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Die Macht der Wahrnehmung 

BGH Urteil vom 07.08.2024 – 1 StR 430/23 – BeckRS 2024, 23365

Sachverhalt

O möchte aus einer politischen Gruppierung aussteigen, in die er mit seinem guten Freund F vor vielen Jahren eingetreten war. In dieser Gruppierung befinden sich u.a. auch A, B und C. Da der Austritt aus der Gruppierung gegen den dortigen „Ehrenkodex“ verstößt, wird O für „vogelfrei“ erklärt. Um ihrem Ärger Luft zu machen, planen A, B, C und F deshalb mit weiteren Mitgliedern der Gruppierung, den O in eine Falle zu locken und dort körperlich spüren zu lassen, dass man nicht ungestraft gegen den „Ehrenkodex“ verstoßen kann. In Umsetzung ihres Tatplans der „Racheaktion“ macht F ein abendliches Treffen mit O in der Nähe des Spielplatzes aus, an dem sie sich als Jugendliche ihre Zeit vertrieben hatten. Zur gleichen Zeit versammeln sich A, B und C mit weiteren Mitgliedern der Gruppe – die sie nur vom Sehen oder gar nicht kennen – mit zwei Fluchtfahrzeugen am anderen Ende der Straße. Während die Gruppe auf das „Go“ des F wartet, unterhält sich A mit der C darüber, wie dringend er sich wünscht, dass O seine Faust „zu spüren“ bekommt. Dabei sieht er über die Schulter der C blickend, dass der B einen Schlagstock bei sich trägt. Er rechnet damit, dass B den Schlagstock einsetzen wird, wobei ihm bewusst ist, dass ein potenzieller Einsatz gegen den Kopf lebensgefährliche Verletzungen hervorrufen kann. Trotzdem billigt er seinen möglichen Einsatz durch B. Was A jedoch nicht wahrnimmt, ist, dass ein hinter B stehendes Gruppenmitglied ein Messer bei sich trägt. C, die in das Gespräch mit A vertieft war, nimmt von den hinter ihr stehenden Mitgliedern und den mitgeführten Gegenständen nichts wahr. Auch rechnet sie nicht damit, dass Schlagwerkzeuge oder Messer eingesetzt werden könnten. Weder A noch C kennen die Motive der anderen Gruppenmitglieder, an der „Racheaktion“ gegen O teilzunehmen.

O und F begrüßen sich mit einer freundschaftlichen Umarmung und stellen sich an die Tischtennisplatte. Wenige Augenblicke später stürmt die Gruppe um A, B und C auf den O zu und F entfernt sich – wie von Anfang an geplant. Die Angreifer beginnen ohne zu zögern, auf den O einzuschlagen, wobei sie nicht nur ihre Fäuste, sondern auch den Schlagstock nutzen. Jener wird auch für einen kräftigen Schlag auf den Hinterkopf des O eingesetzt, wodurch dieser eine stark blutende Verletzung erleidet. A schlägt dem O mehrfach mit der Faust ins Gesicht, wodurch dieser große Schmerzen erleidet. Ohne, dass A und C es bemerken, sticht einer der Gruppenmitglieder dem O das Messer ins Herz, woraufhin dieser zusammenbricht und wenig später an den Folgen des Herzdurchstichs verstirbt.  

Wie haben sie A und C strafbar gemacht? 

Skizze


Gutachten

Strafbarkeit des A

Anmerkung: Vorgehen in der Klausur

Bevor wir in die Prüfung reingehen, sollten wir nochmal durchdenken, was in unserem Fall eigentlich passiert ist: Eine größere Gruppe Menschen hat sich verabredet, eine andere Person zu verletzen. Dabei haben die verschiedenen Gruppenmitglieder vor der Tat unterschiedliche Aspekte wahrgenommen (Schlagstock, Messer) und während der Tat wiederum andere Handlungen vorgenommen. Da unser A und unsere C den O zumindest schonmal nicht erstochen haben – das war ja der B – müssen wir uns deshalb überlegen, ob und wie wir trotzdem zu einer Zurechnung des Todes kommen könnten. Dafür bietet sich ein Dreischritt an:[1]Jäger, JA 2025, 432 (433), Trotz Mittäterexzesses: Mitgegangen – (teilweise) mitgefangen.

