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Flucht vor der Verkehrskontrolle 

OLG Hamm, Urteil vom 20.08.2024 – 4 ORs 57/24

Sachverhalt

T fuhr gegen 1:00 Uhr nachts mit einem in seinem Eigentum stehenden PKW von der Geburtstagsparty eines Freundes nach Hause, wobei er auf der öffentlich befahrbaren A-Straße in eine rechtmäßige anlasslose Verkehrskontrolle durch den Polizisten P geriet. Dieser lenkte das von ihm geführte Polizeifahrzeug vor jenes des T und signalisierten diesem mittels des leuchtenden Signalgebers („Stopp Polizei“), dass er anhalten solle. Zwar war T Inhaber einer gültigen Fahrerlaubnis und wies bis hierhin auch keine Fahrausfallerscheinungen auf, allerdings hatte er auf der Geburtstagsparty Alkohol konsumiert, so dass er angesichts der Verkehrskontrolle in Panik geriet und, statt der Aufforderung des P Folge zu leisten, beschleunigte, um am Streifenwagen vorbeizufahren.

P beschleunigte ebenfalls und nahm die Verfolgung des T auf. Dieser befuhr zunächst die B-Straße, auf der eine Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h zulässig ist, und erreichte dabei eine Geschwindigkeit von bis zu 120 km/h. Im weiteren Verlauf der Verfolgungsjagd, die durch eine geschlossene Ortschaft führte, befuhr der T an mehreren Stellen die Gegenfahrbahn und überquerte, ohne an einem für ihn geltenden STOP-Schild anzuhalten, eine Kreuzung, auf der jedoch zu dieser Zeit kein querender Verkehr lief. Auf der nachfolgenden C-Straße konnte der P schließlich zum T aufschließen und diesen seitlich von der Fahrbahn und auf den leeren Fußgängerweg drängen. Bei der Wiedereinfahrt des T auf die C-Straße, welche dieser für seine weitere Flucht für zwingend notwendig erachtete, kam es zum deutlich spürbaren Kontakt der Fahrzeuge. Das Fahrzeug des P erlitt dabei zahlreiche Kratzer. Eine solche Beschädigung war von T grundsätzlich billigend in Kauf genommen worden, es ging ihm primär darum, seine Flucht fortzusetzen und dem P zu entkommen. Eine Verletzung des P war von T nicht gewollt.

Kurz darauf, um ca. 1:30 Uhr, blieb das Fahrzeug des T allerdings in einem großen Schlagloch auf einem von ihm befahrenen Feldweg stecken, woraufhin er festgenommen werden konnte. Bei einer rechtmäßig um 3:00 Uhr entnommenen Blutprobe wurde bei T eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von 0,5 Promille festgestellt.

Die Kratzer am Fahrzeug des P wurden im Nachgang fachgerecht beseitigt, wofür Reparaturkosten in Höhe von 1.000,00 EUR entstanden, die in diesem Umfang auch angemessen waren. Das Fahrverhalten des T war während des gesamten Vorgangs kontrolliert, insbesondere wich er möglichen Hindernissen unter Beherrschung seines Fahrzeugs aus. T war sich dabei sicher, dass er aufgrund seiner fahrerischen Fähigkeiten auch angesichts seiner Alkoholisierung dazu in der Lage war, dem P zu entkommen.

Wie hat sich T nach dem StGB strafbar gemacht?

Eine Strafbarkeit nach § 142 Abs. 1 StGB ist nicht zu prüfen. Erforderliche Strafanträge sind gestellt.

Skizze


Gutachten

A. Die Verfolgungsjagd durch die A-, B- und C-Straße

T könnte durch sein Fahrverhalten in der A-, B- und C-Straße strafbar gemacht haben.

Anmerkung: Aufbau und Reihenfolge der Prüfung

Bei diesem Fall lohnt es sich ganz besonders, sich zu Beginn der Prüfung Zeit zu nehmen, um über den Aufbau des Gutachtens nachzudenken. Der Sachverhalt gibt nämlich Anlass zu zahlreichen Straftaten, die an grundsätzlich verschiedene Handlungen des T anknüpfen, die wiederum aber alle auf einem einheitlichen und nicht von eindeutigen Zäsuren durchbrochenem Lebenssachverhalt beruhen.

Allgemein ist es sinnvoll, Tatkomplexe so zu bilden, dass jeweils alle in Tateinheit nach § 52 StGB zueinander verwirklichten Taten in einem gemeinsamen Tatkomplex stehen. Der vorliegende Fall birgt jedoch die Besonderheit, dass das OLG Hamm aufgrund des einheitlichen Fluchtvorsatzes eine Klammerwirkung angenommen hat, so dass letztendlich alle der begangenen Taten zueinander in Tateinheit stehen (genauer dazu unten). Trotz der im Fall genannten verschiedenen Orte, scheint es daher sinnvoll, alle im Zusammenhang mit der Tat begangenen Handlungen in einem Tatkomplex zusammenzufassen. Dies führt zwar dazu, dass dieser Tatkomplex recht lang wird, allerdings werden eben einige Straftaten gerade an Handlungen geknüpft, die sich durch die gesamte Dauer der Flucht erstreckt haben. Diese Taten wären also so oder so „tatkomplexübergreifend“ zu prüfen, sollte man sich dafür entscheiden, mehrere Tatkomplexe zu bilden.

Letztendlich sind hier mehrere Aufbauvarianten vertretbar, wobei das oberste Gebot jenes der Verständlichkeit und Übersichtlichkeit ist. In diesem Zusammenhang ist es, unabhängig vom gewählten Aufbau, die Aufgabe der Bearbeiter:innen, der Prüfung (noch mehr als sonst) insbesondere durch die Verwendung von Obersätzen Struktur zu verschaffen und die Korrektor:innen so durch die Klausur zu führen.

Innerhalb des Tatkomplexes ist der Aufbau dann anhand des Strafrahmens, ausgehend von der Höchststrafbarkeit zu wählen („Dicke Fische zuerst!“). Hier lohnt es sich durchaus, nach dem Erstellen der Skizze eine Sortierung vorzunehmen. Da § 315b Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 StGB hier durch den Verweis auf § 315 Abs. 3 StGB einen Strafrahmen von 1-10 Jahren vorsieht, ist die Tat zuerst zu prüfen, auch wenn sie letztendlich nur kurz abgelehnt wird. Danach sind die §§ 113, 114 StGB zu prüfen, die durch Verwirklichung des Regelbeispiels eine höhere Strafandrohung als § 315c Abs. 1 StGB und § 315d Abs. 1, Abs. 2 StGB haben. Hier darf man sich dementsprechend nicht verleiten lassen, die vermeintlich zusammengehörigen Straßenverkehrsdelikte hintereinander „abzuhaken“.

I. § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 StGB

T könnte sich des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 StGB strafbar gemacht haben, indem er sein Fahrzeug, nachdem P ihn auf den Fußgängerweg abgedrängt hatte, wieder auf die C-Straße lenkte und dabei seitlich mit dem Fahrzeug des P kollidierte.

