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Corona und die Ticket-Vorverkaufsstelle

BGH, Urteil vom 13.07.2022 – VIII ZR 317/21, BeckRS 2022, 20934

Sachverhalt

A ist Musical-Fan. Als sie hört, dass in Hamburg ein neues Musical aufgeführt wird, will sie sich unbedingt ein Ticket sichern. Das Musical wird von der V-GmbH veranstaltet. A besucht zur Buchung des Tickets allerdings die Webseite der E. E ist eine Ticketsystemdienstleisterin (im Folgenden auch: Vorverkaufsstelle). Sie betreibt ein Internetportal, über das Eintrittskarten für eine Vielzahl von Veranstaltungen erhältlich sind.

In den auf ihrer Internetseite abrufbaren Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist einleitend ausgeführt:

Die E ist nicht selbst Veranstalterin der angebotenen Veranstaltungen. Diese werden durch den jeweiligen Veranstalter durchgeführt. […]

Weitere Hinweise – etwa wer genau die Karten verkauft – befinden sich nicht auf der Webseite.

A bucht Tickets für 756,46 EUR. Die Tickets gelten nur für eine bestimmte Veranstaltung. Die gebuchte Veranstaltung wird allerdings auf Grund der COVID-19-Pandemie abgesagt. A ist enttäuscht und wendet sich zunächst an die V-GmbH und will das Geld für ihre Tickets zurück. Diese bietet der A mit Verweis auf Art. 240 § 5 EGBGB einen Wertgutschein. A – die nunmehr gehört hat, dass das Musical ohnehin nicht so gut sei – will lieber ihr Geld zurück. Da die V-GmbH sich weigert, wendet sich die A an die E; schließlich hat diese der A ja auch die Tickets verkauft. Diese lehnt jedoch ebenfalls eine Rückerstattung ab. Die E meint, dass die V-GmbH als Veranstalterin für die Rückerstattung zuständig wäre. Es könne ja wohl kaum gewollt sein, dass die E jetzt auch noch für die V-GmbH, die ja sogar berechtigt sei anstelle von Geld einen Gutschein zu geben, haften müsse.

Kann A von der E die Rückerstattung des Kaufpreises für die Tickets verlangen?

Art. 240 § 5 EGBGB aF - Gutschein für Freizeitveranstaltungen und Freizeiteinrichtungen

(1) 1Wenn eine Musik-, Kultur-, Sport- oder sonstige Freizeitveranstaltung aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht stattfinden konnte oder kann, ist der Veranstalter berechtigt, dem Inhaber einer vor dem 8. März 2020 erworbenen Eintrittskarte oder sonstigen Teilnahmeberechtigung anstelle einer Erstattung des Eintrittspreises oder sonstigen Entgelts einen Gutschein zu übergeben. 2Umfasst eine solche Eintrittskarte oder sonstige Berechtigung die Teilnahme an mehreren Freizeitveranstaltungen und konnte oder kann nur ein Teil dieser Veranstaltungen stattfinden, ist der Veranstalter berechtigt, dem Inhaber einen Gutschein in Höhe des Wertes des nicht genutzten Teils zu übergeben. […]


Skizze


Gutachten

A. Anspruch aus § 453 Abs. 1, § 437 Nr. 2 Alt. 1, § 323 Abs. 1, § 346 Abs. 1 BGB

A könnte zunächst einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises aus § 453 Abs. 1 aF, § 437 Nr. 2 Alt. 1, § 323 Abs. 1, § 346 Abs. 1 BGB haben.

I. Abschluss eines Rechtskaufs, § 453 BGB

Dazu müssten sich A und E zunächst über den Abschluss eines Rechtskaufs i.S.d. geeinigt haben. Fraglich ist hierbei einerseits, ob ein Vertrag tatsächlich zwischen A und E zustande gekommen ist und wie dieser zu qualifizieren ist.

