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Das Werkstattrisiko bei konkreter Schadensabrechnung
 BGH, Urteile vom 16.01.2024– VI ZR 38/22; VI ZR 239/22; VI ZR 51/23; VI ZR 266/22; VI ZR 253/22

Sachverhalt

(abgewandelt und gekürzt)

Sachverhalt

(abgewandelt und gekürzt)

Die A fährt mit ihrem PKW auf der Autobahn auf der mittleren Fahrspur, um den langsameren PKW des B, welcher bei der V-AG haftpflichtversichert ist, auf der rechten Fahrspur zu überholen. Als die A sich auf der Höhe des B befindet, beginnt dieser plötzlich mit einem Überholmanöver eines vorausfahrenden LKW. Aus Unachtsamkeit und mangels Schulterblick übersieht er hierbei den PKW der A und kollidiert mit ihr beim Spurwechsel auf die mittlere Fahrspur. Am Fahrzeug der A entsteht hierbei ein Schaden an der rechten Fahrzeugseite.  

In der Folgezeit verbringt die A ihr Auto in die Werkstatt der C-GmbH, um dieses dort reparieren zu lassen. Absprachegemäß beauftragt ein Mitarbeiter der Werkstatt „i.A. der Anspruchstellerin“ einen Sachverständigen mit der Ermittlung des Schadens. Dieser kalkuliert Nettoreparaturkosten von 10.000,00 EUR, mithin 11.900,00 EUR brutto. Ebenfalls in diesem Gutachten aufgeführt der Arbeitsschritt „Covid 19-Reinigung“. Auf Grundlage dieses Gutachtens wird die Reparatur am Fahrzeug der A durchgeführt und anschließend mit 11.900,00 EUR brutto in Rechnung gestellt. Obwohl die C-GmbH von einer „Covid 19-Reinigung“ abgesehen hat, wird diese in der Rechnung mit einer Summe von 100,00 EUR aufgeführt. Die Rechnung wurde durch A bisher nicht gezahlt.

Als A die Rechnung beim Haftpflichtversicherer des B, der V-AG einreicht, lässt diese die Rechnung auf Plausibilität prüfen. Hierbei wird – zutreffend – ermittelt, dass für einige Reparaturschritte überhöhte Arbeitsstunden angesetzt wurde und die Reparatur eigentlich 1.800,00 EUR brutto günstiger hätte ausfallen müssen. Dies war für A jedoch nicht zu erkennen.

Die V-AG überweist daher insgesamt lediglich 10.000,00 EUR direkt an die C-GmbH und verweigert die Zahlung der weiteren Kosten von 1.900,00 EUR. A möchte nunmehr erreichen, dass die V-AG auch die restlichen 1.900,00 EUR direkt an die C-GmbH überweist und bietet an, hierfür alle etwaigen Ansprüche gegen die C-GmbH wegen überteuerter Reparaturen an die V-AG abzutreten. Zu Recht?


Skizze

Gutachten

Gutachten

A.  Anspruch auf Schadensersatz i.H.v. 1.900,00 EUR aus §§ 7 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, 249 BGB

A könnte gegen die V-AG zunächst einen Anspruch auf Schadensersatz

Anspruch auf Schaden i.H.v. 1.900,00 EUR aus §§ 7 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, 249 BGB haben.

I.   Passivlegitimation der V-AG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG

Für einen Spruch gegen die V-AG müsste diese zunächst passivlegitimiert, also der richtige Anspruchsgegner sein.

Die V-AG war vorliegend nicht am Unfallgeschehen beteiligt, sondern lediglich der B mit seinem Fahrzeug.  Gemäß § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG kann ein Dritter seinen Anspruch auf Schadensersatz auch gegen den Versicherer geltend machen, wenn es sich um eine Haftpflichtversicherung zur Erfüllung einer nach § 1 des Pflichtversicherungsgesetzes handelt. Dieser Direktanspruch gegen einen Haftpflichtversicherer besteht gemäß § 117 Abs. 1 VVG auch dann, wenn der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung dem Versicherungsnehmer gegenüber ganz oder teilweise frei ist, also im Innenverhältnis kein Anspruch bestünde.

Vorliegend handelt es sich bei der Kfz-Haftpflichtversicherung, welche zwischen B und der V-AG abgeschlossen wurde, um eine Pflichtversicherung im Sinne des § 1 PflVG, sodass die A als Außenstehende, sprich Dritte, einen Direktanspruch geltend machen kann.

II.    Anspruchsvoraussetzungen, § 7 StVG, § 249 BGB

Weiterhin müssten jedoch auch die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 StVG für einen Schadensersatzanspruch der A gegen den B bestehen, damit dieser überhaupt im Wege des Direktanspruchs gegen die V-AG geltend gemacht werden kann.

Gemäß § 7 Abs. 1 StVG ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen, wenn bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt wird.

1. Rechtsgutsverletzung

Vorliegend ist der B mit seinem Fahrzeug beim Spurwechsel gegen das Fahrzeug der A gekommen, sodass es zu einer Beschädigung des Eigentums der A gekommen ist. Eine Rechtsgutsverletzung liegt damit vor.

2.    Bei Betrieb des Kfz

Weiterhin müsste die Rechtsgutsverletzung auch bei Betrieb eines Kfz erfolgt sein.

