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Bestandsschutz nach Flutkatastrophe
VG Koblenz, Urt. v. 28.08.2023 – 1 K 172/23

Sachverhalt

In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 ereignete sich unter anderem an der Ahr eine Flutkatastrophe mit massiven Auswirkungen. Von der Flut war auch ein Campingplatz im Bundesland R betroffen, dessen Eigentümer und Betreiber der C ist.

Auf diesem Campingplatz existierten zwei auf Grundlage einzelner Baugenehmigungen errichtete Betriebsgebäude, nämlich ein Wirtschaftsgebäude in Form einer Toilettenanlage mit Pförtnerraum und ein weiteres Gebäude mit Toiletten und Duschen. Die Gebäude machen nur einen kleinen Teil des Campingplatzes aus. Das Gesamtbild ist von den typischen Freiflächen und Grünanalgen geprägt. Für das Gelände des Campingplatzes existiert keine Baugenehmigung, sondern lediglich eine gewerberechtliche Zulassung.

Durch die Flutkatastrophe wurden die Campingplatzfläche verwüstet sowie die Gebäude beschädigt. Da noch Teile, insbesondere das Mauerwerk, der Gebäude bestanden, wandte sich der C an die zuständige Behörde.

Mit Schreiben vom 4. Mai 2022 beantragte der C den Erlass feststellender Verwaltungsakte für den Bestandsschutz des Wirtschaftsgebäudes, der Toilettenerweiterung sowie des Campinggeländes, um den Campingplatz ohne die Beantragung einer Baugenehmigung wieder aufbauen zu dürfen. Das lehnte die zuständige Baubehörde mit Schreiben vom 21. Juli 2022 ab. Ein etwaiger Bestandsschutz sei jedenfalls auf Grund der Zerstörung des Dachstuhls der Gebäude jeweils erloschen. Die gebotene vollständige Erneuerung des Dachstuhls stelle eine genehmigungspflichtige Baumaßnahme dar. Selbst wenn die Gebäude Bestandschutz genießen würden, sei auf den Campingplatz als Gesamtanlage abzustellen. Eine baurechtliche Genehmigung für die Errichtung des Campingplatzes selbst existiere nicht, sondern nur eine gewerberechtliche Zulassung. Zudem sei der Campingplatz vollständig zerstört worden, weshalb für dessen Wiederherstellung eine neue Genehmigung nötig sei.

Den darauf erfolgten Widerspruch wies die Behörde zudem mit dem Argument zurück, dass der Widerspruch bereits unzulässig sei. Die Feststellung, ob Bestandsschutz für eine bauliche Anlage bestehe, sei kein Verwaltungsakt, weil Aussagen zum Bestandsschutz keinen Regelungscharakter hätten.

Daraufhin erhob der C frist- und formgerecht Klage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht. Er möchte feststellen lassen, ob er für den Wiederaufbau eine Baugenehmigung benötigt.

Hat die Klage Aussicht auf Erfolg?

Normen aus der LBauO

§ 61 Genehmigungsbedürftige Vorhaben

Die Errichtung, die Änderung, die Nutzungsänderung und der Abbruch baulicher Anlagen sowie anderer Anlagen und Einrichtungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 bedürfen der Genehmigung (Baugenehmigung), soweit in den §§ 62, 67, 76 und 84 nichts anderes bestimmt ist.

§ 2 Begriffe

(1) Bauliche Anlagen sind mit dem Erdboden verbundene, aus Bauprodukten hergestellte Anlagen. Eine Verbindung mit dem Erdboden besteht auch dann, wenn die Anlage durch eigene Schwere auf dem Boden ruht oder wenn sie nach ihrem Verwendungszweck dazu bestimmt ist, überwiegend ortsfest benutzt zu werden. Als bauliche Anlagen gelten auch

1. Aufschüttungen und Abgrabungen,

2. Lager-, Abstell-, Aufstell- und Ausstellungsplätze,

3. Camping- und Wochenendplätze,

4. Stellplätze,

5. Sport- und Spielplätze,

6. Schiffe und sonstige schwimmfähige Anlagen, die ortsfest benutzt werden und dem Wohnen oder gewerblichen, sportlichen oder ähnlichen Zwecken dienen,

7. Gerüste,

8. Hilfseinrichtungen zur statischen Sicherung von Bauzuständen.

[…]


Skizze


Gutachten

Die Klage hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und soweit sie begründet ist.

