BGH Urteil vom 28.03.2023 – VI ZR 19/22, NJW 2023, 2037
Sachverhalt
(abgewandelt und gekürzt)
Die A ist gewerbliche Autohändlerin für Neuwagen. Im Jahr 2015 erwarb A von ihrer Vertragshändlerin, der D-GmbH, vier Kraftfahrzeuge unterschiedlicher Marken. Die Fahrzeuge wurden daraufhin zum Firmengelände der A verbracht und dort öffentlich zum Verkauf ausgestellt. Direkt nach dem Erhalt versicherte die A alle vier Fahrzeuge bei dem Kaskoversicherer V-AG unter anderem gegen Diebstahl.
In der Folgezeit wurden alle vier Fahrzeuge vom ordnungsgemäß gesicherten Gelände der A durch unbekannte Diebe gestohlen. Die Diebe setzten echte Ersatzschlüssel ein, die von einem angestellten Mitarbeiter der D-GmbH zuvor im Rahmen seiner üblichen Tätigkeit bei den jeweiligen Herstellern bestellt und dann durch die D-GmbH an ein Unternehmen in Litauen versendet worden sind, welches die Schlüssel vorher angefordert hatte. Die Diebe erlangten diese Schlüssel im Anschluss von den Mitarbeitern des litauischen Unternehmens. Das litauische Unternehmen ist ein sogenannter „nicht organisationsgebundener rabattbegünstigter Abnehmer von Originalteilen“, mit dem die D-GmbH eine längere Vertragsbeziehung hat. Um einen solchen Status zu erreichen, muss ein Unternehmen einen Werkstattbetrieb nachweisen, der nicht Servicepartner des Konzerns sein darf, also entweder eine markenungebundene Werkstatt oder eine Markenwerkstatt eines anderen Herstellers.
Für die Schlüsselbestellungen wurden dem Mitarbeiter der D-GmbH von dem litauischen Unternehmen die Fahrzeugidentifikationsnummer des jeweiligen Fahrzeugs mitgeteilt. Eine weitere Prüfung der Berechtigung der Bestellung erfolgte nicht. Insbesondere wurde nicht geprüft, ob der Besteller (das litauische Unternehmen) auch im Besitz des jeweiligen Fahrzeugs ist. Auch eine Überprüfung der Legitimation zur Schlüsselbestellung durch Vorlage von Ausweispapieren oder Zulassungsbescheinigungen erfolgte durch die D-GmbH nicht.
Die gestohlenen Fahrzeuge wurden in eine Halle verbracht, wo im Zuge polizeilicher Durchsuchungen Fahrzeugteile wie auch Belege über die Schlüsselbestellungen sowie nachbestellte Schlüssel selbst vorgefunden wurden.
Die A meldete sämtliche Diebstähle bei der V-AG als Kaskoversicherung, welche daraufhin den Einkaufspreis in Höhe von 150.000,00 EUR ersetzte.
Die V-AG möchte nunmehr diese 150.000,00 EUR von der D-GmbH ersetzt bekommen. Zu Recht?
Hinweise:
- Die Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) ist zum einen in der Zulassungsbescheinigung, zum anderen aber auch am Fahrzeug (bspw. Motorraum, Türrahmen etc.) wiederzufinden.
- Fahrzeughersteller empfehlen bei fehlenden oder defekten Fahrzeugschlüsseln die Beschaffung eines Ersatzschlüssels nach besonderer Verfahrensweise und Dokumentation. Insbesondere soll ein Fahrzeugbesitznachweis in Verbindung mit einer Legitimation erbracht und bei Verlust/Diebstahl des Altschlüssels die Polizei und/oder die Versicherung informiert werden.
Skizze
Gutachten
A. Anspruch auf Schadensersatz i.H.v. 150.000,00 EUR gegen die D-GmbH aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 86 VVG
Die V-AG könnte zunächst einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 150.000,00 EUR aus übergegangenem Recht gegen die D-GmbH gemäß § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 86 VVG haben.
I. Anspruch der A aus § 823 Abs. 1 BGB
Für einen Anspruch aus übergegangenem Recht müsste zunächst ein Anspruch der A gegen die D-GmbH (nachfolgend: D) auf Schadensersatz in Höhe von 150.000,00 EUR bestanden haben. Ein solcher könnte sich aus § 823 Abs. 1 BGB ergeben.
