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Beseitigung von Kiesbeeten

OVG Lüneburg, Beschl. v. 17.01.2023 – 1 LA 20/22, BeckRS 2023, 215

Sachverhalt

(geändert und gekürzt)

Der A besitzt ein Grundstück in der Gemeinde G im Bundesland N. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des seit 2004 rechtswirksamen Bebauungsplanes Nr. 2-34. Dieser setzt dort ein allgemeines Wohngebiet fest. Entlang der nördlichen und östlichen Grundstücksgrenzen befinden sich seit 15 Jahren außerhalb der durch den Bebauungsplan festgesetzten überbaubaren Grundstücksflächen zwei insgesamt etwa 50qm große Kiesbeete, in welches etwa 25 (Nadel-)Pflanzen eingesetzt sind. Mit Schreiben vom 08.10.2021 hörte die zuständige Behörde (B) den A zu einer in Aussicht genommenen Ordnungsverfügung an; die Beteiligten korrespondierten, ohne zu einer Einigung zu gelangen. Mit formell rechtmäßig ergangenem Bescheid vom 18.01.2021 ordnete die B an, dass der Kies bis zum 28.02.2021 aus den Beeten auf dem Grundstück entfernt werden muss. Sie verwies zur Begründung darauf, dass nicht überbaute Grundstücksflächen nach § 9 II NBauO als Grünflächen auszugestalten seien, solange sie nicht als Zufahrt, Gartenweg oder Stellplatz für eine andere Nutzung erforderlich seien. Zulässig seien Rasen, Gehölze und Zier- oder Nutzpflanzen, nicht jedoch ein Kiesbeet. Zweck der Vorschrift sei es, ökologisch sinnvolle und erhaltenswerte Flächen zu schaffen. Kies- und Schottergärten leisteten keinen ökologischen Beitrag und seien nach der Vorschrift deshalb unzulässig. Hinzu trete die negative Vorbildwirkung, die sich aus dem Gesamtbild des im nördlichen Bereich vollständig versiegelten Grundstücks ergebe.

Dagegen legte der A form- und fristgerecht Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 08.02.2021 wies die B den Widerspruch zurück. Sie begründete dies im Wesentlichen damit, dass es sich trotz der dort eingesetzten und nicht zu beanstandenden 25 Pflanzen um ein Kiesbeet handele, da die Steinflächen dominierend seien. Der Einwand, dass es sich mit 50 qm um eine nur untergeordnete Fläche handele, überzeuge nicht, da Steinbeete grundsätzlich untersagt seien. Der Norm lasse sich keine Differenzierung nach der überwiegenden Flächennutzung entnehmen. Ob nicht ins Gewicht fallende Elemente eines Steingartens zulässig seien, könne dahingestellt bleiben, da eine 50 qm große Kiesfläche erheblich sei. Es liege auch kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vor, da die B sich im Rahmen ihrer Kapazitäten auch weiterhin vergleichbaren Verstößen annehmen wolle und das Gebiet straßenzugsweise abarbeiten werde. Dies habe sie auch schon dem A beim Ortstermin mitgeteilt.

Der A erhob am 01.03.2021 hiergegen Klage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht. Der A trägt vor, dass die im Bescheid erwähnten Kiesflächen schon keine baulichen Anlagen seien. Hinsichtlich der Rückbauanordnung für das Baugrundstück ist er der Auffassung, dass Kiesflächen keine relevante Beeinträchtigung der Bodenfunktionen bedeuteten und § 9 II NBauO den Kiesflächen nicht entgegengehalten werden könne; es bestehe kein grundsätzliches Pflanzgebot.

Hat die Klage des A Aussicht auf Erfolg?


