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Der „Kreuzerlass“ – Kreuze im Eingangsbereich von Behörden

BayVGH, Beschluss vom 23.08.2022 – AZ: 5 ZB 20.2243

Sachverhalt

(Abgewandelt und gekürzt)

Die Staatsregierung des Landes B beschloss am 24. April 2022, eine neue Regelung in § 28 der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaats Bayern (AGO) mit folgendem Wortlaut einzufügen:

„Im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes ist als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung B‘s gut sichtbar ein Kreuz anzubringen.“

Die formell ordnungsgemäße Vorschrift wurde kurz darauf im Gesetzes- und Verordnungsblatt des Landes veröffentlicht.

Gegen diese für alle Behörden B‘s geltende Anweisung wendete sich die als öffentlich-rechtliche Körperschaft inkorporierte Weltanschauungsgemeinschaft W. W meint, sie werde sowohl durch die Anweisung an die Behörden als auch durch das Aufhängen der Kreuze durch die einzelnen Behörden in B in ihren Grundrechten aus Art. 3 III GG und Art. 4 I GG verletzt. Der Staat könne sich nicht für eine Religion besonders einsetzen und Symbole von dieser in öffentlichen Gebäuden aufhängen lassen. Jede Entscheidung der Behörden stehe durch die Anbringung des Kreuzes unter diesem (religiösen) Zeichen, was Zweifel an der Neutralität des Staates wecke. Außerdem könne der Staat die Menschen nicht zwingen sich den religiösen Symbolen auszusetzen.

Das Land B meint, dass das Kreuz als Teil der christlich geprägten Kultur einen Inhalt unabhängig von dem christlichen Symbol habe. Das Kreuz solle nicht die Identifikation des Staates mit dem Christentum, sondern mit der christlich-abendländischen Tradition zum Ausdruck bringen. Außerdem sei es gerade nicht so, dass die inhaltliche Arbeit der Behörden „unter“ diesem Zeichen stehe, weil die Kreuze eben nicht in den Büros der Mitarbeiter:innen hingen. Außerdem verlange der Staat den Bürger:innen kein besonderes Verhalten ab, was rechtswidrig wäre. Das Kreuz solle gerade nicht missionierend wirken, sondern die Erinnerung an die kulturelle Tradition des Landes erhalten. Der Staat zwinge die Menschen auch nicht sich dem Symbol auszusetzen, man könne dem Symbol  ausweichen.

Außerdem sei der Antrag der W bereits unzulässig, weil die W selbst durch das Symbol nicht benachteiligt werde, eliege schon kein Eingriff vor.

Dem widerspricht W. Sie meint, dass sich das Land selbst auf die kulturelle Bedeutung des Kreuzes beziehe, mache keinen Unterschied: Das Kreuz ist das wesentliche Symbol des Christentums und würde auch von jedem verständigen Betrachter als Ausdruck des christlichen Glaubens verstanden. Sie meint, dass der Staat aufgrund der Verpflichtung zur weltanschaulichen Neutralität (Neutralitätsgebot) sich nicht mit einer einzelnen Religionsgemeinschaft gemein machen könnte und ein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot von jeder:m Bürger:in geltend gemacht werden könnte. In der Folge verletze der Staat die W in ihren Rechten auf Gleichbehandlung, wenn der Staat sich nur den Symbolen einer Religion bediene.

Nach dem erfolglosen Versuch das Land B zum Einlenken zu bringen, richtet W eine Klage vor dem VG gegen die Staatsregierung darauf, dass die Anweisung zum Aufhängen der Kreuze zurückgenommen und eine Anweisung erlassen werde, die die Behörden verpflichtet die bereits aufgehängten Kreuze wieder abzunehmen.

Hat die Klage Aussicht auf Erfolg?


Skizze


Gutachten

Die Klage hat Aussicht auf Erfolg, wenn diese zulässig und soweit sie begründet ist.

A. Zulässigkeit

Zunächst müsste die Klage der W zulässig sein.

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

Der Verwaltungsrechtsweg müsste eröffnet sein. Eine aufdrängende Sonderzuweisung ist nicht ersichtlich, weshalb sich die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach der Generalklausel des § 40 I S. 1 VwGO richtet. Danach ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, wenn es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handelt, die nichtverfassungsrechtlicher Art ist und keine abdrängende Sonderzuweisung die Streitigkeit einem anderen Gericht zuweist. Ob ein Streit öffentlich-rechtlich ist, richtet sich nach der modifizierten Subjektstheorie danach, ob die streitentscheidenden Normen maßgebend einen Hoheitsträger berechtigen oder verpflichten. Streitentscheidend ist die Frage, ob es dem Land B frei steht § 28 AGO zu erlassen. Dies richtet sich danach, ob die öffentlich-rechtliche Organisationshoheit des Landes dies zulässt. Dabei handelt es sich um öffentlich-rechtliche Bestimmungen. Die Streitigkeit ist auch mangels doppelter Verfassungsunmittelbarkeit nicht verfassungsrechtlicher Art und eine abdrängende Sonderzuweisung ist nicht ersichtlich. Der Verwaltungsrechtsweg ist mithin eröffnet.

