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Die Steinwerferin

BGH, Urteil v. 9.12.2021 – 4 StR 167/21, NJW 2022, 409

Sachverhalt

D ist von einem Treffen mit ihren Freundinnen auf dem Weg nach Hause. An dem Abend hat es hitzige Debatten zwischen ihnen gegeben. Sie ist immer noch angespannt von der Situation mit ihren Freundinnen. Auf ihrem Weg nach Hause muss sie eine zurzeit wenig befahrene Bundesstraße über eine Brücke überqueren. Kurzerhand greift sie nach 15 kleinen Schottersteinen (ca 3×3 cm bis 4×7 cm). Sie hat vor, diese Steine von der Brücke auf einen die Bundesstraße befahrenden Wagen fallen zu lassen, um so ihrer Wut Luft zu machen. Dabei sollte nur das Auto beschädigt werden. Um keinen Menschen zu verletzten oder gar zu töten, nimmt D bewusst keine großen Steine.

M nähert sich auf der Bundesstraße mit ihrem Wagen der Brücke. D beobachtet die Geschwindigkeit und schätzt den Moment ab, in dem der Wagen den Brückenbereich wieder verlassen würde und lässt sodann die Steine fallen.

Wie beabsichtigt treffen die Steine nur das Fahrzeugdach und verursachen dabei einen erheblichen Schaden (Schadenswert 3.000€). D geht davon aus, dass die kleinen Steine keine Frontscheibe zerstören können oder gar durchschlagen, sodass die Insassen des Fahrzeuges ernsthaft verletzt werden könnten. Durch das Aufprallen der Steine auf dem Dach und den damit verbundenen Geräuschen erschreckt sich M auch nicht, was zu einem unkontrollierten Fahrmanöver hätte führen können.

Wie hat sich D strafbar gemacht? Ggf. erforderliche Strafanträge sind gestellt.


Skizze

Gutachten

A. Versuchter Mord §§ 212, 211, 22, 23 I StGB

D könnte sich wegen versuchten Mordes gem. §§ 212, 211, 22, 23 I StGB strafbar gemacht haben, indem sie Schottersteine von einer Brücke auf den Wagen der M geworfen hat.

0. Vorprüfung

M ist nicht gestorben, sodass die Tat nicht vollendet ist. Da Mord ein Verbrechen ist, ist die Versuchsstrafbarkeit gem.  §§ 211, 23 I gegeben.

I. Tatentschluss

M müsste Tatentschluss bzgl. der Tötung der M gehabt haben. Fraglich ist, ob M den Vorsatz hatte, einen anderen Menschen zu töten. In Betracht käme ein bedingter Vorsatz. Bedingter Vorsatz ist anzunehmen, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt und dies billigt bzw. sich mit dem Erfolg abfindet.[1]Rengier, Strafrecht AT, 13. Aufl. 2021, § 14 Rn. 10.

Vernetztes Lernen: Welche Abgrenzungstheorien von bedingten Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit gibt es?

Bei den Theorie zur Abgrenzung wird zwischen kognitiven und voluntiven Theorien differenziert.[2]Ausführlich zu den vertretenden Theorien Rengier, Strafrecht AT, 13. Aufl. 2021, § 14 Rn. 19 -34.

Kognitive Theorien
Wahrscheinlichkeitstheorie: Der Vorsatz ist anzunehmen, je größer der vorgestellte Wahrscheinlichkeitsgrad des Erfolgseintritts ist. Das heißt, der Täter hält die Tatbestandserfüllung mehr als möglich und weniger als überwiegend wahrscheinlich.

Kritik: Kriterien sind unsicher und unpraktikabel.

Möglichkeitstheorie: Für den Vorsatz genügt es, wenn der Täter von der konkreten Möglichkeit eines tatbestandsmäßigen Geschehens ausgeht.

Kritik: Verzicht auf ein voluntatives Element dehnt den Vorsatzbereich aus.

voluntative Theorien
Gleichgültigkeitstheorie: Vorsatz liegt vor, wenn der Täter den Erfolgseintritt aus Gleichgültigkeit in Kauf nimmt.

Kritik: Vorsatz wird letztlich von Emotionen anstatt von einer willentlichen Stellungnahme zum Erfolgseintritt abhängig gemacht.

Ernstnahmetheorie (h.L.): Mit Eventualvorsatz handelt derjenige Täter, der die Tatbestandsverwirklichung ernsthaft für möglich hält und sich mit ihr um des erstrebten Ziels willen abfindet; bewusst fahrlässig handelt derjenige, der ernsthaft darauf vertraut, die als möglich erkannte Tatbestandsverwirklichung werde nicht eintreten.