Der Rechtsbegriff des „bei Betrieb eines Kfz“ ist weit auszulegen. Umfasst ist nicht nur die Fahrzeugbewegung. Vielmehr erfasst „bei Betrieb eines Kfz“ alle Vorgänge, die in einem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Eigenschaft des Fahrzeuges als einer fahrenden bzw. dem Verkehr dienenden Maschine stehen.[1]BeckOK StVR/Semrau, 24. Ed. 15.7.2024, StVG § 7 Rn. 15

Vorliegend erfolgte der Unfall während der Fahrt des Fahrzeugs der B und somit während der Fortbewegung des Fahrzeugs als typischen Betriebsvorgang. Insofern befand sich das Fahrzeug „bei Betrieb“.

Anmerkung: Meinungsstreit

Vorliegend wurde darauf verzichtet, hier den im Studium behandelten Streit zwischen der aufgeführten verkehrstechnischen und der weiteren maschinentechnischen Auffassung darzulegen. Auf diesen kommt es vorliegend aufgrund des eindeutigen Ergebnisses bei beiden Auffassungen nicht an. M.E. wäre dies lediglich die Darlegung weiteren Wissens, auf das es hier nicht entscheidend ankommen dürfte.

Für die von der Rechtsprechung vertretene verkehrstechnische Auffassung gilt Folgendes: „Ein Schaden ist dann gem. § 7 I StVG „bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeugs entstan-den, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt ha-ben, das heißt wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit-)geprägt worden ist. Erforderlich ist stets, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, das heißt die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist.“[2]BGH, Urt. v. 24.3.2015 – VI ZR 265/14

3. Kausalität

Das Fahrmanöver als Betriebsvorgang kann auch nicht hinweggedacht werden, ohne dass die durch den Unfall verursachte Rechtsgutsverletzung hinweggedacht werden kann. Insofern liegt eine Kausalität im Sinne der conditio sine qua non-Formel vor.

4. Halter als Anspruchsgegner

Der B ist auch Halter des unfallverursachenden Fahrzeugs und damit richtiger Anspruchsgegner im Sinne des § 7 StVG.

5. Kein Ausschluss wegen höherer Gewalt, § 7 Abs. 2 StVG

Weiterhin dürfte auch kein Fall der höheren Gewalt vorliegen, da in einem solchen Falle ein Schadensersatzanspruch nach § 7 Abs. 2 StVG ausgeschlossen wäre.

Höhere Gewalt ist definiert als ein betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen Dritter herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit in Kauf zu nehmen ist.[3]BGH, Urteil vom 22.04.2004 – III ZR 108/03

Der Unfall erfolgte vorliegend aufgrund eines Spurwechsels des B. Äußere Einflüsse sind hier nicht erkennbar, ein Spurwechsel ist ein alltägliches Vorkommnis im Straßenverkehr. Insofern liegt kein Fall der höheren Gewalt vor.

6. Kein Ausschluss nach § 8 StVG

Ein Fall des § 8 StVG, welcher den Anwendungsbereich des § 7 StVG begrenzt, ist ebenfalls nicht gegeben.

7. Abwägung der Verursachungsbeiträge, § 17 Abs. 2 StVG

Fraglich ist weiterhin, inwieweit der B und damit im Ergebnis die V-AG für den Unfall haftet. Dies hängt gemäß § 17 Abs. 2 StVG davon ab, welchen Verursachungsbeitrag der B geleistet hat und ob sich auch die A einen eigenen Verursachungsbetrag anlasten muss.

a)    Eröffnung des Anwendungsbereichs: Kein unabwendbares Ereignis, § 17 Abs. 3 StVG

Zunächst müsste der Anwendungsbereich des § 17 StVG eröffnet sein. Dafür dürfte kein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG vorliegen. Gemäß § 17 Abs. 3 StVG ist die Verpflichtung zum Ersatz nach den Absätzen 1 und 2 ausgeschlossen, wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wird, das weder auf einem Fehler in der Beschaffenheit des Kraftfahrzeugs noch auf einem Versagen seiner Vorrichtungen beruht. Als unabwendbar gilt ein Ereignis nur dann, wenn sowohl der Halter als auch der Führer des Kraftfahrzeugs jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat. 

(aa )   Schadensverursachung für mehrere Kfz

 Für die Anwendbarkeit des § 17 Abs. 3 StVG müsste zunächst eine Schadensverursachung durch mehrere Kfz vorliegen, wobei dies gemäß § 17 Abs. 2 StVG auch bei einer Haftung der Halter untereinander gilt. Dies bedeutet, dass auch für die A grundsätzlich die Voraussetzungen des § 7 StVG vorliegen müssen.

Vorliegend befand sich auch die A in ihrem fahrenden Kfz, sodass die Rechtsgutsverletzung auch kausal bei dem Betrieb ihres Fahrzeugs erfolgte. Ausschlussgründe wegen höherer Gewalt und nach § 8 StVG sind nicht gegeben.

(bb) Kein unabwendbares Ereignis für A oder B

Weiterhin dürfte weder für A noch für B ein unabwendbares Ereignis vorlegen haben. Als unabwendbar gilt ein Ereignis nur dann, wenn sowohl der Halter als auch der Führer des Fahrzeugs jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat, Abs. 3 S. 2. Das schadenstiftende Ereignis soll also auch bei der äußersten möglichen Sorgfalt nicht abgewendet werden können. Hierzu gehört jedoch ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln, erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt i.S.v. § 276 BGB hinaus. Der Fahrer, der mit Erfolg die Unabwendbarkeit des Unfalls geltend machen will, muss sich wie ein „Idealfahrer“ verhalten haben. Dabei darf sich die Prüfung aber nicht auf die Frage beschränken, ob der Fahrer in der konkreten Gefahrensituation wie ein „Idealfahrer“ reagiert hat, vielmehr ist sie auf die weitere Frage zu erstrecken, ob ein „Idealfahrer“ überhaupt in eine solche Gefahrenlage geraten wäre; der sich aus einer abwendbaren Gefahrenlage entwickelnde Unfall wird nicht dadurch unabwendbar, dass sich der Fahrer in der Gefahr nunmehr (zu spät) „ideal“ verhält.[4]vgl. nur OLG Düsseldorf, Urteil vom 31.03.2020 – I-1 U 101/19

Vorliegend hat der B ohne Schulterblick und aus Unaufmerksamkeit die A beim Spurwechsel übersehen. Insofern liegt bereits kein Verhalten als Idealfahrer vor.

