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Eheschließung per Video-Call

OVG Berlin-Brandenburg Urt. v. 29.08.2024, Az. 6 B 1/24, BeckRS 2024, 26168

Sachverhalt

(abgewandelt und gekürzt)

Die A ist afghanische Staatsangehörige und lebt nach eigenen Angaben in Mazar-e Sharif. Am 28. November 2023 stellte die A einen Visumsantrag bei der Botschaft der BRD (B) in Teheran. Sie begehrte die Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug zu dem am 29. September 1986 geborenen Zeugen U. Dieser lebt seit 21 Jahren in Deutschland, ist seit 2015 deutscher Staatsangehöriger. 

Die A gab in dem formell ordnungsgemäßen Visumsantrag an, seit dem 2. Oktober 2019 mit dem U verheiratet zu sein. Zum Nachweis der Eheschließung reichte sie Ablichtungen einer am 30. Mai 2021 ausgestellten afghanischen Heiratsbescheinigung („Marriage Certificate“) samt englischer Übersetzung ein. Der Zeuge U befand sich indes am 2. Oktober 2019 nachweislich nicht in Afghanistan. Mit der Heiratsurkunde legte die U ein in Taschkent/Usbekistan ausgestelltes „Goethe-Zertifikat“ vom 25. Mai 2021 vor, ausweislich dessen sie am 22. Mai 2021 in Taschkent/Usbekistan die Sprachprüfung Deutsch A 1 mit „ausreichend“ bestanden habe.

Die Botschaft in Teheran kontaktierte die A während des Verwaltungsverfahrens in Bezug auf die Eheschließung. Dabei teilte die A der Botschaft der Beklagten mit, dass der U zwar tatsächlich nicht anwesend gewesen sei. Er habe sich aber über Whats-App zugeschaltet. Der U und die A seien dreimal von einem Imam gefragt worden, ob sie den jeweils anderen heiraten wollten. Der U habe telefonisch und die A habe vor dem Iman zugestimmt. Hilfsweise stellt sie darauf ab, dass der U sich ja auch noch in Präsenz vertreten lassen habe. Die Botschaft der B in Teheran lehnte den Visumsantrag mit Bescheid vom 24. März 2024 mit der Begründung ab, die A habe nicht nachweisen können, dass die Ehe mit dem Zeugen U rechtswirksam geschlossen worden sei.

Die A ist indes der Ansicht, die Ehe sei rechtswirksam geschlossen worden. Dies würden die Dokumente belegen (§§ 415 ff ZPO). Sie führte weiter zur Begründung aus, der Zeuge U habe sich bei der Eheschließung durch seinen Bruder vertreten lassen, und vor Ort als Hochzeitszeuge fungierte. Der Zeuge U habe sich zwar dabei in Deutschland befunden, sei jedoch telefonisch „zugeschaltet“ gewesen. Die A erhob daher Klage an das zuständige Verwaltungsgericht mit der Maßgabe, dass der Bescheid der Botschaft in Teheran vom 24. März 2024 aufgehoben wird.

In der mündlichen Verhandlung wiederholte die A ihr vorbringen. Die Ehe sei nach afghanischem Recht formgültig. Der Eheschließungsort liege in Afghanistan. Es handele sich nicht um eine Inlands-, sondern um eine Auslandstrauung. Das Erfordernis der Anwesenheit zweier Zeugen vor Ort nach Schariarecht sei erfüllt. Die Ehe sei durch das Angebot des Zeugen U und die Annahme der A unter Anwesenheit zweier männlicher Zeugen in einer Zusammenkunft am 31. Mai 2019 wirksam geschlossen worden. Der U bestätige in der mündlichen Verhandlung die Vorgehensweise.

Weiterhin trägt die A vor, dass es für die Annahme einer Zusammenkunft ausreichend sei, dass der U per Video zugeschaltet gewesen und zudem ein Bruder des U als Vertreter angesehen worden sei. Falls das Gericht doch zur Überzeugung gelangen sollte, dass eine Inlandseheschließung vorliegt, so müsse, unter den neuen technischen Möglichkeiten und in diesen Ausnahmesituationen, ein Ja-Wort auch über einen Video-Call abgegeben werden können.

