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Der Einzelraser und sein Panikleiden
BGH, Urteil vom 12.09.2019 – 4 StR 146/19, NStZ 2020, 297
OLG Stuttgart, Beschluss vom 04.07.2019 – 4 Rv 28 Ss 103/19, NJW 2019, 2787

Sachverhalt

A war am 01.05.2018 gegen 4 Uhr morgens mit seinem Pkw unterwegs, als er von zwei Polizeibeamten einer routinemäßigen Polizeikontrolle unterzogen wurde. Dabei verlangten die Beamten seinen Führerschein sowie Fahrzeugpapiere und forderten A auf, aus dem Fahrzeug zu steigen. Dabei hielt zufällig eine weitere Polizeistreife dort an. In diesem Augenblick erlitt A, welcher bereits seit längerer Zeit unter einer im Zusammenhang mit Polizeieinsätzen stehenden Panikstörung leidet, die mit Herzrasen, Händezittern und dem Bedürfnis, sich der Situation durch Flucht zu entziehen einhergeht, eine Panikattacke. Daraufhin stieg er zurück in seinen Pkw und fuhr mit quietschenden Reifen davon. Die zwei Streifenwagen fuhren A mit Blaulicht hinterher. Vergeblich versuchten diese, mit Haltesignalen A zum Anhalten zu bewegen. Als A erkannte, dass die Streifenwagen ihn fast eingeholt hatten, beschleunigte er sein Fahrzeug, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen und dadurch die Beamten abzuhängen. Innerhalb der Ortschaft fuhr er bei erlaubten 50 km/h, 145 km/h. Zudem befuhr er zeitweise die Gegenfahrbahn und fuhr über eine rot anzeigende Ampel. Während der Verfolgungsfahrt schnitt er an unübersichtlichen Stellen die Kurven, wobei ihm dabei die Belange anderer Verkehrsteilnehmer gleichgültig waren, da es ihm allein auf ein schnelles Fortkommen ankam. In einer leichten, übersichtlichen und gut ausgeleuchteten Rechtskurve an einer gut überschaubaren Kreuzung verlor A allein aufgrund überhöhter Geschwindigkeit die Kontrolle über das Fahrzeug, welches in das Garagentor eines dort befindlichen Hauses schleuderte, an welchem ein Sachschaden von über 6.000 Euro entstand. Die Rechtskurve war dabei nicht ausschlaggebend für den Verlust der Kontrolle, sondern allein die Geschwindigkeit unabhängig von der konkreten Verkehrssituation. A flüchtete daraufhin zu Fuß weiter. Nach den Feststellungen des Sachverständigen war A infolge seiner Panikattacke in seiner Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB erheblich eingeschränkt.

Strafbarkeit des A?

Skizze


A. Strafbarkeit des A gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1 StGB

Indem A in einer Rechtskurve mit überhöhter Geschwindigkeit die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor und dabei in ein Garagentor schleuderte und dieses dabei beschädigte, könnte er sich wegen Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß §  315c Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1 StGB strafbar gemacht haben. 

Vernetztes Lernen: Wie grenzt man die Straßenverkehrsdelikte voneinander ab

Zum einen haben wir den Schutz des Straßenverkehrs vor konkreter Gefährdung – §§ 315b und 315c StGB, zum anderen den Schutz vor einer abstrakten Gefährdung § 316 StGB. Der § 315d StGB stellt eine Verbindung von abstrakten und konkreten Gefährdungsdelikten dar, wobei je nach Gefährlichkeitsgrad der Strafrahmen sich verschiebt.

§ 315b StGB schützt dabei vor Eingriffen IN den Straßenverkehr, also vor Handlungen, welche von außerhalb auf den Straßenverkehr einwirken. § 315c StGB schützt vor Gefährdung DES Straßenverkehrs, also vor Handlungen innerhalb des Straßenverkehrs.
All diese Delikte sind dabei eigenhändige Delikte.

§ 315d StGB soll die Sicherheit des Straßenverkehrs, Leib und Leben von Teilnehmern des Verkehrs und dessen Vermögenswerte schützen, die von dieser spezifischen Gefahr der Kraftfahrzeugrennens betroffen sein könnten.

Beachte! § 142 StGB schützt nicht den Straßenverkehr, was sich bereits aus der Stellung des Paragraphen ergibt. Dieser schützt das Vermögen und das zivilrechtliche Beweisinteresse des Unfallgeschädigten.

I. Fahrzeugführer im Straßenverkehr

A hat sein Fahrzeug als Fortbewegungsmittel unter Beherrschung der Antriebskräfte in Bewegung gesetzt und gehalten und dabei öffentliche Straßen befahren. A war damit Fahrzeugführer im Straßenverkehr. 

II. Fehlverhalten im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 2 d) StGB

A müsste als Fahrzeugführer ein Fehlverhalten im Sinne dieser Vorschrift vorzuwerfen sein. 