Niedersächsische Bauordnung

(NBauO)

Vom 3. April 2012

§ 79 Baurechtswidrige Zustände, Bauprodukte und Baumaßnahmen sowie verfallende bauliche Anlagen

(1) 1Widersprechen bauliche Anlagen, Grundstücke, Bauprodukte oder Baumaßnahmen dem öffentlichen Baurecht oder ist dies zu besorgen, so kann die Bauaufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen anordnen, die zur Herstellung oder Sicherung rechtmäßiger Zustände erforderlich sind. 2Sie kann namentlich

1. die Einstellung rechtswidriger und die Ausführung erforderlicher Arbeiten verlangen,

2. die Einstellung der Arbeiten anordnen, wenn Bauprodukte verwendet werden, an denen unberechtigt ein Ü-Zeichen (§ 21 Abs. 3) oder unberechtigt eine CE-Kennzeichnung angebracht ist oder die entgegen § 21 ein erforderliches Ü-Zeichen oder entgegen der Verordnung (EU) Nr. 305/2011 eine erforderliche CE-Kennzeichnung nicht tragen,

3. die Verwendung von Bauprodukten, die entgegen § 21 mit dem Ü-Zeichen gekennzeichnet sind, untersagen und deren Kennzeichnung ungültig machen oder beseitigen lassen,

4. die Beseitigung von Anlagen oder Teilen von Anlagen anordnen,

5. die Benutzung von Anlagen untersagen, insbesondere Wohnungen für unbewohnbar erklären.

3Die Bauaufsichtsbehörde hat ihre Anordnungen an die Personen zu richten, die nach den §§ 52 bis 56 verantwortlich sind. 4Nach Maßgabe des Niedersächsischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes kann sie auch nicht verantwortliche Personen in Anspruch nehmen. 5Die Anordnungen der Bauaufsichtsbehörde gelten auch gegenüber den Rechtsnachfolgern der Personen, an die die Anordnungen gerichtet sind.

(2) Die Bauaufsichtsbehörde kann bauliche Anlagen, Teile baulicher Anlagen und Arbeitsstellen versiegeln und Bauprodukte, Geräte, Maschinen und Hilfsmittel sicherstellen, soweit dies zur Durchsetzung von Anordnungen nach Absatz 1 erforderlich ist.

(3) 1Soweit bauliche Anlagen nicht genutzt werden und verfallen, kann die Bauaufsichtsbehörde die nach § 56 verantwortlichen Personen verpflichten, die baulichen Anlagen abzubrechen oder zu beseitigen, es sei denn, dass ein öffentliches oder schutzwürdiges privates Interesse an ihrer Erhaltung besteht. 2Für die Grundstücke gilt § 9 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 entsprechend.

(4) Die Bauaufsichtsbehörde soll vor Anordnungen nach den Absätzen 1 und 3 die Angelegenheit mit den Betroffenen erörtern, soweit die Umstände nicht ein sofortiges Einschreiten erfordern.

[…]

§ 9 Nicht überbaute Flächen, Kinderspielplätze

(1) 1Die nicht überbauten Flächen von Baugrundstücken sind so herzurichten und zu unterhalten, dass sie nicht verunstaltet wirken und auch ihre Umgebung nicht verunstalten. 2Dies gilt auch für die nicht im Außenbereich gelegenen, nach öffentlichem Baurecht bebaubaren Grundstücke.

(2) Die nicht überbauten Flächen der Baugrundstücke müssen Grünflächen sein, soweit sie nicht für eine andere zulässige Nutzung erforderlich sind.

[…]


Skizze


Gutachten

Die Klage hat Aussicht Erfolg, wenn sie zulässig und soweit sie begründet ist.

A. Zulässigkeit

Die Klage müsste zulässig sein.

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

Die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges richtet sich mangels aufdrängender Sonderzuweisung nach § 40 I 1 VwGO. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit ist dabei nach der modifizierten Subjektstheorie eine solche, bei der die streitentscheidenden Normen einseitig einen Träger öffentlicher Gewalt berechtigen oder verpflichten.[1] BeckOK VwGO/Reimer, 66. Ed. 1.1.2023, VwGO § 40 Rn. 45.4. Streitentscheidend für die Beseitigungsverfügung sind Normen des öffentlichen Baurechts, welche die zuständige Behörde als Träger öffentlicher Gewalt einseitig berechtigen. Da die Streitigkeit auch nichtverfassungsrechtlicher Art ist und keine abdrängende Sonderzuweisung einschlägig ist, ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.