Indes könnte eine Strafbarkeit des T nach § 315b StGB bereits daran scheitern, dass es sich bei seinem Zusammenstoß mit P um einen nicht von der Norm umfassten Inneneingriff handelt. Aus dem systematischen Zusammenhang von § 315b StGB mit § 315c StGB ergibt sich nämlich, dass erstgenannter grundsätzlich Eingriffe von außen in den Verkehr erfasst, während zweiterer Fehlverhalten von innerhalb des Verkehrs katalogartig und damit grundsätzlich abschließend regelt. Diese Differenzierung legt auch der Titel des § 315b StGB nahe, der von Eingriffen „in den“ Straßenverkehr spricht. In der Rechtsprechung ist jedoch anerkannt, dass § 315b StGB jedenfalls auf sogenannte „verkehrsfeindliche Inneneingriffe“ anzuwenden ist, bei denen der Täter aus dem Inneren des Verkehrs hinaus derart verkehrswidrig handelt, dass die Gefahr einem Eingriff „von außen“ gleichkommt.[1]Rengier, StrafR BT II, 20. Auflage, S. 432. Dies ist der Fall, wenn objektiv eine grobe Einwirkung auf den Verkehr vorliegt und der Fahrer das Fahrzeug subjektiv bewusst als Werkzeug zum Zwecke der Schädigung eines anderen pervertiert.[2]Rengier, StrafR BT II, 20. Auflage, S. 433. Eine solche Pervertierung liegt allerdings nicht vor, wenn der Täter sein Fahrzeug zu Fluchtzwecken und mithin vorrangig als Verkehrsmittel benutzt, auch wenn er in diesem Zusammenhang verkehrsfeindlich fährt.[3]Rengier, StrafR BT II, 20. Auflage, S. 435. Vorliegend kommt es T in erster Linie darauf an, sein Fahrzeug zu nutzen, um der Kontrolle des P zu entkommen. Auch im Moment der Wiederauffahrt auf die C-Straße hält T dies für unabdingbar, um seine Flucht fortzusetzen. Eine Pervertierung als verkehrsfeindliches Angriffsmittel liegt mithin nicht vor, so dass eine Strafbarkeit nach § 315b StGB von vornherein ausscheidet.

Vernetztes Lernen:

Zur Behandlung desselben Problems mit Annahme der Pervertierung, siehe Du navigierst ich zerquetsche.

II. § 113 Abs. 1, Abs. 2 S. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB

T könnte sich nach § 113 Abs. 1, Abs. 2 S. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB strafbar gemacht haben, indem er statt der Aufforderung des P zum Anhalten Folge zu leisten, mit seinem Fahrzeug vor diesem flüchtete und im Verlauf der anschließenden Verfolgungsjagd sein Fahrzeug seitlich in jenes des P lenkte.

Anmerkung: Obersatz

Das OLG Hamm nimmt hier aufgrund des Umstandes, dass alle im Zusammenhang mit der Verfolgungsjagd begangenen Handlungen des T auf einem einheitlichen Fluchtvorsatz beruhten, an, dass das gesamte Verhalten während der Flucht eine einheitlich begangene Tat nach § 113 Abs. 1, Abs. 2 S. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB darstellt. Im Obersatz müssen sich deshalb all jene Verhaltensweisen des T wiederfinden, die später im Rahmen dieses Delikts subsumiert werden. Im Umkehrschluss können bzw. müssen jedoch jene Handlungen, die nicht zur Subsumtion unter § 113 StGB notwendig sind (bspw. das ansatzlose Überqueren der Kreuzung trotz STOP-Schild) weggelassen werden.

1. Tatbestand

T müsste den Tatbestand des Delikts erfüllt haben.

a) Objektiver Tatbestand
aa) Vollstreckungshandlung eines Vollstreckungsbeamten

P ist als Polizist ein zu Vollstreckungshandlungen berufener Amtsträger i.S.d. § 11 Nr. 2 StGB. Bei der allgemeinen Verkehrskontrolle, die der P hinsichtlich T nach Maßgabe des § 36 Abs. 5 StVO durchführen wollte, handelt es sich um eine Vollstreckungshandlung i.S.d. § 113 Abs. 1 StGB.

bb) Widerstandleisten

T müsste dem P bei der Vollstreckungshandlung auch mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand geleistet haben.

Unter „Widerstand“ ist jede aktive Tätigkeit gegenüber dem Vollstreckungsbeamten mit Nötigungscharakter zu verstehen, mit der die Durchführung einer Vollstreckungsmaßnahme verhindert oder erschwert werden soll.[4]BGH, Beschluss vom 15.1.2015 − 2 StR 204/14. Zudem muss der Widerstand durch ein Nötigungsmittel zustande gekommen sein, wobei die bloße Flucht vor der Polizei alleine nicht ausreicht.[5]BGH, Beschluss vom 19. 12. 2012 – 4 StR 497/12.

Unter dem hier einzig in Frage kommenden Nötigungsmittel der „Gewalt“ ist dabei jede durch tätiges Handeln bewirkte Kraftäußerung zu verstehen, die gegen den Amtsträger gerichtet und geeignet ist, die Durchführung der Vollstreckungshandlung zu verhindern oder zu erschweren. Dabei muss die Gewalthandlung jedoch nicht unmittelbar gegen die Person des Amtsträgers gerichtet sein, es reicht vielmehr auch aus, wenn dieser eine gegen Sachen gerichtete Gewaltanwendung mittelbar körperlich empfindet[6]BGH Beschluss vom 13.5.2020 – 4 StR 607/19.

Die erheblichen Risiken, die T im Laufe der Fluchtfahrt auf sich nahm (Geschwindigkeitsüberschreitungen, Vorfahrtsmissachtungen, Fahren auf der Gegenfahrspur, Inkaufnahme von Kollisionen), lassen vorliegend darauf schließen, dass sein Verhalten gesamtheitlich darauf gerichtet war, dem P „um jeden Preis zu entkommen“. Hierbei handelt es sich um eine einheitliche subjektive Motivation des T, die sämtliche der augenscheinlich separat voneinander getätigten Handlungen zu einem einheitlichen Lebensvorgang verbindet, der folgerichtig auch einheitlich zu bewerten ist.[7]OLG Hamm, Urteil vom 20.08.2024 – 4 ORs 57/24. Diese Motivation fand letztendlich ihren Höhepunkt darin, dass T sein Fahrzeug, nachdem P ihn auf der C-Straße auf den Bürgersteig abgedrängt hatte, in einer Art und Weise auf diese Straße zurückführte, die einen deutlich spürbaren Zusammenstoß mit dem Fahrzeug des P zur Folge hatte. Hierbei handelt es sich um eine im Ursprung mittels einer Sache verübte und gegen eine Sache gerichtete Art der Gewalt, die allerdings mittelbar auch gegen den Körper des Amtsträgers wirkte, also im Ergebnis um eine gegen diesen gerichtete Gewalthandlung. Diese diente gerade dazu, dem T die Flucht zu ermöglichen und somit die Durchführung der Verkehrskontrolle durch P zu verhindern.

T hat der Vollstreckungshandlung des P folglich durch Gewalt Widerstand geleistet.

Anmerkung: Aufbau der Argumentation

Die besondere Schwierigkeit des Aufbaus dieser Argumentation, die einen Schwerpunkt des Falles darstellt, ist, dass das OLG Hamm hier Elemente des objektiven Tatbestandes, des subjektiven Tatbestandes und der Konkurrenzen vermischt, um das „Widerstandleisten“ zu begründen.

