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Falsa Demonstratio beim Grundstückskauf?

BGH, Urteil vom 23.06.2023 – V ZR 89/22; NJW 2023, 2942

Sachverhalt

(leicht abgeändert)

Die K kaufte von der B im März 2009 ein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück zum Preis von 270.000€. In dem notariellem Kaufvertrag war als Kaufgegenstand das 911 m2 große Flurstück 291/3 aufgeführt.

Neben dem genannten Flurstück befindet sich das lediglich 19 m2 große Flurstück 277/22, welches sich im Eigentum des D befindet, jedoch weder baulich noch in sonstiger optisch wahrnehmbarer Weise vom Grundstück der B abgetrennt ist. Vielmehr erwecken die natürlichen Gegebenheiten den Eindruck eines einheitlichen Grundstücks.

Als K und B das Grundstück des B im Vorhinein besichtigten, gingen sie daher irrtümlich davon aus, dass es sich bei der gesamten einheitlichen Fläche um das im Eigentum der B stehende Flurstück 291/3 handele. Die B sicherte der K in diesem Zuge insbesondere zu, dass die Immobilie, wie sie sich in ihren natürlichen Grenzen darstelle, voll und ganz in ihrem Eigentum stünde. Der Irrtum klärte sich bis zur Unterzeichnung des notariellen Kaufvertrages und darüber hinaus nicht auf.

Nachdem es zwischen K und B zur Auflassung über das Flurstück 291/3 kam und K entsprechend als Eigentümerin dieses Flurstücks ins Grundbuch eingetragen worden war, nahm K das Grundstück samt Flurstück 277/22 in Besitz. Von diesem Vorgang erfuhr D, der daraufhin von K die Herausgabe des Flurstücks 277/22 verlangte. Die K erklärt daraufhin gegenüber B den Rücktritt vom Kaufvertrag und verlangt im Januar 2020 Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückübereignung und Rückgabe des Grundstücks. Zu Recht?

Bearbeiterhinweis: Gehen Sie davon aus, dass auch für den Kauf die Vorschriften des BGB in ihrer am 01.10.2023 geltenden Fassung einschlägig sind. Etwaige Übergangsvorschriften sind nicht zu berücksichtigen. Gehen Sie ferner davon aus, dass die Rücktrittserklärung der K nicht als Anfechtungserklärung verstanden werden oder in eine solche umgedeutet werden kann. Gehen Sie davon aus, dass die B alle ihr zustehenden Einreden erhoben hat. Gehen Sie davon aus, dass K das Grundstück nicht gekauft hätte, wenn ihr zum Zeitpunkt des Abschluss des Kaufvertrages bewusst gewesen wäre, dass die Fläche des Flurstücks 277/22 nicht zum verkauften Grundstück gehört. § 313 BGB ist nicht zu prüfen.

Anmerkung: Sachverhaltsänderungen

Der Fall wurde zur Vereinfachung der Bearbeitung ein wenig abgeändert. In dem Sachverhalt, der dem BGH-Urteil zugrunde liegt, konnte nicht ermittelt werden, ob auch die B dem in Frage stehenden Irrtum unterlag. Davon wurde hier ausgegangen, um den Sachverhalt etwas deutlicher zu gestalten. Auch die Feststellung, dass die in Frage stehenden Flurstücke den Eindruck eines einheitlichen Grundstücks erwecken, konnte vom BGH nicht in der hier aufgeführten Deutlichkeit festgestellt werden.
Die Aussagen der B bei der Besichtigung gingen im eigentlichen Sachverhalt lediglich aus den Aussagen der K hervor, wurden hier jedoch als Fakt in den Sachverhalt übernommen.

Über die bloße Rückabwicklung hinaus begehrte die Klägerin außerdem die Freistellung von allen sich im Rahmen der Rückabwicklung ergebenden Schäden. Auf die Frage nach einem solchen Freistellungsanspruch wurde hier verzichtet.


Skizze


Gutachten

A. Anspruch aus §§ 346 I, 323 I, 434, 437 Nr.2 BGB

K könnte gegen B einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 270.000€ Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Grundstücks aus §§ 346 I, 323 I, 434, 437 Nr.2 BGB haben.

Dies würde jedenfalls voraussetzen, dass K wirksam vom Kaufvertrag mit der B zurückgetreten ist. Es müssten zumindest eine Rücktrittserklärung der K sowie ein der K zustehendes Rücktrittsrecht vorliegen.

I. Rücktrittserklärung, § 349 BGB

K hat den Rücktritt vom Kaufvertrag mit der B erklärt.

II. Rücktrittsrecht, §§ 323 I, 434, 437 Nr.2 BGB

Fraglich ist allerdings, ob der K auch ein Rücktrittsrecht zusteht. Sollten K und B einen Kaufvertrag über das Grundstück geschlossen haben, könnte sich ein solches aus §§ 323 I, 434, 437 Nr.2 BGB ergeben, wenn dem Grundstück ein Sachmangel i.S.d. § 434 BGB anhaften würde.

1. Kaufvertrag zwischen K und B

Fraglich ist, ob K und B sich wirksam über einen Kaufvertrag i.S.d. § 433 BGB geeinigt haben. Zwar waren sie sich grundsätzlich über den Kauf des Grundstücks einig, allerdings könnte zumindest K einem Irrtum hinsichtlich des Leistungsgegenstandes unterlegen sein, sodass unklar ist, ob B und K sich überhaupt wirksam über einen Kaufvertrag geeinigt haben. Dies könnte jedoch zumindest dann zunächst dahinstehen, wenn schon kein Sachmangel i.S.d. § 434 BGB vorliegt.

Anmerkung: Offenlassen des Vorliegens eines Kaufvertrages
ACHTUNG: Diese Anmerkung nimmt nachfolgende Prüfungspunkte teilweise vorweg und sollte daher nicht durchgelesen werden, wenn beabsichtigt ist, den Fall noch weiter zu lösen!

Da ein Rücktritt von einem Vertrag grds. nur dann möglich ist, wenn er auch tatsächlich besteht, ist diese Herangehensweise ein wenig unschön. Dogmatisch richtiger wäre es eigentlich, hier sowohl die Möglichkeit des mangelnden Konsens, als auch die Anfechtung (die hier jedoch auch per Bearbeitervermerk ausgeschlossen ist) inzident zu prüfen.
Um überhaupt auf die Idee eine solchen inzidenten Prüfung zu kommen, müsste jedoch zunächst festgestellt werden, dass es sich bei der Vereinbarung über die vom Vertrag erfassten Flurstücke nicht um eine Beschaffenheitsvereinbarung, sondern um die Bestimmung des Leistungsgegenstandes selbst handelt. Da der BGH diese Einordnung als einen wesentlichen Punkt des Urteils jedoch im Zusammenhang mit dem Vorliegen einer Beschaffenheitsvereinbarung i.S.d. § 434 II Nr.1 BGB[1]vgl. Prüfunugspunkt 2. a). prüft, wurde dies hier so übernommen. Eine inzidente Prüfung an dieser Stelle wäre allerdings keinesfalls falsch.

