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Die teure „TÜV“-Plakette
BGH, Beschluss vom 16.08.2018 – 1 StR 172/18, NJW 2019, 88
BayObLG, Beschluss vom 20.1.2020 – 207 StR 2737/19, NJW-Spezial 2020, 153

Sachverhalt

A ist Prüfungsingenieurin bei der G-GmbH und Co. KG und für die Durchführung der Hauptuntersuchung an Fahrzeugen gemäß § 29 StVZO zuständig. Ihr Freund B, der leider knapp bei Kasse ist, besitzt ein Fahrzeug, welches er zu A für die Hauptuntersuchung bringt. A stellt fest, dass das Kraftfahrzeug viele erhebliche Mängel aufweist und sie ihrem Freund B aktuell die Prüfplakette versagen muss. B kann sich die vielen Reparaturen leider nicht leisten und bittet A ihm trotz der Mängel diese Plakette auszustellen. A hat Mitleid, bringt an das Kennzeichen des B eine Prüfplakette an, trägt in der Zulassungsbescheinigung Teil I den Termin für die nächste Hauptuntersuchung ein und stempelt diesen mit dem Stempel der G ab. Aus der Eintragung ist darüber hinaus ihre Prüfingenieurnummer ersichtlich. 

Strafbarkeit der A?

Abwandlung

A hat dem B die Prüfplakette verweigert. Da dem B die Geldmittel für die Reparaturen fehlen, beschließt er seinen künstlerisch begabten Bruder zu bitten für ihn eine „Prüfplakette“ herzustellen. Mit viel künstlerischen Geschick bringt er eine vermeintlich echte Prüfplakette an das Kennzeichen des Fahrzeuges des B an. Dieser nutzt das Fahrzeug nun weiter im Straßenverkehr. B geht dabei davon aus, dass die Plakette den Eindruck erweckt, dass diese vom TÜV Rheinland angebracht worden ist. Eine Eintragung hinsichtlich der nächsten Hauptuntersuchung in der Zulassungsbescheinigung Teil I fehlt. 

Strafbarkeit des B als Täter gemäß § 267 StGB?


Skizze


Gutachten

A. Strafbarkeit des A gem. § 267 Abs. 1 Var. 1 StGB

A könnte sich wegen Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 Var. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er den nächsten Termin in die Zulassungsbescheinigung Teil I eintrug und an das Kennzeichen des Fahrzeuges des B eine entsprechende Prüfplakette anbrachte. 

Anmerkung

Beachte, es ist wichtig im Obersatz die konkrete Handlung an welche ihr die Strafbarkeit anknüpft konkret zu benennen. Würdet ihr hier nur das Anbringen der Plakette als Handlung in den Obersatz aufnehmen, müsstet ihr im Ergebnis die Strafbarkeit verneinen, da erst die Zusammensetzung von Plakette+Kennzeichen+Fahrzeug+Eintagung in der Zulassungsbescheinigung Teil I die Urkunde darstellt. Dann müsstet ihr einen neuen Obersatz bilden und erneut prüfen. Hier könnt ihr dem Prüfer bereits durch den Obersatz zeigen, dass ihr das Problem gesehen habt.

