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Die ferngesteuerte Batterie

BGH, Urteil vom 26.10.2022 – XII ZR 89/21, BeckRS 2022, 30953

Sachverhalt

Der V vertreibt Fahrzeuge. Sein Fokus liegt dabei auf dem Verkauf von Elektrofahrzeugen der Marke R. Da dem V aber bekannt ist, dass die Batterien dieser Elektrofahrzeuge eine beschränkte Lebensdauer haben, wittert er eine weitere Geschäftsidee und will nunmehr Batterien an seine Kunden vermieten. Der Kunde bezahlt demnach seine monatliche Miete, muss sich dann aber nicht mehr um die Lebensdauer seiner Batterie und einen etwaigen Neuerwerb kümmern.

Damit aber im Falle der außerordentlichen Kündigung der Mieter der Autobatterie diese nicht weiter nutzen kann, baut der V in die Batterien eine Vorrichtung ein, mit der er aus der Ferne die Möglichkeit zur Wiederaufladung sperren kann. Sobald der V diese Vorrichtung also aktiviert, kann der Mieter der Batterie diese nicht mehr aufladen. Hierzu wird über den Bordcomputer des Fahrzeugs auf die Steuerung der Batterie zugegriffen und das Laden verhindert.

Um sich hierfür auch vertraglich abzusichern, benutzt der V folgende Klausel in seinen allgemeinen Mietbedingungen:

„Im Falle der außerordentlichen Vertragsbeendigung infolge Kündigung wird die Vermieterin die Sperre der Wiederauflademöglichkeit der Batterie zunächst mit 14-tägiger Frist vorher ankündigen. Die Androhung kann auch zusammen mit der Kündigung erfolgen. Die Vermieterin ist in diesem Fall nach Ablauf der Ankündigungsfrist berechtigt, ihre Leistungspflicht einzustellen und die Wiederauflademöglichkeit der Batterie zu unterbinden. Die Geltendmachung des Herausgabeanspruchs bleibt hiervon unberührt.“

M hat bei dem V eine Autobatterie für sein Kfz gemietet. Bei der Durchsicht der Vertragsunterlagen kommt ihm die Klausel komisch vor. Schließlich hat er gehört, dass der Vermieter von einem Fahrzeug nach Beendigung des Vertrages auch nicht einfach zum Mieter nach Hause kommen und das Fahrzeug vom Hof holen kann.

Nach einer gewissen Nutzungsdauer kündigt der M wirksam den Mietvertrag über die Autobatterie gegenüber dem V. V schickt daraufhin ein Schreiben an den M, dass er nach 14 Tagen die Wiederauflademöglichkeit der Batterie sperren wird. V ist besorgt und will, dass V nicht einfach eigenmächtig über seine Fortbewegungsmöglichkeit bestimmt, da ja schließlich sein ganzes Auto von der Sperrung betroffen wäre. V wendet dagegen ein, dass M ja mit Unterzeichnung des Mietvertrages in die Möglichkeit der Sperrung eingewilligt hätte. M sieht dies anders. Er wendet sich an V und teilt diesem mit, dass er nicht eingewilligt hätte, im Zweifel aber diese Einwilligung widerrufe.

Frage 1: Hat M gegen V einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch?

Frage 2: Ist die vorgenannte Klausel tatsächlich unwirksam?

Skizze


Gutachten

A. Frage 1: Anspruch auf Unterlassen aus § 862 Abs. 1 S. 1, 2 BGB

M könnte gegen den V möglichweise einen Anspruch auf Unterlassen der Fernsperrung der Wiederauflademöglichkeit der Batterie aus § 862 Abs. 1 S. 1, 2 BGB haben.

I. Befürchtung einer zukünftigen Beeinträchtigung

Im Falle das noch keine Beeinträchtigung stattgefunden hat und ein sog. vorbeugender Unterlassungsanspruch geltend gemacht wird, ist Voraussetzung ist, dass eine (erste) Besitzbeeinträchtigung hinreichend wahrscheinlich bevorsteht, mithin eine Erstbegehungsgefahr besteht.[1]BeckOGK/Götz, 1.10.2022, BGB § 862 Rn. 20 Dabei ist zwar umstritten, ob man den vorbeugenden Unterlassungsanspruch auf eine erweiternde Auslegung von § 862 Abs. 1 S. 2 stützt, weil der Gesetzeswortlaut zu eng sei, oder ob man den Anspruch aus dem Rechtsgedanken von §§ 12, 862 und 1004 herleitet.[2]BeckOGK/Götz, 1.10.2022, BGB § 862 Rn. 19.1 Dies kann hier jedoch dahinstehen, denn wenngleich der Wortlaut von „weiteren“ Störungen, also von vorangegangen Störungen ausgeht, ist allgemein anerkannt, dass auch ein vorbeugender Unterlassungsanspruch vom § 862 Abs. 2 S. 2 BGB umfasst ist.