In Betracht kommt zunächst ein Fehlverhalten im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 2 d) StGB, falls A an einer unübersichtlichen Stelle zu schnell gefahren wäre. Eine Stelle ist unübersichtlich, wenn der Fahrer die Verkehrssituation aufgrund von Umständen nicht überblicken kann und eine Anpassung der Fahrgeschwindigkeit insoweit indiziert wäre.[1]Fischer StGB, 68. Aufl. 2021, § 315 c Rn. 8. Die Rechtskurve hatte nur eine leichte Krümmung, war gut ausgeleuchtet und gut überschaubar, sodass diese Stelle nicht unübersichtlich im Sinne dieser Vorschrift ist. 

A könnte jedoch grob verkehrswidrig und rücksichtslos an einer Straßenkreuzung zu schnell gefahren sein und damit § 315c Abs. 1 Nr. 2 d) StGB erfüllt haben. Der Unfall ereignete sich in einem Kreuzungsbereich, wobei A dort mit mehr als einer Doppelten der dort zugelassenen Geschwindigkeit dort einfuhr. 

A müsste dabei auch grob verkehrswidrig und rücksichtslos gehandelt haben. Grob verkehrswidrig handelt, wer die Verkehrsregeln besonders schwerwiegend missachtet.[2]Rengier, Strafrecht BT II, 22. Aufl. 2021, § 44 Rdn. 8. A verstieß während seiner Geschwindigkeitsüberschreitung gegen § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO. Ein Verstoß hiergegen ist als besonders schwerwiegend anzusehen, wenn die Geschwindigkeit um mehr als das Doppelte überschritten wird.[3]Fischer StGB, 68. Aufl. 2021, § 315 c Rn. 13. Insbesondere ist ein Geschwindigkeitsverstoß innerhalb einer geschlossenen Ortschaft aufgrund vermehrtem Fußgängerverkehr anders als außerhalb geschlossener Ortschaft besonders schwerwiegend, da Leib und Leben von Fußgängern dort besonders gefährdet werden.[4] Diese Argumentation lässt sich aus dem Ordnungswidrigkeitenrecht herleiten. Dort werden Geschwindigkeitsverstöße innerhalb einer geschlossenen Ortschaft strenger geahndet als außerorts. Während seiner Verfolgungsfahrt waren dem A andere Verkehrsteilnehme gleichgültig, vielmehr war sein Verhalten gesteuert von seinem eigensüchtigen Motiv, dem Entkommen vor den  Polizeibeamten, sodass er auch rücksichtslos handelte. 

Anmerkung: Rücksichtslos
Das Tatbestandsmerkmal -rücksichtslos- hat eine subjektive Komponente, sodass auch die Möglichkeit besteht dieses erst im Rahmen des subjektiven Tatbestandes zu prüfen. Es ist jedoch auch nicht falsch, dies hier an dieser Stelle bereits anzusprechen, da auch eine Verknüpfung mit dem Merkmal -verkehrswidrig- gegeben ist. In der überwiegenden Literatur wird dieses Merkmal im objektiven Tatbestand geprüft.

III. Konkrete Gefährdung im Sinne des § 315 c Abs. 2 StGB

Die Garagentor ist ein körperlicher Gegenstand im Sinne des § 90 BGB, welcher im Eigentum eines anderen steht und über 750 Euro wert ist, sodass eine fremde Sache von bedeutendem Wert gegeben ist, welche A konkret gefährdet hat. 

IV. Gefahrspezifischer Zusammenhang

Fraglich ist jedoch, ob sich in der Gefährdung des Garagentors auch das spezifische Risiko des Verkehrsverstoßes gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2 d) StGB realisiert hat. Hierfür bedarf es eines Zusammenhangs zwischen der konkreten Gefährdung und der Geschwindigkeitsüberhöhung an einer Straßenkreuzung. In der konkreten Gefährdung muss sich das spezifische Risiko des Fehlverhaltens im Straßenverkehr niedergeschlagen haben. 

Vernetztes Lernen: Wo ist das Problem bei einem (Beinahe-) Unfallgeschehen zu verorten, welches unabhängig von der Alkoholisierung des Fahrers für jeden Verkehrsteilnehmer unvermeidbar gewesen wäre?
    Hierbei stellt sich das Problem des hypothetischen Kausalverlaufs.

    Bei den Fahrlässigkeitstatbeständen der §§ 222, 229 StGB wird die Berufung auf einen hypothetisch Nüchternen verwehrt, da dem Täter der Vorwurf gemäß § 3 Abs. 1 S. 2 StVO gemacht wird, dass dieser seine Geschwindigkeit nicht an seinen Zustand angepasst hat. (Rspr.)
    (a.A. Lit. Es gibt keine fiktive Geschwindigkeit für einen Betrunkenen)

    Anders sieht die Rechtsprechung die Berufung auf einen hypothetisch Nüchternen bei § 315c StGB, da zwischen dem Alkoholkonsum und der konkreten Gefährdung kein Zusammenhang besteht, wenn erwiesen ist, dass auch ein nüchterner Fahrer die Situation nicht hätte vermeiden können. Vorwerfbar ist lediglich die Nichtanpassung der Geschwindigkeit, welche hier nicht Gegenstand der Strafbarkeit ist.

    (Die Problematik kann weitergehend z.B. im Aufsatz JA 2013, 393 nachgelesen werden.)

