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Der Widerruf des Aufhebungsvertrags
BAG, Urteil vom 7.2.2019 – 6 AZR 75/18 – BAG NJW 2019, 1966

Sachverhalt

A ist als Reinigungshilfe bei der B beschäftigt. Nachdem sich der A am Morgen des 15. Februar 2016 bei der B krankmeldet, suchte dieser unangekündigt den A gegen 17:00 Uhr in seiner Wohnung auf. Dort öffnet der Sohn des A die Tür und lässt den B herein. Aufgrund seines gesundheitlichen Zustands lag der A noch schlafend im Bett und musste durch seinen Sohn geweckt werden. B legt daraufhin dem A einen Aufhebungsvertrag vor, mit welchem das Arbeitsverhältnis einvernehmlich in sechs Monaten beendet werden sollte. Unter Einfluss von Schmerzmitteln „im Tran“ unterschreibt der A den Aufhebungsvertrag. Mit Schreiben vom 17. Februar 2016 erklärt er jedoch den Widerruf. Er habe sich getäuscht und nicht gewusst, was er dort unterschrieben habe.

Wurde das Arbeitsverhältnis wirksam durch den Aufhebungsvertrag beendet?


Skizze


Gutachten

A. Wirksamer Aufhebungsvertrag

Das Arbeitsverhältnis zwischen A und B wäre wirksam beendet worden, wenn sie am 15. Februar 2016 einen wirksamen Aufhebungsvertrag geschlossen hätten.

I. Einigung

Grundsätzlich kann ein Arbeitsverhältnis durch den Abschluss eines Aufhebungsvertrages, als Ausdruck der Vertragsfreiheit, gem. §§ 311 I, 241 I BGB beendet werden. Dies erfordert jedoch zunächst eine Einigung, also zwei aufeinander bezogene sich ergänzende Willenserklärungen, § 145ff. BGB. A und B einigten sich hier einvernehmlich am 15. Februar 2016 auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Eine Einigung liegt somit zunächst grundsätzlich vor.

Vernetztes Lernen: Wie können Arbeitsverhältnisse noch beendet werden?
– Anfechtung, § 142 I BGB
– Fristablauf, § 620 I BGB
– Auflösende Bedingung, § 158 II BGB
– Ordentliche Kündigung, § 622 BGB
– Außerordentliche Kündigung, § 626 BGB
– Tod des Arbeitnehmers

1. Nichtigkeit gem. § 105 II BGB

Die Willenserklärung des A könnte jedoch gem. § 105 II BGB nichtig sein, sofern er sich bei der Abgabe der Willenserklärung in einem Zustand der Bewusstlosigkeit oder vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit befand.

Umfasst sind dabei nur Fälle erheblicher Bewusstseinstrübung, die das Erkennen von Wesen und Inhalt der abgegebenen Erklärung ausschließt.[1]BeckOK BGB/Wendtland, 54. Ed. 1.5.2020, § 105 Rn. 5; Palandt/Ellenberger Rn. 2. A befand sich hier lediglich „im Tran“. Im Vergleich zur sonstigen Schwelle wie bspw. hochgradiger Trunkenheit, entsprechendem Drogeneinfluss, Fieberdelirium oder Hypnose,[2]BeckOK BGB/Wendtland, § 105 Rn. 5; erscheint dieser Zustand nicht ausreichend um eine Bewusstseinstrübung in der Art anzunehmen, dass sie das Erkennen von Wesen und Inhalt der abgegebenen Erklärung ausschließt. Die Willenserklärung des A ist demnach nicht gem. § 105 II Alt. 2 nichtig.

Anmerkung: Referenz zum eig. Urteil
Im Falle des BAG war der Vortrag der Klägerin in Bezug auf ihren geistigen Zustand bereits nicht substantiiert genug. In jedem Falle sollte man aus klausurtaktischer Perspektive nicht bereits an dieser Stelle die Prüfung verlassen, da sonst maßgebliche Teile der Prüfung abgeschnitten werden würden.