1. Rechtsgutsverletzung
Eine Rechtsgutsverletzung in Form einer Eigentumsverletzung ist gegeben, da die Fahrzeuge vom Gelände der A entwendet worden sind.
2. Verletzungshandlung der D
Weiterhin müsste eine Verletzungshandlung bzw. ein Unterlassen der D gegeben sein. In Betracht kommt vorliegend die Versendung der Ersatzschlüssel an das litauische Unternehmen – ohne die Berechtigung des Unternehmens zur Anforderung der Schlüssel zu überprüfen. Durch das Unterlassen der Legitimationsprüfung könnte die D eine ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt haben.
a) Bestehen einer Verkehrssicherungspflicht der D
Zunächst müsste auf Seiten der D eine Verkehrssicherungspflicht gegenüber der A bestanden haben.
Hinsichtlich der Pflicht zur Verkehrssicherung gilt, dass der, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art – schafft, grundsätzlich verpflichtet ist, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Zu berücksichtigen ist dabei, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, besteht nicht. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr daher erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden. Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, eine Schädigung anderer tunlichst abzuwenden. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren und die den Umständen nach zuzumuten ist.[1]BGH, Urteil vom 28.03.2023 – VI ZR 19/22; NJW 2023, 2037 Rn. 13 m.w.N.
Anmerkung: LerntippDie Prüfung von Verkehrssicherungspflichten spielt im Examen – insbesondere auch im 2. Staatsexamen – eine große Rolle. Hierbei ist der Rechtsprechung des BGH zu entnehmen, dass immer wieder die gleiche Definition des anzulegenden „Maßstabs“ erfolgt, unter den beliebig subsumiert werden kann. Es dürfte sich daher anbieten, sich für die Klausur ebenfalls eine Definition bereit zu halten, die die wesentlichen Kriterien (Gefahrenquelle, kein Ausschluss sämtlicher Schadenseintritte, geeignete und zumutbare Maßnahmen, Erwartung des Verkehrskreises, etc.) enthält. Im zweiten Staatsexamen wird dies durch den Grüneberg abgenommen, der in § 823 Rn. 45ff. eine solche Definition bereits vorgibt.
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs bestand vorliegend die Pflicht der D zur Überprüfung, ob eine Übersendung der Ersatzschlüssel an die D berechtigterweise erfolgen darf. Durch die Nachbestellung und das Inverkehrbringen des Ersatzschlüssels wird eine unmittelbare Zugriffsmöglichkeit auf das Fahrzeug geschaffen.[2]BGH, Urteil vom 28.03.2023 – VI ZR 19/22; NJW 2023, 2037 Rn. 17 Insofern besteht durch die Herausgabe eines Ersatzschlüssels stets die Gefahr des Missbrauchs durch Unbefugte, welcher durch die herausgebende Person entgegengewirkt werden kann und muss, wobei sich die zu ergreifenden Maßnahmen auf das Maß des Zumutbaren beschränken. Dieser Gefahr und den tatsächlich eingetretenen Rechtsgutsverletzungen durch die Kfz-Diebstähle kann durch Prüfung der Berechtigung der Schlüsselanforderung und Plausibilisierung des Schlüsselverlustes vorgebeugt werden. Vorkehrungen – etwa in Form der Vorlage eines Bestellschreibens des betroffenen Fahrzeughalters nebst Ausweispapieren oder Zulassungsbescheinigungen sowie eines Nachweises über den Defekt oder das Abhandenkommen des Erstschlüssels – sind dabei vor Herausgabe der Schlüssel auch möglich und mit einem zumutbaren Aufwand verbunden.[3]BGH, Urteil vom 28.03.2023 – VI ZR 19/22; NJW 2023, 2037 Rn. 18 m.w.N.
Dass eine weitergehende Überprüfung auch im maßgeblichen Verkehrskreis üblich ist, ergibt sich aus den Empfehlungen von Fahrzeugherstellern. Gemäß des Klausurhinweises empfehlen Fahrzeughersteller bei fehlenden oder defekten Fahrzeugschlüsseln die Beschaffung eines Ersatzschlüssels nach besonderer Verfahrensweise und Dokumentation. Insbesondere soll ein Fahrzeugbesitznachweis in Verbindung mit einer Legitimation erbracht und bei Verlust/Diebstahl des Altschlüssels die Polizei und/oder die Versicherung informiert werden.
b) Verletzung der Verkehrssicherungspflicht
Weiterhin müsste D die Pflicht zur Verkehrssicherung unter Beachtung der Umstände des konkreten Einzelfalls auch verletzt haben.
