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Mit zweierlei Maß - Differenzierte Preisabreden bei Mietervorkaufsrecht

BGH, Urteil vom 23.02.2022 – VIII ZR 305/20; BeckRS 2022, 5040

Sachverhalt

M war seit 2011 Mieterin einer 46,6 m2 großen unsanierten Wohnung in einem Mehrparteienhaus in Berlin. Eigentümerin des Hauses und Vermieterin der dort befindlichen Wohnungen war die E. 2015 teilte E das Haus in einzelne Wohnungseigentumseinheiten auf. Mit notariellem Vertrag vom 06.12.2016 verkaufte E die an M vermietete Wohnung an K. Dabei enthielt der Kaufvertrag unter anderem folgende Vereinbarung:

„Der Kaufgegenstand ist derzeit vermietet. Ungeachtet dieses Umstandes beträgt der Kaufpreis für den vorbezeichneten Grundbesitz 163.266,67€, sofern „ohne Mietverhältnis mit einem Dritten“ geliefert wird. Wird das Wohnungseigentum hingegen „inklusive bestehendem Mietverhältnis mit einem Dritten“ geliefert, mindert sich der Kaufpreis um 10% auf 146.940,00€ für das Wohneigentum. „Ohne Mietverhältnis mit einem Dritten“ wird geliefert, soweit der Mieter sein Vorkaufsrecht ausübt oder der Verkäufer dem Käufer binnen eines Monats nach Beurkundung nachweist, dass das Mietverhältnis aufgelöst oder gekündigt ist.“

Anmerkung: Änderung der Absprache
Der Wortlaut der zwischen dem Erstkäufer und der Verkäuferin getroffenen Absprache wurde hier abgeändert, um Missverständnissen und Auslegungsproblemen vorzubeugen. Der Originalwortlaut lautete:

„Der Kaufpreis für den vorbezeichneten Grundbesitz beträgt 163.266,67€. Die Parteien gehen davon aus, dass Bemessungsgrundlage des Wohnungskaufpreises in Höhe von 163.266,67€ die Lieferung des Wohneigentums ohne Mietverhältnis mit einem Dritten ist. Der Kaufgegenstand ist derzeit vermietet. Es gilt „ohne Mietverhältnis mit einem Dritten“ zu liefern, soweit der Mieter sein Vorkaufsrecht ausübt oder der Verkäufer dem Käufer binnen eines Monats nach Beurkundung nachweist, dass das Mietverhältnis auf-gelöst oder gekündigt ist. Wird das Wohnungseigentum entgegen vorstehender Be-schreibung mit dem laufenden oder einem anderen Mietverhältnis geliefert, mindert sich der Kaufpreis um 10% auf 146.940,00€ für das Wohneigentum.“

Die M erklärte gegenüber dem empfangsbevollmächtigten Notar N rechtzeitig, dass sie das ihr als Mieterin zustehende Vorkaufsrecht (§ 577 BGB) ausüben wolle. Dabei wies sie N darauf hin, dass sie die getroffene Kaufpreisregelung für unwirksam halte, soweit der vorkaufsberechtigte Mieter einen um 10% höheren Kaufpreis zahlen solle als der Erstkäufer. Daher zahlte sie nur unter dem Vorbehalt der Rückforderung der entsprechenden 10% 163.266,67€ an die E durch Überweisung der Summe auf das von E angegebene Girokonto.

M fordert von der E Rückzahlung von 16.326,67€. Zu Recht?

Hinweis: K ist weder mit der E verwandt, noch Angehöriger ihres Haushalts. Gehen Sie davon aus, dass der Abschlag von 10% auf den Kaufpreis der vermieteten Wohnung üblich und marktgängig ist. Gehen Sie, sofern Sie der Ansicht sind, dass ein Teil des von E und K geschlossenen Vertrages nichtig ist, davon aus, dass die Voraussetzungen des § 139 BGB für die ausnahmsweise Teilnichtigkeit eines Rechtsgeschäfts vorliegen. 

Anmerkung: Sachverhaltsänderungen
Der Sachverhalt wurde zusätzlich zu der Änderung des Vertragstextes in einigen anderen Punkten geringfügig abgeändert.
So ist der Hinweis auf eine salvatorische Klausel, der im Sachverhalt, welcher dem BGH-Urteil zugrundeliegt, zu finden ist, entfernt worden und durch einen Bearbeiterhinweis zum Umgang mit § 139 BGB ersetzt worden. Bei weiterem Interesse an der Wirkung der salvatorischen Klausel wird auf die Zusatzfrage verwiesen. Außerdem wird in dem Urteil aus naheliegenden Gründen nicht auf die Art und Weise der Zahlung durch M an E eingegangen. Die hier dargestellte Überweisung auf ein Girokonto soll der Vereinfachung der gutachterlichen Bearbeitung dienen.

Skizze


Gutachten

A. Anspruch aus § 812 I 1 Alt.1 BGB

Die M könnte gegen E gem. § 812 I 1 Alt.1 BGB  einen Anspruch auf Rückzahlung von 10% des für die Wohnung gezahlten Preises und somit auf Rückzahlung in Höhe von 16.326,67€ haben.

I. Etwas erlangt

Dies würde zunächst voraussetzen, dass E „etwas“ i.S.d. § 812 I 1 BGB erlangt hat. Darunter ist jede Verbesserung der Vermögenssituation der E zu verstehen.[1]Vgl. Stadler, in: Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, 18.Aufl. 2021, § 812 BGB Rn.8; vgl. Schwab, in: MüKo-BGB, 8.Aufl. 2020, § 812 BGB Rn.1.

Durch die Anweisung der M an ihre Bank der E 163.266,67€ auf das von dieser angegebene Girokonto zu überweisen[2]Zahlungsauftrag, vgl. §§ 675n ff. BGB, hat M einen Anspruch aus § 675t I 1 BGB bzw. §§ 780, 781 BGB[3]Es handelt sich bei der Gutschrift auf das Konto gerade um ein abstraktes Schuldversprechen bzw. Schuldanerkenntnis und nicht um einen Zahlungsauftrag i.S.d. § 675f III 2 BGB (Zarte, in: Beck OGK, … Continue reading bzw. §§ 700 I, 488 I 2 BGB[4]Girokonto als unregelmäßiger Verwahrungsvertrag (BGH, Urteil vom 02.10.1993 – XI ZR 80/93, NJW 1994, 318).  auf Verfügbarmachung bzw. Gutschrift(Ausführungen zu den Missverständnissen, die den jeweiligen Termini zugrunde liegen: Zarte, in: Beck OGK, Stand 01.02.2022, § 675t BGB Rn. 10 ff.)) des Betrages gegen ihren Zahlungsdienstleister erhalten.[5]Die Unterscheidung zwischen den hier aufgeführten potenziellen Ansprüche, ist  für den hiesigen Fall irrelevant. Dies verbessert die Vermögenssituation der E und ist insofern als „etwas“ i.S.d. § 812 I 1 BGB anzusehen.

Anmerkung: Der erlangte Gegenstand bei Geldzahlungen

Da die primäre Verpflichtung des Bereicherungsschuldners drin besteht, exakt jenen Vorteil herauszugeben, der ihm rechtsgrundlos zugeflossen ist,[6]Schwab, in: MüKo-BGB, 8.Aufl. 2020, § 812 BGB Rn.1 muss an dieser Stelle ganz genau bearbeitet werden. Insbesondere bei Geldzahlungen sollte man sich stets vor Augen führen, dass die bereicherte Partei niemals „Geld“ erhalten hat, sondern eine konkrete Rechtsposition (regelmäßig Eigentum am Zahlungsmittel oder ein Anspruch auf Gutschrift/Auszahlung gegen die Bank [7]Zu den einzelnen Ansprüche in diesem Fall: Zahrte, in: Beck OGK, Stand 01.02.2022, § 675t BGB, Rn. 10 ff..