Die A ist vorliegend lediglich auf ihrer Spur gefahren. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass sie unter Zugrundelegung des Maßstabs eines Idealfahrers nicht hätte noch reagieren können oder dass sie als Idealfahrerin überhaupt nicht zum Überholen angesetzt hätte, wenn sich vor dem B ein langsamerer LKW befindet und somit ein Spurwechsel des B nicht gänzlich fernliegt. Insofern liegt auch für A kein unabwendbares Ereignis vor.

Anmerkung: Unabwendbares Ereignis

Das unabwendbare Ereignis liegt nicht bereits dann vor, wenn kein offensichtlicher Verkehrsverstoß gegeben ist, sondern darüber hinaus ein überdurchschnittliches Maß an Sorgfalt vorlag und das Ereignis nicht verhindert werden konnte. In der Praxis ist dies selten der Fall, sodass es zu der nachfolgenden Abwägung nach § 17 Abs. 2 StVG kommt.

b) Wechselseitige Verursachungsbeiträge

Fraglich ist, welche Verursachungsbeiträge von A und B vorliegen, Welche im Rahmen des § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG gegeneinander abgewogen werden müssen.

Gemäß § 17 Abs. 1 StVG hängt im Verhältnis der Fahrzeughalter zueinander die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist, wenn ein Schaden durch mehrere Kraftfahrzeuge verursacht wird und die beteiligten Fahrzeughalter einem Dritten kraft Gesetzes zum Ersatz des Schadens verpflichtet sind. Dies gilt gemäß § 17 Abs. 2 StVG auch für die Haftung der beiden Fahrzeughalter untereinander, wenn der Schaden einem der Halter entstanden ist. Insofern sind im Rahmen des § 17 Abs. 1 und 2 StVG die wechselseitigen Verursachungsbeiträge der beteiligten Fahrzeuge gegeneinander abzuwägen, wobei grundsätzlich gilt, dass der jeweilige Halter nach den allgemeinen Beweisgrundsätzen einen die Haftung erhöhenden Verursachungsbeitrag darlegen und beweisen muss.[5]vgl. nur: OLG Schleswig, Beschluss vom 07.10.2022 – 7 U 51/22

(aa ) Sorgfaltspflichtsverstoß der A

Die A hat vorliegend lediglich ihre Spur gehalten. Es ist nicht ersichtlich, dass sie den Unfall durch ihr Fahrverhalten begünstigt hätte, indem sie etwa zu schnell gefahren ist. Insofern liegt kein Verstoß gegen eine Regelung der StVO vor, die sich die A als Sorgfaltspflichtsverstoß anrechnen lassen muss. Es verbleibt daher lediglich die reine Betriebsgefahr, die dem reinen Betrieb des Fahrzeugs im Straßenverkehr innewohnt.

(bb) Sorgfaltspflichtsverstoß des B

Fraglich ist, ob sich der B einen Sorgfaltspflichtsverstoß anrechnen lassen muss. Aufgrund des durchgeführten Spurwechsels kommt ein Verstoß gegen die Pflichten aus § 7 Abs. 5 StVO in Betracht.

Nach § 7 Abs. 5 StVO verlangt jeder Fahrstreifenwechsel die Einhaltung äußerster Sorgfalt, so dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Er setzt ausreichende Rückschau voraus und ist rechtzeitig und deutlich durch Fahrtrichtungsanzeiger anzukündigen. Ereignet sich die Kollision zweier Fahrzeuge in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass dieser Verkehrsteilnehmer den Unfall unter Verstoß gegen die vorgenannten Pflichten verursacht und verschuldet hat [6]KG Urteil vom 10.02.2021 – 25 U 160/19, BeckRS 2021, 3685 Rn. 7

Vorliegend hat der B den Spurwechsel durchgeführt, ohne einen Schulterblick durchzuführen. Insofern hat der B sich nicht vergewissert, ob sich auf der mittleren Spur Fahrzeuge befinden und der Weg für einen Spurwechsel frei ist. Er hat damit nicht sichergestellt, dass die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Damit liegt ein Sorgfaltsverstoß vor.

(cc) Abwägung der Beiträge

Fraglich ist daher, inwieweit der B aufgrund seines Sorgfaltsverstoßes gegen § 7 Abs. 5 StVO für den Unfall dem Grunde nach Einstehen muss und ob sich die A ihre Betriebsgefahr anrechnen lassen muss. Insofern sind die beiden Beiträge gegeneinander abzuwägen.