Die Vorinstanz hatte hier erst hinsichtlich des Ignorierens der ursprünglichen Verkehrskontrolle in der A-Straße ein „Widerstandleisten“ mangels körperlich wirkender Gewalt auf den Amtsträger abgelehnt und musste dann auch im weiteren Verlauf in Bezug auf die Kollision in der C-Straße ein „Widerstandleisten“ verneinen, da keine unmittelbare Vollstreckungssituation mehr vorlag.[8]vgl. LG Detmold – 22 NBs 23/23

Das OLG Hamm argumentiert hier allerdings, dass der einheitliche Fluchtvorsatz des T (subjektives Argument) auf Ebene der Konkurrenzen zu einer Behandlung des gesamten Geschehens als natürliche Handlungseinheit führe, was wiederum auf Ebene des objektiven Tatbestandes die Folge hat, dass das in Handlungseinheit mit dem ursprünglichen Verweigern der Verkehrskontrolle stehende, aber gut 20 Minuten später an einem ganz anderen Ort stattfindende, Herbeiführen der Kollision ein physisch wirkendes „Widerstandleisten“ gegen die Vollstreckungshandlung der Verkehrskontrolle ist.

Anders als das OLG Hamm sind die Bearbeiter:innen im Gutachten grundsätzlich dazu angehalten, streng zwischen objektivem und subjektivem Tatbestand sowie den Konkurrenzen zu differenzieren. Da die Argumentation hier allerdings eine teilweise Vermischung dieser Ebenen zwingend erfordert, kann eine solche auch nicht als fehlerhaft bewertet werden. Keinesfalls sollte in einem Gutachten allerdings „nach unten verwiesen“ oder eine vollständige Inzidentprüfung der Konkurrenzen innerhalb des objektiven Tatbestandes eröffnet werden. Stattdessen kann im weiteren Verlauf des Gutachtens dann nach oben verwiesen werden.

b) Subjektiver Tatbestand

T müsste auch den subjektiven Tatbestand erfüllt, also jedenfalls mit Eventualvorsatz gehandelt haben. Dafür müsste er den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges jedenfalls für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben. T kam es vorliegend gerade nicht darauf an, gewaltsam auf den P als Insassen des Streifenwagens in dessen Stellung als Polizist einzuwirken. Indes ist ein Vorsatz in Bezug auf das Widerstandleisten bereits dann zu bejahen, wenn der gewaltvolle Widerstand an sich nicht der Selbstzweck des Täters ist, sondern lediglich ein notwendiges Zwischenziel zur Erreichung eines anderen Zwecks.[9]OLG Hamm, Urteil vom 20.08.2024 – 4 ORs 57/24. Auf einen Verletzungsvorsatz kommt es gerade nicht an. Vorliegend geht T davon aus, dass seine gewaltvolle Einwirkung auf den P das notwendige Mittel zur Ermöglichung der von ihm primär angestrebten Flucht ist. T hielt die Verwirklichung des tatbestandlichen Erfolges vor diesem Hintergrund jedenfalls für möglich und nahm sie billigend in Kauf, so dass er vorsätzlich handelte.

2. Rechtswidrigkeit und Schuld

Rechtfertigungsgründe und Entschuldigungsgründe zugunsten des T sind nicht ersichtlich, insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die relativ geringe Alkoholisierung des T zu einer verminderten Schuldfähigkeit oder gar einer Schuldunfähigkeit geführt hätte.

Anmerkung: Schuldunfähigkeit des T

Da T vorliegend alkoholisiert war, könnte man andenken, hier seine Schuldfähigkeit zu problematisieren. Da allerdings eine Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB, die ab einer BAK von ca. 3,0 Promille angenommen wird, ersichtlich nicht vorliegt und die Frage der Alkoholisierung des T im Laufe der später zu prüfenden Delikte sichtlich relevanter ist, würde eine vertiefte Prüfung an dieser Stelle von mangelndem Problembewusstsein zeugen. Aus klausurtaktischen Gründen wird das Thema hier also nur kurz angesprochen und später dann umfänglich geprüft.

Anmerkung: Schuldunfähigkeit und verminderte Schuldunfähigkeit im ersten und im zweiten Staatsexamen

Im ersten und im zweiten Staatsexamen kann es sein, dass man die Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB oder die verminderte Schuldfähigkeit nach § 21 StGB des Täters, meistens infolge eines Alkoholkonsums, problematisieren muss.

Im ersten Examen würden sowohl Schuldunfähigkeit als auch verminderte Schuldfähigkeit beim jeweils betroffenen Delikt im Prüfungspunkt „Schuld“ geprüft. Während die Schuldunfähigkeit zum Ausschluss der Strafbarkeit des Delikts führt (Achtung: Das Delikt bleibt aber teilnahmefähig, da die Teilnahme nur eine vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat voraussetzt!) hat die verminderte Schuldfähigkeit nach § 21 StGB lediglich eine Strafmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB zur Folge. Dies kann zwar kurz festgestellt werden, hat allerdings keine weiteren Auswirkungen auf die im ersten Examen einzig entscheidende Strafbarkeit dem Grunde nach.

Im zweiten Staatsexamen muss differenziert werden: Die Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB wird nach wie vor im materiellen Gutachten (sogenanntes „A-Gutachten“) geprüft und kann dort dazu führen, dass die Strafbarkeit des Täters wegen der Tat entfällt. Im Gegensatz zum ersten Examen muss jedoch auch das Strafmaß des Täters (jedenfalls annäherungsweise) ermittelt werden, wenn im Rahmen des prozessualen Gutachtens (sogenanntes „B-Gutachten“) entschieden werden muss, vor welchem Gericht die Anklage zu erheben ist. Im Zusammenhang mit der Auswahl des Gerichtsstandes, die sich unter anderem eben nach der zu erwartenden Strafe richtet, sind dann inzident strafschärfende und strafmildernde Aspekte auszuführen. Hierzu gehören neben der verminderten Schuldfähigkeit nach § 21 StGB also auch die mögliche Verwirklichung von Regelbeispielen (diese sind dafür nicht im Tatbestand zu prüfen!), Tätiger Reue, oder die normative Restriktion der Heimtücke nach Ansicht des BGH (auch dieses Problem ist dementsprechend erst im B-Gutachten zu eröffnen!).

Achtung: Die Prüfung der strafschärfenden und strafmildernden Gründe wird logischerweise auch im B-Gutachten nur dann virulent, wenn der zu erwartende Strafrahmen auch für die Ermittlung des Gerichtsstandes entscheidend ist. Dies ist nicht der Fall, wenn eine der Katalogtaten nach § 74 Abs. 2 GVG vorliegt, die stets vor der großen Strafkammer beim Landgericht als Schwurgericht zu verhandeln sind. In diesen Fällen würde die jeweilige Strafminderung/Strafschärfung also weder im A-Gutachten, noch im B-Gutachten relevant werden, so dass sie letztendlich garnicht zu prüfen wäre.

3. Objektive Strafbarkeitsbedingung – Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung

Die Verkehrskontrolle war rechtmäßig, so dass die Strafbarkeit nicht nach § 113 Abs. 3 S. 1 StGB ausgeschlossen ist.

4. Strafzumessung

Die Strafe des T könnte zudem zu schärfen sein, wenn seine Tat einen besonders schweren Fall des Deliktes darstellt, § 113 Abs. 2 S. 1 StGB. Ein solcher ist regelmäßig anzunehmen, wenn eines der Regelbeispiele aus § 113 Abs. 2 S. 2 StGB verwirklicht wurde. In Frage kommt hier eine Verwirklichung des § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB. Dafür müsste T bei der Tatbegehung ein gefährliches Werkzeug bei sich geführt haben.

Ein gefährliches Werkzeug ist ein Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Verletzungen zuzufügen. Auch ein Kraftfahrzeug kommt danach als „gefährliches Werkzeug“ in Betracht, da aufgrund seiner Geschwindigkeit und seiner Größe die Möglichkeit besteht, durch gezielten Einsatz Verletzungs- oder sogar Todesgefahr herbeizuführen.[10]BGH, Urteil vom 30.06.2015, NZV 2016, 345. T lenkte hier sein Fahrzeug im öffentlichen Verkehr und führte dieses mithin bei sich, als er Widerstand gegen die Verkehrskontrolle des P leistete. Das Regelbeispiel des § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB wurde daher von T verwirklicht.

