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Das Insich-Darlehen
BGH (IX. Zivilsenat), Urteil vom 29.10.2020 – IX ZR 212/19, BeckRS 2020, 31084

Sachverhalt

Die K-GmbH & Co. KG (folgend: K) gewährte der S-GmbH & Co. KG (folgend: S) ein Darlehen in Höhe von 27.000,00 EUR. Beide Gesellschaften wurden bei Abschluss des Vertrages vom Geschäftsführer G (folgend: G) vertreten, der zu diesem Zeitpunkt sowohl Geschäftsführer der Komplementärin der K als auch der Komplementärin der S war.
Im Handelsregister war für beide Komplementärinnen eine Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB im Außenverhältnis eingetragen. Nach dem Gesellschaftsvertrag der S war für die Kreditaufnahme jedoch vorgesehen, dass die Einwilligung der Gesellschafterversammlung nötig ist. Diese Einwilligung wurde für die Aufnahme des Darlehens bei K nicht erteilt.
Der Darlehensbetrag in Höhe von 27.000,00 EUR wurde von K auf Anweisung des G nicht an S, sondern zur Begleichung einer Verbindlichkeit der S gegenüber der M-GmbH (folgend: M) unmittelbar an M ausbezahlt. Kurze Zeit später war man sich auf Seiten der K nicht mehr sicher, ob der geschlossene Darlehensvertrag infolge der Vertretung durch G auf beiden Seiten überhaupt wirksam zustande gekommen ist. Zur Sicherheit fordert K nunmehr von S die Rückzahlung des Darlehens.

Zu Recht?

Hinweis: Das Darlehen ist aufgrund seiner Bedingungen für die S als nachteilig einzustufen.


Skizze


Gutachten

A. Anspruch aus § 488 Abs. 1 S. 2 BGB

K könnte gegen S einen Anspruch auf Rückzahlung der Darlehenssumme in Höhe von 27.000,00 EUR aus dem Darlehensvertrag § 488 Abs. 1 S. 2 BGB i.V.m. §§ 161 Abs. 2, 124 HGB haben.

I. Anspruch entstanden

Der Anspruch auf Rückzahlung der Darlehenssumme müsste zunächst entstanden sein

1. Wirksamer Vertragsschluss

Zwischen der K und der S müsste ein wirksamer Darlehensvertrag im Sinne des § 488 Abs. 1 BGB zustande gekommen sein. Vorliegend wurden beide Parteien jeweils durch den G als Geschäftsführer beider Komplementärinnen vertreten. Es müsste daher eine wirksame Stellvertretung gem. §§ 164ff. BGB vorliegen.

a) Eigene Willenserklärung

Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ist jeweils von der Abgabe einer eigenen Willenserklärung durch G auszugehen.

b) In fremden Namen

Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ist auch von der Abgabe der Willenserklärungen im fremden Namen auszugehen.

Anmerkung: Unternehmensbezogenes Geschäft
Angesichts der Darlehenssumme ließen sich auch gut die Grundsätze des unternehmensbezogenen Geschäfts heranziehen. Hierbei handelt es sich aber offensichtlich nicht um einen Schwerpunkt.
c) Mit Vertretungsmacht

Weiterhin müsste der E auch mit Vertretungsmacht gehandelt haben. Fraglich ist dahingehend, wie die Vertretungsverhältnisse bei einer GmbH & Co. KG ausgestaltet sind. Bei der GmbH & Co. KG handelt es sich um eine Kommanditgesellschaft im Sinne des § 161 HGB mit der Besonderheit, dass die einzig persönlich haftende Gesellschafterin (Komplementärin) eine GmbH ist. Aus §§ 161 Abs. 2, 125, 170 HGB ergibt sich dabei, dass die GmbH als Komplementärin grundsätzlich alleinvertretungsberechtigt ist. Die GmbH wird dabei wiederum gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 GmbHG durch den Geschäftsführer der GmbH vertreten. Vorliegend war der G Geschäftsführer der jeweiligen Komplementär-GmbH, sodass er die notwendige Vertretungsmacht hatte. Demnach lägen grundsätzlich die Voraussetzungen einer wirksamen Stellvertretung vor.

