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Die Fluchtwagenfahrerin

BGH, Urt. v. 23.03.2023 – 3 StR 363/22NStZ-RR 2023, 169

Sachverhalt

A und B fahren gemeinsam im Auto, als die F, eine Freundin der A, anruft. Sie nimmt den Anruf über die Freisprechanlage an. F erzählt der A, dass sie nun ihr Haus verkauft habe und in die neue Wohnung gezogen sei, die sie gemeinsam besichtigt hatten. Nach dem Telefonat fragt B die A, ob sie nicht gemeinsam von F das Geld von dem Hausverkauf an sich bringen wollen. A ist damit einverstanden, da sie erhebliche Schulden hat und erzählt dem B, wo F nun wohne und den vollen Namen der F. 

Am nächsten Tag fährt A mit drei weiteren Komplizen, darunter auch der B, zu der Wohnung der F. A billigt den von B und den anderen beiden Komplizen, X und Y, gefassten Tatplan. Sie selbst bleibt als Fluchtfahrerin im Auto sitzen. A gibt dem B eine Postboten-Jacke, damit er sich als Postbote ausgeben kann. 

So geschieht es: B, X und Y gehen zu der Wohnung der F. B klingelt und gibt sich als Postbote aus. Als F die Tür öffnet, stürmen die drei in die Wohnung an F vorbei. B hält ihren Mund zu und drückt ihren Kopf runter. Dabei hält er ihr ein Messer vor das Gesicht. 

Gemeinsam suchen X und Y nach dem Geld in der Wohnung. Sie finden „nur“ Schmuck und Bargeld im Wert von 1.000 €. Zudem gibt F aus Angst um ihr Leben noch weiteres Bargeld, welches sie in ihrem Portemonnaie hat, in Höhe von 500 € heraus. 

Da sie den Erlös des Hausverkaufs nicht finden, verlassen sie die Wohnung und laufen zum Fluchtauto, in dem A sitzt. Sie fährt wie geplant sofort mit den anderen davon. Für ihre Tatbeteiligung bekommt sie 100 €. 

Wie hat sich A strafbar gemacht? 


Skizze


Gutachten

A. Strafbarkeit der A gem. §§ 249 I Alt. 2, 250 II Nr. 1, 25 II StGB wegen schweren Raubes in Mittäterschaft

A könnte sich wegen schweren Raubes in Mittäterschaft gem. §§ 249 I Alt. 2, 250 II Nr. 1, 25 II StGB strafbar gemacht haben, indem B, X und Y in der Wohnung der F unter Vorhalt eines Messers Geld und Schmuck in Höhe von 1.000 € mitnahmen und A währenddessen bereit im Fluchtfahrzeug saß. 

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand
a) Fremde bewegliche Sache

Der Schmuck und das Bargeld in Höhe von 1.000 € stehen nicht im Eigentum der A, mithin sind sie fremde bewegliche Sachen. 

b) Wegnahme durch Gewalt gegen eine andere Person unter Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr

Dafür müsste A den Schmuck und das Bargeld weggenommen haben. Wegnahme ist der Bruch fremden, d.h. die gegen den Willen des Berechtigten erfolgende Aufhebung des Gewahrsams und Begründung neuen Gewahrsams.[1]Fischer, 71. Aufl. 2024, § 242 StGB Rn. 16. Problematisch erscheint, dass A bei der Tatausführung selbst im Fluchtauto saß und nicht vor Ort die eigentliche Tathandlung ausführt. 

Möglicherweise könnten ihr die Handlungen des B, X und Y als eigene zugerechnet werden. Dafür müssten die Handlungen der Komplizen den Tatbestand erfüllen und gem. § 25 II StGB die Voraussetzungen der Mittäterschaft vorliegen. 

aa) Wegnahme durch B, X und Y

B, X und Y müssten das Geld und den Schmuck der F weggenommen haben. Indem X und Y das Geld und den Schmuck an sich nehmen, übten sie die tatsächliche Sachherrschaft über die Gegenstände aus. Dies geschah gegen den Willen der F. Auch wenn F nicht die tatsächliche Sachherrschaft über das Bargeld und den Schmuck in dem Moment hatte, so hatte sie einen generellen Sachherrschaftswillen hinsichtlich aller Gegenstände, die sich in ihrer Wohnung befanden. Indem X und Y die Gegenstände an sich nahmen, nahmen sie F die Möglichkeit, die Sachherrschaft weiter auszuüben. Damit begründen sie neuen, tätereigenen Gewahrsam. Somit liegt eine Wegnahme vor. 

