
BVerwG, Beschluss vom 14.04.2025 – 10 VR 3.25
Sachverhalt
(gekürzt und abgewandelt)
Seit Beginn der Covid-19-Pandemie rätseln viele über ihren Ursprung. So auch der große Zeitungsverlag Z. Zwischenzeitlich wurden Medienberichte öffentlich, wonach deutsche Agenten eine Spur bis nach Wuhan in China verfolgt hätten und der BND es für wahrscheinlich hielte, dass das Coronavirus aus einem dortigen Labor stamme. Diese Untersuchung wurde den Medienberichten zufolge vom Kanzleramt in Auftrag gegeben, welches die Geheimdienstbefunde sodann länger unter Verschluss gehalten haben soll. Z vermutet daher, dass der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) seit 2020 über Informationen und Auswertungen zum Ursprung des Virus in einem chinesischen Labor verfügt und auch die Bundesregierung davon Kenntnis gehabt habe und möchte zu der Thematik tiefer recherchieren.
Daher richtet Z am 19. März 2025 ein Auskunftsbegehren an den BND. In diesem Rahmen stellt sie dem BND u.a. folgende drei Fragen:
Erstens: Wann hat der BND das Kanzleramt über seine Erkenntnisse zum Ursprung des Covid-Virus informiert?
Zweitens: Ist es richtig, dass die BND-Erkenntnisse als Verschlusssache „Geheim“ eingestuft wurden? Wenn ja, wann und durch wen erfolgte diese Einstufung? Wie lautet der Betreff der Verschlusssache? Wie viele Seiten umfasst die Verschlusssache? Welche Einstufungsfrist wurde gewählt?
Drittens: Da nun Inhalte einer Verschlusssache durch mehrere Berichte öffentlich geworden sind: Hat der Geheimschutzbeauftragte oder eine andere Stelle Ermittlungen zu diesem Leak aufgenommen?
Am nächsten Tag teilt der BND per E-Mail mit, dass der Bundesnachrichtendienst zu Angelegenheiten, die etwaige nachrichtendienstliche Erkenntnisse oder Tätigkeiten beträfen, grundsätzlich nicht öffentlich Stellung nehme.
Zeitungsverlag Z möchte diese Verweigerung nicht akzeptieren. Schließlich sei es seine Aufgabe und sein Recht als freie Presse, gerade kritische Sachverhalte zu untersuchen und darüber berichten zu können. Ansonsten könne es seinen Verfassungsauftrag aus Art. 5 GG nicht wahrnehmen. Außerdem liege die Corona-Pandemie bereits mehrere Jahre zurück, sodass das Geheimhaltungsinteresse als nicht gewichtig aufzufassen sei. Daher wendet sich Z am 22. März 2025 an das Verwaltungsgericht, um den BND wegen der Aktualität der Sache möglichst schnell zur Beantwortung der Fragen zu verpflichten.
Der BND entgegnet, dass eine Beantwortung der Fragen die auswärtigen Beziehungen zu China und die Funktionsfähigkeit des BND gefährde, da dadurch Rückschlüsse auf die Arbeitsweise und Quellen des BND möglich wären. Auch wäre gar nicht klar, auf welcher Rechtsgrundlage Z sein Begehren stütze. Das Informationsfreiheitsgesetz fände jedenfalls keine Anwendung.
Hat das Vorhaben des Z Erfolg?
Skizze
Gutachten
Das Vorhaben des Z hat Erfolg, wenn sein Antrag die Sachentscheidungsvoraussetzungen erfüllt und soweit er begründet ist.
A. Zulässigkeit des Antrags
I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs
Der Verwaltungsrechtsweg müsste eröffnet sein. Mangels aufdrängender Sonderzuweisung richtet sich die Identifizierung des richtigen Rechtswegs nach § 40 I 1 VwGO. Demnach müsste eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vorliegen.
Die Streitigkeit ist nach der modifizierten Subjektstheorie öffentlich-rechtlich, wenn die streitentscheidende Norm ausschließlich einen Hoheitsträger berechtigt oder verpflichtet. Die Voraussetzungen der Theorie der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit sind schon deshalb nicht erfüllt, da es sich bei Antragssteller und -gegner nicht um Verfassungsbeteiligte handelt, sodass es sich nicht um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit handelt. Eine abdrängende Sonderzuweisung ist nicht ersichtlich. Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet.
