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Corona-VO: Ausgangsbeschränkung

VGH München, Beschluss vom 30.03.2020 – 20 NE 20.632; NJW 2020, 1236

Sachverhalt

Das zuständige Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege (BS) erlässt zur Bekämpfung der pandemischen, gesundheits- und lebensgefährlichen und nicht umfassend erforschten Infektionskrankheit COVID-19 die folgende „Bayerische Verordnung über eine vorläufige Ausgangsbeschränkung anlässlich der Corona-Pandemie“ (Corona-VO). In der Einleitungsformel nimmt es Bezug auf § 32 S. 1 IfSG.

Corona-VO

§ 1 (1) Jeder wird angehalten, die physischen und sozialen Kontakte zu anderen Menschen außerhalb der Angehörigen des eigenen Hausstands auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren. Wo immer möglich, ist ein Mindestabstand zwischen zwei Personen von 1,5 m einzuhalten.

(4) Das Verlassen der eigenen Wohnung ist nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt.

(5) Triftige Gründe sind insbesondere:
a) die Ausübung beruflicher Tätigkeiten,
b) die Inanspruchnahme medizinischer und veterinärmedizinischer Versorgungsleistungen (zB Arztbesuch, medizinische Behandlungen; Blutspenden sind ausdrücklich erlaubt) sowie der Besuch bei Angehörigen helfender Berufe, soweit dies medizinisch dringend erforderlich ist (zB Psycho- und Physiotherapeuten),
c) Versorgungsgänge für die Gegenstände des täglichen Bedarfs,
d) der Besuch bei Lebenspartnern, Alten, Kranken oder Menschen mit Einschränkungen (außerhalb von Einrichtungen) und die Wahrnehmung des Sorgerechts im jeweiligen privaten Bereich,
e) die Begleitung von unterstützungsbedürftigen Personen und Minderjährigen,
f) die Begleitung Sterbender sowie Beerdigungen im engsten Familienkreis,
g) Sport und Bewegung an der frischen Luft, allerdings ausschließlich alleine oder mit Angehörigen des eigenen Hausstands und ohne jede sonstige Gruppenbildung und
h) Handlungen zur Versorgung von Tieren.

(6) Die Polizei ist angehalten, die Einhaltung der Ausgangsbeschränkung zu kontrollieren. Im Falle einer Kontrolle sind die triftigen Gründe durch den Betroffenen glaubhaft zu machen.

§ 2 Diese Verordnung tritt mit Wirkung vom 21. März 2020 in Kraft und mit Ablauf des 3. April 2020 außer Kraft.

Auszug aus dem Infektionsschutzgesetz des Bundes (IfSG)

§ 28 Schutzmaßnahmen
(1) 1Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.

§ 32 Erlass von Rechtsverordnungen
1Die Landesregierungen werden ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. 2Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf andere Stellen übertragen. 3Die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz), der Freizügigkeit (Artikel 11 Abs. 1 Grundgesetz), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 Grundgesetz), der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 Grundgesetz) und des Brief- und Postgeheimnisses (Artikel 10 Grundgesetz) können insoweit eingeschränkt werden.

H, wohnhaft in Bayern, möchte sich das nicht bieten lassen. Sie bittet RAin R am 25.03.2020, schnellstmöglich für die Außervollzugsetzung des § 1 I, IV, V Corona-VO zu sorgen. Zur Abwehr schwerer Nachteile sei das dringend geboten. Die durch die VO beschränkte Freiheit könne nicht nachträglich wiederhergestellt werden. Auch sei mit weiteren Beschränkungen zu rechnen. § 1 I Corona-VO lasse den vollziehbaren Teil der Verordnung nicht erkennen und sei daher unbestimmt.

Das BS weist die Bedenken mit dem Hinweis zurück, eine Außervollzugsetzung sei nicht zur Verhinderung von Nachteilen dringend geboten. Die Corona-VO verstoße nicht gegen höherrangiges Recht, stütze sich auf eine hinreichende Ermächtigung und sei ausreichend bestimmt und verhältnismäßig.

Wird ein schnelles verwaltungsgerichtliches Vorgehen von R für H Erfolg haben?


Skizze


Gutachten

In Betracht kommt vorläufiger Rechtsschutz im Normenkontrollverfahren nach § 47 VI VwGO. Ein solches Vorgehen von R für H hat Erfolg, wenn es zulässig und soweit es begründet ist.

Anmerkung: Aufbau
Wenngleich man die Statthaftigkeit des Antrags nicht vorwegnehmen darf, ist eine erste Orientierung bereits erforderlich, um die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges präzise prüfen zu können.

