BGH, Urteil vom 19.04.2023 – VIII ZR 280/21, BeckRS 2023, 12524
Sachverhalt
(abgewandelt und gekürzt)
K (Vermieter) und B (Mieterin) haben einen Mietvertrag über eine Wohnung in einem Mehrparteienhaus geschlossen, welcher am 31.12.2017 endete. Am 02.01.2018 gab B die Wohnung an K heraus.
Vertraglich war festgehalten, dass B beim Auszug Schönheitsreparaturen zu leisten hat. B nahm diese jedoch nicht vor. Daraufhin forderte K am 08.01.2018 B auf, die Reparaturen durchzuführen. B reagierte nicht.
In der Folge fordert K nunmehr B auf, einen Kostenvorschuss in Höhe von EUR 8.425 zur Durchführung von eben jenen Schönheitsreparaturen sowie Schadensersatz in Höhe von EUR 881 für kleinere noch nicht ausgeführte Arbeiten (Streichen der Küche und des Wohnzimmers sowie zu verlegende Abschlussleisten) zu zahlen. Die kleineren Arbeiten möchte K jedoch nicht vornehmen. Bezüglich der Höhe des Kostenvorschusses und Schadensersatzes bezieht sich K auf einen eingeholten Kostenvoranschlag.
Kann K Schadensersatz für die nicht ausgeführten Arbeiten in Höhe von EUR 881 verlangen?
Hinweis: Es ist zu unterstellen, dass sowohl der Mietvertrag selbst als auch die im Vertrag festgehaltene Verpflichtung zu Schönheitsreparaturen wirksam sind. Es sind nur vertragliche Ansprüche zu prüfen.
Skizze
Gutachten
Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 BGB
K könnte gegen B einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 BGB haben. Dafür müsste eine Pflicht aus einem Schuldverhältnis verletzt und eine angemessene Frist erfolglos gesetzt worden sein. Ferner muss ein Vertretenmüssen gegeben sowie ein Schaden entstanden sein.
I. Schuldverhältnis
Laut Sachverhalt haben K und B einen wirksamen Mietvertrag geschlossen. Ein Schuldverhältnis lag vor.
II. Pflichtverletzung
Aus diesem Schuldverhältnis müsste B eine Pflicht verletzt haben. Dafür hätte B eine fällige Leistung nicht oder nicht wie geschuldet erbringen müssen. In Betracht kommt hier die nicht durchgeführte Schönheitsreparatur.
Grundsätzlich hat der Vermieter dem Mieter die Mietsache in einem vertragsgemäßen Gebrauch zu überlassen und sie während der Mietzeit auch in einem solchen Zustand zu erhalten, § 535 Abs. 1 S. 2 BGB. Davon wären auch Schönheitsreparaturen erfasst. Vorliegend beinhaltet der Vertrag zwischen K und B jedoch eine sog. Schönheitsreparaturen-Klausel, welche den Mieter in die Pflicht nimmt, bestimmte Arbeiten für den Vermieter zu übernehmen.
Vernetztes Lernen: Schönheitsreparatur-KlauselnDer Ausgestaltung solcher Schönheitsreparatur-Klauseln sind jedoch Grenzen gesetzt. So müssen in Klausuren solche Klauseln häufig einer AGB-Prüfung unterzogen werden. Hier sollten die klassischen Konstellationen bekannt sein.
Insbesondere unwirksam ist eine solche Schönheitsreparatur-Klausel, die vorsieht, dass die Wohnung, wenn diese unrenoviert überlassen worden ist, in renoviertem Zustand, ohne finanziellen Ausgleich, wieder herausgegeben werden soll. Der Vermieter soll keine Aufwertung der Mietsache zusätzlich zu dem vereinbarten Mietzins erhalten.
Anders kann dies zu beurteilen sein, wenn die Wohnung im unrenovierten Zustand übergeben worden ist und bei Herausgabe in einem deutlich schlechteren Zustand zurückgegeben wird. Dann vermag der Mieter freilich auch keine Schönheitsreparaturen vornehmen zu müssen. Gleichwohl hat er sich an den Kosten der Reparaturen zu beteiligen, da der Vermieter zumindest erwarten konnte, dass der unrenovierte Zustand beibehalten wird und keine Verschlechterung eintritt. Anderenfalls hätte der Mieter einen Freifahrtschein und könnte sich, gleich wie die Wohnung herausgegeben wird, stets auf die Unwirksamkeit der Klausel berufen.
Auch unwirksam sind solche Klauseln, die starre Fristen für die Reparaturen vorsehen (in Klausuren kommen dann in etwa folgende Sätze: „§ 7 sieht vor, dass die unter § 6 aufgeführten Reparaturen spätestens zum 3. Tag nach Beendigung des Mietverhältnisses durchgeführt sein müssen. Eine Verlängerung der Frist ist nicht möglich.“). Der Reparaturbedarf ist bei Vertragsbeginn schlecht absehbar. Die Möglichkeit einer Anpassung dieser Frist muss vorgesehen sein, da der Mieter sonst unangemessen benachteiligt wird.
