch das Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit eröffnet ist. Zur Lösung wird überwiegend die Zwei-Stufen-Theorie herangezogen. Die Entscheidung über das „Ob“ der Subventionierung ist als öffentlich-rechtliche Streitigkeit einzuordnen und die zweite Stufe kann eine privatrechtliche Ausgestaltung über das „Wie“ der Durchführung der Subvention oder das Nutzungsverhältnis sein. Demnach sind sog. verlorene Zuschüsse, also solche die nicht zurückgezahlt werden müssen, einstufig und deswegen als öffentlich-rechtlich einzuordnen.[18]Schoch/Schneider VwGO/Ehlers/Schneider, 39. EL Juli 2020, VwGO § 40 Rn. 297f.

Klageart und Klagehäufung
Im Rahmen der Zulässigkeit muss festgestellt werden wie viele Verwaltungsakte vorliegen. Auch wenn Rücknahme/ Widerruf, Rückförderung und Zinsanspruch in einem gemeinsamen Bescheid den Adressaten bekannt gegeben werden, so handelt es sich trotzdem um drei verschiedene Verwaltungsakte. Der Adressat des Bescheides muss daher drei Anfechtungsklagen erheben. Diese können dann mit der objektiven Klagehäufung nach § 44 VwGO gemeinsam verfolgt werden.

Wie kann die Verwaltungsbehörde vor dem OVG und BVerwG Prozesshandlungen vornehmen?

Nach § 67 I VwGO können die Beteiligten, also auch die verklagte Behörde, nur vor dem Verwaltungsgericht den Rechtsstreit selbst führen.
Für Prozesse vor dem OVG und dem BVerwG gelten die Regelungen des § 67 IV VwGO. Nach Satz 1 müssen sich dabei die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Nach Satz 4 dürfen jedoch Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Falls mehrere vertretungsbefugte Personen eine Prozesshandlung unterschreiben, ist den Anforderungen des § 67 IV VwGO genüge getan, wenn jedenfalls eine der die vertretungsbedürftige Prozesshandlung vornehmenden Personen bei der vertretenen Behörde oder juristischen Person des öffentlichen Rechts beschäftigt ist und die Befähigung zum Richteramt hat. Die beteiligte Behörde oder juristische Person des öffentlichen Rechts wird so vom Anwaltszwang unter der Voraussetzung befreit. Ausreichend dafür ist, dass ein Beschäftigter mit derselben formalen Qualifikation, nämlich der Befähigung zum Richteramt, ihre prozessualen Interessen wahrnimmt. Das folgt aus dem Zweck der Vorschrift, die behördliche Prozessführung zu vereinfachen und zu erleichtern.[19]vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. März 1993 – 4 B 253.92 – Buchholz 310 § 67 VwGO Nr. 80 S. 11 f.; BVerwG, NVwZ 2022, 1912 Rn. 10


Zusammenfassung

1. Der Zweck einer Zuwendung muss dem Bescheid selbst mit hinreichender Bestimmtheit zu entnehmen sein. Maßgeblich sind dafür neben dem Wortlaut des Bescheides auch der Inhalt der von ihm in Bezug genommenen Richtlinien, die Grundlage der Bewilligung der Zuwendung gewesen sind.

2. Die Widerrufsfrist beginnt erst zu laufen, wenn die Behörde aufgrund vollständiger Kenntnis von dem jeweiligen Widerrufsgrund und den für die Widerrufsentscheidung außerdem erheblichen Tatsachen für den gesamten Verwaltungsakt einschätzen kann.

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