A. Zulässigkeit

Die Klage müsste zulässig sein.

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

Die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges richtet sich mangels aufdrängender Sonderzuweisung nach § 40 I 1 VwGO. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit ist dabei nach der modifizierten Subjektstheorie eine solche, bei der die streitentscheidenden Normen einseitig einen Träger öffentlicher Gewalt berechtigen oder verpflichten.[1]Reimer, in: BeckOK VwGO 66. Ed. 1.1.2023, VwGO § 40 Rn. 45.4. Streitentscheidend sind Normen des öffentlichen Baurechts, welche die zuständige Behörde als Träger öffentlicher Gewalt einseitig berechtigen. Da die Streitigkeit auch nichtverfassungsrechtlicher Art ist und keine abdrängende Sonderzuweisung einschlägig ist, ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.

II. Statthafte Klageart

Des Weiteren müsste eine statthafte Klageart gegeben sein. Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Begehren des Klägers, vgl. § 88 VwGO. Da C die Feststellung begehrt, ob eine Baugenehmigung für den Wiederaufbau seines Campingplatzes erforderlich ist, kommt eine Feststellungsklage nach § 43 I Alt. 1 VwGO in Betracht.

Dem könnte jedoch die Subsidiarität der Feststellungsklage entgegenstehen. Dies wäre der Fall, wenn der C seine Rechte durch eine Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann. In Fällen des Baurechts kommt insbesondere die Verpflichtungsklage auf Erlass einer Baugenehmigung in Betracht. Der C richtet sein Begehren jedoch gerade auf die Feststellung, ob Bestandschutz besteht und nicht auf den Erlass einer Baugenehmigung. Es geht ihm um die Klärung dieser Rechtsfrage. Fällt das Urteil zu seinen Gunsten aus, bedarf er keiner Baugenehmigung. Streitgegenstand der Verpflichtungsklage wäre eben nicht die begehrte Klärung der Vorfrage des Bestandschutzes.[2]Zu klärenden Vorfragen, OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 6. Mai 2020 – 8 A 11545/19 –, juris, Rn. 42 f. Demnach ist die Feststellungsklage die statthafte Klageart.

Vernetztes Lernen: Unter welchen Bedingungen ist die Feststellungklage subsidiär?
Schon aus dem Wortlaut der Norm ergibt sich die Subsidiarität der Feststellungsklage. Nach § 43 II VwGO kann die Feststellung nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können.

Davon sind jedoch Ausnahmen zu machen. Eine strittige und problematische Klausurkonstellation ist das Verhältnis von Leistungs- und Feststellungsklage bei Klagen gegen einen Hoheitsträger. Trotz der Vollstreckbarkeit der Leistungsklage, geht die Rechtsprechung in der sogenannten Ehrenmanntheorie davon aus, dass der Hoheitsträger wegen der Bindung an Recht und Gesetz gem. Art. 20 III GG gerichtliche Entscheidungen auch ohne Vollstreckungsdruck befolgen wird. Deswegen ist in solchen Konstellationen eine Feststellungsklage nicht subsidiär.[3]BVerwG, NJW 1971, 1284.

III. Klagebefugnis

Fraglich ist, ob es einer Klagebefugnis in Fällen der allgemeinen Feststellungsklage bedarf. Nach dem Wortlaut des § 42 II VwGO ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein. Daher gilt die Norm der Klagebefugnis nach ihrem Wortlaut nur für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen. Es könnte jedoch eine analoge Anwendung auf die Feststellungsklage in Betracht kommen. Nach einer Ansicht bestehe keine planwidrige Regelungslücke, da ohnehin ein besonderes Feststellungsinteresse für die Zulässigkeit der Feststellungsklage notwendig sei.[4]Schoch, in: Schneider/Wahl/Schütz, 44. EL März 2023, § 42 Rn 23ff. Nach der anderen Ansicht bedürfe es einer Klagebefugnis, um Popularklagen zu vermeiden. Es seien durchaus atypische Fälle denkbar, in denen ein Feststellungsinteresse ohne eine subjektive Rechtsgutsverletzung vorliege.[5]So BVerwG NVwZ 1991, 470, 471.