Die B ist indes der Ansicht, dass der Nachweis einer wirksamen Ehevertragsschließung nach afghanischem Recht nicht durch das Vorlegen entsprechender afghanischer Dokumente erbracht werden könne, weil diesen keine verlässliche Aussagekraft zukomme. Die Angaben der Beteiligten würden von afghanischen Behörden bei der Registrierung der Ehe regelmäßig nicht überprüft. Diese Urkunden gäben daher keine Auskunft darüber, ob die Ehe tatsächlich wirksam geschlossen sei. Die Heiratsurkunde sei – ihre Echtheit unterstellt – darauf beschränkt, zu beurkunden, dass die Eheleute zur Eheführung bereit gewesen seien. Keine der Urkunden erwähne eine Eheschließung durch Stellvertretung und keine der Urkunden bezeuge eine Eheschließung im Iran im Jahr 2022.

Die Wirksamkeit der Eheschließung nach afghanischem Recht sei ebenfalls schon fraglich. Eine wirksame Stellvertretung sei danach nur zulässig, wenn der Stellvertreter auch eine eigene Willenserklärung im Namen des Vertretenen im Rahmen seiner Vertretungsmacht abgebe. Nach dem Protokoll der mündlichen Verhandlung habe der Zeuge U erklärt, dass er selbst mittels WhatsApp das Ja-Wort abgegeben habe. Eine Erklärung seines Bruders als Stellvertreter sei explizit nicht erfolgt.

Letztlich seien durch die eigene Erklärung per Video-Call auch die Formvorschriften des BGB anwendbar. Der Zeuge U habe eben die relevante Erklärung selbst abgegeben, indem er über die Video-Funktion von WhatsApp aus Deutschland zugeschaltet gewesen sei. Diese Abgabe der Willenserklärung in Deutschland führe zur zwingenden Anwendung des deutschen Formrechts und begründe die Unwirksamkeit des Ehevertrags. Für diese Fälle gelte gemäß Art. 13 IV 1 EGBGB ausschließlich das deutsche Eheschließungsrecht. Eine wirksame Online-Trauung gebe es danach nur, wenn sich beide Ehegatten im Zeitpunkt der Online-Trauung nicht in Deutschland aufhielten.

Ist die zulässige Verpflichtungsklage begründet?

Auszüge aus dem AufenthG

§ 6 Visum

[…]

(3) Für längerfristige Aufenthalte ist ein Visum für das Bundesgebiet (nationales Visum) erforderlich, das vor der Einreise erteilt wird. Die Erteilung richtet sich nach den für die Aufenthaltserlaubnis, die Blaue Karte EU, die ICT-Karte, die Niederlassungserlaubnis und die Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU geltenden Vorschriften. Die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts mit einem nationalen Visum wird auf die Zeiten des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis, Blauen Karte EU, Niederlassungserlaubnis oder Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU angerechnet.

[…]

§ 27 Grundsatz des Familiennachzugs

(1) Die Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet für ausländische Familienangehörige (Familiennachzug) wird zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Artikel 6 des Grundgesetzes erteilt und verlängert.

[…]

§ 28 Familiennachzug zu Deutschen

(1) Die Aufenthaltserlaubnis ist dem ausländischen

1. Ehegatten eines Deutschen,

2. minderjährigen ledigen Kind eines Deutschen,

3. Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge

zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat.

[…]

§ 30 Ehegattennachzug

(1) Dem Ehegatten eines Ausländers ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn

1. beide Ehegatten das 18. Lebensjahr vollendet haben,

2. der Ehegatte sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann und

3. der Ausländer

[…]

.


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Skizze


Gutachten

A. Begründetheit

Die Klage ist begründet, soweit die Ablehnung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, den Kläger in seinen Rechten verletzt und die Sache spruchreif ist, § 113 V 1 VwGO.[1]siehe dazu auch den Fall: https://examensgerecht.de/turban-statt-schutzhelm-auf-dem-motorrad/. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Kläger einen Anspruch auf Erlass des Verwaltungsakts hat.

Vernetztes Lernen: Klagefrist bei der Verpflichtungsklage in der Gestalt der Versagungsgegenklage

Die Klagefrist bemisst sich nach § 74 II VwGO. Demnach gilt der Absatz 1 entsprechend, wonach die Klageeinreichung bei Anfechtungsklagen einen Monat nach Zustellung des Widerspruchsbescheids oder, falls ein Widerspruchsverfahren nicht erforderlich war, einen Monat nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes erfolgen muss. Für die Versagungsgegenklage bedeutet dies, dass bei Erforderlichkeit eines Vorverfahrens die Klagefrist einen Monat nach Zustellung des Widerspruchbescheids beträgt und die Klagefrist bei Verfahren ohne vorherigen Widerspruch gewahrt ist, wenn innerhalb eines Monats nach Ablehnung des Antrags die Klage erhoben wird.