Vernetztes Lernen: Welches Gericht ist in erster Instanz für die Entscheidung über das Auskunftsbegehren zuständig?Der Instanzenzug ist zwar i.d.R. kein Gegenstand der Klausur. Kenntnisse über diesen und die Rechtsmittel werden aber in vielen Prüfungsordnungen vorgesehen (vgl. z.B. in Niedersachsen § 16 III Nr. 11 f) NJAVO), sodass dies etwa in mündlichen Prüfungen relevant werden kann und zumindest Grundkenntnisse vorhanden sein sollten.
II. Statthafte Antragsart
Fraglich ist, was die statthafte Antragsart ist. Diese richtet sich gem. §§ 88, 122 VwGO nach dem Antragsbegehren. Z will seine an den BND gerichteten Fragen beantwortet wissen; und zwar „möglichst schnell“, d.h. im Eilrechtsschutz.
In Betracht kommt daher eine einstweilige Anordnung gem. § 123 I VwGO. Aus § 123 V VwGO ergibt sich, dass die einstweilige Anordnung nur dann statthaft ist, wenn kein vorläufiger Rechtsschutz über die §§ 80, 80a VwGO erlangt werden kann. Daher muss § 123 VwGO negativ von den §§ 80, 80a VwGO abgegrenzt werden. Die §§ 80, 80a VwGO beziehen sich auf Widerspruch und Anfechtungsklage. Es kommt also darauf an, ob in der Hauptsache die Aufhebung eines belastenden Verwaltungsakts begehrt wird.
1. Abgrenzung des § 123 VwGO von §§ 80, 80a VwGO
Die Auskunftserteilung stellt grundsätzlich einen Realakt bzw. einfaches Verwaltungshandeln dar, sodass in der Hauptsache an eine Leistungsklage zu denken wäre. Diese wäre statthaft, wenn der Kläger ein Handeln, Tun oder Unterlassen begehrt, das nicht im Erlass eines Verwaltungsakts besteht. Fraglich ist aber, ob dem Realakt eine regelnde Entscheidung mittels Verwaltungsakts vorgeschaltet ist. Dies ist unter anderem dann der Fall, wenn die Behörde eine eingehende Prüfung der Rechtslage vornehmen muss, also z.B. vor dem Verwaltungshandeln zur Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe oder dem Treffen einer Ermessensentscheidung verpflichtet ist.[1]Detterbeck, Alg. Verwaltungsrecht, 22. Aufl. 2022, Rn. 1391. Dann wäre eine Verpflichtungsklage nach § 42 I VwGO statthaft. Jedoch geht der Erteilung der Auskunft grds. keine gesonderte und als Verwaltungsakt zu qualifizierende „Entscheidung“ des*der Behördenleiter*in oder einer von ihm beauftragten Person voraus.[2]StRspr. BVerwG, NVwZ 2013, 1006 Rn. 15; NVwZ 2022, 248 Rn. 15. Dies wird schon an der pauschalen Rückantwort des BND offenbar. Daher ist das Begehren in einer Leistungsklage zu verfolgen, sodass im Eilverfahren der § 123 I VwGO statthaft ist.
Anmerkung: Abgrenzung Leistungsklage und Verpflichtungsklage2. Sicherungs- und Regelungsanordnung
Ferner ist die Sicherungsanordnung (§ 123 I 1 VwGO) von der Regelungsanordnung (§ 123 I 2 VwGO) abzugrenzen. Die Sicherungsanordnung ist auf den Erhalt des Status quo gerichtet, während die Regelungsordnung über den Status quo hinausgeht und dem*der Antragssteller*in eine Erweiterung des Rechtskreises ermöglicht. Z möchte gerade nicht beim Status quo verbleiben, sondern verlangt Auskunft, d.h. ein „Mehr“ zur jetzigen Rechtslage. Daher verlangt Z nach einer Regelungsanordnung nach § 123 I 2 VwGO.