II. Statthafte Klageart

Die Statthafte Klageart richtet sich nach dem Begehren des Klägers, § 88 VwGO. W will erreichen, dass die Staatskanzlei die bestehende Norm zurücknimmt und eine Norm erlässt, die darauf gerichtet ist, dass die bereits aufgehängten Kreuze wieder abgenommen werden. Dies könnte mit einer allgemeinen Leistungsklage verfolgt werden. Die Leistungsklage ist in der VwGO nicht ausdrücklich geregelt, jedoch wird sie in §§ 43 II, 111 VwGO ausdrücklich vorausgesetzt. Die allgemeine Leistungsklage ist jedoch nur statthaft, wenn der Kläger eine Leistung (Handlung, Duldung, Unterlassung) begehrt, welche nicht in einem Verwaltungsakt besteht.

Fraglich ist zunächst, ob es sich bei § 28 AGO um einen Verwaltungsakt i.S.v. § 35 VwVfG i.V.m. § 35 BayVwVfG[1]auf diesen Zusatz wird im weiteren verzichtet handelt. Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang insbesondere die Frage, ob die Regelung Außenwirkung entfaltet. Ein VA hat Außenwirkung, wenn er in seinem Regelungsgehalt nicht lediglich behördenintern wirkt, also auch Regelungswirkung über den Bereich des Staates hinaus enthält. Die Regelung richtet sich unmittelbar an Behörden bzw. an die Behördenleitung, wirkt also als interne Direktive. Ausschließlich die Behörden sind durch die Regelung verpflichtet eine Handlung vorzunehmen. Es handelt sich mithin um eine Verwaltungsvorschrift. Eine Verwaltungsvorschrift entfaltet jedoch nur dann Außenwirkung, wenn sie letztlich nicht nur binnenrechtlich wirkt, sondern z.B. die Interpretation eines Gesetzes als „Schlussstein“ so regelt, dass Bürger:innen von der Regelung zumindest mittelbar betroffen sind.[2]So BayVGH 5 N 20.1331 Rn. 20. Die Bürger:innen sind hier nicht unmittelbar betroffen von der Regelung. Jedoch führt die interne Direktive dazu, dass die Bürger:innen sich den angebrachten Kreuzen gegenübersehen. Dies führt jedoch für die Bürger:innen nicht zu einer Veränderung des behördlichen Vorgehens in inhaltlicher Hinsicht. Auch die Veröffentlichung des § 28 AGO im Gesetzes- und Verordnungsblatt ändert nichts an der inhaltlichen Wirkung der Vorschrift.

Anmerkung: Anderer Aufbau und andere inhaltliche Prüfung denkbar

Es ist an dieser Stelle gut vertretbar davon auszugehen, dass entweder durch die mittelbare Wirkung – die Konfrontation mit dem Kreuz – oder wegen der Veröffentlichung der Vorschrift im Gesetzes- und Verordnungsblatt von einer Außenwirkung auszugehen ist. In diesem Fall ist zu prüfen, ob die weiteren Voraussetzungen eines Verwaltungsakts bzw. einer Allgemeinverfügung vorliegen. Dies ist wohl der Fall, wenn man die Regelungswirkung ausreichen lässt. Dann ist zu prüfen, ob die Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Normenkontrolle nach § 47 VwGO erfüllt sind. Das VG München, welches in der Vorinstanz entschied, hielt einen Normenkontrollantrag für statthaft.[3]VG München Beschl. v. 27.05.2020 – M 30 K 18.4955.

Damit war die Anbringung der Kreuze und damit auch das Verlangen die Kreuze abzunehmen (actus contrarius) nicht auf einem Verwaltungsakt begründet. Das Begehren der W kann mit einer allgemeinen Leistungsklage verfolgt werden. Diese ist statthaft.

III. Klagebefugnis

Um eine Popularklage auszuschließen, ist auch bei der allgemeinen Leistungsklage nach überwiegender Ansicht die Klagebefugnis gem. § 42 II VwGO analog zu erfüllen.[4]m.w.N. Wahl/Schütz, in: Schoch/Schneider Verwaltungsrecht, 43. EL August 2022, § 42 Abs. 2 VwGO Rn. 33 f. Demnach müsste W geltend machen können in eigenen Rechten verletzt zu sein und dies dürfte auch nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Dies ist im Rahmen der Leistungsklage der Fall, wenn der Kläger möglicherweise einen Anspruch auf die begehrte Leistung hat. Hier könnte insbesondere ein Folgenbeseitigungsanspruch in Betracht kommen.