1. Zunächst sollten wir immer zuerst an das tatsächliche, vorsätzliche Tötungsgeschehen denken. In einem ersten Schritt wäre deshalb die Strafbarkeit derjenigen Person zu untersuchen und zu prüfen, die die konkrete, vorsätzliche Tötungshandlung vorgenommen hat – hier also das bei uns nicht zu prüfende unbekannte Gruppenmitglied. In einem zweiten Schritt wäre dann zu betrachten, ob die konkrete, vorsätzliche Tötungshandlung dem A und der C im Wege der Mittäterschaft nach § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnen wäre. Da beide nichts von dem Messer wussten, ist eine solche Zurechnung nicht möglich – wir haben also den Klausurklassiker des „Mittäterexzesses“[2]Für die Grundlagen des Mittäterexzesses vgl. Rengier, Strafrecht AT, 2024, § 44 Rn. 28..

2. Sodann müssten wir untersuchen, ob für die übrigen Beteiligten unserer „Mittäterexzess“-Konstellation eine Strafbarkeit wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 StGB in Betracht kommt. Damit befassen wir uns gleich umfänglich.

3. Zuletzt könnten wir für unsere übrigen Beteiligten noch überlegen, ob eine vollendete oder (mangels Kausalität) versuchte Tötung durch Unterlassen vorliegen könnte. Da nicht ersichtlich ist, dass nach dem Messerstich überhaupt irgendjemand die Möglichkeit gehabt hätte, den O noch zu retten, liegt eine solche Strafbarkeit trotz Garantenstellung aus Ingerenz offensichtlich nicht vor, weshalb wir hier auf die Prüfung verzichten.

A. Strafbarkeit des A gem. §§ 227 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB

A könnte sich durch die Faustschläge in das Gesicht des O wegen einer Körperverletzung mit Todesfolge gem. §§ 227 Abs.1, 25 Abs. 2 StGB strafbar gemacht haben.

I. Tatbestand: vorsätzliche Körperverletzung, § 223 Abs. 1 StGB

Zunächst müsste dafür der Tatbestand der Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB erfüllt sein. 

1. Objektiver Tatbestand

Indem A den O mehrfach mit seinen Fäusten ins Gesicht schlug, behandelte er ihn übel und unangemessen und verursachte bei ihm große Schmerzen und damit einen pathologischen Zustand hervor – mithin misshandelte er ihn körperlich und schädigte ihn an seiner Gesundheit. A handelte dabei auf Grundlage eines gemeinsamen Tatplans mit F, B, C und weiteren Gruppenmitgliedern, den „vogelfreien“ O spüren zu lassen, dass man nicht ungestraft gegen den „Ehrenkodex“ verstoßen kann.[3]Für die Voraussetzungen der Mittäterschaft vgl. Rengier, Strafrecht AT, 2024, § 44 Rn. 14 ff. Da er selbst am Tatort agierte, hatte er Tatherrschaft inne. Aufgrund der eigenen Ambition, den O dessen Verstoß durch seine eigene Faust „spüren zu lassen“, handelte er auch mit Täterwillen. Die Voraussetzungen der Mittäterschaft gem. § 25 Abs. 2 StGB liegen mithin sowohl nach den Voraussetzungen der Literatur als auch derjenigen der Rechtsprechung vor[4]Für eine ausführliche Darstellung der Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme vgl. Rengier, Strafrecht AT, 2024, § 41 Rn. 7 ff., weshalb eine Stellungnahme zu dem Streitstand entbehrlich ist. 

Anmerkung: Prüfung der Mittäterschaft

Die Annahme der Mittäterschaft nach § 25 Abs. 2 StGB, die auf den ersten Blick etwas „gestellt“ erscheinen könnte, weil der A den Grundtatbestand (§ 223 Abs. 1 StGB) auch ohne eine mittäterschaftliche Zurechnung erfüllt, ist für die weitere Prüfung des § 227 Abs. 1 StGB bzw. die folgende Prüfung der Erfolgsqualifikation von großer Bedeutung. Denn wir müssen uns nochmal vergegenwärtigen: Der A hat lediglich mit seinen Fäusten auf O eingewirkt. Gestorben ist der O hingegen durch die konkrete Handlung eines anderen Gruppenmitglieds.

2. Subjektiver Tatbestand

Hinsichtlich der Faustschläge in das Gesicht des O handelte A ebenso vorsätzlich wie hinsichtlich der gemeinschaftlichen Begehung der Körperverletzung mit B, C und den anderen Gruppenmitgliedern.