Vernetztes Lernen: Angenommen, es wird im gerichtlichen Eilverfahren die Vornahme eines Verwaltungshandelns begehrt, z.B. wie hier eine Auskunft. Die Behörde hatte das Tätigwerden zuvor abgelehnt, da sie bei Auskunftserteilung einen Verstoß gegen unionsrechtliches Sekundärrecht befürchtete. Fraglich ist aber, ob dieses Sekundärrecht (also z.B. eine EU-Richtlinie) seinerseits unionsrechtskonform ist. Das Verwaltungsgericht ist der Meinung, dass das die Auskunft „verhindernde“ Sekundärrecht offensichtlich gegen die Verträge verstoße. Ist der Eilrechtsschutz, der auf die Auskunftserteilung gerichtet ist, in einem solchen Fall möglich? Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen?Fraglich ist daher, ob der Antragssteller – mangels unionsrechtlicher Regelung – einstweiligen Rechtsschutz gegen das potentiell primärrechtswidrige Sekundärrecht vor nationalen Gerichten beantragen kann, während das Hauptverfahren vor dem EuGH aussteht. Streng genommen würde die Erteilung einstweiligen Rechtsschutzes bis zur Entscheidung des EuGH gegen den Anwendungsvorrang des Unionsrechts und die ausschließliche Zuständigkeit des EuGH für die Prüfung der Primärrechtsmäßigkeit von unionalem Sekundärrecht verstoßen.
Einstweiliger Rechtsschutz kann vor nationalen Gerichten aber ausnahmsweise unter vier kumulativen Bedingungen gewährt werden, die der EuGH in seiner Entscheidung „Zuckerfabrik Süderdithmarschen“ herausgearbeitet hat: 1) Dass erhebliche Zweifel an der Gültigkeit des Unionsrechtsakts bestehen, 2) eine besondere Dringlichkeit vorliegt, weil dem Antragsteller ein schwerer und nicht wieder gut zu machender Schaden droht, 3) eine Abwägung mit dem unionalen Durchsetzungsinteresse erfolgt und 4) der vorläufige Rechtsschutz mit einer Vorlage an den EuGH nach Art. 267 AEUV verbunden wird.[3]EuGH, NVwZ 1991, 460 Rn. 33.
III. Antragsbefugnis
Da es zur Vermeidung von Popularklagen auch i.R.d. § 123 VwGO eine Antragsbefugnis analog § 42 II VwGO bedarf, müsste Z antragsbefugt sein. Diese Befugnis ist gegeben, wenn die Möglichkeit besteht, dass ein Anordnungsanspruch sowie -grund besteht. Es ist nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass Z einen Anspruch auf Auskunftserteilung hat und dass wegen der Aktualität eine besondere Dringlichkeit vorliegt. Z ist daher antragsbefugt.
IV. Antragsgegner
Der Antrag müsste sich auch gegen den richtigen Antragsgegner richten. § 78 VwGO findet im Rahmen des § 123 VwGO analoge Anwendung, sodass auf das Rechtsträgerprinzip abzustellen ist. Rechtsträger des BND ist der Bund.
V. Beteiligten- und Prozessfähigkeit
Z und der BND müssten beteiligungs- und prozessfähig sein. Z ist gem. § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO beteiligtenfähig, der Bund gem. § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO. Die Prozessfähigkeit ergibt sich für Z und für den BND bei ordnungsgemäßer Vertretung aus § 62 III VwGO.
VI. Ordnungsgemäßer Antrag
Der Antrag müsste auch gem. §§ 81, 82 VwGO ordnungsgemäß erhoben worden sein. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ist davon auszugehen.
VII. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis
Fraglich ist, ob auch ein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis seitens Z besteht. Dieses ist insbesondere dann zu verneinen, wenn eine Vorwegnahme der Hauptsache zu befürchten ist. Die VwGO erlaubt nur eine vorläufige Regelung durch das Gericht, sodass Regelungen, die die Hauptsache vorwegnehmen und nicht umkehrbar sind, dem Grunde nach ausgeschlossen sind.[4]BVerwG, Beschl. v. 14.04.2025, 10 VR 3.25, Rn. 11. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn eine Vorwegnahme etwa zur Wahrung der Grundrechte des Antragstellers erforderlich erscheint.[5]Ibid.