I. Urkunde

Dazu müsste das Ergebnis der Handlung des A eine Urkunde darstellen. Eine Urkunde ist jede verkörperte Gedankenerklärung, welche zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet und bestimmt ist und den Aussteller erkennen lässt.[1]Rengier, Strafrecht Besonderer Teil II, 21. Aufl. 2020 § 32 Rn. 1; BGHSt 82, 84. Die Prüfplakette an einem Fahrzeug bescheinigt gemäß § 29 Abs. 3 StVZO, dass das betreffende Fahrzeug zum Zeitpunkt seiner letzten Untersuchung für vorschriftsmäßig befunden worden ist. Nach §§ 29 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 47a Abs. 3 StVZO ergibt sich darüber hinaus aus der farblichen Gestaltung der Plakette der nächste Vorführtermin. Die Plakette ist demnach für diese zwei Erklärungen zum Beweis im Rechtsverkehr grundsätzlich geeignet und bestimmt. Die Plakette wird auf einem amtlichen Kennzeichen angebracht, welches wiederum an ein Fahrzeug angebracht wird. Diese Verbindung könnte eine zusammengesetzte Urkunde darstellen. Eine zusammengesetzte Urkunde ist gegeben, wenn die Verbindung einer Gedankenerklärung mit einem bestimmten Bezugsobjekt einen neuen Erklärungsgehalt und damit einen Beweiswert ergibt.[2]BGHSt 5, 76 (79). Erst diese Verbindung ist als Urkunde zu qualifizieren. Grundsätzlich bedarf es für die Annahme einer zusammengesetzten Urkunde eine hinreichend feste Verbindung zwischen der Erklärung und dem Bezugsobjekt, denn es bedarf einer eindeutigen Zuordnung, was nur durch eine feste Verbindung, welche nicht einfach zu lösen ist, gewährleistet wird.[3]MüKoStGB/Erb, 3. Aufl., § 267 Rn. 54. In dem hier vorliegenden Fall haben wir eine hinreichend feste Verbindung zwischen Plakette, Kennzeichen und Pkw. Diese lässt sich nicht einfach lösen. Hier wird eine hinreichende Verbindung nach ständiger Rechtsprechung angenommen. Allerdings wird hier der Aussteller erst aus der Zulassungsbescheinigung Teil 1 ersichtlich, sodass die Frage aufkommt ob hier noch eine hinreichend feste Verbindung angenommen werden kann. Grundsätzlich muss sich der Aussteller aus der Urkunde selbst ergeben. Allerdings genügt es, wenn die Herkunft der Erklärung aus der Gestaltung oder durch entsprechende Verbindung der Gegenstände eine Zuordnung zum Aussteller erkennen lässt. Demnach ist ausreichend, wenn dieser aus den Umständen erkennbar ist. Die Urheberschaft der Plakette ergibt sich hier kraft Gesetztes gemäß § 29 Abs. 6 Nr. 1a StVZO aus der Eintragung in der Zulassungsbescheinigung Teil 1, sodass der Aussteller aus den Umständen ersichtlich wird und eine zusammengesetzte Urkunde gegeben ist.[4]OLG Celle, Beschluss v. 6. Mail 1991 – 3 Ss 34/91; AG Waldbröl NJW 2005, 2870 Demnach stellt die Prüfplakette in Verbindung mit dem amtlich zugelassenen Kennzeichen und der entsprechenden Eintragung in der Zulassungsbescheinigung Teil I eine zusammengesetzte Urkunde.[5]OLG Celle, NJW 2011, 2983. A hat sowohl die Prüfplakette angebracht als auch eine Eintragung in die Zulassungsbescheinigung Teil I vorgenommen, sodass er  eine zusammengesetzte Urkunde hierdurch erstellt hat. 

II. Unechte Urkunde

Diese erstellte Urkunde müsste auch unecht sein. Eine Urkunde ist unecht, wenn sie nicht von demjenigen herrührt, der sich aus ihr als Aussteller der verkörperten Erklärung ergibt.[6]BGHSt 33, 159 (160). Aus der Zulassungsbescheinigung Teil I ist die Prüfingenieurnummer des A ersichtlich, welcher die zusammengesetzte Urkunde auch ausstellte. A war zu dieser Eintragung und Prüfung auch befugt, sodass A keine unechte Urkunde herstellte. 

III. Ergebnis

A hat sich nicht wegen Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 Var. 1 StGB strafbar gemacht. 

B. Strafbarkeit des A gemäß § 348 Abs. 1 StGB

Indem A den nächsten Termin der Untersuchung in die Zulassungsbescheinigung Teil I eintrug und die Prüfplakette an das Kennzeichen des Fahrzeuges des B anbrachte, könnte er sich wegen Falschbeurkundung im Amt nach § 348 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben. 

Vernetztes Lernen: Welche weiteren Delikte fallen Dir im Zusammenhang mit dem Amtsträgerbegriff ein, die relevant werden könnten?

Hätte der B dem A Geld gezahlt für die Plakette wären noch folgende Delikte zu prüfen gewesen: Bestechlichkeit und Vorteilsannahme §§ 332, 331 StGB.