A. Zulässigkeit

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges

Auch im Verfahren nach § 47 VI VwGO entscheidet das Gericht „im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit“, § 47 I VwGO.[1]Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 11. Aufl. 2019, § 34 Rn. 3. Der Verwaltungsrechtsweg muss daher eröffnet sein. Mangels aufdrängender Sonderzuweisung bemisst sich das nach § 40 I 1 VwGO. Es muss sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handeln. Bei einer untergesetzlichen Norm ist das der Fall, wenn sich aus ihrer Anwendung verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten ergeben können.[2]BVerwG NVwZ 1996, 63, 65; Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2020, Rn. 1405. Nach § 1 VI Corona-VO werden die Polizeibehörden einseitig zur Kontrolle der Ausgangsbeschränkungen berechtigt. Nach der modifizierten Subjektstheorie[3]Zu dieser näher Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 11. Aufl. 2019, § 11 Rn. 17. können sich aus der Anwendung der Norm daher verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten ergeben, sodass es sich auch bei der angegriffenen Norm um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handelt. Mangels doppelter Verfassungsunmittelbarkeit ist die Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art. Ferner ist keine abdrängende Sonderzuweisung gegeben. Somit ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 I 1 VwGO eröffnet.

II. (P) Statthaftigkeit des Antrags

Die Statthaftigkeit richtet sich nach dem Begehren der Antragstellerin (vgl. §§ 88, 122 I VwGO). H möchte die schnellstmögliche Außervollzugsetzung der VO erreichen. Sie strebt nicht an, gegen einzelne Vollzugsakte vorzugehen, dann wären §§ 80, 80a oder 123 VwGO einschlägig, sondern gegen den Vollzug der erlassenen Verordnung insgesamt. Möglich ist damit ein Verfahren im vorläufigen Rechtsschutz nach § 47 VI VwGO, wozu die Normenkontrolle nach § 47 I VwGO ihrerseits statthaft sein muss.[4]Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 11. Aufl. 2019, § 34 Rn. 6. Bei den Normen der Corona-VO handelt es sich um Rechtsvorschriften, die unter dem Landesgesetz stehen, vgl. § 47 I Nr. 2 VwGO. § 47 I Nr. 2 VwGO erfordert, dass landesgesetzlich die Kontrollmöglichkeit vorgesehen ist. Mit Art. 5 S. 1 BayAGVwGO ist das hier der Fall, sodass der Antrag nach § 47 I Nr. 2 VwGO statthaft wäre.

Anmerkung: andere Länder
Vergleichbare Regelungen zu Art. 5 S. 1 AGVwGO (Bayern) finden sich in § 4 AGVwGO (Baden-Württemberg), § 4 I VwGG (Brandenburg), Art. 7 I AGVwGO (Bremen), § 15 AGVwGO (Hessen), § 13 AGGerStrG (Mecklenburg-Vorpommern), § 75 NJG (Niedersachsen), § 109a JustG NRW (Nordrhein-Westfalen), § 18 AGVwGO (Saarland), § 24 I SächsJG (Sachsen), § 10 AGVwGO (Sachsen-Anhalt), § 67 LJG (Schleswig-Holstein), § 4 AGVwGO (Thürigen).
In Rheinland-Pfalz wäre mit § 4 I 2 AGVwGO ein Verfahren nach § 47 I Nr. 2 VwGO im konkreten Fall nicht möglich, da es sich um eine Verordnung der Landesregierung, d.h. einem Verfassungsorgan nach Art. 130 I Rheinland-Pfälzische Verfassung handelt. In Berlin und Hamburg ist das Vorgehen nach Art. 47 I Nr. 2 VwGO insg. nicht vorgesehen. Insofern scheidet eine prinzipale Normenkontrolle aus. Die Betroffenen sind dann auf inzidenten Rechtsschutz angewiesen, der nur inter partes wirkt.[5]Zur Verfassungskonformität der Nichteinführung der prinzipalen Normenkontrolle jüngst BVerwG NVwZ-RR 2020, 236 ff.

H möchte die Außervollzugsetzung der Vorschriften der Corona-VO erreichen, wozu aufgrund des begrenzten und schon eingetretenen zeitlichen Anwendungsbereichs der Normen allein vorläufiger Rechtsschutz nach § 47 VI VwGO das Rechtsschutzziel gewährleisten kann. Ein solcher Antrag ist mithin statthaft.

III. (P) Antragsbefugnis

Da das Verfahren im vorläufigen Rechtsschutz nach § 47 VI VwGO nicht über das Hauptsacheverfahren hinausgehen darf, muss H als natürliche Person entsprechend § 47 II 1 VwGO geltend machen, in eigenen Rechten möglicherweise verletzt zu sein.[6]Vgl. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 11. Aufl. 2019, § 34 Rn. 7. Aufgrund der Ausgangsbeschränkungen in der Corona-VO ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass H als Bayerin in ihrer Fortbewegungsfreiheit nach Art. 2 II 2 GG, ihrer Freizügigkeit nach Art. 11 I GG und ihrer Versammlungsfreiheit nach Art. 8 I GG verletzt ist.