d) Verstoß gegen das Verbot der Mehrfachvertretung gemäß § 181 Hs. 1 Alt. 2 BGB

Fraglich ist jedoch, ob die beiderseitige Stellvertretung nicht aufgrund eines Verstoßes gegen das Verbot der Mehrfachvertretung gemäß § 181 Hs. 1 Alt. 2 BGB unwirksam ist.  

aa) Grundsatz

Gemäß § 181 Hs. 1 Alt. 2 BGB ist es einem Vertreter grundsätzlich untersagt im Namen des Vertretenen mit sich als Vertreter eines Dritten ein Rechtsgeschäft abzuschließen. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn ihm etwas anderes gestattet wird und somit die Vertretungsmacht erweitert wird.
Ausweislich des die S betreffenden Handelsregisterauszuges war für die Komplementärin der S eine Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB im Außenverhältnis eingetragen.
Auf der anderen Seite war jedoch nach dem Gesellschaftsvertrag der S für die Kreditaufnahme vorgesehen, dass die Einwilligung der Gesellschaftervereinbarung nötig ist, welche hinsichtlich der fraglichen Darlehensaufnahme nicht erklärt worden war. Es liegt damit ein Verstoß gegen die Grenzen der Vertretungsmacht der Komplementärin der S und somit dessen Geschäftsführers G im Innenverhältnis vor. Die Überschreitung im Innenverhältnis hat jedoch auf die Vertretungsbefugnis im Außenverhältnis grundsätzlich keinen Einfluss.[1]BGH, Urteil vom 29.10.2020 – IX ZR 212/19 Rn. 8 Das Risiko einer missbräuchlichen Verwendung der Vollmacht hat somit grundsätzlich der Vertretene zu tragen.[2]BGH, Urteil vom 29.10.2020 – IX ZR 212/19 Rn. 9

dd) Durchbrechung bei Missbrauch der Vertretungsmacht?

Fraglich ist jedoch, ob im vorliegenden Fall ausnahmeweise eine Durchbrechung dieses Grundsatzes gegeben sein könnte. Die Missachtung von Regeln und Weisungen, die sich aus dem Innenverhältnis des Vertreters zum Vertretenen ergeben, wirkt sich erst dann im Außenverhältnis aus, wenn die Grenzen des rechtlich Tragbaren überschritten werden. Erst dann spricht man von einem Vollmachtsmissbrauch im Rechtssinne, der sich auf die Wirksamkeit des vom Vertreter geschlossenen Rechtsgeschäfts auswirkt.[3]Staudinger/Schilken BGB, 2019, § 167 Rn. 91, 99 Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Vertreter und Geschäftsgegner bewusst zum Nachteil des Vertretenen zusammenwirken oder wenn der Missbrauch der Vertretungsmacht dem Geschäftsgegner bekannt ist oder wegen Evidenz des Missbrauchs ohne weitere Nachforschungen hätte bekannt sein müssen. Das Vertrauen des Geschäftsgegners auf den Bestand des Geschäfts ist nicht schutzwürdig, wenn er weiß oder wenn es sich ihm geradezu aufdrängen muss, dass der Vertreter seine Vertretungsmacht missbraucht. Von den Fällen der Kollusion abgesehen, muss das Geschäft grundsätzlich nicht notwendig nachteilig für den Vertretenen sein.[4]BGH, Urteil vom 29.10.2020 – IX ZR 212/19 Rn. 9

Fraglich ist jedoch, ob diese Fallgruppen der Kollusion und Evidenz auch auf den vorliegenden Fall des Insichgeschäfts durch Mehrfachvertretung gem. § 181 BGB anwendbar sind. Hinsichtlich der Kenntnis etwaiger Beschränkungen bei der Stellvertretung kommt es nach § 166 Abs. 1 BGB auf die Kenntnis des Vertreters, also des G, an. Da dieser bei der Mehrfachvertretung auf beiden Seiten (K und S) stand, bedeutet dies, dass er stets die Einschränkungen seiner eigenen Vertretungsmacht auf der jeweils anderen Vertragsseite kennt. Die Anwendung der obigen Grundsätze würde im Ergebnis also dazu führen, dass das Geschäft aufgrund der bestehenden Kenntnis des Mehrfachvertreters stets unwirksam wäre.[5]BGH, Urteil vom 29.10.2020 – IX ZR 212/19 Rn. 9 Dieses Ergebnis würde jedoch der Wertentscheidung des § 181 Hs. 2 BGB widersprechen, nach der Rechtsgeschäfte, die in der Erfüllung einer Verbindlichkeit bestehen, auch bei Mehrfachvertretung wirksam sein sollen. Die obigen Grundsätze der Kollusion und Evidenz sind in Bezug auf die Mehrfachvertretung dahingehend anzupassen, dass eine Unwirksamkeit nur dann vorliegt, wenn das abgeschlossene Rechtsgeschäft für den Vertretenen nachteilig ist.[6]BGH, Urteil vom 29.10.2020 – IX ZR 212/19 Rn. 10