Weitere Delikte, welche nur von Amtsträgern begangen werden können und Prüfungsstoff im ersten Examen sind: § 340 StGB Körperverletzung im Amt, § 258a StGB Strafvereitelung im Amt.

I. A als Amtsträger

Hierzu müsste A zunächst ein zur Aufnahme öffentlicher Urkunden befugter Amtsträger sein. A könnte Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2c StGB sein, wenn er eine Aufgabe der öffentlichen Verwaltung wahrnahm. Als Prüfingenieur bei der G-GmbH und Co. KG war A damit beauftragt, die Hauptuntersuchungen an Fahrzeugen durchzuführen und die Zulassung zum Verkehr hierdurch zuerteilen. Die G-GmbH und Co. KG ist eine privatrechtliche Organisation, welche als Beliehene hoheitliche Aufgaben auf dem Gebiet der Fahrzeugüberwachung übernimmt. Durch die Einstellung bei dieser Organisation und seinem Aufgabenbereich übernimmt A ebenfalls als Beliehener hoheitliche Aufgaben und ist demnach Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2c StGB.

Vernetztes Lernen: Beim TÜV ist die Frage nach der Amtsträgereigenschaft bereits höchstrichterlich geklärt, sodass hier breite Ausführungen nicht erwartet werden. In welchen Fällen muss diese Eigenschaft jedoch problematisiert werden, bzw. wo genau wäre der problematische Anknüpfungspunkt auch beim TÜV?

Problematisch ist, dass Unternehmen meist privatrechtlich organisiert sind und ihr Unternehmen auch gewinnbringend unterhalten. Zumeist agieren hier privatrechtliche Angestellte und gerade keine Beamten, sodass die Subsumtion hier nicht immer einfach ist. Zudem sind Fälle denkbar, wo eine öffentlich-reichliche Behörde mittels eines Angestellten agiert. Hierzu muss man wissen, dass der BGH hier stets eine funktionale Betrachtung fordert. Es ist stets die Untersuchung von Art und Umfang der konkreten Aufgaben des konkret Betroffenen zu untersuchen. Es ist nicht unüblich, dass der Betroffene sowohl privatrechtlich als auch öffentlich-rechtlich Handeln kann. Hier muss die Tätigkeit kritisch untersucht werden und ggf. von privatrechtlichen Handlungen getrennt werden. Für eine solche Abgrenzungsfrage ist der Fall der Müllabfuhr (BGH 5 StR 119/05) bekannt geworden. In diesem Fall hat der BGH hinsichtlich einer „sonstigen Stelle“ im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2c StGB damit argumentiert, dass die Stelle als „verlängerter Arm“ des Staates auftreten muss. Es reicht hierfür nicht, dass eine Behörde tätig wird, entscheidend ist, dass der Handelnde seiner konkreten Funktion nach öffentliche Aufgaben wahrnimmt.

Merke demnach: es ist stets die in Rede stehende Handlung zu untersuchen.

II. Prüfplakette als öffentliche Urkunde 

Die Plakette stellt in Verbindung mit dem amtlich zugelassenen Kennzeichen und der entsprechenden Eintragung in der Zulassungsbescheinigung Teil I eine zusammengesetzte Urkunde dar. Bei dieser Urkunde müsste es sich um eine öffentliche Urkunde handeln. Um eine öffentliche Urkunde handelt es sich gemäß § 415 ZPO, wenn sie von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehene Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form aufgenommen worden ist. Die G-GmbH und Co. KG ist als Beliehene eine mit öffentlichen Glauben versehene Person, welche die Überwachung der Fahrzeuge als zugewiesenen Geschäftskreis innehat und durch die Untersuchungen und die Ausstellung der Plakette in vorgeschriebener Form ihre Aufgaben wahrnimmt. Eine Urkunde muss um eine Strafbarkeit nach § 348 StGB zu begründen zudem eine gewisse Beweiswirkung entfalten.[7]BGHSt 22, 201; 203. Demnach muss die Urkunde für und gegen jedermann bestimmt und geeignet sein, bestimmten Beweis zu erbringen. Der öffentliche Glaube einer Prüfplakette bezieht sich hier im Wesentlichen auf den nächsten Termin der Untersuchung und darauf, dass sich das geprüfte Fahrzeug zum Zeitpunkt der letzten Untersuchung in einem vorschriftsmäßigen Zustand befunden hat. Demnach liegt eine zusammengesetzte öffentliche Urkunde vor. 