Vernetztes Lernen: Welche Sonderfälle des Gewahrsams gibt es?

Nummer 1: Gewahrsam bei Bewusstlosen/Schlafenden
Hier wird i.E. auf einen potentiellen Gewahrsamswillen abgestellt.
Beispielsweise liegt Gewahrsam in den Fällen einer schlafenden Person immer dann vor, wenn der Gewahrsamsinhaber seinen Gewahrsamswillen mit ins Bett nimmt, sodass er den Willen, den Gewahrsam auszuüben, jederzeit neu bilden kann.

Nummer 2: Gewahrsamverhältnis im Supermarkt
Dieses Problem ist insbesondere aus den Supermarktfällen bekannt, wenn der Täter im Supermarkt ein Gegenstand einsteckt.

In diesem Fällen kommt der Begriff der „Gewahrsamsentklave“ ins Spiel. Daraus folgt:
– Bei kleinen beweglichen Gegenständen liegt die Begründung neuen Gewahrsams bereits beim Ergreifen und Festhalten vor.
– Bei größeren, dennoch leicht mitzuführenden Gegenständen, muss der Täter die Sache beispielsweise in seinen Rucksack oder in seine Jackentasche stecken, um einen Gewahrsam zu begründen.
Vorsicht: Das Verstecken im Einkaufswagen reicht nicht aus, um neues Gewahrsam zu begründen. Vielmehr muss der Täter dafür den Herrschaftsbereich verlassen; idR wird das nach dem Passieren des Kassenbereiches anzunehmen sein.
– Bei schweren Gegenständen ist der Gewahrsam erst dann begründet, wenn der fremde Herrschaftsbereich endgültig verlassen wurde.

Nummer 3: Mitgewahrsam
Grundsätzlich bezieht sich der Begriff des Mitgewahrsams auf den Gewahrsam mehrerer Personen. Dabei wird zwischen übergeordnetem und untergeordnetem Mitgewahrsam sowie gleichrangigem Mitgewahrsam unterschieden.
– Gleichrangiger Mitgewahrsam: Jeder Mitgewahrsamsinhaber kann den Mitgewahrsam des anderen brechen.
– Über- und untergeordneter Mitgewahrsam: Hier kann der Gewahrsam nur von unten nach oben gebrochen werden.

bb) Unter Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr 

Dafür müssten B, X oder Y unter Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr gehandelt haben. Eine Drohung ist das Inaussichtstellen eines künftigen Übels, auf dessen Eintritt der Drohende Einfluss zu haben vorgibt oder hat.[2]Fischer, 71. Aufl. 2024, § 240 Rn. 31.

Indem B der F den Mund zuhielt, den Kopf runter drückte und er dabei ein Messer in der Hand hielt, liegt eine Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr vor. Durch die Handlungen gibt er F das Gefühl, dass ihr Leben bzw. ihr Leib in Gefahr ist, insbesondere durch das Vorhalten des Messers und er den Eintritt der Gefahr beeinflussen kann. Währenddessen konnten X und Y die Gegenstände an sich nehmen. 

cc) Mittäterschaft gem. § 25 II StGB hinsichtlich B, X und Y

Die Vorgehensweise von B, X und Y in der Wohnung geschah arbeitsteilig auf Basis eines gemeinsamen Tatplans. Sie handelten als Mittäter gem. § 25 II StGB, sodass die jeweiligen Tatbeiträge gegenseitig zugerechnet werden.

dd) Qualifikation gem. § 250 II Nr. 1 StGB

Möglicherweise verwendete B ein gefährliches Werkzeug gem. § 250 II Nr. 1 StGB bei der Tatausführung, indem er der F ein Messer vorhielt. 

Für die Bestimmung des gefährlichen Werkzeugs ist hier – anders als beim subsidiären Beisichführen nach § 250 I Nr. 1 a) StGB – auf die tatsächliche bzw. angedrohte Verwendung abzustellen: Es kommt auf die Art und Weise des Einsatzes an, wobei diese im konkreten Fall geeignet sein muss, erhebliche Verletzungen herbeizuführen.[3]Eisele, JuS 2023, 793, 794.