Wesentlicher Scheidepunkt eines FBA ist der Eingriff in eine Rechtsposition. Hier kommt eine Verletzung der Grundrechte der W, insbesondere Art. 3 III GG und Art. 4 I GG in Betracht. Die W müsste sich dafür auf Grundrechte berufen können. W ist als öffentlich-rechtliche Körperschaft inkorporiert und ist damit selbst Grundrechtsverpflichtete.[5]Germann, in: BeckOK GG 53. Ed. St. 15.02.2023, Rn. 29, 31. Sie kann sich grundsätzlich nicht auf Grundrechte berufen (Konfusionsargument). Öffentlich-rechtliche Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften können sich jedoch wegen Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 V WRV gegenüber dem Staat auf die Grundrechte berufen, insoweit ihre Religionsfreiheit betroffen ist. Dazu zählt auch Art. 3 III GG als Ausdruck des Grundsatzes der religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates, welcher sich aus der Zusammenschau der Art. 4 I, Art. 3, Art. 33 III, Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 I, IV und Art. 137 I WRV ableitet.[6]unter Verweis auf die ständige Rechtsprechung des BVerfG: BayVGH 5 B 22.674 Rn. 21. Die Grundrechte sind auch gem. Art. 19 III GG ihrem Wesen nach auf die W anwendbar.

Eine Verletzung der Religionsfreiheit der W scheint nicht ausgeschlossen. Ein sich daraus ergebender Folgenbeseitigungsanspruch erscheint nicht von vornherein unbegründet.

IV. Beteiligten- und Prozessfähigkeit

W ist als öffentlich rechtliche Körperschaft gem. § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO Beteiligten- und gem. § 62 I Nr. 1 Prozessfähig. Die Bayrische Landesregierung ist gem. § 61 Nr. 2 VwGO Beteiligten- und gem. § 62 I Nr. 1 Prozessfähig.

V. Vorverfahren und Klagefrist

Ein Vorverfahren ist im Rahmen der allgemeinen Leistungsklage nicht notwendig, ebenso braucht keine Klagefrist eingehalten werden.

VI. Zwischenergebnis: Zulässigkeit

Die Klage der W ist zulässig.

B. Begründetheit

Die allgemeine Leistungsklage ist begründet, soweit W einen Anspruch auf die Entfernung der angebrachten Kreuze hat.

Anmerkung: Aufbau bei Normenkontrollantrag

Hätte man sich in der Zulässigkeit für einen Normenkontrollantrag entschieden, weil man annimmt, dass die Verordnung Außenwirkung entfaltet und damit ein VA bzw. eine Allgemeinverfügung vorliegt, müsste in der Begründetheit wie folgt geprüft werden:

I. Begründetheit

1. Rechtmäßigkeit der Rechtsnorm

a) formelle Rechtmäßigkeit

b) materielle Rechtmäßigkeit

aa) Verstoß gegen Art. 4 I, Art. 3 III GG

(1) Schutzbereich

(2) Eingriff

(3) Rechtfertigung

bb) Ergebnis Verstoß gegen Art. 4 I, Art. 3 III GG

2. Rechtsfolge

I. Herleitung des Folgenbeseitigungsanspruchs

W könnte einen Anspruch auf das Entfernen der angebrachten Kreuze aus dem Folgenbeseitigungsanspruch (FBA) haben. Der FBA ist gesetzlich nicht geregelt. Hergeleitet wird der FBA teilweise aus der Abwehrfunktion der Grundrechte bzw. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG) und teilweise aus dem Rechtsgedanken der §§ 1004, 862 BGB.[7]Siehe zu den Begründungsansätzen: Voßkuhle/Kaiser, JuS 2012, 1079, 1080. Die Begründungsansätze können kumulativ herangezogen werden. Das Rechtsinstitut des FBA ist jedenfalls gewohnheitsrechtlich anerkannt.[8]Riese, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 43. EL August 2022, § 113 VwGO Rn. 91

II. Anspruch aus FBA

Damit W einen Anspruch aus dem FBA haben könnte, müssten die Voraussetzungen erfüllt sein. Dafür müsste ein hoheitlicher Eingriff in ein subjektives Recht vorliegen und dadurch ein rechtswidriger Zustand geschaffen worden sein, der weiterhin andauert.[9]BVerwG NVwZ 1994, 275, 280; Voßkuhle/Kaiser JuS 2012, 1079, 1080.

1. Hoheitliches Handeln

Die Anweisung die Kreuze im Eingangsbereich der Behörden aufzuhängen ist hoheitliches Handeln der Landesregierung B’s. Die in Folge von § 28 AGO angebrachten Kreuze sind damit auch aufgrund hoheitlichen Handelns angebracht.

2. Eingriff in subjektives Recht

Außerdem müsste ein Eingriff in ein subjektives Recht des W gegeben sein. Ein Eingriff könnte hier in die staatliche Neutralitätspflicht vorliegen. Damit ein Eingriff in die staatliche Neutralitätspflicht ausreicht, müsste es sich auch um ein subjektives Recht handeln. Hier besteht die Möglichkeit, dass ein Eingriff in die staatliche Neutralitätspflicht zugleich einen Eingriff in die subjektiven Rechte aus Art. 3 III GG und Art. 4 I GG darstellt.

