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Die Matratze aus dem Internet
BGH, Urteil vom 3.7.2019 – VIII ZR 194/16 – BGH NJW 2019, 2842

Sachverhalt

B vertreibt als Onlinehändlerin unter anderem Matratzen. K bestellte zu privaten Zwecken am 25.11.2014 über die Website der B eine Matratze zu einem Kaufpreis von 1.100 Euro. In der Rechnung der B vom 26.11.2014 war eine „Widerrufsbelehrung für Verbraucher“ enthalten. Darin heißt es auszugsweise:

„Wir tragen die Kosten der Rücksendung der Waren… Ihr Widerrufsrecht erlischt in folgenden Fällen vorzeitig: Bei Verträgen zur Lieferung versiegelter Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde.“

Die Matratze war bei Lieferung an K am 1.12.2014 mit einer Schutzfolie versehen, die der K jedoch entfernte. Mit E-Mail vom 9.12.2014 erklärte der K gegenüber B, er müsse die Matratze „leider … zurücksenden“. Er forderte außerdem die B auf, die Matratze auf eigene Kosten zurückzusenden. Als B den Rücktransport nicht veranlasste, gab K den Transport in Auftrag. Dadurch entstanden K Kosten i.H.v. rund 100 Euro.

K verlangt nunmehr die Erstattung
1) des Kaufpreises i.H.v. 1100 Euro und
2) der Transportkosten i.H.v. 100 Euro.

Zu Recht?


Skizze


Gutachten

A. Anspruch auf Rückzahlung von 1.100 Euro aus §§ 357 I, 355 I, III 1, 312g I Alt. 2 BGB

K könnte einen Anspruch gegen B auf Rückzahlung von 1.100 Euro aus §§ 357 I, 355 I, III 1, 312g I Alt. 2 BGB haben.

I. Anwendbarkeit der §§ 312 ff. BGB

Zunächst müssten die §§ 312 ff. BGB überhaupt anwendbar sein. Es müsste ein Verbrauchervertrag i.S.d. § 310 III BGB vorliegen, der eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand hat und für den kein Ausschlussgrund aus § 312 II – VI BGB einschlägig ist.

1. Verbrauchervertrag i. S. d. § 310 III BGB

Der von den K und B geschlossene Vertrag müsste ein Verbrauchervertrag i.S.d. § 310 III BGB sein. Dies sind Verträge zwischen einen Verbraucher und einem Unternehmer.

K könnte als Verbraucher gem. § 13 BGB gehandelt haben. K bestellte die Matratze zu privaten und nicht zu gewerblichen oder selbständigen beruflichen Zwecken. Somit schloss K den Vertrag als Verbraucher gem. § 13 BGB ab.

Zudem müsste B als Unternehmer gem. § 14 I BGB einzustufen sein. B müsste bei Abschluss des Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit gehandelt haben. B vertreibt als Online-Händlerin unter anderem Matratzen. Der Verkauf der Matratze an K ist damit Teil ihrer gewerblichen Tätigkeit. B ist als Unternehmerin gem. § 14 BGB einzustufen.

Somit liegt ein Verbrauchervertrag i. S. d. § 310 III BGB vor.

2. Entgeltliche Leistung des Unternehmers, § 312 I BGB

Dieser müsste auch eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand haben, § 312 I BGB. Dies ist etwa beim Vertrieb von Waren oder Dienstleistungen durch den Unternehmer gegen ein Entgelt der Fall.[1]Palandt, § 312 Rn. 3. Der hier geschlossene Vertrag beinhaltet den Vertrieb der Matratze durch B gegen Zahlung von 1.100 Euro. Somit liegt eine entgeltliche Leistung des Unternehmers gem. § 312 I BGB vor.

3. Kein Ausschluss gem. § 312 II – VI BGB

Die Anwendbarkeit der §§ 312 ff. BGB ist auch nicht gem. § 312 II – VI BGB ausgeschlossen.