II. Statthafte Klageart

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Begehren des Klägers, § 88 VwGO. Der A wendet sich gegen eine Beseitigungsverfügung. Mithin wäre eine Anfechtungsklage statthaft, wenn die Beseitigungsverfügung einen Verwaltungsakt iSd § 35 VwVfG darstellen würde. Die Beseitigungsverfügung stellt einen Verwaltungsakt dar. Mithin ist die Anfechtungsklage statthaft.

III. Klagebefugnis

Der A müsste klagebefugt sein. Dafür muss dieser geltend machen, dass die Möglichkeit besteht in eigenen Rechten verletzt zu sein. Grundsätzlich kann im Rahmen der Anfechtungsklage auf den Adressatengedanken abgestellt werden, wonach der Adressat einer belastenden Maßnahme zumindest in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG verletzt sein könnte.[2]BVerfGE NJW 1957, 297. Als Adressat der Beseitigungsverfügung ist A klagebefugt.

Vernetztes Lernen: Drittschutz im Bauplanungsrecht?:
Ein weiteres examensrelevantes Problem ist der Drittschutz. Also wenn der Klagende nicht Adressat des Verwaltungsaktes war oder den Erlass eines Verwaltungsaktes an einen Dritten begehrt. Auch in diesen Konstellationen hilft der Adressatengedanke nicht weiter. Vielmehr muss für den Kläger die Verletzung einer drittschützenden Norm vorliegen und dieser davon betroffen sein.
Nach der Schutznormtheorie entfaltet eine Rechtsnorm Drittschutz, wenn diese nicht nur dem Schutz der öffentlichen Interessen zu dienen bestimmt ist, sondern (auch) dem Schutz eines erkennbar abgrenzbaren oder abgegrenzten Personenkreises dient.[3]Schoch/Schneider VwGO, VwGO vor § 42 Abs. 2, Rn. 96.

Eine bekannte Klausurkonstellation ist dabei, wenn der Kläger sich gegen eine rechtswidrige Bebauung durch den Nachbarn wehrt. Dann kann aus dem Bebauungsplan und ggf. dessen Festsetzungen der Drittschutz sich ergeben.
Die Vorhaben in einem Baugebiet sind nämlich durch die Festsetzungen hinsichtlich des Zwecks und Charakters jeweils gleich strukturiert. Daraus ergibt sich eine bodenrechtliche Schicksalsgemeinschaft. Diese berechtigt den Eigentümer innerhalb des von ihm bewohnten Baugebiets sich gegen jede artfremde Bebauung zu wehren und den sog. Gebietserhaltungsanspruch geltend zu machen.[4]BeckOK BauNVO/Spannowsky, 25. Ed. 15.12.2020, BauNVO § 1 Rn. 144.

Weitere nachbarschützende Normen:
§ 30 BauGB vermittelt in Verbindung mit den Festsetzungen eines Bebauungsplans über die Art der baulichen Nutzung Nachbarschutz zugunsten aller Eigentümer in dem jeweiligen Plangebiet (Gebietserhaltungsanspruch). Dafür muss der Nachbar selbst nicht unzumutbar beeinträchtigt sein.

§ 34 I BauGB vermittelt im Einzelfall Nachbarschutz über das Gebot der Rücksichtnahme, das im Tatbestandsmerkmal „Einfügen“ verankert ist.

§ 34 II BauGB vermittelt aufgrund seiner Verweisung auf die Baugebiete der BauNVO auch einen Gebietserhaltungsanspruch. Bei gebietskonformen Vorhaben kommt Nachbarschutz im Einzelfall über § 15 Abs. 1 BauNVO in Betracht, in welchem das Gebot der Rücksichtnahme verankert ist.

– Der drittschützende Charakter des § 35 BauGB kann mithilfe des Rücksichtnahmegebots insbesondere aus § 35 III 1 Nr.3 anhand des Merkmals der „schädlichen Umwelteinwirkungen“ entnommen werden.[5]Battis/Krautzberger/Löhr, § 31 Rn. 80.

IV. Vorverfahren

A hat erfolglos das erforderliche Vorverfahren durchgeführt.

V. Klagegegner

Die Klage ist gemäß § 78 I Nr. 1 VwGO gegen den Rechtsträger der zuständigen Behörde zu richten. In diesem Fall das Land N.