2. Sachmangel i.S.d. § 434 BGB

Die Kaufsache (hier das Grundstück) ist gem. § 434 I BGB frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang (§ 446 BGB) den subjektiven Anforderungen (§ 434 II BGB), den objektiven Anforderungen (§ 434 III BGB) und ggf. den Montageanforderungen (§ 434 IV BGB) entspricht.

a) Subjektive Anforderungen, § 434 II BGB

Da B an die K lediglich das Flurstück 291/3 und nicht das Flurstück 277/22 übereignete, könnte die geleistete Sache nicht der vereinbarten Beschaffenheit entsprechen und somit einen Mangel i.S.d. § 434 II Nr.1 BGB aufweisen. Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass die von B und K getroffenen Abreden auch das Flurstück 277/22 umfassten, würde dies allerdings zunächst voraussetzen, dass eine Vereinbarung, dass das verkaufte Grundstück neben dem Flurstück 291/3 auch aus dem Flurstück 277/22 besteht, überhaupt eine Beschaffenheitsvereinbarung i.S.d. § 434 II Nr.1 BGB darstellt.
Davon abzugrenzen sind im Wesentlichen diejenigen Abreden, die sich gerade nicht auf die Beschaffenheit einer Kaufsache, sondern auf die Bestimmung der Leistung (also der Kaufsache) selbst beziehen.[2]vgl. dazu BGH, Urteil vom 23.06.2023 – V ZRR 89/22 – NJW 2023, 2942, Rn.5; BGH, Urteil vom 11.11.2011 – V ZR 245/10, Rn.9;

Entscheidend für das Vorliegen einer Beschaffenheitsvereinbarung ist also, ob die Vereinbarung der Flurstücke, auf welche sich ein verkauftes Grundstück erstreckt, eine Vereinbarung des Leistungsumfangs (Leistung besteht aus einem „Grundstück“, welches aus den Flurstücken A und B besteht) selbst oder eine Vereinbarung der Beschaffenheit der Leistung (Leistung besteht aus „Grundstück“, zu dessen Beschaffenheit es gehört, dass es sich auf Flurstücke A und B erstreckt) darstellt.

Gegenstand von Beschaffenheitsvereinbarungen können grds. alle Merkmale der Sache sein, die zur Beschaffenheit gehören,[3]Faust in BeckOK BGB, 67. Edition, Std. 01.08.2023, § 434 BGB, Rn.36 also vornehmlich Art, Menge, Qualität (z.B. Haltbarkeit o.ä.), Funktionalität, Kompatibilität und Interoperabilität.[4]Faust in BeckOK BGB, § 434 BGB, Rn. 14, 38 ff. Bzgl. der Erstreckung des Grundstücks könnte es sich allenfalls um eine Bestimmung hinsichtlich der Qualität des verkauften Grundstücks handeln. Insbesondere die Bestimmung der „Menge“ scheidet aus, da diese sich nur auf die Menge gleichartiger Sachen[5]Faust in BeckOK BGB, § 434 BGB, Rn.40. und somit gerade nicht auf individualisierte Flurstücke bezieht.

Bei den Flurstücken, auf die sich ein Grundstück erstreckt, handelt es sich in gewisser Weise zwar um wertprägende Merkmale eines Grundstücks. Dies liegt im Regelfall jedoch gerade daran, dass die Flurstücke als vermessungstechnische Einheit der grundbuch- bzw. katastermäßigen Bezeichnung eine bestimmte Menge an Erdoberfläche ausweisen.[6]vgl. zur Definition von Grundstücken und Flurstücken bei Interesse die Ausführungen von Fuchs in Weber, Rechtswörterbuch, 31. Edition 2023 „Flurstück“ und „Grundstück“. Somit sind die Flurstücke, auf welche sich ein Grundstück bezieht, eher quantitativ (im Sinne des Ausmaßes) und nicht qualitativ wertprägend. Dafür spricht auch, dass die auf Flurstücken basierende kataster- und grundbuchmäßige Bezeichnung regelmäßig zur hinreichenden Individualisierung von Grundstücken in Kaufverträgen herangezogen wird.[7]vgl. Gehrlein in BeckOK BGB, § 311b BGB, Rn.21. Es ist also davon auszugehen, dass es sich bei der Bestimmung, auf welche Flurstücke sich ein Grundstück erstreckt, um eine Bestimmung des Leistungsumfangs und nicht der Beschaffenheit handelt. Etwas anderes käme erst dann in Frage, wenn eine wesentliche Qualität des Grundstücks nur durch ein bestimmtes Flurstück vermittelt wird (z.B. Einordnung als Seegrundstück, weil nur das fragliche Flurstück an den See angrenzt).[8]vgl. BGH, Urteil vom 23.06.2023 – V ZR 89/22NJW 2023, 2942, Rn.5, der genau dieses Beispiel anführt. Ein solcher Fall ist hier jedoch nicht ersichtlich. Es kommt hier also gar nicht darauf an, ob das Flurstück 277/22 in die Abreden von K und B einbezogen worden ist. Eine Beschaffenheitsvereinbarung liegt nicht vor. Es ist ferner nicht ersichtlich, dass sich das Grundstück nicht zur nach dem Vertrag vorausgesetzten Verwendung eignet (§ 434 II Nr.2 BGB) oder ohne das vertraglich vereinbarte Zubehör übergeben wird (§ 434 II Nr.3 BGB). Somit entspricht das Grundstück den subjektiven Anforderungen i.S.d. § 434 II BGB.

Anmerkung: Beschaffenheitsvereinbarung oder Leistungsbestimmung im Urteil
Schon die etwas komplizierte Eingangsformulierung dieses Prüfungspunktes zeigt, dass es nicht unproblematisch ist, zwischen dem Umfang der Leistung und der Beschaffenheit der Leistung zu differenzieren. Der BGH ist auf diese Frage in seinem Urteil ohnehin insbesondere deswegen eingegangen, weil die Klägerin ihren Vortrag vornehmlich auf ein Rücktrittsrecht aus §§ 323 I, 434, 437 Nr.2 BGB stützte und das Berufungsgericht (OLG Oldenburg, 29.04.2022 – 14 U 300/21) die Berufung der Klägerin lediglich mit der Begründung ablehnte, dass es zu einer entsprechenden Beschaffenheitsvereinbarung nur deswegen nicht gekommen sei, weil die Vereinbarung keinen Niederschlag im notariell beglaubigten Vertragstext gefunden habe.[9]vgl. BGH, Urteil vom 23.06.2023 – VV ZR 89/22 – NJW 2023, 2942, Rn.6.
Der BGH widmet sich dieser Problematik dann auch nur kurz (Rn.5) und stellt unter Verweis auf BGH, Urteil vom 11.11.2011 – V ZR 245/10 fest, dass es nicht zur Beschaffenheit eines Grundstücks gehört, dass es sich auf das Flurstück eines benachbarten Grundstücks erstreckt. In diesem Urteil wird allerdings auch nicht detaillierter auf die Abgrenzung eingegangen.
Für das bessere Verständnis, wurde in der vorliegenden Bearbeitung eine Argumentation für die Abgrenzung angeboten.
b) Objektive Anforderungen, § 434 III BGB

