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Der vergessene Schlüssel

BGH, Beschl. v. 12.10.2021 − 5 StR 219/21, NStZ 2022, 408

Sachverhalt

Die A hebelte die Tür des Treppenhauses eines Mehrfamilienhauses auf und drang anschließend mit einem passenden Schlüssel in die dauerhaft genutzte Privatwohnung von O ein, wo sie diverse Gegenstände der O entwendete. Den Schlüssel fand sie zuvor auf dem Dachboden des Hauses. Dieser Schlüssel wurde dort von dem Ex-Freund der A deponiert für den Fall, dass er sich aussperren würde.  Hiervon hatte A Kenntnis, da Sie zuvor den Schlüssel bereits öfter genutzt hatte, als sie noch mit ihm zusammen war. Dieser wurde dort von ihm vergessen und O hatte diesbezüglich keine Kenntnis. Der Ex-Freund zog aus der besagten Wohnung aus. Ob der Wohnungsvermieter von der Existenz dieses Schlüssels Kenntnis hatte, ist ungeklärt.

Strafbarkeit der A?


Skizze


Gutachten

Strafbarkeit gem. § 244 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 StGB

A könnte sich wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 StGB strafbar gemacht haben, indem sie mit dem auf dem Dachboden gefundenen Schlüssel in die Privatwohnung der O eindrang und dort diverse Gegenstände an sich nahm. 

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand
a) Grunddelikt § 242 Abs. 1 StGB

Zunächst müsste A das Grunddelikt des § 242 Abs. 1 StGB erfüllt haben. Die diversen Gegenstände standen im Eigentum der O und waren für A fremde körperliche Gegenstände im Sinne des § 90 BGB, welche sie tatsächlich zum Zwecke des Diebstahls fortschaffen konnte, sodass es sich hierbei um fremde bewegliche Sachen handelte. Diese fremden beweglichen Sachen hat A gegen den Willen der O in ihre Gewahrsamssphäre verbracht, sodass sie diese wegnahm. Das Grunddelikt ist erfüllt. 

Anmerkung: Gutachtenstil
Hier lest ihr den verkürzten Gutachtenstil. Möglich wäre es hier auch den Urteilsstil anzuwenden, da das Grunddelikt eindeutig verwirklicht wurde. Gerade im Ersten Staatsexamen ist es jedoch wichtig, den Gutachtenstil zu beherrschen. Mit dem Urteilsstil sollte sparsam umgegangen werden. Lieber an einer solchen Stelle den verkürzten Gutachtenstil verwenden. Dies gilt ums so mehr, wenn es – wie hier – das erste ist, was der Prüfer liest.
b) Qualifikation § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB

A müsste zum Zwecke des Diebstahls in eine Wohnung eingebrochen oder mit einem falschen Schlüssel oder einem anderen nicht zur ordnungsgemäßen Öffnung bestimmten Werkzeug eingedrungen sein, vgl. § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB

aa) Wohnung

Die Mietwohnung der O stellt Räumlichkeiten dar, die bestimmungsgemäß zur Unterkunft von Menschen dient, sodass eine Wohnung im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB gegeben ist. 

Vernetztes Lernen: Erfüllt der Einbruch in die Wohnung eines Verstorbenen ebenfalls einen Qualifikationstatbestand?
Fraglich ist, ob die Wohnung eines Verstorbenen weiterhin als Wohnung zu verstehen ist oder ob sie dadurch, dass jemand verstirbt, die Wohnungseigenschaft verloren geht, da sie niemanden mehr als Unterkunft dient. Laut des BGH verliert die Wohnung diese Eigenschaft nicht allein durch den Tod des Bewohners. Begründet wird dies insbesondere mit dem Wortlaut. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch wird eine Wohnung nicht durch ihren tatsächlichen Gebrauch als Wohnung verstanden, sondern gemäß ihres Zweckes. Ob diese zur Tatzeit benutzt wird, ist für das Vorliegen der Wohnung i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB unerheblich. 