Ferner muss H gem. § 47 VI VwGO geltend machen, dass eine einstweilige Anordnung zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, sog. Anordnungsgrund.[7]Vgl. Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2020, Rn. 1542, der in diesem Kontext in Rn. 1541 von der Verwendung des Begriffs „Anordnungsanspruch“ abrät, da die Begründetheit des … Continue reading. Mit dem Argument, die mögliche Beschränkung der Freiheit könne nicht im Nachhinein wieder hergestellt werden, legt H das Vorliegen des Anordnungsgrundes plausibel dar.

IV. Zuständigkeit

Als Gericht der Hauptsache ist sachlich das OVG bzw. der VGH zuständig, § 47 I VwGO. Örtlich gibt es keine Abgrenzungsprobleme, da in jedem Land nur ein zuständiges Gericht besteht.

V. Antragsgegner

Richtiger Antragsgegner ist entsprechend § 47 II 2 VwGO die Erlasskörperschaft (Rechtsträgerprinzip). Hier ist folglich der Freistaat Bayern Antragsgegner.

VI. Sonstige personenbezogene Voraussetzungen

H ist nach § 61 Nr. 1 Alt. 1 VwGO beteiligtenfähig und nach § 62 I Nr. 1 VwGO prozessfähig. Der Freistaat Bayern ist nach § 61 Nr. 2 Alt. 2 VwGO beteiligtenfähig und nach § 62 III VwGO prozessfähig, wenn er sich entsprechend vertreten lässt. Lässt sich H von R vertreten, ist sie nach § 67 IV 1 VwGO postulationsfähig.

VII. (P) Rechtsschutzbedürfnis

H darf kein leichterer Weg zu gleichwertigem Schutz offen stehen. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt nur dann, wenn die Rechtsstellung von H durch das Verfahren nicht verbessert werden kann.[8]Giesberts, in: BeckOK-VwGO, 53. Ed. 2020, Art. 47 Rn, 43. Die Beschränkungen fielen durch eine einstweilige Anordnung in Form der Außervollzugsetzung weg, sodass die Rechtstellung von H durch ein erfolgreiches Verfahren verbessert würde.

Der Antrag nach § 47 VI VwGO ist zwar nicht fristgebunden; wäre das Hauptsacheverfahren nach § 47 II 1 VwGO aber verfristet, kann ein Antrag nach § 47 VI VwGO nicht mehr gestellt werden.[9]Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2020, Rn. 1544. Die einjährige Frist des § 47 II 1 VwGO ist noch nicht abgelaufen.

Aufgrund einer Gesamtanalogie zu §§ 80 V 3, 123 I VwGO und § 32 BVerfGG kann der Antrag nach § 47 VI VwGO bereits vor Anhängigkeit der Normenkontrolle gem. § 47 I VwGO gestellt werden.[10]Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand: 37. EL Juni 2019, § 47 Rn. 146. H ist folglich rechtsschutzbedürftig.

VIII. Ordnungsgemäßer Antrag

Der Antrag muss den Anforderungen der §§ 81, 82 VwGO entsprechen.

IX. Zwischenergebnis

Der Antrag von H auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im vorläufigen Rechtsschutz gem. § 47 VI VwGO ist damit zulässig.

B. Begründetheit

Der Antrag müsste begründet sein. Maßgeblich hierfür sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache. Ergibt eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache, dass diese voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht geboten. Ist aber davon auszugehen, dass die Hauptsache zulässig und begründet wäre, spricht das für eine Außervollzugsetzung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache. Dann kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der vorherige Vollzug gewichtige Nachteile bedeutete.[11]Zu diesem Absatz VGH München NJW 2020, 1236, 1237; allg. zum Prüfungsmaßstab bei § 47 VI VwGO und zur Anwendung in Prüfungsarbeiten Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2020, Rn. … Continue reading

Anmerkung: Zweifel bzgl. der Erfolgsaussichten
Lassen sich die Erfolgsaussichten in der Hauptsache zum Zeitpunkt des Erlasses der einstweiligen Anordnung nicht abschätzen, ist eine Doppelhypothese vorzunehmen. Hierzu vergleicht man die Folgen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erlassen würde, das Hauptsacheverfahren aber Erfolg hätte, mit den Folgen, die einträten, wenn die einstweilige Anordnung erginge, das Hauptsacheverfahren aber nicht erfolgreich wäre.[12]VGH München, NJW 2020, 1236, 1237.

Es sprechen keine Anhaltspunkte gegen die Zulässigkeit des Verfahrens in der Hauptsache. Ob das Hauptsachverfahren voraussichtlich (un)begründet ist, bestimmt sich danach, ob die Corona-VO gegen höherrangiges Recht verstößt.

I. Ermächtigungsgrundlage

Die Corona-VO stützt sich auf § 32 S. 1 i.V.m. § 28 I 1 IfSG. Diese Vorschriften müssten verfassungskonform sein.

