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Der um-sich-schlagende Täter

BGH, Urteil vom 14.01.2021 – 4 StR 95/20NJW 2021, 795

Sachverhalt

A schlägt mit einem Hammer in Richtung der X und ihrer direkt hinter ihr stehenden Schwester Y. Dabei hält A es für möglich und nahm es billigend in Kauf, dass der Hammer sowohl X als auch Y verletzen könnte. Davon, dass bei dem Schlag beide getroffen werden könnten, geht A jedoch nicht aus. X und Y wichen dem Schlag so geschickt aus, dass der Hammer die Y nur leicht am Kopf trifft. Sie erleidet eine leichte Schnittwunde an der Stirn. X bleibt dabei unversehrt.

Wie hat sich A strafbar gemacht?

Skizze

Gutachten

A. Strafbarkeit der A gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB zu Lasten der Y

A könnte sich wegen einer gefährlichen Körperverletzung gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB strafbar gemacht haben, indem sie die Y mit dem Hammer am Kopf traf und diese dabei eine leichte Schnittwunde davontrug.

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a) Körperliche Misshandlung oder Gesundheitsschädigung

Die Verletzung am Kopf der Y müsste eine körperliche Misshandlung oder Gesundheitsschädigung sein. Eine körperliche Misshandlung ist jede üble und unangemessene Behandlung, die das Wohlbefinden nicht nur unerheblich beeinträchtigt. Unter einer Gesundheitsschädigung versteht man das Hervorrufen oder Steigern eines negativ abweichenden (krankhafter) Zustand vom Normalzustand.[1]Rengier, Strafrecht BT II, 22. Aufl. 2021, § 13 Rn. 9, 16. Indem A die Y mit einem Hammer am Kopf traf, behandelte sie sie üble und unangemessen. Eine Kopfverletzung, auch wenn diese nur leicht ist, stellt eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des Wohlbefindens der Y dar, sodass eine körperliche Misshandlung vorliegt. Die Verletzung als solche stellt auch ein krankhaften Zustand da, da Y eine Schnittwunde davontrug. Somit wurde ein krankhafter Zustand hervorgerufen. Mithin liegt auch eine Gesundheitsschädigung vor.

b) Kausalität

Der Schlag mit dem Hammer kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass der konkrete Verletzungserfolg in Form der Schnittwunde entfiele, sodass der Schlag kausal für die Verletzung der Y ist.

c) Objektive Zurechnung

Das Ausholen und Zuschlagen mit dem Hammer schuf die rechtlich missbilligte Gefahr einer Verletzung, welche sich in tatbestandskonformer Weise in der Schnittwunde der Y realisiert hat, sodass der Erfolg der A auch objektiv zurechenbar ist.

d) Qualifikation: § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB

Weiterhin könnte bei dem Schlag mit dem Hammer die Qualifikation gem. § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB verwirklicht worden sein. Dafür müsste der Hammer ein anderes gefährliches Werkzeug sein. Ein gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 StGB ist jeder körperliche Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und der Art seiner Benutzung im konkreten Fall erhebliche Verletzung hervorrufen kann.[2]Rengier, Strafrecht BT II, 22. Aufl. 2021, § 14 Rn. 27. Der Hammer ist objektiv dazu geeignet, erhebliche Verletzung herbeiführen. Auch in der Art, wie A ihn verwendet – und zwar, indem sie zu einem Schlag mit dem Hammer ausholte – unterstützt die objektive Gefährlichkeit des Gegenstandes, da mit dem Hammer das Verletzungsrisiko des Schlages erhöht wird. Mithin stellt der Hammer ein gefährliches Werkzeug dar.

2. Subjektiver Tatbestand

A müsste zudem vorsätzlich gehandelt haben. Vorsatz ist der Wille zur Verwirklichung des Tatbestandes in Kenntnis aller objektiven Tatbestandsmerkmale zum Tatzeitpunkt. Der Verletzungserfolg der Körperverletzung wurde von A zwar nicht absichtlich herbeigeführt, jedoch billigend in Kauf genommen. Daher kommt ein Eventualvorsatz in Betracht. Hierbei hält der Täter die Tatbestandsverwirklichung für möglich und findet sich mit dem Erfolgseintritt ab bzw. nimmt die Erfüllung des Tatbestandes billigend in Kauf.[3]Rengier, Strafrecht AT, 12. Aufl. 2020, § 14 Rn. 10. A hielt es für möglich entweder X oder Y mit ihrem Schlag zu verletzen, dabei billigte sie den Erfolgseintritt bei Y, sodass sie mit bedingtem Vorsatz handelte. Bzgl. der Verwendung eines Hammers als gefährliches Werkzeug handelte A wissentlich und somit vorsätzlich.