Der Umstand, dass der Unfallort sich an einer Kreuzung befunden hat, reicht allein zunächst nicht aus. Vielmehr muss sich die Situation an der Straßenkreuzung gerade auf den Unfallhergang ausgewirkt haben. Hier hat A allein aufgrund der Überschreitung der Geschwindigkeit und mit dem damit einhergehenden Verlust der Steuerungsfähigkeit das Garagentor beschädigt. Die Geschwindigkeitsüberschreitung allein, begründet jedoch noch kein Verstoß im Sinne dieser Vorschrift, es muss sich vielmehr die Gefährdung aus der Geschwindigkeitsüberschreitung gerade im Kreuzungsbereich ergeben. Demnach ist der gefahrspezifische Zusammenhang abzulehnen.  

Anmerkung: Anderes Ergebnis
Ein anderes Ergebnis ist mit guter Argumentation hier vertretbar. Dabei ist aber darauf zu achten, das Problem hier zu erkennen und anzusprechen, da dieses in dem Sachverhalt so angelegt war. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass A zuvor an unübersichtlichen Stellern sogar Kurven geschnitten hat bei gleicher Geschwindigkeit und gerade nichts passierte. An dieser einfachen Kurve hat er nun jedoch die Kontrolle verloren, ohne dass es dabei auf die konkrete Straßenführung ankam. Es war vielmehr sein Versagen infolge der Geschwindigkeit. Eine Geschwindigkeitsüberschreitung allein reicht jedoch für eine Strafbarkeit im Sinne dieser Vorschrift noch nicht aus.

V. Ergebnis

A hat sich demnach nicht gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1 StGB strafbar gemacht. 

B. Strafbarkeit des A gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1 b.), Abs. 3 Nr. 1 StGB

A könnte sich aufgrund dieser Handlung jedoch wegen Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1 b.), Abs. 3 Nr. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er während einer Panikattacke das Fahrzeug lenkte. 

I. Fahruntauglichkeit infolge geistiger oder körperlicher Mängel

Als A das Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr führte, könnte er infolge geistiger oder körperlicher Mängel fahruntauglich gewesen sein. Fahruntauglichkeit im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 1 b.) StGB liegt vor, wenn die Gesamtleistungsfähigkeit des Fahrzeugführers infolge geistigen oder körperlichen Mangels sso weitherabgesetzt ist, dass er nicht mehr fähig ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, und zwar auch bei plötzlichen Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern.[5]Fischer StGB, 68. Aufl. 2021, § 315 c Rn. 4. Dabei wird der Begriff der Fahruntauglichkeit sehr umfassend verstanden, sodass sämtliche psychopathologischen und körperlichen Defektzustände, welche die Gefahr der Fahrunsicherheit des Fahrzeugführers begründen, ausreichen. Unerheblich ist dabei, ob der Mangel dauerhafter oder nur vorübergehender Natur ist.[6]BGHSt 40, 341 (344). Auch Anfallsleiden, die zwar außerhalb akuter Phasen keine beeinträchtigenden Wirkungen entfalten, aber die erhebliche Gefahr jederzeit auftretender Anfälle und damit einer plötzlich eintretenden Fahrunsicherheit begründen, unterfallen der Vorschrift. A leidet bereits seit längerer Zeit unter dieser Art von Panikattacken. Damit verbunden kommt es zu Herzrasen, Händezittern und dem dringenden Bedürfnis sich der Situation zu entziehen. Diese Panik führt dazu, dass A als Fahrzeugführer beim Zusammentreffen mit Polizeibeamten körperliche Symptome verspürt, wodurch er zur Fluch motiviert wird und dadurch sich selbst und andere Verkehrsteilnehmer erheblich gefährdet. Infolge der Panikattacke und der damit einhergehenden Fluchtgedanken missachtet A sämtliche Verkehrsregeln und ist dadurch gesteuert, nicht mehr in der Lage sein Fahrzeug über eine längere Strecke sicher zu führen. Es liegt hier nahe, dass infolge der festgestellten Panikattacke, A bei seiner Flucht vor der Polizei zumindest seine Risikoeinschätzung im Hinblick auf sein Fahrverhalten erheblich beeinträchtigt und damit seine Gesamtleistungsfähigkeit soweit herabgesetzt ist, dass er nicht mehr fähig ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr sicher zu führen. Demnach stellt die Panikattacke des A vor Polizeieinsätzen eine Fahruntauglichkeit infolge geistiger oder körperlicher Mängel dar. 

II. Konkrete Gefährdung und gefahrspezifischer Zusammenhang

Das Garagentor ist eine fremde Sache von bedeutendem Wert, welche A infolge von fahrlässigem Verhalten gefährdet hat. In dieser Gefährdung hat sich die spezifische Gefahr der Fahruntauglichkeit infolge der Panikattacke realisiert, da A infolge der Verfolgungsfahrt sein Fahrzeug deutlich beschleunigte und dadurch die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor. 

III. Vorsatz 

A kannte sein Panikleiden und stieg in seinen Wagen und fuhr in Kenntnis dessen davon, sodass er vorsätzlich handelte. 