VI. Klagefrist

A hat mit seiner Klageeinreichung am 01.03.2021 die Monatsfrist gewahrt, § 74 I 1 VwGO.

VII. Beteiligten- und Prozessfähigkeit

A ist gem. § 61 Nr. 1 Alt. 1 VwGO und die B gem. § 61 Nr. 2 VwGO beteiligtenfähig. A ist gem. § 62 I Nr. 1 VwGO prozessfähig. B ist gem. § 62 III VwGO prozessfähig, wenn sie sich von einem zuständigen Vertreter vertreten wird.

VIII. Zwischenergebnis

Mithin ist die Klage zulässig.

B. Begründetheit

Die Klage des A müsste begründet sein. Die Anfechtungsklage ist begründet, soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, § 113 I 1 VwGO.

I. Ermächtigungsgrundlage

Ermächtigungsgrundlage der Beseitigungsverfügung ist § 79 I 1 Nr. 4 NBauO.

II. Formelle Rechtmäßigkeit

Der Bescheid erging laut Sachverhalt formell rechtmäßig.

Vernetztes Lernen: Besonderes Anhörungserfordernis
In einigen ordnungsrechtlichen Ermächtigungsgrundlagen wird ein besonderes Anhörungserfordernis statuiert, das zumeist über die üblichen Erfordernisse des § 28 VwVfG hinausgeht. Für den § 79 IV NBauO kann dies z. B. bedeuten, dass die Bauaufsichtsbehörde verpflichtet ist, mit dem potentiellen Adressaten den Sachverhalt umfassend zu besprechen.[6]BeckOK BauordnungsR Nds/Franke, 20. Ed. 1.11.2020, NBauO § 79 Rn. 102.

III. Materielle Rechtmäßigkeit

Die Bauordnungsmaßnahme müsste auch materiell rechtmäßig sein. Dies ist grundsätzlich der Fall, wenn die Baumaßnahme formell und/oder materiell illegal ist und die Behörde ermessensfehlerfrei entschieden hat.

1. Tatbestand
a) Formelle Illegalität

Formelle Baurechtswidrigkeit (auch als formelle Illegalität bezeichnet) ist gegeben, wenn für die genehmigungspflichtige Anlage keine vollziehbare Baugenehmigung besteht oder die Anlage in Abweichung von einer erteilten Baugenehmigung ausgeführt wird. Für die Errichtung der Kiesflächen hat der A keine Genehmigung. Die Kiesflächen sind jedoch als Aufschüttung nach Ziffer 7.1 des Anhangs zu § 60 I NBauO genehmigungsfrei, weil sie nicht mehr als drei Meter Höhe aufweisen und nicht mehr als 300 m² Fläche haben. Mithin sind die Anlagen nicht genehmigungspflichtig. Im Falle einer genehmigungsfreien Anlage genügt jedoch ein Verstoß gegen materielle öffentlich-rechtliche Vorschriften für den Erlass der Abrissverfügung.[7]Fischer, NVwZ 2004, 1057, 1061.

b) Materielle Illegalität

Materielle Baurechtswidrigkeit/Illegalität liegt vor, wenn die bauliche Anlage nicht den Vorschriften des materiellen Baurechts entspricht. Gemeint ist daher mit materieller Illegalität jeder Verstoß gegen die jeweils anwendbaren materiellen öffentlich-rechtlichen Vorschriften.[8]Lindner, JuS 2014, 118, 119. Hier kommen Verstöße gegen das Bauordnungsrecht in Betracht.

Anmerkung: Prüfung des Bauplanungsrechts
In einer Examensklausur wird meistens das Bauplanungsrecht vorrangig, aber zumindest ebenfalls zu prüfen sein (siehe zB Zusatzfrage). Eine Prüfung sollte daher nur unterlassen werden, wenn eindeutig kein Verstoß gegen Bauplanungsrecht in Betracht kommt.
aa) Kiesfläche als bauliche Anlage