II. Eintritt der schweren Folge

1. Tod des Opfers der Körperverletzung

Mit dem Tod des O ist die schwere Folge des § 227 StGB eingetreten.

2. Verursachung furch die Körperverletzung

Hätten A, B, C und die weiteren Gruppenmitglieder den O nicht gemeinschaftlich körperlich misshandelt und an seiner Gesundheit geschädigt, so wäre er nicht verstorben. Mithin ist das Grunddelikt für den Eintritt der schweren Folge nicht hinwegzudenken und ist damit ursächlich i.S.d. conditio-sine-qua-non-Formel für ihren Eintritt.

3. Objektive Fahrlässigkeit, § 18 StGB

A müsste objektiv fahrlässig gehandelt haben.

Anmerkung: Prüfungsschritte

§ 18 StGB sagt uns, dass für den Eintritt der schweren Folge Fahrlässigkeit genügt. Wir prüfen also an dieser Stelle die objektive Fahrlässigkeit, wie wir es auch von anderen Delikten kennen:

(a) Zunächst fragen wir also danach, ob eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung vorlag (ex ante am Maßstab eines besonnenen und gewissenhaften Menschen, der dem Verkehrskreis des Täters angehört), um (b) sodann zu überprüfen, ob sowohl der Kausalverlauf als auch der Eintritt der schweren Folge objektiv vorhersehbar waren.[5]Für eine ausführliche Darstellung der Voraussetzungen der Fahrlässigkeit im obj. TB vgl. Rengier, Strafrecht AT, 2024, § 52 Rn. 13 ff., 25 ff.

a) Objektive Sorgfaltspflichtverletzung

Da das erlaubte Risiko bereits durch die vorsätzliche Erfüllung des Grundtatbestandes der Körperverletzung nach § 223 StGB überschritten ist, ist darin schon die Verletzung der objektiven Sorgfalt zu erkennen.

b) Generelle Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs und des Todes

Dabei ist auch generell vorhersehbar, dass eine mittäterschaftliche Körperverletzung gem. §§ 223 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB auf eine Weise eskalieren kann, dass es zum Tod des Opfers kommt. Der Tod des Opfers bewegt sich damit im Rahmen der allgemeinen Lebenserfahrung und ist damit generell objektiv vorhersehbar.

III. Qualifikationsspezifischer Gefahrzusammenhang

Vernetztes Lernen: Wieso wird bei der Erfolgsqualifikation ein qualifikationsspezifischer Gefahrzusammenhang gefordert?

Wir müssen uns vor Augen halten: Erfolgsqualifikationen wie die Körperverletzung mit Todesfolge gem. § 227 StGB setzen sich an und für sich aus zwei strafrechtlichen Vorwürfen zusammen. Einerseits haben wir den Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung und andererseits den Vorwurf der fahrlässigen Verursachung des Todes. Grundsätzlich hält das StGB Straftatbestände bereit, mit denen wir auf diese Vorwürfe reagieren könnten: zum einen den § 223 StGB und zum anderen den § 222 StGB. Für den Strafrahmen hätten wir dann also einmal die Geldstrafe und dann die Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren. Der Straftatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 StGB eröffnet uns hingegen einen Strafrahmen von drei Jahren bis zu 15 Jahren (vgl.§ 227 Abs. 1 StGB a.E. und § 38 Abs. 2 StGB). Weil dieser Strafrahmen so viel höher ist, als derjenige, der sich aus § 223 StGB und § 222 StGB ergeben würde, besteht Einigkeit darüber, dass wir § 227 StGB restriktiv anwenden und auslegen müssen. Wir müssen deshalb fordern, dass zwischen den beiden Delikten – also der Körperverletzung und der fahrlässigen Todesfolge – ein Unmittelbarkeitszusammenhang (bzw. spezifischer Gefahrzusammenhang) besteht, die Todesfolge also auf die Körperverletzung zurückzuführen ist.[6]Vgl. Rengier, Strafrecht BT II,2025, § 16 Rn. 4 ff.

In dem Tod des O als schwere Folge müsste sich allerdings auch das der Körperverletzung als Grundtatbestand spezifisch anhaftende Risiko bzw. dessen Gefährlichkeit realisiert haben. Zwischen Grunddelikt und schwerer Folge muss mithin ein qualifikationsspezifischer Gefahrzusammenhang bestehen. Hier hat der A den O lediglich mit Faustschlägen am Körper verletzt. Seine Verletzungshandlung (Faustschläge) war für sich alleingenommen also nicht ausschlaggebend für den Tod des O. Vielmehr war die einzelne Verletzungshandlung des Gruppenmitglieds mit dem Messer verantwortlich, oder aber – stellt man auf die Gemeinschaftlichkeit ab – der Verletzungserfolg der gemeinschaftlich begangenen Körperverletzung. Fraglich ist deshalb, welcher Anknüpfungspunkt für den Unmittelbarkeitszusammenhang heranzuziehen ist.