1. Geschäft im eigenen Namen

Für eine Einigung zwischen A und E über den Abschluss eines Rechtskaufs müsste E zunächst in eigenem Namen aufgetreten sein. Möglich erscheint hier zunächst, dass E entweder als Makler i.S.d. § 652 BGB, als Handelsvertreter i.S.d. § 84 HGB oder als Kommissionär gem. § 383 ff. HGB gegenüber der A aufgetreten ist.[1]BGH Urt. v. 13.7.2022 – VIII ZR 317/21, BeckRS 2022, 20934 Rn. 17; LG Freiburg Urt. v. 3.2.2022 – 3 S 45/21, BeckRS 2022, 1250 Nur soweit die E als Kommissionärin gegenüber der A aufgetreten ist, liegt auch ein Geschäft im eigenen Namen vor, sodass diese selbst aus dem Geschäft berechtigt und verpflichtet ist. Soweit sie als Maklerin oder aber Handelsvertreterin auftritt, vertritt sie die V nach außen, sodass diese aus dem Geschäft berechtigt oder verpflichtet wäre. Ob der Vertragspartner als Kommuissionärin oder aber Maklerin/Handelsvertreterin auftritt, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls[2]BGH Urt. v. 13.7.2022 – VIII ZR 317/21, BeckRS 2022, 20934 Rn. 18 und wird maßgeblich durch das Auftreten gegenüber dem Vertragspartner bestimmt.[3]LG Freiburg Urt. v. 3.2.2022 – 3 S 45/21, BeckRS 2022, 1250 Rn. 37 Will der eine Vertragspartner in fremden Namen handeln, so muss also für den anderen Vertragspartner ersichtlich sein, dass er mit einem Dritten kontrahiert.[4]LG Freiburg Urt. v. 3.2.2022 – 3 S 45/21, BeckRS 2022, 1250 Rn. 41 Ein bloßer Hinweis in den AGB des Handelnden, dass nicht er, sondern ein Dritter Vertragspartner wird, genügt dem Offenheitsprinzip grundsätzlich nicht.[5]BeckOK BGB/Schäfer, 65. Ed. 1.2.2023, BGB § 164 Rn. 42

Vernetztes Lernen:Wie wird zwischen Makler und Handelsvertreter abgegrenzt?
Handelsvertreter ist nur, wer einem Unternehmen gegenüber verpflichtet ist, sich ständig für dieses um die Vermittlung von Geschäften zu bemühen.[6]Hamm/Schwerdtner, Maklerrecht, II. Grundlagen des Maklerrechts Rn. 17, beck-online Andernfalls wird es sich regelmäßig um einen Makler handeln.

Danach musste die A nicht damit rechnen, dass sie in Bezug auf den Ticketvertrieb nicht mit der E kontrahiert. Zwar ist den AGB der E zu entnehmen, dass diese „nicht selber Veranstalterin der angebotenen Veranstaltung“ ist, hieraus ergibt sich allerdings noch nicht der Rückschluss, dass die E als Vertreterin in fremden Namen auftritt. Denn auch bei einem Eigengeschäft als Kommissionär existiert regelmäßig ein Veranstalter.[7]LG Freiburg Urt. v. 3.2.2022 – 3 S 45/21, BeckRS 2022, 1250 Rn. 41 Ohnehin wäre ein Hinweis an dieser Stelle allein noch nicht ausreichend, um dem Offenkundigkeitsprinzip zu genügen. Dies vorausgesetzt muss aus einem Rechtsschutzgedanken der Auftritt der E daher dahingehend interpretiert werden, dass sie in Bezug auf den Ticketverkauf in eigenem Namen auftritt.

Anmerkung: Die Feststellungen im Urteil hierzu
Der BGH musste sich zu der Abgrenzung im konkreten Fall nicht äußern, weil die Revisionsführer die Feststellung der Berufungsinstanz, bei der Beklagten würde es sich um eine Kommissionärin handeln, mit ihrer Revision nicht angriff. Tatsächlich wies die Beklagte im vorliegenden Fall in ihren AGB aus, dass sie entweder als Vertreterin oder Kommissionärin auftritt. Etwas genauer ist die Abgrenzung im Urteil des LG Freiburg vom 03.02.2022 – 3 S 45/21 [8]LG Freiburg Urt. v. 3.2.2022 – 3 S 45/21, BeckRS 2022, 1250 vorgenommen worden.

2. Rechtskauf, § 453 I BGB

Darüber hinaus müssten sich A und E über einen Rechtskauf geeinigt haben. Möglich erscheint bei einem Ticketverkauf auch ein Kaufvertrag i.S.d. § 433 BGB. Ob es sich um einen Rechtskauf i.S.d. § 453 BGB oder aber einen Kaufvertrag i.S.d. § 433 BGB handelt, ist im Wege der Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Um einen Kaufvertrag würde es sich dann handeln, wenn sich im Wege der Auslegung ergibt, dass die Hauptleistungspflicht die Übergabe und Übereignung einer Sache ist. Demgegenüber handelt es sich um einen Rechtskauf, wenn Hauptleistungspflicht die Verschaffung eines Rechts ist.