I. Anspruchsgrundlage

Anspruchsgrundlage für die Erteilung des Visums zum Ehegattennachzug ist §§ 6 III, § 27, § 28 I 1 Nr. 1 AufenthG. Danach ist der ausländischen Ehegattin eines Deutschen zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 GG ein Visum zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat und die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 I AufenthG vorliegen. Es ist also eine gebundene Entscheidung, sodass das Visum beim Vorliegen der Voraussetzungen grundsätzlich erteilt werden muss.[2]dies folgt schon aus dem Wortlaut der Norm

Vernetztes Lernen: Wie ist die Vorgehensweise bei Ermessensentscheidungen?

Bei Verpflichtungsklagen die auf den Erlass eines Verwaltungsaktes beruhen, der im Ermessen der Behörde steht, kann das Gericht grundsätzlich keine eigene Entscheidung treffen. Eine unmittelbare Entscheidung kommt nur in Betracht,
wenn jede andere Entscheidung ermessensfehlerhaft wäre, also eine Ermessensreduzierung auf Null gegeben wäre. Dann müsste die Behörde den begehrten Verwaltungsakt erteilen; das Gericht würde die Verpflichtung zum Erlass dieses Verwaltungsakts aussprechen (§ 113 V 1 VwGO). Andernfalls kann das Gericht nur der Behörde aufgeben, unter Rechtsauffassung des Gerichts den Antrag neu zu bescheiden.

II. Formelle Anspruchsvoraussetzungen

Laut Sachverhalt wurde der Antrag ordnungsgemäß gestellt.

III. Materielle Anspruchsvoraussetzungen

Indes müssten die materiellen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sein.

1. Sprachkenntnisse

Zunächst müsste sich die nachziehende Ehegattin nach § 28 I 5, § 30 I 1 Nr. 2 AufenthG auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen können, es sei denn das Spracherfordernis ist nach § 30 I 3 AufenthG unbeachtlich. Die gesetzliche Vorgabe, sich in deutscher Sprache auf einfache Weise verständigen zu können (einfache Deutschkenntnis), entspricht dem Sprachniveau A1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER) des Europarats.[3]Eichhorn, in: Huber/Mantel, 14. Aufl. 2022, AufenthG § 30 Rn. 6. Mit der Heiratsurkunde legt die U ein „Goethe-Zertifikat“ vom 25. Mai 2021 vor, ausweislich dessen sie am 22. Mai 2021 in Taschkent/Usbekistan die Sprachprüfung Deutsch A 1 mit „ausreichend“ bestanden hat. Diese Erteilungsvoraussetzung liegt daher hier vor.

2. Wirksame Eheschließung

Fraglich ist jedoch, ob eine wirksame Eheschließung vorliegt.

Für die Anwendung von § 28 I 1 Nr. 1 AufenthG spielt es keine Rolle, ob die Ehe in Deutschland oder im Ausland geschlossen wurde. Gemäß Artikel 13 I EGBGB richten sich die materiellen Voraussetzungen einer Eheschließung nach dem Recht des jeweiligen Heimatstaats der Verlobten. Unabhängig davon muss bei jeder Eheschließung die Form entweder den gesetzlichen Vorgaben oder den örtlichen Regelungen entsprechen.[4]zum Bestand der Ehe, Eichhorn, in: Huber/Mantel, 14. Aufl. 2022, AufenthG § 30 Rn. 6; Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, 14. Aufl. 2022, AufenthG § 28, 28.1.1.2; Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- … Continue reading

a) Nachweis durch eingereichte Urkunden

Der Nachweis könnte schon allein durch die eingereichten Urkunden erfolgt sein.[5]Eichhorn, in: Huber/Mantel, 14. Aufl. 2022, AufenthG § 30 Rn. 6 §§ 415 ff. ZPO regeln den Beweiswert von Urkunden. Nach § 415 I ZPO begründen Urkunden, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einem mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form aufgenommen sind (öffentliche Urkunden), wenn sie über eine vor der Behörde oder der Urkundsperson abgegebene Erklärung errichtet sind, vollen Beweis des durch die Behörde oder die Urkundsperson beurkundeten Vorganges.[6]ausführlich dazu Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO § 415. Bei den vorgelegten Dokumenten handelt es sich aber nicht um öffentliche Urkunden, sondern vielmehr um Urkunden nach § 418 ZPO. Deren Beweiskraft ist nach § 418 III ZPO eingeschränkt, sofern das Zeugnis nicht auf eigener Wahrnehmung der Behörde oder der Urkundsperson beruht.[7]OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.08.2020 – OVG 11 S 5/20, Rn. 23; Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO § 418 Rn. 4ff.