1. Letalitätstheorie

Nach e.A. ist Anknüpfungspunkt der Unmittelbarkeitsbeziehung der vorsätzlich herbeigeführte Körperverletzungserfolg. Die darin liegende Gefahr muss sich im Tod des Opfers realisiert haben. Der Tod beruht damit auf der Art und Schwere der eingetretenen Körperverletzung (sog. Letalitätslehre)[7]Vgl. Rengier, Strafrecht BT II, 2025, § 16 Rn. 10.. Vorliegend hat A durch den Verletzungserfolg aus seinen Faustschlägen in das Gesicht des O eben nicht die Gefahr realisiert, dass dieser durch einen Messerstich in sein Herz stirbt. Der Tod des O beruht nicht auf der Art und Schwere der Faustschläge des A. Nach dieser Ansicht liegt mithin kein qualifikationsspezifischer Gefahrzusammenhang vor.

2. Lehre von der Handlungsgefahr

Nach a.A. ist Anknüpfungspunkt der Unmittelbarkeitsbeziehung nicht erst der Körperverletzungserfolg, sondern schon die Körperverletzungs(-ausführungs-)handlung. Es genüge also, dass der Todeserfolg aus der Handlungsgefahr des Grunddelikts resultiere. Ausreichend sei demnach, dass sich die in der Ausführungshandlung liegende Gefahr im Tod des Opfers realisiert, der Tod des Opfers also auf der Schwere der Körperverletzungshandlung beruht (sog. Lehre von der Handlungsgefahr)[8]Rengier, Strafrecht BT II, 2025, § 16 Rn. 11., BGH Urteil vom 07.08.2024 – 1 StR 430/23 – BeckRS 2024, 23365 Rn. 10..

Fraglich ist, ob ein qualifikationsspezifischer Gefahrzusammenhang nach diesen Maßstäben zu bejahen wäre. Vorliegend hat die Körperverletzungshandlung des A allein (Faustschläge in das Gesicht des O) nicht die Gefahr gebürgt, dass O letztlich wegen eines Messerstichs im Herzen verstirbt. Hingegen ließe sich argumentieren, dass A eben auch kein Alleintäter war, sondern Teil eines gruppendynamischen Prozesses. In einer mittäterschaftlich begangenen Körperverletzungshandlung liegt das Eskalationspotenzial eines Mittäterexzesses, weshalb die Gefahr des Todes bereits in der gruppendynamischen Körperverletzungshandlung angelegt sein kann. Daneben ist denkbar, dass die besondere Todesgefahr der Körperverletzungshandlung darauf beruht, dass das Opfer durch die mittäterschaftlich begangene Körperverletzung in eine Lage versetzt wird, in der es späteren Einwirkungen der Angreifer schutzlos ausgeliefert ist. 

Ein spezifischer Gefahrzusammenhang lässt sich zumindest dann bejahen, wenn der Einsatz eines potenziell todbringenden Werkzeuges durch den Mittäter wahrgenommen wird. Der tatsächlich zum Tod führende Einsatz eines anderen Werkzeugs unterbricht den Zurechnungszusammenhang dann nicht, weil bspw. ein Messereinsatz keinen Angriff gänzlich anderer Art und Beschaffenheit darstellt[9]BGH Urteil vom 07.08.2024 – 1 StR 430/23 – BeckRS 2024, 23365 Rn. 10.. Da der Tatplan der Gruppenmitglieder darauf ausgerichtet war, den O durch den Angriff aus dem Hinterhalt in seinen Verteidigungsmöglichkeiten weitestgehend einzuschränken der A den Schlagstock eines der Gruppenmitglieder wahrnahm und billigte, sich die Gruppenmitglieder gar nicht oder nicht gut kannten, alle Gruppenmitglieder unterschiedliche – untereinander unbekannte aber aus Gleichgültigkeit generell gebilligte – Angriffsmotive hatten und sie sich spontan zusammengeschlossen haben, bestand die erhöhte Gefahr eines Exzesses. Die Gefahr des Todes des O war mithin schon in der Körperverletzungshandlung des A angelegt.[10]Vgl. BGH Urteil vom 07.08.2024 – 1 StR 430/23 – BeckRS 2024, 23365 Rn. 10. Nach dieser Ansicht liegt mithin ein qualifikationsspezifischer Gefahrzusammenhang vor.