Die in den letzten Jahren gefestigte Rechtsprechung des BVerfG[10]siehe dazu insbesondere die Entscheidung BVerfG, Beschl. v. 14.1.2020 – 2 BvR 1333/17, hier u.a. besprochen auf examensgerecht https://staging.examensgerecht.de/kopftuchverbot-fur-richterinnen/. verpflichtet den Staat zur Wahrung der weltanschaulich-religiösen Neutralität und auf die am Gleichheitssatz orientierte Behandlung der verschiedene Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Der Staat darf sich nicht mit einer bestimmten Religionsgemeinschaft identifizieren.[11]BayVGH 5 B 22.674 Rn. 24. Identifikation bedeutet, dass der Staat zum Ausdruck bringt, dass er die Lehren oder Anschauungen einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft teilt oder die Lehren oder Anschauungen einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft ablehnt.

a) Kreuz als religiöses oder kulturelles Symbol?

Dem Staat ist es untersagt sich mit einer Religion im Speziellen zu identifizieren. Dies könnte geschehen sein, indem sich der Staat durch das Aufhängen des Kreuzes mit der christlichen Religion identifiziert. Dazu ist zunächst zu entscheiden, ob es sich bei dem Kreuz um ein religiöses oder ein kulturelles Symbol handelt.

Das beklagte Land bringt insbesondere vor, dass das Symbol die kulturelle Identität und Geschichte des Landes in der christlich-abendländischen Tradition betonen soll. Jedoch kommt es bei der Beurteilung der Wirkung des Kreuzes einzig auf den Empfängerhorizont der dem Symbol ausgesetzten Personen (hier also eines:r Besucher:in) an.[12]So ausdrücklich: BayVGH 5 B 22.674 Rn.26. Aus Sicht eines Besuchers oder einer Besucherin der Behörde steht jedoch auf den ersten Blick das Kreuz als Haupt-Symbol des christlichen Glaubens vor allem mit der Religion des Christentums in Verbindung. Eine andere Absicht beim Aufhängen des Kreuzes ist nicht entscheidend.

Ebenso ist das Kreuz nicht unabhängig von seiner Rolle als Haupt-Symbol des Christentums betrachtbar. Es gibt keine Tradition das Kreuz als säkuläres Symbol der christlich-abendländischen Kultur, die sich z.B. zugleich den Werten der Aufklärung verpflichtet sieht, zu verwenden. Eine „Profanisierung des Kreuzes“[13]BayVGH 5 B 22.674 Rn. 25. ist darüber hinaus nicht mit dem Selbstverständnis derjenigen Gruppen zu vereinbaren, die das Kreuz als Symbol ihrer religiösen Überzeugungen einordnen. Es kann letztlich nicht seiner religiösen Bedeutung entkleidet betrachtet werden.[14]BayVGH 5 B 22.674 Rn. 25. Das Land B kann keine Deutungshoheit über die Symbolkraft eines Wandkreuzes für sich in Anspruch nehmen.[15]BayVGH 5 B 22.674. Rn. 26.

Das Kreuz entfaltet damit seine Wirkung als religiöses Symbol.

b) Aufhängen des Kreuzes als Identifikation

Durch den Akt des Aufhängens könnte der Staat sich auch mit dem Kreuz als religiösem Symbol identifiziert haben. Identifikation bedeutet, wie bereits beschrieben, dass der Staat zum Ausdruck bringt, dass er die Lehren oder Anschauungen einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft teilt oder die Lehren oder Anschauungen einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft ablehnt. Auch hierbei kommt es auf den Empfängerhorizont eines verständigen Betrachters an.

Durch den Erlass zum Aufhängen des Kreuzes in Behörden hat das Land zum Ausdruck gebracht, dass die religiösen Symbole der christlichen Glaubensgemeinschaft in besonderer Weise eine Rolle für das staatliche Handeln darstellen. Dass das Land hiermit lediglich auf die kulturelle Identität und Geschichte hinweisen wollte, spielt für die Beurteilung keine Rolle.[16]BayVGH 5 B 22.674, Rn. 26.

Staatliche Dienstgebäude lassen auch keinen Bezug zu religiösen Inhalten zu. Der Eingangsbereich von staatlichen Dienststellen ist ein rein säkulärer Bereich. Es besteht auch kein rechtfertigender besonderer Bezug zur christlich-abendländischen Tradition, der mit den Behörden verbunden wäre.  Denn es ist durchaus denkbar, dass sich Bereiche staatlichen Handelns ergeben, in denen die Verwendung eines christlichen Kreuzes zur Darstellung der christlich-abendländischen Tradition gerechtfertigt wäre. Dies könnte ein konkreter musealer, kultureller Kontext sein. So liegt es aber hier nicht.[17]BayVGH 5 B 22.674, Rn. 27.