Eine Stellungnahme kann dahinstehen, wenn C ohnehin die sonst erforderliche Klagebefugnis hat. Dafür ist erforderlich, dass der Kläger geltend macht, an dem festzustellenden Rechtsverhältnis selbst beteiligt zu sein oder dass vom Rechtsverhältnis eigene Rechte abhängen.[6]BVerwG NVwZ 2009, 1305 Rn. 24. Der C ist Eigentümer und Betreiber des Campingplatzes. Geht es um den Bestandschutz der Gebäude, ist er also Beteiligter. Die Entscheidung hat auch Auswirkungen auf seine Rechtsposition. Mithin ist der C nach § 42 II VwGO analog klagebefugt.

IV. Klagegegner

Die Klage ist gemäß § 78 I Nr. 1 VwGO analog gegen den Rechtsträger der zuständigen Behörde zu richten, in diesem Fall die zuständige Bauaufsichtsbehörde.

V. Beteiligten- und Prozessfähigkeit

C ist gem. § 61 Nr. 1 Alt. 1 VwGO und die B gem. § 61 Nr. 2 VwGO beteiligtenfähig. C ist gem. § 62 I Nr. 1 VwGO prozessfähig. B ist gem. § 62 III VwGO prozessfähig, wenn sie von einem zuständigen Vertreter vertreten wird.

VI. Feststellungsinteresse

Zudem müsste das Feststellungsinteresse vorliegen. Nach § 43 I VwGO ist die Feststellungsklage nur zulässig, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Ein solches ist bei jedem nach Lage des Falles anzuerkennenden schutzwürdigen Interesse, sei es rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art, gegeben.[7]Marsch, in: Schoch/Schneider, 44. EL März 2023, VwGO § 43 Rn. 32. Der C geht hier von einem Bestandschutz aus. Sollte dies nicht der Fall sein, wäre ein Genehmigungsverfahren für ihn mit wirtschaftlichen Investitionen verbunden. Außerdem würde sich in solchen Konstellationen der Bauherr der Gefahr der Begehung einer Ordnungswidrigkeit aussetzen, sollte er ohne Baugenehmigung die Gebäude in den alten Zustand versetzen.[8]VG Koblenz, Urt. v. 28.08.2023 – 1 K 172/23.KO, unter I.Somit liegt das erforderliche Feststellungsinteresse vor.

Vernetztes Lernen: Mit welchen Bauaufsichtsmaßnahmen müsste der Bauherr rechnen, wenn er ohne Baugenehmigung die Gebäude in den alten Zustand versetzt, obwohl eine Baugenehmigung erforderlich gewesen wäre?
Als baurechtliche Maßnahmen sehen die meisten Landesgesetze neben der Beseitigungsverfügung als weitere Maßnahmen auch die Nutzungsuntersagung und den Baustopp vor.
Für den Baustopp reicht nach einhelliger Meinung die formelle Illegalität (es liegt keine Baugenehmigung vor). Demgegenüber müssen für die Beseitigungsverfügung grundsätzlich die formelle und die materielle Illegalität (das Bauvorhaben entspricht nicht dem materiellen Baurecht) vorliegen. Fraglich ist, ob ebenfalls für den Erlass der Nutzungsuntersagung die materielle Illegalität erforderlich ist oder ob es ausreicht, dass das Bauvorhaben formell illegal ist. Eine Ansicht argumentiert mit der Vergleichbarkeit zur Beseitigungsanordnung. Auch eine Nutzungsuntersagung könne ähnliche negative Konsequenzen für die Betroffenen haben, wie die Beseitigungsanordnung. Außerdem wird vertreten, dass die formelle Illegalität (Baurechtswidrigkeit) ausreiche. Dies wird damit begründet, dass bei einer Nutzungsuntersagung keine Substanzeinwirkung erfolge und die Nutzungsuntersagung jederzeit rückgängig gemacht werden könne. Überzeugend ist die Ansicht vor allem, da sie den Bauherrn, aufgrund der sonst drohenden Konsequenzen, veranlasst, rechtmäßig vor Baubeginn eine Baugenehmigung zu beantragen.
In der Klausur wäre dann eine Anfechtungsklage gegen die erlassene Bauordnungsmaßnahme zu prüfen.