II. Rechtswidrigkeit und Schuld

Es sind keine Rechtfertigungsgründe ersichtlich. Zudem sind keine Schuldausschließungs- oder Entschuldigungsgründe einschlägig, sodass A rechtswidrig und schuldhaft handelte.

III. Ergebnis

A hat sich wegen einer gefährlichen Körperverletzung zu Lasten der Y gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB strafbar gemacht.

B. Strafbarkeit der A gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2, II, 22, 22 StGB zu Lasten der X

A könnte sich wegen einer versuchten gefährlichen Körperverletzung gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2, II, 22, 23 StGB strafbar gemacht haben, indem sie mit dem Hammer zum Schlag ausholte, dabei die X jedoch verfehlte.

0. Vorprüfung

1. Nichtvollendung

Der Schlag mit dem Hammer traf die X nicht, sodass die gefährliche Körperverletzung nicht vollendet ist.

2. Versuchsstrafbarkeit

Die Versuchsstrafbarkeit folgt aus §§ 223 II, 224 II, 23 I StGB.

I. Tatbestand

1. Tatentschluss

A müsste mit Tatentschluss gehandelt haben. Dieser umfasst den auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale gerichteten Vorsatz sowie die sonstigen subjektiven Tatbestandsmerkmale.  

a) Grunddelikt

A hielt es für möglich und nahm es billigend in Kauf, dass die X mit dem Hammer getroffen und in diesem Zuge verletzt wird. Jedoch wollte A nur einen der beiden möglichen Opfer treffen. Sie wusste, dass sie nur einen der beiden Körperverletzungserfolge realisieren konnte. Fraglich ist daher, ob es für die Annahme des Vorsatzes schädlich ist, dass A den Eintritt des Körperverletzungserfolges sowohl bei X als auch bei Y für möglich hielt, nicht aber bei beiden. Ein Fall des dolus cumulativus liegt hier nicht vor, da sich der Vorsatz der A nicht darauf erstreckt, durch eine Handlung mehre Tatbestände zu verwirklichen. Vielmehr geht A davon aus, dass nur ein Körperverletzungserfolg eintreten wird.

Vernetztes Lernen: Was ist der dolus cumulativus?

Der dolus cumulativus erfasst die Fallkonstellationen, in denen sich der Tätervorsatz kumulativ darauf erstreckt, durch eine Handlung mehrere Tatbestände und mehrere Erfolge nebeneinander zu verwirklichen. Der Täter wird wegen tateinheitlicher Begehung aller vom Vorsatz umfassten und verwirklichten, ggf. auch bloß versuchten, Tatbestände bestraft.[4]Vgl. Rengier, Strafrecht AT, 12. Aufl. 2020, § 14 Rn. 54.

In Abgrenzung zum dolus alternativus heißt das: Der Täter rechnet mit mehreren deliktischen Möglichkeiten: entweder kann nach seiner Vorstellung neben dem primär gewollten Erfolg ein weiterer Erfolg eintreten (Fall des dolus cumulativis: neben einer gewollten Körperverletzung kann noch eine Sachbeschädigung gegeben sein) oder anstellte des beabsichtigten Erfolges tritt ein anderer ein (Fall des dolus alternativius: Der Steinwurf kann einen Menschen verletzten oder eine Sache beschädigen).[5]Sternberg-Lieben/Schuster, in: Schönke/Schröder StGB, 30. Aufl. 20219 § 15 Rn. 90.

Es könnte wohlmöglich ein sog. Alternativvorsatz vorliegen, bei dem die Rechtsfolgen umstritten sind. Der Alternativvorsatz liegt vor, wenn der Täter bei der Vornahme einer bestimmten Handlung nicht sicher weiß, ob er dadurch von zwei sich gegenseitig ausschließenden Tatbeständen oder Erfolgen den einen oder den anderen verwirklicht, jedoch beide Möglichkeiten in Kauf nimmt.[6]Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 50. Aufl. 2020, § 7 Rn. 348. A wusste, dass sie mit einem Hammerschlag nicht sowohl X als auch Y verletzten wird, nahm jedoch beide Verletzungserfolge für sich genommen billigend in Kauf, sodass im konkreten Fall von einem Alternativvorsatz der A auszugehen ist.