2. Unwirksamkeit gem. § 307 I 1 BGB

Möglich erscheint aber eine Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrages gem. § 307 I 1 BGB wegen unangemessener Benachteiligung. Dafür dürfte die Kontrolle nach § 307 I 1 BGB jedoch nicht nach § 307 III 1 BGB ausgeschlossen sein. Dies ist aber dann der Fall, wenn mit den Bestimmungen nicht von Rechtsvorschriften abgewichen werden oder diese keine ergänzende Regelungen vereinbaren. Formularmäßige Abreden, die Art und Umfang der vertraglichen Hauptleistung und der hierfür zu zahlenden Vergütung unmittelbar bestimmen sind jedoch lediglich Ausdruck der Vertragsfreiheit und unterliegen damit nach § 307 III 1 BGB nicht einer Angemessenheitskontrolle nach § 307 I 1 BGB.[3]BAG NZA 2019, 688 Rn. 27, Rn. 12; BAG NJW 2008, 3372, Rn. 22.

Vernetztes Lernen: Wie ist die Prüfungsreihenfolge bei der AGB-Kontrolle?
1) § 309 BGB –> Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit
2) § 308 BGB –> Klauselverbote mit Wertungsmöglichkeit
3) § 307 II BGB –> Generalklausel
4 )§ 307 I BGB – > Generalklausel

II. Widerruf gem. § 355 I i.V.m. §§ 312g I, 312b I 1 Nr. 1 BGB

Allerdings könnte A den Aufhebungsvertrag wirksam gem. § 355 I 1 BGB widerrufen haben. Dies erfordert einerseits ein Widerrufsrecht und andererseits eine Widerrufserklärung gem. § 355 I 2 BGB. In Frage kommt hier ein Widerrufsrecht wegen eines außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verbrauchervertrags aus §§ 312g I, 312b I 1 Nr. 1 BGB.

1. Verbrauchervertrag i.S.d. § 310 III BGB

Es müsste sich also bei dem Aufhebungsvertrag zwischen A und B um einen Verbrauchervertrag i.S.d. § 310 III BGB handeln. Dies erfordert auf der einen Seite einen Verbraucher i.S.d. § 13 BGB und auf der anderen Seite einen Unternehmer i.S.d. § 14 BGB

a. B ist Unternehmer, § 14 BGB

B ist in seiner Position als Arbeitgeber unzweifelhaft Unternehmer i.S.d. § 14 BGB.

b. A ist Verbraucher, § 13 BGB

Allerdings müsste es sich bei A auch um einen Verbraucher i.S.d. § 13 BGB handeln. Verbraucher ist demnach jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können. Ob ein Arbeitnehmer allerdings überhaupt in seiner Funktion – also sein Arbeitsverhältnis als solches betreffend – Verbraucher i.S.d. § 13 sein kann, wird unterschiedlich beurteilt.

e.A.: Absoluter Verbraucherbegriff

Eine Ansicht vertritt hierbei den absoluten Verbraucherbegriff. Demnach müsse sich an dem Wortlaut des § 13 BGB orientiert werden. Im Rahmen der negativen Abgrenzung geht ein Arbeitnehmer, insbesondere auch bei dem Abschluss eines Aufhebungsvertrages, weder einer gewerblichen noch selbständigen beruflichen Tätigkeit nach. Insofern sei auch der Arbeitnehmer vom Verbraucherbegriff i.S.d. § 13 umfasst. A wäre damit in seiner Funktion als Arbeitnehmer ebenfalls Verbraucher.

a.A.: Relativer Verbraucherbegriff

Eine andere Ansicht vertritt hingegen den relativen Verbraucherbegriff. Aus dem allgemeinen Sprachgebrauch und der Situationsgebundenheit ergebe sich, dass eine Qualifikation als Verbraucher dann erfolgt, wenn eine natürliche Person zur eigenen Bedürfnisbefriedigung Waren kauft, verbraucht oder Dienstleistungen in Anspruch nimmt.[4]jurisPK-BGB/Martinek, 9. Aufl., § 13 Rn. 30; Bauer/Kock, DB 2002, 42, 44. Da A hier einen Aufhebungsvertrag unterschreib und nicht etwa Waren kauft oder Dienstleistungen in Anspruch nimmt, wäre er hier kein Verbraucher i.S.d. § 13 BGB.