Derjenige, der einen sorgfaltswidrigen Fahrstreifenwechsel vorgenommen hat, haftet wegen der gemäß § 7 Abs. 5 StVO zu beachtenden höchstmöglichen Sorgfalt in der Regel für die Unfallschäden allein. Eine Mithaftung des anderen Unfallbeteiligten kommt nur dann in Betracht, wenn der Fahrstreifenwechsler Umstände nachweist, die ein Mitverschulden des anderen Unfallbeteiligten belegen. Allein die Betriebsgefahr von dessen Fahrzeug rechtfertigt seine Mithaftung nicht.[7]KG, Urteil vom 10.02.2021 – 25 U 160/19, BeckRS 2021, 3685 Rn. 8 Vielmehr handelt es sich bei dem Verstoß gegen § 7 Abs. 5 StVO um einen besonders schweren Kardinalfehler.

Anmerkung: Kardinalfehler

Die Abwägung der Unfallbeiträge ist in der Praxis eine Einzelfallentscheidung. Nicht selten werden vergleichbare Situation leicht anders bewertet, sodass es keine per se richtige Haftungsquote gibt. Als grobe Richtline kann man sich merken, dass es sich bei den Pflichten aus der StVO, in denen es „Gefährdung ausschließen“ (z.B. Rückwärtsfahren, § 9 Abs. 5 StVO heißt, besonders wichtige Pflichten sind, bei denen im Falle eines Verstoßes eine Alleinhaftung im Raum steht, wenn nicht der andere Beteiligte am Unfall ebenfalls einen Sorgfaltspflichtsverstoß begangen hat. Die Betriebsgefahr des Fahrzeugs tritt in diesem Fall zurück. Weiterhin kann man (fürs zweite Examen relevant) hier auch auf Anscheinsbeweise achten.

Im Rahmen der Abwägung tritt daher die reine Betriebsgefahr zurück und es verbleibt eine Alleinhaftung des B für den Unfall im Rahmen des § 17 Abs. 2 StVG.

8.  Ersatzfähiger Schaden

Weiterhin müsste auch ein ersatzfähiger Schaden im Sinne der §§ 249ff. BGB entstanden sein.

a)  Schaden im Sinne der §§ 249 ff. BGB

Gemäß § 249 Abs. 1 BGB kann eine geschädigte Person zunächst die Herstellung des Zustands vor dem schädigenden Ereignis verlangen (sog. Naturalrestitution). Ist wegen Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Gläubiger gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB statt der Herstellung im Sinne des Absatz 1 den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen (sog. Ersetzungsbefugnis). Nach der heranzuziehenden Differenzhypothese bemisst sich der Vermögensschaden hierbei aus dem Vergleich der tatsächlichen Vermögenslage nach Eintritt des schädigenden Ereignisses mit der hypothetischen Vermögenslage ohne dessen Eintritt.[8]BeckOK BGB/Johannes W. Flume, 68. Ed. 1.11.2023, BGB § 249 Rn. 37

Vorliegend wurde der PKW der A durch den Unfall beschädigt. Diese hat das Fahrzeug bereits repariert und begehrt lediglich den Ersatz des Geldes, welches sie dafür aufgewandt hat. Insofern begehrt die A lediglich den für die Herstellung erforderlichen Geldbetrag im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB von der V-AG im Wege der konkreten Schadensabrechnung.

Bei den restlichen Reparaturkosten zur Beseitigung des Sachschadens handelt es sich auch dem Grunde nach um eine ersatzfähige Schadensposition.

b) Kausalität

Der Schaden am Fahrzeug der A und damit die Reparaturkosten beruhen auch kausal auf dem Verkehrsunfall.

c) Erforderlichkeit, § 249 Abs. 2 BGB

Weiterhin müsste es sich bei den von der A begehrten 1.900,00 EUR restlichen Schadensersatz um erforderliche Kosten im Sinne des § 249 Abs. 2 BGB handeln.

(aa )  Wirtschaftlichkeitsgebot

Die Frage der „Erforderlichkeit“ im schadensrechtlichen Sinne bestimmt sich unter anderem nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot.

Im Ausgangspunkt ist sein Anspruch auf Befriedigung des Finanzierungsbedarfs einer geschädigten Person in Form des zur Wiederherstellung objektiv erforderlichen Geldbetrags gerichtet.

Die geschädigte Person ist nach schadensrechtlichen Grundsätzen in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung frei. Sie darf zur Schadensbeseitigung grundsätzlich den Weg einschlagen, der aus ihrer Sicht ihren Interessen am besten zu entsprechen scheint. Denn Ziel der Schadensrestitution ist es, den Zustand wiederherzustellen, der wirtschaftlich gesehen der hypothetischen Lage ohne das Schadensereignis entspricht.

Die geschädigte Person kann jedoch vom Schädiger nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand nur die Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen. Sie ist daher nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihr Zumutbaren den wirtschaftlichsten Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern sie die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann.

Darüber hinaus gilt für die Ersetzungsbefugnis des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB das Verbot, sich durch Schadensersatz zu bereichern. Der Geschädigte soll zwar volle Herstellung verlangen können (Totalreparation), aber an dem Schadensfall nicht „verdienen“ (schadensrechtliches Bereicherungsverbot). Die dem Geschädigten zur Verfügung zu stellenden Mittel müssen so bemessen sein, dass er, sofern er wirtschaftlich vernünftig verfährt, durch die Ausübung der Ersetzungsbefugnis weder ärmer noch reicher wird, als wenn der Schädiger den Schaden gemäß § 249 Abs. 1 BGB beseitigt.

Vorliegend wurden der A von der C-GmbH die „Covid 19 Reinigung“ mit 100,00 EUR in Rechnung gestellt, welche tatsächlich nicht durchgeführt worden ist. Weiterhin wurden für einige Reparaturschritte erhöhte Arbeitsstunden angesetzt, sodass die Reparatur um weitere 1.800,00 EUR hätte günstiger ausfallen können und müssen.