Verfahren, die presserechtliche Auskunftsverfahren betreffen, führen regelmäßig zur Vorwegnahme der Hauptsache. Hierbei muss aber – neben der Garantie des effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 IV GG – das Selbstbestimmungsrecht der Presse aus Art. 5 I 2 GG hinsichtlich der Themenauswahl und der Entscheidung, ob eine Berichterstattung zeitnah erfolgen soll, besonders berücksichtigt werden.[6]Ibid. In presserechtlichen Auskunftsverfahren muss die Vorwegnahme der Hauptsache daher zumindest dann zulässig sein, wenn ein gesteigertes öffentliches Interesse und ein starker Gegenwartsbezug der Berichterstattung vorliegen.[7]Ibid. Der Verweis auf das Hauptsacheverfahren darf nicht dazu führen, dass eine begehrte Auskunft mit starkem Aktualitätsbezug ihren Nachrichtenwert verliert und allenfalls noch von historischem Interesse ist.[8]BVerwG (ibid.), mit Verweis auf BVerwG, NVwZ-RR 2021, 663 Rn. 12 m.w.N. Fraglich ist, ob ein solches Interesse hier vorliegt.
Ein gesteigertes öffentliches Interesse an der Berichterstattung und ein hoher Gegenwartsbezug folgen aus der aktuellen und intensiven Berichterstattung zu dem nicht geklärten Ursprung der COVID-19-Pandemie.[9]BVerwG, Beschl. v. 14.04.2025, 10 VR 3.25, Rn. 12. Daher hat die begehrte Auskunft einen starken Aktualitätsbezug und einen hohen Nachrichtenwert. Insofern ist eine etwaige Vorwegnahme der Hauptsache hier zulässig. Das Rechtsschutzbedürfnis ist gegeben.
Anmerkung: PrüfungsstandortB. Begründetheit
Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung ist begründet, soweit Z einen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat, §§ 123 I 2, III, VwGO i.V.m. §§ 920 I, II, 294 ZPO.
Anmerkung: GlaubhaftmachungI. Anordnungsgrund
Es müsste ein Anordnungsgrund vorliegen. Dieser ist gegeben, wenn eine besondere Eilbedürftigkeit der Sache besteht, die ein Zuwarten bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren unzumutbar macht.[11]BVerwG, Beschl. v. 14.04.2025, 10 VR 3.25, Rn. 11. Aus der pressetechnischen Aktualität der Thematik ergibt sich eine besondere Dringlichkeit der Rechtsfrage, sodass ein Abwarten unzumutbar ist. Ein Anordnungsgrund ist gegeben.[12]BVerwG, Beschl. v. 14.04.2025, 10 VR 3.25, Rn. 10.
Anmerkung: AufbauII. Anordnungsanspruch
Z müsste ein Anordnungsanspruch zukommen. Dieser liegt vor, wenn der in der Hauptsache geltend gemachte Anspruch, d.h. ein Anspruch auf Auskunftserteilung, bei summarischer Prüfung auch tatsächlich besteht.
Ein Anspruch aus dem Informationsfreiheitsgesetz kommt wegen des Ausschlussgrunds aus § 3 Nr. 8 IFG, wonach ein Anspruch auf Informationszugang nicht gegenüber dem BND besteht, nicht in Betracht. Da es sich bei dem BND um eine Bundesbehörde handelt, finden auch keine landesrechtlichen Rechtsgrundlagen Anwendung.[13]Eine vertiefte Prüfung der Landespressegesetze findet sich unter: https://examensgerecht.de/auskunftsanspruch-der-presse-gegen-den-bnd/ . Ein Auskunftsanspruch könnte sich daher allenfalls aus dem verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch aus Art. 5 I 2 GG ergeben.
1. Bestehen eines verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs aus Art. 5 I 2 GG
a) Herleitung
Die Pressefreiheit aus Art. 5 I 2 GG umfasst einen objektiv-rechtlichen Gehalt im Sinne eines Schutzes der institutionellen Eigenständigkeit der Presse. Eine freie und eigenständige Presse erfordert einen grundsätzlich ungehinderten Zugang zu Informationen. Eine solch freie Presse ist nicht zuletzt auch aus demokratischen Gesichtspunkten essenziell, da sie eine öffentliche Kontrolle der Bundesbehörden gewährleistet.