VII. Zwischenergebnis

Mithin ist die Klage zulässig.

B. Begründetheit

Die Klage müsste auch begründet sein. Die Feststellungsklage ist begründet, wenn der Wiederaufbau der Gebäude und des Campingplatzes keiner Baugenehmigungen bedürfen.

I. Genehmigungsbedürftigkeit

Nach § 61 LBauO bedürfen die Errichtung, die Änderung, die Nutzungsänderung und der Abbruch baulicher Anlagen sowie anderer Anlagen und Einrichtungen im Sinne des § 1 I 2 der Genehmigung (Baugenehmigung), soweit keine Ausnahmetatbestände vorliegen.

1. Campingplatz als Gesamtanlage

Nach § 2 I 2 Nr. 3 LBauO stellt der Campingplatz kraft gesetzlicher Fiktion eine bauliche Gesamtanlage dar. Dies bedeutet, dass eine Trennung zwischen dem Platz als solchem und den auf ihm errichteten baulichen und sonstigen Anlagen grundsätzlich nicht in Betracht kommt.[9]OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.08.2021 – OVG 10 B 1.18, Rn. 49. Die Errichtung einer Anlage wiederrum bedeutet deren Herstellung oder Aufstellung bzw. Anbringung an einem konkreten Ort.

2. Abgrenzung zwischen Neuerrichtung und Instandsetzung

Es könnte sich jedoch vorliegend nicht um eine Errichtung des Campingplatzes, sondern um eine genehmigungsfreie Instandsetzung handeln. Im Näheren geht es um die Frage, ob es sich bei den Bauvorhaben, nach den Zerstörungen durch die Flutkatastrophe, um den speziellen Fall einer Neuerrichtung iSd § 61 LBauO handelt oder in dem Vorhaben lediglich eine Instandsetzung der zerstörten Flächen und Gebäude zu sehen ist. Von einer Instandsetzung ist auszugehen, wenn die Identität der vorhandenen Anlage durch die beabsichtigten Baumaßnahmen noch gewahrt wird.[10]VG Koblenz, Urt. v. 28.08.2023 – 1 K 172/23.KO, unter II.1. Im Gegensatz dazu setzt eine Neuerrichtung einen wesentlich stärkeren Eingriff in die bauliche Anlage voraus. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn erhebliche bauordnungsrechtliche Prüfungen erforderlich sind oder wenn die für die Instandsetzung notwendigen Arbeiten den Aufwand für einen Neubau erreichen.[11]BVerwG, Urteil vom 17. Januar 1986 – 4 C 80.82 –, BVerwGE 72, 362 = juris, Rn. 12; Beschluss vom 21. März 2001 – 4 B 18.01 –, juris, Rn. 11.

Der Begriff der Errichtung erfasst also auch Fälle des Neu- bzw. Wiederaufbaus einer Anlage am gleichen Ort nach ihrer Zerstörung oder gravierenden Beschädigungen infolge von Naturgewalten, wenn die Schwelle der Instandsetzung überschritten ist.