Es liegt außerdem kein Anhaltspunkt dafür vor, dass das Grundstück den objektiven Anforderungen i.S.d. § 434 III BGB nicht genügt. Ausweislich obiger (Prüfungspunkt a) )Ausführungen, ist die Beschaffenheit durch die Flurstücke nicht betroffen, sodass insbesondere § 434 III Nr.2 BGB nicht einschlägig ist.

c) Zwischenergebnis

Eine Montage i.S.d. § 434 IV BGB ist nicht durchzuführen. Das Grundstück ist somit gem. § 434 I BGB frei von Sachmängeln.

III. Ergebnis

Unabhängig davon, ob zwischen K und B ein wirksamer Kaufvertrag besteht, hat die K somit kein Rücktrittsrecht aus §§ 323 I, 434, 437 Nr.2 und daher gegen B keinen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 270.000€ Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Grundstücks aus §§ 346 I, 323 I, 434, 437 Nr.2 BGB.

B. Anspruch aus §§ 346 I, 326 V, 323 V 1, 433 I 1 BGB

K könnte gegen B einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 270.000€ Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Grundstücks aus §§ 346 I, 326 V, 323 V, 433 I 1 BGB haben.

Eine Rücktrittserklärung der K liegt jedenfalls vor (vgl. A.I.). Fraglich ist allerdings, ob der K auch ein Rücktrittsrecht aus §§ 326 V, 323 V 1 zustand.

Ein Rücktrittsrecht aus § 326 V BGB (i.V.m. § 323 V 1 BGB) setzt jedenfalls voraus, dass die Leistungspflicht des Schuldners zumindest teilweise[10]wenn nur teilweise unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 323 V 1 BGB. gem. § 275 BGB ausgeschlossen ist. Sollten K und B sich in dem Kaufvertrag über einen Kauf beider Flurstücke geeinigt haben, könnte der B die Leistung des Flurstücks 277/22 subjektiv unmöglich (§ 275 I Alt.1 BGB) oder jedenfalls nur unter grob unverhältnismäßigem Aufwand möglich sein (§ 275 II BGB), da das Flurstück 277/22 im Eigentum des D steht und B über das Flurstück somit nicht ohne weiteres verfügen kann.

Ob in einen zwischen K und B möglicherweise bestehenden Grundstückskaufvertrag das Flurstück 277/22 mit einbezogen ist, ist durch Auslegung nach Maßgabe der §§ 133, 157 BGB zu ermitteln.

Anmerkung: Prüfungsaufbau bei der Vertragsauslegung - bitte lesen!
Die Auslegung von Verträgen findet nach Maßgabe der §§ 133, 157 BGB statt. Dabei ergänzen sich § 133 BGB (nach welchem der wirkliche Wille einer Erklärung zu erforschen ist, ohne dass am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften ist) und § 157 BGB (der statuiert, dass Verträge nach Treu und Glaube und unter Rücksicht auf die Verkehrssitte auszulegen sind).[11]vgl. Wendtland in BeckOK BGB, § 157 BGB, Rn.2. Neben dem scheinbaren Widerspruch der Aussagen der beiden Normen macht insbesondere der Umstand, dass in der Praxis regelmäßig beide Bestimmungen ohne nähere Abgrenzung voneinander angewendet werden,[12]Wendtland in BeckOK BGB, § 157 BGB, Rn.2 a.E. unter Anführung von BGH, NJW-RR 2000, 1002 (1003) und BGH, NJW-RR 1995, 833 (834) als Beispiel. Studierenden beim Aufbau einer solchen Auslegung Schwierigkeiten.
Der sicherste Aufbau in der Klausur wäre wohl der, der dem methodisch saubersten Weg folgt. Dieser besteht darin, beide Willenserklärungen (nach der Prüfung auf ihre Wirksamkeit; §§ 116-118 BGB beachten!) zunächst nach Maßgabe des § 133 BGB dem wirklichen Willen des Erklärenden nach auszulegen. Im Anschluss könnte dann ermittelt werden, inwiefern der wirkliche Wille der Parteien übereinstimmt. Stimmt der wirkliche Wille der Parteien überein und haben sie die Erklärungen des jeweils anderen entsprechend des geäußerten Willens verstanden, besteht gar kein Bedarf mehr für eine Auslegung der Willenserklärung danach, wie sie der Empfänger nach Treu und Glauben unter der Berücksichtigung von Wortlaut, Begleitumständen und Verkehrssitte verstehen musste[13]Wendtland in BeckOK BGB, § 133 BGB, Rn.27., da in diesem Fall der objektive Erklärungswert zurücktritt.
Wendet man diese Herangehensweise jedoch im vorliegenden Fall an, steht man vor einigen Problemen. Zum einen ist der Sachverhalt nicht ausreichend ausdifferenziert, als dass die einzelnen Willenserklärungen von K und B wirklich voneinander getrennt werden könnten. Zum anderen läuft man bei dieser Herangehensweise Gefahr, dass man die eigentliche Problematik des vorliegenden Urteils nicht sauber herausarbeitet. Letztlich erschweren auch die unterschiedlichen Theorien von Literatur und Rechtsprechung zur Auslegung von formbedürftigen Erklärungen ein dogmatisch sauberes Vorgehen. Hier bietet sich daher mE am ehesten an, den Vertrag entsprechend der Rechtspraxis zunächst nach §§ 133, 157 BGB anhand des objektiven Empfängerhorizonts auszulegen und im Anschluss zu prüfen, ob es angesichts eines anderen wirklichen Willens der Parteien einer Korrektur des Ergebnisses bedarf. Eine Herangehensweise, bei der vorrangig der wirkliche Willen der Parteien ermittelt wird, wäre aber keinesfalls verkehrt!

Im Regelfall sind empfangsbedürftige Willenserklärungen (und somit auch Verträge) nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) auszulegen. Sie sind also so auszulegen, wie sie der Empfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung von Wortlaut, Begleitumständen und der Verkehrssitte verstehen musste.[14]Wendtland in BeckOK BGB, § 133 BGB, Rn.27 unter Verweis auf BGH GRUR 2021, 721 (723); BGH, NJW 1992, 1446 f.; BGH, NJW 1990, 3206. Es ist mithin darauf abzustellen, wie ein objektiver Dritter bei vernünftiger Beurteilung der ihm bekannten oder erkennbaren Umstände die vom Erklärenden gewählten Ausdrucksformen hätte verstehen können und müssen.[15]BGH, NJW 2006, 286 f.; BGH, NJW 2005, 3636 f.; BGH, NJW 1961, 2251.