Welche Auswirkungen der Alternativvorsatz auf das Vorliegen des Vorsatzes hat, ist jedoch umstritten.

Eine Ansicht möchte nur den Vorsatz hinsichtlich des schwersten Delikts strafrechtlich erfasst sehen.[7]Kühl, in: Lackner/Kühl, 29. Aufl. 2018, § 15 Rn. 29 m.w.N. Demnach wäre A nur wegen der gefährlichen Körperverletzung an Y zu bestrafen und die versuchte Tat zu Lasten der X wäre straffrei.

Eine andere Ansicht hält den Vorsatz für „verbraucht“ und will daher nur aus dem vollendeten Delikt bestrafen.[8]Zaczyk, in: NK-StGB, 5. Aufl. 2017, § 22 Rn. 20. Auch nach dieser Auffassung wäre A nur wegen der vollendeten gefährlichen Körperverletzung zu Lasten der Y zu bestrafen.

Eine weitere Ansicht bejaht den Tatentschluss für alle in Rede stehenden Delikte und löst das Problem auf Ebene der Konkurrenz.[9]BGH NJW 2021, 795 Rn. 9; Sternberg-Lieben/Schuster, in: Schönke/Schröder StGB, 30. Aufl. 2019, § 15 Rn. 91; Rengier, Strafrecht AT, 12. Aufl. 2020, § 14 Rn. 58; Böhm, FD-StrafR 2021, 436217. Demnach schadet das Vorliegen eines Alternativvorsatzes der Annahme des Tatentschlusses bzgl. der versuchten gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil der X nicht und A handelte mit Tatentschluss.

Da die Ansichten zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, ist eine Stellungnahme erforderlich.

Gegen die Ansicht, das schwerste Delikt zu bestrafen, spricht, dass es zu befremdlichen Ergebnis führen kann, wenn nur die versuchte Strafbarkeit bestraft wird, weil es das schwerere Delikt beinhaltet, anstelle der tatsächlich verwirklichten und geplanten Tat.[10]Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 50. Aufl. 2020, § 7 Rn. 350; Rengier, Strafrecht AT, 12. Aufl. 2020, § 14 Rn. 60. Ebenso wenig kann die zweite Ansicht überzeugen, da der Rechtsgüterschutz erheblich eingeengt werden würde, wenn nur das vollendete Delikt bestraft werden würde, obwohl die Versuchsstrafbarkeit wohlmöglich ein schwereres Unrecht enthält.[11]Böhm, FD-StrafR 2021, 436217; Rengier, Strafrecht AT, 12. Aufl. 2020, § 14 Rn. 59. Jedoch ist auch die von der h.M. vertretenen Ansicht erheblichen Bedenken ausgesetzt. Zum einen führt die Lösung auf Konkurrenzebene dazu, dass der Unterschied zwischen dolus cumulativis und dolus alternativus verschwimmt.[12]Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 50. Aufl. 2020, § 7 Rn. 350. Zum anderen werden dem Täter zwei Vorsatztaten zur Last gelegt, obwohl er nur auf eine Rechtsgutsverletzung abzielt.[13]Vgl. dazu Böhm, FD-StrafR 2021, 436217. Dennoch ist die h.M. die einzige Ansicht, die den Täterwillen und die verwirklichte Tatschuld eindeutig abzubilden vermag.[14]BGH NJW 2021, 795 Rn. 14; Böhm, FD-StrafR 2021, 436217. Zudem erstreckt sich der subjektive Tatbestand tatsächlich auf mehrere Rechtsgutsverletzung und der Täter verstößt mit seiner Handlung gegen zwei Normen.[15]Vgl. Rengier, Strafrecht AT, 12. Aufl. 2020, § 14 Rn. 61; Böhm, FD-StrafR 2021, 436217. Dies kommt nur zum Ausdruck, wenn der Vorsatz bzgl. aller in Rede stehenden Delikte bejaht wird und unbillige Ergebnisse und Widersprüche auf Ebene der Konkurrenz gelöst werden.[16]Vgl. BGH NJW 2021, 795 Rn. 14; Böhm, FD-StrafR 2021, 436217. Auch wenn A davon ausging, nur einen Tatbestandserfolg zu verwirklichen, hat sie eine größere Schuld begangen als derjenige, der nur einen einfachen Vorsatz aufweist. Dieser Schuldgehalt kann erst durch eine tateinheitliche Verwirklichung wegen vollendeter und versuchter gefährlicher Körperverletzung ausreichend abgebildet werden. Daher ist eine Verurteilung wegen tateinheitlicher Begehung der vollendeten und versuchten gefährlichen Körperverletzung schuldangemessen.[17]Vgl. BGH NJW 2021, 795 Rn. 14.