Streng genommen sind die von der A geltend gemachten Schadenspositionen daher nicht „erforderlich“, da die nicht dem wirtschaftlichsten Weg entsprechen.

(bb) Ausnahme des Werkstattrisikos

Fraglich ist, ob der voranstehende Umstand, dass die Kosten streng genommen nicht „erforderlich“ sind, dazu führt, dass die A diese von der V-AG nicht erstattet verlangen kann. Dies würde dazu führen, dass A auf den Kosten zunächst sitzen bleiben würde und sich im Nachgang gegenüber der C-GmbH auf die Unwirtschaftlichkeit berufen müsste, um aus dem Schadensereignis keine negativen Folgen zu haben und trüge somit das Risiko, auf diesen Kosten letztlich auch endgültig sitzen zu bleiben. Insofern würde die A schlechter stehen, als wenn sie der V-AG im Wege der Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1 BGB) die Reparatur bzw. die Auftragserteilung überlassen hätte.

Vor diesem Hintergrund ist bei der Beurteilung, welcher Herstellungsaufwand erforderlich ist, auch Rücksicht auf die spezielle Situation der geschädigten Person, insbesondere auf seine Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen (sog. subjektbezogene Schadensbetrachtung).

Im Falle der Erteilung eines Reparaturauftrags bedeutet dies, dass sich die geschädigte Person zwar bei der Auftragserteilung sowie bei den weiteren Vorkehrungen für eine ordnungsmäßige, zügige Durchführung der Reparatur von wirtschaftlich vertretbaren, das Interesse des Schädigers an einer Geringhaltung des Schadens mitberücksichtigenden Erwägungen leiten lassen muss, gleichzeitig aber nicht außer Acht gelassen werden darf, dass ihren Erkenntnis- und Einwirkungsmöglichkeiten bei der Schadensregulierung regelmäßig Grenzen gesetzt sind, dies vor allem, sobald sie den Reparaturauftrag erteilt und das Unfallfahrzeug in die Hände von Fachleuten übergeben hat. Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 Absatz 2 Satz 1 BGB widersprechen, wenn die geschädigte Person bei Ausübung der ihr durch das Gesetz eingeräumten Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zu dem ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen ist und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom der geschädigten Person nicht kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss.

Übergibt der Geschädigte das beschädigte Fahrzeug an eine Fachwerkstatt zur Instandsetzung, ohne dass ihn insoweit ein (insbesondere Auswahl- oder Überwachungs-)Verschulden trifft, sind dadurch anfallende Reparaturkosten im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger aufgrund der subjektbezogenen Schadensbetrachtung auch dann vollumfänglich ersatzfähig, wenn sie etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit oder wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise der Werkstatt unangemessen, mithin nicht erforderlich im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB sind.[9]BGH (VI. Zivilsenat), Urteil vom 16.01.2024 – VI ZR 51/23 Das Risiko von unnötigen Reparaturschritten trägt insofern grundsätzlich der Schädiger (sog. Werkstattrisiko).

Der Schädiger, welcher insofern das Risiko der erhöhten Kosten trägt, muss sich dann in einem nächsten Schritt an die Werkstatt wenden und in diesem Verhältnis die überhöhten Kosten anführen. Hierfür kann der Schädiger von der Geschädigten verlangen, gegebenenfalls bestehende Ansprüche der Geschädigten im Rahmen des Vorteilsausgleichs Zug um Zug abgetreten zu bekommen.[10]BGH (VI. Zivilsenat), Urteil vom 16.01.2024 – VI ZR 253/22

Dies hätte vorliegend zur Folge, dass A sämtliche Kosten von der V-AG ersetzt verlangen kann, sofern sie kein Auswahl- oder Überwachungsverschulden trifft. Dies hätte jedoch im Zweifel Zug um Zug gegen Abtretung ihrer Ansprüche gegen die C-GmbH zu erfolgen.

(cc) Rückausnahme bei nicht durchgeführten Maßnahmen

Fraglich ist jedoch, ob die obigen Grundsätze auch für den Fall gelten, dass nicht nur unwirtschaftliche, sondern überhaupt nicht durchgeführte Maßnahmen abgerechnet werden, wie dies vorliegend bei der Covid-19 Reinigung bei A der Fall gewesen ist.

Hierfür spricht, dass auch diese ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss und insofern die Einflussmöglichkeiten von Geschädigten erheblich beschränkt ist.[11]BGH (VI. Zivilsenat), Urteil vom 16.01.2024 – VI ZR 51/23; BGH Urteil vom 16.01.2024 – VI ZR 266/22, BeckRS 2024, 2175 Rn. 13 Insofern ist aus Sicht der Geschädigten kein wertungsmäßiger Unterschied darin zu sehen, ob ein unnötiger Arbeitsschritt durchgeführt wird oder eine letztlich nicht durchgeführte Maßnahme abgerechnet wird. Insofern gilt das Werkstattrisiko auch für nicht durchgeführte Maßnahmen, wenn diese nach der subjektiven Schadensbetrachtung für die geschädigte Person nicht erkennbar war und kein Auswahl- oder Überwachungsverschulden vorliegt.