I. Wortlaut der notariellen Vertragsurkunde

Für die Auslegung eines notariellen Kaufvertrages ist dabei zunächst der Wortlaut der notariellen Vertragsurkunde in den Blick zu nehmen.[16]vgl. BGH, Urteil vom 23.06.2023 – V ZR 89/22NJW 2023, 2942, Rn. 14. Dieser ist hier sehr deutlich und beschränkt den Leistungsgegenstand klar auf das Flurstück 291/3, wohingegen das Flurstück 277/22 keinerlei Erwähnung findet und daher dem Wortlaut der Vertragsurkunde nach nicht in den Vertrag einzubeziehen ist.

II. Außerhalb des Wortlauts der notariellen Vertragsurkunde liegende Umstände

Angesichts dessen, dass B und K bei der Besichtigung des Grundstücks jedoch beide dem Irrtum unterlagen, dass es sich bei der gesamten optisch einheitlichen Fläche (bestehend aus Flurstück 291/3 und Flurstück 277/22) um das der B gehörende Grundstück handelt, könnte jedoch die Einbeziehung der Begleitumstände in die Auslegung zu einem anderen Ergebnis führen.

Der in Frage stehende Grundstückskaufvertrag ist allerdings gem. § 311b I 1 BGB formbedürftig und bedarf der notariellen Beurkundung.

Fraglich ist daher, unter welchen Voraussetzungen die nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Vertragsurkunde hervorgehenden Umstände bei formbedürftigen Erklärungen in die Auslegung mit einbezogen werden können. Schließlich könnte die Einbeziehung solcher Umstände in die Auslegung (also ein Verzicht auf die Formbindung des Erklärungsinhalts) dazu führen, dass insbesondere der Beweissicherungszweck von Formvorschriften unterlaufen würde,[17]vgl. Möslein in BeckOGK, § 133 BGB, Rn. 84 mwN sodass Streitigkeiten über den Urkundeninhalt, anders als vom Gesetzgeber beabsichtigt, nicht vermieden werden würden.[18]Ebd. Allerdings statuiert § 133 BGB ein Verbot der Buchstabeninterpretation von Willenserklärungen, dem ein Außerachtlassen der Umstände, die keinen Niederschlag in den Urkundstext gefunden haben, zuwiderlaufen würde.[19]Möslein in BeckOGK, § 133 BGB, Rn.84 mwN. Zur Lösung dieses Dilemmas existieren unterschiedliche Ansichten:

Anmerkung: Streit bei Auslegung formbedürftiger Erklärungen
Dieser Streit findet sich in dem vorliegenden BGH-Urteil nicht, was vornehmlich daran liegt, dass sich dieser Streit zwischen Rspr. (Andeutungstheorie) und der herrschenden Literatur aufspannt. Obwohl der BGH die Literaturansicht deshalb nicht anführt, ist sie in der Klausurbearbeitung dennoch zu beachten. Letztlich geht es bei diesem Streit darum, ob Umstände, die in der notariellen Vertragsurkunde nicht einmal angedeutet sind, in die Auslegung einbezogen werden können und oder nicht. Während die Literatur die Herangehensweise präferiert, zunächst nach allgemeinen Regeln auszulegen (also alle dem Erklärungsempfänger erkennbaren äußeren Umstände) in die Auslegung einzubeziehen und erst nach dieser Auslegung zu prüfen, ob das Auslegungsergebnis das Formerfordernis untergräbt,[20]vgl. dazu Möslein in BeckOGK, § 133 BGB, Rn. 82 ff. berücksichtigt die Rechtsprechung mit Verweis auf das Formerfordernis von vornherein nur solche Umstände, die sich zumindest andeutungsweise im Wortlaut der Urkunde niederschlagen.
Hinweis zur gutachterlichen Umsetzung des Streits: da die Rechtspraxis nur in Sonderfällen von der Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont abweicht und ansonsten gerade nicht den dogmatisch sauberen Weg der Auslegung (siehe letzte Anmerkung) wählt, lässt sich die Andeutungstheorie nicht genau in die letztgenannte Herangehensweise einordnen. Im hier vorgenommenen Aufbau bietet es sich mE am ehesten an, die Frage nach dem Vorliegen einer Falsa Demonstratio im Rahmen der Andeutungstheorie zu führen, da sie hier noch größere Auswirkungen hat als im Rahmen der zivilprozessualen Lösung.
1. Rspr.: Andeutungstheorie

Nach der von der Rechtsprechung vertretenen Andeutungstheorie[21]vgl. Möslein in BeckOGK, § 133 BGB, Rn.85. können bei formbedürftigen Verträgen außerhalb der Vertragsurkunde liegende Umstände nur dann in die Auslegung einbezogen werden, wenn der einschlägige rechtsgeschäftliche Willen der Parteien in der formgerechten Urkunde einen, wenn auch nur unvollkommenen, Ausdruck gefunden hat.[22]BGH, Urteil vom 23.06.2023 – V ZR 89/22NJW 2023, 2942, Rn.15; BGH, NJW 1975, 536; BGH, NJW 1983, 1610; BGH, NJW-RR 2017, 712, Rn.22.

a) Niederschlag des Irrtums in der Vertragsurkunde

Im vorliegenden Fall haben der Irrtum von K und B über die tatsächlichen Ausmaße des Flurstücks 291/3 und die entsprechenden Äußerungen der B keinerlei Niederschlag in der Vertragsurkunde gefunden, sodass dieser Umstand in die Auslegung grds. nicht mit einbezogen werden kann.[23]vgl. BGH, Urteil vom 23.06.2023 – V ZR 89/22NJW 2023, 2942, Rn.16. Der Andeutungstheorie zufolge führt die Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) also dazu, dass der Vertrag lediglich über Flurstück 291/3 geschlossen worden ist.

b) Falsa Demonstratio non nocet (Korrektur bei versehentliche Falschbeurkundung)

In Ansehung des Verbots der Buchstabeninterpretation aus § 133 BGB müsste jedoch zumindest in den Fällen, in denen beide Parteien einen übereinstimmenden rechtsgeschäftlichen Willen gefasst haben und diesen lediglich versehentlich falsch bezeichnet haben (falsa demonstratio), auch im Rahmen der Andeutungstheorie eine Ausnahme vom Erfordernis des andeutungsweisen Niederschlags in der Vertragsurkunde angenommen werden (Falsa demonstratio non nocet).[24]vgl. Möslein in BeckOGK, § 133 BGB, Rn. 88 mwN; vgl. BGH, Urteil vom 23.06.2023 – V ZR 89/22NJW 2023, 2942, Rn. 18.