Zwar ist im allgemeinen Sprachgebrauch regelmäßig von einem „Erwerb“ oder „Kauf“ von Eintrittskarten die Rede, gleichwohl steht bei verständiger Würdigung nicht die tatsächliche Karte im Vordergrund, sondern vielmehr das Recht auf Teilnahme an der vom Veranstalter durchzuführenden Veranstaltung.[9]BGH Urt. v. 13.7.2022 – VIII ZR 317/21, BeckRS 2022, 20934 Rn. 20 Bei der Karte selbst handelt es sich demgegenüber nur um eine Verkörperung dieses Rechts als kleines Inhaberpapier i.S.d. § 807 BGB.[10]BGH Urt. v. 13.7.2022 – VIII ZR 317/21, BeckRS 2022, 20934 Rn. 20

3. Zwischenergebnis

A und E haben sich damit auf einen Rechtskauf gem. § 453 BGB geeinigt.

II. Fälliger durchsetzbarer Anspruch, § 323 Abs. 1 BGB

Darüber hinaus müsste der Anspruch aus dem Rechtskauf auch noch fällig und durchsetzbar sein. Dies ist dann nicht der Fall, wenn bereits Erfüllung gem. § 362 Abs. 1 BGB eingetreten ist. Ob Erfüllung eingetreten ist, bestimmt sich maßgeblich nach der vertraglichen Leistungspflicht.

1. Keine Erfüllung wegen Ausfalls der Veranstaltung?

Möglich erscheint zunächst, dass der Anspruch weiterhin fällig ist, weil es Teil der Leistungspflicht der E gewesen sein könnte, die Veranstaltung durchzuführen, welche ihrerseits allerdings nicht stattfand. Ob dies Teil der Leistungspflicht gewesen ist, bestimmt sich im Wege der Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB. Nach dem objektiven Empfängerhorizont war das Angebot der E allerdings nicht dahingehend zu verstehen, dass sie auch selber Veranstalterin des Musicals gewesen ist. Vielmehr war bereits auf der Webseite der Veranstalterin und letztlich auch aus ihren AGB ersichtlich, dass sie gerade nicht als Veranstalterin auftritt. Damit gehörte die Durchführung der Veranstaltung auch nicht zu ihren Leistungspflichten. Eine Erfüllung ist damit nicht bereits dadurch ausgeschlossen, dass die Veranstaltung nicht stattfand.

2. Erfüllung durch Übereignung der Eintrittskarte

Allerdings könnte dadurch eine Erfüllung i.S.d. § 362 Abs. 1 BGB eingetreten sein, dass die C der A die Eintrittskarten Übergeben und Übereignet hat. Dazu müsste die primäre Leistungspflicht der C, also die Verschaffung des Rechts auf Teilnahme an der Veranstaltung, auf den Zeitpunkt der Übergabe und Übereignung der Eintrittskarte fallen.

Dies wird unterschiedlich beurteilt.

a) e.A: Zukünftig entstehendes Recht

Zum einen wird vertreten, dass es das Recht auf Teilnahme erst am Veranstaltungstag am Veranstaltungsort zum Zeitpunkt der Öffnung der Location entsteht. Damit würde es sich also erst um ein zukünftig entstehendes Recht handeln.[11]AG Bremen Urt. v. 2.10.2020 – 9 C 272/20, COVuR 2020, 810 Durch die Übergabe und Übereignung des Tickets wäre – mangels bereits bestehendem Recht – noch keine Erfüllung i.S.d. § 362 Abs. 1 BGB eingetreten.

b) a.A: Entstehen bereits mit Übergabe und Übereignung des Tickets

Eine andere Ansicht ordnet das Recht auf Teilnahme nicht als zukünftig entstehendes Recht ein. Vielmehr entstehe das Recht bereits zum Zeitpunkt der Übergabe und Übereignung des Tickets. Der Käufer übe dieses Recht nur erst am Veranstaltungstag aus.[12]BGH Urt. v. 13.7.2022 – VIII ZR 317/21, BeckRS 2022, 20934 Rn. 32 Damit wäre vorliegend bereits Erfüllung i.S.d. § 362 Abs. 1 BGB eingetreten.