Vernetztes Lernen: In welch einem anderen Fall stellt sich das Problem hinsichtlich der Reichweite der Beweiswirkung einer Urkunde?

Die Frage der Beweiswirkung kann auch für die Strafbarkeit nach § 271 StGB relevant werden, wenn es um die Frage der mittelbaren Falschbeurkundung geht. Diese Delikte haben als Tatobjekt immer eine öffentliche Urkunde, welche Besonderheiten im Vergleich zu einer „normalen“ Urkunde aufweist. Beliebtes Klausurthema im Rahmen dieser Delikte ist die Unterscheidung zwischen dem allgemeinen Erklärungsgehalt einer solchen „normalen“ Urkunde und einer Urkunde, welche Aussagen hinsichtlich einem öffentlichen Glauben umfasst.

Ein beliebtes Beispiel aus der universitären Ausbildung ist der Fall der Einwirkung hinsichtlich eines Abiturzeugnisses. Auch dort musste man sich fragen, wie weit der Glaube dieses Zeugnisses geht: Wird beurkundet, dass man die allgemeine Hochschulreife erreicht hat? Oder wird jede einzelne Note beurkundet? Nach allgemeiner Auffassung umfasst die Beweiskraft eines solchen Zeugnisses, dass Bestehen der allgemeinen Hochschulreife mit einer bestimmten Durchschnittsnote. Für den Rechtsverkehr stellt diese Tatsache eine wesentliche Aussage, insbesondere im Hinblick auf einen Berufseinstieg oder die Zulassung zu einem bestimmten Studiengang, die einzelnen Noten sind sekundär.

III. Falschbeurkundung einer rechtlich erheblichen Tatsache

A müsste in der erstellten öffentlichen zusammengesetzten Urkunde eine rechtlich erhebliche Tatsache falsch beurkundet haben. Die erhöhte Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde muss sich gerade auf die unrichtigen Angaben des A erstrecken.[8]Vgl. hierzu BGHSt 17, 66.

1. Nachweis über den Termin zur nächsten Hauptuntersuchung

Die Prüfplakette erbringt einerseits einen Nachweis über den nächsten Termin zur Hauptuntersuchung, welchen A in die Zulassungsbescheinigung Teil I eingetragen hat. Dieser ist ebenfalls aufgrund der Optik der Plakette für Dritte erkennbar. Die Plakette erleichtert den öffentlichen Organen die Kontrolle darüber, ob ein Fahrzeugbesitzer seiner Vorführpflicht nach § 29 Abs. 1 StVZO nachgekommen. Ist ein Besitzer dieser Vorführpflicht nicht nachgekommen, so kann bei Überschreitung der gesetzlichen Frist ein Bußgeld gegen diesen erlassen werden. Diese Angabe hat demnach eine erhöhte Beweiskraft. Indem A den nächsten Termin eintrug, beurkundete er, dass B seiner Vorführungspflicht ordnungsgemäß nachgekommen ist und erst nach der neu zu laufenden Frist vorführungspflichtig wird. Zwar hat B den Wagen tatsächlich vorgeführt, jedoch nicht in dem dafür vorgesehenen Zustand, sodass A seiner Vorführungspflicht nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist. Demnach beurkundete A hierüber einen unrichtigen Inhalt.

2. Nachweis, dass das Fahrzeug des B sich in einem ordnungsgemäßen Zustand befunden hat

Darüber hinaus hat A zumindest konkludent mitbeurkundet, dass sich das Fahrzeug bei der Vorführung in einem ordnungsgemäßen und für den Straßenverkehr tauglichen Zustand befunden hat. Fraglich ist, ob die Beweiskraft der Urkunde sich dahingehend erstreckt, oder ob es sich hierbei um ein Werturteil des Prüfers handelt, welches nicht beurkundungsfähig ist. Diese Frage wird nicht einheitlich beantwortet. 