II. Durch Leistung

Diese Verbesserung der Vermögensposition der E müsste gem. § 812 I 1 Alt.1 BGB auf die Leistung eines anderen (hier der M) zurückzuführen sein. Unter einer Leistung i.S.d. § 812 I 1 Alt.1 BGB ist jede bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens zu verstehen.[8]BGH, Urteil vom 31.10.1963 – VII ZR 285/61, NJW 1964, 399; BGH, Urteil vom 04.02.1999 – III ZR 56/98 NJW 1999, 1393 (1394); BGH, Urteil vom 23.10.2003 – IX ZR 270/02, NJW 2004, 1169. BGH, … Continue reading

M hat ihre Bank bewusst angewiesen, eine Transaktion in Höhe von 163.266,67€ auf ein der E gehöriges Girokonto vorzunehmen, um damit eine – jedenfalls vermeintlich – in dieser Höhe bestehende Schuld der M aus dem in Frage stehenden Wohnungskaufvertag zu tilgen. Dass dies bzgl. 10% der Summe nur unter dem Vorbehalt der Rückforderung erfolgte, ändert an dem Bewusstsein für die Zahlung sowie ihrer Zweckrichtung nichts. Auch handelt es sich trotz des Leistens unter Vorbehalt um eine „Leistung“ i.S.d. § 812 I 1 Alt.1 BGB, da auch einer Leistung unter Vorbehalt Erfüllungswirkung i.S.v. § 362 BGB zukommt, wenn die Leistung nur aus dem Grund unter Vorbehalt erfolgt, um einen späteren Ausschluss der bereicherungsrechtlichen Rückforderung wegen Kenntnis i.S.v. § 814 Var.1 BGB auszuschließen.[9]Vgl. BGH, Urteil vom 15.03.2012 – IX ZR 35/11, NJW 2012, 1717; BGH, Urteil vom 08.02.1984 – IVb ZR 52/82, NJW 1984, 2826 Mithin hat E die genannte Vermögensmehrung durch Leistung der M erhalten.

III. Ohne Rechtsgrund

Ferner würde ein solcher Anspruch der M nur dann bestehen, wenn die Leistung ohne Rechtsgrund i.S.d. § 812 I 1 BGB erfolgt ist.

„Ohne rechtlichen Grund“ i.S.d. Norm erfolgt eine Leistung dann, wenn der Empfänger zum Zeitpunkt der Leistung kein Recht auf die Leistung hatte, das der Leistung zugrundeliegende Kausalverhältnis also nicht geschaffen wurde, unwirksam war oder jedenfalls die Leistung nicht oder nicht so erforderte.[10]Wendehorst, in: BeckOK BGB, 61. Edition, Stand 01.02.2022, § 812 BGB Rn.60.

Anmerkung: Theorien zur Rechtsgrundlosigkeit der Leistung

Die hier gewählte Formulierung geht auf die sog. „objektive Rechtsgrundtheorie“ zurück, bei der das tatsächliche Vorliegen eines rechtlichen Grundes in den Vordergrund gestellt wird. Demgegenüber besteht die sog. „subjektive Rechtsgrundtheorie“, die darauf abstellt, ob die subjektiv erhoffte Tilgungswirkung eingetreten ist. Da das Ausbleiben dieser erhofften Tilgungswirkung allerdings regelmäßig auf das objektive Fehlen des der Leistung zugrundeliegenden Kausalverhältnisses zurückzuführen sein wird, ist diese Differenzierung nur in Ausnahmefällen von Belang.[11]Wendehorst, in: BeckOK BGB, 61. Edition, Stand 01.02.2022, § 812 BGB Rn.60 ff.

Angesichts dessen, dass M die Leistung als Zahlung im Gegenzug zum Erwerb der von ihr bewohnten Eigentumswohnung erbracht hat, liegt es nahe, dass die Rechtsgrundlage der Leistung der M in einem Kaufvertrag i.S.d. § 433 ff. BGB besteht. Demzufolge wäre die Leistung der M nicht rechtsgrundlos, wenn sie aufgrund eines Wohnungskaufvertrages gem. § 433 II BGB zur Zahlung von 163.266,67€ an die E verpflichtet gewesen wäre.

1. Bestehen eines Kaufvertrages zwischen M und E, §§ 577, 463 ff. BGB

Dies würde jedenfalls voraussetzen, dass zwischen M und E überhaupt ein Kaufvertag i.S.d. §§ 433 ff. BGB zustande gekommen ist. Eine Einigung zwischen M und E, bestehend aus zwei korrespondierenden Willenserklärungen (vgl. §§ 145 ff. BGB) ist nicht ersichtlich. Allerdings könnte durch die Ausübung eines Vorkaufsrechts durch die M gem. § 577 I 3 i.V.m. § 464 II BGB ein Kaufvertrag entstanden sein.

a) Bestehendes Vorkaufsrecht

Dies würde voraussetzen, dass M ein Vorkaufsrecht i.S.d. § 577 I BGB zugestanden hat. Zwischen M und E bestand ein wirksam begründetes Wohnraummietverhältnis i.S.d. § 577 I 1 BGB. Da E erst nach Überlassung ihrer Wohnung an die M i.S.d. § 577 I 1 Alt.1 BGB Wohnungseigentum begründet hat und die Entstehung des Vorkaufsrechts nicht ausgeschlossen ist,[12]Siehe dazu bei tiefergehendem Interesse: Hannappel, in: BeckOK BGB, 61.Edition, Stand 01.02.2022 § 577 BGB Rn.17. steht der M (vorkaufsberechtigte Mieterin i.S.d. § 577 IV BGB) ein Vorkaufsrecht i.S.d. § 577 I BGB zu.

Anmerkung: Wohnungseigentum

Das Wohnungseigentumsgesetz (WEG) ist zumindest im ersten Staatsexamen kein Prüfungsstoff. Deshalb sollte das Nachstehende nur als kleiner Exkurs gesehen werden, der dabei helfen soll, ein ganz rudimentäres Verständnis des Wohnungseigentums zu entwickeln.
Im deutschen Recht bilden das Eigentum an dem Grundstück und dem Gebäude nach Maßgabe der §§ 93, 94 BGB eine Einheit.[13]Vgl. Hügel, in: BeckOK BGB, 61. Edition, Stand 01.02.2022, § 1 WEG Rn.2. Da das Gebäude (und somit auch die Wohnungen innerhalb eines Gebäudes) wesentliche Bestandteile des Grundstücks sind (§ 94 I BGB), können an Wohnungen gem. § 93 BGB grds. keine besonderen, d.h. vom Grundstück unabhängigen, Rechte bestehen. Da allerdings auch hinsichtlich Wohnungen der Bedarf bestand/besteht, eine eigentumsähnliche Rechtsposition zu erlangen, hat der Gesetzgeber 1951 das WEG zur Durchbrechung dieser Systematik geschaffen.[14]Vgl. Begründung des Gesetzes über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht (Wohnungseigentumsgesetz), BR.-Drs. 75/51, Anl.2 zu 3440/1 – 20984/50, S.1 f.
Gem. § 3 I 1 WEG ist es den Miteigentümern (§ 1008 BGB) eines Grundstücks entgegen den §§ 93, 94 BGB Sondereigentum an den Räumlichkeiten eines Gebäudes zu begründen („Wohneigentum“, wenn es sich um Räumlichkeiten zum Wohnen handelt, sonst „Teileigentum“), sofern jeder Miteigentumsteil mit Sondereigentum verbunden wird.[15]Vgl. M. Müller, in: Beck OGK, Stand 01.03.2022, § 3 WEG Rn.1; zu der Begründung durch Teilungserklärung siehe § 8 I WEG Gem. § 8 I WEG kann außerdem der Eigentümer eines Grundstücks das Eigentum an dem entsprechenden Grundstück in mehrere mit Sondereigentum verbundene Miteigentumsanteile teilen. Dafür bedarf es einer Erklärung gegenüber dem Grundbuchamt (Teilungserklärung).
Wohnungseigentum hat also grds. derjenige inne, der materiell-rechtlich Eigentümer des mit dem Sondereigentum verbundenen Miteigentumsanteils des Grundstücks ist.[16]Vgl. Falkner, in: Beck OGK, Stand 01.03.2022, § 10 WEG Rn.629. Das Wohnungseigentum ist als grundstücksgleiches Recht einzuordnen (wie z.B. das Erbbaurecht oder das Schiffseigentum) und wird rechtlich daher grds. genauso behandelt wie Grundstückseigentum (Anwendung der §§ 873 ff. BGB). Bei der Aufteilung eines Grundstücks schließt das Grundbuchamt das Grundbuchblatt des Grundstücks gem. § 7 I 3 WEG von Amts wegen und legt gem. § 7 I WEG ein besonderes Grundbuchblatt („Wohnungsgrundbuch“) an.
Erforderlich für die dingliche Erlangung des Wohnungseigentums ist neben der vertraglichen Einräumung des Sondereigentums (§ 3 WEG) bzw. der Teilungserklärung (§ 8 WEG) also auch der dingliche Vollzug durch Eintragung ins Wohnungsgrundbuch erforderlich.[17]Hannappel, in: BeckOK BGB, 61. Edition, stand 01.02.2022, § 577 BGB Rn.8.