1. Formelle Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage

Der Bund hat nach Art. 74 I Nr. 19, 72 I GG die konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis im Sinne einer Kernkompetenz für Maßnahmen gegen übertragbare Krankheiten. Er war folglich für den Erlass der Ermächtigungsgrundlage zuständig. Verstöße gegen die Verfahrensvorschriften der Art. 76 ff. GG und gegen Formerfordernisse des Art. 82 GG sind nicht ersichtlich. § 32 S. 3 IfSG benennt möglicherweise beschränkte Grundrechte, sodass auch dem Zitiergebot des Art. 19 I 2 GG genügt wurde. Von der formellen Verfassungskonformität der Ermächtigungsgrundlage ist damit auszugehen.

Vernetztes Lernen: Was ist die Rechtsfolge, wenn die Bundesregierung auf die Zuleitung einer eigenen Gesetzesinitiative zum Bundesrat verzichtet?
Gerade bei dringenden Gesetzesvorlagen, die wie hier auf eine akute Situation reagieren stellt sich diese Frage. Nach Art. 76 II 1 GG sind Gesetzesvorlagen der Bundesregierung zunächst dem Bundesrat zuzuleiten. Leitet die Bundesregierung die Vorlage direkt dem Bundestag zu, ist die Rechtsfolge umstritten. Der Wortlaut „sind … zuzuleiten“ spricht für eine zwingende Verfahrensvorschrift mit der Folge der Nichtigkeit des Gesetzes. Auch der Zweck von Art. 76 II 1 GG, kompromissfördernd weitere Konflikte im Gesetzgebungsverfahren zu vermeiden, spricht für diese Folge. Für die Einordnung als bloße Ordnungsvorschrift mit der Folge, dass ein Verstoß nicht zur Nichtigkeit des Gesetzes führt, spricht, dass die Stellungnahme des Bundesrats nur fakultativ ist (Art. 76 II 2 GG). Auch wird der Bundesrat im Hauptverfahren (Art. 77 II-IV GG) ausreichend beteiligt. Hier sind beide Ergebnisse vertretbar.[13]Vgl. zu dieser Frage Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Grundgesetz Bd. II, 3. Aufl. 2015, Art. 76 Rn. 102.
Vernetztes Lernen: Darf die Bundesregierung eigens erarbeitete Gesetze über die Regierungsfraktionen einbringen, ohne den Bundesrat zu beteiligen?
Auch mit dieser Taktik (sog. verkappte Regierungsvorlage) wird das Verfahren beschleunigt. Wer Initiant ist, bestimmt sich formal nach Art. 76 I GG. „Einbringen“ gem. Art. 76 I GG ist nicht mit „Erarbeiten“ gleichzusetzen. Die Abgeordneten können sich die Vorlage zu eigen machen. Teilweise wird aber eine analoge Anwendung von Art. 76 II GG gefordert, womit eine Stellungnahme des Bundesrates erforderlich ist.[14]Dietlein, in: BeckOK-GG, 43. Ed. 2020, Art. 76 Rn. 31. Dagegen wird eingewandt, dass der Bundestag einen Legitimationsvorsprung genieße und keine Umgehung vorliegen könne, da der Bundestag nur von seinem Recht aus Art. 76 I GG zur Initiative Gebrauch macht.[15]Kersten, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Stand: 90. EL Februar 2020, Art. 76 Rn. 113. Schließlich wird argumentiert, die Mitte des Bundestages und die Bundesregierung dürfen nicht über die Art und Weise der Durchführung des Verfahrens entscheiden, da Art. 76 II GG nicht primär ihren Interessen diene, sondern ein konfliktfreies Gesetzgebungsverfahren anstrebt.[16] Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Grundgesetz Bd. II, 3. Aufl. 2015, Art. 76 Rn. 60. Hält man hier eine analoge Anwendung von Art. 76 II GG für erforderlich, ist die Frage der Rechtsfolge einer Nichtbeachtung davon abhängig, wie man sich bei der obigen Frage entschieden hat.
Vernetztes Lernen: Wie viele Lesungen sind im Bundestag bei Gesetzesentwürfen erforderlich? Was folgt aus einer Missachtung dieser Anforderungen?
Nach § 78 I 1 GO BT sind drei Lesungen erforderlich. Ausnahmen können aber nach § 126 GO BT beschlossen werden. Die Behandlung in drei Lesungen ist verfassungsrechtlich nicht geboten. Insofern besteht weder Verfassungsgewohnheitsrecht noch sind die drei Beratungen eine unabdingbare Konkretisierung des Demokratieprinzips.[17]Kersten, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Stan: 90. EL Februar 2020, Art. 77 Rn. 14. Art. 76 III 6 GG spricht vielmehr nur davon, dass die Beratung und Beschlussfassung in angemessener Frist zu erfolgen hat. Ein nach weniger als drei Lesungen verabschiedetes Gesetz, ist daher nicht deshalb verfassungswidrig.