Anmerkung: Stellungnahme entbehrlich
Ist allgemein anerkannt, dass eine gewisse rechtliche Konstellation möglich ist und nur die Herleitung zwischen den Ansichten streitig ist, muss häufig keine Stellungnahme erfolgen, denn der Streit ist allein dogmatischer Natur. Ähnlich verhält es sich auch bspw. beim öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch. Auch wenn dort die dogmatische Herleitung im Einzelnen umstritten ist, wird regelmäßig nicht verlangt, dass hierzu durch den Studierenden Stellung bezogen wird.

Die notwendige Erstbegehungsgefahr kann sich aus Vorbereitungshandlungen und Ankündigungen ergeben, die auf ein unmittelbares Bevorstehen einer Besitzentziehung oder sonstigen Störung hindeuten.[3]BeckOK BGB/Fritzsche, 63. Ed. 1.8.2022, BGB § 862 Rn. 5a

Der V kündigte gegenüber dem M an, nach 14-Tagen die Wiederauflademöglichkeit zu sperren. Weitere Zwischenschritte waren durch den V nicht vorgesehen. Mithin bestand eine Ankündigung sowie ein unmittelbares Bevorstehen der Besitzbeeinträchtigung. Eine Erstbegehungsgefahr liegt damit vor.

II. M ist unmittelbarer Besitzer

M müsste auch unmittelbarer Besitzer der Batterie sein. Unmittelbarer Besitzer i.S.d. § 854 ist, wer die tatsächliche Gewalt über eine Sache ausübt. Das Auto, in dem die Batterie verbaut war, wurde durch den M gefahren und befand sich unzweifelhaft in seiner tatsächlichen Gewalt. M ist damit unmittelbarer Besitzer.

III. Besitzbeeinträchtigung durch verbotene Eigenmacht, § 858 Abs. 1 BGB

Fraglich ist jedoch, ob der V durch die Sperrung der Wiederauflademöglichkeit der Batterie gegenüber M die für den Anspruch aus § 862 Abs. 1 S. 1, 2 BGB notwendige verbotene Eigenmacht i.S.d. § 858 Abs. 1 BGB ausübt. Verbotene Eigenmacht übt gem. § 858 Abs. 1 BGB aus, wer dem Besitzer ohne dessen Willen den Besitz entzieht oder ihn im Besitz stört.

Fraglich ist aber, ob vorliegend sowohl die Besitzentziehung als auch die Besitzstörung taugliche Besitzbeeinträchtigungen i.S.d. § 858 Abs. 1 BGB darstellen. Besitzen mehrere eine Sache gemeinschaftlich, so findet in ihrem Verhältnis zueinander ein Besitzschutz insoweit nicht statt, als es sich um die Grenzen des des einzelnen zustehenden Gebrauchs handelt, § 866 BGB. Konkret bedeutet dies, dass ein Besitzschutz i.S.d. § 862 BGB unter den Mitbesitzern nur gegen eine (vollständige) Entziehung des Besitzes stattfindet, nicht aber wegen einer bloßen Beeinträchtigung.[4]BGH Urt. v. 26.10.2022 – XII ZR 89/21, BeckRS 2022, 30953 Rn. 23

Ob allerdings die Möglichkeit der Sperre der Wiederauflademöglichkeit bedeutet, dass auch der Vermieter zumindest Mitbesitzer ist, wird unterschiedlich beurteilt.