Das Messer wird der F ins Gesicht gehalten. Ein Messer, das in der Art und Weise zur Drohung eingesetzt wird, ist im konkreten Fall geeignet, erhebliche Verletzungen herbeizuführen, da durch die scharfe Klinge eines Messers Schnittwunden schnell herbeigeführt werden können. Durch die Lage des Messers – vor dem Gesicht der F – sind diese möglichen Verletzungen als erheblich zu bewerten. Somit liegt die Verwendung eines gefährlichen Werkzeuges vor. 

c) Zurechnung gem. § 25 II StGB 

Der A könnten diese Tathandlungen nach § 25 II StGB zugerechnet werden, wenn A als Mittäterin von B, X und Y anzusehen wäre. Abzugrenzen ist ihre Handlung hinsichtlich der Tatbegehung zur einfachen Beihilfe gem. § 27 StGB

Fraglich ist, ob die Handlungen der A ausreichen, um eine Mittäterschaft gem. § 25 II StGB zu begründen. Denn unmittelbar in der Wohnung war sie nicht beteiligt. Vielmehr beschränken sich ihre Beiträge auf die Vorbereitungshandlung, wie der Weitergabe der Informationen und der Unterstützungshandlung vor Ort in Form der Übergabe der Postboten-Jacke sowie das Fahren des Fluchtautos. Zudem erhielt A von der erzielten Beute nur einen geringen Anteil. 

Gegen die Mittäterschaft und für die Beihilfe spricht insbesondere, dass sie über den Tatplan nur in Kenntnis gesetzt wurde. B und seine Komplizen planten die Tat allein. Des Weiteren spricht dafür, dass ihr Anteil an dem gesamten Gewinn sehr gering war. Das heißt, nach rein objektiven Anhaltspunkten ist ihr Beitrag an der Tat nicht als wesentlich anzusehen. 

Für die Mittäterschaft spricht jedoch, dass es für ein gemeinschaftliches Handeln benötigt, dass ein eigener Tatbeitrag geleistet wird und sich dieser in die Tat einfügt, sodass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handlung als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Eine zwingende Mitwirkung am Kerngeschehen bedarf es für die Mittäterschaft nicht, genau so wenig wie die direkte Anwesenheit am Tatort. Ausreichend ist vielmehr ein fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränkt.[4]BGH, NStZ-RR 2023, 169, Rn. 8.

Darüber hinaus ist es bedeutsam, dass der Tatbeitrag nach der Willensrichtung aller Beteiligten als Tat der Tätigkeit aller darstellt. Dies ist aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Dabei sind die maßgeblichen Kriterien der Grad des eigenen Interesses an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu.[5]BGH, NStZ-RR 2023, 169 Rn. 8.

Ausgehend von diesen Kriterien ist hervorzuheben, dass nur aufgrund des Beitrags der A, das Weitergeben der Informationen sowie der Adresse der F, die Tat überhaupt begangen werden konnte. Sie ist dabei nicht nur als Tippgeberin anzusehen, sondern wirkte damit auch maßgebend an der Entstehung des gemeinsamen Tatentschlusses mit. Den Entschluss, dass es überhaupt dazu kommt, dass B mit seinen Komplizen in die Wohnung eindringt, haben A und B gemeinsam ohne X und Y gefasst.[6]Vgl. dazu BGH, NStZ-RR 2023, 169, Rn. 10.

Außerdem leistete A wesentliche Beiträge zur Tat, auch wenn sie bei der eigentlichen tatbestandsausführenden Handlung nicht anwesend war. Denn zum einen stellte sie die notwendige Postboten-Jacke bereit, damit B unbemerkt zu der Tür der F gelangen kann und sie diese Tür öffnete. Zum anderen ist die Fluchtfahrt als solche ebenfalls ein wesentlicher Beitrag, der der Beutesicherung dient. Somit hatten ihre Beitrage einen Einfluss auf die Art und Weise der Tatbegehung und den Erfolg.[7]Vgl. dazu BGH, NStZ-RR 2023, 169, Rn. 12.

Hinsichtlich des Aspekts, dass die A nur einen geringen Beuteanteil erhält, ist dies nicht als schädlich für das Vorliegen der Mittäterschaft anzusehen. Vielmehr hatte A fest mit dem Anteil gerechnet, da sie hoch verschuldet war. Sie hatte vor, mit ihrem Anteil der Tatbeute einen Teil ihrer Verbindlichkeiten zu bezahlen. Ihr Tatinteresse an der Tat ist daher als groß zu bewerten.[8]Vgl. dazu BGH, NStZ-RR 2023, 169, Rn. 13.