Billigungstheorie (Rspr.): Vorsätzlich handelt derjenige, der den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt.

Die vertretenen Theorien der Rechtsprechung und Literatur unterscheiden sich kaum, sodass sie in der Klausur als Billigungs- und Ernstnahmetheorie zusammengefasst werden kann.

D nahm bewusst kleine Steine, die objektiv nicht dazu geeignet gewesen sind, die Windschutzscheibe zu beschädigen bzw. so durchzuschlagen, dass sie die Insassen des Wagens gefährden konnten. Von D ist es zu keinem Zeitpunkt gewollt gewesen, dass jemand dabei getötet werden könnte, daher ist dolus eventualis abzulehnen.[3]BGH NJW 2022, 409 Rn. 8. Weiter spricht für einen mangelnden Tötungsvorsatz, dass die Bundesstraße wenig befahren und somit die Wahrscheinlichkeit eines wurfbedingten Verkehrsunfalls zwischen M und einem anderen Fahrzeug somit kaum vorhanden war.

D hatte folglich keinen Tatentschluss.

II. Ergebnis

D macht sich nicht gem. §§ 211, 22, 23 StGB wegen versuchten Mordes strafbar.

B. Versuchte Körperverletzung §§ 223 I, 22, 23 I StGB

Auch die Strafbarkeit gem. §§ 223 I, 22, 23 I StGB wegen einer versuchten Körperverletzung scheitert am fehlenden Vorliegen eines Tatentschlusses. Auch die Körperverletzung der M war von D zu keinem Zeitpunkt gewollt.

C. Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr § 315b I StGB

D könnte sich gem. § 315b I StGB wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr strafbar gemacht haben, indem sie die Schottersteine von der Brücke warf.

I. Objektiver Tatbestand

1. Tathandlung: Anlage oder Fahrzeug zerstört, beschädigt oder beseitigt

Indem D Steine auf das Fahrzeugdach der M fallen ließ, könnte sie ein Fahrzeug beschädigt haben. Das Autodacht erlitt durch den Steinwurf erhebliche Schäden. Somit ist eine nicht unerhebliche Substanzverletzung gegeben. Demnach liegt eine Beschädigung vor.

Anmerkung: Anderer Lösungsweg
Die Tathandlung nach Nr. 1 ist jedoch subsidiär und nur einschlägig, wenn keine Handlung nach Nr. 2 oder 3 vorliegt; vgl. Fischer, 69. Aufl. 2022, § 315b Rn. 6.

2. Tathandlung: ähnlich, ebenso gefährlicher Eingriff

Das Steinewerfen könnte einen ähnlich, ebenso gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gem. § 315b I Nr. 3 darstellen. Erfasst sind Verhaltensweisen, die von außen unmittelbar auf Verkehrsvorgänge einwirken und dabei dem Gefährdungspotential der Handlungsalternativen von Nr. 1 und 2 gleichkommen. Durch das Herabwerfen von Steinen auf eine Fahrbahn von einer Brücke wird in den Verkehrsvorgang auf der Bundesstraße eingewirkt. Zudem ist dieses Verhalten in seiner Art der Gefährlichkeit dazu als gleichwertig zu betrachten.[4]BGH NStZ 2003, 206; Fischer, 69. Aufl. 2022, 315b Rn. 8a. Folglich ist ein ähnlich, ebenso gefährlicher Eingriff gegeben.

Vernetztes Lernen: Erfasst die Handlungsvariante 3 auch einen Eingriff von innen aus dem Straßenverkehr selbst heraus?

Grundsätzlich enthält die Variante nach Nr. 3 eine Generalklausel, die sonstige verkehrsfremde Außeneingriffe erfasst. Zudem muss der Täter durch einen verkehrsfremden Eingriff eine abstrakte Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs geschaffen haben, welche sich anschließend zu einem verkehrsspezifischen konkreten Erfolg verdichtet.

Ein Eingriff in den Straßenverkehr von innen heraus kann ausnahmsweise ebenfalls von der Variante Nr. 3 erfasst sein. Dafür muss das gesteuerte Fahrzeug in verkehrsfeindliche Richtung bewusst zweckentfremdet werden – also nicht als Fortbewegungsmittel, sondern als Mittel zur Verletzung von Menschen oder zur Sachbeschädigung eingesetzt werden. Für die Pervertierung des eigenen Fahrzeuges wird zudem ein zumindest bedingter Schädigungsvorsatz gefordert.[5]Siehe Rengier, Strafrecht BT II, 23. Aufl. 2022, § 45 Rn. 26.