b) Eintritt des Vorkaufsfalls

Ferner müsste der Vorkaufsfall eingetreten sein. Für die über § 577 BGB hinausgehenden Modalitäten des Mietervorkaufsrechts verweist § 577 I 3 BGB auf die allgemeinen Vorschriften zum Vorkauf in den §§ 463 ff. BGB. Gem. § 577 I 1, 3 i.V.m. § 463 BGB tritt der Vorkaufsfall dementsprechend ein, wenn der Verpflichtete einen wirksamen Kaufvertrag mit einem Dritten über den Gegenstand geschlossen hat und der Dritte nicht in den von § 577 I 2 BGB umfassten Personenkreis fällt. Da E als Verpflichtete mit K als Drittem (der ausweislich des Bearbeiterhinweises nicht von § 577 I 2 BGB erfasst ist) einen Kaufvertrag über die Wohnung geschlossen hat, ist der Vorkaufsfall eingetreten. 

c) Wirksame Ausübung des Vorkaufsrechts

Letztlich müsste M ihr Vorkaufsrecht noch wirksam i.S.d. § 577 III BGB[18]Da § 577 III BGB diesbezüglich eine eigene Regelung trifft, muss – jedenfalls bezüglich des Rechtsausübung – nicht auf § 577 I 3 i.V.m. § 464 II BGB zurückgegriffen werden. durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Verkäufer ausgeübt haben. Eine entsprechende Erklärung hat M zwar nicht der E persönlich zukommen lassen, jedoch war N gem. § 167 BGB zum Empfang der entsprechenden Erklärung für die E bevollmächtigt. Die schriftliche Erklärung gegenüber N wirkt somit gem. § 164 III i.V.m. I BGB unmittelbar für und gegen die E. M hat ihr Vorkaufsrecht somit auch wirksam ausgeübt.

d) Rechtsfolge

Gem. § 577 I 3 i.V.m. § 464 II BGB ist zwischen M und E somit ein Kaufvertrag i.S.d. §§ 433 ff. BGB zustande gekommen.

2. Inhalt des Kaufvertrages

Fraglich ist allerdings, welchen Inhalt dieser Kaufvertrag bzgl. des von M zu entrichtenden Kaufpreises aufweist. Gem. § 577 I 3 i.V.m. § 464 II BGB kommt der durch Ausübung eines Mietervorkaufsrecht entstandene Kaufvertrag unter den Bestimmungen zustande, die im Drittkaufvertrag vereinbart worden sind. Somit ist auf die von E und K getroffenen Abreden abzustellen.

a) Von E und K getroffene Abreden

In dem maßgeblichen Kaufvertrag, auf den sich E und K verständigt haben, wird zwischen zwei Szenarien differenziert: Wird die Wohnung in unvermieteten Zustand veräußert, beträgt der von K zu entrichtende Kaufpreis 163.266,67€. Wird die Wohnung hingegen mit einem bestehenden Mietverhältnis an den K „geliefert“, mindert sich dieser Preis gemäß der Absprache um 10% auf 146.940,00€. Ausgehend von der Absprache aus dem Kaufvertrag, ist in dem Fall der Ausübung des Vorkaufsrechts der höhere Kaufpreis maßgeblich, so dass M demnach einen Preis in Höhe von 163.266,67€ an die E zu entrichten hätte.

b) Unwirksamkeit der differenzierten Preisabsprache

Angesichts dessen, dass die M somit einen höheren Kaufpreis zu zahlen hätte, als es der K als Dritter müsste, wenn die Wohnung inklusive des mit M bestehenden Mietverhältnisses „geliefert“ würde, stellt sich jedoch die Frage, ob die von E und K getroffene differenzierte Preisabsprache zulässig ist oder ob eine solche Absprache wegen einer möglichen Unvereinbarkeit mit der Struktur des Vorkaufsrechts aus § 577 BGB unwirksam ist. 

Anmerkung: Einführung in die Problematik

Die Problematik, an der sich der hier dargestellte Streit entzündet, ist nicht ganz einfach nachzuvollziehen, wenn man sich nicht die rechtlichen und wirtschaftlichen Grundüberlegungen vergegenwärtigt, aufgrund derer differenzierte Preisabsprachen überhaupt getroffen werden.
Gem. § 566 I BGB wird ein Mietverhältnis über Wohnraum auch dann fortgeführt, wenn der Eigentümer des vermieteten Wohnraums durch Veräußerung des Wohnraums wechselt („Kauf bricht nicht Miete“).
Nach der Umwandlung von Wohnraum in Wohnungseigentum und der anschließenden Veräußerung besteht für Wohnräume gem. § 577a I BGB außerdem eine Sperrfrist für die Kündigung wegen Eigenbedarfs (§ 573 II Nr.2 BGB) bzw. wegen der Hinderung an der wirtschaftlichen Verwertung (§ 573 II Nr.3 BGB). Diese beträgt mindestens drei Jahre, kann aber nach Maßgabe des § 577a II 1 BGB auf maximal zehn Jahre verlän-gert werden. Eine entsprechende Verordnungsermächtigung für die Länder findet sich in § 577a II 2 BGB.[19]entsprechende Regelungen bestehen für Teile Baden-Württembergs (§ 2 KSpVO BW; 5 Jahre), Teile Bayerns (§ 1 S.2 MiSchuV; 10 Jahre), ganz Berlin (§ 2 KünSchKlVO; 10 Jahre), ganz Hamburg (§ 1 S.2 … Continue reading Solange das Mietverhältnis besteht, ist der Käufer von Wohnraum allerdings in seiner Disposition über den erworbenen Wohnraum stark eingeschränkt: die Wohnung kann nicht vom Erwerber/einem Angehörigen selbst bewohnt werden bzw. an eine Person veräußert werden, welche die Wohnung selbst bewohnen will; der Erwerber unterliegt bei der Erhöhung von Mieten unterhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete den Einschränkungen des § 558 BGB; der Erwerber ist hinsichtlich der Veränderung der Wohnung auf Modernisierungs- und Erhaltungsmaßnahmen beschränkt und an die entsprechenden Vorschriften, §§ 555a ff. BGB gebunden; der Erwerber tritt gem. § 566 BGB in die darüber hinausgehenden, nicht unerheblichen Vermieterpflichten ein.
Dies führt im Ergebnis dazu, dass Wohnraum ohne bestehendes Mietverhältnis insbesondere in den von § 577a II 2 BGB betroffenen Gebieten bedeutend wertiger sein kann, als vermieteter Wohnraum.[20]Vgl. Blank, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 14. Aufl. 2018, § 577 Rn.79.
An diesen Umstand schließen bei Wohnungen i.S.d. §§ 577 f. BGB zwei Probleme an. Zum einen ist es beim Abschluss des Kaufvertrages unter Umständen gar nicht klar, ob die Wohnung letztlich vermietet oder unvermietet veräußert wird.[21]Vgl. dazu Klühs, in: Beck OGK, Stand 01.10.2020, § 577 BGB Rn.123. Zum anderen könnte – wenn der Preis einer unvermieteten Wohnung angesetzt wird, der Mieter einen besonderen Anreiz sehen, sein Vorkaufsrecht auszuüben (da das Mietverhältnis in diesem Fall durch Konfusion erlöschen würde, könnte der Mieter nämlich eine aus seiner Sicht unvermietete – und somit höherwertige – Wohnung zum niedrigeren Preis einer vermieteten Wohnung erwerben), was zumindest der Käufer regelmäßig zu vermeiden sucht.
Um zugleich das Preisrisiko von Erstkäufer und Verkäufer zu minimieren und zugleich den Mieter nicht in eine zu vorteilhafte Position zu bringen, werden für die unterschiedlichen Konstellationen regelmäßig unterschiedliche Preise festgesetzt (sog. „differenzierte Preisabrede“).[22]Vgl. Einleitungstext der Schriftleitung zu RNotZ 2021, 92.
Solche differenzierten Preisabreden können in unterschiedlicher Form bestehen. Neben der hier in Frage stehenden, besonders umstrittenen Variante, bei welcher die Preisabrede an den Bestand des Mietverhältnisses knüpft und der Kaufpreis gesenkt wird, wenn das Mietverhältnis nicht fortbesteht, sind außerdem Abreden denkbar, nach denen nicht das Bestehen des Mietverhältnisses sondern der Auszugs des Mieters vor Eigentumsübertragung als Differenzierungskriterium festgesetzt wird, was wegen der gleichsamen Betroffenheit von Vorkaufsberechtigtem und Drittem überwiegend für zulässig erachtet wird.[23]Vgl. Häublein, in: MüKo-BGB, 8.Aufl. 2020, § 577 BGB Rn.30. Die ebenfalls genutzte Differenzierung des Preises nach dem Kriterium, ob das Vorkaufsrecht ausgeübt oder nicht ausgeübt wird, ist ohne sachlichen Grund jedenfalls unzulässig.[24]Einleitungstext der Schriftleitung zu RNotZ 2021, 92.