1. e.A. (Lit.): Mitbesitz des Vermieters

Nach einer Ansicht ist der Vermieter sog. qualifizierter Mitbesitzer. Ein qualifizierter Mitbesitz liegt dann vor, wenn nur alle Besitzer gemeinsam die Sachherrschaft ausüben können.[5]BeckOGK/Götz, 1.10.2022, BGB § 866 Rn. 25 Legt man nämlich den Gedanken zugrunde, wonach die Funktionsfähigkeit der Sache vom Besitz umfasst ist, so muss konsequenterweise die Möglichkeit des anderen Teils berücksichtigt werden, den Fernzugriff vorzunehmen, welcher wiederum einen Teil der tatsächlichen Gewalt ausmacht. Das aber bedeutet, dass keiner von beiden den Besitz umfassend allein ausüben kann, sondern beide dies erst im Zusammenwirken vermögen.[6]Strobel, NJW 2022, 2361 Rn. 10, der aber bereits die Ansicht vertritt, dass die Funktionsfähigkeit der Sache nicht vom Besitz umfasst ist, da nur eine physische Beeinträchtigung eine … Continue reading

Folglich kann in diesem Fall nur eine (vollständige) Besitzentziehung taugliche Beeinträchtigung i.S.d. § 862 BGB sein. Eine Besitzentziehung ist der dauernde und vollständige Ausschluss von der tatsächlichen Sachherrschaft und führt damit zur Beendigung des Besitzes.[7]MüKoBGB/Schäfer, 8. Aufl. 2020, BGB § 858 Rn. 4

Eine Besitzentziehung liegt hier indessen nicht vor, weil dem M auch nach Sperrung der Auflademöglichkeit durch den V die den Besitz kennzeichnende Ausschluss- und Einwirkungsmacht verbleibt.[8]BGH Urt. v. 26.10.2022 – XII ZR 89/21, BeckRS 2022, 30953 Rn. 23

Mangels Besitzentziehung läge damit keine verbotene Eigenmacht i.S.d. §§ 858 Abs. 1, 866 BGB vor. Folglich wäre auch der Anspruch aus § 862 Abs. 1 S. 1, 2 BGB ausgeschlossen.

2. a.A. (Rspr.): Kein Mitbesitz des Vermieters

Eine andere Ansicht hingegen will durch die bloße Möglichkeit der Fernsperre der Wiederauflademöglichkeit noch keinen (qualifizierten) Mitbesitz annehmen. Vielmehr solle durch die Möglichkeit lediglich die Bedingungen für eine spätere Besitzstörung erleichtert werden.[9]ohne Stellungnahme: BGH Urt. v. 26.10.2022 – XII ZR 89/21, BeckRS 2022, 30953 Rn. 24

Anmerkung: Keine Entscheidung durch den BGH
Selbstverständlich hat der BGH die Problematik erkannt. Aufgeworfen wurde die Frage, ob die Möglichkeit der Fernsperre Mitbesitz begründe insbesondere von Strobel, NJW 2022, 2361. Der BGH musste im vorliegenden Fall hierzu jedoch keine Stellung beziehen. Gegenstand des Streits war nämlich nicht der Unterlassungsanspruch wegen Besitzbeeinträchtigung durch einen Verbraucher, sondern vielmehr Klagte ein Verbraucherschutzverein auf Unterlassung der Verwendung von der oben aufgeführten AGB-Klausel.[10]BGH Urt. v. 26.10.2022 – XII ZR 89/21, BeckRS 2022, 30953 Rn. 1 Der BGH nahm eine Unwirksamkeit der Klausel aus § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB an, da die Klausel mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Die wesentliche Abweichung stütze der BGH aber nicht darauf, dass eine etwaige verbotene Eigenmacht i.S.d. § 858 BGB durch die Sperrung vorliegen könnte (hierzu weiter unten). Gleichwohl führte der BGH an, dass es „zweifelhaft (sei), ob allein die Sperrmöglichkeit, von der die Beklagte nur nach Vertragsbeendigung Gebrauch machen will, Mitbesitz begründet oder ob dadurch lediglich die Bedingungen für eine spätere Besitzstörung erleichtert werden“.[11]BGH Urt. v. 26.10.2022 – XII ZR 89/21, BeckRS 2022, 30953 Rn. 24 Die Vorinstanz hingegen stütze sich allerdings noch auf die verbotene Eigenmacht und nahm eine Besitzstörung an, diskutierte aber nicht ob Mitbesitz vorläge oder nicht.[12]OLG Düsseldorf Urt. v. 7.10.2021 – I-20 U 116/20, BeckRS 2021, 35003 Rn. 26