Der Annahme eines besonders schweren Falles wegen der Nutzung des Fahrzeugs als gefährliches Werkzeug steht es auch nicht entgegen, dass im Rahmen des § 315b StGB die „Pervertierung“ des Fahrzeugs als waffenähnliches Werkzeug noch abgelehnt wurde, denn diese „Pervertierung“ setzt gerade eine verkehrsfeindliche Absicht und damit ein subjektives Element voraus, welches das rein auf objektive Kriterien abstellende Regelbeispiel aus § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB gerade nicht erfordert.

Es sind auch keine sonstigen mildernden Umstände ersichtlich, die der Annahme eines besonders schweren Falles entgegenstünden.

Die Strafe des T ist mithin zu schärfen, da er das Delikt in einem besonders schweren Fall verwirklicht hat.

5. Ergebnis

T hat sich nach § 113 Abs. 1, Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB strafbar gemacht, indem er statt der Aufforderung des P zum Anhalten Folge zu leisten mit seinem Fahrzeug vor diesem flüchtete und im Verlauf der anschließenden Verfolgungsjagd sein Fahrzeug seitlich in jenes des P lenkte. Die tateinheitlich dazu verwirklichte Nötigung gemäß § 240 Abs. 1 StGB tritt dahinter im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurück.

Anmerkung: Behandlung von Konkurrenzen in der Klausur

Für eine ausführliche Prüfung aller irgendwie in Frage kommenden Delikte bleibt in der Klausursituation oft keine Zeit, zumal von den Bearbeiter:innen auch eine vernünftige Setzung von Bearbeitungsschwerpunkten erwartet wird.

Durch die geschickte Behandlung von Konkurrenzen lässt sich jedoch im Optimalfall ein Gleichgewicht zwischen Vollständigkeit und Effizienz erreichen. Bei offensichtlich mitverwirklichten, aber im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurücktretenden Delikten (bspw. der einfache Diebstahl sowie die einfache Nötigung hinter einem vollendeten Raub) bietet es sich an, diese wie hier im Ergebnissatz des verdrängenden Delikts kurz „abzuhaken“. Am Ende eines jeden Tatkomplexes sollte dann bestenfalls ein „Konkurrenzpaket“ für den jeweiligen Tatkomplex geschnürt werden, wobei die Delikte regelmäßig in Tateinheit nach § 52 StGB stehen werden. Am Ende des Gutachtens ist es dann erforderlich, aber auch ausreichend, die jeweiligen „Konkurrenzpakete“ in ein Verhältnis zueinander zu setzen.

III. § 114 Abs. 1, Abs. 3 StGB

T könnte sich durch dasselbe Verhalten auch gemäß § 114 Abs. 1, Abs. 3 StGB strafbar gemacht haben.

1. Tatbestand
a) Objektiver Tatbestand
aa) Diensthandlung eines Vollstreckungsbeamten

Die Fahrzeugkontrolle stellt eine Diensthandlung des P dar, der Vollstreckungsbeamter ist.

bb) Tätlicher Angriff

T müsste den P bei der Diensthandlung tätlich angegriffen haben.

Ein tätlicher Angriff ist eine mit feindseligem Willen unmittelbar auf den Körper des Beamten zielende Einwirkung.[11]OLG Hamm, Beschluss vom 12.02.2019, 4 RVs 9/19.

Umstritten ist dabei jedoch, ob eine körperliche Berührung des Amtsträgers sowie ein hierauf zielender Vorsatz notwendig sind.

In der Literatur wird teilweise vertreten, dass eine solche enge Auslegung des „tätlichen Angriffs“ geboten sei und ein tätlicher Angriff entsprechend nur dort vorliegen kann, wo vorsätzlich auf den Körper des Amtsträgers eingewirkt wurde.[12]Vgl. Dallmeyer/BeckOK-StGB, 40. Ed., § 114, Rn. 5; Puschke/Rienhoff JZ 2017, 924 (929 f.). T hat vorliegend weder unmittelbar auf den Körper des P eingewirkt, noch hatte er einen dahingehenden Vorsatz, es kam ihm vielmehr einzig und allein darauf an, seine Flucht zu ermöglichen. Bei einer engen Auslegung läge demnach kein tätlicher Angriff vor.

In der Rechtsprechung wird hingegen vertreten, dass ein „tätlicher Angriff“ in jeder objektiv gefährlichen und verletzungsgeeigneten Handlung liegen kann, unabhängig davon, ob der Täter das Opfer körperlich berührt und letztendlich tatsächlich verletzt und dies auch vorsätzlich tut. [13]OLG Hamm, Urteil vom 10.12.2019 – 4 RVs 88/19. Das Herbeiführen eines seitlichen Zusammenstoßes zweier fahrender Autos ist objektiv gefährlich und dazu geeignet, eine Verletzung der jeweiligen Insassen herbeizuführen, so dass bei einer solchen weiteren Auslegung ein tätlicher Angriff des T vorläge.

Da beide Ansichten im konkreten Fall zu verschiedenen Ergebnissen kommen, ist eine Stellungnahme erforderlich.

Für eine weite Auslegung des tätlichen Angriffs wird vorgebracht, dass die historisch-gesetzgeberische Intention bei der Schaffung des § 114 StGB die Herauslösung des „tätlichen Angriffs“ aus dem Tatbestand des § 113 StGB a.F. und dessen eigenständigen normative Verankerung bei höherer Strafandrohung war.[14]so zu finden bei OLG Hamm, Urteil vom 20.08.2024 – 4 ORs 57/24. Im Rahmen des § 113 StGB a.F. war jedoch anerkannt, dass kein Körperverletzungserfolg eintreten musste und dass auch kein dahingehender Vorsatz notwendig war. Strafgrund war allein die erhöhte Gefährdung des Amtsträgers infolge der objektiv gefährlichen Verletzungshandlung in seine Richtung, die § 113 StGB n.F. gerade nicht voraussetzt. Der Zweck des § 114 StGB, einen umfangreicheren Schutz für Amtsträger zu gewährleisten, würde konterkariert werden, wenn § 114 StGB letztendlich im Vergleich zu § 113 StGB an anderer Stelle eng ausgelegt würde. Zu guter Letzt stellt der Wortlaut der Norm mit dem „tätlichen Angriff“ lediglich auf eine Angriffshandlung, nicht jedoch auf einen eingetretenen Erfolg ab.

Für eine enge Auslegung des „tätlichen Angriffs“ spricht demgegenüber jedoch unter systematischen Gesichtspunkten, dass der Strafrahmen des § 114 Abs. 1 StGB höher ist als jener des § 113 Abs. 1 StGB, was angesichts des strafrechtlichen Schuldprinzips konsequent einen engeren Anwendungsbereich nach sich ziehen muss. Dies gilt umso mehr angesichts des Umstandes, dass der Anwendungsbereich des § 114 StGB nachträglich aus dem § 113 StGB a.F. „hinausgelöst“ wurde, da mit der neuen normativen Verankerung zwangsläufig auch eine neue Gewichtung der jeweils geschützten Rechtsgüter durch den Gesetzgeber einhergeht. Da der in § 114 Abs. 1 StGB verwendete Begriff der „Diensthandlung“ jedoch bereits weiter ist als der in § 113 Abs. 1 StGB verwendete Begriff der „Vollstreckungshandlung“, kann die Verengung des Anwendungsbereiches allein über eine enge Auslegung der Tathandlung erfolgen. Darüber hinaus ist gerade die körperliche Unversehrtheit des Amtsträgers das von § 114 Abs. 1 StGB geschützte Schutzgut. Dieses ist jedoch nur verletzt, wenn es auch tatsächlich zu einer Berührung seiner Person kommt. Dies entspricht auch dem Wortlaut eines „Angriffs“, der nach allgemeinem Wortlautverständnis eine feindliche Willensrichtung, also die intendierte Einwirkung auf die Rechtsgüter eines anderen, impliziert. Eine lediglich objektiv gefährliche Handlung stellt demgegenüber nicht zwingend einen „Angriff“ dar.