3. Stellungnahme

Da die beiden Ansichten zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen ist ein Streitentscheid erforderlich. Für die Letalitätslehre wird angeführt, dass der Tatbestand aufgrund der hohen Strafandrohung (gerade im Hinblick auf § 222 StGB) eng auszulegen sei und sich die schwere Folge deshalb an den Körperverletzungserfolg knüpfen müsse. Dieses Verständnis würde vom Wortlaut des § 227 StGB gestützt, da dieser von „durch die Körperverletzung“ und vor allem „der verletzten (!) Person“ spricht. Hiergegen ließe sich jedoch einwenden, dass gerade der Begriff der „Körperverletzung“ nicht nur den Erfolg, sondern auch die Handlung meinen müsse, da sich § 227 StGB durch seine Klammerwirkung auch erfolgsqualifizierend auf die in §§ 223 Abs. 2, 224 Abs. 2 und 225 Abs. 2 StGB genannten Versuchsstadien und damit auch auf die Körperverletzungshandlungen bezieht. Darüber hinaus bergen schon vorsätzlich ausgeführte Handlungen – wie bspw. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB, eine tatbestandsspezifische Gefährlichkeit, die, ohne dass der Körperverletzungserfolg per se gefährlich sein muss, die schwere Folge herbeiführen können. Schon deshalb, weil nur über die Lehre der Handlungsgefahr der erfolgsqualifizierte Versuch nach § 227 StGB strafbewährt sein kann, sprechen die besseren Argumente für die letztgenannte Ansicht.[11] Vgl. umfangreich Jäger, JA 2025, 432 (434): Trotz Mittäterexzesses: Mitgegangen – (teilweise) mitgefangen. Der qualifikationsspezifische Gefahrzusammenhang liegt mithin vor.

Anmerkung: Kritik an der Rechtsprechung

Kritisieren lässt sich die Bejahung des qualifikationsspezifischen Gefahrzusammenhangs schon deshalb, weil die Argumentation darauf abstellt, ob der Mittäter ein (!) gefährliches Werkzeug wahrgenommen hat (kleiner Spoiler: bei O werden wir zu einem anderen Ergebnis kommen). Mit Jäger könnten wir das der Argumentation scheinbar zugrundeliegende und entsprechend zu kritisierendes Motto „Wer ein gefährliches Werkzeug in einem gruppendynamischen Prozess erkennt, muss mit der Verwendung noch gefährlicherer Werkzeuge rechnen“ hervorheben. So bejaht der BGH im Ergebnis den spezifischen Gefahrzusammenhang mit der schlichten Vorhersehbarkeit des Todeserfolges durch einen Beteiligten.[12]Vgl. umfangreich Jäger, JA 2025, 432 (434), Trotz Mittäterexzesses: Mitgegangen – (teilweise) mitgefangen.

4. Zwischenergebnis

In dem Tod des O als schwere Folge hat sich das der Körperverletzung als Grundtatbestand spezifisch anhaftende Risiko bzw. dessen Gefährlichkeit realisiert. Der qualifikationsspezifische Gefahrzusammenhang liegt vor.

IV. Rechtswidrigkeit

A handelte rechtswidrig.