Vorliegend war für A als Laiin nicht erkennbar, dass die Covid 19 Reinigung tatsächlich nicht durchgeführt worden ist und dass erhöhte Arbeitsstunden abgerechnet worden sind. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die abgerechneten Kosten denen entsprechen, die zuvor ein von der C-GmbH im Namen der A beauftragter Sachverständiger ermittelt hat. Die fehlende „Erforderlichkeit“ musste sich ihr daher gerade nicht aufdrängen, sodass die Kosten nach der subjektiven Schadensbetrachtung erforderlich sind.

(dd) Rückausnahme bei „Leistung aus einer Hand“

Fraglich ist jedoch, ob es sich die A im Rahmen des Werkstattrisikos als „Auswahlverschulden“ zurechnen lassen muss, dass die A ohne vorherige Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Werkstatt gegangen ist und erst diese für die A ein Gutachten eingeholt haben.

Hierfür könnte sprechen, dass es A somit auch der C-GmbH überlassen hat, den Sachverständigen für das Gutachten auszusuchen und sich hierdurch jeglicher Möglichkeit einer Plausibilitätskontrolle begeben hat und somit nicht mehr nachvollziehen kann, ob die Kosten anhand eines eigens eingeholten Sachverständigengutachtens überhöht sind oder nicht.[12]so die Revisionsführer in: BGH, Urteil vom 16.01.2024 – VI ZR 51/23, BeckRS 2024, 242 Rn. 19

Diese Betrachtung würde jedoch dazu führen, dass eine geschädigte Person in jedem Falle ein Sachverständigengutachten einholen muss, dessen weitere Kosten wiederum vom Schädiger zu tragen sind. Insofern würden hierdurch zwangsläufig vermeidbare weitere Kosten entstehen, was dem Wirtschaftlichkeitsgebot wiederum entgegenstehen würde. Vielmehr darf eine geschädigte Person bei der Beauftragung einer Fachwerkstatt – vorbehaltlich anderer Anhaltspunkte – grundsätzlich darauf vertrauen, dass diese keinen unwirtschaftlichen Weg für die Schadensbeseitigung wählt und nur die objektiv erforderlichen Reparaturmaßnahmen durchführt.[13]BGH Urteil vom 16.01.2024 – VI ZR 51/23, BeckRS 2024, 242 Rn. 21

A muss sich insofern kein Auswahlverschulden zurechnen lassen und kann weiterhin grundsätzlich Ersatz der 1.900,00 EUR verlangen.

(ee) Rückausnahme bei unbezahlter Rechnung

Fraglich ist weiterhin, ob die Grundsätze des Werkstattrisikos auch anwendbar sind, wenn die Rechnung – wie im Fall der A – noch gar nicht beglichen worden ist und die A damit zumindest aktuell nicht mit zusätzlichen Kosten belastet ist.

Eine Ansicht vertritt dahingehend, dass es für die Anwendbarkeit des Werkstattrisikos und damit für die Indizwirkung der Richtigkeit der Rechnung einer vorherigen Begleichung durch den Geschädigten bedarf. Begründet wird dies unter anderem damit, dass nur in einem solchen Falle bereits ein „Mehraufwand“ entstanden ist, der die subjektive Schadensbetrachtung erforderlich machen würde. Weiterhin bestünde das Risiko, dass sich die geschädigte Person an dem Schadensereignis bereichert, wenn man dem Geschädigten die Möglichkeit einräumt, den vollständigen – nicht ganz beglichenen – Rechnungsbetrag erstattet zu verlangen, er den an ihn ausgekehrten Betrag für sich behält und den von der Werkstatt geltend gemachten Werklohnansprüchen erfolgreich entgegen hält, abgerechnete Arbeiten seien nicht erforderlich gewesen.[14]LG Essen, Beschluss vom 27.07.2020 – 13 S 97/19; Kemperdiek, r+s 2021, 372 Weiterhin wird gegen eine Gleichbehandlung mit der beglichenen Rechnung angeführt, dass der Schädiger so schlechter gestellt werden würde, weil er nicht Zug um Zug die Abtretung der Gegenansprüche des Geschädigten gegen die Werkstatt aus § 812 BGB verlangen könnte, da diese vor der Zahlung noch nicht bestehen.[15]LG Essen, Beschluss vom 27.07.2020 – 13 S 97/19 Der insoweit verbleibende Anspruch der Geschädigten A auf Freistellung vom Vergütungsanspruch gemäß § 280 Abs. 1 BGB kann ebenfalls nicht an den Schädiger abgetreten werden, da die Leistung der Werkstatt an einen anderen als den ursprünglichen Gläubiger (den Geschädigten) nicht ohne Veränderung ihres Inhalts erfolgen könnte, § 399 Alt. 1 BGB.[16]BGH (VI. Zivilsenat), Urteil vom 16.01.2024 – VI ZR 239/22 m.w.N

Nach dieser Auffassung könnte sich A nicht auf das Werkstattrisiko berufen und hätte mangels Erforderlichkeit keinen weitergehenden Anspruch auf Leistung.