Das Aufhängen des Kreuzes verletzt damit die staatlich religiös-weltanschauliche Neutralitätspflicht.

c) Neutralitätspflicht als subjektives Recht

Der FBA setzt voraus, dass ein Eingriff in ein subjektives Recht vorliegt. Dementsprechend müsste es sich bei der staatlich-weltanschaulichen Neutralitätspflicht um ein subjektives Recht handeln.

Anmerkung: Aufbau

Es wäre möglich bereits als ersten Prüfungspunkt des FBA zu fragen, ob es sich bei der staatlichen religiös-weltanschaulichen Neutralitätspflicht um ein subjektives Recht handelt. Dieser Aufbau würde hier – nach der dargestellten Ansicht des BayVGH – jedoch dazu führen, dass ein Teil der Prüfung wegfallen würde. Empfehlenswert ist es deshalb an dieser Stelle zunächst über die Neutralitätspflichtverletzung und sodann über die Qualität als subjektives Recht zu sprechen. Es wäre jedoch auch möglich im Rahmen der Prüfung des subjektiven Rechtscharakters zunächst über die möglichen Verletzungshandlungen zu sprechen. Damit könnten die wesentlichen Aspekte des Sachverhalts hier ebenfalls besprochen werden.

Die staatliche weltanschaulich-religiöse Neutralitätspflicht ist zunächst ein rein objektiv-rechtliches Verfassungsprinzip. Es legt dem Staat die Pflicht zur Neutralität auf, was als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für die Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung verstanden werden kann. Es wird differenziert zwischen der distanzierenden Neutralität des Staates im Sinne der Gleichbehandlung aller Religionen und Weltanschauungen und der sie tragendenden Institutionen und der vorsorgenden Neutralität des Staates im Sinne der Sicherung des Betätigungsraumes zur Entfaltung auf religiös-weltanschaulichem Gebiet.[18]So weitgehend wörtlich: BayVGH 5 B 22.674, Rn. 28.

Subjektiven Schutz gegen eine Maßnahme, die gegen die Neutralitätspflicht verstößt kann eine Weltanschauungsgemeinschaft jedoch nur beanspruchen, wenn nicht bloß eine Berührung des Schutzbereichs, sondern ein nicht gerechtfertigter benachteiligender Eingriff in die Grundrechte vorliegt, aus denen das Verfassungsprinzip hergeleitet wird.[19]BayVGH 5 B 22.674, Rn. 28.

Es müsste also ein Eingriff in die konkreten Grundrechte der W vorliegen.

aa) Schutzbereich

Zunächst müsste der Schutzbereich der die weltanschaulich-religiöse Neutralität begründenden Grundrechte, nämlich Art. 4 I GG und Art. 3 III GG eröffnet sein.

Der persönliche Schutzbereich ist sowohl für Privatpersonen eröffnet, wie auch für Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften.

Der sachliche Schutzbereich von Art. 4 I GG schützt die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses. Der sachliche Schutzbereich von Art. 3 III S. 1 GG verbietet es, dass jemand aufgrund seines Glaubens oder seiner religiösen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt wird. Zusammengenommen resultiert hieraus das Recht von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften auf kollektive Glaubens- und Bekenntnisfreiheit – auch auf negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit – und ein relatives Benachteiligungsverbot. Den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ist damit eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung im Verhältnis zu anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften garantiert. Religiöse- oder weltanschauliche Gemeinschaften werden unmittelbar von Art. 4 I i.V.m. Art. 3 III GG in ihrer religiösen Vereinigungsfreiheit geschützt.[20]BayVGH 5 B 22.674, Rn. 30 ff.

bb) Eingriff

In diesen Schutzbereich müsste eingegriffen worden sein. Ein Eingriff liegt jedenfalls dann vor, wenn der Staat durch Äußerungen oder Handlungen sich mit einer Religion im Speziellen identifiziert, eine bestimmte Religion benachteiligt oder fördert.[21]BVerfG NJW 2002, 2626, 2629 – Staatliche Warnung vor der Osho Bewegung“. Der Staat ist nicht grundsätzlich verpflichtet sich alle Äußerungen seiner Repräsentant:innen als Identifikation mit diesen zuzurechnen.[22]Siehe dazu die austarierte Rechtsprechung zu den allgemein (nicht gerechtfertigten) Verboten zum Tragen von religiösen Symbolen (zumeist Kopftüchern) in Schulen (BVerfG NJW 2015, 1359, 1363, Rn. … Continue reading

Vernetztes Lernen: Ist der Staat verpflichtet eine Regelung zu erlassen, die es Richter:innen oder Rechtsreferendar:innen verbietet religiöse Symbole während Verhandlungen offen zu tragen?