II. Widerrufsrecht, §§ 355 I, 312g I Alt. 2 BGB

K müsste ein Widerrufsrecht zustehen, § 355 I BGB. In Betracht kommt ein solches aus § 312g I Alt. 2 BGB. Dazu müsste es sich bei dem Vertrag zwischen K und B um einen Fernabsatzvertrag handeln und das Widerrufsrecht dürfte nicht nach § 312g II BGB ausgeschlossen sein.

1. Fernabsatzvertrag, § 312c I BGB

Es müsste zunächst ein Fernabsatzvertrag gem. § 312c I BGB gegeben sein. Der Vertrag müsste ausschließlich mit Fernkommunikationsmitteln geschlossen worden sein. Nach § 312c II BGB sind dies solche, aufgrund derer die gleichzeitige körperliche Anwesenheit der Parteien für den Vertragsschluss nicht erforderlich ist. K bestellte die Matratze über die Website der B, die einen Online-Handel betreibt. Die Website der B kann – wie hier geschehen – zum Vertragsschluss ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit eingesetzt werden und ist damit ein Fernkommunikationsmittel i.S.d. § 312c I Var. 2 BGB.

Zudem stellt die Website der Online – Händlerin B ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebssystems dar, § 312c I Hs. 2 BGB.

Somit liegt ein Fernabsatzvertrag gem. § 312c I BGB vor.

2. (P) Kein Ausschluss, § 312g II Nr. 3 BGB

Das Widerrufsrecht aus § 312g I Var. 2 BGB dürfte nicht ausgeschlossen sein. Es könnte jedoch ein Ausschluss nach § 312g II Nr. 3 BGB vorliegen. Danach besteht das Widerrufsrecht nicht, bei Verträgen zur Lieferung versiegelter Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde. Bei der Lieferung an K war die Matratze in einer Schutzfolie verpackt. K entfernte diese. Fraglich ist jedoch, ob es sich bei einer Matratze überhaupt um einen solchen Hygieneartikel im Sinne des § 312g II Nr. 3 BGB handelt.

Anmerkung: unionsrechtlicher Hintergrund
Diese Frage hat mit Blick auf Art. 16 Buchst. e der Verbraucherrechte-RL (nahezu wortgleich zu § 312g II Nr. 3 BGB) einen unionsrechtlichen Hintergrund. Der BGH hat sie daher am 15.11.2017 dem EuGH gem. Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung vorgelegt. Das nun hier zugrundeliegende Urteil des BGH erging nach Erhalt der Entscheidung vom EuGH und schließt sich dieser an.

Für die Auslegung der Norm ist dessen Sinn und Zweck heranzuziehen. Das Widerrufsrecht soll den Verbraucher in der besonderen Situation eines Vertragsabschlusses im Fernabsatz schützen, in der er keine konkrete Möglichkeit hat, vor Abschluss des Vertrages die Ware zu sehen. Die eingeräumte Bedenkzeit zur Prüfung und Probe soll diesen Nachteil ausgleichen. Da § 312g II Nr. 3 BGB als Ausschlussnorm das Widerrufsrecht des Verbrauchers beschränkt, ist mit Blick auf den Verbraucherschutz eine enge Auslegung geboten.[2]BGH NJW 2019, 2842, Rn. 18; EuGH NJW 2019, 1507 Rn. 33 f.

Dabei ist weiter zu beachten, dass es sich hierbei um eine europarechtlich determinierte Vorschrift handelt, die ihren Ursprung in Art. 16 Buchst. e der VerbrRRL findet. Die Ausnahme aus § 312g II Nr. 3 (bzw. Art. 16e VerbrRRL) soll daher nur dann eingreifen, „wenn nach Entfernung der Versiegelung der Verpackung die darin enthaltene Ware aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen endgültig nicht mehr verkehrsfähig ist“[3]BGH NJW 2019, 2842, Rn. 19; EuGH NJW 2019, 1507 Rn. 40.