Anmerkung: Umfang der Argumentation
Bei dem Sonderfall des Missbrauchs bei Mehrfachvertretung handelt es sich letztlich um einen klassischen Fall von „Muss man wohl gewusst haben“, wenn es in der Klausur drankommen sollte. Wichtig erscheint es jedenfalls, sich mit dem Problem des nachteiligen Geschäfts bei Vertretung auseinanderzusetzen und sich klausurtaktisch zu entscheiden, um weitere Probleme abhandeln zu können. Einen Hinweis auf die voranstehende Problematik gibt hier der Bearbeitervermerk, nach dem das Darlehen für S nachteilig ist.

Ausweislich des Bearbeitervermerks ist das Darlehen aufgrund seiner Bedingungen für die S als nachteilig einzustufen. Damit wirkt sich Überschreitung der Vertretungsmacht im Innenverhältnis aufgrund des Missbrauchs ausnahmsweise auf das Außenverhältnis aus, sodass ein Verstoß gegen das Verbot der Mehrfachvertretung gemäß § 181 Hs. 1 Als. 2 BGB vorliegt.

G hat als Vertreter somit nicht mit der notwenigen Vertretungsmacht für S gehandelt.

e) Zwischenergebnis

Mangels Vertretungsmacht liegt keine wirksame Stellvertretung gemäß der §§ 164 ff. BGB auf Seiten der S durch den G vor.

2. Zwischenergebnis

Mangels wirksamer Stellvertretung ist es nicht zu einem wirksamen Vertragsschluss über einen Darlehensvertrag zwischen K und S gekommen.

II. Ergebnis

Der Anspruch auf Rückzahlung der Darlehenssumme gemäß § 488 Abs. 1 S. 2 BGB ist nicht wirksam entstanden. K hat folglich keinen Anspruch auf Rückzahlung der Darlehenssumme in Höhe von 27.000,00 EUR gegen S aus § 488 Abs. 1 S. 2 BGB.

B. Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB

Fraglich ist nunmehr, ob K gegen S einen Anspruch auf Zahlung von 27.000,00 EUR im Wege der Leistungskondiktion gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB hat.

Vernetztes Lernen:
Welche Anspruchsgrundlagen gibt es im Bereicherungsrecht?
I. Leistungskondiktionen
• §812 I 1 Alt. 1: Ohne Rechtsgrund
• §812 I 2 Alt. 1: Späterer Wegfall des Rechtsgrundes
• §812 I 2 Alt. 2: Nichteintritt des bezweckten Erfolgs
• § 813: Dauernde/peremptorische Einrede
• § 817 S. 1: Sittenwidriger Leistungsempfang
II. Nichtleistungskondiktionen
• § 812 I 1 Alt. 2: Allgemeine Nichtleistungskondiktion
• § 816 I 1: Entgeltliche Verfügung eines Nichtberechtigten
• § 816 I 2: Unentgeltliche Verfügung eines Nichtberechtigten
• § 816 II: Leistung an Nichtberechtigten
• § 822: Unentgeltliche Zuwendung an Dritten

I. Etwas erlangt

Zunächst ist erforderlich, dass S „Etwas“ im Sinne des § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB erlangt hat. Darunter wird jeder Vorteil verstanden, der auf Seiten des Begünstigten das Vermögen mehrt.[7]Palandt/Sprau, 78. Auflage 2019, § 812 Rn. 8 Eine solche vermögenswerte Position ist auch dann gegeben, wenn eine Befreiung von Verbindlichkeiten des Begünstigten vorgenommen wird.[8]Palandt/Sprau, 78. Auflage 2019, § 812 Rn. 10 Vorliegend wurde der Darlehensbetrag nicht an S, sondern auf Anweisung des G direkt an M ausgezahlt, um dadurch eine Verbindlichkeit der S gegenüber der M zu begleichen. Dadurch ist S von ihrer Verbindlichkeit gemäß §§ 362 Abs. 1 BGB frei geworden. S hat daher „Etwas“ in Form der Befreiung einer Verbindlichkeit erlangt.