Vorliegend haben die Mitarbeiter der D die Schlüssel an das litauische Unternehmen versendet, nachdem diese zuvor unter Nennung der Fahrzeugidentifikationsnummern angefordert worden waren. Eine weitere Prüfung der Berechtigung der Bestellung erfolgte nicht. Insbesondere wurde nicht geprüft, ob der Besteller auch tatsächlich im Besitz des jeweiligen Fahrzeugs ist. Es wurde auch keine Legitimation zur Schlüsselbestellung in Form von Ausweispapieren oder Zulassungsbescheinigungen verlangt. Die D durfte vorliegend auch nicht davon ausgehen, dass die Übersendung der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) ausreichend ist. Die FIN stellt keinen besonderen Legitimationsnachweis dar, sondern ist tatsächlich in der Fahrzeugbescheinigung sowie an mehreren Stellen des Fahrzeugs vermerkt. Die leichte Verfügbarkeit durch Ablesen am Fahrzeug schließt ein Vertrauen auf die Berechtigung aus, da kein eindeutiger Rückschluss auf die Berechtigung zur Anforderung oder zumindest den Besitz des Fahrzeugs möglich ist.
Fraglich ist jedoch, ob sich aus der Tatsache, dass die Lieferung an einen mehrjährigen Vertragspartner der D erfolgte, eine abweichende Bewertung ergibt. Hierfür sprechen könnte, dass nach mehreren Jahren ein gewisses Vertrauensverhältnis zum litauischen Unternehmen bestanden hat. Hieraus dürfte sich jedoch nicht ergeben, dass auf sämtliche im Verkehr übliche und erforderliche Sicherheitsvorkehrungen verzichtet wird. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Nachprüfung einer Legitimation zur Anforderung der Schlüssel mit einem geringen Aufwand verbunden ist und zudem nicht zu erwarten ist, dass dies die Geschäftsbeziehung gefährdet und hierdurch wesentliche wirtschaftliche Interessen der D bedroht.
Die D muss sich die Bestellung und Aushändigung der Ersatzschlüssel an Mitarbeiter der litauischen Firma durch ihre eigenen Mitarbeiter zurechnen lassen. Als Arbeitgeber trägt sie die Verantwortung für die Organisation der Betriebsabläufe. Es liegt an ihr durch geeignete Vorkehrungen und sachgerechte Organisation dafür zu sorgen, dass durch die Arbeitsabläufe des Betriebes Dritte nicht geschädigt werden.[4]Palandt / Sprau, 80. Auflage 2021, BGB § 823 Rn. 50 Sie ist diejenige, die als Herstellervertragswerkstatt die Befugnis zur Ersatzschlüsselbestellung hat, nicht dagegen ihre einzelnen Mitarbeiter persönlich. Es oblag damit ihr als Inhaberin, konkrete Vorgaben zur Überprüfung der Berechtigung des Ersatzschlüsselbestellers auch in Bezug auf Vertragshändler zu machen und die Einhaltung dieser Vorgaben zu überwachen. Wegen der Vielzahl der missbräuchlichen Ersatzschlüsselbestellungen, vorliegend zumindest vier, hat die D dies offensichtlich unterlassen.[5]OLG Celle, Urteil vom 16.12.2021 – 11 U 68/21, BeckRS 2021, 61930 Rn. 37
D hat die im Verkehr notwendigen Vorkehrungen daher nicht beachtet und die Verkehrssicherungspflicht damit verletzt.