Bei der Betrachtung ist wegen der Fiktion auf den gesamten Campingplatz abzustellen.[12]VG Koblenz, Urt. v. 28.08.2023 – 1 K 172/23.KO, unter II.1.Die Qualifizierung als Gesamtanlage hat zur Folge, dass die Zulässigkeit des Vorhabens und die Frage, ob Modifikationen als Instandsetzungen oder Neuerrichtungen zu qualifizieren sind, allein im Hinblick auf die Gesamtanlage zu beurteilen.[13]OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.08.2021 – OVG 10 B 1.18, Rn. 49. Dadurch wird eine präventive Kontrolle der Gesamtanlage unter bauordnungsrechtlichen und bauplanungsrechtlichen Gesichtspunktensichergestellt. Fraglich ist, wie in dem Gesamtkonstrukt die beiden Betriebsgebäude zu bewerten sind. Die ursprünglich vorhandenen Betriebsgebäude sind nicht vollständig zerstört worden. Insbesondere sind die Außenwände noch weitgehend vorhanden. Lediglich die Dachkonstruktion müsste vollständig erneuert werden. Damit könnte hier von einer genehmigungsfreien Instandsetzung ausgegangen werden. Zum Campingplatz als Gesamtanlage gehören jedoch nicht nur die Betriebsgebäude, sondern insbesondere auch die Stellplatzflächen nebst Erschließungsanlagen und der weiteren, zum Betrieb des Campingplatzes benötigten, Infrastruktur.[14]VG Koblenz, Urt. v. 28.08.2023 – 1 K 172/23.KO, unter II.1. Die weiteren Flächen sind durch die Flutkatastrophe völlig zerstört wurden. Der Aufwand der erforderlichen Baumaßnahmen geht daher weit über eine reine Instandsetzung hinaus. Die erhaltene Bausubstanz der Betriebsgebäude fällt zu der Gesamtfläche nicht in erheblichem Umfang ins Gewicht. Damit liegt für den gesamten Campingplatz nicht lediglich eine Instandsetzung, sondern eine Neuerrichtung vor.

3. Ausnahmen

Ausnahmetatbestände für die Genehmigungsfreiheit sind nicht ersichtlich.

4. Zwischenergebnis

Das Bauvorhaben ist daher genehmigungspflichtig.

II. Bestandschutz

Eine neue Baugenehmigung könnte jedoch aus Gründen des Bestandschutzes ausnahmsweise entbehrlich sein. Bestandschutz bedeutet im Allgemeinen das Recht des Eigentümers, eine bauliche Anlage auch dann weiter erhalten und nutzen zu können, obwohl die Anlage mit der Form der Nutzung aufgrund einer Änderung der Rechtslage nicht neu errichtet werden dürfte. Voraussetzung ist, dass die bauliche Anlage ursprünglich legal war oder zumindest formell durch Erteilung einer Baugenehmigung legalisiert wurde.[15]BVerwGE 42, 8 ff.

Vernetztes Lernen: Bestandschutz bei Nutzungsänderungen
Die Problematik tritt auf, wenn dem Gebäude durch seine Sanierung eine andere Nutzung zugefügt wird. Dabei ist ein Bestandschutz nicht mehr gegeben, wenn die Nutzung unter städtebaulichen Gesichtspunkten eine andere Qualität zukommt. Dies ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn eine bauplanungsrechtlich relevante Nutzungsänderung vorliegt, also die neue Nutzung unter eine andere Nutzungskategorie der §§ 2 bis 11 BauGB fällt.[16]Schröer, NZBau 2008, 105, 106. Anhaltspunkte sind auch die ersichtliche Nutzungsaufgabe der ursprünglichen Nutzung.[17]Gehrke/Brehsan, NVwZ 1999, 932, 934. Bestandschutz wird hingegen gegeben sein, wenn sich die Nutzung in der genehmigten tatsächlichen Variationsbreite bewegt.[18]BVerwG, NVwZ-RR 1997, 397, 398.
Stellt sich in der Klausur das Problem der erneuten Nutzungsaufnahme nach einer längeren Pause, muss betrachtet werden, ob es sich ggf. nur um eine reduzierte Nutzung handelte oder die Nutzung aufgegeben wurde. Früher wurde noch vorrangig auf die zeitliche Komponente abgestellt. Die neue Rechtsprechung wendet jedoch nicht mehr die Grundsätze aus § 35 IV 1 Nr. 3 BauGB an, wonach im ersten Jahr nach der Nutzungsaufgabe eine Wiederaufnahme zulässig ist, im zweiten Jahr gelte eine – allerdings widerlegliche – Regelvermutung zugunsten der Wiederaufnahme und nach Ablauf des zweiten Jahres kehre sich diese Vermutung um. Vielmehr seien nun die landesrechtlichen Bestimmungen und ggf. das Verwaltungsverfahrensrecht, dort insbesondere § 43 II VwVfG, entscheidend.[19]VGH Kassel, NVwZ-RR 2017, 177 Rn. 11. Maßgeblich wird daher zumeist sein, ob bei dem Bauherrn ein hinreichend schlüssiger Wille erkennbar ist, auf die Baugenehmigung zu verzichten, oder ob Anhaltspunkte für eine Übereinkunft der Beteiligten vorliegen, dass die Baugenehmigung sich erledigt habe.
1. Bestandschutz durch die gewerberechtliche Zulassung