Anmerkung: Weitergehende Argumentation
In einer Entscheidungsbesprechung (JuS 2021, 263) wird an dieser Stelle eine große Prüfung aufgemacht, ob angesichts der eingeschränkten Vertretungsmacht des G tatsächlich eine wirksame Tilgungs- und Zweckbestimmung durch die Anweisung des G abgegeben worden ist, wobei es sich um eine Willenserklärung bzw. rechtsgeschäftsähnliche Handlung handelt, für die die §§ 164 ff. BGB (analog) gelten. Diese wäre dann durch K als Botin im Wege der Zahlung gegenüber der M erklärt worden.
Der Schwerpunkt der Klausur dürfte jedoch, wie häufig bei Rückabwicklung in Mehrpersonenverhältnissen, bei der Frage liegen, wer an wen leistet und wie rückabgewickelt werden darf. Es erscheint daher ausreichend, den Punkt des „Etwas“ kürzer zu fassen und sich diese Problematik als Kanonenfutter für später aufzuheben. So hat es letztlich auch der BGH in der zugrundeliegenden Entscheidung gelöst.
Bei Interesse bzgl. der obigen Diskussion wird auf JuS 2021, 263 verwiesen.

II. Durch Leistung der K

Weiterhin müsste das „Etwas“ durch Leistung der K erlangt worden sein. Unter einer Leistung im Sinne von § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB ist die bewusste und zweckgerichtete Vermehrung fremden Vermögens zu verstehen.[9]BGH, Urteil vom 29.10.2020 – IX ZR 212/19 Rn. 18

1. Feststellung der Leistungsbeziehungen

Fraglich ist zunächst, wer in dieser Konstellation an wen geleistet hat.
Wer Leistender und wer Empfänger einer Leistung ist, richtet sich in erster Linie nach dem Zweck der Zuwendung. Maßgeblich ist grundsätzlich der Zweck, welchen die Beteiligten im Zeitpunkt der Zuwendung mit dieser nach ihrem zum Ausdruck gekommenen Willen verfolgt haben. Wenn die Vorstellungen der Parteien jedoch nicht übereinstimmen, ist eine objektive Betrachtungsweise aus der Sicht des Zuwendungsempfängers geboten. Es kommt darauf an, wie eine vernünftige Person in der Lage des Empfängers die Zuwendung nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen musste und durfte.[10]BGH, Urteil vom 29.10.2020 – IX ZR 212/19 Rn. 18

Aus der Sicht der M als Empfängerin der Zuwendung handelte es sich bei dem überwiesenen Darlehensbetrag um eine Leistung der S im Valutaverhältnis. Diese war ihre Vertragspartnerin und schuldete ihr den erhaltenen Betrag. Mit der K verband die M dagegen keine vertraglichen Beziehungen. Die K ihrerseits wollte mit der Zahlung an die M ihre Verpflichtung im Deckungsverhältnis aus dem Darlehensvertrag mit der S erfüllen, der Darlehensnehmerin S den vereinbarten Darlehensbetrag zur Verfügung zu stellen, §§ 488 Abs. 1 S. 1, 362 Abs. 2, 185 Abs. 1 BGB. Die S ist hierdurch von ihrer Verbindlichkeit gegenüber der M gemäß §§ 362 Abs.1 BGB frei geworden. Dass der Darlehensvertrag nicht wirksam geworden war, änderte hieran zunächst nichts.

Die Zahlung stellte zunächst also eine Leistung der K an die S im Deckungsverhältnis und eine Leistung der S an die M im Valutaverhältnis dar.