Danach wäre es ausreichend, dass der Besitz durch die Fernsperrung der Wiederauflademöglichkeit lediglich i.S.d. § 858 Abs. 1 BGB gestört und nicht etwa entzogen wird. Grundsätzlich ist eine Besitzstörung die sonstige Beeinträchtigung oder Verhinderung der tatsächlichen Sachherrschaft ohne deren Entzug.[13]MüKoBGB/Schäfer, 8. Aufl. 2020, BGB § 858 Rn. 5

Umstritten ist dabei, ob es ausreicht, dass die Funktionsfähigkeit (aus der Ferne) eingeschränkt wird oder aber es einen physischen Eingriff benötigt. Mithin steht in Frage, wie weit der Besitzbegriff gefasst ist.

a) e.A. (BGH): Bestimmungsgemäße Nutzung

Nach einer Ansicht[14]OLG Düsseldorf Urt. v. 7.10.2021 – I-20 U 116/20, BeckRS 2021, 35003 Rn. 3; i.E.: BGH Urt. v. 26.10.2022 – XII ZR 89/21, BeckRS 2022, 30953 Rn. 19 ist auf die bestimmungsgemäße Nutzung der Sache abzustellen. Insoweit sei die Möglichkeit der Nutzung Bestandteil der tatsächlichen Sachherrschaft und damit des Besitzes.[15]OLG Düsseldorf Urt. v. 7.10.2021 – I-20 U 116/20, BeckRS 2021, 35003 Rn. 32, beck-online Zwar hat der M auch nach der Sperrung der Wiederauflademöglichkeit noch die faktische Sachherrschaft über die Batterie, er kann sie jedoch nicht mehr bestimmungsgemäß nutzen, um sie aufzuladen, in seinem Elektrofahrzeug einzusetzen und sich mit seinem Elektrofahrzeug fortzubewegen.[16]OLG Düsseldorf Urt. v. 7.10.2021 – I-20 U 116/20, BeckRS 2021, 35003 Rn. 31 Eine Besitzstörung läge demnach vor.

b) a.A. (Lit.): Physische Betrachtungsweise

Eine andere Ansicht[17]Strobel NJW 2022, 2361, 2362; Kalin ZfPW 2019, 436, 443 ff.; Fries NJW 2019, 901, 905; Casper/Grimpe ZIP 2022, 661, 663 ff. vertritt die Auffassung, dass für die Frage einer Besitzstörung eine rein physische Betrachtungsweise herangezogen werden müsste. Danach umfasse der Besitz nur den physisch zu verstehenden Herrschaftsbereich, digitale Einwirkungen könnten ihn grundsätzlich nicht tangieren.[18]Strobel NJW 2022, 2361 Rn. 8 Im Raum steht hier allerdings ein eben solche digitale Einwirkung. Eine Besitzstörung wäre danach ausgeschlossen.

c) Stellungnahme

Beide Ansichten kommen zu einem unterschiedlichen Ergebnis. Es ist daher Stellung zu beziehen. Für die erst genannte Ansicht spricht, dass – wie es auch das OLG anführt – auch die Nutzungsmöglichkeit ein Bestandteil der tatsächlichen Sachherrschaft ist. Der digitale Eingriff in die Steuerung der Mietsache – und damit in die Nutzbarkeit – unterscheidet sich insoweit nicht von einem körperlichen Eingriff in eine elektronische oder mechanische Steuerung der Sache.[19]BGH Urt. v. 26.10.2022 – XII ZR 89/21, BeckRS 2022, 30953 Rn. 19 Das Ergebnis sei das gleiche und damit eine Unterscheidung zwischen physischem Eingriff und Ferneingriff nicht begründbar.

Allerdings spricht für die rein physische Betrachtung, dass die Reichweite des Besitzes eine Frage des Sachenrechts ist, welches auf Rechtssicherheit ausgelegt ist; diese aber würde in Abrede gestellt, wenn je nach Einzelfall Fragen der Funktionsweise und Funktionsfähigkeit miteinzubeziehen wären.[20]Strobel NJW 2022, 2361 Rn. 9 Ebenso ist der possessorische Besitzschutz auf Schnelligkeit angelegt ist, was durch die Berücksichtigung der Funktionsweise und -fähigkeit konterkariert werden würde.[21]Strobel NJW 2022, 2361 Rn. 9 Letztlich spricht daher vieles dafür, dass die Frage der Funktionsfähigkeit, einschließlich des Aspekts digital sperrbarer Komponenten, dem Anwendungsbereich schuldrechtlicher Vereinbarungen zu überantworten ist und nicht etwa eine Frage des Besitzschutzes sein sollte.[22]Strobel NJW 2022, 2361 Rn. 9

Mithin ist der reinen physischen Betrachtungsweise zu folgen. Danach liegt eine Besitzstörung, mangels physischem Eingriffs in die Sache, nicht vor.