V. Schuld

Zuletzt müsste A auch schuldhaft gehandelt haben. Dabei ist im Rahmen des § 227 StGB erforderlich, dass A hinsichtlich des Todes des O subjektiv fahrlässig gehandelt hat, mithin eine subjektive Sorgfaltspflichtverletzung vorlag und der Erfolgseintritt subjektiv vorhersehbar war.[13]Vgl. Rengier, Strafrecht BT II, 2025, § 52 Rn. 83 ff. Es ist nicht ersichtlich, dass der A individuell nicht in der Lage gewesen wäre, sorgfältig zu handeln, die vorsätzliche Erfüllung des Grundtatbestandes (welcher die objektive Sorgfaltspflichtverletzung indizierte) ist ihm mithin subjektiv vorwerfbar. Aufgrund des Umstandes, dass der A den von B mitgeführten Schlagstock wahrnahm und dessen potenziellen Einsatz billigte – in dem Wissen um die hypothetisch auch tödliche Folge eines Einsatzes gegen den Kopf des O – wird deutlich, dass er von einem erheblichen Übergriff auf den O ausging. Dieser Umstand wird nicht nur durch das Bereitstellen eines Fluchtfahrzeuges, sondern einerseits auch dadurch verstärkt, dass der O zuvor als „vogelfrei“ eingeordnet wurde und anderseits dadurch, dass es zwischen den Mitgliedern der angreifenden Gruppierung keinerlei Absprache darüber gab, wie sie den O seinen Austritt „körperlichen spüren lassen“ wollten. Die verschiedenen Gruppenmitglieder kannten sich gar nicht oder nicht gut, hatten unterschiedliche – untereinander unbekannte aber aus Gleichgültigkeit generell gebilligte – Angriffsmotive und hatten sich spontan zusammengeschlossen. Es war für den A mithin vorhersehbar, dass die Gefahr eines Exzesses durch einen anderen Mittäter, auch unter dem Einsatz eines anderen Werkzeugs wie des Messers, besteht. Die rudimentär geplante „Racheaktion“ unter Mitführen eines Schlagstocks trug für A ersichtlich die Gefahr, dass es zu dem Einsatz weiterer gefährlicher Werkzeuge kommt und jene ebenfalls potenziell tödlich enden [14]BGH Urteil vom 07.08.2024 – 1 StR 430/23 – BeckRS 2024, 23365 Rn. 11.. Da auch weitere Entschuldigungsgründe nicht ersichtlich sind handelte A mithin schuldhaft. 

VI. Ergebnis

A hat sich gem. § 227 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.

B. Weitere Strafbarkeiten

Des Weiteren hat sich A gem. § 224 Abs. 1 Nr. 2, 3, 4, 5 StGB und § 231 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.

Vernetztes Lernen: Wie prüft man Para. 231 StGB?

I. Tatbestandsmäßigkeit
1. Objektiver Tatbestand
a) Vorliegen einer Schlägerei/eines von mehreren verübten Angriffs
b) An der/dem der Täter beteiligt ist
2. Subjektiver Tatbestand: Vorsatz
II. Tatbestandsannex: Objektive Bedingung der Strafbarkeit
1. Verursachung einer schweren Folge (Tod/Folge des § 226 Abs. 1 StGB)
2. Durch die Schlägerei/den Angriff
= Realisierung d. Gefährlichkeit d. Schlägerei/Angriffs im schweren Erfolg
III. Rechtswidrigkeit (beachte § 231 Abs. 2 StGB)
IV. Schuld (beachte § 231 Abs. 2 StGB)

C. Gesamtergebnis und Konkurrenzen

Anmerkung: Konkurrenzverhältnis in unserem Fall

Wir könnten uns nun fragen, ob die ebenfalls verwirklichte gefährliche Körperverletzung gem. § 224 I Nr. 2, 4, 5 StGB neben dem § 227 I StGB stehen bleibt oder von ihr konsumiert wird. Entscheidend ist dafür, ob der Unrechtsgehalt der gefährlichen Körperverletzung in diesen Tatvarianten vom Unrechtsgehalt des § 227 I StGB umfasst ist oder nicht: Die Gefahr für das Leben des ahnungslosen Opfers wurde gerade durch den plötzlichen und unerwarteten gemeinschaftlichen Angriff (§ 224 I Nr. 3 und Nr. 4 StGB) unter dem lebensgefährdenden (§ 224 I Nr. 5 StGB) Einsatz von Hieb und Stichwaffen (§ 224 I Nr. 2 StGB) verursacht. Der Unrechtsgehalt von § 224 I StGB ist dementsprechend in unserem Fall vollständig im Unrechtsgehalt des § 227 StGB enthalten, weshalb § 224 I StGB von § 227 I StGB konsumiert wird. Selbige Erwägung gilt für § 231 Abs. 1 StGB.

A hat sich gem. § 227 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. Der ebenfalls verwirklichte § 224 I Nr. 2, 4, 5 StGB tritt ebenso wie § 231 Abs. 1 StGB im Rahmen der Konsumtion hinter dem § 227 Abs. 1 StGB zurück.