Zur weiteren Vertiefung vgl. Einbruch bei Toten von Antonia Cohrs vom 22. Januar 2020

bb) Einbruch in eine Wohnung 

Indem A die Eingangstür aufhebelte, könnte sie in eine Wohnung eingebrochen sein. Einbrechen bezeichnet das gewaltsame Öffnen von Umschließungen, die ein tatsächliches Hindernis bilden und insoweit dem Eintritt in den umschlossenen Raum entgegenstehen.[1]Rengier, StrafR BT I, 24. Aufl. 2022, § 3 Rdn. 13; Lackner/Kühl, 30. Auflage 2023, § 243 Rdn. 10. Eine Tür stellt ein tatsächliches Hindernis dar, welche dem Eintritt in den Raum entgegensteht. Dieses Hindernis hat A durch das Aufheben, und damit mit Gewalt, überwunden. Sie muss allerdings auch in die Wohnung eingebrochen sein. Das Aufhebeln erfolgte jedoch vielmehr an der Haustür des Mehrfamilienhauses und ist damit nur in das Treppenhaus eingebrochen. Dieses stellt keine Wohnung dar.[2]BGH Beschl. v. 5.9.2017 – 5 StR 361/17, NStZ-RR 2018, 14 (15). Die Wohnung selbst öffnete A mit einem Schlüssel, sodass sie in diese gerade nicht einbrach. Für die Qualifikation des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB bedarf es eines unmittelbares Einbruches in die Wohnung selbst, ein Einbrechen in einen Vorraum genügt hierfür nicht. Demnach ist A nicht in eine Wohnung eingebrochen. 

cc) Mit einem falschen Schlüssel eingedrungen

A könnte jedoch mit einem falschen Schlüssel in eine Wohnung eingedrungen sein, indem sie die Wohnungstür mit dem durch ihren Ex-Freund auf dem Dachboden deponierten Schlüssel aufschloss. Hierfür müsste der passende Schlüssel zur Wohnungstür falsch gewesen sein. Falsch ist jeder Schlüssel, dem zum Tatzeitpunkt die Widmung des Berechtigten zum Öffnen des Schlosses fehlt bzw. der hierzu nicht ausdrücklich oder konkludent bestimmt ist, den also der Berechtigte nicht oder nicht mehr als Zubehör des betreffenden Verschlusses betrachtet.[3]BGHSt 65, 194 = NJW 2021, 1107 = JuS 2021, 370 (Hecker); Schönke/Schröder/Bosch, 30. Aufl. 2019, StGB § 243 Rn. 14; Rengier StrafR BT I, 23. Aufl. 2021, § 3 Rn. 16; Wessels/Hillenkamp/Schuhr … Continue reading Eine Widmung durch die O kommt hier nicht in Betracht, da diese keine Kenntnis von dem auf dem Dachboden deponierten Schlüssel hatte. 

Zu fragen ist, ob eine mögliche Kenntnis des Vermieters oder die des vorherigen Mieters für die Beurteilung der Richtigkeit bzw. Falschheit des Schlüssel relevant ist. Damit einher geht die Frage, wer zur Widmung des Schlüssels befugt ist. Gemäß § 535 Abs. 1 S. 1 BGB ist der Vermieter verpflichtet dem Mieter den Gebrauch der Mietsache zu überlassen. Durch die Vermietung einer Wohnung einschließlich der Übergabe der Wohnungsschlüssel wird zumindest konkludent zum Ausdruck gebracht, dass nunmehr nur noch die im Besitz des Mieters befindlichen Schlüssel zur ordnungsgemäßen Öffnung der Wohnung bestimmt sind, außer der Vermieter behält mit Kenntnis des Mieters vereinbarungsgemäß einen weiteren Schlüssel. Im BGB ist kein Anspruch auf Zutritt des Vermieters in die Mietwohnung eingeräumt, vielmehr bestimmt nunmehr allein der Mieter über die Zutrittsbefugnis zur Wohnung. Damit ist auch im Hinblick auf § 244 StGB nur der Mieter berechtigt, dem durch Mietvertrag der Gebrauch der Mietsache überlassen war, nicht der Vermieter.[4]vgl. BGH, Urteil vom 24. Februar 1959 – 5 StR 668/58, BGHSt 13, 15, 16; RGSt 53, 101, 102 