Anmerkung: Andere Ansicht sehr gut vertretbar
Eine andere Ansicht ist hier sehr gut vertretbar. Nahezu jeder Punkt der vorgenannten Prüfungen ist stark umstritten. Die Literatur scheint eher dazu geneigt zu sein, den Besitz etwas weiter zu betrachten. Der BGH hingegen stellt zumindest auch auf die Nutzbarkeit ab. Sollte man hier dem BGH folgen, so müsste noch Stellung dahingehend bezogen werden, ob ein Mitbesitz vorliegt (s.o.). Diese Frage scheint aber noch umstrittener, insbesondere haben weder der BGH noch das OLG hierzu Stellung bezogen. Ratsam könnte hier also der Weg des geringeren Widerstands sein.

3. Zwischenergebnis

Hinsichtlich der Frage, ob (qualifizierter) Mitbesitz vorliegt ist keine Stellung zu beziehen, da beide Ansichten in ihrer Konsequenz zu dem gleichen Ergebnis führen: Eine Besitzstörung liegt nicht vor.

VI. Ergebnis

Ein Anspruch aus § 862 Abs. 1 S. 1, 2 BGB auf Unterlassung der Sperrung der Wiederauflademöglichkeit

B. Frage 2: Wirksamkeit der Klausel

Fraglich ist hier, ob die von V in seinen allgemeinen Mietbedingungen verwendete Klausel wirksam ist. Hierzu müsste sie einer AGB-Prüfung standhalten.

I. Vorliegen von AGB, §§ 305ff. BGB

Unproblematisch handelt es sich bei den allgemeinen Mietbedingungen des V um AGB i.S.d. §§ 305ff. BGB. Auf die Frage, wie häufig der V diese verwendet hat, kommt es vorliegend nicht an. Bei M handelt es sich um einen Verbraucher und bei V um einen Unternehmer, sodass die §§ 305ff. BGB gem. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB auch dann Anwendung finden, wenn sie nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind.

II. Keine überraschende Klausel, § 305c Abs. 1 BGB

ES dürfte sich bei der Möglichkeit zur Fernabschaltung der Wiederaufladung auch nicht um eine überraschende Klausel i.S.d. § 305c Abs. 1 BGB handeln. Eine Klausel ist dann überraschend, wenn ihr Inhalt von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht und dieser mit ihr nach den Umständen vernünftigerweise nicht zu rechnen brauchte.[23]BGH NJW-RR 2018, 337, 338; Strobel NJW 2022, 2361 Rn. 29 mWn.

Notwendig ist also eine objektiv ungewöhnliche Regelung und ein Element der Überrumpelung. An beidem fehlt es bei einem digitalen Fernzugriff regelmäßig, da die technische Vernetzung von Sachen einschließlich der Möglichkeit einer von außen kommenden Steuerung seit Jahren bekannt ist und auch in der Presse diskutiert wird.[24]Strobel NJW 2022, 2361 Rn. 29 Eine überraschende Klausel i.S.d. § 305c Abs. 1 BGB liegt demnach nicht vor.

III. Unwirksamkeit gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB

Die Klausel könnte hier aber gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam sein. Gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Dabei ist nicht nur auf das gesetzliche Leitbild des konkreten Vertrags abzustellen, sondern es sind auch andere gesetzliche Regelungen und Rechtspositionen der Vertragsparteien zu berücksichtigen.[25]BGH Urt. v. 26.10.2022 – XII ZR 89/21, BeckRS 2022, 30953 Rn. 16

Vernetztes Lernen:Vernetztes Lernen: Prüfungsreihenfolge i.R.d. AGB-Prüfung
Bei der Inhaltskontrolle gilt es folgende Prüfungsreihenfolge zu beachten:

1. § 309 BGB Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit

2. § 308 BGB Klauselverbote mit Wertungsmöglichkeit

3. § 307 II BGB Generalklausel

4. § 307 I BGB Generalklausel

1. Unwirksamkeit wegen verbotener Eigenmacht, § 858 BGB

Eine Abweichung vom Grundgedanken der gesetzlichen Regelung könnte hier dann vorliegen, wenn die Sperrung der Wiederauflademöglichkeit eine verbotene Eigenmacht i.S.d. § 858 BGB darstellt und somit damit eine Abweichung von der gesetzlichen Grundlage, dass das Gewaltmonopol alleinig beim Staat liegt, darstellt. Allerdings liegt eine verbotene Eigenmacht, wie zuvor dargelegt, gerade nicht vor.