3. Beeinträchtigung der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs

Das Werfen der Steine von der Brücke beeinträchtigt die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehr, da durch das Fallenlassen der Steine eine Gefahr für die Verkehrsteilnehmer entsteht und dadurch der Ablauf des Verkehrs gestört werden kann.[6]Vgl. Kudlich, in: BeckOK StGB, 53. Edition 1.5.2022, § 315b Rn. 22.

4. Dadurch Eintritt einer konkret verkehrsspezifischen Gefahr

Das Herabwerfen muss eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen sowie einer Sache von bedeutendem Wert geschaffen haben.[7]Rengier, Strafrecht BT II, 23. Aufl. 2022, § 45 Rn. 23. Eine konkrete Gefahr ist immer dann anzunehmen, wenn es vom Zufall abhängt, ob das schädigende Ereignis eintritt oder nicht; klassischerweise ist eine konkrete Gefahr bei einem Beinahe-Unfall anzunehmen.[8]Kudlich, in: BeckOK StGB, 53. Edition 1.5.2022, § 315c Rn. 57. Eine Gefährdung von Leib oder Leben der M erfolgte nicht. Jedoch wurde dem Autodach der M erhebliche Schäden zugeführt. Eine Sache von bedeutendem Wert ist laut BGH bei einer Mindestgrenze von 750 € anzunehmen.[9]Vgl. Fischer § 315 Rn. 16a, § 315b Rn. 16a. Vorliegend beträgt der Schaden am Autodach 3.000 €, sodass von einem erheblichen Schaden auszugehen ist.

Fraglich ist jedoch, ob ein unmittelbarer Schadenseintritt allein bei einem fahrenden Fahrzeug ausreicht, um den Tatbestand zu erfüllen.[10]Anm. Krumm, NJW 2022, 409, 412. Denn die bloße Beschädigung eines Fahrzeuges ohne dadurch herbeigeführte weitere Folgen erfüllen den objektiven Tatbestand nicht.[11]Fischer, 69. Aufl. 2022, § 315b Rn. 17. Vielmehr muss die konkret geschaffene Gefahr in einer inneren Verbindung mit der Dynamik des Straßenverkehrs stehen, eine sogenannte verkehrsspezifische Gefahr.[12]BGH NJW 2022, 409 Rn. 25.

Kritisch an dieser restriktiven Auslegung der konkreten Gefahr kann gesehen werden, dass dadurch der Schutzzweck der Norm in bedenklicher Art und Weise beschnitten wird und damit zu Entscheidungen führen kann, die ein kriminalpolitisches befremdliches Signal aussenden, und zwar, dass die Strafbarkeit von Steinwerfern an das Zufallsereignis geknüpft wird, an welcher Stelle das Fahrzeug getroffen wird (Fahrzeugdach, Frontscheibe oder Motorhaube).[13]Kritisch Hecker, JuS 2022, 462, 464.

Dennoch kann mithilfe der Abgrenzung, ob bei dem Täter eine bloße Schädigungsabsicht vorliegt oder das Verhalten auf eine verkehrsspezifische Gefahr abzielt[14]Die Kriterien herausarbeitend, aber kritisch zu der Umsetzung Anm. Krumm, NJW 2022, 409, 412., eine Lösung gefunden werden. Zudem ist die Einschränkung dogmatisch überzeugend: Aus der Dogmatik der erfolgsqualifizierten Delikte – zu denen § 315b III in gewisser Weise als eine Art intendierte Erfolgsqualifikation gehört – ist es nur konsequent bei der Verwirklichung einen tatbestandsspezifischen Gefahrenzusammenhang zu fordern.[15]So Kudlich, NStZ 2022, 298, 299.

Vernetztes Lernen: Welche weiteren einschränkenden Auslegungskriterium wurden durch die Rechtsprechung festgelegt?

– Das Erfordernis der Gefahr eines bedeutsamen Schadens – und nicht nur des bedeutenden Wertes einer Sache[16]BGH NStZ-RR 2008, 289; NStZ 2012, 701.
– Das Erfordernis eines zumindest bedingten Schädigungsvorsatzes bei einem verkehrsfremden Außeneingriff[17]BGH NJW 2003, 1613; NJW 2015m 2989.