Maßgeblich ist hierbei, ob der Unternehmer vor diesem Hintergrund zumutbar Maßnahmen ergreifen kann, um die Ware wieder verkaufsfähig machen. Bei Artikeln, die bei bestimmungsgemäßer Nutzung durch den Käufer intensiv mit dem Körper in Kontakt kommen, wie etwa Zahnbürsten oder sogenannte Earphones, könnte dies anzunehmen sein. Fraglich, ist wie Matratzen hierbei einzuordnen sind.

Man könnte annehmen, dass beim Liegen auf der Matratze ohne Schutzfolie ein unmittelbarer Kontakt mit dem Körper des Käufers entsteht, der eine Wiederherstellung der Verkehrsfähigkeit unmöglich macht.
Jedoch dient ein und dieselbe Matratze auch aufeinanderfolgenden Hotelgästen, ohne das hierbei eine Schutzfolie genutzt wird.[4]Becker/Föhlisch, NJW 2008, 3751, 3755. Des Weiteren besteht sogar ein Markt für gebrauchte Matratzen.[5]BGH NJW 2019, 2842, Rn. 20; EuGH NJW 2019, 1507 Rn. 42.

Auch ein Vergleich mit Kleidungsstücken spricht gegen die Annahme eines Hygieneartikels i. S. d. § 312g II Nr. 3 BGB. Diese können nach dem direkten körperlichen Kontakt beim Anprobieren des Kleidungsstückes ebenso zurückgegeben werden. Es ist davon auszugehen, dass der Unternehmer sowohl Kleidungsstücke als auch Matratzen durch eine gründliche Reinigung oder Desinfektion zur Wiederverwendung durch einen Dritten geeignet machen kann.[6]BGH NJW 2019, 2842, Rn. 20; EuGH NJW 2019, 1507 Rn. 43 ff.

Eine mit dem Öffnen der Versiegelung verbundene Wertminderung der Ware ist zudem für den im Fernabsatz tätigen Unternehmer grundsätzlich zumutbar, da dieser Rückläuferquoten kalkulieren und diese bei der Preiskalkulation berücksichtigen kann.[7]BGH Vorlageschluss, NJW 2018, 453, Rn. 11.

Außerdem wird der Unternehmer hinsichtlich der Prüfung durch den Verbraucher nicht gänzlich schutzlos gestellt. So hat er bei übermäßiger Prüfung der Ware durch den Verbraucher einen Wertersatzanspruch gegen diesen aus § 357 VII BGB (Art. 14 II VerbrRRL). Dieser Anspruch stellt gegenüber einem vollständigen Ausschluss des Widerrufsrechts das eindeutig mildere Mittel dar.[8]Gutzeit JuS 2019, 1018, 1019 f.; Omlor JuS 2018, 712, 713.

Anmerkung: Wertersatzpflicht
Im konkreten Fall könnte die Wertersatzpflicht des K scheitern, wenn B ihn nicht nach § 357 VII Nr. 2 BGB iVm Art. 246 a § 1 II 1 Nr. 1 EGBGB über die Wertersatzpflicht informiert hat, die aus dem Entfernen der Schutzfolie folgen könnte. Der Hinweis auf das Erlöschen des Widerrufsrechts bei Entfernen der Versiegelung genügt hierzu nicht.[9]Looschelders, JA 2019, 787, 789.

Somit handelt es sich bei einer Matratze nicht um einen Hygieneartikel i. S. d. § 312g II Nr. 3 BGB und das Widerrufsrecht des Verbrauchers aus § 312g I Alt. 2 BGB ist nicht ausgeschlossen.

3. Zwischenergebnis

Somit steht dem K gem. § 312g I Alt. 2 BGB ein Widerrufsrecht zu.

III. Widerrufserklärung, § 355 I BGB

K müsste ferner form- und fristgerecht den Widerruf erklärt haben.

1. (P) Form

K müsste den Widerruf gem. § 355 I BGB formgerecht erklärt haben.

K hat eine Erklärung gegenüber dem Unternehmer abgegeben, § 355 I 2 BGB. Eine Begründung für den Widerruf ist nicht erforderlich, § 355 I 4 BGB.