Anmerkung: Zusätzliche Ausführungen des BGH
Im Urteil führt der BGH in Rn. 19-22 außerdem an, warum die Durchbrechung der Andeutungstheorie in den Fällen der Falsa Demonstratio nicht im Widerspruch zum Urteil BGH, NJW 2016, 1815 steht. In diesem hatte der gleiche Senat (V ZR) ausführt, dass die Beschreibungen von Eigenschaften des verkauften Grundstücks durch den Verkäufer vor Vertragsschluss, die nicht in die notarielle Urkunde aufgenommen werden, im Regelfall nicht zu einer Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 I 1 BGB führen würden, da diese Rechtswirkung entfalten und somit formbedürftig seien.[25]BGH, NJW 2016, 1815, Rn.15 f. Den wesentlichen Unterschied der beiden Fälle sieht der Senat darin, dass bei einer Falschbezeichnung jedenfalls ein entsprechender Rechtsbindungswille vorliege, der in Form der Fehlbezeichnung seinen Niederschlag in der Vertragsurkunde gefunden hätte. Im Falle einer vorvertraglichen Beschaffenheitsvereinbarung, die ihren Weg im Ergebnis nicht in die Vertragsurkunde gefunden hätte, würde es jedoch gerade an einem entsprechenden Niederschlag des Rechtsbindungswillens fehlen.[26]vgl. BGH, Urteil vom 23.06.2023 – V ZR 89/22NJW 2023, 2942, Rn. 20-22.
Anmerkung: Falsa demonstratio non nocet
Die Falsa Demonstratio kennt man aus dem Studium im Zweifelsfall aus dem Haakjöringsköd-Fall, in dem zwei Deutsche – in beiderseitiger Unkenntnis der norwegischen Sprache – davon ausgehen, dass „Haakjöringsköd“ Walfleisch bedeutet. Dass die beiden sich dem norwegischen Wortlaut nach objektiv über den Kauf von Haifischfleisch geeinigt haben, ist letztlich irrelevant, da beide übereinstimmend davon ausgingen, dass sie einen Kaufvertrag über Walfleisch abschließen wollten.
Die an sich recht eingängige Regel, dass bei übereinstimmendem tatsächlichen Willen das tatsächlich Gewollte auch dann maßgeblich ist, wenn der objektive Erklärungsgehalt dem zuwiderläuft (falsa demonstratio non nocet), wird ein wenig verkompliziert, wenn – wie hier – das Spannungsfeld zwischen § 133 BGB und Formvorschriften betroffen ist.
Die Hauptproblematik im vorliegenden Fall liegt jedoch darin, zu ermitteln, ob überhaupt eine übereinstimmende Falschbezeichnung vorliegt.

Das Vorliegen einer solchen Falsa Demonstratio würde allerdings zumindest voraussetzen, dass K und B übereinstimmend etwas anderes als den Wortsinn der Vertragsurkunde verstanden haben – nämlich, dass sich der Vertrag auch auf Flurstück 277/22 bezieht. Ob dies der Fall ist, ist fraglich. Zwar unterlagen B und K beide dem Irrtum, dass die gesamte optisch einheitliche Grundstücksfläche im Eigentum der K stünde und gingen daher vermutlich auch beide davon aus, dass ein Grundstück entsprechend der naturgegebenen Grenzen veräußert werden sollte.

Da ein Grundstück jedoch im Allgemeinen nur in dem aus Grundbuch und Liegenschaftskataster hervorgehenden Umfang verkauft werden soll,[27]BGH, Urteil vom 23.06.2023 – V ZR 89/22NJW 2023, 2942, Rn. 26 unter Verweis auf BGH, NJW 2008, 1658, Rn.10; BGH, NJW-RR 2013, 789, Rn.20; BGH, NJW-RR 2017, 712, Rn.21 ist grundsätzlich nicht davon auszugehen, dass die Parteien mehr verkaufen wollen, als in dem Grundstückskaufvertrag genannt.

Dies gilt umso mehr für den Fall, dass die darüber hinausgehende Grundfläche gar nicht im Eigentum des Verkäufers steht.[28]BGH, Urteil vom 23.06.2023 – V ZR 89/22NJW 2023, 2942, Rn.27. Sofern keine entgegenstehenden Anzeichen bestehen, ist daher davon auszugehen, dass der Verkäufer eines Grundstücks lediglich die Flurstücke verkaufen will, die laut Grundbuch und Liegenschaftskataster in seinem Eigentum stehen.[29]BGH, Urteil vom 23.06.2023 – V ZR 89/22NJW 2023, 2942, Rn.27, 31. Etwas anderes ergibt sich nicht schon daraus, dass in Folge einer gemeinsamen Besichtigung des Grundstücks von Käufer und Verkäufer naheliegt, dass die Parteien mit den Angaben von Grundbuch und Liegenschaftskataster tatsächlich noch weitere Flurstücke in Verbindung bringen.[30]vgl. ebd.

Somit kann nicht davon ausgegangen werden, dass bzgl. der Mitveräußerung des Flurstücks 277/22 ein Fall der versehentlichen Falschbeurkundung vorliegt.

Die Grundlagen der Andeutungstheorie können daher nicht durchbrochen werden, sodass der Wortlaut der Vertragsurkunde maßgeblich ist. Das Flurstück 277/22 ist nach dieser Ansicht also nicht mitveräußert worden.

2. h.Lit.: Zivilprozessuale Lösung

Die h.Lit. hält hingegen am Grundsatz der Trennung von Inhalts- und Formfragen fest und will auch formbedürftige Erklärungen unter Anwendung der allgemeinen Auslegungsmaßstäbe auslegen. Eine Lösung des Widerspruchs von Formvorschrift und § 133 BGB solle auf zivilprozessualer Ebene erfolgen, indem die Vermutung gelten solle, dass die beurkundete Erklärung vollständig und richtig sei, wohingegen andere Umstände diese Vermutung widerlegen könnten.[31]vgl. Möslein in BeckOGK, § 133 BGB, Rn.86 mwN. Dabei wäre dann die Partei, die sich auf Umstände bezieht, die die vom Wortlaut ausgehende Vermutung widerlegen sollen, hinsichtlich dieser Umstände beweisbelastet.[32]Ebd.

Folgt man dieser Theorie, müssten die Umstände rund um die Besichtigung des Grundstücks in die Auslegung nach dem Empfängerhorizont mit einfließen, da K und B als Empfänger der Willenserklärung des jeweils anderen Kenntnis von den Umständen rund um die Besichtigung hatten. Es ist mithin darauf abzustellen, wie ein objektiver Dritter bei vernünftiger Beurteilung dieser ihm bekannten oder erkennbaren Umstände die vom Erklärenden gewählten Ausdrucksformen hätte verstehen können und müssen.