Daher können die vorgelegten Unterlagen alleine nicht den Beweis der Eheschließung führen, unabhängig von der Frage der Formwirksamkeit des jeweils anzuwendenden Rechts.

b) Wirksame Eheschließung nach dem Vorbringen der A

Indes könnten nach dem Vortrag der A in Verbindung mit den vorgelegten Urkunden über die Eheschließung die Voraussetzungen der Eheschließung erfüllt sein.

aa) Anwendbares Recht

Dabei stellt sich zunächst die Frage welches Recht anwendbar ist. Welche nationale Rechtsordnung für die Prüfung der Ehewirksamkeit anzuwenden ist, ist nach den Vorschriften des internationalen Privatrechts zu beurteilen. Hier liegt ein Sachverhalt vor, der Bezüge sowohl zu der afghanischen als auch der deutschen Rechtsordnung aufweist. Vorliegend ist die Frage auch entscheidungserheblich. Die Ehe könnte nach afghanischen Recht gerade wirksam geschlossen sein.

Anmerkung: Ermittlung des ausländischen Rechts und Eheschließungsvoraussetzungen

Das Gericht ist grundsätzlich verpflichtet, das ausländische Recht in seiner Gesamtheit zu ermitteln, so wie es sich durch die Lehre und Rechtsprechung des jeweiligen Staates entwickelt hat. Eine Auslegung des ausländischen Rechts anhand der im deutschen Recht anerkannten Methoden ist dabei unzulässig. Welche Mittel zur Ermittlung des maßgeblichen ausländischen Rechts herangezogen werden, liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Die Ermittlung erfolgt von Amts wegen.[8]BVerwG, Urteil vom 19. Juli 2012 – BVerwG 10 C 2.12, Rn. 14
Dazu stellte das VG als Vorinstanz fest, dass die Ehe nach afghanischem Recht rechtswirksam geschlossen wurde. Das Eherecht in Afghanistan basiert nämlich neben dem kodifizierten Recht auf den Bestimmungen des islamischen Rechts und dem Gewohnheitsrecht. Der Ehevertrag kommt demnach durch Angebot und Annahme seitens der Eheschließenden bzw. ihrer gesetzlichen Vormünder oder Vertreter unter Anwesenheit zweier (männlicher) Zeugen zustande. Muslimische Religionsgelehrte sind dabei durch eine Erlaubnis des Obersten Gerichts befugt, die Eheschließung auf der Grundlage einer offiziellen Eheurkunde durchzuführen und eine übliche Eheurkunde auszustellen. Danach wurde die Ehe zwischen der A und dem U wirksam geschlossen. Es handelt sich um eine sogenannte Imam-Ehe. Die Ehe wurde durch Angebot des U und Annahme der A unter Anwesenheit zweier männlicher Zeugen in einer Zusammenkunft am 31. Mai 2019 wirksam geschlossen. Für die Annahme einer Zusammenkunft ist hier ausreichend, dass der U per Video zugeschaltet war und zudem ein Bruder des U als Vertreter angesehen wurde, auch wenn er nicht förmlich diese Rolle durch die Abgabe des Angebots einnahm. Dafür spricht, dass im Falle der Abwesenheit eines Partners auch eine schriftliche Erklärung an die Stelle einer mündlichen Aussage treten könnte.
Das OVG sah dies anderes. Grundsätzlich wären die Voraussetzungen für die Eheschließung zutreffend dargelegt, jedoch würden der klägerische Vortrag der A und die vorgelegten Dokumente zahlreiche Widersprüche und Unstimmigkeiten aufweisen, die durchgreifende Zweifel an einer Eheschließung der A mit dem Zeugen U begründen würden.[9]OVG Berlin-Brandenburg Urt. v. 29.08.2024, Az. 6 B 1/24, 48f.
In der Klausur wird es auf die Frage nicht ankommen, sondern auf die Herausarbeitung des anwendbaren Rechts.