Zur ordnungsgemäßen Öffnung des Wohnungstürschlosses der O bestimmt waren deshalb nur die der Mieterin übergebenen und ihr bekannten Schlüssel.[5]so auch der BGH in der vorliegenden Entscheidung, vlg. BGH, Beschl. v. 12.10.2021 − 5 StR 219/21 Behält ein Vermieter einen Schlüssel ohne Wissen des Mieters zurück, wird dieser durch die Vermietung der Wohnung entwidmet und damit „falsch“. Gleiches gilt, wenn der Vermieter selbst keine Kenntnis mehr von der Existenz eines weiteren Wohnungsschlüssels hat.

Vernetztes Lernen: Ist ein verlorener Schlüssel falsch?
Hier ist der Unterschied zwischen einem tatsächlich falschen bzw. „nachgemachten“ Schlüssel und einem eigentlich „richtigen“ Schlüssel zu unterscheiden. Im ersten Fall fehlt es am Widmungsakt des Berechtigten, sodass der Schlüssel falsch ist. Im zweiten Fall hat es eigentlich den Widmungsakt gegeben, sodass dieser als „richtig“ anzusehen ist. Allein die Entwendung eines solchen Schlüssels oder dessen Verlust macht den Schlüssel noch nicht „falsch“. Ein missbräuchlich verwendeter Schlüssel wird erst dann zu einem falschen Öffnungsinstrument, wenn der Berechtigte diesem die Bestimmung zur ordnungsgemäßen Öffnung des Raumes in Form einer nach außen hervorgetretenen Willensentschließung entzogen hat (sog. Entwidmung). Dies ist nur der Fall, wenn er zum Tatzeitpunkt das Abhandenkommen des Schlüssels bereits bemerkt hatte, wobei sich aus der Entdeckung des endgültigen Verlusts des abhanden gekommenen Schlüssels regelmäßig zugleich der konkludente Wille zur Entwidmung ergibt.[6]Vgl.Hecker, JuS 2022, 275 mWN.

Demnach ist der Schlüssel auf dem Dachboden nicht durch O gewidmet und damit falsch.

2. Subjektiver Tatbestand

A handelte bezüglich aller Tatbestandmerkmale mit Wissen und Wollen und damit vorsätzlich. Die eingesteckte Beute wollte sie dabei für sich behalten oder verwerten, sodass sie sich zumindest vorübergehend eine eigentümerähnliche Stellung anmaßen und dabei den Eigentümer vollständig aus seiner Eigentümerstellung verdrängen wollte und damit Aneignungsabsicht und Vorsatz bezüglich einer Enteignung hatte. Einen fälligen und einredefreien Anspruch hierauf hatte sie nicht, sodass die Zueignung auch rechtswidrig war. A handelte damit auch mit Zueignungsabsicht.

A handelte auch bezüglich aller Qualifikationsmerkmale vorsätzlich, insbesondere wusste Sie, dass ihr Ex-Partner nicht mehr die Wohnung bewohnt und damit das der Schlüssel nicht mehr zur Öffnung bestimmt gewesen ist. 

II. Rechtswidrigkeit und Schuld 

A handelte rechtswidrig und schuldhaft. 

III.Qualifikation gem. § 244 IV StGB

Weiter kommt eine Qualifikation nach § 244 Abs. 4 StGB in Betracht, wenn es sich bei der Wohnung auch um eine Privatwohnung handelte. Unter Privatwohnung sind Räumlichkeiten zu verstehen, die Wohnungen sind und darüber hinaus dauerhaft zu privaten Wohnzwecken genutzt werden. Die O hat dauerhaft ihren Lebensmittelpunkt in der Mietwohnung, sodass sie dort zu privaten Wohnwecken dauerhaft ihre Unterkunft hat. 

