BVerwG , Urteil vom 15.03.2017 – 10 C 3/16 – BVerwG NVwZ 2017, 969
Sachverhalt
Der A gründete mit zwei Partnern ein Unternehmen und erhielt dafür im November 1998 im Rahmen eines Existenzgründerprogramms von der zuständigen öffentlichen Stelle (B) eine Förderung in Form eines 5 Jahre tilgungsfreien und 10 Jahre zinslosen Darlehens i.H.v. 150.000 DM. Der Förderbescheid vom 19. November 1998 enthielt die Nebenbestimmung, dass der Zuschuss binnen zwei Monaten vollständig zurückzuzahlen sei, wenn der mitfinanzierte Betrieb nicht während der gesamten Zeit eigenbetrieblich gewerblich genutzt werde. Mit Wirkung zum März 2007 schied der A aus dem Unternehmen aus. Darüber informierte der A die B im Juli 2007. Nachdem der A auf verschiedene Nachfragen die B bis zum April 2008 über seine wirtschaftlichen Verhältnisse berichtet hatte, ließ die B die Gespräche einschlafen.
Mit Bescheid vom 16. August 2012 forderte die B vom A den gesamten Betrag von umgerechnet 76.693,78 € zurück, weil die Rückzahlung mit dem Ausscheiden aus dem Unternehmen vorzeitig auf Grund des Eintritts einer auflösenden Bedingung fällig geworden sei. Der A berief sich darauf, dass der Rückzahlungsanspruch mittlerweile verjährt sei. Die regelmäßige Verjährungsfrist betrage seit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz von 2002 im Bürgerlichen Recht drei Jahre. Im Verwaltungsrecht könne nichts anderes gelten.
Hat die B einen Anspruch auf Rückzahlung der Förderbeiträge?
(Gehen Sie davon aus, dass der Bescheid formell rechtmäßig und die auflösende Bedingung tatsächlich eingetreten ist)
Skizze
Gutachten
Damit die B einen Rückforderungsanspruch gelten machen kann müsste dieser auf einer rechtmäßigen Ermächtigungsgrundlage basieren und formell und materiell rechtmäßig sein.
Vernetztes Lernen: Klagebegehren bei klassischen RückforderungsfällenÖffentlich-rechtliche Streitigkeit
Zunächst ist bei Streitigkeiten über Förderungsgewährungen zu erörtern, ob der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 1 VwGO durch das Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit eröffnet ist. Zu Lösung wird überwiegend die Zwei-Stufen-Theorie herangezogen. Die Entscheidung über das „Ob“ der Subventionierung ist als öffentlich-rechtliche Streitigkeit einzuordnen und die zweite Stufe kann eine privatrechtliche Ausgestaltung über das „Wie“ der Durchführung der Subvention oder das Nutzungsverhältnis haben. Demnach sind sog. verlorene Zuschüsse, also solche die nicht zurückgezahlt werden müssen, einstufig und deswegen als öffentlich-rechtlich einzuordnen.[1]Schoch/Schneider VwGO/Ehlers/Schneider, 39. EL Juli 2020, VwGO § 40 Rn. 297f.
Klageart
Im Rahmen der Zulässigkeit muss festgestellt werden, dass drei Verwaltungsakte vorliegen und deswegen der Adressat des Bescheides drei Anfechtungsklagen erheben muss. Diese können dann mit der objektiven Klagehäufung nach § 44 VwGO gemeinsam verfolgt werden.
A. Ermächtigungsgrundlage
Rechtsgrundlage für die Rückforderung der bereits ausgezahlten 5.000 € ist § 49a I 1Var. 3 VwVfG (entsprechend muss hier auf das Landesrecht verwiesen werden).
B. Formelle Rechtmäßigkeit
Gegen die formelle Rechtmäßigkeit bestehen keine Bedenken.
C. Materielle Rechtmäßigkeit
I. Tatbestandsvoraussetzungen
Der leistungsgewährende Verwaltungsakt müsste mit Wirkung für die Vergangenheit entfallen sein. Die Wirksamkeit muss dabei durch Rücknahme (§ 48 II), Widerruf (§ 49 III) oder infolge des Eintritts einer auflösenden Bedingung (§ 36 II Nr. 2) entfallen sein. Die Aufzählung im Normtext ist als abschließend anzusehen.[2] BeckOK VwVfG/Falkenbach, 49. Ed. 1.10.2020, VwVfG § 49a Rn. 1f. Die auflösende Bedingung ist laut Bearbeitervermerk eingetreten.
Anmerkung: An dieser Stelle könnte gut eine Prüfung der Rücknahme/ des Widerrufs eingebettet werden.II. Zwischenergebnis
Die Tatbestandsvoraussetzungen liegen vor.
D. Rechtsfolge
Für den Umfang der Erstattung gelten grundsätzlich die zivilrechtlichen Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung entsprechend.[4]Stelkens/Bonk/Sachs/Sachs, 9. Aufl. 2018, VwVfG § 49a Rn. 41. Somit müsste der A hier den geforderten Betrag zurückerstatten.
I. Verjährung
Der Erstattungsanspruch könnte jedoch verjährt sein. Der A informierte die B im Juli 2007 über sein Ausscheiden aus dem Unternehmen. Daraufhin forderte die B erst im Jahr 2012 den ausgezahlten Betrag vom A zurück. Dementsprechend liegen zwischen der auflösenden Bedingung und der Rückforderung 5 Jahre. Aufgrund dessen beruft sich der A darauf, dass der Rückzahlungsanspruch verjährt sei.