Regelmäßig findet die AGB-Prüfung ihren Schwerpunkt in § 307 BGB.[1]vgl. bspw. JuS 2014, 624; JuS 2011, 107; JA 2019, 248.
Diese Schönheitsreparaturen-Klausel ist vorliegend wirksam vereinbart worden. K hat die Durchführung der Schönheitsreparaturen auf B übertragen. Insofern wäre B zur Durchführung eben jener Schönheitsreparaturen verpflichtet gewesen. Dieser Pflicht ist B nicht nachgekommen. Eine Pflichtverletzung ist gegeben.
III. Erfolglose Fristsetzung
K müsste eine angemessene Frist erfolglos gesetzt haben, vgl. § 281 Abs. 1 S. 1 BGB. K forderte B am 08.01.2018 erfolglos auf, seiner Pflicht nachzukommen und die Reparaturen durchzuführen.
IV. Vertretenmüssen
Es wird vermutet, dass B die Pflichtverletzung auch zu vertreten hat, § 280 Abs. 1 S. 2 BGB. Sie kann sich nicht exkulpieren. Vertretenmüssen ist gegeben.
V. Schaden
B ist zum Schadensersatz statt der Leistung verpflichtet. Fraglich ist jedoch, ob überhaupt ein Schaden gegeben ist, welcher ersetzt werden kann. K sind bis dato keine Kosten entstanden, sondern er hat lediglich einen Kostenvoranschlag eingeholt, aufgrund welchem er den Schaden beziffert. Die Arbeiten selbst möchte er nicht vornehmen. Ob ein solcher fiktiver Schaden ersetzt verlangt werden kann, ist umstritten.
Anmerkung: Fiktiver Schadensersatz in KlausurenIn Sachverhalten begegnet Euch das Problem des fiktiven Schadensersatzes immer auf die gleiche Art und Weise. Der Anspruchsteller möchte einen Schaden, den der Anspruchsgegner zu vertreten hat, nicht beheben, wohl aber die Kosten dafür „ersetzt“ bekommen. Dieser Schaden bemisst sich in Sachverhalten, wie auch in diesem, dann zumeist an Sachverständigengutachten oder Kostenvoranschlägen. Wenn Ihr solche Informationen in Eurem Sachverhalt habt, müsst Ihr stets an dieses Problem denken.
Bis ins Jahr 2018 waren fiktive Schadensersatzforderungen grundsätzlich kein Problem und anerkannt. Argumentativ konnte bzw. kann man hierfür einleitend stets den Wortlaut des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB anführen, welcher nicht vorsieht, dass der Schaden wirklich behoben werden muss. 2018 hat der BGH dann im Werkvertragsrecht fiktive Schadensersatzforderungen unterbunden. Seitdem sind fiktive Schadensersatzforderungen gern gesehene Klausurprobleme und sollten von Examenskandidat:Innen beherrscht werden. Argumentativ kann man in Klausuren, in denen es um fiktive Schadensersatzforderungen geht, in beide Richtungen argumentieren. Gerade beim Werkvertragsrecht bietet es sich jedoch an, dass diese mit der Rechtsprechung verneint wird. Für eine abstrakte Begründung s. unten.
Nach einer Auffassung können fiktive Schäden im Mietrecht ersetzt verlangt werden. Für die Ersatzfähigkeit fiktiver Schäden kann dann der Wortlaut des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB angeführt werden. Dieser sieht gerade nicht vor, dass ein Schaden auch „behoben“ werden muss. Zudem kommt es auf die tatsächlich durchgeführte Mängelbeseitigung wegen der Dispositionsbefugnis des Geschädigten schlichtweg nicht an, denn der Schadensersatzanspruch tritt an die Stelle des mangelfreien Werkes und zielt bereits auf die Herbeiführung des von dem Unternehmer geschuldeten Erfolgs ab.[2]vgl. JA 2023, 718.
Eine andere Auffassung lehnt die Ersatzfähigkeit ab. Dafür spricht, dass die Gefahr einer Überkompensation besteht. Wird der Mangel beseitigt, so entstehen Mängelbeseitigungskosten. Wird der Mangel nicht beseitigt, so bekommt der Vermieter das Geld für die Beseitigung und zusätzlich das (beschädigte und minderwertige) Werk selbst – denn dieses hat in der Regel auch noch einen Wert. Sinn und Zweck des Schadensersatzes ist jedoch gerade nicht eine Bereicherung, sondern der Ausgleich der erlittenen Schäden.