Diesbezüglich könnte zunächst vertreten werden, dass die Eheschließung in Afghanistan stattfand. Dafür spricht, dass alle Beteiligten bis auf dem U vor Ort in Afghanistan zusammenkamen.[10]VG Berlin, Urteil vom 11. Oktober 2023 – 28 K 82/22 V, Rn. 23ff.

Demgegenüber könnte die Eheschließung sich nach deutschem Recht bemessen, da zumindest der U aus dem Inland zugeschaltet war. Nach Art. 13 IV 1 EGBGB kann eine Ehe im Inland nämlich nur in der hier vorgeschriebenen Form geschlossen werden.[11]so ausdrücklich der Gesetzestext Hält sich ein Verlobter bei Herstellung des Ehekonsenses in Deutschland auf, befindet sich der Ort der Eheschließung zumindest auch im Inland und es liegt somit eine Inlandseheschließung i.S.v. Art. 13 IV 1 EGBGB vor.[12]OVG Berlin-Brandenburg Urt. v. 29.08.2024, Az. 6 B 1/24, Rn. 41. Fraglich ist, wie es sich verhält, wenn der Verlobte online aus Deutschland zugeschaltet ist.

Bei Eheschließungserklärungen per Videokonferenz kommt es darauf an, wo sich der erklärende Verlobte befindet. Befindet sich dieser in Deutschland, gilt der Ort der Eheschließung (zumindest teilweise) als im Inland gelegen. Dies liegt daran, dass die Erklärung in Deutschland abgegeben wird und lediglich per Bild- und Tonübertragung in einen anderen Staat übertragen wird. Das beabsichtigte Rechtsgeschäft der Eheschließung wird somit auch im Bundesgebiet vorgenommen.[13]OVG Berlin-Brandenburg Urt. v. 29.08.2024, Az. 6 B 1/24, Rn. 42.

bb) Formwirksame Voraussetzung der Eheschließung

Demnach bemessen sich die Formbestimmungen nach den §§ 1310 ff. BGB. Nach § 1311 I BGB müssen die Erklärungen der Eheschließenden persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit abgegeben werden. Das normierte Erfordernis der beiderseitigen persönlichen Anwesenheit schließt eine Stellvertretung sowohl im Willen als auch in der Erklärung durch eine Mittelsperson (sog. Handschuhehe) aus. Daraus folgt ebenso, dass eine Mitteilung über digitale Kommunikationswege nicht den Formerfordernissen entspricht.[14]Siede, in: Grüneberg, 84 Aufl. 2024, BGB 1311 Rn. 5; Wellenhofer, in: MüKoBGB, 9. Aufl. 2022, BGB § 1311 Rn. 2. Demnach ist es nicht ausreichend gewesen, dass vor Ort ein Stellvertreter die Eheerklärung ebenfalls abgab. Dies widerspricht den deutschen Formvorschriften, wenn der Verlobte selbst aus dem Inland zugeschaltet ist und eine Willenserklärung abgeben will. Insofern hat der U durch die Online-Videokonferenz erklärt, seine Willenserklärung zum Ehekonsens selbst abzugeben. Die Erklärung der Ehe ist daher persönlich im Inland abgegeben worden, jedoch nicht unter den Voraussetzungen des § 1311 BGB.

Vernetztes Lernen: Verbot der Videoeheschließung

Das Problem der Eheschließung per Video-Call kann einen auch und insbesondere in Zivilrechtsklausuren begegnen. Auch wenn Familienrecht oftmals nicht schwerpunktmäßig abgeprüft wird, so kann die Fragestellung in eine erbrechtliche Klausur integriert werden. Für die Problematik der Videoeheschließung gilt dabei Folgendes:
Sinn und Zweck des § 1311 S. 1 BGB stehen einer Videoeheschließung entgegen. Das darin vorgesehene Erfordernis, Eheschließungserklärungen persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit abzugeben unter deren Nichtbeachtung zur Aufhebung der Ehe führt, will Ehen verhindern, die nicht auf einer freien und ernstlichen Willenseinigung der Verlobten beruhen. Ihr Konsens soll über jeden Zweifel erhaben, Bestand und Fortbestand der Ehe sollen gewiss sein.[15]Siede, in: Grüneberg, 84 Aufl. 2024, BGB 1311 Rn. 1f. Zudem besteht bei einer Online-Eheschließung die Gefahr von Manipulationen und Betrug während der Bild- und Tonübertragung.[16]so auch OVG Berlin-Brandenburg Urt. v. 29.08.2024, Az. 6 B 1/24, Rn. 45.