Vernetztes Lernen: Verjährungsfrist bei der Rücknahme und beim Widerruf?1. Anwendbare Verjährungsvorschriften
Zunächst ist zu klären welche Verjährungsregeln anwendbar sind. Unter welchen Voraussetzungen der Erstattungsanspruch nach § 49a I 1 VwVfG verjährt, ist allerdings im Verwaltungsverfahrensgesetz nicht geregelt worden. Auch wurde durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz nicht ausdrücklich geregelt welche Voraussetzungen für die Verjährung öffentlich-rechtlicher Erstattungsansprüche gelten. Fehlen einschlägige öffentlich-rechtliche Spezialregelungen, ist im Wege der Analogie nach dem Gesamtzusammenhang der für den jeweiligen Anspruch maßgebenden Rechtsvorschriften und der Interessenlage zu beurteilen, welche Verjährungsregelung als die „sachnächste“ heranzuziehen ist.[5]BVerwG, NVwZ 2017, 969 Rn. 18.
a) Anwendung der 30-jährigen Verjährungsfrist
Nach einer Ansicht gelte die kenntnisunabhängige 30-jährige Verjährungsfrist des alten Schuldrechts für öffentlich-rechtliche Erstattungsansprüche nach § 49a VwVfG weiter fort. So berücksichtige die dreijährige Verjährungsfrist die Besonderheiten des öffentlichen Rechts nicht ausreichend. Insbesondere liege es vielfach gerade nicht im Interesse des öffentlich-rechtlichen Gläubigers, den geltend gemachten Anspruch schnellstmöglich durchzusetzen. Das Gemeinwohlinteresse wie soziale Belange oder die Erhaltung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Adressaten verlangen eine Anwendung der 30-jährigen Verjährungsfrist.[6]OVG Koblenz Urt. v. 17.11.2015 – 6 A 10633/15.OVG.
b) Analoge Anwendung der §§ 195, 199 BGB n.F.
Nach der Gegenansicht findet für den Erstattungsanspruch nach § 49a I 1 VwVfG seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (Schuldrechtsmodernisierungsgesetz) vom 26. November 2001 am 1. Januar 2002 nicht mehr die kenntnisunabhängige dreißigjährige Verjährungsfrist in entsprechender Anwendung des § 195 BGB a.F., sondern die kenntnisabhängige dreijährige Verjährungsfrist in entsprechender Anwendung des § 195 BGB n.F. Anwendung.[7]BVerwG 15.03.2017 – 10 C 3/16.
c) Stellungnahme
Zunächst können zur Findung eines Ergebnisses als systematisches Argument die §§ 53, 102 VwVfG herangezogen werden. Mit der Novellierung der §§ 53, 102 VwVfG hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass die neuen Verjährungsregelungen im öffentlichen Recht anwendbar sind.[8]BVerwG, NVwZ 2017, 969 Rn. 19. Zudem tragen die kürzeren Verjährungsfristen zu mehr Rechtssicherheit bei. Die Verwaltung ist zum rechtzeitigen Verwaltungshandeln gezwungen und der Förderempfänger ist vor späteren plötzlichen Rückforderungsbegehren geschützt. Letztlich verweist die Gesetzesbegründung der Neufassung der Verjährungsregelungen im BGB eindeutig darauf, dass die Regelungen auch im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht berücksichtigt werden sollen.[9]BT-Drucksache 14/9007, S. 26. Hinsichtlich des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs nach § 49a I 1 VwVfG spricht mithin Überwiegendes für eine analoge Anwendung der neuen dreijährigen Verjährungsfrist des § 195 BGB n.F..
2. Verjährungsbeginn
Nach § 199 I BGB beginnt die regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von dem Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Der A schied 2007 aus dem Unternehmen aus, womit die auflösende Bedingung eintrat. Noch im selbigen Jahr erlangte die B hiervon, durch die Informationen des A, Kenntnis. Auch wenn noch Aufklärungsgespräche bis ins Jahr 2008 reichten, ist der Rückerstattungsanspruch jedenfalls im Jahre 2012 nicht mehr in der dreijährigen Verjährungsfrist geltend gemacht worden.
II. Zwischenergebnis
Der Anspruch ist verjährt.
E. Ergebnis
Die B kann gegen A keinen Erstattungsanspruch gelten machen.
Zusammenfassung:
1. Ohne spezielle öffentliche Vorschriften zur Verjährung sind Analogieschlüsse erforderlich. Hierbei ist den Besonderheiten des öffentlichen Rechts Genüge zu tun, um die sachnächste Verjährungsregelung zu ermitteln.
2. Für Rückforderungsansprüche des Staates bei subventionsrechtlichen Förderungen gilt nunmehr seit Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes am 01.01.2002 die kenntnisabhängige dreijährige Verjährungsfrist in entsprechender Anwendung der §§ 195, 199 I BGB.
3. Mit der Neufassung der Vorschriften zur Verjährungshemmung in §§ 53, 102 VwVfG wurde zum Ausdruck gebracht, dass für öffentlich-rechtliche Ansprüche grundsätzlich das neue Verjährungsrecht gelten könne.