2. (P) Materielle Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage

§ 32 S. 1 i.V.m. § 28 I 1 IfSG könnte materiell verfassungswidrig sein.

§ 32 S. 1 IfSG adressiert mit der Landesregierung eine in Art. 80 I 1 GG genannte, folglich zulässige Stelle.

Nach § 80 I 2 GG müssen ferner Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung bestimmt sein. Bürgerinnen und Bürger müssen aus der Ermächtigung vorhersehen können, was zulässig sein soll, wobei eine hinreichende, auslegungsgeleitete Bestimmtheit genügt.[18]BVerfG NJW 2016, 3648, 3652. Bei der Beurteilung, ob die Ermächtigung hinreichend bestimmt ist, kommt es einerseits auf die Intensität möglicher Beschränkungen durch die Regelung an. Die Ermächtigungsgrundlage muss umso bestimmter sein, je schwerwiegender die grundrechtlichen Auswirkungen für die durch die Verordnung Betroffenen sind. Andererseits kommt es auf die Eigenart des zu regelnden Sachverhalts an, ob eine nähere Umschreibung etwa möglich ist.[19]Zu dem erforderlichen Maß der Bestimmtheit BVerfG NJW 2016, 3648, 3652; VGH München, NJW 2020, 1236, 1238. Zu berücksichtigen ist der Wesentlichkeitsgrundsatz, der gebietet, dass die wesentlichen Entscheidungen, v.a. grundrechtserhebliche Entscheidungen, durch den legitimierten Gesetzgeber getroffen werden.[20]Vgl. Sodan/Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, 18. Aufl. 2018, § 6 Rn. 65.  Die Ausgangs- und Betretungsverbote, die § 32 S. 1 i.V.m. § 28 I 1 IfSG ermöglicht, greifen erheblich in die Freiheit der Person (Art. 2 II 2 GG), die Versammlungsfreiheit (Art. 8 I GG) und die Freizügigkeit (Art. 11 I GG) ein.[21]VGH Müchen, NJW 2020, 1236, 1238; a.A. in Bezug auf einen Eingriff in Art. 11 I GG aber auch mit anderem Sachverhalt OVG Berlin-Brandenbug, DVBl. 2020, 775, 776 vgl. zur Frage der Reichweite von … Continue reading Das verschärft die Anforderungen an die Bestimmtheit. § 32 S. 1 IfSG ermöglicht den Erlass von Rechtsverordnungen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. Damit ist das Ziel benannt, vgl. Art. 80 I 2 GG. § 28 I 1 Hs. 2 IfSG macht weitere, konkrete Angaben in Bezug auf den Inhalt einer Rechtsverordnung „…; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort… nicht zu verlassen…oder Orte nicht zu betreten.“). Auch setzt § 28 I 1 IfSG Grenzen, wenn er darauf abstellt, dass die notwendigen Schutzmaßnahmen zu treffen sind, soweit und solange es erforderlich ist. Damit wird auch das Ausmaß der Ermächtigung im Gesetz bestimmt.[22]Vgl. VGH München, NJW 2020, 1236, 1238. Die Ermächtigungsgrundlage des § 32 S. 1 i.V.m. § 28 I 1 IfSG ist demnach hinreichend bestimmt und steht mit Art. 80 GG im Einklang.[23]VGH München, NJW 2020, 1236, 1238; vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, DVBl. 2020, 775, 776; a.A. ist hier bei entsprechender Begründung vertretbar, insb. bei stärkerem Bezug auf den … Continue reading

Vernetztes Lernen: Wie sind Bewegungsfreiheit und Freizügigkeit voneinander abzugrenzen?
Freizügigkeit gem. Art. 11 I GG bedeutet die Freiheit, im gesamten Bundesgebiet Wohnsitz und Aufenthalt zu wählen.[24]Vgl. nur BVerfG NVwZ 2014, 211, 223. Aufenthalt in dem Sinne erfordert eine gewisse Dauer und soziale Relevanz. [25]Sodan/Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, 8. Aufl. 2018, § 39 Rn. 1 m.w.N. Freiheit der Person gem. Art. 2 II 2 GG erfasst die Bewegungsfreiheit, d.h. das Aufsuchen eines anderen Ortes oder das Verlassen des gegenwärtigen Ortes, eine Erheblichkeit ist dabei nicht erforderlich.[26]Vgl. Sodan/Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, 8. Aufl. 2018, § 29 Rn. 2. Hieran gemessen greifen Ausgangssperren auch in Art. 11 I GG ein, wohingegen bei Betretungsverboten im Einzelfall je nach Dauer und Relevanz zu differenzieren ist.[27]Vgl. Siegel, NVwZ 2020, 577, 578 f.