Der Abwurf der Steine veränderte das Fahrverhalten der M nicht und schuf auch keine andere konkrete verkehrsspezifische Gefahr. Zwar hat D in die Sicherheit des Straßenverkehrs eingriffen, indem sie die Steine von der Brücke fallen ließ. Jedoch kam es zu keiner kritischen Verkehrssituation im Sinne eines Beinahe-Unfalls. Zudem wirkt sich die Sachbeschädigung an dem Fahrzeug der M nicht auf den Verkehr aus, sodass zwischen der Sachbeschädigung und der Dynamik des Straßenverkehrs keine Verbindung anzunehmen ist. Somit liegt kein ähnlich, ebenso gefährlicher Eingriff durch D vor.  

Vernetztes Lernen: Nach den soeben festgestellten Kriterien: Stellt das Schießen auf ein Auto im Straßenverkehr teilnehmend eine verkehrsspezifische Gefahr dar?

Da die konkrete Gefahr für die Schutzobjektive auch auf die Wirkweise der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte zurückzuführen sein muss, fehlt es an dieser bei der Abgabe der Schüsse, wenn der Schaden ausschließlich auf der durch die Schüsse freigesetzte Dynamik der auftreffenden Projektile beruht.[18]BGH NStZ-RR 2017, 356.

II. Ergebnis

Somit hat sich D nicht gem. § 315b I Nr. 3 StGB strafbar gemacht.

D. Versuch des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr §§ 315b I, Nr. 3, II, 22, 23 StGB

D könnte sich gem. §§ 315b I, Nr. 3, II, 22, 23 StGB wegen versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr strafbar gemacht haben, indem sie die Steine auf den Wagen der M fallen ließ.

0. Vorprüfung

Mangels konkreter verkehrsspezifischer Gefahr durch das Herabwerfen der Steine, ist die Tat nicht vollendet. Die Versuchsstrafbarkeit ergibt sich aus §§ 315 II, 23 I StGB.

I. Tatentschluss

D müsste Tatentschluss zur Verwirklichung des Tatbestandes gefasst haben.

Bezüglich der Beschädigung des Fahrzeuges handelte D vorsätzlich, jedoch ist nicht ersichtlich, dass sie durch die Beschädigung eine verkehrsspezifische Gefahr auslösen wollte.

Durch das Fallenlassen der Steine war D bewusst, dass sie in erheblicher und gefährlicher Weise von außen in den öffentlichen Straßenverkehr auf der Bundesstraße einwirkt. Erkennbar daran, dass sie bewusst kleine Steine nahm und hoffte, dass sie niemanden Schädigen würde. Daher ist Tatentschluss der Handlungsvariante Nr. 3 gegeben.

II. Unmittelbares Ansetzen

Durch das Fallenlassen der Steine hatte D alles getan, was aus ihrer Sicht für die Herbeiführung einer verkehrstypischen Gefahr notwendig ist, sodass ein unmittelbares Ansetzen i.S.d. § 22 StGB vorliegt.

III. Rechtswidrigkeit und Schuld

D handelte rechtswidrig und schuldhaft.

IV. Qualifikation § 315b III i.V.m § 315 III StGB

Für die Qualifikation gem. § 315 III Nr. 1a) StGB müsste D in Absicht gehandelt haben, einen Unglücksfall herbeizuführen. Dem Täter muss es dabei darauf ankommen, dass durch die Verursachung der konkreten Gefahr ein Unglücksfall eintritt. Die Absicht muss dabei nicht auf die Herbeiführung eines Personenschadens gerichtet sein; vielmehr reicht auch die Absicht aus, einen Sachschaden zu verursache. Jedenfalls erforderlich ist, dass sich nach der Vorstellung des Täters durch seine Handlung eine verkehrsspezifische Gefahr verwirklicht.[19]BGH NJW 2022, 409 Rn. 16; Anm. Krumm, NJW 2022, 409, 412. D wollte zwar das Auto der M beschädigen, hatte jedoch zu keiner Zeit die Absicht eine verkehrsspezifische Gefahr zu verursachen. Somit handelte D nicht mit Absicht zur Herbeiführung eines Unglückfalls. Folglich liegt keine Qualifikation vor.

V. Ergebnis

D hat sich wegen versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr strafbar gemacht.

E. Sachbeschädigung § 303 I StGB

Mit dem Fallenlassen der Steine hat D das Auto, eine für sie fremde bewegliche Sache, vorsätzlich beschädigt. Sie handelte rechtswidrig und schuldhaft. Der nach § 303c StGB erforderliche Strafantrag wurde gestellt. D hat sich folglich wegen Sachbeschädigung gem. § 303 I StGB strafbar gemacht.