Nach einer Ansicht ist dies gerade nicht der Fall, da dieser Erklärungsgehalt gerade nicht in der Gestaltung der Plakette wiedergegeben wird und keine bestimmte Tatsache darstellt. Zudem wird dieser Inhalt ebenfalls nicht in die Zulassungsbescheinigung explizit aufgenommen.[9]OLG Brandenburg, Beschl. v. 2.7.2015 – [2] 53 Ss 38/15[35/15], 2 Ws 81/15, BeckRS 2015, 126482; BayObLGSt 1998, 183 [184] = NStZ 1999, 575; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 348 Rn. 6 a; … Continue reading

Die Gegenauffassung ist der Ansicht, dass sich die Beweiskraft der Prüfplakette auch auf diesen Erklärungsgehalt erstreckt, denn nach § 29 Abs. 3 S. 2 StVZO bescheinigt die Prüfplakette, dass zum Zeitpunkt der Untersuchung das Fahrzeug im Sinne der Nummer 1.2 Anlage VIII zur StVZO vorschriftsgemäß ist.[10]vgl. OLG Celle, NZV 1991, 318; Claus, NStZ 2014, 66; Hecker in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 348 Rn. 9; MüKoStGB/Freund, 2. Aufl., § 348 Rn. 31.In dieser Anlage werden alle Konsequenzen aufgezeigt, welche eintreten, wenn das Fahrzeug die Vorschriften für die Plakette nicht erfüllt. Zu finden in dieser Anlage sind konkrete zu prüfende Tatsachen. Die Mängel eines Fahrzeuges sind demnach in dem Prüfbericht aufzuführen und die Plakette ist zu verwehren. Aufgrund dieser eindeutigen gesetzlichen Ausgestaltung ist davon auszugehen, dass die Feststellung des Nichtvorhandenseins erheblicher Mängel als Minus kraft Gesetztes konkludenter Inhalt der Urkunde ist. Aus diesen Vorschriften ergibt sich konkret, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, sodass es sich hierbei nicht um ein reines Werturteil handelt, sondern um klar gesetzlich definierte Tatsachen. Aufgrund der eindeutigen gesetzlichen Regelung ist dieser Ansicht zu folgen. 

Auch dahingehend hat A einen unrichtigen Inhalt beurkundet. 

A handele schließlich vorsätzlich sowie rechtswidrig und schuldhaft.

IV. Ergebnis

A hat sich demnach wegen Falschbeurkundung im Amt nach § 348 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. 

Abwandlung

A. Strafbarkeit des B gemäß § 267 Abs. 1 Var. 3 StGB

B könnte sich wegen Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 Var. 3 StGB strafbar gemacht haben, indem er sein Fahrzeug mit der durch den Bruder erstellten Prüfplakette im Straßenverkehr führte.

I. Unechte Urkunde 

Hierzu müsste B eine unechte Urkunde gebraucht haben. Hierzu müsste die durch den Bruder erstellte Plakette zunächst eine Urkunde darstellen. Eine Prüfplakette stellt jedoch nur in Verbindung mit der Eintragung in der Zulassungsbescheinigung eine Urkunde dar, woraus erst der Aussteller ersichtlich wird. Der Bruder hat jedoch lediglich die Prüfplakette erstellt und gerade kein Eintragung in der Zulassungsbescheinigung vorgenommen, sodass kein Aussteller ersichtlich wird und demnach keine Urkunde gegeben ist. 

Anmerkung

Hier ist es wichtig zu sehen, dass nicht der „TÜV“ der Aussteller dieser Urkunde ist. Dies ist ein sehr häufig gemachter Fehler. Die Plakette kann gemäß § 29 Abs. 2 StVZO gerade durch verschiedene akkreditierte Sachverständigen ausgestellt werden. Nicht nur der „TÜV“ darf die HU-Plakette ausstellen, sondern auch andere Prüforganisationen. Es wird lediglich umgangssprachlich immer von der „TÜV“ Plakette gesprochen. Hier muss auf den konkreten Sachverständigen als Aussteller abgestellt werden.

II. Ergebnis

B hat sich nicht wegen Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 Var. 3 strafbar gemacht. 

B. Strafbarkeit des B gemäß §§ 267 Abs. 1 Var. 3, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB

Indem B mit dem Glauben die Plakette erwecke den Eindruck, dass diese vom TÜV Rheinland angebracht und durch einen Mitarbeiter geprüft wurde, mit seinem Pkw die öffentlichen Straßen befuhr könnte er sich wegen versuchter Urkundenfälschung gemäß §§ 267 Abs. 1 Var. 3, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben.