Stellungnahme:

Beide Ansichten kommen hier zu einem unterschiedlichen Ergebnis. Zunächst streitet der Wortlaut des § 13 BGB für den absoluten Verbraucherbegriff. Der § 13 grenzt den Verbraucher bewusst negativ ab. Da aber der Arbeitnehmer weder einer gewerblichen noch selbstständigen beruflichen Tätigkeit nachgeht, unterfällt er dem Wortlaut nach dem Verbraucherbegriff. Dem ließe sich zwar der allgemeine Sprachgebrauch entgegenhalten, allerdings steht es dem Gesetzgeber frei, den Rechtsinn vom allgemeinen Sprachgebrauch divergieren zu lassen.[5]Tonikidis/Bohilova, HFR 13/2010, S.2.

Viel mehr streitet aber auch die Systematik für den absoluten Verbraucherbegriff. So zeigt die Stellung des § 13 BGB im allgemeinen Teil des BGB, dass die Vorschriften zunächst auf alle Arten von Rechtsgeschäften Anwendung findet.[6]BAG NJW 2005, 3305; jurisPK-BGB/Martinek, 9. Aufl., § 13 Rn. 33; Tonikidis/Bohilova, HFR 13/2010, S.4. Zwar können im Einzelfall spezielle verbraucherrechtliche Regelungen unanwendbar sein, gleichwohl spricht die Systematik für ein Regel-Ausnahme-Verhältnis.

Letztlich könnte bei einer teleologischen Betrachtung für den relativen Verbraucherbegriff angeführt werden, dass sich für das Arbeitsrecht und das Verbraucherschutzrecht eigenständige abschließende Schutzmechanismen entwickelt hätten, die eine wechselseitige Anwendung ausschließen würden.[7]Tonikidis/Bohilova, HFR 13/2010, S.4; Löwisch, in: Fachanwaltskommentar Arbeitsrecht, 1. Aufl. 2008, § 13 Rn. 1. Allerdings spricht hiergegen die Vergleichbarkeit beider Situationen und Schutzrichtungen. Das Verbraucherschutzrecht will der strukturellen Überlegenheit des Unternehmers über den Verbraucher Herr werden. Nichts anderes ergibt sich für das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, denn auch hier ist im Arbeitsvertragsverhältnis der Arbeitnehmer die unterlegene Partei.[8]BAG NJW 1966, 1625, 1626; Tonikidis/Bohilova, HFR 13/2010, S.4. Aufgrund dieser gleichen Schutzrichtung und der Vergleichbarkeit schließen die Schutzmechanismen sich nicht grundsätzlich aus. Sie ergänzen sich dort, wo es für einen angemessenen Schutz notwendig ist und schließen sie nur dort aus, wo es andernfalls zu einer Systemwidrigkeit führen würde. Mithin wird dem absoluten Verbraucherbegriff gefolgt. A ist Verbraucher i.S.d. § 13 BGB.

2. Außerhalb von Geschäftsräumen, § 312b BGB

Überdies müsste der arbeitsrechtliche Aufhebungsvertrag außerhalb der Geschäftsräume der B geschlossen worden sein. Gem. § 312b I 1 Nr. 1 ist dies dann der Fall, wenn der Vertrag bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers an einem Ort geschlossen wurde, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist. A und B schlossen hier den Vertrag in der Wohnung des A. Dieser gehörte unzweifelhaft nicht zu den Geschäftsräumen der B. Ein Vertragsschluss außerhalb der Geschäftsräume des B i.S.d. § 312b I 1 Nr. 1 BGB liegt vor.

3. Öffnung des Anwendungsbereichs der § 312 ff. BGB

Obgleich A Verbraucher i.S.d. § 13 BGB ist und B Unternehmer i.S.d. § 14, müsste darüber hinaus der Anwendungsbereich der Widerrufsvorschriften gem. § 312 ff. BGB auf einen Aufhebungsvertrag eröffnet sein. Zwar handelt es sich bei einem Aufhebungsvertrag – wie auch zuvor aufgezeigt – um einen Verbrauchervertrag i.S.d. § 310 III BGB, gleichwohl könnten gerade solche Verbraucherverträge nicht von § 312 I BGB umfasst sein, sofern eine Auslegung des Begriffs „entgeltliche Verbraucherverträge“ i.R.d. § 312 ff. dies erfordert.