Jedoch sieht § 355 I 3 BGB vor, dass der Entschluss des Verbrauchers zum Widerruf des Vertrags aus der Erklärung eindeutig hervorgehen muss. Fraglich ist, ob hierzu ausreicht, dass K lediglich an B schrieb, er müsse die Matratze leider zurücksenden. Als empfangsbedürftige Willenserklärung hat eine Auslegung aus Sicht des Empfängers zu erfolgen, §§ 133, 157 BGB.[10]MüKoBGB/Busche, 8. Aufl. 2018, BGB § 133 Rn. 12. Zum Schutz der Verbraucher sollten allerdings keine allzu hohen Anforderungen an die Äußerung des Widerrufswillens gestellt werden. [11]BGH NJW 2019, 2842, Rn. 27. Ein Widerruf muss nicht ausdrücklich als solcher bezeichnet werden.[12]BGH NJW 2007, 2110, Rn. 28. Es ist zwar grundsätzlich denkbar, dass ein Käufer eine Matratze auch aus anderen Gründen zurücksendet, etwa anlässlich einer Mängelüberprüfung. Hier ist jedoch kein solcher Anlass außer einem Widerruf erkennbar. Somit liegt auch angesichts des § 355 I 3 BGB eine formgerechte Widerrufserklärung des K vor.

Vernetztes Lernen: Muss ein Rücktritt ausdrücklich als solcher bezeichnet werden?
Nein, eine Rücktrittserklärung kann auch dann angenommen werden, wenn dem Verhalten des Rücktrittsberechtigten entnommen werden kann, er wolle die beiderseitigen Leistungspflichten aus dem Vertrag beenden und bereits ausgetauschten Leistungen wieder rückgängig machen. Es hat eine Auslegung des Verhaltens gem. nach §§ 133, 157 BGB zu erfolgen. Auch aus einem konkludenten Verhalten kann sich also der Rücktritt ergeben, etwa durch Rückgabe oder Rückforderung des Gegenstandes der Leistung. Auch eine Umdeutung (§ 140 BGB) etwa einer Anfechtungserklärung kann in Betracht kommen.[13]MüKoBGB/Gaier, 8. Aufl. 2019, BGB § 349 Rn. 1.

2. Frist

K müsste den Widerruf auch fristgerecht erklärt haben. Die Widerrufsfrist begann gem. §§ 355 II 2, 356 II Nr. 1 a) BGB mit dem Erhalt der Matratze am 01.12.2014. Die Widerrufsfrist beträgt 14 Tage, § 355 II 1 BGB. K erklärte den Widerruf mit E-Mail vom 09.12.2014 und damit innerhalb von 14 Tagen nach dem 01.12.2014. Damit hat K die Widerrufsfrist gewahrt.

3. Zwischenergebnis

Somit hat K form- und fristgerecht den Widerruf erklärt.

IV. Rechtsfolge, §§ 355, 357 BGB

Die Forderung des K müsste von den Rechtsfolgen des Widerrufs gedeckt sein, §§ 355357 BGB. Als Rechtsfolge des Widerrufs haben die Parteien des Vertrages die bereits empfangenen Leistungen unverzüglich zurückzugewähren, § 355 III 1 BGB. K zahlte 1.100 Euro als Kaufpreis für die Matratze an B. K ist seiner Pflicht zur Rückgabe der Matratze bereits nachgekommen. Somit hat B den Kaufpreis von 1.100 Euro an K zurückzuzahlen.

V. Ergebnis

K hat gegen B einen Anspruch auf Rückzahlung von 1.100 Euro aus §§ 357 I, 355 I, III 1, 312g I Alt. 2 BGB.