c) Stellungnahme

Beide Ansichten kommen zu einem unterschiedlichen Ergebnis. Für die erste Ansicht spricht, dass es unbillig und nicht dem Verbraucherschutzgedanken gerecht werden würde, dass Recht bereits durch Übergabe und Übereignung entstehen zu lassen. Denn faktisch könne sich die Vorverkaufsstelle ihrer Gewährleistungshaftung entziehen. Hiergegen spricht jedoch maßgeblich, dass es gerade dem Interesse des Käufers entspricht – und somit auch dem Schutz des Verbrauchers, dass das Recht auf Zugang zur Veranstaltung bereits zum Zeitpunkt der Übergabe und Übereignung des Tickets entsteht. Nur so ist der Aussteller einer Eintrittskarte bereits ab der Ausgabe der Eintrittskarte rechtlich gebunden und demnach verpflichtet, die künftige Veranstaltung durchzuführen und für den jeweiligen Inhaber einer Eintrittskarte eine Zugangsmöglichkeit vorzuhalten; also auch nicht mehr Karten auszugeben als Teilnehmer zugelassen werden können.[13]BGH Urt. v. 13.7.2022 – VIII ZR 317/21, BeckRS 2022, 20934 Rn. 32, beck-online Der Käufer ist auch keineswegs schutzlos gestellt, denn wenngleich er sich nach der Übergabe und Übereignung des Tickets nicht mehr die Vorverkaufsstelle in Anspruch nehmen kann, so verbleiben etwaige Ansprüche gegen den Veranstalter selbst. Nichts anderes ergibt sich aus dem Willen des Gesetzgebers. Denn dieser hatte mit Art. 240 § 5 EGBGB aF eine Gutscheinlösung eingeführt. Demnach war der Veranstalter berechtigt, den Inhabern von Eintrittskarten bei COVID-19 bedingter Absage der Veranstaltung anstelle einer Erstattung des Eintrittspreises oder sonstigen Entgelts einen Gutschein zu übergeben. Der Sinn und Zweck dieser Regelung, also die Sicherung der Veranstaltungsbranche, wäre umgangen worden, wenn der Inhaber sich direkt an die Vorverkaufsstelle wenden könnte, dem diese Berechtigung der Ersetzung nicht zukommt.

Daher ist das Recht auf Zugang zur Veranstaltung bereits im Zeitpunkt der Übergabe und Übereignung des Tickets entstanden. Folglich ist Erfüllung gem. § 362 Abs. 1 BGB eingetreten.

III. Ergebnis

Ein Anspruch des A aus § 453 Abs. 1 , § 437 Nr. 2 Alt. 1, § 323 Abs. 1, § 346 Abs. 1 BGB besteht nicht.

B. Anspruch aus § 312g Abs. 1, § 355 Abs. 1, 3 Satz 1, § 357 Abs. 1 BGB

Möglich erscheint aber ein Anspruch auf Rückzahlung der A gegen E aus § 312g Abs. 1, § 355 Abs. 1, 3 Satz 1, § 357 Abs. 1 BGB.

I. Bestehen eines Widerrufsrechts, § 312g Abs. 1, § 312c Abs. 1 BGB

Ein solches Widerrufsrecht könnte sich aus § 312g Abs. 1, § 312c Abs. 1 BGB ergeben. Hierzu müsste es sich einerseits um einen Fernabsatzvertrag i.S.d. §312c Abs. 1 BGB handeln und andererseits dürfte ein Widerrufsrecht nicht gem. § 312g Abs. 2 BGB ausnahmsweise ausgeschlossen sein.

Unproblematisch handelt es sich bei dem Rechtskauf um einen Fernabsatzvertrag i.S.d. § 312c Abs. 1 BGB. A ist Verbraucher und E Unternehmer. Sie haben mit der Plattform der E auch ausschließlich ein Fernkommunikationsmittel für den Vertragsschluss verwendet.

Das grundsätzlich hieraus resultierende Widerrufsrecht könnte jedoch gleichsam gem. § 312g Abs. 2 Nr. 9 BGB ausgeschlossen sein. Ein Widerrufsrecht ist demnach unter anderem dann ausgeschlossen, wenn dieser eine Dienstleistung im Zusammenhang mit Freizeitbetätigungen zum Gegenstand hat.