Für eine Einbeziehung von Aufhebungsverträgen spricht zunächst der Wortlaut und die Systematik. So schließt der Wortlaut des § 312 I BGB keine Arbeits- oder Aufhebungsverträge aus. Vielmehr spricht auch die zum 13. Juni 2014 neu gefasste Überschrift des Untertitels 2 für eine einschränkungslos Einbeziehung aller Verbraucherverträge.[9]BAG NZA 2019, 688, Rn. 14.

Ebenso könnten systematische Überlegungen zunächst für eine Einbeziehung sprechen. Denn der Gesetzgeber hat in den § 312 B II – VI BGB und § 312g II BGB eine möglicherweise abschließende Aufzählung an Ausnahmen normiert, unter welche Aufhebungsverträge nicht fallen.[10]Schulze/Kittel/Pfeffer, ArbRAktuell 2017, 105, 107; Fischinger/Werthmüller, NZA 2016, 193, 195. Allerdings steht dem der gesetzgeberische Wille gegenüber. Denn der § 312 I BGB stellt eine Umsetzung der Verbraucherrichtlinie dar, bei welchem ein Verbrauchervertrag nur dann vorliegt, wenn sich der Unternehmer zur Lieferung einer Ware oder Erbringung einer Dienstleistung und der Verbraucher zur Zahlung eines Entgelts verpflichtet.[11]BAG NZA 2019, 688 Rn. 27. Aufhebungsverträge wären damit nicht umfasst. Dass der Gesetzgeber bei der Umsetzung der Richtlinie den Anwendungsbereich weiter setzen wollte, als es dir Richtlinie vorgibt, ist nicht ersichtlich.[12]BAG NZA 2019, 688 Rn. 27 Insofern bedürfte es bereits keiner Ausnahme, wenn Verbraucherverträge i.S.d. § 312 I BGB bereits Aufhebungsverträge nicht umfasst.[13]BAG NZA 2019, 688 Rn. 27; BeckOK ArbR/Hesse, Stand 1. Dezember 2018, § 620 Rn. 82; Schaub ArbR-HdB/Linck, 17. Aufl., § 122 Rn. 7; a.A.: BeckOGK/Busch, 15.7.2020, § … Continue reading

Allerdings könnten teleologische Überlegungen zu einem anderen Ergebnis führen. Sinn und Zweck der § 312 I i.V.m §§ 312 g I, 312 b I 1 Nr. 1 BGB ist es, denn Verbraucher vor Überrumpelungssituationen zu schützen. Nichts anderes ergibt sich jedoch für den Abschluss eines Aufhebungsvertrages außerhalb der Geschäftsräume des Arbeitgebers. Auch hier besteht die Gefahr der Überraschung und einer psychischen Drucksituation die ein Widerrufsrecht nach §§ 312b, 312g rechtfertigt.[14]BeckOGK/Busch, § 312  Rn. 21; Fischinger/Werthmüller NZA 2016, 193, 194; Staudinger/Thüsing, § 312, Rn. 11. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund der Neuregelung des Verbraucherwiderrufsrechts, mit dem eine Stärkung und Optimierung des Verbraucherschutzes angestrebt wurde.[15]Fischinger/WerthmüllerNZA 2016, 193, 194.

Maßgeblich spricht jedoch gegen eine Anwendbarkeit der § 312ff der mangelnde – obgleich über § 312 I BGB einbezogene – inhaltliche Bezug der Vorschriften des Kapitel 2 auf arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge.[16]BAG NZA 2019, 688 Rn. 20. So lassen sich die in § 312d I 1 BGB i.V.m. Art. 246a EGBGB vorgesehene Informationspflichten nicht sinnvoll auf arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge übertragen. So bezieht sich Art. 246a I Nr. 1 auf Informationspflichten bzgl. wesentlicher Eigenschaften von Waren oder Dienstleistungen und somit auf Kauf- oder Dienstleistungsverträge.[17]BAG NZA 2019, 688 Rn. 22. Genauso leer läuft die Regelung des Art. 246a I Nr. 1 und Nr. 2, die Informationspflichten bzgl. Kontaktdaten und Anschrift des Unternehmers normieren, denn eine solche Pflicht ergibt sich für den Arbeitgeber bereits aus § 2 I 2 Nr. 1 NachwG.[18]BAG NZA 2019, 688 Rn. 22. Letztlich gilt auch nichts anderes für die durch den Widerruf gem. § 312b i.V.m. 355, 357 BGB vorgesehene Rechtsfolge. § 357 BGB bezieht sich nur auf die Rückabwicklung von Verbrauchsgüterkaufverträgen und Verträgen bzgl. Dienstleistungen oder der Lieferung von Wasser, Gas, Strom, Fernwärme oder digitalen Inhalten.[19]BAG NZA 2019, 688 Rn. 22. Es mangelt also an Zuschnitt für arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge. Mithin ist der Anwendungsbereich des § 312 I BGB nicht für arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge eröffnet.