Diese Frage ist bisher nicht entschieden worden. Das BVerfG (und andere Gerichte) haben bisher lediglich die Frage entschieden, ob ein Verbot des Tragens religiöser Symbole die Religionsfreiheit der Betroffenen verletzt bzw. ob ein solches Verbot gerechtfertigt ist. Dazu hat das BVerfG entschieden, dass es rechtmäßig sein kann Richter:innen und Rechtsreferendar:innen wegen der besonderen Zwangssituation eines Gerichtsverfahrens und dem Ausgesetzt-Sein der am Prozess beteiligten Personen zu verbieten religiöse Symbole in Terminen mit Öffentlichkeitskontakt offen zu tragen. Es hat insbesondere festgehalten, dass die staatlich-weltanschauliche Neutralitätspflicht, die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Verfahrensbeteiligten und die Funktionsfähigkeit der Justiz den damit verbundenen Eingriff in die Religionsfreiheit rechtfertigen können. Anders liegt der Fall bei Lehrer:innen, die nicht als Repräsentant:innen des Staates, sondern als Privatpersonen wahrgenommen werden würden, die auch die staatliche Aufgabe der Lehre übernehmen. Hier werde die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Schüler:innen vor allem deshalb nicht in gleicher Weise beeinträchtigt, weil eine Unterscheidung zwischen den Aussagen der Lehrkräfte und dem Staat einfach zu machen sei. Außerdem sei die Zwangssituation zwischen der Schulpflicht und einem Gerichtsverfahren nicht vergleichbar.

Bei der Frage danach, ob der Staat verpflichtet werden kann Vorschriften zu erlassen, die das Tragen von religiösen Symbolen für Richter:innen und Rechtsreferendar:innen verbieten ist das Untermaßverbot entscheidend. Das Untermaßverbot gibt dem Staat auf seine Schutzpflicht gegenüber den Grundrechten (hier insbesondere der negativen Glaubens- und Bekenntnisfreiheit) wahrzunehmen. Das Untermaßverbot ist verletzt, wenn der Staat keine geeigneten Maßnahmen ergreift bzw. die ergriffenen Maßnahmen schlechterdings ungeeignet sind, um die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der am Prozess Beteiligten zu schützen. Damit der Staat verpflichtet sein könnte, eine gesetzliche Regelung zu erlassen, müsste jedoch zunächst ein konkreter Anhaltspunkt dafür vorliegen, dass in einer bestimmten Situation die Gefahr besteht, dass die negative Glaubensfreiheit nicht gewahrt wird, weil der Staat es nicht untersagt hat religiöse Symbole zu tragen. Aufgrund der – in den zuvor genannten Entscheidungen – herausgearbeiteten möglichen Beeinträchtigungen der Verfahrensbeteiligten ist dies anzunehmen. Damit das Untermaßverbot greift, müssten die zur Verfügung stehenden Mittel ungeeignet sein.

Dem Staat wäre es jedoch möglich – auch bei Fehlen eines Gesetzes, welches das Tragen von religiösen Symbolen verbietet – unter Rückgriff auf die Weisungsmöglichkeiten gegenüber Beamt:innen die Neutralitätspflicht der Beamt:innen einzufordern und so Beeinträchtigungen der negativen Glaubens- und Bekenntnisfreiheit vorzubeugen oder diese abzustellen. Es liegt deshalb fern anzunehmen, dass der Staat das Untermaßverbot verletzen würde, wenn er kein Gesetz erlässt, welches das Tragen von religiösen Symbolen verbietet.

Fraglich ist, ob mit dem Anbringen der Kreuze die Schwelle zu einem Eingriff in die subjektive staatliche Neutralität überschritten wurde. Die negative Religions- und Bekenntnisfreiheit schützt nicht grundsätzlich vor der Konfrontation mit religiösen Symbolen[23]BVerfG NJW 2015, 1359, 1363, Rn. 104 (Kopftuchverbot für Lehrerinnen); BVerfG NJW 2020, 1049, 1054 Rn. 95 (Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen); BVerfG NJW 1995, 2477, 2479 (Kruzifixe in … Continue reading So sind auch Passant:innen in der Nähe von religiösen Gebäuden religiösen Symbolen ausgesetzt. Der Fall hier liegt jedoch grundlegend anders, weil die religiösen Symbole vom Staat in öffentlichen Räumen aufgehängt werden und nicht Nebenfolge der Ausübung der Religionsfreiheit anderer Religions- und Glaubensgemeinschaften ist.

Es ist jedoch andererseits nicht so, dass Behördenbesucher:innen sich keiner besonderen Beeinträchtigung gegenübersehen, sondern die Möglichkeit haben den religiösen Symbolen auszuweichen indem sie die Bereiche meiden, in denen die Symbole aufgehängt sind. Insbesondere ist der mit der Aufhängung des Kreuzes verbundene Eindruck nur flüchtig. Die Betroffenen sind auch nicht in einer vom Staat geschaffenen Zwangslage. Damit liegt keine Beeinträchtigung der Besucher:innen in ihrer negativen Religions- und Bekenntnisfreiheit vor. Weder liegt darin ein Ausdruck der staatlichen Identifikation noch ein Ausschluss anderer Religionsgemeinschaften.[24]So jedenfalls BayVGH 5 B 22.674 Rn. 33.