Nach anderer Auffassung ist die unbeglichene Rechnung im Grundsatz genauso zu behandeln wie die bereits beglichene Rechnung. Begründet wird dies damit, dass der Zweck des Werkstattrisikos, dass dem Geschädigten dieses Risiko nicht überbürdet werden soll, wenn er die Reparatur selbst in Auftrag gibt, von der Begleichung der Reparaturkostenrechnung durch ihn unabhängig ist.[17]BGH, Urteil vom 16.1.2024 – VI ZR 253/22; NZV 2024, 176 Rn. 21; BGH, Urteil vom 29.10.1974 – VI ZR 42/73, NJW 1975, 160 Der Tatsache, dass im Falle der nichtbeglichenen Rechnung noch kein Zug um Zug abtretbarer Anspruch des Geschädigten gegen die Werkstatt aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB entstanden ist und der bereits zuvor entstandene Anspruch aus § 280 Abs. 1 BGB auf Freistellung vom überhöhten Vergütungsanspruch gegen die Werkstatt gemäß § 399 Alt. 1 BGB nicht an den Schädiger oder die Haftpflichtversicherung abtretbar ist[18]BGH, Urteil vom 16.1.2024 – VI ZR 253/22; NZV 2024, 176 Rn. 22, wird nach dieser Ansicht dadurch entgegengewirkt, dass der Schädiger im Falle einer unbezahlten Rechnung lediglich dann das Werkstattrisiko zu tragen hat, wenn die geschädigte Person die Zahlung an die Werkstatt direkt verlangt. Hierdurch wird sichergestellt, dass die geschädigte Person nicht die volle (teilweise unberechtigte) Schadenssumme erhält und sich im Anschluss im Innenverhältnis mit der Werkstatt auf eine fehlende Zahlungsverpflichtung wegen der Verletzung des Wirtschaftlichkeitsgebot berufen kann und damit im Ergebnis ungerechtfertigt bereichert wäre. Verlangt die geschädigte Person hingegen direkte Zahlung an sich selbst, so trägt sie auch das Werkstattrisiko.[19]BGH, Urteil vom 16.01.2024 – VI ZR 253/22; NZV 2024, 176 Rn. 22

Nach dieser Auffassung könnte die A weiterhin den Anspruch geltend machen, jedoch nur dann, wenn sie Zahlung an die C-GmbH zahlt.

Vorliegend ist die zweite Auffassung vorzugswürdig. Ziel des Werkstattrisikos ist es gerade, die geschädigte Person, welche die Erforderlichkeit einzelner Kostenpositionen gar nicht überblicken kann, bestmöglich aus dieser Schadensabwicklung herausgehalten werden soll. Weiterhin soll verhindert werden, dass die geschädigte Person letztlich unberechtigterweise auf Kosten sitzen bleibt, welche sie nicht zuvor kontrollieren konnte. Dieses Ziel wird nur dann erreicht, wenn auch das Werkstattrisiko bei unbezahlter Rechnung greift. Dem Risiko der ungerechtfertigten Bereicherung wird dadurch begegnet, dass die Zahlung eben gerade nicht an die geschädigte Person erfolgen kann, sondern direkt an die Werkstatt. Dem Schädiger bleibt es in einem weiteren Schritt dann vorbehalten, sich gegenüber der Werkstatt in einer gesonderten Auseinandersetzung auf die fehlende Erforderlichkeit zu berufen, ohne dass die geschädigte Person hiermit involviert ist.

Insofern kann sich A auch trotz nicht bezahlter Rechnung auf das Werkstattrisiko berufen, müsste jedoch direkte Zahlung an die Werkstatt verlangen.

Anmerkung: Praxishinweis

Auf eine solche Umstellung einer Klage von Zahlung an sich selbst auf Zahlung an die Werkstatt müsste das Gericht im Zweifel aufgrund der Hinweispflicht aus § 139 ZPO hin-weisen, wenn dies von der A als Klägerin nicht beachtet wird.

III. Ergebnis

Aufgrund des Werkstattrisikos kann die A gegen die V-AG auch einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 1.900,00 für die weiteren Reparaturschritte geltend machen. Da die Rechnung bisher jedoch nicht beglichen ist, kann die Zahlung lediglich direkt an die C-GmbH verlangt werden.

B. Anspruch auf Schadensersatz i.H.v. 1.900,00 EUR aus §§ 7, 18 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, 249 BGB

Der Anspruch ergibt sich vorliegend nicht auch noch aus Anspruch auf Schaden i.H.v. 1.900,00 EUR aus §§ 7 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, 249 BGB. In persönlicher Hinsicht greift die Regelung des § 18 StVG nur für den Fahrer, der nicht zugleich Halter ist. Anderenfalls geht § 7 Abs. 1 vor.[20]BeckOGK/Walter, 1.1.2022, StVG § 18 Rn. 3 Vorliegend ist B zwar Fahrer gewesen, jedoch gleichzeitig auch Halter, sodass hier die Haftung aus § 7 StVG besteht.

Anmerkung: Unterschied

Anders als § 7 StVG, der verschuldensunabhängig gilt, haftet der Fahrer nur im Verschuldensfalle. Dieses Verschulden wird vermutet, sodass eine Entlastung durch den Fahrer erfolgen muss (§18 Abs. 1 S. 2 StVG)

C. Anspruch auf Schadensersatz i.H.v. 1.900,00 EUR aus §§ 823 Abs. 1 BGB, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, 249 BGB

Vorliegend hat die A gegen die V-AG auch einen Anspruch aus §§ 823 Abs. 1 BGB, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, 249 BGB auf Schadensersatz in Höhe von 1.900,00 EUR. Das Verhalten des B, einen Spurwechsel ohne vorausgehenden Schulterblick durchzuführen, stellt einen Sorgfaltspflichtsverstoß dar, sodass in jedem Falle fahrlässiges Verhalten im Sinne des § 823 Abs.1 BGB gegeben ist.