IV. Fahrlässigkeit hinsichtlich der Folge § 315 c Abs. 3 Nr. 1 StGB

A hat während der Fahrt in dieser Kurve die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen, zu der er nach den konkreten Umständen und nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande war[7]Rengier, Strafrecht AT, 12. Aufl. 2020, § 52 Rn. 7., sodass er zumindest fahrlässig handelte, indem er seine Geschwindigkeit nicht seiner Steuerungsfähigkeit und den zugelassenen Geschwindigkeitsbegrenzungen anpasste.

V. Rechtswidrigkeit und Schuld

A handelte auch rechtwidrig und schuldhaft. Die verminderte Schuldfähigkeit nach § 21 StGB schließt die Schuldfähigkeit nicht aus, möglich bleibt eine Strafmilderung gemäß § 49 Abs. 1 StGB. Hinsichtlich der Gefährdung handelte A auch subjektiv fahrlässig.

VI. Ergebnis

A hat sich gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1 b.), Abs. 3 Nr. 1 StGB strafbar gemacht. 

C. Strafbarkeit des A gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 und Abs. 4 StGB

A könnte sich wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennen gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, Abs. 4 StGB strafbar gemacht haben, indem er mit seinem Pkw vor den Polizeibeamten mit erhöhter Geschwindigkeit flüchtete und dabei ein Garagentor beschädigte. 

Anmerkung: BGH Urteil
In dem BGH-Urteil vom 12.09.2019 – 4 StR 146/19 wurde der Tatbestand nicht geprüft, da diese Vorschrift erst zum 13.10.2017 in Kraft getreten ist und die Tat sich bereits am 08.07.2017 ereignet hatte. Die Polizeiflucht als verbotenes Kraftfahrzeugrennen war Gegenstand des Beschlusses des OLG Stuttgart vom 04.07.2019 – 4 Rv 28 Ss 103/19. Diese Rechtsprechung ist dabei nicht unumstritten und befindet sich noch in der Entwicklung, da die Vorschrift noch relativ jung ist. Die Entscheidung des OLG Stuttgart wird auch von anderen Gerichten geteilt, siehe auch: LG Berlin 528 Qs 24/19, AG Waldbröl 40 Ds 536/18.

An dieser Stelle ist es wichtig die Vorschrift zu kennen. Die gesetzliche Überschrift ist hier insoweit irreführend, da es sich in Abs. 1 Nr. 3 dieser Vorschrift nicht um ein „Rennen“ im wörtlichen Sinne handelt. Umgangssprachlich würde man hier eher vom „Rasen“ sprechen und nicht von „Rennen“. Diese Nummer wurde erst im Rechtsausschuss (BT-Drs. 18/12964) eingefügt. Dabei hatte der Gesetzgeber ein „rennartiges“ Verhalten vor Augen, welches er mit in diesen Tatbestand aufgenommen hat um auch das rücksichtlose Schnellfahren als spezifische Gefährdung zu umfassen.

I. Grob verkehrswidrige und rücksichtslose Fortbewegung als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit in Straßenverkehr § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB

A fuhr mit seinen Pkw bei erlaubten 50 km/h, 145 km/h im öffentlichen Straßenverkehr, wodurch er grob verkehrswidrig und rücksichtlos handelte. Er müsste zudem mit nicht angepasster Geschwindigkeit gefahren sein. Nicht angepasste Geschwindigkeit meint dabei ein zu schnelles Fahren, das entweder Geschwindigkeitsbegrenzungen verletzt oder der konkreten Verkehrssituation zuwiderläuft.[8]Fischer StGB, 68. Aufl. 2021, § 315d Rn. 14. Durch seine Geschwindigkeitsüberschreitung hat A gegen § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO verstoßen und ist demnach mit nicht angepasster Geschwindigkeit gefahren. 

A hat den objektiven Tatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB erfüllt.

II. Kausale Gefährdung fremder Sachen von bedeutendem Wert

Infolge des Verhaltens des A wurde das Garagentor im Wert von 6.000 Euro beschädigt, sodass A ebenfalls § 315d Abs. 2 StGB erfüllt hat. 

III. Fahrlässigkeit im Sinne des § 315 d Abs. 4 StGB/Vorsatz hinsichtlich der Handlung

A hat die Garagentor fahrlässig im Sinne des § 315 d Abs. 4 StGB gefährdet und im Übrigen vorsätzlich gehandelt. 

IV. Absicht der Erreichung einer höchstmöglichen Geschwindigkeit

Schließlich müsste A mit der Absicht gehandelt haben, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Fraglich ist, ob dieses Merkmal auch dann erfüllt ist, wenn der Täter nur vor der Polizei fliehen wollte und es ihm nicht in erster Linie um die Erreichung der höchstmöglichen Geschwindigkeit ging. 

Vernetztes Lernen: Welche Besonderheit ist bei dieser Vorschrift im subjektiven Tatbestand zu beachten und aus welchen anderen Vorschriften kommt euch diese Besonderheit bekannt vor?