Der Campingplatz könnte deswegen durch die vormals erteilte gewerberechtliche Zulassung Bestandschutz genießen. Der Bestandschutz schützt gerade auch vor nachträglich geänderten Anforderungen wie dem formellen Erfordernis einer Baugenehmigung.[20]Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Februar 1973 – IV C 61.70 –,  juris, Rn. 12 ff. Voraussetzung ist jedoch ein Minimum an baulicher Verfestigung der Nutzung, also ein bestandschutzfähiger Bestand.[21]BVerwG, Beschluss vom 27. Februar 1993 – 4 B 5.93 –, juris, Rn. 3. Das liegt bei vollständiger Zerstörung der Anlage nicht mehr vor. Der Bestandsschutz beschränkt sich eben auf den Erhalt des Geschaffenen. Der Bestand wird in seiner bisherigen Funktion geschützt und daher muss auch auf das tatsächlich Vorhandene Bezug genommen werden können.[22]VG Koblenz, Urt. v. 28.08.2023 – 1 K 172/23.KO, unter II.2. Eine gewerberechtliche Zulassung ändert an den Anforderungen an die Beschaffenheit nichts. Durch die vollständige Zerstörung des Campingplatzes ist daher kein Bestandschutz mehr gegeben.

2. Bestandschutz durch die Genehmigungen der Betriebsgebäude

Der C ist des Weiteren Inhaber zweier Baugenehmigungen für die Betriebsgebäude. Voraussetzung für den Bestandschutz ist, dass die bauliche Maßnahme nur der Bestandserhaltung dient, also die Identität des geschützten Bestands erhalten bleibt. Das ist der Fall, wenn Standort und Bauzweck erhalten bleiben. Bei den Betriebsgebäuden müssten jeweils nur die Dächer erneuert und weitere kleine Arbeiten verrichtet werden. Fraglich ist jedoch, wie es zu beurteilen ist, dass die Baugenehmigungen nur die Betriebsgebäude erfassen, nicht auch die Campingplatzfläche, die vollkommen zerstört wurde. Ausgangspunkt für die Beurteilung ist die Fiktion des Campingplatzes als Gesamtanlage.[23]VG Koblenz, Urt. v. 28.08.2023 – 1 K 172/23.KO, unter II.2. Im Falle der Zerstörung oder gravierenden Beschädigung einer Anlage erledigt sich eine vorhandene Baugenehmigung nach § 43 II VwVfG.[24]Vgl. BayVGH, Urteil vom 2. November 2020 – 15 B 19.2210 –, juris, Rn. 15; VGH BaWü, Urteil vom 4. März 2009 –3 S 1467/07 –, juris, Rn. 34; Burzynska/Mann, in: Große-Suchsdorf, NdsBO, 10. … Continue reading Aufgrund der Zerstörung der Gesamtanlage kann auch durch die Gebäude kein gesamter Bestandschutz für den Campingplatz bestehen.

C. Ergebnis 

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Klage des C hat keine Aussicht auf Erfolg.