c) A als Schutzadressat
A ist als Eigentümerin der gestohlenen Fahrzeuge auch vom Schutz der Verkehrssicherungspflicht umfasst, weil sie von der Gefährdung durch missbräuchliche Verwendung der Ersatzschlüssel unmittelbar betroffen ist.[6]OLG Celle Urteil vom 16.12.2021 – 11 U 68/21, BeckRS 2021, 61930 Rn. 22
3. Haftungsbegründende Kausalität
Weiterhin müsste die Pflichtverletzung auch kausal für die Rechtsgutsverletzung sein. Im Falle der Unterlassung der Einhaltung von Verkehrssicherungspflichten ist dies dann der Fall, wenn das pflichtgemäße Verhalten nicht hinzugedacht werden kann, ohne dass der tatbestandliche Erfolg der Rechtsgutsverletzung in seiner konkreten Gestalt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele.[7]BeckOK BGB/Förster, 68. Ed. 1.11.2023, BGB § 823 Rn. 257
Dies wäre unter anderem dann nicht der Fall, wenn die Rechtsgutsverletzung vorliegend im Falle eines rechtmäßigen Alternativverhaltens eingetreten wäre.[8]zum Einwand: (MüKoBGB/Oetker, 9. Aufl. 2022, BGB § 249 Rn. 217.
Vorliegend hat die D sämtliche Überprüfungsmaßnahmen unterlassen und die Legitimation des litauischen Unternehmens zur Anforderung der Schlüssel gänzlich vernachlässigt. Da die Fahrzeuge samt Legitimationspapieren sich rechtmäßig bei der A befunden haben, hätte das litauische Unternehmen den Nachweis nicht anhand dieser Unterlagen erbringen können. Dass diese anderweitig eine ordnungsgemäße Legitimation – bspw. durch gefälschte Unterlagen – hätte nachweisen können, ist nicht ersichtlich. Die unterlassene Kontrolle der D ist damit kausal. Der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens greift daher nicht.
4. Objektive Zurechnung
Weiterhin müsste die Rechtsgutsverletzung der D auch objektiv zurechenbar sein. Nach der Adäquanztheorie muss die Handlung im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, ganz unwahrscheinlichen und nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen zur Herbeiführung eines Erfolges der eingetretenen Art geeignet sein.[9]BGH, Urteil vom 19.10.2016 – IV ZR 521/14 Dass bei einem Ersatzschlüssel die Gefahr eines zweckwidrigen Missbrauchs besteht, ist nicht derart ungewöhnlich, als dass damit nicht im Allgemeinen gerechnet werden kann.
Fraglich ist jedoch, ob auch der notwendige Zurechnungszusammenhang in Bezug auf die Pflichtverletzung besteht. Hiergegen könnte sprechen, dass der Diebstahl nicht unmittelbar durch die D bzw. das litauische Unternehmen verübt worden ist, sondern durch unbekannte Diebe, die die Ersatzschlüssel im Nachgang über Mitarbeiter des Unternehmens erhalten haben.
Die haftungsrechtliche Zurechnung wird jedoch gerade nicht dadurch ausgeschlossen, dass außer der in Rede stehenden Handlung noch weitere Ursachen zu dem eingetretenen Schaden beigetragen haben. Dies gilt auch dann, wenn der Schaden erst durch das (rechtmäßige oder rechtswidrige) Dazwischentreten eines Dritten verursacht wird. Der Zurechnungszusammenhang fehlt auch in derartigen Fällen nur, wenn sich die zweite Ursache den Geschehensablauf so verändert, dass der Schaden bei wertender Betrachtung nur noch in einem äußerlichen, gleichsam zufälligen Zusammenhang zu der durch die erste Ursache geschaffenen Gefahrenlage steht. Wirken dagegen in dem Schaden die besonderen Gefahren fort, die durch die erste Ursache gesetzt wurde, kann der haftungsrechtliche Zurechnungszusammenhang nicht verneint werden.[10]OLG Celle, Urteil vom 16.12.2021 – 11 U 68/21, BeckRS 2021, 61930 Rn. 35; BGH, Urteil vom 22. September 2016 – VII ZR 14/16 So liegt es hier, denn durch die ungeprüfte Versendung der Ersatzschlüssel setzte die D die erste Ursache; die dadurch begründete Gefahrenlage wirkte sich gerade in dem nachfolgenden Diebstahl aus. Dass die Übergabe der Schlüssel an die Diebe erst durch das litauische Unternehmen erfolgt ist und damit eine mehrkettige Beschaffung stattgefunden hat, ist im Bereich kriminellen Verhaltens ebenfalls nicht derart ungewöhnlich, als dass damit nicht mehr hätte zu rechnen sein können. Der Zurechnungszusammenhang besteht daher weiterhin.