Nach all dem ist es überzeugend, dass A die Tatbeiträge von B, X und Y im Rahmen der Mittäterschaft gem. § 25 II StGB zugerechnet werden. 

Anmerkung: Zum Urteil:
Das Urteil geht nicht auf den Theoriestreit ein. Der Fall wäre auch mithilfe der Abgrenzung über die Tatherrschaftslehre bzw. die gemäßigte-subjektive Theorie zu lösen. Jedoch vermischen sich die Argumente des BGH, da sowohl auf den Täterwillen als auch die objektive Tatgeschehensmitwirkung abgestellt wird.
d) Raubspezifische Zusammenhang

Der raubspezifische (Kausal-)Zusammenhang liegt vor, da das Nötigungsmittel zur Wegnahme der Beute eingesetzt wurde.  

2. Subjektiver Tatbestand

A handelte auch mit Wissen und Wollen, mithin vorsätzlich hinsichtlich des Raubes, des Beisichführens des Messers und der Mittäterschaft sowie in Absicht der rechtswidrigen Bereicherung, da es der A gerade darum ging, die Tatbeute bzw. ihren Anteil zu behalten, um damit ihre Schulden zu zahlen. Sie wusste, dass sie keinen Anspruch darauf hat. 

II. Rechtswidrigkeit und Schuld

A handelte rechtswidrig und schuldhaft.

III. Ergebnis

A hat sich wegen schweren räuberischen Diebstahls in Mittäterschaft gem. §§ 249 I Alt. 2, 250 II Nr. 1, 25 II StGB strafbar gemacht. 

B. Strafbarkeit der A gem. §§ 253, 255, 250 II Nr. 1, 25 II StGB wegen schwerer räuberischer Erpressung in Mittäterschaft 

A könnte sich wegen schwerer räuberischer Erpressung in Mittäterschaft gem. §§ 253, 255, 250 II Nr. 1, 25 II StGB strafbar gemacht haben, indem B, X und Y durch das Vorhalten eines Messers die F dazu bewegen, ihnen 500 € zu geben und A währenddessen im Fluchtauto saß. 

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

Da A selbst keine Tathandlung vor Ort leistet, müssten der objektive Tatbestand durch ihre Komplizen B, X und Y verwirklicht worden sein und ihr müssten die Tatbeiträge gem. § 25 II StGB zugerechnet werden können. 

a) Verwirklichung durch die Komplizen

Indem F aus Angst um ihr Leben den Forderungen von B und den anderen beiden Komplizen in der Wohnung nachgab und unter Vorhalt eines Messers die 500 € Bargeld übergab, bewirkten B und die Komplizen den beabsichtigten Erfolg des Handelns gegenüber F unter Anwendung von Gewalt. Nach dem äußeren Erscheinungsbild, das nach der Rechtsprechung zur Unterscheidung zwischen Raub und räuberischer Erpressung maßgeblich ist, liegt kein Fall des „Nehmens“, sondern des „Gebens“ vor. Auch unter Berücksichtigung der inneren Willensrichtung des Opfers ergibt sich nichts anderes. Es handelt sich um eine bedingte, jedoch unfreiwillige Weggabe des Vermögens, die unter dem Einfluss von Drohung und Gewalt erfolgte. Dennoch bleibt ein gewisser Entscheidungsspielraum des Opfers erhalten, was die von der herrschenden Lehre geforderte Vermögensverfügung betrifft.[9]Eisele, JuS 2023, 793, 794.

Vernetztes Lernen: Wieso fordert die herrschende Literatur eine Vermögensverfügung bei der räuberischen Erpressung?

Wenn eine Vermögensverfügung verlangt wird, scheidet vis absoluta als Nötigungsmittel aus. Die dadurch entstehenden Lücken sind ohne praktische Bedeutung, da regelmäßig Raub vorliegt, wenn vis absoluta angewendet wird.[10]Vgl. Fischer, 71. Aufl. 2024, § 255 Rn. 5.

Begründung: Denn es wird argumentiert, dass ein verfügendes Handeln des Genötigten erforderlich ist. Daher ist vis absoluta nicht geeignet. Diese unterschiedliche Behandlung wird als unbefriedigend betrachtet, da sie den Täter, der vis absoluta einsetzt, besserstellt als denjenigen, der lediglich willensbeugende Mittel nutzt.