I. Vorprüfung 

Da eine entsprechende Eintragung in der Zulassungsbescheinigung fehlte und eine Urkunde demnach nicht vorliegt hat B den objektiven Tatbestand der Urkundenfälschung nicht verwirklich, sodass die Tat nicht vollendet ist. Die Strafbarkeit des Versuchs einer Urkundenfälschung ergibt sich aus §§ 267 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB.

II. Tatentschluss 

B müsste Tatentschluss hinsichtlich einer Urkundenfälschung gehabt haben. Tatentschluss liegt vor, wenn der Täter Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale hatte und auch alle sonstigen subjektiven Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Vorsätzlich handelt, wer bei Begehung der Tat zumindest für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, dass durch sein Verhalten alle Umstände, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören, verwirklicht werden. B hat sich vorgestellt, dass die TÜV Rheinland aus der vermeintlichen Urkunde – der Plakette – hervorgeht. 

Diese Vorstellung könnte jedoch ein strafloses Wahndelikt darstellen. Bei einem Wahndelikt irrt der Täter über das Bestehen oder die Reichweite einer strafrechtlichen Norm. In einer solchen Situation subsumiert der Täter unter eine Rechtsverletzung die es so wie von ihm vorgestellt tatsächlich nicht gibt.[11]Fischer, StGB 68. Aufl. 2021 § 22 Rn. 49; BGHSt 13, 235. Abzugrenzen ist das straflose Wahndelikt von einem grundsätzlich strafbaren untauglichen Versuch. Ein solcher untauglicher Versuch ergibt sich aus einem Mangel im Vorstellungsbild des Täters, der einer Umkehrung des Tatbestandsirrtums entspricht.[12]Fischer, StGB 68. Aufl. 2021 § 22 Rn. 43. B irrt hier jedoch gerade nicht über tatsächliche Verhältnisse, sondern hatte eine falsche Vorstellung von dem Begriff der Urkunde. Ein Irrtum über Tatsachen im Bezug auf eine Urkundenfälschung wäre gegeben, wenn z.B. der B angenommen hätte, sein Bruder hätte ebenfalls die Eintragung in die Zulassungsbescheinigung gefälscht, was sich später als falsch rausstellen würde. Dies ist hier jedoch gerade nicht der Fall. Vielmehr nahm der B eine rechtliche Fehlbewertung vor. B hat nach seiner Vorstellung über den Aussteller der Urkunde getäuscht und ist durch fehlerhafte rechtliche Bewertung davon ausgegangen, dieser Aussteller sei bereits durch die Plakette auf seinem Kennzeichen ersichtlich, sodass insgesamt bereits eine Urkunde gegeben sei. Demnach liegt ein strafloses Wahndelikt vor. 

Vernetztes Lernen: Wie wäre der Fall zu beurteilen, wenn der Bruder ebenfalls eine entsprechende Eintragung in der Zulassungsbescheinigung Teil 1 vorgenommen hätte und der B jedoch davon ausgeht, dass er sich allein durch das Fahren mit diesem Pkw wohl nicht strafbar machen wird?

Das wäre ein Fall des Verbotsirrtums nach § 17 StGB. Hierbei stellt sich eine Person vor, ihr Verhalten wäre erlaubt, obwohl dies nicht zutreffend ist. Hier stellt sich B vor, dass alleine das Fahren mit diesem Fahrzeug samt Plakette keine Strafbarkeit begründen wird. Hier verkennt er jedoch, dass durch die Herstellung der Plakette und einer Eintragung der Zulassungsbescheinigung eine zusammengesetzte Urkunde gegeben ist. Der Bruder ist hier auch kein Sachverständiger, welcher ermächtigt ist eine Plakette auszustellen und die entsprechende Eintragung vorzunehmen, sodass die Urkunde auch unecht ist. Der B könnte durch das Fahren mit diesem Pkw die Urkunde gebrauchen. Unter Gebrauchen einer unechten Urkunde ist zu verstehen, dass die Urkunde mit der Möglichkeit der Wahrnehmung zugänglich gemacht wird. Durch das Fahren mit dem Pkw samt zusammengesetzter Urkunde besteht die Möglichkeit, dass diese wahrgenommen wird. Demnach hätte B die Urkunde auch gebraucht.
Gemäß § 17 StGB ist ein solcher Verbotsirrtum nur straffrei, wenn der Irrtum unvermeidbar war. An die Vermeidbarkeit werden hohe Hürden gestellt. Im Zweifel besteht immer die Möglichkeit einen Rechtskundigen zu befragen, sodass ein Irrtum in fast allen Fällen vermeidbar ist. Demnach hätte sich B in diesem Fall wegen Urkundenfälschung nach § 267 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.