5. Rechtswidrigkeit
Die Eigentumsverletzung müsste auch widerrechtlich erfolgt sein. Grundsätzlich ist durch tatbestandsmäßige Verletzung eines Rechtsgutes die Rechtswidrigkeit indiziert, diese somit i.d.R. nicht gesondert festzustellen.[11]BeckOGK/Spindler, 1.8.2023, BGB § 823 Rn. 78 Allerdings gilt dies nicht bei einer lediglich mittelbar herbeigeführten Rechtsgutsverletzung. Der Schädiger hat vielmehr nur dann für die Schädigung einzustehen, wenn er gegen eine ihm zumindest auch gegenüber dem Geschädigten bestehende Rechts- oder Verkehrssicherungspflicht verstoßen und damit pflichtwidrig gehandelt hat, als er die Erstursache setzte.[12]BGH, Urteil vom 07.07.2020 – VI ZR 308/19, NJW-RR 2020, 1099 Dies ist jedoch im Falle der D gegeben, da diese eine Verkehrssicherungspflicht (vgl. dazu voranstehend) verletzt hat.
6. Verschulden
Die D hat die Überprüfung der Berechtigung zur Bestellung der Ersatzschlüssel auch zumindest fahrlässig unterlassen.
7. Ersatzfähiger Schaden
Weiterhin müsste auch ein ersatzfähiger Schaden im Sinne der §§ 249ff. BGB entstanden sein. Eine Naturalrestitution im Sinne des § 249 Abs. 1 BGB ist nicht möglich, da die Fahrzeuge entwendet und nicht wieder aufgefunden wurden, sodass ein Anspruch nach § 249 Abs. 2 BGB in Betracht kommt. Nach der heranzuziehenden Differenzhypothese bemisst sich der Vermögensschaden hierbei aus dem Vergleich der tatsächlichen Vermögenslage nach Eintritt des schädigenden Ereignisses mit der hypothetischen Vermögenslage ohne dessen Eintritt.[13]BeckOK BGB/Johannes W. Flume, 68. Ed. 1.11.2023, BGB § 249 Rn. 37 Vorliegend ergibt der Vergleich der Vermögenslage vor und nach dem Diebstahl, dass das Vermögen der A zumindest in Höhe des von der A für die Fahrzeuge geleisteten Einkaufspreises von 150.000,00 EUR gemindert ist. Hierbei handelt es sich um einen ersatzfähigen Schaden im Sinne des § 249 Abs. 2 BGB
Anmerkung: Abgrenzung von 251 BGBVorliegend handelt es sich bei den Fahrzeugen jeweils um Neuwagen. Insofern ist davon auszugehen, dass eine Ersatzbeschaffung dieser vertretbaren Sachen als Naturalrestitution möglich ist. Mangels Unmöglichkeit dürfte daher gerade kein Schaden im Sinne des § 251 BGB vorliegen.
II. Aktivlegitimation, § 86 VVG
Wegen der in der unstreitigen Schadensregulierungen gegenüber der V-AG gegenüber der A in Höhe von insgesamt 150.000,00 EUR ist gemäß § 86 Abs. 1 S. 1 VVG der Ersatzanspruch der Versicherungsnehmerin A gegen Dritte auf die V-AG übergegangen. Die V-AG ist damit berechtigt, den Schaden gegen die D im eigenen Namen geltend zu machen.
III. Ergebnis
Die V-AG hat damit einen Anspruch gegen D auf Zahlung von 150.000,00 EUR aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 86 VVG.
B. Anspruch auf Schadensersatz i.H.v. 150.000,00 EUR gegen die D-GmbH aus § 831 BGB i.V.m. § 86 VVG
Die V-AG könnte weiterhin einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 150.000,00 EUR aus übergegangenem Recht gegen die D-GmbH gemäß § 831 BGB i.V.m. § 86 VVG haben
I. Anspruch aus § 831 BGB
Weiterhin könnte der A auch ein Anspruch auf Schadensersatz gegen die D aus § 831 BGB zustehen, welcher im Rahmen des § 86 VVG auf die V-AG übergegangen sein könnte.