Bei diesem Prüfungspunkt handelt es sich um die vom Gesetz vorausgesetzte „überschießende Innentendenz“. Überschießende Innentendenz bei einem Delikt ist dabei gegeben, wenn ein Delikt im subjektiven Tatbestand mehr verlangt als Vorsatz im Hinblick auf den objektiven Tatbestand. Demnach brauchen wir ein subjektives Element, welches über den objektiven Tatbestand hinausgeht.

Ein Beispiel hierfür ist der Diebstahl gemäß § 242 StGB, welcher im subjektiven Tatbestand die Zueignungsabsicht fordert. Ein weiteres Beispiel ist die Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB, wo in subjektiver Hinsicht die Absicht gefordert wird, die Urkunde zur Täuschung im Rechtsverkehr zu nutzen. Der Betrug gemäß § 263 StGB fordert im subjektiven Tatbestand die Absicht stoffgleicher Bereicherung.
Man spricht bei diesen Delikten auch von erfolgskupierten Delikten.

1. Begriff der höchstmöglichen Geschwindigkeit 

Zunächst ist fraglich, was genau unter dem Begriff der höchstmöglichen Geschwindigkeit zu verstehen ist. Für diesen Begriff ist der objektive Unrechtsgehalt der tatbestandsmäßigen Handlung maßgeblich.[9]Vgl. Anmerkung Zopfs, NJW 2019, 2787. Dabei soll der Unrechtsgehalt über eine bloße Ordnungswidrigkeit hinausgehen, wodurch eine Straßenverkehrsgefährdung zu einer weiteren „Todessünde“ als konkretes Gefährdungsdelikt im StGB werden soll. Demnach ist die höchstmögliche Geschwindigkeit nicht rein schematisch in Zahlen oder anhand von technischen bzw. physikalischen Grenzen auszudrücken, sondern wird im Einzelfall aufgrund der konkreten Gefährdungssituation festgestellt.[10]LG Stade, Beschluss v. 04.07.2018 – 132 Qs 88/18. Der Täter muss demnach mit seiner Fahrweise darauf abzielen, abhängig von der jeweiligen Verkehrssituation, seinen Fahrkünsten und der Fahrzeugbeschaffenheit möglichst schnell voranzukommen.[11]Vgl. hierzu auch KG B. v. 15.04.2019 – 161 Ss 36/19, BeckRS 2019, 8319 und BT-Drs. 18/12964, 6. Es handelt sich bei diesem Begriff nicht um einen „Geschwindigkeitsrekord“, sondern um eine Fortbewegung mit möglichst hohem Tempo.[12]Fischer StGB, 68. Aufl. 2021, § 315 d Rn. 17.

Anmerkung: Verfassungskonformität des § 315d
Es wurde stark diskutiert, ob aufgrund der Unbestimmtheit dieses Merkmals, die Norm nicht als verfassungswidrig anzusehen ist. Mit Urteil vom 09.02.2022 hat das BVerfG nun klar gestellt, dass trotz Auslegungsbedürftigkeit des Merkmals „höchstmögliche Geschwindigkeit“ die Norm verfassungskonform ist. (Vgl. BVerfG 2 BvL 1/20)

A fuhr teilweise auf der Gegenfahrbahn und missachtete die Ampelanlage, wobei er über ein rotes Signal fuhr. Zudem schnitt er verschiedene Kurven, um seine Geschwindigkeit beizubehalten. Hinzu kommt, dass die Polizeibeamten über eine längere Strecke den A nicht zum Halten bewegen konnten. Insbesondere im Hinblick auf seine Motivation, dem Entkommen der Polizeibeamten, hat der A abgezielt, sich mit einer relativen Höchstgeschwindigkeit fortzubewegen, sodass er die Absicht hatte eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. 

2. Absicht der höchstmöglichen Geschwindigkeit als Hauptgrund

Fraglich ist, wie der Umstand zu werten ist, dass A die höchstmögliche Geschwindigkeit erreichen wollte, um den Beamten zu entkommen und demnach sein Beweggrund nicht allein das Erreichen einer solchen Geschwindigkeit war. Es stellt sich damit die Frage, ob für die Strafbarkeit im Sinne dieser Vorschrift das Hauptziel des Täters die Erzielung der möglichst hohen Geschwindigkeit sein muss. Diese Frage stellt sich insbesondere aufgrund der nicht amtlichen Überschrift als „verbotenes Kraftfahrzeugrennen“. Diese suggeriert, dass es sich bei der Verwirklichung dieser Vorschrift um ein „Rennen“ im allgemeinen Sprachgebrauch handeln soll, also das Erreichen einer Geschwindigkeit aus Wettbewerbs- oder Leistungsprüfungsgründen.[13]Diese Fragestellung ist nicht unumstritten. Insbesondere gibt es Vertreter, welche in diesem Punkt die Unbestimmtheit dieses neuen Straftatbestandes monieren. Vgl. zu diesem Themenkomplex z.B. Hecker … Continue reading

Der Wortlaut der Vorschrift „um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“ gibt lediglich dahingehend Anhaltspunkte, dass es hier einer gewissen Absicht bedarf. Hätte sich die Absicht allein auf dieses Kriterium beziehen sollen, so hätte der Gesetzgeber dies durch Zusatzworte wie „allein um (…)“ zum Ausdruck bringen können. 