Anmerkung: Klausurtaktische Erwägungen
Selbstverständlich kann hier auch einer anderen Ansicht gefolgt werden. Es sprechen auch viele gute, vielfach in der Literatur vertretene, Argumente für ein Widerrufsrecht. Anzuführen ist hier insbesondere die vergleichbare Druck- und Überrumpelungssituation. Es gilt jedoch zu bedenken, dass man sich in diesem Falle wichtige Punkte der Prüfung abschneidet. Dass kein Widerrufsrecht für den Arbeitnehmer besteht ist durchaus interessant, jedoch ist bei dem Urteil des BAG gerade die Konstellation des „fairen Verhandelns“ in Bezug auf arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge bemerkenswert und neu.
Anmerkung: Entgeltlichkeit der Leistung
Sollte man entgegen dem BAG den Anwendungsbereich der § 312ff. für arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge für eröffnet halten, so müsste weiterhin geprüft werden, ob es sich bei dem Aufhebungsvertrag um eine entgeltliche Leistung des Arbeitgebers handelt. Regelmäßig kann dies angenommen werden, wenn der Arbeitnehmer für das Unterzeichnen eine Abfindung erhält und dafür auf seine Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verzichtet.[20]BAG NZA 2019, 688 Rn. 17; Fischinger/Werthmüller NZA 2016, 193, 194; Staudinger/Thüsing, § 312, Rn. 11. Das BAG zeigt überdies in seinem Urteil, dass selbst wenn keine Abfindung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber vereinbart worden sein sollte, der Begriff der Entgeltlichkeit – – unter Berücksichtigung des Gleichheitssatzes aus Art. 3 I GG – weit zu verstehen ist.[21]BAG NZA 2019, 688 Rn. 17; Bauer/Arnold/Zeh, NZA 2016, 449, 451; Schulze/Kittel/Pfeffer, ArbRAktuell 2017, 105, 106; Kamanabrou, NZA 2016, 919, 920. Andernfalls käme es zu untragbaren Wertungswidersprüchen.
Vernetztes Lernen: Ändert sich etwas, wenn der Aufhebungsvertrag in den Geschäftsräumen des Arbeitgebers geschlossen werden würde?
Grundsätzlich ändert sich nichts. Früher war die Frage, ob auch hier ein Widerrufsrecht aus §§ 312 g I, 312 b I 1 Nr. 1 BGB besteht umstritten. Allerdings sind nun einerseits im § 312 b I 1 Nr. 1 BGB n.F. die Räumlichkeiten des Unternehmers explizit ausgeschlossen und andererseits ist auch nicht die notwendige Überrumpelungssituation gegeben, denn es ist nicht ungewöhnlich oder unerwartbar, dass der Arbeitgeber einen solchen Aufhebungsvertrag in seinen Räumlichkeiten abschließen will.[22]jurisPK-BGB/Martinek, 9. Aufl., § 13 Rn. 33; Fischinger/Werthmüller, NZA 2016, 193, 193.

III. Missachtung des Gebots fairen Verhandelns, § 311 II Nr. 1 i.V.m. § 241 II BGB

Obgleich kein Widerrufsrecht des A besteht, könnte die B vertragliche Nebenpflichten bei der Aufnahme von Vertragsverhandlungen – in der Form des Gebots fairen Verhandelns -, durch die Überrumpelung des A bei sich zuhause, verletzt haben, welche zu einem Anspruch auf Befreiung von dem abgeschlossenen Vertrag führen könnten.