Anmerkung: Aufbau der Argumentation

Die Frage nach der Zulässigkeit und Wirksamkeit differenzierter Preisabsprachen bei bestehendem Vorkaufsrecht des Mieters, bildet den Kern des vorliegenden BGH-Urteils. Der Aufbau in der Prüfung wird dabei erheblich dadurch erschwert, dass ins-besondere vor diesem Urteil nicht nur unterschiedliche Ansichten zur Zulässigkeit differenzierter Preisabsprachen vertreten worden sind, sondern darüber hinaus auch, unterschiedliche Ansätze bzgl. der Herleitung der daraus folgenden Unwirksamkeit/Nichtigkeit entsprechender Abreden vertreten worden sind. Eine „einzig wahre“ Art und Weise des Aufbaus dieser Problematik in der Klausur besteht nicht. Neben dem hier verfolgten Ansatz, wäre es z.B. auch denkbar zunächst die Unzulässigkeit der Absprache zu klären und erst im Anschluss auf die unterschiedlichen Herleitungen zu Unwirksamkeit einzugehen. Hier ist im Gutachten also ein wenig Kreativität gefragt.
Von den diversen unterschiedlichen Ansätzen sollte man sich dabei nicht verrückt machen lassen. Schon das Erkennen der in der vorstehenden Anmerkung beschriebenen Grundproblematik und die vernünftige Abwägung zwischen den Interessen würde in ei-ner Klausur vermutlich deutlich positiv auffallen. Auch scheinen die unterschiedlichen Ansätze zur Herleitung der Unwirksamkeit teilweise recht weit hergeholt, so dass es wohl eher nicht negativ auffallen würde, wenn nur auf die vom BGH vertretene Herleitung aus §§ 577 I 3, 464 II i.V.m. dem Verbot des Vertrags zu Lasten Dritter eingegangen würde.

aa) Generelle Unzulässigkeit differenzierter Preisabsprachen zulasten des Mieters

Ausgehend von der Struktur des Vorkaufsrechts könnte man davon ausgehen, dass differenzierte Preisabsprachen, die dem Vorkaufsberechtigten einen höheren Preis aufbürden, als der Erstkäufer im Regelfall zu zahlen hätte, generell unzulässig sind, ohne dass zwischen den verschiedenen Ausgestaltungsmöglichkeiten solcher Abreden differenziert wird. Dabei sind bzgl. der Normen, auf welche die Unwirksamkeit einer solchen Abrede gestützt werden könnte, unterschiedliche Möglichkeiten denkbar.

(1) Gem. § 577 V BGB

Anmerkung: Prüfungsrelevanz

Die Prüfung des § 577 V BGB ist nicht zwingend erforderlich, da eigentlich unstreitig ist, dass § 577 V BGB sich auf Abreden zwischen Mieter und Vermieter bezieht, nach denen § 577 BGB gänzlich oder teilweise abbedungen wird (insbesondere im Mietvertrag oder im Rahmen eines Aufhebungsvertrages[25]Die Anwendung auf Aufhebungsverträge ist nicht gänzlich unumstritten.). Hier wird § 577 V BGB als Grundlage der Unwirksamkeit aufgeführt, da sich das KG [26]KG, Urteil vom 02.10.2020 – 17 U 18/18, RNotZ 2021, 92 (m.Anm. der Schriftleitung). in seinem Berufungsurteil darauf stützt. In der Klausur kann dies (sofern § 577 V BGB überhaupt angeprüft wird) kurz abgehandelt werden.

Zunächst könnte die Unwirksamkeit einer solchen Absprache unmittelbar aus § 577 V BGB folgen.[27]KG Berlin, Urt. v. 02.10.2020 – 17 U 18/18, RNotZ 2021, 92 (94) Rn.18. Gem. § 577 V BGB sind zum Nachteil des Mieters von § 577 BGB abweichende Vereinbarungen unwirksam. Da gem. § 577 I 3 BGB auch die §§ 463 ff. BGB anwendbar sind, wird die Wirkung des § 577 V BGB somit auch auf die Vorschriften der §§ 463 ff. BGB (sofern nicht in § 577 BGB etwas Entgegenstehendes steht) erweitert.[28]Ebd. Demnach könnte eine differenzierte Preisabrede zwischen Erstkäufer und Verkäufer, nach welcher der Erstkäufer zumindest unter Umständen einen niedrigeren Preis zahlen würde als der Vorkaufsberechtigte, die Festsetzung des § 577 I 3 i.V.m. § 464 II BGB unterlaufen, die den Inhalt des durch Ausübung des Vorkaufsrechts entstehenden Kaufvertrages mit dem Inhalt des von Erstkäufer und Verkäufer geschlossenen Kaufvertrages gleichsetzt. Dies könnte dann einen Verstoß gegen § 577 V BGB darstellen und mithin gem. der Norm zur Unwirksamkeit der Abrede führen.

Unabhängig von der Frage nach der Umgehung des § 464 II BGB, würde dieser Ansatz aber zumindest voraussetzen, dass § 577 V BGB überhaupt auf die Abrede zwischen Erstkäufer und Verkäufer anwendbar ist. Gegen diese Grundannahme spricht allerdings der Gesamtzusammenhang des § 577 V BGB (Bezug zum Mietvertrag),[29]BGH, Urteil vom 23.02.2022 – VIII ZR 305/20; BeckRS 2022, 5040 Rn.18. der dafür spricht § 577 V BGB nur auf Abreden zwischen den Parteien des Mietvertrages anzuwenden, wohingegen die Vereinbarungen von Dritten nicht in den Anwendungsbereich der Norm fallen sollen.[30]Vgl. ebd.; so wohl auch Klühs, in: Beck OGK, Stand 01.04.2022, § 577 BGB Rn. 118 f., 122 f.  Eine Unwirksamkeit der differenzierten Preisabrede gem. § 577 V BGB ist also unabhängig von der Zulässigkeit einer entsprechenden Vereinbarung fernliegend.

(2) Gem. § 138 I BGB

Anmerkung: Prüfungsrelevanz

Auch auf einen Verstoß gegen die guten Sitten i.S.d. § 138 I BGB geht der BGH in seinem Urteil nicht näher ein. Das KG stützt sein Urteil [31]KG, Urteil vom 02.10.2020 – 17 U 18/18, RNotZ 2021, 92 (m.Anm. der Schriftleitung). hingegen u.a. auf § 138 I BGB, ohne eine nähere Begründung dafür zu liefern. Sofern in der Klausur auf § 138 I BGB eingegangen wird, sollte darauf nur kurz eingegangen werden, da man sonst Gefahr läuft, sich zu verzetteln. Einen Schwerpunkt stellt die Bewertung anhand von § 138 I BGB jedenfalls nicht dar.

Schon naheliegender ist hingegen die Nichtigkeit differenzierter Preisabsprachen wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten i.S.d. § 138 I BGB.[32]Vgl. KG Urt. v. 02.10.2020 – 17 U 18/18, RNotZ 2021, 92 (93 f.) Rn. 13 ff.; auf diese Möglichkeit eingehend: Derleder, „Mietvorkaufsrecht und Eigentümerverwertungsinteresse“, NJW 1996, 2817 … Continue reading Gegen die guten Sitten verstoßen i.S.d. § 138 I BGB solche Vereinbarungen, die gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoßen.[33]wenn auch zugegebenermaßen sehr klauselhaft und wenig erhellend; statt vieler: BGH, Urteil vom 16.07.2019 – II ZR 426/17, NJW 2019, 3635 Rn.24. Zur Konkretisierung dieser „Formel“ haben sich mit der Zeit unterschiedliche Sittenwidrigkeitskriterien und Fallgruppen der Sittenwidrigkeit herausgebildet.[34]Vgl. dazu Armbrüster, in: MüKo-BGB, 9.Aufl. 2021, § 138 BGB Rn.44 ff.