B. Ergebnis

Die Formvorschriften für die Eheschließung wurden daher nicht eingehalten. Mithin sind die Voraussetzungen für den Familiennachzug nicht erfüllt und die A hat keinen Anspruch auf Erteilung eines Visums.

Zusatzfragen

1. Was hätte vorliegend in der statthaften Klageart erörtert werden müssen und welche Abgrenzungsprobleme bestehen bei der Ablehnung einer Aufenthaltserlaubnis?

Die A beantragte die Aufhebung des Ablehnungsbescheids. Nimmt man den Antrag wörtlich, würde dies bedeuten mit einer Anfechtungsklage gegen den Bescheid vorzugehen, da die Anfechtungsklage am Ende die Aufhebung eines Verwaltungsaktes zur Folge hat. Die statthafte Klageart ist indes nach dem Klagebegehren zu bestimmen, § 88 VwGO. Eine Aufhebung des Bescheids (ohne Verpflichtung zur Neubescheidung, § 113 V 2 VwGO) hat keine für die A günstigere Auswirkungen. Nur allein durch die Aufhebung erhält sie nicht das begehrte Visum. Daher ist eine Verpflichtungsklage statthaft.

In Fällen des Anwendungsbereichs des § 28 AufenthG kann dies auch anders sein. So z.B. in den Fällen, in denen ein Antrag eines bereits im Bundesgebiet lebenden Ausländers auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels abgelehnt wurde. Hier reicht die Anfechtungsklage aus. Zwar handelt es sich grundsätzlich um die Verweigerung einer angestrebten Begünstigung (Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis), was auf den ersten Blick für eine Verpflichtungsklage spricht.
Allerdings ist hierbei § 81 IV 1 AufenthG zu berücksichtigen. Dieser regelt, dass der bisherige Aufenthaltstitel ab dem Zeitpunkt seines Ablaufs allein durch die Beantragung der Verlängerung als fortbestehend gilt. Diese sogenannte Verlängerungsfiktion gilt jedoch nur „bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde“ und endet mit deren ablehnendem Bescheid. Mit dieser Entscheidung entsteht für den Ausländer die gesetzliche Ausreisepflicht gem. § 50 I AufenthG. Der Ablehnungsbescheid bewirkt daher nicht nur die Verweigerung einer angestrebten Begünstigung, sondern entfaltet eine eigenständig belastende Wirkung. Er entzieht dem Ausländer eine zuvor bestehende Rechtsposition (das fingierte Bleiberecht) und löst zugleich die gesetzliche Verpflichtung zur Ausreise aus, sodass die Anfechtungsklage statthaft ist.


2. War der U notwendig beizuladen?

Nach § 65 II VwGO ist eine notwendige Beiladung vorzunehmen, wenn an dem streitigen Rechtsverhältnis ein Dritter derart beteiligt ist, dass die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Familienmitglieder eines einen Aufenthaltstitel erstrebenden Ausländers sind an einem Rechtsverhältnis, das die Visumserteilung betrifft, nicht derart beteiligt, dass die gerichtliche Entscheidung ihnen gegenüber nur einheitlich i.S.v. § 65 II VwGO ergehen kann. Die Visumserteilung ist zwar auch im Interesse des Familienmitglieds und die Voraussetzungen dafür müssen auch in der Person des U mitvorliegen, jedoch hat die Entscheidung keine direkten rechtlichen Auswirkungen auf U.


Zusammenfassung

1. Hält sich ein Verlobter zum Zeitpunkt der Durchführung der Videokonferenz zur Eheschließung körperlich in Deutschland auf und sitzt dort vor dem PC oder dem Mobiltelefon, so liegt der Ort der Eheschließung (zumindest auch) im Inland.

2. Für Inlandseheschließungen muss die nach Art 13 IV 1 EGBGB maßgebliche Form des § 1311 S. 1 BGB erfüllt sein.

3. Die Konstellation einer sogenannten Handschuhehe, bei der bei der Eheschließung entweder die Braut oder der Bräutigam nicht persönlich anwesend sind und daher durch einen Stellvertreter ersetzt werden, liegt im Fall einer Online-Trauung nicht vor Durch die Online-Zuschaltung wird eine eigene Willenserklärung abgegeben und der Erklärende eben nicht vertreten.  

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