Da die Argumente für die letztgenannte Ansicht überzeugen, handelte A mit zwei ihr zurechenbaren bedingten Körperverletzungsvorsätzen. Daher lagt bedingter Vorsatz bzgl. der Körperverletzung der X vor, sodass A mit Tatentschluss handelte.

b) Qualifikation

Bzgl. des gefährlichen Werkzeuges handelte A ebenfalls vorsätzlich, sodass sie mit Tatentschluss handelte.

2. Unmittelbares Ansetzen

In dem Moment, indem A mit dem Hammer zum Schlag ausholte und zuschlug, überschritt sie die Schwelle zum „Jetzt-geht’s-los“ und nach ihrer Vorstellung benötigte es keine weiteren wesentlichen Zwischenakte zur Verwirklichung des Tatbestands. Daher hat A unmittelbar zur Tat angesetzt.

II. Rechtwidrigkeit und Schuld

Es sind keine Rechtfertigungsgründe ersichtlich, sodass A rechtswidrig handelte. Zudem sind keine Schuldausschließungs- oder Entschuldigungsgründe einschlägig, sodass A schuldhaft handelte.

III. Kein Rücktritt

A ist nicht vom Versuch zurückgetreten.

IV. Ergebnis

A hat sich wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zu Lasten der X gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2, II, 22, 23 StGB strafbar gemacht.

C. Konkurrenz

Da der letztgenannten Ansicht bei der Behandlung des Alternativvorsatzes gefolgt wird, ist die Vorsatzproblematik auf Konkurrenzebene zu lösen. A hat durch den Schlag mit dem Hammer sowohl die vollendete als auch die versuchte gefährliche Körperverletzung vorsätzlich verwirklicht. Da vorliegend durch eine Handlung gegen mehrere Strafgesetze verstoßen wurde, ist eine Handlung im natürlichen Sinne gegeben. Die vollendete und versuchte gefährliche Körperverletzung stehen daher in Tateinheit gem. § 52 StGB zueinander.

Vorliegend tritt keines der Delikte aus Gründen der Gesetzeskonkurrenz zurück. Vielmehr ist hier von einer Idealkonkurrenz auszugehen. Eine solche ist bei gleichartiger Tateinheit anzunehmen, wenn durch eine Handlung derselbe Tatbestand mehrfach verwirklicht und dabei höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Rechtsgutsträger verletzt wurden.[18]BGH NJW 2021, 795 Rn. 13.

Vernetztes Lernen: Wie ist die Rechtsfolge bei Vorliegen einer Idealkonkurrenz?

Die Rechtsfolge richtet sich nach dem eingeschränkten Absorptionsprinzip: Die Strafe wird nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht; sie darf aber nicht milder sein, als die anderen anwendbaren Gesetzes dies zulassen (§ 52 II StGB). Es wird also nur eine Strafe aus einem Gesetz verhängt.[19]Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 50. Aufl. 2020, § 20 Rn. 1287.

Anmerkung
In seinem Urteil lässt der BGH offen, ob diese Art der Lösung auf der Konkurrenzebene für alle Fälle des Alternativvorsatzes gilt. Teile in der Literatur fordern in bestimmten Konstellationen, dass das versuchte Delikt konsumiert wird.[20]Siehe dazu BGH NJW 2021, 795 Rn. 15.

Beispielsweise soll in den Fällen, in denen es sich um Tatbestände mit annähernd gleicher Schutzrichtung und Tatschwere (bspw. § 292 I Nr. 2 zu § 242 StGB) handelt, nur wegen des objektiv verwirklichten Delikt bestraft werden und die Versuchsstrafbarkeit bzgl. des anderen Delikts als abgegolten gelten.[21]Siehe dazu Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 50. Aufl. 2020, § 7 Rn. 351.