Trotz dieser Kritik wird die Ansicht der herrschenden Lehre unterstützt, da sie besser zur Systematik des StGB passt. Insbesondere wird argumentiert, dass der Raubtatbestand überflüssig wäre, wenn die Wegnahme zugleich als Nötigung zu ihrer Duldung betrachtet würde. Die herrschende Lehre ermöglicht eine klarere Abgrenzung zwischen Eigentums- und Vermögensdelikten. Während bei Betrug und Erpressung die Schädigung direkt durch das willentliche Verhalten des Opfers erfolgt, führt bei Diebstahl und Raub der Täter den Schaden durch die Wegnahme herbei.

Konsequenz: Die §§ 253 und 255 StGB würden dann alle Vermögensschädigungen, die unter Gewalt oder Drohung begangen werden, erfassen und möglicherweise qualifizieren. Dies würde jedoch dem Prinzip der schuldangemessenen Strafe und dem Grundsatz der Subsidiarität des Strafrechts widersprechen. Es würde auch die Privilegierung von Tätern, die Dinge ohne Zueignungsabsicht wegnehmen, untergraben.

Darüber hinaus würde eine nicht vorgesehene Qualifikationsstufe geschaffen werden. Ein Diebstahl, der mit einfachen Nötigungsmitteln begangen wird, würde als Erpressung behandelt, was zu einer höheren Strafandrohung führt als für Diebstahl allein. Diese Wertung würde dem Gesetz zufolge nur für Raub gelten, der mit intensiveren Nötigungsmitteln begangen wird. Das würde zu einem Bruch mit dem System des Eigentumsschutzes führen und einen „kleinen Raub“ einführen.[11]Dazu ausführlich MüKo StGB/Sander 4. Aufl. 2021, StGB 253 Rn. 15ff.

Die Qualifikation des § 250 II Nr. 1 StGB wird ebenfalls verwirklicht, indem B der F das Messer vor das Gesicht hält (s.o.).

b) Zurechnung gem. § 25 II StGB

Die Handlungen der B, X und Y können A gem. § 25 II StGB zugerechnet werden, da ihr Tatbeitrag als mittäterschaftliche Handlung einzuordnen ist. 

2. Subjektiver Tatbestand

Auch der subjektive Tatbestand ist erfüllt. Die A handelte vorsätzlich hinsichtlich des Grundtatbestands, der Qualifikation und der Mittäterschaft. Darüber hinaus handelte A mit Bereicherungsabsicht auf einen rechtswidrige, stoffgleichen Vermögensvorteil. 

II. Rechtswidrigkeit und Schuld 

A handelte rechtswidrig und schuldhaft. 

III. Ergebnis

A macht sich wegen schwerer räuberischer Erpressung in Mittäterschaft strafbar. Die durch die Tat ebenfalls verwirklichte Freiheitsentziehung gem. § 239 StGB, Nötigung gem. § 240 StGB und Bedrohung gem. § 241 StGB treten aufgrund der Subsidiarität zurück. 

C. §§ 239a I Alt. 1, 25 II StGB erpresserischer Menschenraub in Mittäterschaft

A könnte sich gem. §§ 239a I Alt. 2, 25 II StGB wegen erpresserischen Menschenraubs in Mittäterschaft strafbar gemacht haben, indem sie im Fluchtfahrzeug saß, während B in die Wohnung der F eindringt, ihr den Mund zuhält und ihren Kopf runterdrückt und F daraufhin 500 € Bargeld herausgab. 

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

Da A während der Tatausführung in der Wohnung im Fluchtwagen saß, müsste die Tathandlung durch ihre Komplizen verwirklicht worden sein. 

a) Verwirklichung durch Komplizen 

Die Mittäter müssten einen anderen Menschen entführt oder sich seiner bemächtigt haben. 

Der erpresserische Menschenraub liegt vor, wenn jemand einen Menschen entführt oder sich seiner bemächtigt, um die Sorge des Opfers um sein Wohl oder die Sorge eines Dritten um das Wohl des Opfers zu einer Erpressung gemäß § 253 StGB auszunutzen, oder wenn die durch eine solche Handlung geschaffene Lage eines Menschen zu einer solchen Erpressung ausgenutzt wird. 