Aus dem Sinn- und Zweckzusammenhang des Gesetztes ergibt sich jedoch, dass es dem Gesetzgeber[14]BT-Drs. 18/12964, 5. darum ging, den Renncharakter zu verdeutlichen, in Abgrenzung zu einem lediglich „zu schnell Fahrens“. Die besondere Gefährdung bei einem Rennen liegt darin, dass durch den Wettbewerb die Fahr- und Verkehrssicherheit in den meisten Fällen in besonders hohem Maße außer Acht gelassen wird und durch den Zuwachs an Geschwindigkeit der Verlust der Kontrolle des Fahrzeuges droht. Daneben richtet sich die Aufmerksamkeit bei einem solchen Rennen zumeist nicht primär auf den Straßenverkehr, sondern auf die Erreichung eines bestimmten Ziels bzw. Zweckes. Diese besondere Gefährdung spiegelt sich auch bei einer Flucht vor Polizeibeamten wieder, wodurch eine risikobezogene Vergleichbarkeit anzunehmen ist. Auch hier haben wir ein abstrakt erhöhtes Risikopotential über einer bloßen Geschwindigkeitsüberschreitung hinaus, indem das Hauptaugenmerk des Flüchtigen in der erfolgreichen Flucht liegt, unabhängig von der konkreten Geschwindigkeit. 

Für eine solche Betrachtungsweise spricht auch, dass eine Aufklärung von konkreten Motiven im Einzelfall schwer möglich ist und zudem oftmals ein Motivbündel gegeben sein könnte. Ein solches Motivbündel führt auch bei den übrigen Varianten der Vorschrift nicht zum Entfall der Absicht. Zudem ergeben sich bei einem Rennen oftmals Begleitabsichten, wie z.B.  das Imponieren gegenüber Beifahrern oder anderen Teilnehmern des Straßenverkehrs, welche ebenfalls die Strafbarkeit des § 315d StGB nicht ausschließen. 

Demnach ist unschädlich, dass A als weiteres Ziel die Flucht verfolgte. A hat demnach die Absicht eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. 

V. Rechtswidrigkeit und Schuld

A handelte rechtswidrig und schuldhaft.

VI. Ergebnis

A hat sich wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennen gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 und Abs. 4 StGB strafbar gemacht. 

D. Strafbarkeit des A gemäß § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB

Indem A nach dem Aufprall gegen das Garagentor zu Fuß weiter flüchtete, könnte er sich wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort gemäß § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbar gemacht haben. 

A hat ein plötzliches, unerwartetes Ereignis im öffentlichen Straßenverkehr, das mit dessen typischen Gefahren in ursächlichen Zusammenhang steht und das zu einem nicht völlig belanglosem Schaden an dem Garagentor führte und damit ein Unfall im öffentlichen Verkehr verursacht. Unmittelbar nach dem Zusammenstoß hat A die Örtlichkeiten zu Fuß verlassen, ohne dass er von feststellungsbereiten Personen als Beteiligter des Unfalls eingestuft werden konnte und hat sich demnach vom Unfallort entfernt. Eine nach den Umständen angemessene Zeit hatte er nicht gewartet. 

Demnach hat A vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft den Tatbestand des § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt und sich wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort strafbar gemacht. 

Anmerkung: Schwerpunktsetzung
An dieser Stelle gilt es die richtigen Schwerpunkte zu setzten. A hat sich hier offensichtlich vom Unfallort entfernt und sich dahingehend strafbar gemacht. Ein vollständiger Gutachtenstil würde euch hier sehr viel Zeit kosten und würde von Prüfern ggf. sogar als Minuspunkt angestrichen werden, da es hier an der Schwerpunktsetzung fehlt. Sicher wäre es sogar angebracht gewesen hier einen Satz im Urteilsstil zu schreiben, wobei auch dies nicht bei jedem Prüfer auf Begeisterung treffen würde. Um beiden Korrektoren gerecht zu werden, bietet sich der verkürzte Gutachtenstil an, wobei hier der Obersatz und die Definition weggelassen werden und lediglich eine Subsumtion und ein Ergebnis aufgeschrieben wird. (Vgl. hierfür als Übung „Tina Hildebrand – Juristischer Gutachtenstil; Ein Lehr- und Arbeitsbuch“ Kapitel 8. Schwerpunktsetzen im Gutachten)

E. Konkurrenzen

A hat während der Fluchtfahrt, getragen von einem einheitlichen Willen, die Tatbestände der  § 315c Abs. 1 Nr. 1 b), Abs. 3 Nr. 1 StGB und § 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 und Abs. 4 StGB erfüllt. Treffen mehrere Strafgesetze in einer Handlung zusammen, so ist eine Handlung im natürlichen Sinn gegeben. § 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB tritt nicht zurück, da aus Klarstellungsgründen dieses Delikt aufgrund des weitergehenden Unrechts, in Form von Führen eines Fahrzeuges im Zustand der Fahruntauglichkeit, im Schuldspruch vollständig erfasst sein muss. Demnach stehen die Delikte zueinander in Idealkonkurrenz. Aufgrund der Zäsur durch den Unfall mit der Garagentor steht der § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu den übrigen Delikten in Handlungsmehrheit. 