Strafbarkeit des C

C hat sich gem. § 224 Abs. 1 Nr. 3, 4 StGB in Tateinheit mit § 231 StGB strafbar gemacht. Eine Strafbarkeit wegen § 227 Abs. 1 StGB scheidet aus, da ihr der Mittäterexzess nicht zuzurechnen ist. Anders als A hatte die C keine Kenntnis davon, dass ein anderes Gruppenmitglied den Schlagstock bei sich trug und sie rechnete auch nicht damit, dass gefährliche Werkzeuge zum Einsatz kommen sollten. Gegenüber diesem Vorstellungsbild stellt der tödliche Einsatz eines Messers einen Angriff gänzlicher Art und Beschaffenheit dar und es fehlt entsprechend am qualifikationsspezifischer Gefahrzusammenhang.


Zusatzfragen

A und C aus unserem Ausgangsfall stehen wegen unseres Sachverhalts vor Gericht. Obgleich C beteuert, dass sie weder den Schlagstock noch das Messer gesehen hat oder mit einem Einsatz solcher Werkzeuge rechnete, zeichnet sich ab, dass das Gericht ihr keinen Glauben schenken wird. Über ihren Strafverteidiger stellt C einen Antrag auf die Einholung eines psychophysiologischen Sachverständigengutachtens mittels Durchführung einer Untersuchung mit einem Polygraphen („Lügendetektor“). Bei dieser Untersuchung soll sie selbst zu dem Schlagstock und dem Messer befragt werden. Dieser Beweisantrag wird vom Gericht durch einen formell ordnungsgemäßen Beschluss abgelehnt.

Frage: War die Ablehnung des Beweisantrags rechtmäßig?

Für die Beantwortung der Frage, ob die Ablehnung des Beweisantrages materiell rechtmäßig war, müssen wir drei Schritte durchlaufen:

1. Untersuchungsgrundsatz nach § 244 Abs. 2 StPO
Grundsätzlich gilt nach § 244 Abs. 2 StPO der sog. Untersuchungsgrundsatz, nachdem das Gericht zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die für die Entscheidung von Bedeutung sind. Wegen dieses Untersuchungsgrundsatzes ist die Ablehnung von Beweisanträgen nur aus den gesetzlich in §§ 244, 245 StPO genannten Gründen rechtmäßig.

2. Vorliegen eines formellen Beweisantrages
C hat über ihren Strafverteidiger einen formellen Beweisantrag gestellt.

3. Vorliegen eines gesetzlichen Ablehnungsgrundes
Fraglich ist, ob ein gesetzlicher Ablehnungsgrund vorlag. Ob auf die Ablehnungsgründe des § 244 StPO oder § 245 StPO zurückzugreifen ist, richtet sich danach, ob es sich bei dem Beweismittel um ein präsentes Beweismittel (dann § 245 StPO) oder um ein nicht präsentes Beweismittel (dann § 244 Abs. 3 bis Abs. 5 StPO) handelt. Bei dem zu einem späteren Zeitpunkt durchzuführenden Lügendetektortest handelt es sich um ein nicht präsentes Beweismittel.
Demnach müsste ein Ablehnungsgrund nach § 244 Abs. 3 bis Abs. 5 StPO vorliegen. In Betracht kommt zunächst § 244 Abs. 3 S. 2 StPO. Hiernach ist ein Beweisantrag abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Entscheidend im Kontext des Lügendetektors ist die Frage, ob seine Verwendung das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verletzt, welches u.a. die Freiheit der freien Willensentschließung und Willensbetätigung schützt. Früher wurde eine solche Verletzung angenommen. Nach heutiger Rechtsprechung ist sie jedoch abzulehnen, wenn die Angeklagte in die Verwendung einwilligt. Ein Verstoß gegen § 136a StPO liegt ebenfalls nicht vor. Da die C zur Teilnahme am Test auch nicht gezwungen würde, liegt auch kein Verstoß gegen den Nemo-tenetur-Grundsatz vor.
Ein Ablehnungsgrund liegt jedoch nach Maßgabe des § 244 Abs. 3 S. 3 Nr. 4 StPO vor, da der Einsatz eines „Lügendetektors“ nach derzeitigem Stand der Forschung ein gänzlich ungeeignetes Beweismittel darstellt (vgl. statt vieler BGH, Beschluss vom 24.06.2003 – VI ZR 327/02 Rn. 8).