Die überzeugenderen, insbesondere systematischen Argumente sprechen demnach für eine enge Auslegung, wie sie von weiten Teilen der Literatur vertreten wird. Infolgedessen liegt kein „tätlicher Angriff“ durch T vor.

Anmerkung: a.A. vertretbar

Bei dieser Problematik handelt es sich um eine solche, bei der gute Argumente für beide Seiten sprechen und die außerdem keine „Weichenstellungsfunktion“, also keine nennenswerten Auswirkungen auf den weiteren Verlauf der Klausur hat.

Angesichts dessen kann hier – wie im Originalurteil – bei entsprechender Argumentation auch der Rechtsprechung gefolgt werden, ohne dass mit Punktabzug zu rechnen ist. Die Argumentation der Rechtsprechung basiert jedoch ganz wesentlich auf historischen Argumenten, die sich in der Klausur schlecht herleiten lassen. Aus didaktischen Gründen wird deshalb hier der Literatur gefolgt, deren Argumente sich in der Klausur einfacher aus dem Gesetz entnehmen lassen. Umfangreiche historische Argumentationen bergen demgegenüber die Gefahr, auswendig gelernt zu wirken.

Wichtig ist in der Klausur letztendlich, unabhängig von der vertretenen Ansicht, allein die ordentliche Argumentation und Arbeit am Gesetz, also die Darstellung von Wortlaut-, Systematik- und Zweckargumenten, die auch, wie in der folgenden Darstellung, klar als solche benannt werden sollten.

cc) Zwischenergebnis

T hat den objektiven Tatbestand nicht verwirklicht.

c) Zwischenergebnis

T hat den Tatbestand nicht verwirklicht.

2. Ergebnis

T hat sich nicht gemäß § 114 Abs. 1, Abs. 3 StGB strafbar gemacht.

IV. § 315c Abs. 1 Nr. 1 lit. a) StGB

T könnte sich indes gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1 lit. a) StGB strafbar gemacht haben, indem er mit seinem Fahrzeug alkoholisiert die A-, B- und C-Straßen befuhr und im Zuge dessen beim Wiedereintritt auf die Fahrbahn der C-Straße seitlich mit dem Fahrzeug des P zusammenstieß, wodurch ein Sachschaden i.H.v. 1.000,00 EUR entstand.

Anmerkung: Obersatz und Aufbau

Im Rahmen dieser Prüfung sollte beachtet werden, dass für eine Strafbarkeit nach § 315c StGB nur jene Verkehrsverstöße relevant werden, die zum einen katalogmäßig in der Norm gelistet sind und zum anderen auch einen Beinahe-Unfall zur Folge hatten. Dies war bezüglich der Geschwindigkeitsüberschreitung, des vorfahrtswidrigen Querens der Kreuzung und des Fahrens auf der falschen Seite nicht der Fall, so dass diese Verkehrsverstöße nur im Rahmen von § 315d StGB oder von (hier nicht zu prüfenden) Ordnungswidrigkeiten relevant werden.

1. Tatbestand
a) Objektiver Tatbestand

T müsste den objektiven Tatbestand erfüllt haben. Dafür müsste er den öffentlichen Straßenverkehr in der normativ benannten Weise abstrakt gefährdet und dadurch jeweils eine konkrete Gefahr für ein geschütztes Rechtsgut herbeigeführt haben.

T könnte vorliegend ein Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr geführt haben, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke nicht in der Lage war, dies verkehrssicher zu tun, und dadurch fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet haben, § 315c Abs. 1 Nr. 1 lit. a) StGB.

aa) Führen eines Fahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr

T befuhr mit seinem PKW die öffentlich zugänglichen A-, B- und C-Straßen.

bb. Fahruntüchtigkeit infolge der Alkoholisierung

T könnte infolge seiner Alkoholisierung fahruntüchtig gewesen sein. Zu unterscheiden ist hier zwischen der absoluten Fahruntüchtigkeit die bei Kfz ab einem BAK-Wert von 1,1 Promille angenommen wird und der relativen Fahruntüchtigkeit, die schon ab 0,3 Promille angenommen wird, sofern der Fahrer darüber hinaus Fahrausfallerscheinungen an den Tag legt.

Vernetztes Lernen:

Zur Behandlung desselben Problems mit Annahme der Pervertierung, siehe Eine betrunkene Fahrt mit dem E-Scooter.

(1) BAK-Wert des T im Tatzeitpunkt

Fraglich ist also zunächst, welche Blutalkoholkonzentration T im Zeitpunkt der Fluchtfahrt, also ab 1:00 Uhr morgens, aufwies. Die um 3:00 Uhr morgens rechtmäßig entnommene Blutprobe wies eine BAK von 0,5 Promille auf. Hieraus lässt sich der BAK-Wert des T im Zeitpunkt der Tatbegehung errechnen. Aufgrund der Ungenauigkeit derartiger Berechnungen, die daraus resultiert, dass die Abbaurate von Alkohol im Blut bei jeder Person verschieden ist, ist hierbei gemäß des Grundsatzes in dubio pro reo stets von einer täterfreundlichen Berechnungsmethode auszugehen. Im Rahmen des Tatbestands von § 315c StGB ist es für den Täter vorteilhaft, eine möglichst geringe Tatzeit-BAK aufzuweisen. Daher ist hier das nicht feststellbare Ende des Trinkvorgangs möglichst spät anzusetzen, es ist davon auszugehen, dass der Abbau des Alkohols im Blut erst eine Stunde nach dem Ende des Trinkvorgangs begonnen hat und es ist von einer geringen Abbaurate von 0,1 Promille pro Stunde auszugehen.[15]Fischer, StGB, 72. Auflage, § 20, Rn. 13. Demnach hat T hier bei Beginn der Verfolgung um 1:00 Uhr morgens aufgehört zu trinken und erst ab 2:00 Uhr hat sich der Alkohol mit 0,1 Promille pro Stunde abgebaut. Wenn T also um 3:00 Uhr bei der Blutprobe eine BAK von 0,5 aufwies, so hatte er zum Tatzeitpunkt eine BAK von 0,6 Promille und war mithin lediglich relativ fahruntüchtig.

Anmerkung: Rückrechnung im Rahmen der Schuld

Im Rahmen der Schuld ist es für den Täter von Vorteil, eine möglichst hohe BAK im Tatzeitpunkt zugrunde zu legen, da ab ca. 2,0 Promille eine verminderte Schuldfähigkeit nach § 21 StGB und ab ca. 3,0 Promille eine Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB angenommen wird.

Hier wird deshalb bei der Rückrechnung davon ausgegangen, dass sich der Alkohol im Blut ab dem Zeitpunkt des Trinkendes und ab dann mit einer Geschwindigkeit von 0,2 Promille pro Stunde abbaut. Zudem wird ein einmaliger „Sicherheitszuschlag“ von 0,2 Promille gemacht. Für den vorliegenden Fall hätte dies zur Folge, dass für T eine Tatzeit-BAK von immerhin 1,1 Promille angenommen würde [16]Fischer, StGB, 72. Auflage, § 20, Rn. 13.