Vernetztes Lernen: Wie ist das Prüfungsschema zu den Konkurrenzen?
1. Stehen die Delikte zueinander in Handlungseinheit?
– Handlungseinheit im natürlichen Sinne
– natürliche Handlungseinheit
– Überschneidung mit rechtlicher Handlungseinheit
– Klammerwirkung

2. Tritt ein Delikt aus Gründen der Gesetzeskonkurrenz zurück?
– Spezialität
– Subsidiarität
– Konsumtion

Die verbleibenden Delikte stehen zueinander in Tateinheit (Idealkonkurrenz).

(2.) Bei Verneinung der Handlungseinheit liegt Handlungsmehrheit vor

3. Tritt ein Delikt aus Gründen der Gesetzeskonkurrenz zurück?
– mitbestrafte Vortat
– mitbestrafte Nachtat

Die verbleibenden Delikte stehen zueinander in Tatmehrheit (Realkonkurrenz).

F. Ergebnis 

A hat sich gemäß §§ 315c Abs. 1 Nr. 1 b), Abs. 3 Nr. 1, 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 und Abs. 4, 52; 142 Abs. 1 Nr. 2, 53 StGB strafbar gemacht. 

Zusatzfragen

Wie wäre der Fall zu beurteilen, wenn A nicht angetrieben von seinen Fluchtgedanken die Geschwindigkeiten ausfährt, sondern um seine Beifahrerin zu beeindrucken und zudem nicht das Garagentor beschädigt wird, sondern es in Folge der Geschwindigkeiten zum Zusammenstoß mit einem weiteren Verkehrsteilnehmer kommt, wodurch der Fahrer noch am Unfallort an den schweren Folgen des Unfalls verstirbt. Eine solche Gefährdung hatte der A dabei erkannt und nahm diese zumindest billigend in Kauf. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass er auf das Ausbeleiben eines Unfalls aufgrund seiner besonderen Fähigkeiten vertraute.

In diesem Fall ist zusätzlich zu dem bereits oben Dargestellten noch eine Erfolgsqualifikation zu prüfen. Hier soll schwerpunktmäßig die Erfolgsqualifikation und dessen Aufbau aufgezeigt werden, ohne ein vollständiges Gutachten zu formulieren. Im Hinblick auf die anderen Prüfungspunkte wird auf die obige Prüfung verwiesen. Auch hier stellt sich wieder im Rahmen der Absicht die Frage, ob ein Motivbündel diese ausschließen würde. Im Übrigen ergeben sich nur noch Besonderheiten in den Konkurrenzen.

A. Strafbarkeit des B gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, Abs. 5 StGB(+)

I. Tatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB(+)

A fuhr mit seinen Pkw bei erlaubten 50 km/h, 160 km/h im öffentlichen Straßenverkehr, wodurch er grob verkehrswidrig und rücksichtlos handelte. Durch seine Geschwindigkeitsüberschreitung um mehr als das Dreifache hat A gegen § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO verstoßen und ist demnach mit nicht angepasster Geschwindigkeit gefahren.
A hat den objektiven Tatbestand des § 315 d Abs. 1 Nr. 3 StGB erfüllt.

II. Tatbestand des § 315d Abs. 2 StGB(+)

Infolge des Verhaltens des A wurde F schwer verletzt, sodass A ebenfalls den Tatbestand des § 315d Abs. 2 StGB erfüllt hat.

III. Schwere Folge § 315 d Abs. 5 StGB(+)

Mit dem Tod des F ist auch die schwere Folge des § 315d Abs. 5 StGB aufgrund der verkehrsspezifischen Gefahr eingetreten. Hinsichtlich der Todesfolge handelte B zumindest fahrlässig im Sinne des § 18 StGB.

IV. Spezifische Gefahr (+)

V. Subjektiver Tatbestand (+)
1. Vorsatz
2. Absicht hinsichtlich Abs. 1 Nr. 3

VI. Objektive Fahrlässigkeit hinsichtlich der schweren Folge (+)

VII. Rechtswidrigkeit Schuld und subjektive Fahrlässigkeit (+)

B. Strafbarkeit des B gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2 d StGB (+)

Durch die extrem überhöhte Geschwindigkeit hat A weiterhin den Tatbestand der Gefährdung des Straßenverkehrs erfüllt.

C. Konkurrenzen

Zwischen den beiden Delikten besteht Tateinheit. Hier stellt sich die Frage, ob der typischerweise mitverwirklichte Tatbestand des § 31c Abs. 1 Nr. 2 StGB aufgrund Spezialität zurücktritt. Diese Frage wird nicht einheitlich beurteilt. Zum einen wird Spezialität nur angenommen, wenn Abs. 2 des § 315 d StGB verwirklich wurde, im Übrigen stehen die Vorschriften nebeneinander. Zum anderen wird generell von § 315 d StGB als lex specialis ggü. § 315 c Abs. 1 Nr. 2 StGB gesprochen. Aktuell kann man hier wohl beides vertreten, da sich noch kein Konsens gebildet hat. Wichtig ist dies kurz an dieser Stelle zu diskutieren und sich für eine der Ansichten zu entscheiden.
(Vgl. vertiefend BGH, Beschluss vom 17.2.2021 – 4 StR 225/20, NJW 2021, 1173.)