Für den Fall der differenzierten Preisabsprache kämen zwei Fallgruppen der Sittenwidrigkeit in Frage: die Abwehr der Schädigung Dritter[35]Armbrüster, in: MüKo-BGB, 9.Aufl., § 138 BGB Rn.165 ff. sowie die Gesetzesumgehung[36]Sehr umstritten, ob dies ein Fall des § 134 BGB oder des § 138 BGB ist. Die Behandlung dieser Problematik würde hier jedoch den Rahmen sprengen (vgl. stattdessen: Armbrüster, in: MüKo-BGB, … Continue reading durch Umgehung des § 465 BGB. Bei der Anwendung dieser beiden Fallgruppen ist allerdings erforderlich, dass nicht bereits das objektive Vorliegen der Fallgruppe genügt, um den Fall des § 138 I BGB auszulösen. Vielmehr ist es jeweils erforderlich, dass die in Frage stehende Abrede ihrem Gesamtcharakter nach das Gepräge der Sittenwidrigkeit aufweist.[37]Für die Beeinträchtigung des Vorkaufsrechts: Armbrüster, in: MüKo-BGB, 9.Aufl. 2021, § 138 BGB Rn. 187; BGH NJW 1964, 540 (541); für die Umgehung des § 465 BGB: Klühs, in: Beck OGK, Stand … Continue reading

Somit könnte die Anwendung des § 138 I BGB auf differenzierte Preisabsprachen nur in den Fällen angenommen werden, in denen die Vereinbarung auf verwerflichen Beweggründen basiert (z.B. um den Mieter von der Ausübung seines Vorkaufsrechts abzuhalten[38]Vgl. Klühs, in: Beck OGK, Stand 01.04.2022, § 577 BGB Rn.114.), auf der Anwendung unlauterer Mittel beruht oder ausschließlich zu dem Zweck geschlossen worden ist, dem Vorkaufsberechtigten Schaden zuzufügen.[39]Zur Aufzählung: vgl. Derleder, „Mietvorkaufsrecht und Eigentümerverwertungsinteresse“ NJW 1996, 2817 (2819) m.w.N.

Gerade für den Fall, dass die differenzierte Preisabsprache – wie im vorliegenden Fall – allerdings im Rahmen der marktüblichen Differenzen zwischen vermietetem und unvermietetem Wohnraum verbleibt und nicht an die Ausübung des Vorkaufsrechts selbst, sondern an die Fortsetzung des Mietvertrages anknüpft, ist hingegen im Zweifel davon auszugehen, dass der Beweggrund von Verkäufer und Erstkäufer eher darin liegt, die wirtschaftlichen Gegebenheiten an die jeweilige Beeinflussung des Wohnungswerts durch ein (nicht) bestehendes Mietverhältnis anzupassen. Somit ist eine Anwendung des § 138 I BGB jedenfalls nicht geeignet, die generelle Unwirksamkeit differenzierter Kaufpreisabreden zu begründen.

(3) Gem. §§ 577 I 3, 464 II i.V.m. Verbot des Vertrags zu Lasten Dritter

Denkbar wäre allerdings, dass (den vorkaufsberechtigten Mieter preislich benachteiligende) differenzierte Kaufpreisabreden gem. §§ 577 I 3, 464 II BGB i.V.m. dem allgemeinen Verbot des Vertrages zu Lasten Dritter unwirksam sind.[40]BGH, Urteil vom 23.02.2022 – VIII ZR 305/20; BeckRS 2022, 5040, Rn. 18.

Anmerkung: Verbot von Verträgen zu Lasten Dritter

Ein Vertrag zu Lasten Dritter ist mit der aus Art. 2 I GG hergeleiteten Privatautonomie nicht vereinbar und im BGB daher nicht vorgesehen (vgl. § 311 I BGB).[41]Vgl. BGH, Urteil vom 14.07.1995 – V ZR 31/94, NJW 1995, 3183 (3184); BGH, Urteil vom 08.11.1973 – VII ZR 246/72, NJW 1974, 96; BGH, Urteil vom 09.03.1972 – VII ZR 187/70, NJW 1972, 942. Diese Unvereinbarkeit mit dem GG führt unmittelbar zu einer Unzulässigkeit,[42]Vgl. zur Wirkung auch BVerfG, Beschluss vom 23.04.1986 – 2 BvR 487/80, NJW 1987, 827 (828). ohne dass auf andere Normen wie §§ 134, 138, (242) BGB zu verweisen ist. Insofern führt der Terminus „Verbot“ zu falschen Implikationen. Vielmehr kann eine Absprache, durch die ein Dritter verpflichtet oder in seinen Rechten beschränkt wird, in Ermangelung der Vorsehung eines solchen Vertragstypus‘ keinerlei Wirkung entfalten.

Anmerkung: Weitere Möglichkeit der Herleitung

Sehr vereinzelt wird die Unwirksamkeit einer differenzierten Preisabsprache auf (§ 577 I 3 BGB i.V.m.) § 465 BGB (analog) gestützt. Darauf soll hier allerdings nur der Vollständigkeit verwiesen werden, eine Bearbeitung in der Klausur empfiehlt sich nicht.
Ohnehin ist der Ansatz nicht zielführend. Gem. § 465 BGB sind solche Abreden zwischen Erstkäufer und Verkäufer unwirksam, welche den Kauf von der Nichtausübung des Vorkaufsrechts abhängig machen oder ein Rücktrittsrecht für den Fall der Ausübung des Vorkaufsrechts vorsehen. Selbst, wenn man davon ausgeht, dass es sich bei den unterschiedlichen Preisabsprachen um zwei unterschiedliche Kaufverträge handelt, die unter der auflösenden bzw. aufschiebenden Bedingung (§ 158 BGB) der Fortsetzung des Mietvertrages bzw. der Ausübung des Vorkaufsrechts stehen, handelt,[43]so Sonnenschein, „Die Entwicklung des privaten Wohnraummietrechts von 1989 bis 1996 (Teil 1), NJW 1997, 1270 (1283 f.). ist § 465 BGB nicht direkt anzuwenden, da jedenfalls keine Abhängigkeit des Schuldverhältnisses im weiteren Sinn von der Ausübung des Vorkaufsrechts besteht. Für eine analoge Anwendung wäre neben der (hier möglicherweise) vergleichbaren Interessenlage, wenigstens auch eine planwidrige Regelungslü-cke erforderlich. Allerdings liegt selbst in der differenzierten Preisabsprache in Abhängigkeit von der Ausübung des Vorkaufsrechts allenfalls eine Umgehung der Vorschrift des § 465 BGB, was (je nach Ansicht) bereits über §§ 134[44]T.d.L.: vgl. Armbrüster, in: MüKo-BGB, 9.Aufl. 2021, § 138 BGB Rn. 80, 138[45]z.B. BGH, Urteil vom 21.12.1960 – VIII ZR 1/60, NJW 1961, 822. BGB zur Nichtigkeit führen könnte. Es fehlt demnach schon an der erforderliche Regelungslücke.

Ein Vertrag zu Lasten Dritter ist immer dann anzunehmen, wenn eine vertragliche Abrede die Rechtspflicht eines unbeteiligten Dritte ohne dessen Autorisierung entstehen lassen [46]BGH, Urteil vom 23.02.2022 – VIII ZR 305/20; BeckRS 2022, 5040, Rn. 25 m.w.N. oder die Rechtsposition eines Dritten ohne dessen Autorisierung verkürzen [47]BGH, Urteil vom 23.02.2022 – VIII ZR 305/20; BeckRS 2022, 5040, Rn. 26 m.w.N. soll.

Davon ausgehend könnte in einer differenzierten Preisabsprache, welche dem vorkaufsberechtigten Mieter in irgendeiner Form einen höheren Kaufpreis aufbürdet, als der Erstkäufer im Regelfall zu zahlen hätte, ein Widerspruch zu § 577 I 3 i.V.m. § 464 II BGB zu sehen sein, was wiederum das Vorkaufsrecht des Vorkaufsberechtigten – und damit dessen gesetzlich zugesicherte Rechtsposition – verkürzen würde.[48]BGH, Urteil vom 23.02.2022 – VIII ZR 305/20; BeckRS 2022, 5040, Rn. 28 f. m.w.N.

Die Vertreter dieser Ansicht sehen in der objektiven Abweichung der festgesetzten Preise für den Erstkäufer (regelmäßig niedrigerer Preis, es sei denn, das Mietverhältnis wird beendet) und des Vorkaufsberechtigten (stets höherer Preis) einen Verstoß gegen § 464 II BGB, da dieser gerade gewährleisten solle, dass den Vorkaufsberechtigten objektiv keine ungünstigeren Bedingungen treffen, als den Erstkäufer.[49]BGH, Urteil vom 23.02.2022 – VIII ZR 305/20; BeckRS 2022, 5040, Rn.29; vgl. BGH, Urteil vom 14.07.1995 – V ZR 31/94, NJW 1995, 3183 (zu § 505 II BGB a.F.). Ausgehend von dieser Argumentation würde dann bereits genügen, dass der Erstkäufer einen für den Vorkaufsberechtigten bindenden Preis nur unter bestimmten (engen) Voraussetzungen zu zahlen habe.[50]BGH, Urteil vom 23.02.2022 – VIII ZR 305/20; BeckRS 2022, 5040, Rn.29 Auch wäre es unerheblich, dass der höhere Preis für den Fall der Ausübung des Vorkaufsrechts unmittelbar bzw. (wie hier) mittelbar festgesetzt ist oder der Preis an das Bestehen eines Mietverhältnisses anknüpft.