B. Anspruch auf Zahlung von 100 Euro aus §§ 357 VI 2, 355 I, 312g I Alt. 2 BGB

Der K könnte zudem einen Anspruch auf Zahlung von 100 Euro für die Rücksendung der Matratze zu B aus §§ 357 VI 2, 355 I, 312g I Alt. 2 BGB haben. Grundsätzlich trägt nach § 357 VI 1 BGB der Verbraucher die Kosten der Rücksendung der Waren. Dies gilt jedoch gem. § 357 VI 2 BGB dann nicht, wenn der Unternehmer sich bereit erklärt hat, diese Kosten zu tragen. Hier hat B in der Widerrufsbelehrung die Passage aufgenommen „Wir tragen die Kosten der Rücksendung der Waren“ und sich damit zur Kostentragung bereit erklärt. Legt der Verbraucher die Kosten der Rücksendung zunächst selbst aus, steht ihm ein Erstattungsanspruch gegen den Unternehmer zu.[14]MüKoBGB/Fritsche, 8. Aufl. 2019, BGB § 357 Rn. 24. Somit hat K auch einen Anspruch auf Zahlung von 100 Euro für die ihm entstandenen Kosten der Rücksendung aus §§ 357 VI 2, 355 I, 312g I Alt. 2 BGB.


Zusatzfragen

B hat dem K keine Widerrufsbelehrung übermittelt. Die Matratze wird am 1.12.2014 geliefert. K erklärt mit E-Mail vom 9.12.2015, er müsse die Matratze leider zurücksenden. Er fordert K zur Rückzahlung des Kaufpreises von 1000 Euro auf. Zu Recht?
Auch wenn B in dieser Variante nicht auf die Ausnahme des Widerrufsrechts aus § 312g II Nr. 3 BGB hinweist, hat eine dahingehende Prüfung zu erfolgen. Der Ausschlussgrund folgt unmittelbar aus dem Gesetz. Eine fehlende diesbezügliche Belehrung schließt das Eingreifen des Ausschlussgrundes nicht aus. Das Ergebnis der Prüfung bleibt natürlich gleich: der Widerruf ist nicht ausgeschlossen.

Fraglich ist ob K den Widerruf fristgerecht erklärt hat. Die Widerrufsfrist beginnt grundsätzlich gem. §§ 355 II 2, 356 II Nr. 1 a) BGB mit dem Erhalt der Matratze am 01.12.2014. Die Widerrufsfrist beträgt grundsätzlich 14 Tage, § 355 II 1 BGB. Danach wäre der Widerruf des K am 9.12.2015 an sich verfristet.
Etwas anderes könnte sich jedoch aus § 356 III BGB ergeben. Nach § 356 III 1 BGB beginnt die Widerrufsfrist nicht bevor der Unternehmer den Verbraucher entsprechend den Anforderungen des Artikels 246a § 1 I 2 Nr. 1 oder des Artikels 246b § 2 I EGBGB unterrichtet hat. Hier hat B dem K gar keine Widerrufsbelehrung übermittelt. Somit begann die Widerrufsfrist nicht mit der Lieferung der Matratze am 1.12.2014. Gem. § 356 III 2 BGB erlischt das Widerrufsrecht in diesem Fall nach 12 Monaten und 14 Tagen nach der Lieferung. Hier wäre das Widerrufsrecht des K am 14.12.2015 erloschen. Er hat den Widerruf jedoch bereits am 9.12.2015 und damit vor diesem Zeitpunkt erklärt. Somit ist der Widerruf des K fristgerecht und vor Erlöschen des Widerrufsrechts erfolgt.

Im Übrigen ergeben sich keine Änderungen zum Ausgangsfall. K hat den Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises von 1000 Euro aus §§ 357 I, 355 I, III 1, 312g I Alt. 2 BGB.