Die Abweichung zwischen den beiden Berechnungsarten ist logischerweise höher, umso mehr Zeit zwischen Tatbegehung und Blutabnahme vergeht. Es ist also durchaus denkbar, dass ein Täter in einer Klausur gleichzeitig für fahrtauglich und trotzdem für schuldunfähig erklärt wird. Eine Bestrafung kommt dann nur über § 323a StGB in Betracht.

Anmerkung: Probleme im Zusammenhang mit der Verwertbarkeit von Blutproben

Die strafprozessuale Verwertbarkeit von Blutproben als Beweismittel richtet sich nach § 81a StPO. In diesem Zusammenhang können sich mehrere Probleme stellen.

Grundsätzlich unterliegt die Entnahme von Blutproben gemäß § 81a Abs. 2 S. 1 StPO einem Richtervorbehalt, für Staatsanwälte besteht jedoch eine Eilkompetenz bei Gefahr im Verzug. Bei Verkehrsdelikten ist indes gemäß § 81a Abs. 2 S. 2 StPO kein solcher Vorbehalt mehr gegeben. Die Gefahr des Alkoholabbaus im Blut begründet keine Gefahr im Verzug, da eine Rückrechnung nach wie vor möglich ist.[17]OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.2.2011 – IV-4 RBs 33/11.

Die Entnahme der Blutprobe muss zum Zwecke der Strafverfolgung erfolgen. Dies ist nicht der Fall, wenn eine Blutprobe zu medizinischen Zwecken entnommen wurde und die Strafverfolgungsbehörden lediglich im Nachhinein auf sie zugreifen wollen. In solchen Fällen besteht oft das zusätzliche Problem, dass keine richterliche Anordnung der Blutentnahme vorliegt, da es unüblich wäre, eine solche einzuholen.[18]Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Auflage, § 81a, Rn. 6.

Zudem muss die Blutprobe nach § 81a Abs. 1 S. 2 StPO von einem Arzt entnommen werden.

Verstöße gegen diese Vorschriften führen zu einem relativen Beweisverwertungsverbot, es muss also abgewogen werden, ob die Blutprobe im Prozess als Beweismittel verwertet werden kann. Hierfür spricht vor allem, wenn die Probe hypothetisch auch rechtmäßig hätte erlangt werden können. Außerdem ist der Eingriff in die körperliche Integrität des Beschuldigten, da die Blutprobe bereits entnommen ist, ohnehin abgeschlossen, so dass seine grundrechtlich geschützte Position durch die Verwertung der Blutprobe nicht weiter beeinträchtigt wird. Im Ergebnis ist daher meist von einer Verwertbarkeit auszugehen, es sei denn, es wurde bewusst und willkürlich gegen die Verfahrensvorschriften des § 81a StPO verstoßen.

(2) Fahrausfallerscheinungen

Da T nur relativ fahruntüchtig war, müsste er Fahrausfallerscheinungen an den Tag gelegt haben. Dies sind alle typischerweise alkoholbedingten Ausfallerscheinungen, beispielsweise das unkontrollierte Fahren, das Fahren in Schlangenlinien oder auch eine sorglose und leichtsinnige Fahrweise.[19]Rengier, StrafR BT II, 20. Auflage, S. 409. Vorliegend fuhr T kontrolliert und konnte Hindernissen auch bei hoher Geschwindigkeit weitestgehend ausweichen. Indes legte er in Form der deutlich überhöhten Geschwindigkeit, des teilweisen Fahrens auf der Gegenfahrbahn, des Querens von Kreuzungen unter Missachtung der Vorfahrt und der planmäßigen Kollision mit dem Fahrzeug des P verschiedene Verhaltensweisen an den Tag, die sich besonders leichtsinnig darstellen und die so auf eine Enthemmung und Selbstüberschätzung infolge der Alkoholisierung schließen lassen. T zeigte mithin infolge seiner Alkoholisierung Fahrausfallerscheinungen.

cc) Rechtsgutgefährdung

Indem T sein Fahrzeug seitlich in jenes des P lenkte und dabei an diesem Kratzer hervorrief, beschädigte er eine fremde Sache. Die Reparaturkosten für die Kratzer beliefen sich auf 1.000,00 EUR, so dass die Beschädigung auch oberhalb der in der Rechtsprechung etablierten Grenze von 750,00 EUR lag. Die Beschädigung einer fremden Sache von bedeutendem Wert lag daher vor.

dd) Zurechnungszusammenhang

In dem Verhalten des T, sein Fahrzeug wieder auf die C-Straße zu lenken und dort den Zusammenstoß mit dem Fahrzeug des P zu riskieren, um seine Flucht fortzusetzen, spiegelt sich auch gerade das für eine Alkoholisierung typische enthemmte und leichtsinnige Verhalten wieder, so dass sich die Rechtsgutgefährdung auch als Folge der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit darstellt.

b) Subjektiver Tatbestand

T müsste auch den subjektiven Tatbestand erfüllt haben, also vorsätzlich hinsichtlich seiner Fahruntüchtigkeit infolge der Alkoholisierung und hinsichtlich der Herbeiführung des Zusammenstoßes gehandelt haben.

T handelte im Bewusstsein darüber, dass er alkoholisiert war und infolgedessen nicht mehr die Fähigkeit hatte, sein Fahrzeug besonnen und verkehrssicher zu führen.

Die Beschädigung des Fahrzeugs von P durch dessen seitliches Rammen wurde von T ebenfalls billigend in Kauf genommen, also mit Eventualvorsatz begangen.

T erfüllte daher den subjektiven Tatbestand des Delikts.

2. Rechtswidrigkeit und Schuld

Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe zugunsten des T sind nicht ersichtlich.

3. Ergebnis

T hat sich gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1 lit. a) StGB strafbar gemacht. 

V. § 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 StGB

T könnte sich durch sein Fluchtverhalten unter Missachtung zahlreicher Verkehrsregeln zudem nach § 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 StGB strafbar gemacht haben.

1. Tatbestand
a) Objektiver Tatbestand

T könnte den objektiven Tatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB erfüllt haben, indem er sein Kraftfahrzeug mit nicht angepasster Geschwindigkeit und in grob verkehrswidriger Weise fortbewegte. Dafür müsste er in grob verkehrswidriger Weise gegen das Gebot des Fahrens mit angepasster Geschwindigkeit nach § 3 StVO verstoßen haben. T befuhr hier die B-Straße, auf der eine Geschwindigkeit von 70 km/h zulässig ist, mit einer Geschwindigkeit von 120 km/h. Zum schnelleren Fortbewegen missachtete er zudem das Rechtsfahrgebot nach § 2 Abs. 1 StVO und die Vorfahrtsregelung des § 8 Abs. 1 Nr. 1 StVO. Er verstieß daher in grob verkehrswidriger Weise gegen das Gebot des Fahrens mit angepasster Geschwindigkeit und verwirklichte mithin objektiv § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB.

Im Zusammenhang mit seinem Fluchtbestreben beschädigte T zudem das Polizeifahrzeug des P, welches eine fremde Sache von bedeutendem Wert darstellt, so dass die Tat nach § 315d Abs. 2 StGB qualifiziert ist.

b) Subjektiver Tatbestand

T nahm die Beschädigung des Polizeifahrzeugs jedenfalls billigend in Kauf. Jedoch müsste T subjektiv auch rücksichtslos und mit der Absicht des Erreichens einer Höchstgeschwindigkeit gehandelt haben.