Gestützt wird diese Ansicht außerdem auf den allgemeinen Rechtsgedanken des § 465 BGB, demzufolge ein Verkäufer sich nicht auf solche Abreden berufen kann, die von der Ausübung eines Vorkaufsrechts abhängig sind.[51]vgl. BGH, Urteil vom 23.02.2022 – VIII ZR 305/20; BeckRS 2022, 5040, Rn.30.

Legt man diese Argumentation zugrunde, wäre die von E und K getroffene differenzierte Kaufpreisabrede gem. §§ 577 I 3, 464 II i.V.m. dem Verbot des Vertrages zu Lasten Dritter unwirksam.

bb) Generelle Zulässigkeit differenzierter Preisabsprachen

Eine dem entgegenstehende Ansicht hält differenzierte Preisabsprachen, welche – wie die hier in Frage stehende – den Kaufpreis an den Fortbestand des Mietverhältnisses knüpfen, hingegen grundsätzlich für wirksam, sofern sie nicht ausnahmsweise gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB), die guten Sitten (§ 138 BGB[52]Vergleiche zu den Umständen, unter denen ein Verstoß gegen die guten Sitten anzunehmen ist die Ausführungen unter aa) (2).) oder Treu und Glaube verstoßen.[53]Vgl. OLG München, Beschluss vom 21.02.2005 – 10 W 672/05, MittBayNot 2005, 306 (307); Derleder, „Mietervorkaufsrecht und Eigentümerverwertungsinteresse“, NJW 1996, 2817 (2819). In allen anderen Fällen sei eine differenzierte Preisabsprache zulässig und bindend, da dem vorkaufsberechtigten Mieter (zumindest bei einer marktgerechten Preisdifferenzierung[54]Diese Einschränkung anführend: Blank, in: Schmidt-Futterer, MietR, 14.Aufl. 2018, § 577 Rn.79 (danach wären auch die Differenzierungen unzulässig, die zwar nicht marktgängig, jedoch zugleich … Continue reading) dadurch keine Einschränkung erwachsen würde. Dies wird ausgehend von der Prämisse gefolgert, dass die Bewertung, ob den Vorkaufsberechtigten entgegen § 464 II BGB ungünstigere Bedingungen als den Vorbehaltskäufer träfen, nicht bloß anhand objektiv gleicher Bestimmungen,  sondern vielmehr anhand eines Vergleichs der jeweiligen Positionen unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu treffen wäre.[55]Argumentation der Revision in: BGH, Urteil vom 23.02.2022 – VIII ZR 305/20; BeckRS 2022, 5040, Rn.45. Durch die differenzierende Kaufpreisbestimmung würde dem Mieter gerade kein Nachteil erwachsen, weil er für seine Leistung in Form eines höheren Kaufpreises eine äquivalente Gegenleistung in Form einer aus seiner Sicht nicht an einen Dritten vermieteten Wohnung erhalte.[56]Argumentation der Revision in: BGH, Urteil vom 23.02.2022 – VIII ZR 305/20; BeckRS 2022, 5040, Rn.44. Im Gegenteil diene jedenfalls eine marktgerechte Preisdifferenzierung gerade der Wahrung der berechtigten Interessen des Verkäufers,[57] Derleder, NJW 1996, 2817 (2819) – insofern ist der § 506 BGB a.F., auf den Derleder Bezug nimmt ist wortgleich mit dem aktuellen § 465 BGB; § 570b BGB a.F. auf den Derleder ebenfalls … Continue reading zu verhindern, dass der Mieter aus der ihm zum Zwecke des Verdrängungsschutzes eingeräumten Rechtsposition, keinen ungerechtfertigten Vorteil ziehen kann.[58] Derleder, NJW 1996, 2817 (2822).  Andernfalls könne der Mieter Vermögensvorteile erhalten, die vom Schutzzweck des § 577 BGB nicht gedeckt seien,[59]Derleder, NJW 1996, 2817 (2819). indem er die vormalige Mietwohnung nach Zahlung des geringeren Kaufpreises (den er für die Wohnung im vermieteten Zustand entrichtet) im Anschluss freistehend zu einem höheren Preis veräußert.[60]Vgl. Blank/Fervers, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 15.Aufl.2021, § 577 BGB Rn.88. Die Erschwerung des Erwerbs des Mieters sei also bloßer Nebeneffekt der Wahrung wirtschaftlicher Chancengleichheit[61]Derleder, NJW 1996, 2817 (2819).  und stehe somit nicht im Widerspruch zu § 464 II BGB. Darüber hinaus entspräche ein solches Vorgehen am ehesten dem in § 573 II Nr.3 BGB enthaltenen Rechtsgedanken der wirtschaftlichen Verwertung.[62]KG, Urteil vom 02.10.2020 – 17 U 18/18, RNotZ 2021, 92, Rn.15. Konsequenterweise könne in einer solchen Absprache daher auch keine unzulässige Verkürzung der Rechtsposition eines Dritten zu sehen sein. Eher würde sich die Absprache in einer zulässigen Verkürzung einer überobligatorischen Begünstigung eines Dritten[63]Zur Zulässigkeit der Verkürzung von Begünstigungen: Gottwald, in: MüKo-BGB, 8.Aufl. 2019, § 328 BGB Rn.266 – bzgl. der Übertragung auf den hiesigen Fall bestehen mE allerdings gewisse … Continue reading oder in einem bloßen Reflex der zur Wahrung der Chancengleichheit gebotenen Abrede zwischen Verkäufer und Erstkäufer[64]Zur Zulässigkeit der Drittbelastung im Falle von bloßen Rechtsreflexen: vgl. BGH, Urteil vom 29.06.2004 – VI ZR 211/03, NJW 2004, 3326 (3327), auch im Vergleich zur Argumentation in diesem Urteil … Continue reading niederschlagen.

Da die in Frage stehende differenzierte Preisabsprache (laut Bearbeiterhinweis) marktgerecht ist, wäre die von E und K getroffene Absprache somit unabhängig von etwaigen erforderlichen Einschränkungen dieser Ansicht nach zulässig und somit wirksam.

cc) Differenzierte Ansicht

Eine darüber hinaus teilweise vertretene Ansicht sieht all diejenigen Preisabsprachen als zulässig an,  die eine Preiserhöhung nicht ausschließlich von der Ausübung des Vorkaufsrechts, sondern allgemein von dem Erlöschen des Mietverhältnisses abhängig machen.[65]BGH, Urteil vom 23.02.2022 – VIII ZR 305/20; BeckRS 2022, 5040, Rn.9; KG, Urteil vom 02.10.2020 – 17 U 18/18, RNotZ 2021, 92, Rn.16; Derleder, , NJW 1996, 2817 (2819). Die Auswirkungen auf den hiesigen Fall wären dann abhängig davon, wie weitgehend die von E und K getroffene Abrede unwirksam wäre.

dd) Entscheid

In Ansehung dessen, dass die jeweiligen Argumentationen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, ist ein Streitentscheid erforderlich.

Der wesentliche Unterschied in den Argumentationen tut sich in Bezug auf den Umgang mit § 464 II BGB auf. Dabei wirkt die Argumentation der beiden letzten Ansichten, nach welcher ein Verstoß gegen § 464 II BGB nicht angenommen werden kann, da es eines wirtschaftlichen Ausgleichs zwischen den unterschiedlichen Positionen von Erstkäufer und Vorkaufsberechtigter bedarf, auf den ersten Blick durchaus nachvollziehbar. Schließlich ist die Darstellung des Mieters, der die Wohnung zu einem höheren Preis verkaufen kann, als er sie kauft, recht plastisch. Allerdings basiert diese Argumentation gleich auf mehreren Fehlannahmen.

Neben der fehlerhaften Prämisse, dass eine vermietete Wohnung stets mit einem niedrigeren Kaufpreis zu bewerten sei, als eine unvermietete Wohnung,[66]Dies ist hingegen keineswegs feststehend, sondern gilt vielmehr nur dann, wenn die Wohnung zu einem unter dem Marktniveau gelegenen Entgelt vermietet ist (vgl. BGH, Urteil vom 23.02.2022 – VIII ZR … Continue reading gehen die zweite und dritte Ansicht selbstverständlich davon aus, dass der sich aus einer etwaigen Preisdifferenz zwischen vermieteter und nicht vermieteter Wohnung ergebende Vermögensvorteil nicht dem Mieter zuzuweisen ist. Diese Annahme wird jedoch von der Konzeption des Mietervorkaufsrechts in § 577 BGB in Frage gestellt.