Anmerkung: Beide Ansichten vertretbarDer BGH hat primär mit dem nicht bestehenden Vergleich zum Werkvertragsrecht argumentiert und warum die dort bestehende Rechtsprechung keine Anwendung findet. Dies bietet sich für eine Klausur jedoch nur beschränkt an. Vielmehr sollte das Problem abstrakt gehalten werden.
Der BGH begründet die Nichtanwendbarkeit des Verbots der fiktiven Kosten damit, dass der Gefahr einer Überkompensation im Mietrecht damit begegnet werden kann, dass der Geschädigte nur die zur Erfüllung der Leistungspflicht erforderlichen Kosten beanspruchen darf. Der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) setzt ferner eine weitere inhaltliche Beschränkung, die eine Überkompensation verhindert. Der Gefahr einer Überkompensation kann auf anderem Wege begegnet werden. Das Argument mit Treu und Glauben sollte, wenn sich dafür entschieden wird, dieses auch in der Klausur anzuführen, jedoch kurz thematisiert werden. Denn diese Begründung könnte auch im Werkvertragsrecht zur Anwendung kommen. Ferner kann, falls der Vergleich zum Werkvertragsrecht doch zum Tragen kommt, auch angeführt werden, dass es keine Gründe gibt, warum der Vermieter gegenüber dem Werkunternehmer dahingehend privilegiert werden soll. Auch der Vermieter soll keine Überkompensation erfahren. Zuletzt kann gegen die Ersatzfähigkeit fiktiver Schäden stets angeführt werden, dass bei einem Schadensersatz statt der Leistung nicht der auf Naturalrestitution gerichtete § 249 Abs. 2 BGB einschlägig ist, sondern § 251 BGB, da auf die Zahlung eines Geldbetrages abgezielt wird (Argument aus § 281 Abs. 4 BGB). Damit kann das Wortlautargument aus § 249 Abs. 2 BGB entkräftet werden
Die Ansichten kommen zu verschiedenen Ergebnissen. Überzeugend ist es, hier mit dem Wortlaut des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB zu gehen. Dogmatisch findet die zweite Ansicht keinen Anknüpfungspunkt im Gesetz. Zudem kann sich der Vermieter nicht beliebig bereichern. Denn der Vermieter hat stets im Rahmen von Treu und Glauben zu handeln, sodass auch der Ersatz fiktiver Schäden seine Grenzen findet und nicht uferlos genutzt werden kann. Im Mietrecht können fiktive Schäden ersetzt werden.
VI. Ergebnis
K hat einen Anspruch gegen B auf Schadensersatz statt der Leistung aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 BGB.
Zusatzfrage
Hat K Anspruch auf Zahlung eines Kostenvorschusses zur Durchführung der Schönheitsreparaturen?K könnte gegen B einen Anspruch auf Zahlung eines Vorschusses haben. Das Mietvertragsrecht kennt keine entsprechende Anspruchsgrundlage.[3]LG Hagen, Urteil vom 25.06.2021 – 1 S 1/21. Im Werkvertragsrecht kann ein solcher Anspruch auf § 637 Abs. 3 BGB gestützt werden. Eine analoge Anwendung scheitert jedoch bereits an der planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber wusste um die Problematik und hat sich beim Werkvertragsrecht bewusst für eine entsprechende Reglung entschieden, während diese im Mietrecht keinen Einzug gefunden hat. Es besteht schlicht keine Anspruchsgrundlage für das Begehren des K.
Der BGH spricht teilweise aus Billigkeitsgründen dem Vermieter einen Kostenvorschussanspruch zu.[4]BGH, Urteil vom 06.04.2005 – VIII ZR 192/04. Dieser Anspruch scheitert jedoch daran, dass hier ein Anspruch aus einem beendeten Mietverhältnis geltend gemacht werden soll. In seinen Entscheidungen diesbezüglich hat der BGH dem Vermieter einen solchen Anspruch explizit nur zugesprochen, wenn das Mietverhältnis noch lief. Von Kandidat:Innen ist nicht zu erwarten, dass diese Rechtsprechung bekannt ist.
K hat keinen Anspruch auf Zahlung eines Vorschusses.
Zusammenfassung
Das Urteil lässt sich hervorragend mit beliebten Klausurklassikern wie der Prüfung von Schönheitsreparatur-Klauseln im Rahmen einer AGB-Prüfung verknüpfen. Ferner ist spätestens seit 2018 der fiktive Schaden ein Dauerbrenner in Examensklausuren. Es ist durchaus denkbar, dass dies nicht nur im Rahmen des Werkvertragsrechts (oder Kaufrecht), sondern nunmehr auch im Mietrecht abgefragt werden kann. Man sollte in jedem Fall wissen, wann die Klausur die Behandlung des Problems vorsieht. Man kann sich merken, dass die Rechtsprechung grundsätzlich fiktiven Schadensersatz zulässt – außer im Werkvertragsrecht. Gleichwohl kann sich mit guter Begründung sowohl dafür als auch dagegen entschieden werden.