Das „Erreichen einer höchstmöglichen Geschwindigkeit“ knüpft dabei nicht an das Erreichen der physikalischen Grenzen des jeweiligen Fahrzeugs an, sondern daran, dass der Täter im Einzelfall mit seiner Fahrweise darauf abzielt, möglichst schnell voranzukommen.[20]KG Berlin, Beschluss vom 15.04.2019 – 161 Ss 36/19. T fuhr hier nicht nur mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit, sondern fuhr auch auf der Gegenspur und missachtete Vorfahrtsregelungen, um möglichst schnell von P fortzukommen. Dabei ist unerheblich, dass ihm kein konkreter Zielort vorschwebte.

Fraglich ist jedoch, wie es sich auf die geforderte Absicht auswirkt, dass das Erreichen einer höchstmöglichen Geschwindigkeit primär dem Ziel der Flucht vor dem P diente und damit keinen Selbstzweck darstellte. Der Wortlaut der Normüberschrift („verbotenes Kraftfahrzeugrennen“) spricht hier dafür, dass gerade das von einem Wettbewerbsgedanken geprägte Rennen sanktioniert werden soll. Ein solcher Wettbewerbsgedanke besteht bei T nicht. Im systematischen Zusammenhang mit den anderen Straßenverkehrsdelikten wird jedoch deutlich, dass der Begriff des „Rennens“ vor allem der Abgrenzung zur einfachen Geschwindigkeitsüberschreitung dienen soll, die lediglich eine Ordnungswidrigkeit darstellt. Die besondere Gefahr eines Rennens liegt darin, dass durch die rasante Fahrweise die Verkehrssicherheit in besonders hohem Maße außer Acht gelassen wird. Die Aufmerksamkeit des Fahrers dient primär der Erreichung eines Zieles in möglichst geringer Zeit und nur sekundär der Sicherheit im Straßenverkehr. Diese besondere Gefahr tritt auch bei einer Flucht vor Polizeibeamten auf. Somit ist es hier unschädlich, dass T als hauptsächliches Motiv die Flucht verfolgte. Er hatte demnach die Absicht zur Erreichung einer höchstmöglichen Geschwindigkeit.

Vernetztes Lernen:

Dasselbe Problem wird in einer ähnlichen Konstellation auch im Fall Der Einzelraser und sein Panikleiden behandelt.

Auch ein rücksichtsloses Handeln des T liegt angesichts der groben Verkehrsverstöße vor.

T erfüllte den subjektiven Tatbestand.

2. Rechtswidrigkeit und Schuld

T handelte rechtswidrig und schuldhaft.

3. Ergebnis

T hat sich durch die Fluchtfahrt nach § 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 StGB strafbar gemacht.

VI. § 305a Abs. 1 Nr. 3 StGB

Das Fahrzeug des P ist zwar ein Kraftfahrzeug der Polizei und mithin ein taugliches Tatobjekt im Sinne des § 305 Abs. 1 Nr. 3 StGB, allerdings ist angesichts der oberflächlichen Kratzer noch nicht von einer „Zerstörung“ auszugehen, so dass sich T nicht nach § 305a Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbar gemacht hat.

VII. §§ 223, 22, 23 Abs. 1 StGB

Eine Verletzung des P war von T ausdrücklich nicht gewollt, so dass eine Strafbarkeit wegen einer (versuchten) Körperverletzung nicht in Frage kommt.

VIII. §§ 303 Abs. 1, 303c StGB

Durch das seitliche Rammen des Polizeifahrzeugs des P mit dem eigenen Fahrzeug fügte T diesem zahlreiche Kratzer zu, er beschädigte es somit. Dies war von ihm auch billigend in Kauf genommen worden. Der gemäß § 303c StGB grundsätzlich erforderliche Strafantrag ist gestellt. T hat sich mithin nach §§ 303 Abs. 1, 303c StGB strafbar gemacht.

Anmerkung: Absolute und relative Antragsdelikte in der Staatsanwaltsklausur

Während im ersten Examen meist (wie hier) pauschal darauf verwiesen wird, dass alle erforderlichen Strafanträge gestellt sind, ist im Assessorexamen dem Aufbau nach zwischen absoluten und relativen Antragsdelikten zu unterscheiden. Was von beiden vorliegt, ergibt sich jeweils aus der Norm, in der das Antragserfordernis verankert ist.

Bei absoluten Antragsdelikten werden die Strafverfolgungsbehörden nur bei Vorliegen eines tauglichen Strafantrags tätig, so dass diese im A-Gutachten als Einstieg der jeweiligen Deliktsprüfung zu prüfen sind.

Bei relativen Antragsdelikten kann der fehlende Strafantrag durch ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung überwunden werden. Hier ist im A-Gutachten erst die Tat durchzuprüfen, um dann im letzten Schritt vor dem Ergebnissatz zu prüfen, ob ein Strafantrag oder eben ein öffentliches Interesse an der Verfolgung vorliegt. Hintergrund dieses Aufbaus ist, dass für die Begründung des öffentlichen Interesses die Umstände des Einzelfalles ausschlaggebend sind, die man vorher deshalb subsumiert haben sollte.

B. Gesamtergebnis und Konkurrenzen

T hat sich im Ergebnis gemäß § 113 Abs. 1, Abs. 2 S. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB, § 315c Abs. 1 Nr. 1 lit. a) StGB, § 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 StGB und §§ 303 Abs. 1, 303c StGB strafbar gemacht.

Fraglich ist hierbei angesichts der zeitlichen und räumlichen Erstreckung auf der einen Seite und des einheitlichen Fluchtvorsatzes auf der anderen Seite, ob die einzelnen Delikte im Verhältnis zueinander in Tateinheit nach § 52 StGB oder in Tatmehrheit nach § 53 StGB stehen.

Eine Tateinheit setzt dabei voraus, dass ein Geschehen durch einen solchen unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen mehreren strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen gekennzeichnet ist, dass sich das gesamte Tätigwerden auch für einen „objektiven“ Dritten bei natürlicher Betrachtungsweise als ein einheitlich zusammengefasstes Tun darstellt. Darüber hinaus müssen die strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen des Täters Ausdruck eines einheitlichen Täterwillens sein. Daraus folgt, dass eine Mehrheit von Tathandlungen die Annahme der natürlichen Handlungseinheit begründen kann, wenn sie auf einer einzigen Entschließung beruhen. Der Ablauf der durch den T initiierten Verfolgungsjagd stellt nach seinem Gesamtgepräge einen zusammenhängenden und von einem einheitlichen Fluchtvorsatz getragenen Lebensvorgang dar, der dazu führt, dass es sich bei der Tat nach § 113 Abs. 1, Abs. 2 S. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB um eine solche handelt, die die anderen Taten zu einer natürlichen Handlungseinheit im Sinne des § 52 StGB umklammert.

Die Taten stehen mithin zueinander in Tateinheit.


Zusatzfragen

Die Verwirklichung von Verkehrsdelikten hat in der Staatsanwaltsklausur die Folge, dass einige prozessuale Besonderheiten zu beachten sind. Welche sind das?

Im materiellen Gutachten („A-Gutachten“) sind die Straßenverkehrsdelikte zunächst nicht besonders zu behandeln. Teilweise wird vertreten, dass der Entzug der Fahrerlaubnis sowie die Einziehung des Führerscheins unter einem Punkt „Nebenfolgen“ zu behandeln sind. Dies ist jedoch nicht zwingend und erscheint angesichts der ohnehin erfolgenden Behandlung im prozessualen Gutachten repetitiv.