Zusatzfrage

Was ist der Gebietsprägungserhaltungsanspruch und was ist der Unterschied zum Gebietserhaltungsanspruch und wie sind sie relevant für Nachbarn?
In der Praxis und in der Literatur gehen regelmäßig die Nachbarn gegen eine Baugenehmigung vor oder fordern eine Bauaufsichtsmaßnahme ein. Der Nachbar ist im Gegensatz zum Bauherrn nicht Erklärungsadressat der Baugenehmigung. Dementsprechend kann hier nicht für die Klagebefugnis auf den Adressatengedanken abgestellt werden.[25]Pietzcker/Marsch, in: Schoch/Schneider, 44. EL März, VwGO vor § 42 Abs. 2 Rn. 95. Vielmehr muss der Nachbar geltend machen, dass eine drittschützende Norm verletzt ist. Gleiches gilt, wenn der Nachbar den Erlass einer Bauaufsichtsmaßnahme begehrt.
Nach der Schutznormtheorie entfaltet eine Rechtsnorm Drittschutz, wenn diese nicht nur dem Schutz der öffentlichen Interessen dient, sondern auch dem Schutz eines erkennbar abgrenzbaren oder abgegrenzten Personenkreises, also dem Schutz privater Interessen dient.[26]Pietzcker/Marsch, in: Schoch/Schneider, 44. EL März 2023, VwGO vor § 42 Abs. 2 Rn. 96. Ein solcher Drittschutz kann sich aus dem Gebietserhaltungsanspruch und in spezieller Ausprägung aus dem Gebietsprägungserhaltungsanspruch ergeben.
Der Gebietserhaltungsanspruch berechtigt den Eigentümer innerhalb des von ihm bewohnten Baugebiets, sich gegen jede artfremde Bebauung zu wehren. Also auch gegen die Bauvorhaben eines Nachbarn im Bebauunngsgebiet. Durch die Festsetzung der in § 1 II BauNVO genannten Baugebiete in einem Bebauungsplan, werden die diesbezüglichen Vorschriften der §§ 2 ff. BauNVO kraft Gesetzes gem. § 1 III 2 BauNVO Bestandteil des B-Plans. Die Vorhaben in einem Baugebiet sind hinsichtlich des Zwecks und Charakters jeweils gleich strukturiert. Daraus ergibt sich eine bodenrechtliche Schicksalsgemeinschaft.
Im Unterschied zum Gebietserhaltungsanspruch ist der Gebietsprägungserhaltungsanspruch einschlägig, wenn das Vorhaben an sich unter die Regel- oder Ausnahmebebauung der §§ 2 ff. BauNVO subsumiert werden kann, jedoch als gebietsunverträglich eingestuft wird, weil es der allgemeinen Zweckbestimmung des maßgeblichen Baugebietstyps widerspricht.[27]Decker, Der spezielle Gebietsprägungserhaltungsanspruch, JA 2007, 55, 57. Ein Beispiel ist ein Dialysezentrum mit 33 Behandlungsplätzen in einem allgemeinen Wohngebiet.[28]BVwerG NVwZ 2008, 786.

Zusammenfassung

1. Ein Campingplatz stellt zur präventiven Kontrolle bauordnungsrechtlicher und bauplanungsrechtlicher Gesichtspunkte kraft gesetzlicher Fiktion eine bauliche Gesamtanlage dar.

2. Für die Genehmigungsbedürftigkeit ist die Instandsetzung von der Neuerrichtung abzugrenzen. Von einer Instandsetzung ist auszugehen, wenn die Identität der vorhandenen Anlage durch die beabsichtigten Baumaßnahmen noch gewahrt wird. Im Gegensatz dazu liegt eine Neuerrichtung vor, wenn erhebliche bauordnungsrechtliche Prüfungen erforderlich sind oder wenn die für die Instandsetzung notwendigen Arbeiten den Aufwand für einen Neubau erreichen.

3. Voraussetzung des Bestandschutz ist ein bestandschutzfähiger Bestand. Mindestvoraussetzung ist daher ein Minimum an baulicher Verfestigung der Nutzung.

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