1. Mitarbeiter als Verrichtungsgehilfe
Ein Schadenersatzanspruch gegen den Geschäftsherrn kommt nur in Betracht, wenn die Handlung, die zum Schaden geführt hat, von einem Verrichtungsgehilfen des Geschäftsherrn ausgeführt wurde.
Verrichtungsgehilfe i.S.v. § 831 BGB ist, wer von den Weisungen seines Geschäftsherrn abhängig ist. Ihm muss von einem anderen, in dessen Einflussbereich er allgemein oder im konkreten Fall und zu dem er in einer gewissen Abhängigkeit steht, eine Tätigkeit übertragen worden sein. Das Weisungsrecht des Geschäftsherrn braucht zwar nicht ins Einzelne zu gehen. Entscheidend ist aber, dass die Tätigkeit in einer organisatorisch abhängigen Stellung vorgenommen wird und der Geschäftsherr die Tätigkeit des Handelnden jederzeit beschränken oder entziehen oder nach Zeit und Umfang bestimmen kann.[14]BGH, Urteil vom 10.12.2013 – VI ZR 534/12
Vorliegend wurden die Schlüssel durch den angestellten Mitarbeiter der D angefordert. Dieser ist durch sein Arbeitnehmerverhältnis kraft Arbeitsvertrages den Weisungen der D unterworfen und damit Verrichtungsgehilfe der D.
2. Widerrechtliche Schädigung des Verrichtungsgehilfen
Der Verrichtungsgehilfe muss den Verletzten schließlich auch „widerrechtlich“ geschädigt haben. Erforderlich ist damit das Vorliegen einer unerlaubten Handlung, sodass der Gehilfe tatbestandsmäßig und rechtswidrig i.S.d. §§ 823 ff. BGB gehandelt haben muss.[15]BeckOK BGB, BGB § 831 Rn. 35 Ein Verschulden ist hierbei nicht erforderlich. Vorliegend hat der Mitarbeiter der D die Schlüssel auf Anfrage des litauischen Unternehmens beim Hersteller angefragt und anschließend weitergeleitet, ohne die notwendige Legitimation ordnungsgemäß zu prüfen. Hierdurch wurde der Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB in rechtswidriger Weise nach dem Voranstehenden (unter A.) erfüllt.
3. In Ausübung der Verrichtung
Das schädigende Ereignis müsste auch in Ausübung der Verrichtung des Mitarbeiters erfolgt sein. Die Handlung muss dafür in den Kreis der Tätigkeiten fallen, welche die Ausführung des dem Gehilfen erteilten Auftrages mit sich bringt, sodass zwischen beiden ein unmittelbarer innerer Zusammenhang besteht.[16]BeckOK BGB, BGB § 831 Rn. 29 Die einen Dritten schädigende Handlung eines Erfüllungs- oder eines Verrichtungsgehilfen, die nicht in Erfüllung bzw. nicht in Verrichtung, sondern nur bei Gelegenheit der vom Geschäftsherrn aufgetragenen Tätigkeit erfolgt, ist diesem hingegen nicht zurechenbar. Letzteres ist dann gegeben, wenn die Verfehlung des Erfüllungs- oder des Verrichtungsgehilfen sich von dem ihm übertragenen Aufgabenbereich so weit entfernt, dass aus der Sicht eines Außenstehenden ein innerer Zusammenhang zwischen dem Handeln des Erfüllungs- oder des Verrichtungsgehilfen und dem allgemeinen Rahmen der ihm übertragenen Aufgaben nicht mehr zu erkennen ist.[17]OLG München, Urteil vom 10.09.2015 – 8 U 1555/15; NJW-RR 2016, 472 Rn. 11 Bei der Abgrenzung ist dabei unbeachtlich, ob der Verrichtungsgehilfe weisungsgemäß handelt oder seine Befugnisse irrtümlich oder sogar vorsätzlich überschreitet.[18]BeckOK BGB, BGB § 831 Rn. 31
Vorliegend erfolgte die Bestellung der Ersatzschlüssel durch den Mitarbeiter im Rahmen seiner üblichen Tätigkeit. Hierbei ist unbeachtlich, ob die D ihren Mitarbeitern vorgegeben hat, welche Daten für die Legitimation abgefragt werden sollen oder nicht, da eine Überschreitung der Weisungen unbeachtlich wäre. Insofern besteht ein innerer Zusammenhang mit der Tätigkeit des Mitarbeiters und damit mit der Verrichtung.