Fraglich ist, ob der in Ausführung eines Kommissionsgeschäfts abgeschlossenen Kaufvertrag betreffend das Recht auf Teilnahme an der von der Veranstalterin durchzuführenden Veranstaltung unter diese Regelung fällt. Grundsätzlich setzt § 312g Abs. 2 Nr. 9 BGB den Art. 16 Buchst. l der Richtlinie 2011/83/EU (Verbraucherrichtlinie) um, womit der § 312g Abs. 2 Nr. 9 BGB richtlinienkonform auszulegen ist.[14]BGH Urt. v. 13.7.2022 – VIII ZR 317/21, BeckRS 2022, 20934 Rn. 44 Sinn und Zweck ist es daher, dass ein Veranstalter einer auf einen bestimmten Zeitpunkt terminierten Freizeitbetätigung nicht der Gefahr ausgesetzt wird, dass Kapazitäten, die im Hinblick auf die an den Kläger ausgegebenen Eintrittskarten freigehalten wurden, nach dem Widerruf des Rechtskaufvertrags nicht anderweitig hätten genutzt werden können.[15]BGH Urt. v. 13.7.2022 – VIII ZR 317/21, BeckRS 2022, 20934 Rn. 46, beck-online Konkreter also soll kein Widerrufsrecht dazu führen, dass ein Veranstalter aufgrund eines Widerrufs einen durch das Ticket reservierten Sitzplatz nicht mehr vergeben kann und somit finanzielle Einbußen erlebt. Würde der Ausschluss des Widerrufsrechts allerdings nur für den Veranstalter aber nicht für die Vorverkaufsstelle gelten, so würde man diesem Sinn und Zweck nicht genüge werden. Denn als Kommittent würde der Veranstalter dem Kommissionär (hier der Vorverkaufsstelle) Erstattung – etwa für eine eventuelle Rückzahlung des Kaufpreises an den Käufer – schulden. Mittelbar würde der Veranstalter also erneut das Risiko ungenutzter Kapazitäten aufgrund eines Widerrufs tragen.[16] BGH Urt. v. 13.7.2022 – VIII ZR 317/21, BeckRS 2022, 20934 Rn. 46; BGH, Urteil vom 16. Dezember 1952 – I ZR 29/52, BGHZ 8, 222, 228; LG Baden-Baden, NJW 2003, 3714 Daher ist der § 312g Abs. 2 Nr. 9 BGB dahingehend auszulegen, dass dieser auch für den Ticketvermittler heranzuziehen ist.

Ein Widerrufsrecht ist damit ausgeschlossen.

II. Ergebnis

Ein Anspruch aus § 312g Abs. 1, § 355 Abs. 1, 3 Satz 1, § 357 Abs. 1 BGB besteht nicht.

C. Anspruch aus § 313 Abs. 1, 3 BGB

Möglich erscheint auch ein Anspruch auf Rückzahlung des Ticketpreises aus § 313 Abs. 1, 3 BGB wegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage.

I. Anwendbarkeit des § 313 Abs. 1, 3 BGB

Zunächst müsste der § 313 Abs. 1, 3 BGB überhaupt anwendbar sein.

1. Vorrang des Gewährleistungsrechts

Das ist nicht der Fall, wenn der Anwendungsbereich der kaufrechtlichen Sach- und Rechtsmängelhaftung eröffnet ist. Der § 313 BGB ist demnach gegenüber den §§ 434 ff. BGB subsidiär. Allerdings ist Voraussetzung für den Vorrang der Gewährleistungsregeln darüber hinaus, dass dieser Umstand nach dem Vertragsinhalt bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorhanden sein soll.[17]BGH, Urteile vom 7. Februar 1992 – V ZR 246/90, NJW 1992, 1384. Eine Fehlvorstellung über künftige Gegebenheiten kann dagegen dem Grunde nach zu einer Anwendbarkeit des § 313 BGB führen (vgl. MünchKommBGB/ Finkenauer, 9. Aufl., § 313 Rn. 169). Die dem Vertrag als selbstverständlich zu Grunde gelegte Erwartung, dass sich bis zu dem geplanten Veranstaltungstermin die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen, unter denen Großveranstaltungen grundsätzlich zulässig waren, nicht etwa auf Grund einer Pandemie ändern und zu hoheitlichen Verboten solcher Veranstaltungen führen würden, ist von vornherein zukunftsgerichtet, nämlich auf den geplanten Veranstaltungstermin und damit auf die Zeit nach Erfüllung des Kaufvertrags. Die Anwendbarkeit des § 313 Abs. 1, 3 BGB ist damit nicht aufgrund eines Vorrangs der Gewährleistungsregeln ausgeschlossen.