Vernetztes Lernen: Welche Formen der Konkurrenz kennen wir?

Echte Konkurrenz bei Tateinheit § 52 StGB: Eine Idealkonkurrenz liegt vor, wenn durch dieselbe Handlung des Täters mehrere Strafgesetze oder dasselbe Gesetz durch sie mehrfach verletzt wurde. Hier wird keine Strafbarkeit durch eine unechte Konkurrenz verdrängt, sondern nur die schwerste Straftat bestraft.

Unechte Konkurrenz bei Tateinheit: Im Rahmen der Tateinheit stellt sich die Frage, ob eine verwirklichte Norm eine andere verdrängt.
Formen der Verdrängung: Spezialität, Subsidiarität, Konsumtion

Echte Konkurrenz Tatmehrheit § 53 StGB: Tatmehrheit liegt vor, wenn mehrere Strafgesetzes durch mehrere selbstständige Handlungen des Täters verletzt wurde.

Unechte Konkurrenz bei Tatmehrheit: Die unechte Konkurrenz im Bereich der Handlungsmehrheit bezieht sich darauf, ob die Verwirklichung einer Strafnorm den Unrechts- und Schuldgehalt einer vorausgegangenen selbstständigen Handlung (Vortat) oder einer nachfolgenden Handlung (Nachtat) bereits miteinschließt.

Anmerkung
Zur Prüfung von Konkurrenzen siehe dazu Vernetztes Lernen im Fall „der Einzelraser und sein Panikleiden“.

Zusatzfrage

T und O streiten sich, sodass T den O zum Schweigen bringen möchte und daher anfängt, ihn zu würgen. Er nimmt es dabei billigend in Kauf, dass O daran versterben könnte. O wird bewusstlos. Daraufhin hält er den O für tot. Um die Leiche zu beseitigen, wirft er den O in eine Jauchegrube. Im Nachhinein stellt sich jedoch heraus, dass der O erst in der Jauchegrube ertrunken ist. Handelte T mit Tötungsvorsatz?
Ausgangspunkt: Dieser Klassiker (Jauchegrube-Fall)[22]Der Fall basiert auf dem Urteil BGHSt. 14, 193 – Ausführlich dazu Rengier, Strafrecht AT, 12. Aufl. 2020, § 15 Rn. 52 ff. setzt sich mit der Problematik auseinander, dass der Tötungsvorsatz des T sich auf den ersten Handlungsabschnitt bezieht und er ihn danach für tot hielt. Bei Eintritt des tatsächlichen Todes des O durchs Ertrinken in der Jauchegrube ist der Tötungsvorsatz durch T jedoch nicht mehr gegeben.
Dies ist ein Fall des dolus generalis. Die Behandlung ist umstritten.

Versuchslösung
Die Tötungshandlungen müssen getrennt voneinander betrachtet werden. Ein Täter, der bei Begehung der Tat keinen Tötungsvorsatz habe (§ 16 I 1 StGB) könne nicht zur Last gelegt werden, durch den ersten Akt vorsätzlich töten zu wollen. An den ersten Akt darf dafür nicht angeknüpft werden. Demnach liegt nur ein versuchter Totschlag gem. §§ 212 I, 22, 23 StGB und ggf. eine vollendete gefährliche Körperverletzung gem. §§ 223, 224 StGB vor. Bzgl. der zweiten Tat macht sich T wegen fahrlässiger Tötung strafbar.

Vollendungslösung
Die Vollendungslösung bestraft wegen einer vollendeten vorsätzliche Tat. Um nicht gegen das Koinzidenzprinzip zu verstoßen, wird ein Irrtum über den Kausalverlauf bei dem Täter angenommen. Dabei wird an die Ersthandlung und dem vorliegenden Tötungsvorsatz angeknüpft. In der todesursächlichen Zweithandlung wird ein Kausalfaktor gesehen, der nur eine unwesentliche Abweichung zwischen dem Vorgestellten und dem tatsächlichen Kausalverlauf darstellt. Denn es liegt im Rahmen der Lebenserfahrung, dass ein medizinischer Laie ein bewusstloses Opfer für tot halten kann und der Täter im Anschluss eine Vertuschungshandlung vornimmt. Zudem spricht gegen die Versuchslösung, dass ein einheitliches Tatgeschehen unnatürlich aufgespaltet wird.