Anmerkung: Andere Ansicht gut vertretbar

Bereits hier wäre es wohl überzeugender anzunehmen, dass durch das Anbringen eine staatliche Identifikation erfolgt und die Behördenbesucher:innen auch den religiösen Symbolen ausgesetzt werden, ohne dass sie dies vermeiden könnten, weil ein Besuch bei Behörden nicht generell vermeidbar ist.

Eine Förderung der christlichen Religion ist mit dem Aufhängen der Kreuze nicht zwangsläufig verbunden. Schließlich macht sich der Staat nicht mit einer der christlichen Religionsgemeinschaften (weder mit einer der zwei Großen, noch einer der vielen kleinen christlichen Gemeinden) gemein. Außerdem schließt er nicht andere Religionsgemeinschaften aus.[25]So m.E. nicht überzeugend: BayVGH 5 B 22.674 Rn. 33 f. A.A. Wüstenbecker, RÜ 2022, 728.

Anmerkung: Andere Ansicht gut vertretbar

Spätestens an dieser Stelle wäre es überzeugender – gerade im Lichte der bisher ergangenen Entscheidungen des BVerwG und BVerfG zum Thema – anzunehmen, dass darin eine eindeutige Verletzung der staatlichen Neutralitätspflicht liegt, die notwendigerweise in ihrer Umkehr auch die anderen Religionsgemeinschaften in ihrem subjektiven Recht betrifft, nicht ungerechtfertigt unterschiedlich behandelt zu werden. Welchen Einfluss dieses Vorgehen auf die Lösungsskizze hätte, wird sogleich beleuchtet.

Wiederum wäre es nicht mit der staatlichen Neutralitätspflicht vereinbar, wenn die Räume, in denen die tatsächlichen inhaltlichen Entscheidungen getroffen werden (Mitarbeiter:innenbüros) mit einem Kreuz versehen würden und damit der Eindruck erweckt werden würde, dass die Entscheidung über die materiellen Fragen „unter dem Kreuz“ entschieden würden, also unter dem Einfluss durch die religiöse Identifikation stünden.[26]BayVGH 5 B 22.674 Rn. 32. Diese Grenze wurde jedoch hier nicht überschritten.

Anmerkung: Andere Ansicht gut vertretbar

Dies ist ein Versuch der Unterscheidung zwischen dem Bereich in dem die materiellen Entscheidungen in Behörden getroffen werden (den Mitarbeiter:innenbüros) und dem Bereich, in dem nur der Außenkontakt mit der Öffentlichkeit geregelt wird. Es ist zwar richtig, dass hierin ein großer Unterschied liegt. Es ist jedoch nicht überzeugend, dass die Schwelle zu einem Eingriff so hoch liegen sollte, dass ein Eingriff erst dann vorliegt, wenn die Kreuze in Mitarbeiter:innenbüros hängen.

Damit liegt kein Eingriff in die Grundrechte der W aus Art. 4 I und Art. 3 III GG vor.

Anmerkung: Andere Ansicht gut vertretbar

Interessant und Bemerkenswert ist, dass das Gericht bereits auf Ebene des Eingriffs die Betroffenheit ablehnt. Es ist zwar richtig, dass das BVerwG betont hat, dass nicht jede Konfrontation mit religiösen Symbolen auch einen Eingriff bedeutet, allerdings ging es in dem Sachverhalt um religiöse Symbole, die gerade nicht vom Staat angeordnet wurden. Den Eingriff hier abzulehnen ist nicht überzeugend.

Die Voraussetzungen für einen Folgenbeseitigungsanspruch sind nicht gegeben.

Anmerkung: Aufbau, wenn man der anderen Ansicht folgen würde

Würde man der Ansicht folgen, dass ein Eingriff vorliegt (was wohl überzeugender wäre und vom BVerwG oder BVerfG wahrscheinlich so geprüft werden wird) folgt nach dem Eingriff die Frage der Möglichkeit der Rechtfertigung des Eingriffs. Der Eingriff in die staatlich-weltanschauliche Neutralitätspflicht kann sich nur aus verfassungsimmanenten Schranken[27]Siehe zu den Schranken von Art. 4 I GG: Germann, in: BeckOK GG, 54. Ed. St. 15.02.2023, Rn. 47 ff. ergeben. In Betracht käme hier als Rechtfertigung die Freiheit der Landesregierung auf die historischen Wurzeln des Staates hinzuweisen, als Akt der Öffentlichkeits- und Informationsarbeit. Jedoch wäre auch hierbei die staatliche Neutralitätspflicht zu wahren. Eine Rechtfertigung scheidet demnach aus.

Wenn der Eingriff nicht gerechtfertigt werden kann, ist im Prüfungsprogramm des FBA als nächstes zu prüfen, ob damit ein rechtswidriger Zustand fortbesteht. Dies kann schnell bejaht werden, weil die Kreuze weiterhin aufgehängt bleiben und ihre Wirkung entfalten.

Weiter ist dann zu prüfen, ob die Wiederherstellung zulässig, möglich und zumutbar ist. Das ist der Fall, wenn die Wiederherstellung nicht selbst rechtswidrig wäre. Es ist nicht ersichtlich, weshalb die Rücknahme von § 28 AGO sowie die Aufforderung an die Behörden die Kreuze wieder abzunehmen rechtswidrig sein sollte.