2. Ausschluss wegen vollständiger Erfüllung

Möglich erscheint auch, dass die bereits eingetretene Erfüllung der Anwendbarkeit des § 313 BGB entgegensteht. Zwar kommt eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage regelmäßig nicht in Betracht, wenn alle vertraglichen Pflichten beiderseits vollständig erfüllt sind.[18]BGH, Urteil vom 15. November 2000 – VIII ZR 324/99, NJW 2001, 1204; BeckOGK-BGB/Martens, Stand: 1. April 2022, § 313 Rn. 38; MünchKommBGB/Finkenauer, 9. Aufl., § 313 Rn. 48 Von diesem Grundsatz kommen indes Ausnahmen in Betracht, etwa dann, wenn die Parteien gemeinsam die Vorstellung von dem Eintritt eines künftigen Ereignisses hatten, die sich später nicht verwirklicht hat.[19]BGH Urt. v. 13.7.2022 – VIII ZR 317/21, BeckRS 2022, 20934 Rn. 61

Auch in der hier vorliegenden Konstellation, in der zwar der Vertrag beidseitig vollständig erfüllt war, das übertragene Recht auf Teilnahme an einer zukünftigen Veranstaltung bestimmungsgemäß aber erst am Veranstaltungstermin ausgeübt werden konnte und sich die dem Vertrag zu Grunde liegende Vorstellung auf diesen künftigen Zeitpunkt richtete, schließt der Umstand der beidseitigen Erfüllung des Vertrags die Anwendung des § 313 BGB nicht grundsätzlich aus.[20]BGH Urt. v. 13.7.2022 – VIII ZR 317/21, BeckRS 2022, 20934 Rn. 62

II. Voraussetzungen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

Darüber hinaus müssten auch die übrigen Voraussetzungen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage i.S.d. § 313 Abs. 1, 3 BGB vorliegen. Nach § 313 Abs. 1 BGB kann eine Anpassung des Vertrags verlangt werden, wenn sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben (reales Element) und die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten (hypothetisches Element). Dabei kommt eine Anpassung nur insoweit in Betracht, als einem Teil das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann (normatives Element).[21]BGH Urt. v. 13.7.2022 – VIII ZR 317/21, BeckRS 2022, 20934 Rn. 53

1. Reales Element

Unproblematisches dürfte dem Vertrag der Parteien die beidseitige und nachträglich schwerwiegend gestörte Erwartung zu Grunde gelegen haben, dass sich bis zu dem geplanten Veranstaltungstermin die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen, unter denen Großveranstaltungen grundsätzlich zulässig waren, nicht etwa auf Grund einer Pandemie ändern würden mit der Folge von hoheitlichen Verboten solcher Veranstaltungen.[22]BGH Urt. v. 13.7.2022 – VIII ZR 317/21, BeckRS 2022, 20934 Rn. 56 Mithin ist das reale Element erfüllt.

2. Hypothetisches Element

A und E hätten den Vertrag in Kenntnis der zukünftigen Entwicklung in aller Wahrscheinlichkeit nicht mit diesem Inhalt abgeschlossen. Somit liegt auch das hypothetische Element vor.

3. Normative Element

Fraglich ist aber, ob es der A hier unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Konkreter bedeutet dies, dass für eine Berücksichtigung der Regelungen über die Störung der Geschäftsgrundlage insoweit kein Raum besteht, als es um Erwartungen und um Umstände geht, die nach den vertraglichen Vereinbarungen in den Risikobereich einer der Parteien fallen soll.[23]BGH, Urt. v. 12.1.2022 – XII ZR 8/21, NZM 2022, 99 Rn. 49