Anmerkung: Sachverhaltsskizze
Anmerkung: In einer solchen Konstellation ist es sinnvoll, sich eine Sachverhaltsskizze zu erstellen, in der die Personenverhältnisse verdeutlicht werden. So kommt man nicht durcheinander:
Das Insich-Darlehen

2. Besonderheiten der Mehrpersonenverhältnisse

Fraglich ist daher, in welchem Verhältnis die Rückabwicklung bei Mehrpersonenverhältnissen stattfinden muss.
Bei der bereicherungsrechtlichen Behandlung von Vorgängen, an denen mehr als zwei Personen beteiligt sind, verbietet sich jede schematische Lösung. Vielmehr sind für die sachgerechte bereicherungsrechtliche Abwicklung stets die Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen, zu denen insbesondere Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes und der Risikoverteilung zählen.[11]BGH, Urteil vom 29.10.2020 – IX ZR 212/19 Rn. 19 Dennoch gilt auch bei Mehrpersonenverhältnissen, dass die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung grundsätzlich im Rahmen der jeweiligen fehlerhaften Leistungsbeziehung zu erfolgen hat.[12]BGH, Urteil vom 29.10.2020 – IX ZR 212/19 Rn. 21 Dies ergibt sich daraus, dass der Angewiesene nach dem bereicherungsrechtlichen Leistungsbegriff, der von ihm getroffenen allseits richtig verstandenen Zweckbestimmung entsprechend, mit seiner Zuwendung an den Leistungsempfänger zunächst eine eigene Leistung an den Anweisenden und zugleich eine Leistung des Anweisenden an den Anweisungsempfänger bewirkt.[13]BGH, Urteil vom 16.06.2015 – XI ZR 243/13, Rn. 23; BGH, Urteil vom 01.06.2010 – XI ZR 389/09 Rn. 37

Für den vorliegenden Fall würde dies letztlich bedeuten, dass die Rückabwicklung zwischen K und S im Deckungsverhältnis stattfinden müsste, da dieses aufgrund des unwirksamen Darlehensvertrages fehlerhaft ist. Eine Rückabwicklung im Zuwendungsverhältnis zwischen K und M durch Nichtleistungskondiktion gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB wäre aufgrund des Vorrangs der Leistungskondiktion grundsätzlich ausgeschlossen.

3. Einfluss der Anweisungssituation

Fraglich ist jedoch, ob es sich auf die Rückabwicklung ausnahmsweise auswirkt, dass der G als Geschäftsführer der S im Innenverhältnis gar nicht zur Darlehensaufnahme und entsprechend zur Anweisung an K zur Auszahlung an M berechtigt gewesen ist.

a) Ausnahme bei fehlender Anweisung

In den Fällen der Anweisung im Mehrpersonenverhältnis ist anerkannt, dass die Grundsätze zur Rückabwicklung innerhalb der Leistungsbeziehungen eine wirksame und fehlerfreie Anweisung voraussetzen.[14]BGH, Urteil vom 29.10.2020 – IX ZR 212/19 Rn. 22 In allen anderen Fällen ist aufgrund einer wertenden Betrachtung unter Berücksichtigung einer Veranlasser- und Rechtsscheinhaftung zu entscheiden.[15]BGH, Urteil vom 29.10.2020 – IX ZR 212/19 Rn. 29

Durch die Anweisung erklärt der Anweisende (hier: S) dem Angewiesenen (hier: K), dass dieser die Zuwendung direkt an einen Dritten/Zuwendungsempfänger (hier: M) tätigen soll, um eine eigene Verbindlichkeit des Anweisenden gegenüber dem Dritten zu erfüllen. In dieser Anweisung ist eine Tilgungs- und Zweckbestimmung enthalten, die der Angewiesene durch Zuwendung an den Dritten als Bote des Anweisenden übermittelt. Der Anweisende wird gemäß §§ 362 Abs. 1 BGB letztlich von seiner Verbindlichkeit befreit.[16]Omlor, Jus 2021, 263, 264; MüKoBGB/Schwab, 8. Auflage 2020, § 812 Rn. 194