Daraus ergibt sich die Pflicht, die Rechtsordnung in einer Weise zu gestalten, die der besonderen verfassungsrechtlichen Bedeutung der Presse gerecht wird und ihr eine funktionsgemäße Betätigung ermöglicht, wozu auch die Pflicht gehört, es der Presse zu erleichtern oder in Einzelfällen sogar überhaupt erst zu ermöglichen, ihre Kontroll- und Vermittlungsfunktionen zu erfüllen.[14]M.w.N. Alexander, ZUM 2013, 614 (616). Fehlt es an einer entsprechenden, einfachgesetzlichen Regelung, muss unmittelbar auf das Grundrecht aus Art. 5 I 2 GG rekurriert werden.[15]BVerwG, NVwZ 2013, 1006, Rn. 29. Ohne einen solchen Rückgriff auf die Verfassung, durch welchen der objektiv-rechtliche Gewährleistungsgehalt des Grundrechts – ausnahmsweise – in einen subjektiv-rechtlichen Anspruch umschlägt, liefe die Pressefreiheit in ihrem objektiv-rechtlichen Gewährleistungsgehalt leer.[16]Ibid. Insofern gewährt die Freiheit der Presse aus Art. 5 I 2 GG nicht nur den objektiv-rechtlichen Bestand und die institutionellen Rahmenbedingungen der Presse an sich, sondern kann auch als Individualrecht agieren.
Das Grundrecht der Pressefreiheit aus Art. 5 I 2 GG kann der Z – in Ermangelung einer einfachgesetzlichen bundesrechtlichen Regelung und mangels Anwendbarkeit der landesrechtlichen Pressegesetze – daher im vorliegenden Fall einen verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch gegenüber dem BND als Bundesbehörde verleihen, sofern die entsprechenden Voraussetzungen des Auskunftsanspruchs erfüllt werden.[17]BVerwG, Beschl. v. 14.04.2025, 10 VR 3.25, Rn. 15.
b) Voraussetzungen
Dazu müsste Z persönlich vom Anwendungsbereich des Art. 5 I 2 GG erfasst sein. Der Informationsanspruch steht nicht nur der entsprechenden Presse, sondern auch dem Verleger von Presseerzeugnissen als Inhaber der grundrechtlichen Pressefreiheit zu.[18]Ibid. Damit kann sich auch Z als Presseverlag persönlich auf den Anspruch berufen.
Darüber hinaus besitzt das Auskunftsbegehren einen hinreichend bestimmten Bezug auf spezifische Tatsachenkomplexe, ist also hinreichend konkret.[19]BVerwG, NVwZ 2022, 248, 250, Rn. 22. Die Informationen sind auch vorhanden und müssten nicht erst durch die Behörde verschafft werden (Abgrenzung des Auskunfts- vom Informationsverschaffungsanspruch).[20]Ibid. Auch in sachlicher Hinsicht sind die Voraussetzungen des Auskunftsanspruchs damit erfüllt.
2. Ausschluss des Auskunftsanspruchs: Abwägung mit schutzwürdigen Interessen im Einzelfall
Der verfassungsunmittelbare Auskunftsanspruch besteht jedoch nicht unbegrenzt, sondern erfordert eine Abwägung des Informationsinteresses der Presse mit den gegenläufigen schutzwürdigen Interessen im Einzelfall.[21]BVerwG, Beschl. v. 14.04.2025, 10 VR 3.25, Rn. 16. Entscheidend ist, ob dem Informationsinteresse der Presse schutzwürdige Interessen von solchem Gewicht entgegenstehen, dass es den Anspruch auf Auskunft ausschließt.[22]Ibid., m.w.N.
a) Sicherung der Funktionsfähigkeit der Nachrichtendienste
Als schutzwürdiges öffentliches Interesse kommt die Sicherung der Funktionsfähigkeit der Nachrichtendienste in Betracht. Ein funktionierender Nachrichtendienst setzt voraus, dass die operativen Vorgänge des Dienstes, seine Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten, seine Arbeitsweise und Methodik, seine Mitarbeiter vor Enttarnung sowie seine Quellen geschützt sind.[23]BVerwG, Beschl. v. 14.04.2025, 10 VR 3.25, Rn. 18; NVwZ 2024, 573 Rn. 20; NVwZ 2025, 516 Rn. 16 ff.
Operative Vorgänge umfassen alle Maßnahmen zur Informationsgewinnung. Das Interesse an einem Geheimschutz für ebendiese operativen Vorgänge des Bundesnachrichtendienstes wird sich in der Abwägung mit dem Informationsinteresse der Presse regelmäßig durchsetzen.[24]BVerwG, Beschl. v. 14.04.2025, 10 VR 3.25, Rn. 19. Grund dafür ist nicht nur der Quellenschutz, sondern auch die Gefahr, dass durch Offenlegung der operativen Vorgänge der Vergangenheit auch die weitere Durchführung in der Zukunft gefährdet wird, indem Rückschlüsse auf die Arbeitsweise des BND möglich werden.[25]BVerwG, NVwZ 2025, 516 Rn. 19.