F. Gesamtergebnis und Konkurrenzen

Bei der zu bestrafenden Handlung liegt eine Handlungseinheit vor. § 315b StGB verdrängt jedoch § 303 StGB nicht, da beide Strafnormen unterschiedliche Rechtsgüter schützen. Somit hat sich D in Tateinheit (§ 52 StGB) wegen versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gem. §§ 315b I, Nr. 3, II, 22, 23 StGB sowie einer Sachbeschädigung gem. § 303 I StGB strafbar gemacht.

Zusatzfrage

Wie ist das Verhältnis von Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr zu Gefährdung des Straßenverkehrs?

Grundsätzlich schließen sich beide Normen gegenseitig aus.[20]Instruktiv Rengier, Strafrecht BT II, 23. Aufl. 2022, § 45 Rn. 38.
§ 315c StGB erfasst vorschriftswidrige Verkehrsverhalten im fließenden und ruhenden Straßenverkehr.
§ 315b StGB erfasst verkehrsfremde Eingriffe in die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs; d.h. erfasst werden Eingriffe von außen in den Straßenverkehr.
Denkbar sind jedoch auch Situationen im ruhenden oder fließenden Verkehr, die ausnahmsweise mit einer bewussten Zweckentfremdung zusammenfallen. Beispielsweise gezieltes Rammen bei einem Überholvorgang oder ein Geisterfahrer, der vorsätzlich einen Unfall herbeiführt.
Hier ist eine Strafbarkeit nach § 315c Nr. 2b und § 315b I Nr. 2 bzw. § 315c I Nr. 2f und § 315b I Nr. 3 StGB einschlägig. Nach h.M. besteht Tateinheit zwischen den Strafbarkeiten, um alle Gefährdungsaspekten zu berücksichtigen.

Welche polizeilichen Zwangsmaßnahmen kennst du aus der StPO? Welche Konsequenz hat ein Verstoß gegen die formellen Voraussetzungen?

§ 81a StPO – Körperlicher Eingriff (Blutentnahme): Eine richterliche Anordnung bedarf es nicht, wenn der Beschuldigte einwilligt oder Gefahr im Verzug ist.
§§ 94 ff. StPO – Sicherstellung und Beschlagnahme: Die Beschlagnahme bedarf einer richterlichen Anordnung gem. § 98 I StPO. Gem. § 95 StPO kann auch ein Gegenstand eines Dritten beschlagnahmt werden. Eine Sicherstellung liegt vor, wenn der Gegenstand freiwillig herausgegeben wird.
§§ 100a ff. StPO – Telekommunikationsüberwachung/akustische Wohnraumüberwachung: Maßnahmen nur bei besonders schwerwiegenden Straftaten im Einzelfall zulässig und bedürfen einer richterlichen Anordnung.
§§ 102 ff. StPO – Durchsuchung: Beim Beschuldigten gem. § 102 StPO; beim Dritten gem. § 103 StPO. Durchsuchung von Wohnung oder der Person selbst möglich.
§ 112 StPO – Untersuchungshaft: Dafür wird ein dringender Tatverdacht und ein Haftungsgrund benötigt; die Maßnahme darf nicht unverhältnismäßig sein oder als Ersatzhaft dienen.

Konsequenzen: Ein Verstoß führt i.d.R. zu einem Verwertungsverbot. Eine Besonderheit gibt es bei der Durchsuchung – eine fehlerhafte Durchsuchung führt i.d.R. nicht zu einem Beweisverwertungsverbot.
Ein Verwertungsverbot stellt eine Ausnahme dar. Entweder wird diese ausdrücklich in der gesetzlichen Vorschrift benannt oder ergibt sich aus einem übergeordneten wichtigen Grund im Einzelfall. Daher ist nur bei Eingriffen ohne Rechtsgrundlage ein Verwertungsverbot anzunehmen, wenn die Beeinträchtigung so massiv ist, dass dadurch rechtsstaatliche Grundsätze nachhaltig geschädigt werden und jede andere Lösung als ein Beweisverwertungsverbot unerträglich wäre.[21]Hausschild, in: MüKo StPO,§ 105 Rn. 36.

Zusammenfassung

1. Die konkrete Gefahr gem. § 315b StGB erfordert bei einem verkehrsfremden Eingriff stets die Verwirklichung einer verkehrstypischen Gefahr. D.h. die konkret geschaffene Gefahr in einer inneren Verbindung mit der Dynamik des Straßenverkehrs stehen.

2. Für die Qualifikation nach § 315 III StGB ist sowohl ein Personenschaden als auch ein Sachschaden ausreichend. Jedenfalls muss die Absicht des Herbeiführens des Unfalls auf die Realisierung der konkret verkehrsspezifischen Gefahr gerichtet sein.

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