Auch unter Einbeziehung des Umstandes, dass K und B das Grundstück des B besichtigten und B dabei äußerte, dass das gesamte optisch einheitliche Areal Teil in seinem Eigentum stehe, kann nach dem objektiven Empfängerhorizont nicht davon ausgegangen werden, dass Flurstück 277/22 Teil des Vertrages geworden ist. Die obigen Ausführungen (siehe Prüfungspunkt a) bb) ), nach denen die bloße Fehlannahme der tatsächlichen Grenzen des Flurstücks allein nicht genügt, um davon auszugehen, dass auch die zu dieser Fehlannahme passenden Flurstücke verkauft werden sollen, lassen sich auf die Bewertung aus dem objektiven Empfängerhorizont ohne weiteres übertragen.

Die wahrnehmbaren Indizien sind somit jedenfalls nicht hinreichend stark, um die Vermutung der Richtigkeit der Urkunde zu widerlegen. Mithin führt auch die zivilprozessuale Lösung der Literatur zu einer Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB), nach welcher der Vertrag lediglich über Flurstück 291/3 geschlossen worden ist. Eine Korrektur im Wege der Figur der Falsa Demonstratio scheidet ausweislich obiger Ausführungen aus.

3. Zwischenergebnis

Beide Theorien führen zum gleichen Ergebnis, sodass ein Streitentscheid nicht erforderlich ist. Nach dem objektiven Empfängerhorizont ist der Vertrag lediglich über Flurstück 291/3 geschlossen worden.

Anmerkung: Zusammenfassung
Insbesondere durch die unterschiedlichen Theorien wirkt das Ganze hier ein wenig sperrig, daher hier nochmal eine kurze Zusammenfassung: Neben den Ausführungen zur Durchbrechung der Andeutungstheorie lässt sich aus dem Urteil vornehmlich entnehmen, dass der BGH davon ausgeht, dass die Parteien eines Grundstücksgeschäfts ihren rechtsgeschäftlichen Willen nicht an den wahrgenommenen tatsächlichen Gegebenheiten, sondern an den Aussagen des Grundbuchs und des Liegenschaftskatasters ausrichten.
Haben die Parteien beim Abschluss des Kaufvertrages also übereinstimmend das Bild eines anderen Grundstücks vor Augen, als die Parteien laut Grundbuch und Liegenschaftskataster übertragen, ist dennoch davon auszugehen, dass sie sich über letzteres geeinigt haben.
Diese Überlegung ist vermutlich auch realitätsnah. Schließlich bemisst sich der Wert eines Grundstücks maßgeblich nach dessen Größe und Lage, wobei die Parteien beide Kenngrößen im Zweifelsfall dem Grundbuch und dem Liegenschaftskataster entnehmen. Auch andere wesentliche Merkmale der Wertbeimessung, wie dingliche Belastungen, ergeben sich aus dem Grundbuch. Insbesondere wird der Verkäufer nur in den seltensten Fällen beabsichtigen, ein Grundstück zu verkaufen, welches nicht in seinem Eigentum steht. Daher ist davon auszugehen, dass die Parteien ihren rechtsgeschäftlichen Willen bei einem Grundstückskaufvertrag regelmäßig am Grundbuch und nicht an den Gegebenheiten vor Ort ausrichten.
Gleichsam ist der Käufer dadurch nicht schlechter gestellt. Zum einen hat er u.U. die Möglichkeit, im Wege der c.i.c. Schadensersatz geltend zu machen. Zum anderen kann er bei einem einseitigen Irrtum seine auf den Vertrag gerichtete Willenserklärung anfechten. Nicht vergessen sollte man außerdem, dass der Käufer die Möglichkeit hat, seinen optischen Eindruck selbst unter Heranziehung des Liegenschaftskatasters und des Grundbuchs zu prüfen.

III. Ergebnis

Da das Flurstück 277/22 somit kein Teil der Leistungspflicht der B geworden ist und daher auch kein Teil der Leistungspflicht der B gem. § 275 BGB erloschen ist, steht K gegen B kein Rücktrittsrecht aus §§ 326 V, 323 V 1, 433 I 1 BGB zu. K hat gegen B mithin keinen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 270.000€ Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Grundstücks aus §§ 346 I, 326 V, 323 V, 433 I 1 BGB.

Anmerkung: Ausschluss des Rücktritts wegen Verjährung des zugrundeliegenden Anspruchs
Der BGH geht in seinem Urteil auch auf die Möglichkeit der Unwirksamkeit des Rücktritts wegen Verjährung des zugrundeliegenden Anspruchs der K gem. § 218 I 1, II BGB ein.[33]BGH, Urteil vom 23.06.2023 – V ZR 89/22NJW 2023, 2942, Rn.10-12. In Ermangelung eines ansonsten wirksamen Rücktritts stellt sich diese Frage allerdings gar nicht. Ferner fehlen in dem Sachverhalt ohnehin die Angaben, um diese Frage zu bewerten, da nicht deutlich wird, wann der in Frage stehende Eigentumsverschaffungsanspruch fällig geworden ist. Diese Feststellung wäre jedoch notwendig, um den Beginn (§ 200 S. 1 BGB) der zehnjährigen Verjährungsfrist (§ 196 BGB) zu bestimmen.[34]vgl. BGH, Urteil vom 23.06.2023 – V ZR 89/22NJW 2023, 2942, Rn.10.

C. Anspruch aus §§ 280 I, 311 II Nr.1, 241 II, 249 BGB

K könnte gegen B jedoch einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 270.000€ Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Grundstücks aus §§ 280 I, 311 II Nr.1, 241 II, 249 I BGB haben.

I. Anspruch entstanden

Dafür müsste ein entsprechender Anspruch der K gegen die B zunächst überhaupt entstanden sein.

1. Vorvertragliches Schuldverhältnis, § 311 II Nr.1 BGB

Die Besichtigung des Grundstücks erfolgte im Rahmen der Vertragsverhandlungen, sodass spätestens zu diesem Zeitpunkt gem. § 311 II Nr.1 BGB ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 II BGB entstanden ist.

2. Verletzung einer Pflicht aus dem Schuldverhältnis

Durch die falsche Zusicherung, dass sich das gesamte Grundstück in seinen natürlich wahrnehmbaren Grenzen in ihrem Eigentum befindet, könnte B eine Nebenpflicht aus §§ 311 II Nr.1, 241 II BGB verletzt haben.