Anmerkung: Klausuraufbau

In der Klausur dürfte je nach Umfang der vorangegangenen Probleme regelmäßig erwartet werden, ein wenig mehr zu den Voraussetzungen des § 823 Abs. 1 BGB zu schreiben. Gleichwohl handelt es sich um einen nach § 7 Abs. 1 StVG, der verschuldensunabhängig greift, nachgelagerten Anspruch, auf dem sicherlich nicht der Schwerpunkt liegen würde. Ich halte es daher für vertretbar, sich hier auf das Wesentliche, insbesondere den Fahrlässigkeitsvorwurf als Abweichung von § 7 StVG, zu konzentrieren, wenn die Zeit in der Klausur knapp wird.

D. Anspruch auf Schadensersatz i.H.v. 1.900,00 EUR aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 7 Abs. 5 StVO,  115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, 249 BGB

Vorliegend hat die A gegen die V-AG auch einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 7 Abs. 5 StVO, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, 249 BGB auf Schadensersatz in Höhe von 1.900,00 EUR. Das Verhalten des B, einen Spurwechsel ohne vorausgehenden Schulterblick durchzuführen, stellt einen Verstoß gegen § 7 Abs. 5 StVO dar. Bei § 7 Abs. 5 StVO handelt es sich um ein Gesetz, welches dem Schutz anderer Verkehrsteilnehmer des fließenden Verkehrs dient und insofern individualschützend ist, wozu auch A gehört.[21]BGH Urteil vom 8.3.2022 – VI ZR 1308/20 Insofern ist auch ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB verletzt.

E. Gesamtergebnis

Der A steht gegen die V-AG damit ein Schadensersatzanspruch in Höhe von restlichen 1.900,00 EUR zu. Solange die Rechnung noch nicht beglichen ist, kann die Zahlung jedoch lediglich direkt an die Werkstatt verlangt werden, damit sie nicht das Werkstattrisiko selbst tragen muss.

Zusatzfrage

Bestünde ein Anspruch auf Zahlung der 1.900,00 EUR gegen die V-AG bei unbezahlter Rechnung, wenn nicht die A den Anspruch geltend macht, sondern die C-GmbH als Werkstatt, nachdem A ihr den Anspruch zuvor abgetreten hat?

Grundsätzlich kann sich die A als Geschädigte auf das Werkstattrisiko berufen und insofern nach den obigen Grundsätzen auch die eigentlich nicht erforderlichen Kosten verlangen, weil sie schutzwürdig ist.
Fraglich ist, ob sich diese Grundsätze auch für den Fall der Abtretung übertragen lassen. Hiergegen spricht bereits, dass die Grundsätze des Werkstattrisikos nach der obigen dogmati-schen Herleitung gerade die Geschädigten schützen soll, falls die Rechnung der Werkstatt unerkannt zu hoch ist. Diese Grundsätze sollen hingegen jedoch nicht der Werkstatt zugute-kommen.
Gegen eine Übertragung der Grundsätze des Werkstattrisikos im Falle der Abtretung an die Werkstatt spricht weiterhin die Schutzwürdigkeit des Schädigers. Der Schädiger hat gerade ein Interesse an der Gläubigerposition des Geschädigten: Nur dieser hat gegen die K (bei Zah-lung von 5.000 €) einen Anspruch aus § 812 I 1 BGB, den er gem. § 255 BGB an B abtreten muss.

Allein im Verhältnis zu diesem ist nämlich die Durchführung des Vorteilsausgleichs in jedem Fall möglich, weil der Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger und die im Wege des Vorteilsausgleichs abzutretenden – etwaigen – Ansprüche gegen die Werkstatt in einer Hand (beim Geschädigten) liegen. Dies ist nach der Abtretung der Schadensersatzforderung an die Werkstatt nicht mehr der Fall. Der Schädiger verlöre daher regelmäßig das Recht, seine eigene Zahlungsverpflichtung nur Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche des Geschädigten gegen die Werkstatt zu erfüllen.[22]BGH (VI. Zivilsenat), Urteil vom 16.01.2024 – VI ZR 38/22 Die Werkstatt ist demgegenüber nicht besonders schutzwürdig.

Insofern greifen die Grundsätze des Werkstattrisikos hier nicht. Die C-Gmbh muss daher im Rahmen eines Prozesses beweisen, dass die Kosten tatsächlich erforderlich sind, was hier je-doch nach der Sachverhaltsschilderung gerade nicht der Fall ist.
Die C-GmbH hat daher keinen Anspruch.


Zusammenfassung

1.            Auch bei unbezahlter Werkstattrechnung kann sich der Geschädigte auf das sogenannte Werkstattrisiko berufen und in dessen Grenzen Zahlung von Reparaturkosten, Zug um Zug gegen Abtretung seiner diesbezüglichen Ansprüche gegen die Werkstatt an den Schädiger, verlangen. Die Zahlung kann er dabei allerdings nicht an sich selbst, sondern nur an die Werkstatt verlangen.

2.           Der aufgrund eines Verkehrsunfalls Geschädigte darf bei der Beauftragung einer Fachwerkstatt mit der Reparatur des Unfallfahrzeugs grundsätzlich darauf vertrauen, dass diese keinen unwirtschaftlichen Weg für die Schadensbeseitigung wählt und nur die objektiv erforderlichen Reparaturmaßnahmen durchführt. Er ist daher aufgrund des Wirtschaftlichkeitsgebots nicht gehalten, vor der Beauftragung der Fachwerkstatt zunächst ein Sachverständigengutachten einzuholen und den Reparaturauftrag auf dessen Grundlage zu erteilen.

1.           Das Werkstattrisiko bleibt beim Schädiger, wenn die Nichtdurchführung bestimmter Reparatur-Positionen für den Geschädigten nicht erkennbar war.

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