Dagegen könnte hier aber sprechen, dass die Untersuchung nun schon einige Jahre zurückliegt und die Corona-Pandemie überwunden ist. Ein gewisser Zeitablauf bzw. zeitlicher Abstand könnte für eine verminderte Schutzbedürftigkeit sprechen, so dass ein Ausschluss des Auskunftsanspruchs nur dann gerechtfertigt erscheint, wenn die Möglichkeit von Rückschlüssen auf die heutige nachrichtendienstliche Arbeitsweise weiterhin besteht.[26]Ibid. Von einer solchen Beeinflussung der zukünftigen Arbeitsfähigkeit ist hier aber auszugehen, denn zur Beantwortung der Fragen würde der BND inhaltlich zu den – bisher nicht bestätigten – operativen Vorgängen und deren Ergebnissen Stellung nehmen müssen.[27]BVerwG, Beschl. v. 14.04.2025, 10 VR 3.25, Rn. 26. Damit könnte aufgrund des Informationsabflusses eine Schwächung der zukünftigen Aufklärungsarbeit des BND im Zusammenwirken mit ausländischen Nachrichtendiensten einhergehen, da diese den BND nicht mehr als vertrauenswürdig oder sicher erachten könnten.[28]Ibid. Die veröffentlichten Informationen könnten zudem für ausländische Geheim- und Nachrichtendienste von bedeutendem Interesse sein, die die Fähigkeiten des BND mithilfe von weiteren öffentlich verfügbaren Informationen ausleuchten, Rückschlüsse auf die technischen Fähigkeiten des BND ziehen und etwaige Spähmaßnahmen leichter entdecken, sich dagegen schützen und sie einem Staat zuordnen könnten.[29]Ibid. All dies könnte die Funktionsfähigkeit des BND nachhaltig beeinträchtigen. Angesichts dieser Risiken ergibt sich – trotz des zeitlichen Abstandes – ein bedeutsames schutzwürdiges Interesse des BND, das gegenüber dem publizistischen Informationsinteresse der Antragstellerin Vorrang genießt.[30]Ibid.
b) Schutz der auswärtigen Interessen und Beziehungen der BRD
Auch der Schutz der auswärtigen Interessen der Bundesrepublik Deutschland könnte der Erteilung einer presserechtlichen Auskunft als überwiegendes öffentliches Interesse entgegenstehen.[31]BVerwG, NVwZ 2024, 1773 Rn. 27; NVwZ 2025, 339 Rn. 7.
Die Pflege auswärtiger Beziehungen fällt innerhalb des Verfassungsgefüges der Bundesrepublik Deutschland von der Verbandskompetenz her dem Bund zu (Art. 32 I GG), allen voran der Bundesregierung.[32]BVerwG, Beschl. v. 14.04.2025, 10 VR 3.25, Rn. 20. Deswegen steht ihr in diesem Bereich auch ein weit bemessener Spielraum eigener Gestaltung zu, der sich weitgehend der gerichtlichen Kontrolle entzieht.[33]BVerwG, NVwZ 2010, 321 Rn. 15.
Die intensiven bilateralen Beziehungen zur Volksrepublik China könnten bei einer Erteilung der begehrten Auskünfte beeinträchtigt werden, da durch sie ggf. bestätigt werden könnte, dass (und welche) nachrichtendienstliche Aktivitäten der BND in China vorgenommen hat. Auch könnte die „Anprangerungswirkung“ die bilateralen Beziehungen belasten. Dies könnte politische, wirtschaftliche und diplomatische Konsequenzen haben. Mit Rücksicht auf den der Bundesregierung in diesem Bereich zustehenden weit bemessenen Spielraum eigener Gestaltung, genügt es, dass diese potenzielle Beeinflussung der auswärtigen Beziehung nachvollziehbar geltend gemacht wird.[34]BVerwG, Beschl. v. 14.04.2025, 10 VR 3.25, Rn. 28. Insofern ist auch hier davon auszugehen, dass das presserechtliche Informationsinteresse hinter dem öffentlichen Geheimhaltungsinteresse zurückstehen muss.
3. Zwischenergebnis
Wegen der entgegenstehenden öffentlichen Interessen besteht zwar ein Anordnungsgrund, aber kein Anordnungsanspruch.