Die in Frage stehende Problematik[67]Dazu bietet es sich an, nochmal die Einführung in die Problematik zu lesen. basiert auf den Besonderheiten des Wohnraummietrechts und ist somit nur in den Fällen des gesetzlichen Mietervorkaufsrechts aus § 577 BGB, nicht jedoch in den genuinen Fällen des auf einer entsprechenden Vereinbarung beruhenden schuldrechtlichen Vorkaufsrechts i.S.d. §§ 463 ff. BGB relevant. Dennoch hat der Gesetzgeber sich dazu entschieden, durch Schaffung des § 577 I 3 BGB auf die auf die allgemeinen Vorschriften des Vorkaufsrechts zu verweisen, ohne diese in Anpassung an die Problematik der möglichen Wertdifferenz zwischen vermietetem und unvermietetem Wohnraum zu modifizieren.[68]BGH, Urteil vom 23.02.2022 – VIII ZR 305/20; BeckRS 2022, 5040, Rn.36. Dabei nahm der Gesetzgeber den möglichen wirtschaftlichen Profit des Mieters im Bewusstsein der Problematik jedoch willentlich hin,[69]BGH, Urteil vom 23.02.2022 – VIII ZR 305/20; BeckRS 2022, 5040, Rn.39., da der Gesetzgeber neben dem bloßen Verdrängungsschutz bei der Schaffung des § 570b BGB a.F. (entspricht § 577 BGB in der aktuellen Fassung) auch das Interesse des Mieters am Eigentumserwerb im Sinn hatte.[70]BGH, Urteil vom 23.02.2022 – VIII ZR 305/20; BeckRS 2022, 5040, Rn.38; BGH, Urteil vom 21.01.2015 – VIII ZR 51/14, NJW 2015, 1516, Rn.37 f. Dies wird insbesondere dadurch deutlich, dass der Gesetzgeber den Eigentumserwerb des Mieters gerade zu dem Preis ermöglichen wollte, den auch ein Dritter zu zahlen hätte.[71] BT-Drs. 12/3013, S. 18; 12/3245, S.40. In Ansehung des damaligen § 571 BGB a.F. (heutiger § 566 BGB) kann sich diese Feststellung nur auf den Preis beziehen, den ein Dritter für eine vermietete Wohnung zahlen würde.[72]Vgl. KG, Urteil vom 02.10.2020 – 17 U 18/18, RNotZ 2021, 92, Rn.12, 18.Es zeigt sich somit, dass der Gesetzgeber einen etwaigen Vorteil, der aus der beschriebenen Preisproblematik entsteht, gerade dem Mieter zuweisen wollte.[73]BGH, Urteil vom 23.02.2022 – VIII ZR 305/20; BeckRS 2022, 5040, Rn. 36; KG, Urteil vom 02.10.2020 – 17 U 18/18, RNotZ 2021, 92, Rn.18.Abgesehen davon, dass eine solche Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers zu akzeptieren ist, stellt eine Zuweisung dieses Vermögensvorteils an den Mieter auch eine stringente Fortführung des Mieterschutzes im deutschen Mietrecht dar. Denn entgegen den Annahmen der zweiten und dritten Ansicht handelt es sich bei der Zuschreibung der Differenz zugunsten des Mieters keineswegs um eine nicht zu rechtfertigende Verschaffung eines Vermögensvorteils. Schon aus Sicht des Verkäufers besteht zu keinem Zeitpunkt ein unbilliger Nachteil, da aus seiner Sicht bis zum Verkauf stets nur eine vermietete Wohnung vorliegt – unabhängig davon, ob der Mieter sein Vorkaufsrecht ausübt (dann erlischt das Mietverhältnis erst nach Ausübung des Vorkaufsrechts durch Konfusion) oder der Erstkäufer die Wohnung kauft (dann besteht das Mietverhältnis ja ohnehin fort).[74]BGH, Urteil vom 23.02.2022 – VIII ZR 305/20; BeckRS 2022, 5040, Rn.42; BGH, Urteil vom 23.10.2013 – VIII ZR 423/14, NZG 2014, 511, Rn.18 m.w.N. Vielmehr würde sich der Verkäufer, der die Wohnung an den vorkaufsberechtigten Mieter nur zum Preis einer unvermieteten Wohnung abgibt, gerade auf Kosten des Mieters von einem seinem Vermögen anhaftenden Nachteil befreien.[75]BGH, Urteil vom 23.02.2022 – VIII ZR 305/20; BeckRS 2022, 5040, Rn.44.

Anmerkung: Zum besseren Verständnis des Arguments der Wertzuweisung

Dieses Argument wirkt auf den ersten Blick sehr abstrakt. Besser zu verstehen ist es, wenn man sich vor Augen führt, dass eine vermietete Wohnung, für die neben § 566 BGB auch § 577a BGB gilt, quasi nur dadurch von dem „Makel“ des Mietverhältnisses zu „befreien“ ist, indem der Mieter aus seinem Vertrag herausgekauft (Mietaufhebungsvertrag) wird. Lässt man das Mietervorkaufsrecht zunächst außer Acht, hat dies zur Folge, dass in den Fällen, in denen ein Käufer zwingend eine freistehende Wohnung erwerben will, der Verkäufer den Mieter aus dem Mietvertrag „herauskaufen“ oder einen Abschlag auf den Kaufpreis in Kauf nehmen muss, von dem der Käufer dann selbst versuchen kann, den Mieter aus dem Mietverhältnis „herauszukaufen“.
Dabei zeigt sich, dass Verkäufer und Erstkäufer darauf angewiesen sind dem Mieter Anreize zu setzen, während es dem vorkaufsberechtigten Mieter möglich ist, seine Position aus dem Mietvertrag zu verwerten. Das Äquivalent zu dieser vergünstigten Position zeigt sich quasi auch in der Zuweisung der Wertdifferenz an den Mieter.

Der Erstkäufer hingegen erfährt ohnehin keinen Nachteil, da für ihn allenfalls die Gefahr besteht, dass der Mieter die Wohnung zum gleichen Preis kaufen und dabei im Anschluss einen höheren Gewinn erzielen kann. Dieser Vorteil des Mieters ist in Ansehung seiner gesetzlich in verschiedener Form hervorgehobenen Schutzwürdigkeit legitim. Insbesondere ist festzuhalten, dass dies nicht bedeutet, dass Verkäufer und Erstkäufer auf eine differenzierende Preisabrede verzichten müssen, da es ihnen unbenommen bleibt, den Preis für eine unvermietete Wohnung als (für den Vorkaufsberechtigten geltende) Grundlage anzusetzen und für den Fall des vermieteten Weiterverkaufs einen höhere Preis festzusetzen.[76] BGH, Urteil vom 23.02.2022 – VIII ZR 305/20; BeckRS 2022, 5040, Rn.43. Eine solche Absprache begegnet keinerlei Bedenken. 

Da die hier dargestellte Problematik – wie bereits angeführt – nur im Rahmen des § 577 BGB zum Tragen kommt, ist darüber hinaus die von dieser Problematik ausgehende Annahme, dass die Bewertung der Nachteilhaftigkeit einer Abweichung i.S.d. § 464 II BGB (der einen deutliche weiteren Anwendungsbereich aufweist) eine wirtschaftliche Betrachtung erfordert, recht weit hergeholt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass gem. § 464 II BGB rein objektiv dieselben Bedingungen für Erst- und Vorbehaltskäufer zu gelten haben.[77]BGH, Urteil vom 23.02.2022 – VIII ZR 305/20; BeckRS 2022, 5040, Rn.45 f. Da auch dann keine objektiv selben Bedingungen gelten, wenn sich der Erstkäufer unter Umständen ebenfalls verpflichtet hat denselben erhöhten Kaufpreis zu bezahlen, der für den Vorkaufsberechtigten immer gilt, ist auch eine solche Verpflichtung nicht von Belang.[78]BGH, Urteil vom 23.02.2022 – VIII ZR 305/20; BeckRS 2022, 5040, Rn.48. Da somit jede differenzierende Preisabsprache, nach welcher der vorkaufsberechtigte Mieter bei Ausübung seines Vorkaufsrechts einen höheren Preis zu zahlen hat, als es der Erstkäufer im Regelfall tun müsste, gegen die Festsetzung des § 464 II BGB verstößt und daher – ohne Mitwirkung des Vorkaufsberechtigten – dessen Rechtsposition verkürzt, ist der ersten Ansicht zu folgen.