a) Alleinige Risikozuweisung aufgrund Gefahrenübergangs/Erfüllung

Möglich erscheint zunächst, dass hier der A das alleine Risiko zuzuweisen ist, weil im Verhältnis A und E bereits Erfüllung eingetreten ist. Grundsätzlich trägt ein Käufer das Risiko, dass er den Kaufgegenstand nicht wie von ihm beabsichtigt verwenden kann, weil sich diesbezüglich relevante Umstände nach Erfüllung des Kaufvertrags ändern.[24]BGH Urt. v. 13.7.2022 – VIII ZR 317/21, BeckRS 2022, 20934 Rn. 65; BGH, Urteile vom 16. Januar 2004 – V ZR 166/03, juris Rn. 21; Grüneberg/Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 313 Rn. 29 und 36 … Continue reading Damit wäre der A das unveränderte Fortbestehen des Vertrages grundsätzlich nicht unzumutbar.

Etwas Anderes könnte sich hier jedoch dann ergeben, wenn sich ein Risiko verwirklicht hat, welches nicht von der kaufrechtlichen Risikoverteilung abgedeckt ist. Vorliegend beruht die fehlende Nutzbarkeit des Teilnahmerechts zum geplanten Veranstaltungstermin nicht auf Umständen, die dem Einflussbereich des Käufers oder des Veranstalters unterliegen und damit im Verhältnis zwischen einem Käufer und einer Vorverkaufsstelle der Risikosphäre des Käufers zugewiesen sind. Vielmehr ist dies Folge umfangreicher staatlicher Eingriffe in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, für die weder der Veranstalter noch einer der Kaufvertragsparteien verantwortlich gemacht werden kann. Letztlich hat sich daher durch die COVID-19-Pandemie ein Risiko verwirklicht, das von der kaufvertraglichen Risikoverteilung nicht umfasst ist.[25] BGH Urt. v. 13.7.2022 – VIII ZR 317/21, BeckRS 2022, 20934 Rn. 66, 67; Grüneberg/ Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 313 Rn. 29, 37a; MünchKommBGB/Finkenauer, 9. Aufl., § 313 Rn. 306, 334 Somit liegt auch die Absage nicht in der alleinigen Risikosphäre der A.

b) Risikozuweisung aufgrund der gesetzlichen Gutscheinlösung

Die Absage der Veranstaltung im Rechtsverhältnis zwischen der A und der E könnte jedoch der A zugewiesen sein, da die A im Verhältnis zur V einen Anspruch auf Erstattung des Ticketpreises in der Form eines Wertgutscheines gem. Art. 240 § 5 Abs. 5 Nr. 2 EGBGB aF haben könnte.

Dies wäre dann der Fall, wenn der Gesetzgeber mit Art. 240 § 5 Abs. 5 Nr. 2 EGBGB aF eine abschließende Regelung zur Haftung für die Absage einer Veranstaltung im Verhältnis zwischen Veranstalter und Käufer getroffen hat und eine Ausdehnung der Haftung auch auf den Zwischenhändler dem gesetzgeberischen Willen zuwiderlaufen würde. Dies ist im Wege der Auslegung zu ermitteln.

Grundsätzlich gilt die Gutscheinlösung nicht im Verhältnis zwischen der Vorverkaufsstelle und dem Käufer. Denn Art. 240 § 5 Abs. 2 Satz 1 EGBGB zeigt, dass der Wert des Gutscheins auch etwaige Vorverkaufsgebühren umfassen muss. Diese Vorverkaufsgebühren fallen jedoch regelmäßig nicht bei dem Veranstalter, sondern bei der Vorverkaufsstelle an. Damit zeigt sich, dass alleinige Anlaufstelle für die Haftung nach dem gesetzgeberischen Willen der Veranstalter sein soll.[26]BGH Urt. v. 13.7.2022 – VIII ZR 317/21, BeckRS 2022, 20934 Rn. 74

Wenn aber die Gutscheinlösung nicht im Verhältnis zwischen Vorverkaufsstelle und Käufer gilt, dann würde die Möglichkeit einer Haftung der Vorverkaufsstelle auf eine Geldzahlung dem Sinn und Zweck des Art. 240 § 5 EGBGB entgegenlaufen. Sinn und Zwecke des Art. 240 § 5 EGBGB ist es, die Auswirkungen der Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie im Veranstaltungs- und Freizeitbereich aufzufangen.[27]BGH Urt. v. 13.7.2022 – VIII ZR 317/21, BeckRS 2022, 20934 Rn. 73 Würde allerdings der Käufer die Vorverkaufsstelle auf eine Rückerstattung des Kaufpreises in Anspruch nehmen können – welcher ihrerseits mangels Anwendbarkeit nicht berechtigt ist, dem Käufer „nur“ einen Gutschein auszustellen, so könnte die Vorverkaufsstelle wiederum den Veranstalter in Regress nehmen. Die Gutscheinlösung des Art. 240 § 5 EGBGB würde somit unterlaufen werden.