Der Polizist P ist außerhalb seines Dienstes mit seinen Freunden M und N unterwegs. Nach ihrer nächtlichen Kneipentour setzt sich M betrunken in sein Fahrzeug und fährt nach Hause. Dabei macht er sich wegen Trunkenheit im Verkehr strafbar. Trifft den P eine Verfolgungspflicht bzgl. der Straftat, von der er im privaten Umfeld Kenntnis erlangt hat?

Grundsätzlich unterliegen die Staatsanwaltschaft sowie die Polizei einer Verfolgungspflicht bei Kenntniserlangung von Straftaten. Dies ergibt sich aus dem Legalitätsprinzip gem. § 152 StPO, welches bei Vorliegen eines Anfangsverdachts die Staatsanwaltschaft und Polizei (über § 163 I StPO) verpflichtet, Ermittlungen durchzuführen.

Bei privater Kenntniserlangung von Straftaten wird jedoch aufgrund des Schutzes der privaten Lebenssphäre und dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG eine Einschränkung diskutiert.[23]Dazu Kudlich, in: MüKo StPO, 1. Aufl. 2014, Einleitung Rn. 130; Peters, in: MüKo StPO, 1. Aufl. 2016, StPO § 152 Rn. 45.

Einheitstheorie
Nach der Einheitstheorie besteht keine Möglichkeit der Ausnahme vom Legalitätsprinzip. Ein Beamter sei immer im Dienst und müsse auch die Informationen aus einem privaten Lebensbereich zur Strafverfolgung nutzen. Demnach unterliegt P dem Verfolgungszwang.

Trennungstheorie
Die private Kenntniserlangung von Straftaten soll nach der Trennungstheorie als Ausnahme von der Verfolgungspflicht gelten. Die Beamten dürfen in diesen Fällen im eigenen Ermessen handeln, ob sie die Strafverfolgung aufnehmen oder nicht. Begründet wird dies mit dem Wortlaut des § 152 II StPO, welcher sich nur auf die amtliche Kenntniserlangung bezieht. Es läge demnach im Ermessen des P, ob er Ermittlungsmaßnahmen einleitet oder nicht.

Differenzierung nach Katalogen von Straftaten
Eine weitere Ansicht möchte nach der Schwere der begangenen Straftaten differenzieren. Nur besonders schwerwiegende Katalogstraften aus § 138 StGB unterliegen auch bei Kenntniserlangung im privaten Bereich der Verfolgungspflicht. Da die Trunkenheit im Straßenverkehr nicht zu diesen Katalogstraftaten gehört, wäre P demnach von seiner Verfolgungspflicht befreit.

Differenzierung nach Verbrechen und Vergehen
Demnach soll eine Verfolgungspflicht nur bei Vorliegen von Verbrechen bestehen. Für diese Ansicht spricht insbesondere, dass sie ein klar definiertes Abgrenzungskriterium liefert. Bei der Trunkenheit im Straßenverkehr handelt es sich um ein Vergehen, sodass P von dem Verfolgungszwang befreit wäre.

Schweretheorie (h.M.)[24]Beukelmann, in: BeckOK StPO, 39. Edition, 1.1.2021, § 152 Rn. 2. m.w.N.
Die Schweretheorie besagt, dass ein Verfolgungszwang nur dann gegeben sei, wenn es sich um ein Delikt handelt, das nach Art oder Umfang die öffentlichen Belange besonders berührt. Danach ist also eine Abwägung im Einzelfall zwischen den privaten Interessen der Beamte und dem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung erforderlich. Kriterien für die Abwägung sind insbesondere die Betroffenheit der Privatsphäre, die Schwere des Vergehens und der Grad der Gefährdung der Allgemeinheit bei Absehen der Strafverfolgung. Da es sich bei der Trunkenheitsfahrt um ein Vergehen handelt und keine Personen zu Schaden gekommen sind, überwiegt das private Interesse des P, sodass nach der Schweretheorie der P keinem Verfolgungszwang unterliegt.

Zusammenfassung

1. Geht der Täter davon aus, mit einer Handlung nur einen Taterfolg von mehreren möglichen Taterfolgen zu realisieren, liegt ein Fall des Alternativvorsatzes vor.

2. Die h.M. nimmt für alle möglichen Straftatbestände den Vorsatz an.

3. Denkbare Wertungswidersprüche werden auf Ebene der Konkurrenz gelöst.

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