Fehlt es hingegen an einer wirksamen Anweisung des Anweisenden, so hat der Angewiesene lediglich erfolglos versucht, eine Leistung gemäß §§ 362 Abs. 2, 185 Abs. 1 BGB an den Anweisenden zu erbringen. Insofern wird der Anweisende nicht von seiner Verbindlichkeit gegenüber dem Dritten gem. §§ 362 Abs. 1 BGB befreit, weil der Angewiesene mangels Anweisung keine wirksame Tilgungsbestimmung als Bote überbringen konnte. Mangels Befreiung von seiner Verbindlichkeit hat der Anweisende somit nicht „Etwas durch Leistung erlangt“. Eine Leistung im Deckungsverhältnis liegt damit nicht vor.
Als weitere Folge der fehlenden Tilgungsbestimmung liegt auch keine Leistung im Valutaverhältnis vor. Mangels Anweisung hat der „Anweisende“ keine Ursache für den Anschein gesetzt, dass die Zahlung eine Leistung darstellt. Es fehlt infolgedessen an der Tilgungswirkung im Sinne von § 362 Abs. 1 BGB, sodass es gerade nicht zur Erfüllung der Verbindlichkeit des Anweisenden gegenüber dem Dritten gemäß §§ 362 Abs. 1 gekommen ist.[17]Ausführlicher in: BGH, Urteil vom 20.03.2001 – XI ZR 157/00, Rn. 27
Der Dritte als Zuwendungsempfänger ist letztlich somit nur in sonstiger Weise auf Kosten des Angewiesenen bereichert. Eine vorrangige Leistungsbeziehung besteht dann gerade nicht, sodass mangels Vorrang der Leistungskondiktion eine Rückabwicklung im Zuwendungsverhältnis stattfinden kann.[18]BGH, Urteil vom 29.10.2020 – IX ZR 212/19 Rn. 25

Auf den vorliegenden Fall übertragen würde das bedeuten, dass K mangels wirksamer Tilgungsbestimmung erfolglos versucht hätte, durch Zuwendung an M seine Verbindlichkeit gegenüber S zu erfüllen. Weiterhin würde es mangels Tilgungsbestimmung auch an einer Leistung von S gegenüber M fehlen, sodass letztlich nur eine Rückabwicklung zwischen K und M im Wege der Nichtleistungskondiktion stattfinden könnte. Ein Anspruch der K gegenüber S aus § 812 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 BGB wäre damit ausgeschlossen.

b) Ausnahme bei unwirksamer Anweisung

Fraglich ist jedoch, ob dies auch für den vorliegenden Fall gilt, weil gerade eine Weisung durch den Geschäftsführer G stattgefunden hat, obwohl dieser nicht im Rahmen seiner Vertretungsmacht im Innenverhältnis gehandelt hat.

Ob es sich bei der Tilgungsbestimmung um eine einseitig empfangsbedürftige Willenserklärung oder eine geschäftsähnliche Handlung handelt, ist umstritten.[19]Streitstand: BeckOGK/Looschelders, § 366 Rn. 43 Unabhängig von der dogmatischen Einordnung greifen die Regeln der Stellvertretung gemäß §§ 164ff. BGB zumindest analog.[20]Omlor, JuS 2021, 263, 264

Wird die Anweisung von einem Vertreter ohne Vertretungsmacht erteilt, kann sie dem Vertretenen nicht zugerechnet werden. Das gilt auch dann, wenn die Anweisung von einem nur gesamtvertretungsberechtigten Vertreter allein und damit zivilrechtlich unwirksam erteilt worden ist. In einem solchen Fall hat der Vertretene nicht den Anschein erweckt, die in seinem Namen handelnde Person sei alleinvertretungsberechtigt. Damit hat er keine Ursache für den Anschein gesetzt, die Zahlung sei seine Leistung. Die Rückabwicklung hat damit genauso stattzufinden, wie wenn überhaupt keine Anweisung vorgelegen hätte.[21]BGH, Urteil vom 29.10.2020 – IX ZR 212/19 Rn. 27 Vorliegend hat der G nach den obigen Feststellungen zum Darlehensvertrag die Grenzen seiner Vertretungsmacht im Innenverhältnis derart missbräuchlich überschritten, dass sich der Mangel auf das Außenverhältnis durchschlägt. Er hat damit ohne Vertretungsmacht gehandelt, sodass eine unwirksame Anweisung vorliegt.