4. Ergebnis
Mithin liegt ein Ablehnungsgrund vor, weshalb die Ablehnung materiell rechtmäßig war.

A und B planen, den C auf dessen Heimweg von der Arbeit zu überfallen. In den folgenden Tagen beobachtet die B den C, um so dessen Arbeitsweg nachzuvollziehen und einen geeigneten Ort für den Überfall auskundschaften zu können. A legt sich auf die Lauer und wird von B – wie geplant – angerufen, als C sich der Stelle nähert. A verprügelt den völlig überraschten C. B ist dabei jederzeit bereit, ihr Versteck zu verlassen und dem C den Fluchtweg abzuschneiden. Letztlich flieht der A – wie von Anfang an geplant – im von B gelenkten Fahrzeug.
Hat sich A gem. Para. 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB strafbar gemacht?

Nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB ist derjenige strafbar, der die Körperverletzung mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begeht. Zunächst setzt Nr. 4 also voraus, dass es mindestens einen Täter einer einfachen Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) gibt („Wer die Köperverletzung […] begeht“). Neben diesem Täter muss es einen „anderen Beteiligten“ an dem grunddeliktischen § 223 StGB geben. „Beteiligter“ meint damit eine Beteiligung jeder Art – also sowohl als Täter i.S.d. § 25 StGB als auch als Teilnehmer i.S.d. § 28 Abs. 1 StGB. Aufgrund dieses weiten Verständnisses des Beteiligtenbegriffs folgt, dass auch die „gemeinschaftliche Begehung“ i.S.d. Nr. 4 nicht als terminus technicus der Mittäterschaft gemeint sein kann, sondern vielmehr eine Gemeinschaftlichkeit mit einem Beteiligten jeder Art. „Gemeinschaftliches“ Handeln meint damit schlicht einverständliches Zusammenwirken.[15]Vgl. MüKo/Hardtung, StGB, 5. Aufl. 2025, § 224 Rn. 35a.
In unserem Fall müssen wir uns nun fragen, ob Nr. 4 erfüllt sein kann, obwohl sich B an der Körperverletzungshandlung selbst (am Tatort) gar nicht beteiligt hat. Für die Beantwortung dieser Frage ist entscheidend, sich zu vergegenwärtigen, was Nr. 4 eigentlich schützt. Die Erhöhung der Strafandrohung im Vergleich zum Grunddelikt des § 223 StGB lässt sich damit begründen, dass dem gemeinschaftlichen Vorgehen eine besondere Verwerflichkeit und Gefährlichkeit innewohnt. Speziell bei Körperverletzungen ist es typischerweise so, dass das Zusammenwirken mehrerer Personen den Angriff gefährlicher werden lässt, insbesondere die Möglichkeiten des Angegriffenen, sich erfolgreich zur Wehr zu setzen, einschränkt, aber auch Fluchtmöglichkeiten abschneiden kann. Es geht also um die Erhöhung einer abstrakten (!) Gefährlichkeit. Diese erhöhte abstrakte Gefährlichkeit liegt nicht nur darin, dass dem Opfer qualitativ erhebliche Verletzungen zugefügt werden könnten, sondern überhaupt darin, dass zwei Angreifer mehr als nur einer bewerkstelligen können (z.B. eine größere Zahl für sich genommen nicht erheblicher Verletzungen oder überhaupt erst eine Verletzung). Aus diesem Grund ist Nr. 4 auch dann zu bejahen, wenn das Opfer – wie in unserem Fall – die Mitwirkung der zweiten Beteiligten nicht bemerkt.[16]Vgl. MüKo/Hardtung, StGB, 5. Aufl. 2025, § 224 Rn. 36, Rengier, Strafrecht BT II, 2025, § 14 Rn. 57.
Nochmal zusammengefasst: Die erhöhte abstrakte Gefährlichkeit der gemeinschaftlichen Körperverletzung nach Nr. 4 liegt darin, dass durch die Mitwirkung einerseits die Angreiferseite gesteigert gefährlich vorgehen kann und andererseits sie Fähigkeit oder Bereitschaft des Opfers zu Verteidigung oder Flucht herabgesetzt sein kann.[17]Vgl. MüKo/Hardtung, StGB, 5. Aufl. 2025, § 224 Rn. 37.

Zusammenfassung

3. Erforderlich bleibt, dass den gemeinschaftlich verübten Gewalthandlungen, die der Exzesshandlung vorausgegangen sind, bereits die spezifische Gefahr des tödlichen Ausgangs anhaftete.

4. Die Zusatzfragen befassen sich mit der materiellen Rechtmäßigkeit der Abweisung eines Beweisantrags sowie der Strafbarkeit nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB bei nur einem am Tatort agierenden Täter.


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