K bestellte die Matratze bei B, die mit einer „Tiefpreisgarantie“ warb, für 1.100 Euro. In der Folgezeit bat er B unter Hinweis auf ein günstigeres Angebot eines anderen Anbieters um die Erstattung des von ihm errechneten Differenzbetrags i. H. v. 50 Euro, damit er von dem ihm als Verbraucher zustehenden Widerrufsrecht absehe. B weigerte sich. K widerrief anschließend form- und fristgerecht den Kaufvertrag. B meint, das Widerrufsrecht des K sei wegen dessen Verhaltens ausgeschlossen. Hat B Recht?
Das Widerrufsrecht des K aus § 312g I Alt. 2 BGB könnte wegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens gem. § 242 BGB ausgeschlossen sein, da K das Widerrufsrecht zur Durchsetzung vermeintlicher Ansprüche aus einer „Tiefpreisgarantie“ der B einsetzte. Fraglich, ist ob sich hieraus ein Ausschuss des Widerrufsrechts ergeben kann. Der Sinn des Widerrufsrechts spricht jedoch für eine enge Auslegung eines solchen Ausschlusses. Dem Verbraucher soll beim Fernabsatzvertrag ein an keine materiellen Voraussetzungen gebundenes, einfach auszuübendes Recht zur einseitigen Loslösung vom Vertrag zur Verfügung stehen.[15]BGH NJW 2010, 610 Rn. 17. Das Gesetz überlässt es allein seinem freien Willen, ob und aus welchen Gründen er seine Vertragserklärung widerruft. Dies zeigt sich auch im Fehlen einer Begründungpflicht, § 355 I 4 BGB.[16]BGH NJW 2016, 1951, Rn. 20. Ein Ausschluss des Widerrufsrechts wegen Rechtsmissbrauchs bzw. unzulässiger Rechtsausübung nach § 242 BGB kommt daher nur ausnahmsweise in Betracht, etwa – unter dem Gesichtspunkt besonderer Schutzbedürftigkeit des Unternehmers – bei arglistigem Verhalten des Verbrauchers gegenüber dem Unternehmer.[17]BGH NJW 2010, 610, Rn. 20. In dem Versuch die Tiefpreisgarantie durchzusetzen, liegt jedoch keine Schikane oder bewusste Schädigung durch den Verbrauchers, sondern vielmehr der Versuch mithilfe ihm zustehender Verbraucherrechte günstigere Vertragsbedingungen auszuhandeln. Dies überschreitet nicht die Grenze zur Arglist.[18]BGH NJW 2016, 1951, Rn. 17, 18. Somit ist das Widerrufsrecht des K aus § 312g I Alt. 2 BGB nicht gem. § 242 BGB ausgeschlossen.
Würde es sich auch dann um einen Fernabsatzvertrag handeln, wenn K die Matratze zuvor im Ladengeschäft der B ausprobierte, über den Preis verhandelte und schließlich nach einiger Bedenkzeit per Telefon die Matratze unter Bezug auf die Vorgespräche bestellte?
Nein, hier haben die entscheidenden Verhandlungen über den Vertrag im Ladengeschäft der B stattgefunden. Lediglich der Vertragsschuss erfolgte mittels eines Fernkommunikationsmittels. Der Verbraucher ist in dieser Situation nicht im gleichen Maße schutzwürdig, wie bei einer alleinigen Telefonbestellung. Etwas anderes könnte sich ergeben, wenn der Vertragsschluss ohne jeglichen Bezug zu einem vorherigen, unverbindlichen Besuch im Ladengeschäft des Unternehmers erfolgt.
Welche gesetzlichen Widerrufsrechte gibt es?
§ 312g I Var. 1 BGB: außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge
§ 312g I Var. 2 BGB: Fernabsatzverträge
§ 485 I BGB: Teilzeit-Wohnrechteverträge
§ 495 I BGB ggf. iVm § 506 Abs. 1 BGB: Verbraucherdarlehensverträge
§ 514 II BGB: unentgeltliche Verbraucherdarlehensverträge
§ 510 II BGB: Ratenlieferungsverträge

Zusammenfassung:
1. Bei der Prüfung eines Ausschlussgrundes für das Widerrufsrecht des Verbrauchers hat vor dem Hintergrund des Verbraucherschutzes (konkret: bei Fernabsatzverträgen) eine enge Auslegung zu erfolgen.

2. Bei der Bestellung von Matratzen handelt es sich nicht um einen Vertrag zur Lieferung versiegelter Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt wird (§ 312g II Nr. 3 BGB).

3. Trotz des § 355 I 3 BGB sollten zum Schutz der Verbraucher keine allzu hohen Anforderungen an die Äußerung des Widerrufswillens gestellt werden. Ein Widerruf muss nicht ausdrücklich als solcher bezeichnet werden.


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