Anmerkung: Begründung des BGH
Die volle Begründung des BGH lautet dahingehend wie folgt: „Wird die Anweisung von einem Vertreter ohne Vertretungsmacht erteilt, kann sie dem Vertretenen nicht zugerechnet werden. Das gilt auch dann, wenn die Anweisung von einem nur gesamtvertretungsberechtigten Vertreter allein und damit zivilrechtlich unwirksam erteilt worden ist. Zweck der Regeln über die Gesamtvertretung ist es gerade, dass der Vertretene grundsätzlich nur durch übereinstimmende Willenserklärungen aller gesetzlichen oder rechtsgeschäftlich bestellten Vertreter verpflichtet oder berechtigt werden kann. In einem solchen Fall hat der Vertretene nicht den Anschein erweckt, die in seinem Namen handelnde Person sei alleinvertretungsberechtigt. Damit hat er keine Ursache für den Anschein gesetzt, die Zahlung sei seine Leistung. Der Bereicherungsausgleich hat daher im Wege einer Nichtleistungskondiktion (§ 812 I 1 Fall 2 BGB) zwischen dem Empfänger der vermeintlichen Weisung und dem Leistungsempfänger zu erfolgen.“
c) Rückausnahme: Veranlasserprinzip

Eine Rückausnahme von den Fällen der fehlenden bzw. unwirksamen Anweisung besteht jedoch wiederum dann, wenn die Zuwendung durch den „vermeintlich Anweisenden“ zurechenbar mit veranlasst wurde. In diesen Fällen besteht zwar letztlich keine wirksame Anweisung, die Zuwendung an den Zuwendungsempfänger ist dem vermeintlich Anweisenden aus Rechtsscheinsgründen jedoch als eigene Leistung zurechenbar, sodass es bei einer Rückabwicklung innerhalb der Leistungsbeziehungen bleibt. Durch diese Zurechnung soll der Zuwendungsempfänger in seinem Vertrauen geschützt werden, sich hinsichtlich einer etwaigen Rückabwicklung nur im Valutaverhältnis mit dem vermeintlich Anweisenden auseinandersetzen zu müssen.[22]BGH, Urteil vom 29.10.2020 – IX ZR 212/19 Rn. 28

Vorliegend hat die S die unbegrenzte Vertretungsmacht der Komplementärin im Handelsregister eingetragen, obwohl eine solche im Innenverhältnis nach dem Gesellschaftsvertrag nicht bestand. Dadurch hat die S die Möglichkeit geschaffen, dass die nach außen unbegrenzte Vollmacht missbräuchlich verwendet wird und somit den Anschein einer wirksamen, fehlerfreien Anweisung mit veranlasst. Dabei ist es unbeachtlich, dass letztlich ein Fall des Missbrauchs vorlag, der hinsichtlich des Darlehensvertrages auch auf die Außenvollmacht durchgeschlagen ist. Dieses Vorbringen kann die S gerade nicht gegenüber den schützenswerten M geltend machen, da diese als Empfängerin nichts von der Beschränkung wusste und somit gerade nicht bösgläubig war.[23]BGH, Urteil vom 29.10.2020 – IX ZR 212/19 Rn. 28 Die Zuwendung der K an die M ist der S damit aus Rechtsscheinsgründen zurechenbar, sodass es sich um eine Leistung handelte.

Anmerkung: Unübliche Fallkonstellation
Die Frage der Besonderheiten bei Mehrpersonenverhältnissen stellt sich in den meisten Fällen immer dann, wenn der Angewiesene das „Geleistete“ im Zuwendungsverhältnis, also im Wege der Direktkondiktion gegenüber dem Anweisungsempfänger zurückverlangen möchte. Dann geht es darum, ob dieser Nichtleistungskondiktion eine vorrangige Leistung im Valutaverhältnis zwischen Anweisendem und Anweisungsempfänger entgegensteht. Insofern unterscheidet sich der vorliegende Fall, als dass es um eine Rückabwicklung im Deckungsverhältnis geht, wie sie eigentlich nach dem Grundsatz „Rückabwicklung im jeweiligen Leistungsverhältnis“ vorgesehen ist. Dies mag auf den ersten Blick sehr verwundern, weil man zunächst recht schnell das Tatbestandsmerkmal „Leistung“ bejahen kann, ohne sich großartig Gedanken über die Besonderheiten der Anweisungsfälle zu machen. Da sich bei Mehrpersonenverhältnissen jedoch jede schematische Betrachtung verbietet, sind die Besonderheiten der Anweisungsfälle zu diskutieren.

4. Zwischenergebnis

Für die Rückabwicklung bedeutet dies, dass eine Leistung im Verhältnis von K zu S vorliegt und keine Durchbrechung des Vorrangs der Leistungskondiktion aufgrund der Besonderheiten der Mehrpersonenverhältnisse vorzunehmen ist.
S hat damit das „Etwas“ in Form der Befreiung von der Verbindlichkeit durch Leistung der K erlangt.