Damit ist der Folgenbeseitigungsanspruch nach hier vertretener Ansicht begründet und der Staat ist verpflichtet den Zustand wiederherzustellen, der vor dem Eintritt des rechtswidrigen Ereignisses bestand (bzw. ein gleichwertiger Zustand, weil eine häufige Kritik am FBA ist, dass dieser die Folgen nicht vollumfänglich beseitigen, sondern nur einen gleichwertigen Zustand herstellen kann).

C. Ergebnis

Die Klage hat keine Aussicht auf Erfolg.


Zusatzfragen

Welchen Inhalt hatte die sog. „Kruzifix“-Entscheidung des BVerfG?
Dem hier besprochenen Fall wirklich nicht unähnlich lautete der Sachverhalt im Kern wie folgt:

Die Bayrische Volksschulordnung von 1983 gab allen bayrischen Staatsschulen auf ein Kruzifix (mit Jesus-Darstellung am Kreuz) oder ein lateinisches Kreuz (ohne Jesus-Darstellung) in allen Klassenzimmern aufzuhängen.

In der Entscheidung vom 16.05.1995 – 1 BvR 1087/91 entschied das BVerfG, dass die verpflichtende Anbringung von Kruzifixen in staatlichen Schulen gegen das Grundrecht auf Religionsfreiheit der Schüler:innen aus Art. 4 I GG sowie gegen das staatliche Neutralitätsgebot (damals vorrangig hergeleitet aus: Artikel 140 in Verbindung mit Artikel 137 Absatz 1 der Weimarer Reichsverfassung) verstößt. Außerdem hielt es fest, dass Art. 4 I i.V.m. Art. 6 II 1 GG den Eltern auch das Recht gibt über die weltanschauliche Erziehung der Kinder zu bestimmen.

In dem Urteil erläuterte das BVerfG, dass die Religionsfreiheit sowohl die Freiheit zur Religionsausübung als auch die Freiheit von religiöser Beeinflussung einschließt. Das Anbringen von Kruzifixen in Klassenzimmern wurde als staatliche Beeinflussung der Schülerinnen und Schüler in religiöser Hinsicht betrachtet, da es sich um ein religiöses Symbol handelt, das nicht nur als allgemeines Kulturgut, sondern auch als Glaubenssymbol angesehen wird.

Das Gericht betonte jedoch, dass dies nicht bedeute, dass religiöse Symbole generell aus dem öffentlichen Raum verbannt werden müssten. Vielmehr obliegt es dem Staat, in seiner Neutralität sicherzustellen, dass die religiöse Vielfalt und die individuelle Religionsfreiheit gewahrt bleiben. Daher ist es Aufgabe des Staates, eine religiös neutrale Atmosphäre in staatlichen Schulen zu gewährleisten.

Das BVerfG erklärte die Bayrische Schulordnung insoweit für nichtig. Die bayrische Landesregierung erlies wiederum daraufhin jedoch eine Neuregelung, nach der Kreuze weiterhin aufgehängt werden konnten, aber diese entfernt werden sollten, wenn Schüler:innen oder Lehrer:innen sich in besonderer Weise davon in ihrer Religionsfreiheit beeinträchtigt fühlten. 2001 entschied der BayVGH (3 B 98.563), dass die Kreuze in dem Klassenzimmer in denen ein Lehrer unterrichtete abgehängt werden sollten. 2008 entschied das VG Augsburg (AU 2 K 07.347) jedoch, dass die Beeinträchtigung eines anderen Lehrers nicht so stark sei, dass seine Tolerierungs- und Loyalitätspflicht als Beamter die Beeinträchtigung durch das Kreuz nicht überwiege.


Zusammenfassung

1. Der sog. Kreuzerlass, der allen Landesbehörden Bayerns aufgab ein Kreuz in den Eingangsbereichen aufzuhängen, verstößt nach der Auffassung des BayVGH nicht gegen die subjektiven Rechte der beschwerdeführenden Religionsgemeinschaft aus Art. 3 I, 4 I i.V.m. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV.

2. Dafür fehle es an der Grundrechtsbeeinträchtigung, die nicht bei jeder Beeinträchtigung der staatlichen weltanschaulich-religiösen Neutralitätspflicht gegeben sei. Dazu müssten die Grundrechte der betroffenen Organisation verletzt sein, aus denen die staatliche weltanschaulich-religiöse Neutralitätspflicht abgeleitet wird. Dies setze eine gewisse Erheblichkeitsschwelle der Beeinträchtigung voraus (Stichwort: Die Religionsfreiheit schützt nicht vor Konfrontation).

3. Die austarierte Rechtsprechung des BVerwG und BVerfG zu der Beeinträchtigung der staatlichen weltanschaulich-religiösen Neutralitätspflicht scheint der Ansicht des BayVGH entgegen zu stehen.

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