III. Zwischenergebnis
Der Antrag ist unbegründet.
C. Ergebnis
Der Antrag des Z ist nicht erfolgreich.
Zusatzfragen
1. Altkanzler A war von 1998 bis 2005 Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Nach Ende seiner Amtszeit stellte der Bund dem A im Bundeshaushalt Personal für ein Büro zur Verfügung, was im Grundsatz einer Übung, die sich in der Staatspraxis der letzten 50 Jahre entwickelt hat, entspricht. Im Mai 2022 stellte der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages aber fest, dass A keine fortwirkende Verpflichtung aus dem Amt als Bundeskanzler mehr wahrnehme und das Büro deshalb ruhend gestellt werden solle. Der Bundestag beschloss daraufhin den neuen Haushaltsplan, der nunmehr keine weiteren Mittel für das Büropersonal von A vorsah. A möchte sein staatlich finanziertes Büro im Bundestag nicht aufgeben und klagt deswegen vor dem Verwaltungsgericht. Ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet? Was folgt daraus, wenn das Verwaltungsgericht den Verwaltungsrechtsweg als nicht eröffnet ansieht?Ist der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet, ist die Klage grundsätzlich nicht als unzulässig abzuweisen. Vielmehr muss das unzuständige Gericht den Rechtsstreit gem. § 17a II GVG an das zuständige Gericht verweisen. Diese Entscheidung ist gem. § 17a II 3 GVG für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, bindend. Anderes gilt aber für das BVerfG – denn dieses ist ausschließlich dann zuständig, wenn eine der in Art. 93 GG enumerierten Zuständigkeiten einschlägig ist. Für dessen Prüfung ist allein das BVerfG zuständig.
Es ist daher denkbar, dass eine Rechtsstreitigkeit wegen ihrer nichtverfassungsrechtlichen Art weder vor dem Verwaltungsgericht verfolgt noch vor dem BVerfG anhängig gemacht werden kann; also nicht justiziabel ist. Dies stellt keinen Verstoß gegen Art. 19 IV GG dar, da dieser nur Private und nicht den Staat schützt: Wird einem am Verfassungsleben beteiligten Rechtsträger des öffentlichen Rechts, einem Verfassungsorgan oder einem Verfassungsorganteil der Rechtsschutz verweigert, greift der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes nicht ein.[38]Ehlers/Schneider, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 46. EL 2024, VwGO § 40, Rn. 135.
Voraussetzungen sind in persönlicher Hinsicht die Abgeordneten- oder Fraktionseigenschaft. In sachlicher Hinsicht ist u.a. Voraussetzung, dass der Sachverhalt überhaupt in die Verantwortung bzw. Kompetenz der Bundesregierung fällt.[41]Vgl. Kämmerer/Feil-Baron, JuS 2024, 609 (614).
Wie auch beim verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch kann auch der parlamentarische Auskunftsanspruch durch andere Verfassungsgüter begrenzt werden. Die Bundesregierung kann das Fragerecht etwa verweigern, wenn der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung, Rechte Dritter oder das Staatswohl betroffen sind.[42]Eingehend: BVerfG, NVwZ 2023, 239, Rn. 77–111 sowie Meyer, JuS 2023, 768 (772). Wichtig ist, dass diese Ausschlussgründe aus dem Grundgesetz hergeleitet und nicht etwa einfachgesetzlich begründet werden.
Zusammenfassung
1. Das grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache im Rahmen des § 123 VwGO darf nicht dazu führen, dass eine begehrte Presseauskunft mit starkem Aktualitätsbezug ihren Nachrichtenwert verliert und nur noch von historischem Interesse ist.
2. Der Schutz der auswärtigen Interessen der Bundesrepublik Deutschland kann der Erteilung einer presserechtlichen Auskunft entgegenstehen.
3. Dass bestimmte Auskunftsbegehren Sachverhalte betreffen, die schon mehrere Jahre zurückliegen, lässt das schutzwürdige Interesse an der Geheimhaltung nicht zwingend entfallen. Ggf. besteht weiterhin die Möglichkeit von Rückschlüssen auf die heutige nachrichtendienstliche Arbeitsweise, sodass die Funktionsfähigkeit der Behörde im Einzelfall trotz des zeitlichen Abstandes gefährdet sein kann.