3. Zwischenergebnis

Verstöße gegen sonstiges Verfassungsrecht liegen nicht vor, sodass die Ermächtigungsgrundlage verfassungskonform ist.

II. Formelle Rechtmäßigkeit der Rechtsverordnung

Die Corona-VO könnte formell rechtmäßig sein.

Die Landesregierung delegierte die Befugnis zum Erlass der Corona-VO i.S.v. § 32 S. 2 IfSG i.V.m. Art. 80 I 4 GG an das BS. Das BS war für den Erlass der Corona-VO folglich zuständig. Verfahrensverstöße sind nicht ersichtlich. Dem Zitiergebot des Art. 80 I 3 GG wurde in der Einleitungsformel genügt. Die Corona-VO ist demnach formell rechtmäßig.

III. Materielle Rechtmäßigkeit der Rechtsverordnung

Die Corona-VO könnte materiell rechtmäßig sein.

1. Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage

Die Regelungen der Corona-VO müssten sich im Rahmen der Ermächtigungsgrundlage halten, von dieser also gedeckt sein.[28]Vgl. VGH München, NJW 2020, 1236, 1238.

a) Verbot des Verlassens der Wohnung

§ 1 IV Corona-VO verbietet das Verlassen der Wohnung mit Erlaubnisvorbehalt.  § 28 I 1 Hs. 2 IfSG ermächtigt dazu, dass Personen einen Ort nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen verlassen dürfen. Insofern ist die Verordnung von der Ermächtigung gedeckt.

b) (P) Verhältnismäßigkeit

Gem. § 28 I 1 Hs. 2 IfSG sind Schutzmaßnahmen zu treffen, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Damit steht die Verordnung unter einem inhaltlichen und zeitlichen Verhältnismäßigkeitsvorbehalt.[29]VGH München, NJW 2020, 1236, 1239.

Anmerkung: Aufbau
Da sich bereits aus § 28 I 1 IfSG das Erfordernis der Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ergibt, muss bei der folgenden Frage des Verstoßes gegen höherrangiges Recht nicht mehr auf ihn eingegangen werden.
aa) Legitimes Ziel

Die Corona-Verordnung dient der Verhinderung der Verbreitung der pandemischen Infektionskrankheit COVID-19. Dieses Ziel wurzelt in der staatlichen Pflicht zum Schutz des Lebens und der Gesundheit aus Art. 2  II 1 GG (Schutzpflichtdimension). Das Ziel ist folglich legitim.

bb) Eignung

Die Maßnahme müsste zumindest zweckförderlich sein. Die Reduzierung physischer Kontakte durch die Ausgangsbeschränkung in § 1 IV Corona-VO zur Vermeidung von Infektionen im sozialen Umfeld führt dazu, dass sich weniger Menschen anstecken und den Gefahren der Krankheit für Leben und Gesundheit aussetzen. Damit ist die Maßnahme zweckförderlich und folglich geeignet.

cc) Erforderlichkeit

Es dürften keine milderen, gleich effektiven Mittel zur Verfügung stehen. Denkbar und milder wäre es, wenn der Aufenthalt im öffentlichen Raum nur alleine oder mit einer Person erlaubt wäre. Fraglich ist hierbei aber, ob das gleich geeignet wäre. Die Bekämpfung der Pandemie ist mit Unsicherheiten behaftet und die Krankheit nicht vollständig erforscht. Bei einer solchen Lage ist dem Verordnungsgeber eine Einschätzungsprärogative im Hinblick auf die Erforderlichkeit zuzusprechen. Vor diesem Hintergrund ist die Maßnahme erforderlich.[30]VGH München,  NJW 2020, 1236, 1239 f.

dd) Angemessenheit

Ferner müsste die Maßnahme angemessen sein. Die Eingriffe in die Grundrechte aus Art. 2 II 2, Art. 8 I, Art. 11 I GG haben erhebliches Gewicht, was gegen die Angemessenheit der Corona-VO anzuführen ist. Für die Wahrung der Angemessenheit sprechen die in § 1 V Corona-VO genannten Gründe, die das Verlassen der Wohnung gestatten. Die Aufzählung ist überdies nicht abschließend („insbesondere“), sodass auch nicht explizit von § 1 V Corona-VO aufgeführte Gründe zur Wahrung unaufschiebbarer Belange das Verlassen der Wohnung erlauben. Der Eingriff in die Grundrechte wird damit abgemildert. Für die zeitliche Angemessenheit spricht die relativ kurze Befristung in § 2 Corona-VO.[31]Die Befristung kann auch nach dem BVerfG zur Vertretbarkeit von schwerwiegenden Grundrechtseingriffen  führen, vgl. jüngst BVerfG NJW 2020, 1429, 1430.Darüber hinaus kann und muss der Verordnungsgeber während des Laufs der Frist die Lage ständig neu bewerten, sodass auch vor dem Ablauf der Frist eine (teilweise) Aufhebung angezeigt ist.[32]VGH München, NJW 2020, 1236, 1240; vgl. auch BVerfG NJW 2020, 1427, 1428. Vor diesem Hintergrund ist die Corona-VO angemessen.

ee) Zwischenergebnis

Damit steht § 1 IV, V Corona-VO im Einklang mit dem in § 28 I 1 IfSG zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die Corona-VO hält sich folglich im Rahmen der Ermächtigungsgrundlage.