Anders ist dies im prozessualen Gutachten („B-Gutachten“). Hier ist bei der Verwirklichung von Straßenverkehrsdelikten stets daran zu denken, dass daraus regelmäßig folgt, dass der Täter gemäß § 69 Abs. 2 StGB als ungeeignet zum Führen von Fahrzeugen anzusehen ist. In der Folge ist ihm nach § 69 Abs. 1 StGB die Fahrerlaubnis zu entziehen und es kann eine Sperre für deren Neuerwerb nach § 69a StGB beantragt werden. Gemäß §111a Abs. 1 StPO kann auch die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis beantragt werden. Hiervon zu unterscheiden ist die Einziehung des Führerscheins als physisches Dokument, die nach § 69 Abs. 3 S. 2 StGB erfolgt. Es ist zudem eine Mitteilung in Strafsachen an das Straßenverkehrsamt zu veranlassen (MiStra Nr. 45).

Die Anträge selbst gehören nicht in das B-Gutachten selber und auch nicht in die Anklageschrift. In Bundesländern, in denen eine Abschlussverfügung zu fertigen ist, gehören sie in diese. In allen anderen Bundesländern wird im B-Gutachten lediglich formuliert, es sei ein Antrag zu stellen, dieser ist jedoch nicht Teil der Klausurleistung.

In der Anklageschrift, also dem praktischen Teil der Klausur, ist zu beachten, dass viele der Straßenverkehrsdelikte verschiedene Vorsatz- und Fahrlässigkeitselemente aufweisen. Dem ist Rechnung zu tragen, indem das jeweilige Vorliegen von Vorsatz und Fahrlässigkeit bereits im abstrakten Anklagesatz hervorgehoben wird. Zudem ist der abstrakte Anklagesatz des Straßenverkehrsdelikts um den Zusatz „wodurch er sich als ungeeignet zum Führen von Fahrzeugen erwies“ zu ergänzen, wenn dem Angeschuldigten die Fahrerlaubnis entzogen werden soll. Nach dem konkreten Anklagesatz ist bei der Nennung der entscheidungstragenden Normen neben den verwirklichten Delikten auch an die §§ 69, 69a StGB zu denken, wenn diese zur Anwendung kommen.[21]Zur Vertiefung vgl. Weitner/Schuster, JA 2014, 612

M ist Tatverdächtiger in einem Mordfall. Im Rahmen der Ermittlungen zu dieser Tat wird bei M eine rechtmäßige Personendurchsuchung durchgeführt, in deren Rahmen sein Smartphone gefunden wird, welches mittels eines Fingerabdruckscanners gesperrt ist. Die kontrollierenden Polizisten A und B haben hinreichenden Verdacht zu der Annahme, dass die auf dem Smartphone befindlichen Textnachrichten bei der Überführung des M helfen könnten. M, der das Smartphone noch freiwillig herausgegeben hatte, verweigert jedoch dessen Entsperrung. Kurzerhand beschließen die Polizisten, den Finger des T durch Anwendung leichten unmittelbaren Zwanges selber auf den Fingerabdruckscanner zu führen, um das Handy zu entsperren. Dies gelingt Ihnen auch, so dass sie das Handy öffnen können, obwohl M sich heftig dagegen wehrt und um sich schlägt.

Aus diesem Grund wird M, separat von dem Mordprozess, wegen Taten nach Para. 113 Abs. 1 StGB angeklagt. Im Prozess beruft der Strafverteidiger des M sich darauf, dass das erzwungene Auflegen des Fingers rechtswidrig gewesen sei, so dass der Widerstand gemäß Para. 113 Abs. 3 S. 1 StGB nicht strafbar gewesen wäre.

Zu Recht?

Vgl. hierzu die Ausführungen des OLG Bremen, Beschluss vom 08.01.2025 – 1 ORs 26/24.

Die Tat des M wäre gemäß § 113 Abs. 3 S. 1 StGB nicht strafbar, wenn das Auflegen des Fingers durch die Polizisten A und B rechtswidrig gewesen wäre. Dies wäre der Fall, wenn keine Rechtsgrundlage für das erzwungene Auflegen des Fingers bestünde.

Gemäß § 81b Abs. 1 StPO dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten indes auch gegen seinen Willen aufgenommen werden, wenn dies für die Erreichung der Zwecke des Strafverfahrens notwendig ist. Auch „ähnliche Maßnahmen“ sind von dieser Rechtsgrundlage erfasst. Dabei ist die Norm technikoffen formuliert und soll auch Maßnahmen erfassen, die modernen technischen Entwicklungen entsprechen. Zentral ist lediglich die Erfassung biometrischer Daten, für die § 81b Abs. 1 StPO daher eine Art Generalklausel darstellt. Die Norm enthält zudem inhärent eine Annexkompetenz zur Anwendung unmittelbaren Zwangs für die Erlangung des biometrischen Datums. Vorliegend ist zudem zu beachten, dass die ausdrücklich gesetzlich genehmigte Aufnahme von Fingerabdrücken und die Bedienung eines Fingerabdruckscanners dasselbe biometrische Datum erfassen. Beides sind zudem recht milde Maßnahmen ohne dauerhafte Datenspeicherung. Grundsätzlich kommt eine Anwendung von § 81b Abs. 1 StPO als Rechtsgrundlage somit in Frage.
Der Eingriff müsste überdies mit höherrangigem Recht vereinbar sein. Ein Verstoß gegen die Selbstbelastungsfreiheit (nemo-tenetur-Grundsatz) kommt vorliegend nicht in Betracht, da diese von vornherein nur gegenüber einem Zwang zur aktiven Mitwirkung an der eigenen Überführung besteht, nicht gegenüber der passiven Duldung. Aufgrund des offenen und kurz andauernden Zugriffs liegt auch weder ein Verstoß gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, noch gegen das Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme vor. Zu beachten ist an dieser Stelle, dass der spätere mögliche Zugriff auf Daten innerhalb des Telefons hier nicht Gegenstand der Überprüfung ist und sich seinerseits an §§ 94, 110 StPO messen lassen muss. Angesichts des Umstandes, dass mit dem Mord ein schwerer Tatvorwurf im Raum stand, die Maßnahme für das Auffinden von Beweismitteln geeignet war, anderweitige Maßnahmen wie bspw. die Anfertigung einer Fingerattrappe sogar eingriffsintensiver gewesen wären und der Eingriff in die körperliche Integrität des Beschuldigten an sich nur kurz dauerte und nicht besonders intensiv war, erschien die Anwendung des unmittelbaren Zwanges auch nicht unverhältnismäßig.

Die Maßnahme konnte daher in rechtmäßiger Weise auf § 81b Abs. 1 StPO gestützt werden, so dass bereits kein Beweiserhebungsverbot bestand, aus dem ein Beweisverwertungsverbot folgen könnte.[22]Vgl. Vertiefend zu dieser Problematik und allgemein zur Durchsuchung von Mobiltelefonen Beukelmann, NJW-Spezial 2024, 696.

Zusammenfassung

2. Für die Annahme des subjektiven Tatbestandes des § 113 Abs. 1 StGB ist nicht erforderlich, dass sich der Täter gegen die Insassen des Streifenwagens in ihrer Eigenschaft als Polizisten wenden will oder die Kollision absichtlich herbeiführt. Vielmehr ist eine (bedingt) vorsätzliche Widerstandsleistung bereits dann zu bejahen, wenn der Täter die eingetretene Gewalteinwirkung als aus seiner Sicht notwendiges Zwischenziel anstrebt, um seine Flucht fortsetzen zu können.


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