Entsprechend dem Tatplan drängte B, einer der Mittäter der A, die F in ihre Wohnung, hielt ihr den Mund zu und drücke ihren Kopf herunter. Nachdem die Wohnung durchsucht wurde, gab F aus Angst um ihr Leben Bargeld an die Komplizen heraus.

Obwohl F nicht „entführt“ wurde, haben sich A und ihre Mittäter ihrer bemächtigt, um die Sorge der F um ihr Wohl zu einer Erpressung auszunutzen. Der BGH hat klargestellt, dass der Tatbestand des erpresserischen Menschenraubs im Zwei-Personen-Verhältnis, insbesondere für Fälle des Sichbemächtigens, restriktiv auszulegen ist.[12]BGH NStZ 2023, 34, Rz. 6. Eine Bemächtigung ist immer dann anzunehmen, wenn der Täter das Opfer physisch oder psychisch in seine Gewalt bringt und unterwirft.  Dabei muss der Täter eine stabile Bemächtigungslage schaffen und beabsichtigen, diese Lage zu einer Erpressung auszunutzen.

Im vorliegenden Fall haben B und seine Komplizen nach dem Eindringen in die Wohnung von F eine solche stabile Lage geschaffen, in der sie die Erpressung gegenüber F ausüben konnten. Somit haben sie den objektiven Tatbestand des § 239a StGB verwirklicht. 

b) Zurechnung gem. § 25 II

Da A durch ihre Tathandlungen als Mittäterin zu qualifizieren ist, sind ihr die Handlungen des B und der anderen beiden Komplizen gem. § 25 II StGB zuzurechnen. 

2. Subjektiver Tatbestand

A handelte auch vorsätzlich hinsichtlich des Sichbemächtigens, um eine Lage zur Erpressung auszunutzen zu können (sog. Erpressungsabsicht) und in Bereicherungsabsicht auf einen rechtswidrigen, stoffgleichen Vermögensvorteil.

Anmerkung: Fall-Hinweis:
Zum erpresserischen Menschenraub und insbesondere zur Erpressungsabsicht der Beitrag „Schritt für Schritt zum Menschenraub“.

II. Rechtswidrigkeit und Schuld 

A Handelte rechtswidrig und schuldhaft. 

III. Ergebnis

A hat sich wegen erpresserischen Menschenraubs in Mittäterschaft ebenfalls strafbar gemacht. 

Gesamtergebnis und Konkurrenzen 

A hat sich wegen schwerer räuberischer Erpressung, schweren Raubes und erpresserischen Menschenraubes in Mittäterschaft strafbar gemacht. Der schwere Raub und die räuberische Erpressung stehen in Idealkonkurrenz zueinander, obwohl zwischen den Tatobjekten des Schmucks und der 1.000 € sowie der 500 €, welches F rausgibt, klar differenziert werden muss. Es ist dennoch eine Handlung anzunehmen.[13]Dazu Eisele, JuS 2023, 793, 794. Der erpresserische Menschenraub steht ebenfalls in Tateinheit zu der räuberischen Erpressung.


Zusatzfrage

Ist im folgenden Fall in einem 2-Personen-Verhältnis der erpresserische Menschenraub neben der räuberischen Erpressung auch anwendbar?

Fall: Täter T überfällt eine Bank und zwingt den Bankkaufmann mit vorgehaltener Waffe, ihm Bargeld auszuhändigen.

Grundsätzlich handelt es sich um einen Fall von räuberischer Erpressung gem. §§ 253 und 255 StGB, was eine Strafandrohung von nicht unter einem Jahr nach sich zieht. Allerdings könnte auch der erpresserische Menschenraub gemäß § 239a StGB in Betracht gezogen werden. In diesem Fall würde die Strafandrohung nicht unter fünf Jahren liegen. Dies würde bedeuten, dass alle Fälle von einfachem Raub oder Erpressung durch § 239a StGB verdrängt werden könnten. Das wiederum hätte zur Folge, dass die Bedeutung anderer Tatbestände wie §§ 249, 250 I StGB und §§ 253, 255, 250 I StGB sowie weiterer Delikte wie zum Beispiel § 177 StGB praktisch obsolet würde.

Eine Ansicht (Literatur): Die Literatur vertritt die sog. Konkurrenzlösung. Wenn kein Raub, sondern eine Erpressung vorliegt, seien die milderen Normen (§§ 253, 255 StGB) vorranging anzuwenden.