4. Entlastung nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB
Fraglich ist jedoch, ob sich die D vorliegend gemäß § 831 Abs. 1 S. 2 BGB entlasten kann. Danach tritt die Ersatzpflicht nicht ein, wenn der Geschäftsherr bei der Auswahl der bestellten Person und, sofern er Vorrichtungen oder Gerätschaften zu beschaffen oder die Ausführung der Verrichtung zu leiten hat, bei der Beschaffung oder der Leitung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet oder wenn der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde.
Vorliegend ist dem Sachverhalt nicht zu entnehmen, welche Sorgfalt die D bei der Auswahl hat walten lassen. Gleiches gilt für die Frage, ob der Schaden auch im Falle der ordnungsgemäßen Auswahl der Mitarbeiter eingetreten wäre.
5. Schaden
Hinsichtlich des Umfangs des Schadensersatzes gilt das im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB Gesagte.
II. Aktivlegitimation
Hinsichtlich der Aktivlegitimation infolge des Anspruchsübergangs aus § 86 VVG gilt das zu § 823 BGB Gesagte.
III. Ergebnis
Die V-AG hat damit einen Anspruch gegen D auf Zahlung von 150.000,00 EUR aus § 831 Abs. 1 BGB i.V.m. § 86 VVG.
C. Gesamtergebnis
Der V-AG steht sowohl aus § 823 Abs. 1 BGB als auch aus § 831 BGB ein Anspruch gegen die D aus übergegangenem Recht auf 150.000,00 EUR zu.
Zusatzfrage
Im Versicherungsvertrag der A mit der V-AG ist ein Selbstbehalt von 1.000,00 EUR pro Versicherungsfall vereinbart, sodass die V-AG nur 146.000,00 EUR erstattet. Um einen eigenen Rechtsstreit zu vermeiden, ermächtigt die A die V-AG mit der Geltendmachung dieses Selbstbehalts im eigenen Namen. Kann die V-AG die 4.000,00 EUR nunmehr im Prozess ebenfalls geltend machen?In Betracht kommt in einem solchen Falle die Geltendmachung im Rahmen einer gewillkürten Prozessstandschaft, also die Geltendmachung eines fremden Rechts im eigenen Namen. Dies wäre jedoch nur möglich, wenn die Voraussetzungen hierfür erfüllt sind.
Eine gewillkürte Prozessstandschaft ist zulässig, wenn der Prozessführende vom Rechtsinhaber zu dieser Art der Prozessführung ermächtigt worden ist und er ein eigenes schutzwürdiges Interesse an ihr hat. Das schutzwürdige Eigeninteresse ist gegeben, wenn die Entscheidung Einfluss auf die eigene Rechtslage des Prozessführenden hat. Es kann auch durch ein wirtschaftliches Interesse begründet werden.[19]BGH, Urteil vom 10.6.2016 – V ZR 125/15
Die V-AG kann von der A als Versicherungsnehmerin zur Prozessführung ermächtigt werden.
Die V-AG hat an der Prozessführung auch ein eigenes schutzwürdiges Interesse. Erfolgt, wie im hier, zum Ersatz des Schadens des Versicherungsnehmers lediglich eine Teilzahlung des Versicherers, wird der ursprünglich einheitliche Anspruch des Geschädigten gegen den Schädiger aufgespalten. Infolge des gesetzlichen Forderungsübergangs gem. § 86 I VVG wird der Versicherer im Umfang der Regulierung Anspruchsinhaber; soweit keine Schadensregulierung erfolgt, bleibt der geschädigte Versicherungsnehmer anspruchsberechtigt. Bei einer solchen Sachlage liegt eine umfassende und abschließende Regulierung der Ansprüche des Geschädigten in einem einzigen Verfahren im allseitigen Interesse.[20]vgl. BGH Urteil vom 20.04.2023 – I ZR 140/22; NJW 2023, 3285
Zusammenfassung
Um ihre besondere Prüfpflicht nicht zu verletzen, ist eine Kraftfahrzeughändlerin verpflichtet, bei der Bestellung und Weitergabe von Ersatzschlüsseln eindeutige Berechtigungsnachweise vom Besteller zu verlangen.