§ 241 II BGB verpflichtet die Parteien eines Schuldverhältnisses nach dessen Art zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des jeweils anderen Teils.
Dabei ist insbesondere anerkannt, dass der Verkäufer eines Grundstücks, dessen tatsächliche Größe von seiner Einfriedung abweicht, einer vorvertraglichen Informationspflicht hinsichtlich dieses Umstandes unterliegt.[35]vgl. Herresthal in BeckOGK, § 311 BGB, Rn. 239.1; BGH, NJW 2012, 846.
Die B, deren Grundstück nicht seinen optisch wahrnehmbaren Grenzen entspricht, kam dieser Informationspflicht allerdings nicht nach. Im Gegenteil bestätigte sie den optischen Eindruck sogar noch und hielt so den entsprechenden Irrtum der K hinsichtlich der Grundstücksgröße jedenfalls aufrecht.

B hat somit ihre nach §§ 311 II Nr.1, 241 II BGB bestehende Informationspflicht verletzt.

3. Verschulden

Hinsichtlich der Pflichtverletzung müsste B jedenfalls fahrlässig (§ 276 I, II BGB) gehandelt haben, wobei das Verschulden gem. § 280 I 2 BGB vermutet wird. Eine Exkulpation der B ist nicht ersichtlich, sodass ein Verschulden anzunehmen ist.

4. Rechtsfolge, § 249 I BGB

Gem. § 249 I BGB hat derjenige, der zum Schadensersatz verpflichtet ist, im Wege der Naturalrestitution den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Hier hat B durch die Informationspflichtverletzung einen Irrtum der K unterhalten, ohne den K den Grundstückskaufvertrag mit der B nicht abgeschlossen hätte. Im Wege der Naturalrestitution kann K von B also Aufhebung und Rückabwicklung des Vertrages (sog. schadensrechtliche Vertragsaufhebung) verlangen.[36]vgl. dazu auch Herresthal in BeckOGK, § 311 BGB, Rn.239.

5. Zwischenergebnis

Ein Anspruch der B gegen K auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 270.000€ Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Grundstücks aus §§ 280 I, 311 II Nr.1, 241 II, 249 I BGB ist somit entstanden.[37]so auch BGH, Urteil vom 23.06.2023 – V ZR 89/22NJW 2023, 2942, Rn.34.

II. Anspruch durchsetzbar

Allerdings könnte der Anspruch der B gem. §§ 196, 200 BGB verjährt sein, was dazu führen könnte, dass der Anspruch nicht mehr durchsetzbar wäre (§ 214 I BGB).

Bei Rückabwicklungsansprüchen aus einem Grundstückskaufvertrag handelt es sich um Ansprüche i.S.d. § 196 BGB, die als solche in zehn Jahren verjähren.[38]BGH, Urteil vom 23.06.2023 – V ZR 89/22NJW 2023, 2942; BGH, NJW-RR 2008, 824, Rn. 20. Gem. § 200 S. 1 BGB richtet sich der Beginn der Verjährungsfrist nach der Entstehung des Anspruchs. Da der Schaden hier in der Eingehung der vertraglichen Verpflichtung liegt, ist der Schaden im März 2009 entstanden und somit spätestens Anfang April 2019 verjährt. Da die B die Verjährungseinrede erhoben hat, war der Anspruch der K bei erstmaliger Geltendmachung im Jahr 2020 bereits nicht mehr durchsetzbar, § 214 I BGB.

III. Ergebnis

Somit ist ein Anspruch der K gegen die B auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 270.000€ Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Grundstücks aus §§ 280 I, 311 II Nr.1, 241 II, 249 I BGB zwar entstanden, dieser ist allerdings gem. §§ 196, 200 S. 1 BGB verjährt und somit gem. § 214 I BGB nicht durchsetzbar.

D. Anspruch aus § 812 I 1 Alt.1 BGB

K könnte gegen B einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 270.000€ Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Grundstücks aus § 812 I 1 Alt.1 BGB haben.

I. Etwas erlangt

B hat von K den Kaufpreis (vermutlich in Form eines Anspruchs auf Verfügbarmachung/Gutschrift des Betrags gegen ihren Zahlungsdiensleisters aus § 675t I 1 BGB bzw. §§ 780, 781 BGB bzw. §§ 700 I, 488 I 2 BGB) in Höhe von 270.000€ erhalten.

II. Durch Leistung

Da K diesen Kaufpreis zur Begleichung ihrer Schuld aus dem (vermeintlich) mit B geschlossenen Kaufvertrag (§ 433 II BGB) entrichtete, geschah dies auch durch Leistung.

III. Ohne Rechtsrund

Eine Leistungsverpflichtung i.S.d. § 433 II BGB könnte jedoch dann nicht als Rechtsgrund dieser Leistung angesehen werden, wenn B und K sich gar nicht wirksam auf den Abschluss eines Kaufvertrages geeinigt hätten. Dies wäre dann der Fall, wenn B und K sich von Anfang nicht über die essentialia negotii des Vertrages geeinigt haben, weil sie von unterschiedlichen Leistungsgegenständen ausgingen. Da die Auslegung der Willenserklärungen von B und K (Prüfungspunkt B) jedoch zu dem Ergebnis kommt, dass sich ihre Willenserklärungen nach Maßgabe des entscheidenden objektiven Empfängerhorizonts (§§ 133, 157 BGB) korrespondierend auf Flurstück 291/3 als Leistungsgegenstand bezogen haben, ist ein entsprechender Kaufvertrag zustande gekommen. Sollte K im Zuge dieser Erklärung einem Irrtum unterlegen haben, käme somit lediglich eine Anfechtung in Betracht, die hier jedoch mangels Anfechtungserklärung (§ 143 BGB) sowie mangels Einhaltung der Anfechtungsfrist (§ 121 II BGB) ausscheidet.

Somit liegt ein Rechtsgrund für die Leistung der K an B vor.

IV. Ergebnis

Mithin hat K gegen B keinen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 270.000€ Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Grundstücks aus § 812 I 1 Alt.1 BGB.

E. Gesamtergebnis

K hat gegen die B lediglich einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 270.000€ Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Grundstücks aus §§ 280 I, 311 II Nr.1, 241 II, 249 I BGB. Dieser Anspruch ist allerdings verjährt und in Folge der Erhebung der Verjährungseinrede durch B nicht durchsetzbar.

K kann von B somit keine Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Grundstücks verlangen.


Zusatzfrage

Wie sind Motivirrtum und Eigenschaftsirrtum voneinander abzugrenzen?