Kann man sich wegen Prozessbetruges strafbar machen, wenn man im Zivilprozess im Rahmen der informatorischen Anhörung als Partei die Unwahrheit spricht?

Die Strafbarkeit im Sinne des § 263 StGB setzt voraus, dass der unzutreffende Sachvortrag der Partei gegen § 138 ZPO verstößt. (§ 138 ZPO normiert die zivilprozessuale Wahrheitspflicht der Parteien in einem Zivilprozess) Demnach ist im Rahmen der Strafbarkeit diese Vorschrift umfassend zu prüfen. Liegt kein Verstoß gegen § 138 ZPO vor, so ist eine Strafbarkeit zwingend abzulehnen.

Im Zivilprozess dürfen nach ständiger Rechtsprechung auch nur vermutete Tatsachen vorgetragen werden, ohne dass eine Partei gegen § 138 ZPO verstößt. Dabei darf sie Tatsachen behaupten, über welche sie kein sicheres Wissen hat, welche sie jedoch für wahrscheinlich hält. (Abzugrenzen von Aussagen „ins Blaue hinein“) Ebenfalls zulässig ist ein einfaches Bestreiten eines Vortrages wider besseren Wissens. Die zulässige Grenze wird dort erreicht, wo der Sachvortrag vollkommen willkürlich ist und demnach „ins Blaue hinein“ behauptet wird. Bei der Annahme einer solchen Willkür ist jedoch Vorsicht geboten, die Rechtsprechung legt diesen Begriff sehr restriktiv aus.

Assessorexamen: Wie müssen die Obersätze im A Gutachten formuliert werden? Formuliere den Obersatz für den Punkt A. des Ausgangsfalls.

Im zweiten Examen muss darauf geachtet werden, im A Gutachten nicht von „Strafbarkeit“ zu sprechen. Im A Gutachten wird nur der „hinreichende Tatverdacht“ geprüft. Hinsichtlich einer Strafbarkeit entscheidet der Richter erst durch sein Urteil. Zudem wird überwiegend das Beweismittel im Obersatz aufgenommen und nicht die Tathandlung, da gerade im Folgenden geprüft wird, ob eine solche Handlung nachgewiesen werden kann. Im zweiten Examen wird auch nie vom „Täter“ gesprochen, sondern je nach Verfahrensstadium vom „Beschuldigten“, „Angeschuldigten“, „Angeklagten“ oder „Verurteilten“.

(Beachtet hier die länderspezifischen Vorgaben eures Bundeslandes!)

Aufgrund der Aussagen der Beamten X und Y könnte trotz Abstreitens durch den Angeschuldigten gegen ihn ein hinreichender Tatverdacht wegen Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1 StGB vorliegen.

Assessorexamen: Wie würde der abstrakte Anklagesatz für den Ausgangsfall lauten?

(Beachtet hier die länderspezifischen Vorgaben eures Bundeslandes!)

wird angeklagt

in X am 01.05.2018 gegen 4:00 Uhr

durch zwei Straftaten

1. durch dieselbe Handlung
a. im Straßenverkehr ein Fahrzeug geführt zu haben, obwohl er infolge geistiger und körperlicher Mängel nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen, und dadurch fahrlässig fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet zu haben,

b. sich vorsätzlich im Straßenverkehr als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtlos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen und dadurch fahrlässig fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet zu haben,

wobei während der Taten a. und b. seine Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen, wegen einer krankhaften seelischen Störung bei der Begehung der Tat erheblich vermindert war, wodurch er sich auch als ungeeignet zum Führen von Kfz erwiesen hat,

2. sich als Unfallbeteiligter nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt zu haben, bevor er eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet hat, ohne dass jemand bereit war, die Feststellungen seiner Person, seines Fahrzeuges und der Art seiner Beteiligung zu treffen.


Zusammenfassung

1. Ein Panikleiden, welches im Zusammenhang mit Polizeikontrollen zu Herzrasen und ähnlichen körperlichen Symptomen und dem dringenden Fluchtbedürfnis führt, kann im Einzelfall zur Fahruntauglichkeit im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 1 b) StGB führen. 

2. „Höchstmögliche Geschwindigkeit“ im Sinne des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB meint nicht das Erreichen eines Geschwindigkeitsrekordes oder das Ausfahren der technisch höchstmöglichen Geschwindigkeit des Pkw. Vielmehr geht es um das Abzielen des Täters darauf, seine Fahrkünste und die Fahrzeugbeschaffenheit abhängig von der jeweiligen Verkehrssituation bestmöglich auszufahren. 

3. Weitere Ziele des Täters über die Absicht der Erreichung einer höchstmöglichen Geschwindigkeit hinaus sind unschädlich. 

4. Auch der Wille des Täters, von einem Polizeifahrzeug zu fliehen, schließt die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erzielen, nicht aus. 

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