2. Einseitige Vertragsgestaltung

Unabhängig der Frage, ob verbotene Eigenmacht vorliegt, könnte die vorstehende Klausel dennoch gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam sein, wenn sie eine einseitige Vertragsgestaltung darstellt, mit der die eine Partei missbräuchlich die eigenen Interessen auf Kosten der anderen Partei durchzusetzen versucht, ohne deren Interessen angemessen zu berücksichtigen.[26]BGH Urt. v. 26.10.2022 – XII ZR 89/21, BeckRS 2022, 30953 Rn. 25

Hierzu ist eine umfassende Interessensabwägung notwendig.

Auf der einen Seite steht das Interesse des V, dass er nach wirksamer Beendigung des Mietvertrags die weitere Nutzung des Mietobjekts unterbinden kann. Denn im Fall der wirksamen Vertragsbeendigung wäre der M nicht mehr zum Besitz der Mietsache berechtigt. Eine von ihm dennoch fortgesetzte Nutzung wäre im Verhältnis der Vertragsparteien rechtswidrig und würde den V insbesondere bei ausbleibenden Mietzahlungen durch Abnutzung des Mietobjekts auch schädigen. Es ist auch nicht schlechthin unzulässig, dass sich eine Vertragspartei die Erfüllung von Ansprüchen im Rahmen der (Rück-)Abwicklung des Vertrags durch tatsächlich (technisch) oder rechtlich ihr günstige Gestaltung sichert. Dies ist auch schon daran ersichtlich, dass die Geltendmachung von Rechten zur Erzwingung der Gegenleistung oder eines Gegenanspruchs für sich genommen nichts Verwerfliches hat. So lässt sich im Rahmen der Einrede des nichterfüllten Vertrags nach § 320 BGB oder dem Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB ebenfalls eine Gegenleistung (zumindest mittelbar) erzwingen.[27]BGH Urt. v. 26.10.2022 – XII ZR 89/21, BeckRS 2022, 30953 Rn. 27

Dem gegenüber steht das Interesse des M, sich die weitere Vertragserfüllung zu sichern. Dieses ist jedenfalls dann als berechtigt anzuerkennen, wenn die Wirksamkeit der Kündigung zwischen den Vertragsparteien streitig ist. Beruft sich etwa der Mieter auf eine Mietminderung oder ein Zurückbehaltungsrecht wegen Mängeln, so läuft er Gefahr, dass der Vermieter ungeachtet dessen die Kündigung erklärt und das Mietobjekt per Fernzugriff sperrt. Die gesetzliche Risikoverteilung beim Mietverhältnis ist allerdings dadurch geprägt, dass der Vermieter aufgrund der Überlassung des Mietobjekts grundsätzlich das Risiko der nach Mietvertragsbeendigung fortgesetzten (Ab-)Nutzung trägt. Der Gesetzgeber hat zum Ausgleich einerseits die Möglichkeit zur Vereinbarung einer Mietkaution oder aber die Möglichkeit zur Geltendmachung eines Anspruches auf Nutzungsentschädigung nach § 546a BGB zugestanden.[28]BGH Urt. v. 26.10.2022 – XII ZR 89/21, BeckRS 2022, 30953 Rn. 28.

Nicht zuletzt handelt es sich bei der Sperrung der Wiederauflademöglichkeit um einen weitreichenden Eingriff in die Rechtssphäre des Mieters. Die hier aufgezeigt Klausel erlaubt einen Zugriff auf die Batterie und mittelbar den Zugriff auch auf das E-Fahrzeug, das für den M infolge der Batteriesperrung nutzlos wird. Mit dem E-Fahrzeug wird damit neben der Batterie ein wesentlich höherwertiger Vermögensbestandteil für ihn unbrauchbar bzw. ein Nutzungsrecht daran entwertet.[29]BGH Urt. v. 26.10.2022 – XII ZR 89/21, BeckRS 2022, 30953 Rn. 29

Letztlich wird bei einem Streit über die Wirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung abweichend von der herkömmlichen Risikoverteilung die Klagelast auf den Mieter abgewälzt. Denn der Mieter muss etwa mit Rechtsverfolgungskosten in Vorleistung treten, um sich die weitere Vertragserfüllung zu sichern.