III. Ohne Rechtsgrund

Die Leistung erfolgte auch ohne rechtlichen Grund, weil der Darlehensvertrag im Deckungsverhältnis unwirksam war.

IV. Rechtsfolge

K hat gegen S einen Anspruch auf Herausgabe des Erlangten, § 818 BGB. Da das Erlangte in der Befreiung von einer Verbindlichkeit liegt, ist die Herausgabe des Erlangten selbst unmöglich. Es ist daher Wertersatz gemäß § 818 Abs. 2 BGB in Höhe von 27.000,00 EUR zu leisten.

V. Ergebnis

K hat einen Anspruch auf Rückzahlung von 27.000,00 EUR gegen S aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB.

Zusatzfrage

Bestünde bei K ein Rückzahlungsanspruch gegen M, wenn es sich bei K um eine Zahlungs-dienstleisterin im Sinne der 675c ff. BGB handelt?
K könnte einen Direktanspruch in Form einer Nichtleistungskondiktion gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB gegen M haben.
Zunächst wären, wie oben bereits, die Leistungsbeziehungen festzustellen und die Besonder-heiten der Mehrpersonenverhältnisse und Anweisungsfälle vorzunehmen. Danach kommt man zu dem Ergebnis, dass die S die Anweisung mit veranlasst hat, sodass ihr die Zahlung als Leistung zuzurechnen ist. Demnach würde der Vorrang der Leistungskondiktion greifen und letztlich eine Direktkondiktion gegen M ausscheiden.
Fraglich ist jedoch, ob dieses Ergebnis mit den Besonderheiten des Zahlungsdienstleister-rechts, insbesondere der Wertung des § 675u BGB vereinbar ist. Dies ist umstritten:

Nach der früheren Rechtsprechung und der Literatur soll es bei den Regeln des Veranlasserprinzips verbleiben. Begründet wurde dies damit, dass der § 675u S. 1 und S. 2 BGB keine Auswirkung auf die bisherige Lösung haben, da lediglich die Ansprüche auf Er-satz der „Aufwendungen“ der Bank gegen ihren Kunden geregelt wird. Dies habe aber keinen Einfluss darauf, ob eine vorrangige Leistung im Valutaverhältnis (vermeintlich anweisender Zahler und Zahlungsempfänger) vorliegt.
Nach der neueren Rechtsprechung des BGH führt jedoch jeder Fehler der Anweisung dazu, dass der Zahlungsdienstleister den Zahlungsbetrag im Wege der Nichtleistungskondiktion vom Zahlungsempfänger herausverlangen kann.[24]vgl. BGH, Urteil vom 29.10.2020 – IX ZR 212/19 Rn. 23 Begründet wird dies mit der Wertung des § 675u S. 2 BGB wonach der Zahler bei nicht autorisierter Zahlung einen Erstattungsanspruch gegen den Zahlungsdienstleister hat. Daraus ergibt sich, dass der Zahler besonders geschützt werden und somit aus dem Bereicherungsdreieck rausgehalten werden soll.[25]BGH, Urteil vom 16.06.2015 – XI ZR 243/13 Rn. 21ff.

Zu folgen ist der zweiten Ansicht, da nur durch diese sichergestellt wird, dass der Zahler schnell wieder an sein Geld kommt, wie es von § 675u S. 2 BGB gerade bezweckt ist. Andernfalls müsste der Zahler sich an den Zahlungsempfänger halten, wodurch § 675u S. 2 BGB letztlich wirkungslos wäre.

K hätte in diesem Fall daher einen Direktanspruch gegen M aus Nichtleistungskondiktion.


Zusammenfassung:
1. Ein im Außenverhältnis erlaubtes, aber internen Beschränkungen widersprechendes Insichgeschäft ist nur dann unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs der Vertretungsmacht unwirksam, wenn es für den Vertretenen nachteilig ist.
2. Bei Fehlen einer wirksamen Anweisung richtet sich der Bereicherungsanspruch des Zuwendenden gegen den vermeintlich Anweisenden, wenn der Fehler der Anweisung darauf beruht, dass für den vermeintlich Anweisenden ein Vertreter handelt, der dem Zuwendungsempfänger unbekannte interne Beschränkungen seiner im Außenverhältnis unbeschränkten Vertretungsmacht missachtet.


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