1. Aufnahme von Vertragsverhandlungen

Dazu müssten A und B zunächst Vertragsverhandlungen aufgenommen haben. Umfasst sind dabei alle Formen rechtsgeschäftlicher Kontakte im Vorfeld eines Vertragsabschlusses im weitesten Sinne, die auf einen Vertragsabschluss zielen.[23]BeckOGK/Herresthal, BGB § 311 Rn. 284.

B begab sich in die Wohnung des A mit dem Ziel, einen Aufhebungsvertrag mit diesem abzuschließen. Vor Ort legte diese dem A den Vertrag vor und nahm daher im weitesten Sinne Vertragsverhandlungen auf.

2. Verstoß gegen eine Nebenpflicht – Gebot des fairen Verhandelns

B müsste bei diesen Vertragsverhandlungen gleichwohl auch eine Nebenpflicht verletzt haben. Solche Nebenpflichten sind nach dem Einzelfall zu bestimmen.[24]BAG NZA 2019, 688 Rn. 33. Zwar handelt es sich bei dem Aufhebungsvertrag um ein eigenständiges Rechtsgeschäft, gleichwohl muss zur Bestimmung des Pflichtenkreises das bestehende Arbeitsverhältnis berücksichtigt werden.[25]BAG NZA 2019, 688 Rn. 31. Dieses strahlt somit auf die Verhandlung bzgl. der Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus. Gleichzeitig ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag – und somit auch für die Aufhebungsverhandlungen – das Gebot der wechselseitigen Rücksichtnahme der Interessen der anderen Partei.[26]BAG NZA 2019, 688 Rn. 31. Ein geschütztes Interesse ist hierbei auch die Entscheidungsfreiheit des jeweils anderen.[27]BAG NZA 2019, 688 Rn. 34; BT-Drs. 14/6040 S. 126; Daraus folgt das Gebot des Unterlassens unzulässiger Fremdbestimmung bei der Willensbildung, mithin also das Gebot fairen Verhandelns.[28]BAG NZA 2019, 688 Rn. 34. Ein Verstoß gegen dieses Gebot liegt also dann vor, wenn die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners in zu missbilligender Weise beeinflusst wird.[29]BAG NZA 2019, 688 Rn. 34; Lorenz, JZ 1997, 277, 281 f. In Bezug auf Verhandlungssituationen liegt eine solche missbilligende Einflussnahme dann vor, wenn eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt wird, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwert oder sogar unmöglich macht.[30]BAG NZA 2019, 688 Rn. 34; Lorenz, JZ 1997, 277, 282. In Überrumpelungssituationen ist eine solche psychische Drucksituation symptomatisch. B besuchte den A obgleich er wusste, dass dieser zu diesem Zeitpunkt an gesundheitlichen Problemen litt, die ihm ein Arbeiten unmöglich machte. A konnte dabei nicht damit rechnen, dass B ihn in seiner Privatwohnung aufsuchen würde, geschweige denn, dass er sich dort in Verhandlungen bzgl. der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses begeben müsste. Erschwert wurde ihm diese Einsicht überdies durch den Einfluss der Medikamente. A war folglich in der Situation mit den Ereignissen überrumpelt. Ein legitimes Interesse der B, die Verhandlungen in der Privatwohnung zu führen oder gar zu einem Zeitpunkt in dem A sich in einem krankhaften Zustand befand, ist nicht ersichtlich. B verstieß somit gegen das Gebot des fairen Verhandelns.

3. Rechtsfolge

Fraglich ist allerdings, welche Rechtsfolge der Verstoß gegen diese Nebenpflicht nach sich zieht. Grds. ist bei einem Verstoß gegen vertragliche Nebenpflichten gem. § 280 i.V.m. §§ 249 ff. BGB das negative Interesse zu ersetzen. Dies erfolgt grds. zunächst in der Form der Naturalrestitution gem. § 249 I BGB. Demnach ist der Geschädigte so zu stellen, wie er ohne das schädigende Ereignis stünde. Folglich also wie A ohne Abschluss des Aufhebungsvertrages. Im Wege der Naturalrestitution bedingt dies, dass A einen Anspruch auf Befreiung von dem abgeschlossenen Vertrag hat – im Ergebnis also dazu, dass der Aufhebungsvertrag gem. § 249 I BGB rückgängig gemacht wird.[31]BAG NZA 2019, 688 Rn. 36;  BGH Urteil v. 4. Dezember 2015 – V ZR 142/14 – Rn. 18; BGHZ 205, 117.