Der mit der Sperrung einhergehende Ausschluss von der Nutzung der Batterie und folglich auch des E-Fahrzeugs kehrt mit der Klagelast nicht nur das gesetzliche Leitbild um, sondern geht mit seinen Wirkungen über das Mietobjekt wesentlich hinaus. Eine solche Gestaltung lässt sich durch das Interesse des V an der Sicherung gegen den mit der Abnutzung der Batterie nach Vertragsbeendigung verbundenen Vermögensschaden nicht rechtfertigen.[30]BGH Urt. v. 26.10.2022 – XII ZR 89/21, BeckRS 2022, 30953 Rn. 30, 31

Damit benachteiligt die Klausel den M entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Die Klausel ist somit gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam.

Zusatzfragen

Ist eine Einstellung der vom Vermieter vertraglich geschuldeten Versorgung mit Warmwasser und Heizleistungen nach Beendigung eines Mietverhältnisses über Gewerberäume nach Kündigung wegen Zahlungsverzuges des Mieters eine Besitzstörung durch den Vermieter?

Nach einem Urteil des BGH vom 6. 5. 2009 – XII ZR 137/07, NJW 2009, 1947, sind die zur Nutzung des Mietobjekts erforderlichen Energielieferungen nicht Bestandteil des Besitzes und können daher auch nicht Gegenstand des Besitzschutzes nach §§ 858ff. BGB sein.
Eine verbotene Eigenmacht nach §§ 858, 862 BGB setzt voraus, dass in die tatsächliche Sachherrschaft eingegriffen worden ist. Ein Eingriff liegt nur vor, wenn der Besitzer in dem Bestand seiner tatsächlichen Sachherrschaft beeinträchtigt wird. Beim Besitz von Räumen liegt ein Eingriff etwa dann vor, wenn der Zugang des Besitzers zu den Räumen erschwert oder vereitelt wird oder wenn in anderer Form in einer den Besitzer behindernden Weise auf die Mieträume eingewirkt wird.

Das sei bei der Einstellung oder Unterbrechung von Versorgungsleistungen nicht der Fall. Der Zufluss von Versorgungsleistungen kann zwar Voraussetzung für den vertragsgemäßen Gebrauch sein, der nach Beendigung des Vertrags nicht mehr geschuldet wird. Er ist hingegen nicht Bestandteil der tatsächlichen Sachherrschaft als solcher. Die Einstellung der Versorgungsleistungen beeinträchtigt weder den Zugriff des Besitzers auf die Mieträume, noch schränkt sie die sich aus dem bloßen Besitz ergebende Nutzungsmöglichkeit ein.[31]BGH NJW 2009, 1947

Hierin unterscheidet sich nach dem BGH der Fall von dem „Batterie-Fall“, bei dem der BGH ja eine Besitzstörung vertritt. Denn anders als im „Vermieter-Fall“ liegt keine bloße Leistungseinstellung vor, die für sich genommen eine Besitzstörung nicht begründen kann. Hier wird die Sachnutzung stattdessen durch den Zugriff auf die Batterie entgegen der Ausschlussmacht des Besitzers und daher durch eine Besitzbeeinträchtigung, da ja die Nutzungsmöglichkeit eingeschränkt wird, gehindert.[32]BGH Urt. v. 26.10.2022 – XII ZR 89/21, BeckRS 2022, 30953 Rn. 20


Zusammenfassung:
Eine Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die dem Vermieter einer Autobatterie nach außerordentlicher Kündigung des Mietvertrags die Fernsperrung der Auflademöglichkeit erlaubt, ist wegen unangemessener Benachteiligung des Mieters als Verbraucher unwirksam, wenn dieser die Weiterbenutzung der Batterie und seines – gesondert erworbenen, geleasten oder gemieteten – E-Fahrzeugs im Streitfall nur durch gerichtliche Geltendmachung einer weiteren Gebrauchsüberlassung erreichen kann.


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