Somit ist die von K und E getroffene differenzierte Preisabrede gem. §§ 577 I 3, 464 II BGB i.V.m. dem Verbot von vertraglichen Abreden zu Lasten Dritter unzulässig und somit unwirksam. Dadurch ist insbesondere der Teil der Abrede, nach welchem die Ausübung des Vorkaufsrechts zur Zahlung des höheren Preises verpflichtet unwirksam. 

c) Folgen für den Inhalt des Kaufvertrages

Somit bleibt allenfalls der Teil der Abrede bestehen, nach welchem der höhere Preis zu geschuldet wird, wenn der Verkäufer nachweist, dass das Mietverhältnis in einem bestimmten Zeitraum aufgelöst bzw. gekündigt worden ist. Da die M im vorliegenden Fall die Wohnung von E erworben hat und das Mietverhältnis somit durch Konfusion nach dem Kauf erloschen ist, hat M die Wohnung „mit bestehendem Mietverhältnis“ erworben.[79]Aus diesem Grund ist diese Abrede auch nicht zu beanstanden. Der Anspruch der E gegen die M aus § 433 II BGB beläuft sich somit lediglich auf den geringeren Kaufpreis in Höhe von 146.940,00€. 

3. Zwischenergebnis

Dementsprechend fehlt es für die von M ohnehin nur unter Vorbehalt geleistete Differenz zwischen den beiden veranschlagten differenzierten Preisen in Höhe von 16.326,67€ an einem Rechtsgrund. Die Leistung der M war in Höhe dieses Betrags also rechtsgrundlos i.S.d. § 812 I 1 Alt.1 BGB.

IV. Kein Ausschluss des Anspruchs

Da die M ausweislich des Sachverhalts bereits davon ausging, dass sie nur 146.940,00€ zahlen muss, könnte ihr Anspruch wegen Kenntnis der Nichtschuld gem. § 814 Var.1 BGB ausgeschlossen sein. Da § 814 Var.1 BGB jedoch im Wesentlichen auf dem Grundsatz des Verbots widersprüchlichen Verhaltens („venire contra factum proprium“) beruht,[80]vgl. Wendehorst, in: BeckOK BGB, 61.Edition, Stand 01.02.2022, § 814 BGB Rn.10. ist der Ausschluss des § 814 Var.1 BGB immer dann nicht anwendbar, wenn der Leistende nur unter Vorbehalt leistet.[81]statt vieler: BGH, Urteil vom 30.10.1972 – VIII ZR 165/71, BeckRS 1972, 31126745 Der Anspruch der M gegen die E auf Rückzahlung der 16.326,67€ ist somit auch nicht ausgeschlossen.

V. Rechtsfolgen

Gem. § 812 I 1 BGB ist die E somit zur Herausgabe des Erlangten an die M verpflichtet. Da es sich bei dem rechtsgrundlos Erlangten allerdings um einen Anspruch der M auf Gutschrift bzw. Verfügbarmachung eines Betrages von 16.326,67€ gegen ihren Zahlungsdienstleister handelt, dessen Abtretung gem. § 613 S.2 BGB[82]Schmieder, in: Schimansky/Bunte/Lwowski Bankrechts-Handbuch, § 47 Rn.14b., zumindest aber aufgrund eines stillschweigend abgeschlossenen kontokorrentrechtlichen Abtretungsverbots[83]h.M., vgl. Jungmann, in: MüKo-BGB, 8.Aufl. 2020, § 675t BGB Rn.30; Canaris, „Bankvertragsrecht“, 1988, Rn.408. ausgeschlossen ist, ist die Herausgabe des Erlangten wegen seiner Beschaffenheit nicht möglich. Demnach hat die E der M gem. § 818 II BGB den Wert des Erlangten – also 16.326,67€ zu ersetzen. Eine Entreicherung i.S.d. § 818 III BGB ist nicht ersichtlich.

B. Ergebnis

M hat gegen die E gem. § 812 I 1 Alt.1 BGB einen Anspruch auf Rückzahlung von 10% des für die Wohnung gezahlten Preises und somit auf Rückzahlung von 16.326,67€. 

Zusatzfragen

Gehen Sie (bei ansonsten unverändertem Sachverhalt) davon aus, dass der zwischen E und K geschlossene Vertrag auch eine salvatorische Erhaltungsklausel (inklusive Ersetzungsklausel) enthält, sich E gegenüber der M aber dennoch darauf beruft, dass bei einer Unwirksamkeit der differenzierten Preisabrede auch der restliche Kaufvertrag zwischen E und K unwirksam sei. Was verändert sich im Vergleich zum Ausgangsfall?

Wie in der Lösung des Ausgangsfalls festgestellt worden ist, ist jedenfalls die von E und K getroffene differenzierte Preisabrede nichtig. Da somit ein Teil des Rechtsgeschäfts nichtig ist, gilt grds. § 139 BGB, nach dem in einem solchen Fall das ganze Rechtsgeschäft nichtig ist, sofern nicht davon auszugehen ist, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde. Grundsätzlich wäre somit die M, die sich auf die Wirksamkeit des richtigen Vertrages beruft darlegungs- und beweisbelastet.
Anders gestaltet sich die Darlegung- und Beweislastverteilung hier allerdings in Folge der salvatorischen Erhaltungsklausel, die nach ständiger Rspr. des BGH[84]vgl. statt vieler: BGH, Urteil vom 08.02.2019 – V ZR 167/17, NJW 2019, 2016, Rn.25; BGH, Urteil vom 11.05.2012 – V ZR 193711, NJW 2012, 2648, Rn.15 m.w.N. eine Beweislastumkehr zur Folge hat. Demnach müsste E die Vermutung ausräumen, dass der Vertrag auch ohne die beanstandete Absprache geschlossen worden wäre. Die darüber hinaus festgeschriebene Ersetzungsklausel hat faktisch keine Wirkung, da eine solche Klausel lediglich die ohnehin geltenden Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung festschreibt.

Im Rahmen der Prüfung des § 139 BGB käme es dann allein darauf an, ob das teilnichtige Rechsgeschäft gemäß dem mutmaßlichen Willen der Parteien (Achtung: hier geht es nicht um E und M sondern um E und K!) als Ganzes verworfen worden wäre.[85]BGH, Urteil vom 23.02.2022 – VIII ZR 305/20; BeckRS 2022, 5040, Rn.51. Demnach käme es darauf an, ob E und K bei Kenntnis der Unwirksamkeit der differenzierten Preisabrede nach Treu und Glaube und bei vernünftiger Abwägung der in Betracht kommenden Verhältnisse und Interessen von einem Abschluss des sonstigen Kaufvertrages abgesehen hätten.[86]st. Rspr. des BGH; vgl. statt vieler: BGH, Urteil vom 17.10.2007 – IV ZR 266/06, NJW 2008, 298, Rn.16; BGH, Urteil vom 22.05.1996 – VIII ZR 194/95, NJW 1996, 2087. Angesichts der insofern gebotenen objektiven Bewertung[87]BGH, Urteil vom 23.02.2022 – VIII ZR 305/20; BeckRS 2022, 5040, Rn.51. kann davon allerdings nicht ausgegangen werden.

Im Ergebnis würde sich an der Lösung des Falles somit nichts ändern.


Zusammenfassung:
1. Ist eine Eigentumswohnung mit einem Mietervorkaufsrecht i.S.d. § 577 BGB belastet, steht eine zwischen dem Erstkäufer und dem Verkäufer getroffene Abrede, nach welcher der Vorkaufsberechtigte die Wohnung zu einem höheren Preis erwerben müsste, als der Erstkäufer im Regelfall zu zahlen hätte, gegen § 577 I 3 i.V.m. § 464 II BGB und ist daher gem. § 577 I 3 i.V.m. § 464 II i.V.m. dem Verbot des Vertragsschlusses zu Lasten Dritter unwirksam.

2. Dies gilt unabhängig davon, ob sich der Erstkäufer unter bestimmten Bedingungen ebenfalls dazu verpflichtet den höheren Kaufpreis zu entrichten. Unerheblich ist außerdem, ob eine solche Absprache an die Ausübung des Vorkaufsrechts selbst oder an den Fortbestand des Mietverhältnisses anknüpft.

3. Die Bestimmungen zu denen der durch die Ausübung eines Vorkaufsrechts entstandene Kaufvertrag zustande kommt, sind gem. § 464 II BGB keine „wirtschaftlich gleichen“ Bedingungen sondern objektiv exakt die Bestimmungen, zu denen auch der Kaufvertrag mit dem Erstkäufer zustande kommt.

4. Einen etwaigen Preisvorteil, der dadurch entsteht, dass eine unvermietete Wohnung im Einzelfall zu einem höheren Preis weiterverkauft werden kann, als dies im vermieteten Zustand der Fall wäre, weist der Gesetzgeber für den Fall der Ausübung des Vorkaufsrechts durch den Mieter, dem vorkaufsberechtigten Mieter zu.


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