2. (P) Kein Verstoß gegen höherrangiges Recht

§ 1 I Corona-VO könnte gegen den aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG) resultierenden Bestimmtheitsgrundsatz verstoßen. Unklar könnte sein, welcher Teil von § 1 I Corona-VO vollzogen werden kann und welcher nicht. Hängt „wo immer möglich“ in § 1 I 2 Corona-VO von zahlreichen Umständen ab, führt das zum Verlust einer unmittelbaren Regelungswirkung des § 1 I 2 Corona-VO. § 1 I 2 Corona-VO enthält damit kein stringentes Verbot, sondern bedarf zur Vollziehung der Konkretisierung. § 1 I Corona-VO teilt sich damit nicht in einen vollziehbaren und einen nicht vollziehbaren Teil auf. Die Norm ist insgesamt nicht vollziehbar, sie hat Appellcharakter. Damit unterliegt die Norm nicht den Anforderungen des Art. 20 III GG und verstößt nicht gegen den Bestimmtheitsgrundsatz.[33]VGH München, NJW 2020, 1236, 1238 f.

IV. Ergebnis zur Begründetheit

Bei summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache wird diese zwar zulässig aber unbegründet sein. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung in Form der Außervollzugsetzung der § 1 I, IV und V Corona-VO ist damit nicht geboten. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist folglich nicht begründet.

Anmerkung: Verbleibende Zweifel der Erfolgsaussichten
Verbleiben nach der Prüfung Zweifel hinsichtlich der Erfolgsaussichten in der Hauptsache, was m.E. vertretbar ist, müsste eine Folgenabwägung vorgenommen werden (s.o.):. Der weitere Vollzug bedeutet schwere und irreversible Eingriffe in Grundrechte. Mit der Aussetzung des Vollzuges wäre aber mit vermehrten Infektionsfällen zu rechnen, die es zu vermeiden gilt, um die Ausbreitung zu verzögern und Behandlungsmöglichkeiten zu schaffen. Nach Ansicht des VGH setzt sich hierbei der Schutz behandlungsbedürftiger Personen durch.[34]VGH München, NVwZ 2020, 1236, 1240.

C. Ergebnis

Der zulässige Antrag nach § 47 VI VwGO ist nicht begründet. Das verwaltungsgerichtliche Vorgehen von R für H wird keinen Erfolg haben.