Im Ergebnis hat der Gesetzgeber mit Art. 240 § 5 EGBGB eine abschließende Lösung getroffen, die nicht auf den Zwischenhändler angewendet werden kann und zur Folge hat, dass eine Haftung im Verhältnis Käufer und Zwischenhändler ausgeschlossen ist. Damit liegt auch das Risiko der Absage einer Veranstaltung im Verhältnis Zwischenhändler und Käufer in der Sphäre des Käufers. Mithin ist ihm ein Festhalten an dem Vertrag auch nicht unzumutbar.

III. Ergebnis

Ein Anspruch des A gegen E auf Rückzahlung des Kaufpreises aus § 313 Abs. 1, 3 BGB besteht nicht.

Vernetztes Lernen:Angenommen dem Käufer wäre es unzumutbar. Welche Voraussetzung müsste für eine Rückzahlung noch erfüllt sein?
Es müssen noch die Voraussetzungen des § 313 Abs. 1, 3 BGB erfüllt sein. Danach ist ein Rücktritt gegenüber der Vertragsanpassung subsidiär. Konkreter bedeutet dies, dass ein Rücktritt und damit eine Rückzahlung des Kaufpreises nur dann möglich ist, wenn eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder nicht zumutbar ist.[28]BGH Urt. v. 13.7.2022 – VIII ZR 317/21, BeckRS 2022, 20934 Rn. 53, beck-online

Zusatzfragen

Wie werden Widerrufsrechte geprüft?

I. Bestehen eines Widerrufsrechts
1. Persönlicher Anwendungsbereich, § 355 Abs. 1 S. 1 BGB
a) Eine Vertragspartei Verbraucher, § 13 BGB
b) Andere Partei Unternehmer, § 14 BGB

2. Sachlicher Anwendungsbereich
Gesetzlich eingeräumtes Widerrufsrecht, § 355 Abs. 1 S. 1 BGB, Bsp.:

II. Widerrufserklärung, § 355 Abs. 1, S. 2 – 4 BGB

III. Widerrufsfrist, § 355 Abs. 2, Abs. 1 S. 5 BGB

IV. Rechtsfolge


Zusammenfassung

1. Bei dem Vertrieb von Eintrittskarten über eine Vorverkaufsstelle, die als Kommissionärin des Veranstalters handelt, wird zwischen dieser und dem Käufer ein Rechtskaufvertrag abgeschlossen. Kaufgegenstand ist das Recht auf Teilnahme an der von dem Veranstalter durchzuführenden Veranstaltung, das durch die Eintrittskarte als kleines Inhaberpapier (§ 807 BGB) verbrieft ist und durch deren Übereignung (§§ 929 ff. BGB) übertragen wird.

2. Auf diesen Rechtskaufvertrag ist § 312g Abs. 2 Nr. 9 BGB anzuwenden. Ein Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 BGB besteht hierfür deshalb auch dann nicht, wenn ein Fernabsatzvertrag vorliegt.

3. Mit der Übereignung der Eintrittskarte hat die Vorverkaufsstelle ihre Verpflichtung aus dem Rechtskaufvertrag vollständig erfüllt. Für eine nachträgliche Absage der Veranstaltung haftet sie dem Käufer gegenüber grundsätzlich nicht. Dies gilt auch dann, wenn die Veranstaltung wegen eines auf Grund der COVID-19-Pandemie erlassenen Veranstaltungsverbots abgesagt werden muss.

4. Der Käufer kann von der Vorverkaufsstelle bei einer pandemiebedingten Absage einer Veranstaltung die Rückzahlung des Ticketpreises nicht wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage verlangen, wenn ihm der Veranstalter als Ersatz für den Ausfall einen Wertgutschein nach Art. 240 § 5 EGBGB angeboten hat. Dessen Annahme ist dem Käufer in der Regel zumutbar.

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