Damit ist der Diebstahl auch nach § 244 Abs. 4 StGB qualifiziert. 

C. Ergebnis 

A hat sich wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 StGB strafbar gemacht. 


Zusatzfragen

Assessorexamen: 1. Angeklagt wurde A wegen eines Wohnungseinbruchsdiebstahls in der Variante des „Einbrechens“, da sie die Tür des Mehrfamilienhauses aufhebelte. Das Gericht möchte A nun jedoch verurteilen wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls mittels Eindringen mit einem falschen Schlüssel, ist das möglich?
Der Annahme einer anderen als der angeklagten Variante des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB steht § 265
StPO nicht entgegen, denn der geständige Angekl. hätte sich insoweit nicht wirksamer als geschehen verteidigen können.
2. Klimakleber der Letzten Generation legen Hamburg lahm, indem sie neben einer geplanten Vollsperrung des Elbtunnels eine Blockade der Elbbrücke durch sich selbst ankleben auf der Straße verursachen. Solche Aktionen häufen sich und sind sehr medienprächtig. Die Staatsanwältin S prüft nun eine mögliche Strafbarkeit der Aktivisten. Nach dem Gewicht der Taten ist eine Freiheitsstrafe von über vier Jahren nach der gängigen Praxis unwahrscheinlich. Sie möchte jedoch gerne vor dem Landgericht Hamburg anklagen, ist das möglich?
Die Zuständigkeiten der Gerichte sind in den §§ 24 ff., 74 GVG geregelt. Danach ist das Amtsgericht bei Vergehen zuständig, bei welchen keine höhere Strafe als vier Jahre Freiheitsstrafe zu erwarten ist. In dem oben geschilderten Fall kommt insbesondere die Nötigung nach § 240 StGB in Betracht, welche ein Vergehen darstellt. Aufgrund der gängigen Praxis ist zudem keine Strafe über vier Jahren zu erwarten, sodass grundsätzlich nach §§ 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 74 Abs. 1 S. 1 GVG das Amtsgericht Hamburg das zuständige Gericht wäre. Nach § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GVG besteht jedoch die Möglichkeit, wegen der besonderen Bedeutung des Falles Anklage beim Landgericht einzureichen. Das ist die sog. bewegliche Zuständigkeit. Zu fragen wäre dabei, ob ein solcher besonderer Fall hier vorliegt. Diese Zuständigkeit ist anzunehmen, wenn aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen der Fall aus der Masse der durchschnittlichen Verfahren herauszuheben ist.[7]Meyer-Goßner/Schmitt, GVG, 65. Aufl. 2022, § 24 Rn. 8. Aufgrund der Vielzahl an Verstößen und immer wieder lauter werdenden Stimmen gegen diese Bewegung ist eine solche Annahme grds. möglich, jedoch nicht zwingend und liegt im Ermessen der Staatsanwältin. Hält das Landgericht sodann das Amtsgericht für zuständig, so kann es nach § 209 Abs. 1 StPO das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht eröffnen, welches wiederum an diese Entscheidung gebunden ist.

Zusammenfassung

1. Ein Schlüssel ist im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB „falsch“, wenn ihm im Tatzeitpunkt die Widmung des Berechtigten zum Öffnen des Schlosses fehlt.

2. Die Berechtigung im Hinblick auf einen Mietwohnungsschlüssel hat nur der aktuelle Mieter inne, der Vermieter ist kein Berechtigter. 

3. Durch die Vermietung einer Wohnung einschließlich der Übergabe der Wohnungsschlüssel wird zumindest konkludent zum Ausdruck gebracht, dass nunmehr nur noch die im Besitz des Mieters befindlichen Schlüssel zur ordnungsgemäßen Öffnung der Wohnung bestimmt sind. Zur ordnungsgemäßen Öffnung des Türschlosses einer vermieteten Wohnung bestimmt sind deshalb nur die dem Mieter übergebenen und ihm bekannten Schlüssel.

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