B. Ergebnis

Der Aufhebungsvertrag ist aufgrund des Verstoßes gegen das Gebot fairen Verhandelns unwirksam. Das Arbeitsverhältnis wurde demnach nicht wirksam beendet.



Zusatzfragen

Kann ein Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag anfechten?
Nach absolut herrschender Meinung kann ein Arbeitsvertrag, bzw. die notwendige Willenserklärung für die Einigung, nach den § 119 ff. angefochten werden. Relevanz hat dies insbesondere bei der arglistigen Täuschung gem. § 123 I Alt. 1 BGB. Hier ist an die Täuschung des Arbeitnehmers bei dem Bewerbungsgespräch zu denken. Allerdings gilt es hier zu beachten, dass für den Arbeitnehmer ein Recht zur Lüge – welches dann die arglistige Täuschung ausschließt – bestehen kann, soweit der Arbeitgeber eine durch das AGG missbilligte Frage stellt.
Gegen ein solches Recht zur Anfechtung könnte allerdings angeführt werden, dass die ordentliche und außerordentliche Kündigung im Arbeitsrecht spezieller sind. Zu denken ist hier bspw. an die dort geregelten Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates. Gegen diese Spezialität spricht jedoch die unterschiedliche Schutzrichtung. Die §§ 119 ff. BGB schützen die freie Willensbildung bei dem Vertragsschluss, somit auch nur die eigene Willenserklärung. Die Kündigung hingegen ist in die Zukunft gerichtet und umfasst das Rechtsverhältnis als Ganzes. Gerade bei der außerordentlichen Kündigung ist sie oftmals Ausdruck der Zerrüttung des – für die zukünftige notwendigen – Vertrauensverhältnis. Daher bestehen Anfechtung und Kündigung nebeneinander, wenngleich ausnahmsweise die die Anfechtung nicht ex tunc sondern ex nunc wirkt.
Wann ist das Kündigungsschutzgesetzt (KSchG) anwendbar?
Grundsätzlich müssen für die Anwendbarkeit des KSchG zwei Bedingungen erfüllt werden. Zum einen muss der Arbeitgeber gem. § 23 I KSchG regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigen. Die Berechnung kann hier im einzelnen Fall komplizierter ausfallen, als es auf den ersten Blick erscheint. Denn ob ein Arbeitnehmer als „voller“ Arbeitnehmer zählt, hängt mitunter von seiner prozentualen Beschäftigung und Länge der Betriebszugehörigkeit ab. Weiterhin muss das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestehen, § 1 I KSchG. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Berechnung ist der Zugang der Kündigungserklärung.

Zusammenfassung:

1. Nach Ansicht des BAG besteht auch bei Aufhebungsverträgen die außerhalb der Geschäftsräume des Arbeitgebers geschlossen werden kein Widerrufsrecht nach § 355 I i.V.m. §§ 312g I, 312b I 1 Nr. 1 BGB. Denn dabei mangelt es an der Übertragbarkeit der Widerrufsvorschriften auf Aufhebungsverträge.

2. Dennoch muss der Arbeitgeber das Gebot des fairen Verhandelns beachten. Ein Verstoß gegen dieses Gebot liegt dann vor, wenn die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners in zu missbilligender Weise beeinflusst wird. Dies kann auch durch die typischen Überrumpelungssituation, im Gleichklang mit dem Schutzzweck der §§ 312g I, 312b I 1 Nr. 1 BGB, geschehen.

3. Ein Verstoß gegen das Gebot des fairen Verhandelns führt zu einem Anspruch auf Befreiung von dem abgeschlossenen Vertrag hat. Im Ergebnis also dazu, dass der Aufhebungsvertrag gem. § 249 I BGB rückgängig gemacht wird.

4. Vertiefungshinweis: Entgegen der Ansicht der BAG wird in der Literatur dennoch ein Widerrufsrecht angenommen. Dazu in ausführlicher Darstellung: Fischinger/Werthmüller, NZA 2016, 193.


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