Der Motivirrtum zeichnet sich im Allgemeinen dadurch aus, dass der Erklärende objektiv dasjenige erklärt, was er subjektiv erklären wollte (also anders als beim Erklärungs- und Inhaltsirrtum), dabei jedoch einer Fehlvorstellung über die dafür maßgeblichen Beweggründe unterliegt.[39]Armbrüster in MüKo BGB, 9. Aufl. 2021, § 119 BGB, Rn. 108. Ein solcher Irrtum über die konkreten Beweggründe, die den Erklärenden zu seiner Erklärung veranlasst haben, sind aufgrund des zwingenden Vorrangs der Verkehrssicherheit in diesen Fällen grds. unbeachtlich.[40]vgl. Wendtland in BeckOK BGB, § 119 BGB, Rn. 37.1.
Eine wesentliche Ausnahme von dieser Unbeachtlichkeit des Motivirrtums stellt der sog. Eigenschaftsirrtum i.S.d. § 119 II BGB dar. In diesem Fall irrt der Erklärende zwar ebenfalls über einen für seine Willensbildung maßgeblichen Beweggrund, irrt dabei allerdings über eine verkehrswesentliche Eigenschaft einer Person oder Sache.
Die konkrete Typologisierung des Eigenschaftsirrtums ist allerdings umstritten, was sich auch auf die Abgrenzung auswirkt:
(1) Der überwiegende Teil der Literatur geht daher davon aus, dass es sich bei dem Eigenschaftsirrtum um einen ausnahmsweise beachtlichen Unterfall des Motivirrtums handelt. Die bloße Fiktion des Gesetzgebers, nach welchem dieser Irrtum einem Inhaltsirrtum gleichsteht (§ 119 II Hs.1 BGB), ändere dabei nichts an dem Umstand, dass es sich um einen Irrtum über einen maßgeblichen Beweggrund des Erklärden und somit um einen Motivirrtum handele.[41]Herrschende Ansicht in der Literatur; vgl. dazu Armbrüster in MüKo BGB, § 119 BGB, Rn. 113; Larenz, BGB AT, 7. Aufl. 1989, § 20 II b; Baumann, AcP 187 (1987), 511 (536). Die Durchbrechung des Verkehrsschutzes in diesen Fällen beruhe auf dem Gedanken, dass durch die Verkehrswesentlichkeit der Eigenschaft, über die der Erklärende irrt, ein sowohl subjektiv als auch objektiv erheblicher Irrtum vorliegt.[42]vgl. Armbrüster in MüKo BGB, § 119 BGB, Rn. 113. Die Abgrenzung habe danach alleine nach dem Kriterium der Verkehrswesentlichkeit des Irrtums zu erfolgen. Verkehrswesentlich sind solche Eigenschaften einer Person oder Sache (einschließlich ihrer tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse und Beziehungen zur Umwelt[43]vgl. Wendtland in BeckOK BGB, § 119 BGB, Rn. 40 unter Verweis auf Stieper, NJW 2013, 2849 (2852). ), die nach der Verkehrsanschauung für die Wertschätzung oder Verwendbarkeit der Sache/Person von Bedeutung sind.[44]Ebd.
(2) Teilweise wird der Eigenschaftsirrtum allerdings als Erklärungsirrtum sui generis angesehen und die gesetzgeberische Festsetzung, dass es sich bei dem Eigenschaftsirrtum um einen „Inhaltsirrtum“ handele, nicht als bloße Fiktion angesehen.[45]vgl. Armbrüster in MüKo BGB, § 119 BGB, Rn. 115; Schmidt-Rimpler, FS-Lehmann, Bd. I, 1956, 213 ff. Im Ergebnis stellt jedoch auch diese Ansicht allein auf das Merkmal der Verkehrswesentlichkeit ab, da die Anfechtbarkeit dieses besonderen Erklärungsirrtums auf diese Fälle beschränkt sei. Dies wird damit begründet, dass sich der Erklärende beim Eigenschaftsirrtum nicht hinreichend um die Vollständigkeit seiner Erklärung bemüht habe.[46]vgl. Armbrüster in MüKo BGB, § 119 BGB, RRn. 15.
(3) Einen anderen Weg nimmt die sog. „Lehre vom geschäftlichen Eigenschaftsirrtum“. Diese sieht die Besonderheit des Eigenschaftsirrtums gerade darin, dass in diesen Fällen das Rechtsgeschäft im Hinblick auf die vorausgesetzten Eigenschaften einer Sache/Person nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Der Grund für die Beachtlichkeit des Eigenschaftsirrtums läge daher in dem Umstand begründet, dass die rechtsgeschäftlich festgelegte Sollbeschaffenheit der Realität widerspräche.[47]vgl. Armbrüster in MüKo BGB, § 119, Rn. 117. Die Abgrenzung zwischen unbeachtlichem Motiv- und beachtlichem Eigenschaftsirrtum müsse also darin gesehen werden, ob die Fehlvorstellung über Eigenschaften ihren Niederschlag im Rechtsgeschäft gefunden habe (dann Eigenschaftsirrtum) oder eben nicht (dann unbeachtlicher Motivirrtum).[48]Ebd.
(4) Eine wirtschaftliche Abgrenzung nimmt die sog. „Lehre vom negativen Interesse“ vor. Demnach käme eine Anfechtung wegen eines Eigenschaftsirrtums nur dann in Frage, wenn der Schaden des Irrenden das (von ihm nach § 122 BGB im Falle einer Anfechtung zu tragende) negative Interesse überwiegt. Ansonsten geht auch diese Lehre davon aus, dass es sich bei dem Eigenschaftsirrtum dogmatisch um einen ausnahmsweise beachtlichen Motivirrtum handele.[49]Armbrüster in MüKo BGB, § 119, Rn. 119 mwN. Letztlich handelt es sich also um eine rein wirtschaftliche Bewertung der Verkehrswesentlichkeit.


Zusammenfassung

1. Die Vereinbarung, auf welche Flurstücke sich ein zu verkaufendes Grundstück konkret erstreckt, ist keine Beschaffenheitsvereinbarung, sondern die Vereinbarung des Kaufgegenstandes selbst. 

2. Auch in einem notariell beurkundeten Grundstückskaufvertrag ist der Wortlaut nicht maßgeblich, sofern feststeht, dass es sich um eine sog. versehentliche Falschbezeichnung (Falsa Demonstratio) handelt. Im Einklang mit § 133 BGB gilt auch in einem solchen Falle das von den Vertragsparteien übereinstimmend wirklich Gewollte.

3. Der bloße Umstand, dass zwei Flurstücke scheinbar eine Einheit bilden und die Parteien in der Folge bei einer Besichtigung davon ausgehen, dass diese gesamte scheinbare Einheit das zu verkaufende Flurstück darstellt, genügt für sich genommen noch nicht, um davon auszugehen, dass die Parteien übereinstimmend auch ein weiteres Flurstück in den Kaufvertrag einbeziehen wollten. Vielmehr ist regelmäßig davon auszugehen, dass der Wille der Parteien sich gerade nur auf das Flurstück erstreckt, welches im Grundbuch und Liegenschaftskataster ausgewiesen ist. Insbesondere der Wille des Verkäufers richtet sich regelmäßig nur auf den Verkauf des tatsächlich in seinem Eigentum befindlichen Grundstücks in der Form, in welcher es in Grundbuch und Liegenschaftskataster ausgewiesen ist.

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