Andere Ansicht (Rechtsprechung): Der BGH nimmt eine teleologische Reduktion des Wortlautes vor.

Zur Vergleichbarkeit mit der Entführungsalternative, bei der das Opfer in eine hilflose Lage gebracht wird, die dann zur Erpressung genutzt wird, muss auch das Sich-Bemächtigen eine stabile Lage schaffen, die anschließend zur Erpressung genutzt wird. Eine solche stabile Lage entsteht bereits durch die Drohung mit einer (Schein-)Waffe.

Eine stabile Bemächtigungslage liegt vor, wenn das Sich-Bemächtigen über die Erpressung hinaus eine eigene Bedeutung hat. Entscheidend ist, dass diese Lage unabhängig von der Erpressung betrachtet werden kann. Eine stabile Bemächtigungslage liegt nicht vor, wenn das Sich-Bemächtigen und die Nötigung zur Vermögensverfügung gleichzeitig stattfinden. Dies ist oft der Fall, wenn das Sich-Bemächtigen längere Zeit dauert oder zusätzliche Nötigungen geplant sind.[14]Vgl. dazu BGH NStZ 2023, 34.

Das Prüfungsschema für die Entführungs- und Bemächtigungsalternative im subjektiven Tatbestand in Zwei-Personen-Verhältnissen muss daher um einen dritten Prüfungspunkt ergänzt werden: Es muss ein funktionaler Zusammenhang zwischen der Entführungs-/Bemächtigungslage und der geplanten Erpressung bestehen.

Im vorliegenden Fallbeispiel dient die Drohung mit der Waffe sowohl dem Sich-Bemächtigen als auch der erpresserischen Nötigung. Wenn man die Waffe aus der Situation herausnimmt, entfällt die Bemächtigungslage. Daher ist § 239a StGB aufgrund des Mangels an zwei eigenständigen Teilakten zu verneinen. Gleiches gilt für § 239b StGB aus denselben Gründen. § 239 StGB müsste wahrscheinlich aufgrund der nur kurzzeitigen Einschränkung der Bewegungsfreiheit abgelehnt werden.

Fall: Ein Polizeibeamter behautet in einer Vernehmung des Beschuldigten B, dass die Zeugin Z den Täter am Tatort gesehen hat. Die Zeugin war zwar am Tatort, aber erst eine Stunde nachdem der Täter den Tatort verlassen hat. Daraufhin macht der Täter eine Einlassung. Diese wiederholt er nicht im Hauptverfahren. Kann der Polizeibeamte als Zeuge des Hören-Sagens in der Hauptverhandlung vernommen werden?

Möglicherweise könnte das absolute Beweisverwertungsverbot gem. § 136a StPO vorliegen. Dieses würde bei einer unzulässigen Verhörmethode greifen. Dafür ist es wichtig zu differenzieren, ob durch die Behauptung, dass eine Zeugin am Tatort den Täter gesehen habe, eine unzulässige Täuschung oder eine zulässige kriminalistische List vorliegt.

Eine Täuschung bezieht sich auf eine falsche Darstellung von Tatsachen, die den Beschuldigten bewusst irreführt und seine Aussagefreiheit beeinträchtigt.

Im vorliegenden Fall entspricht der Vorhalt des Polizeibeamten nicht der Wahrheit, da die Zeugin den Beschuldigten nicht unmittelbar am Tatort gesehen hat, sondern erst eine Stunde später am Tatort war. Sie kann nicht sicher bezeugen, dass der Beschuldigte am Tatort war. Deshalb hat der Polizeibeamte unzulässig auf die Mitwirkungsfreiheit des Beschuldigten eingewirkt, da dieser davon ausging, bereits überführt worden zu sein.

Damit liegt ein Beweisverwertungsverbot gem. § 136a StPO wegen unzulässiger Vernehmungsmethoden vor und der Polizeibeamte kann über die Einlassung des Beschuldigten bei der Polizei nicht vernommen werden.


Zusammenfassung

1. Für die Beurteilung der Mittäterschaft ist es wichtig, dass der eine Tatanteil als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handlung als Ergänzung des eigenen Tatanteils ersichtlich ist.

2. Nach der Ansicht der Rechtsprechung sind eine zwingende Mitwirkung am Kerngeschehen oder die direkte Anwesenheit am Tatort für die Mittäterschaft nicht erforderlich. Stattdessen genügt ein fördernder Beitrag, der sich auf Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlungen beschränkt.

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