Zusatzfragen

Der oben genannte Ausgangsfall ereignete sich am 12.04.2017. An diesem Tage hatte der A dem B die besagte Plakette ausgestellt. Der Sachverhalt wird von der Polizeibehörde zufällig am 16.05.2020 aufgedeckt. Kann die Staatsanwaltschaft in dieser Sache ermitteln und eine Anklage erheben?
Problematisch ist, ob diese Tat noch verfolgt werden kann, da möglicherweise Verjährung eingetreten sein könnte. Die Strafverfolgungsverjährung richtet sich nach den §§ 78 ff. StGB. Die Verfolgungsverjährungsfrist richtet sich demnach nach der Strafhöhe der begangenen Tat. Die Falschbeurkundung im Amt gemäß § 348 Abs. 1 StGB ist im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von 5 Jahren bedroht. Demzufolge beträgt die Verjährungsfrist nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB ebenfalls 5 Jahre. Die Verjährung beginnt dabei nach § 78a StGB, sobald die Tat beendet ist. Beendet ist hier die Tat mit dem Erstellen der Urkunde, hier der Plakette am 12.04.2016. Die Tat wäre demnach erst im April 2021 verjährt. Die Staatsanwaltschaft kann in diesem Fall ermitteln und eine Anklage gegen A erheben.
A erwirkt in einem Mahnverfahren gegen den B einen Vollstreckungstitel für eine Forderung, welche in Wahrheit nicht besteht. Kann er sich wegen einer mittelbaren Falschbeurkundung strafbar gemacht haben?
Problematisch ist auch hier die Beweiskraft und damit der öffentliche Glaube der Urkunde. Fraglich ist, ob die Urkunde dazu bestimmt ist, die Forderung des A zu beweisen. (Hier bedarf es eines Ausfluges in die ZPO) Gemäß § 692 Abs. 1 Nr. 2 ZPO prüft das Gericht beim Erlass eines Mahnbescheides nicht die Schlüssigkeit des geltend gemachten Anspruchs. Demnach wird gerade nicht geprüft, ob der Anspruch besteht, sondern es wird vielmehr im Rahmen eines automatisierten Verfahrens ohne Prüfung der Bescheid erlassen. Damit bescheinigt ein Mahnbescheid bzw. ein daraus resultierender Vollstreckungsbescheid nur die Behauptung eines Anspruches und gerade nicht dessen Bestand. Damit fehlt es an einem öffentlichen Glauben dieser Urkunde, sodass eine Strafbarkeit nach § 271 StGB nicht gegeben ist.

Zusammenfassung

1. Eine TÜV Plakette stellt nur in Verbindung mit einem amtlichen Kennzeichen und dem entsprechendem Fahrzeug sowie der Eintragung in die Zulassungsbescheinigung Teil 1 eine zusammengesetzte öffentliche Urkunde dar. 

2. Der öffentliche Glaube dieser Urkunde erstreckt sich auf den Termin zur nächsten Hauptuntersuchung sowie darauf, dass das Fahrzeug bei Vorführung zur letzten Hauptuntersuchung in einem vorschriftsmäßigem Zustand war. 

3. Stellt sich ein Täter vor, dass eine gefälschte Plakette den Eindruck erweckt, dass diese von einem zuständigen Mitarbeiter der TÜV Rheinland angebracht wurde, ohne dass eine entsprechende Eintragung in der Zulassungsbescheinigung getätigt wurde handelt es sich dabei um ein strafloses Wahndelikt. 

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