Zusatzfragen

Wie lassen sich Allgemeinverfügung und Rechtsverordnung bei der Anordnung von Ausgangsbeschränkungen abgrenzen?
Allgemeinverfügungen nach § 35 S. 2 Var. 1 VwVfG stellen konkret-generelle Verwaltungsakte dar, die sich an einen nach allgemeinen Kriterien bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richten. Richten sich Allgemeinverfügungen an alle Personen eines (Bundes-)Landes, ist fraglich, ob schon eine abstrakt-generelle Regelung vorliegt und damit bereits eine Rechtsverordnung anzunehmen wäre.[35]Vgl. Gärditz/Abdulsalam, GSZ 2020, 108, 111 f. Erforderlich für eine Allgemeinverfügung ist noch der Bezug zu einem Einzelfall. Bezieht sich die Ausgangsbeschränkung auf alle Personen, die sich im Land aufhalten oder im Geltungszeitraum noch aufhalten werden, ist der Personenkreis nicht mehr hinreichend bestimmbar für die Annahme einer Allgemeinverfügung.[36]VG München, NVwZ 2020, 651, 653; Gärditz/Abdulsalam, GSZ 2020, 108, 112. Ist der Regelungsraum also nicht mehr überschaubar, kommt nur noch eine Verordnung in Betracht.[37]Gärditz/Abdulsalam, GSZ 2020, 108, 112. Im fließenden Übergangsbereich zwischen abstrakt-genereller und konkret-genereller Regelung steht es dem Hoheitsträger aber grds. frei, ob er eine Allgemeinverfügung oder eine Rechtsverordnung wählt.[38]VG München, NVwZ 2020, 651, 653; Gärditz/Abdulsalam, GSZ 2020, 108, 111.
Welche Möglichkeiten hat H noch, sich gegen die Ausgangsbeschränkung zu wehren?
1. Revision
Einen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung über den Antrag gem. § 47 VI VwGO gibt es nicht.[39]Giesberts, in: BeckOK-VwGO, 53. Ed. 2020, § 47 Rn. 93.
2. Anhörungsrüge
Möglich wäre aber eine Anhörungsrüge nach § 152a VwGO.
3. Änderungsverfahren
Liegen veränderte oder im ursprünglichen Eilverfahren unverschuldet nicht vorgebrachte Umstände vor, kann H zudem analog § 80 VII VwGO die Abänderung des Beschlusses beantragen.[40]Vgl. Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand: 37. EL Juli 2019, § 47 Rn. 186. Denkbar wäre z.B., dass der Geltungszeitraum der Verordnung verlängert wurde womit sich die Beeinträchtigung intensiviert hat oder gesicherte Erkenntnisse über die Krankheit veröffentlicht wurden, die möglicherweise zu einem anderen Ergebnis der Prüfung führen.
4. Verfahren vor dem BVerfG
Gegen die Entscheidung des OVG/VGH kann H „im Streitfall“, d.h. akzessorisch zu einem Hauptsacheverfahren, eine einstweilige Anordnung gem. § 32 BVerfGG durch das BVerfG beantragen. Das akzessorische Hauptsacheverfahren, hier eine Verfassungsbeschwerde, muss aber nicht anhängig gemacht sein.[41]Vgl. Walter, in: BeckOK-BVerfGG, 9. Ed. 2020, § 32 Rn. 18.
H könnte ferner unter den Voraussetzungen der §§ 90 ff. BVerfGG Verfassungsbeschwerde erheben. Die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes kann eigenständiger Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein, wobei eine Abhilfemöglichkeit im Hauptsacheverfahren gebieten kann, dieses zu bestreiten.[42]Niesler, in: BeckOK-BVerfGG, 9. Ed. 2020, § 90 Rn. 79. Platz für eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes besteht, wenn die gerügte Rechtsverletzung gerade aus der Bearbeitung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes herrührt oder der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 I GG) verkannt wurde.[43]Niesler, in: BeckOK-BVerfGG, 9. Ed. 2020, § 90 Rn. 80.
5. Hauptsacheverfahren
H könnte ferner das Hauptsacheverfahren nach § 47 I VwGO anstrengen, müsste sich aber auch dabei gem. § 67 IV 1 VwGO vertreten lassen. Problematisch hierbei wäre, dass die Verordnung zur Zeit der Entscheidung des OVG/VGH schon außer Kraft getreten wäre und damit das Rechtsschutzbedürfnis fehlen könnte. Hierbei ist zu differenzieren: Wird der Normenkontrollantrag zu einem Zeitpunkt gestellt als die Norm bereits außer Kraft war, fehlt in der Regel das Rechtsschutzbedürfnis. Tritt die Norm erst während der Anhängigkeit des Normenkontrollantrags außer Kraft, wird der Antrag nicht unzulässig, wenn die Norm außer Kraft tritt. Dann muss aber ein berechtigtes Interesse an der Überprüfung bestehen. Wann ein solches Interesse vorliegt, wird unterschiedlich beurteilt. Das BVerwG ist dabei zurückhaltend. In der Literatur ist man bisweilen großzügiger und erkennt ein berechtigtes Interesse analog zu den Fallgruppen bei der Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 I 4 VwGO an.[44]Vgl. Giesberts, in: BeckOK-VwGO, 53. Ed. 2020, § 47 Rn. 46 f.
Gegen eine Entscheidung in der Hauptsache ist dann eine Revision unter den Voraussetzungen der §§ 132 ff. VwGO möglich.
Ist damit der Rechtsweg erschöpft, ist schließlich eine Verfassungsbeschwerde (§§ 90 ff. BVerfGG) denkbar.

Zusammenfassung:

1. § 28 I 1 i.V.m. § 32 S. 1 IfSG ist eine hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage für den Erlass einer Rechtsverordnung zu Ausgangsbeschränkungen im genannten Umfang zum Schutz vor einer pandemischen, gesundheits- und lebensgefährlichen, nicht voll erforschten Infektionskrankheit.

2. § 47 VI VwGO bietet ein Verfahren im vorläufigen Rechtsschutz, um gegen Rechtsverordnungen im genannten Sinn zügig vorgehen zu können.

3. Die Prüfung des Verfahrens nach § 47 VI VwGO verläuft in weiten Teilen parallel zur Prüfung der Normenkontrolle nach § 47 VwGO als Hauptsacheverfahren. In der Antragsbefugnis ist abweichend von der Hauptsache erforderlich, dass geltend gemacht wird, eine einstweilige Anordnung sei zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten.

4. Maßgeblich für die Begründetheit eines Antrags nach § 47 VI VwGO sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Verbleiben bei summarischer Prüfung von Zulässigkeit und Begründetheit Zweifel hinsichtlich der Erfolgsaussichten, ist eine Folgenabwägung im Sinne einer Doppelhypothese vorzunehmen.


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