Dafür müssten die Kiesflächen zunächst bauliche Anlagen darstellen. Eine bauliche Anlage ist nach § 2 I 1 NBauO eine mit dem Erdboden verbundene oder auf ihm ruhende, aus Bauprodukten hergestellte Anlage. Dazu zählen unter anderem Gebäude (§ 2 II NBauO), aber auch andere aus Bauprodukten hergestellte Anlagen, wobei Bauprodukte nach § 2 XIII NBauO Baustoffe, Bauteile und Anlagen sind, die hergestellt werden, um dauerhaft in baulichen Anlagen eingebaut zu werden (Nr.1), oder aus Baustoffen und Bauteilen vorgefertigte Anlagen, die hergestellt werden, um mit dem Erdboden verbunden zu werden, wie Fertighäuser, Fertiggaragen und Silos. Mit dem Erdboden verbunden ist eine Anlage, wenn sie ein Fundament hat, wenn sie sonst im Erdboden verankert ist oder wenn sie ganz oder teilweise in den Erdboden versenkt worden ist. Problematisch ist hier, dass die Kiesbeete lediglich aus zusammengeschütteten natürlichen Baustoffen bestehen. Entscheidend und auch ausreichend ist jedoch nur, dass, wie hier, der Kies gewonnen und aufbereitet wird, bevor er Verwendung findet.[9]VG Hannover Urt. v. 12.1.2022 – 4 A 1791/21, BeckRS 2022, 40379 Rn. 15. Dazu wurde der Boden begradigt, ein Vlies ausgebreitet und Rasenkantensteine zur Begrenzung verlegt. Somit hat der A nicht bloß vorhandenen natürlichen Kies belassen, sondern mit den befestigten Kiesbeeten eine künstlich angelegte „Parklandschaft“ geschaffen.

bb) Verstoß gegen § 9 II NBauO

Die Gestaltung als Kiesflächen könnte § 9 II NBauO widersprechen. Demnach sind Freiflächen als Grünflächen auszugestalten. Näheres, insbesondere was unter Grünfläche zu verstehen ist, besagt die Norm jedoch nicht. Der Wortlaut lässt jedoch nicht auf die Möglichkeit zu einer reinen Steingestaltung schließen. Demnach kann für die Auslegung auch nicht von Bedeutung sein, ob einzelne Pflanzen vorhanden sind oder wie groß die Fläche ist, wenn das Gesamtbild keine Grünfläche ergibt. Wesentliches Merkmal einer Grünfläche ist also der „grüne Charakter“.[10]VG Hannover Urt. v. 12.1.2022 – 4 A 1791/21, BeckRS 2022, 40379 Rn. 20ff.

Legt man die Norm vor dem Hintergrund des Naturschutzes aus, verlangt die Vorschrift, dass Freiflächen mit Rasen oder Gras, Gehölzen, anderen Zier- oder Nutzpflanzen bedeckt seien müssen.[11]OVG Lüneburg Beschl. v. 17.1.2023 – 1 LA 20/22, BeckRS 2023, 215 Rn. 5.

Dies deckt sich mit dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck, ökologisch wertvolle Flächen auch in Baugebieten zu erhalten und zu schaffen. Die Bedeckung mit einer hinreichenden Vegetation kommt für den Erhalt von Lebensraum von Insekten einer erheblichen Bedeutung zu. Insofern muss das Gesamtbild dem einer bewachsenen ökologischen Grünfläche entsprechen und der Versteinerung entgegenwirken.[12]Begründung zu § 10 Abs. 1 NBauO-E 1973, LT-Drs. 7/50, S. 75.

Nach dieser Maßgabe sind Steinelemente nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Erforderlich ist aber, dass diese eine nur untergeordnete Bedeutung haben. Davon kann nur ausgegangen werden, wenn die Steinflächen dem Bewuchs sowohl in funktioneller als auch in räumlich-gegenständlicher Hinsicht lediglich dienend sowie zu- und untergeordnet sind.[13]OVG Lüneburg Beschl. v. 17.1.2023 – 1 LA 20/22, BeckRS 2023, 215 Rn. 8. Bereits die Ausdehnung spricht hierbei für ein eigenständiges und erhebliches Gewicht der Kiesbeete des A. Die Kiesbeete des A umfassen zusammen etwa 50qm. Auf der gesamten Kiesfläche sind etwa 25 (Nadel-)Pflanzen eingesetzt. Zudem entsprechen die Kiesbeete des A klassischen Kiesbeeten, bei denen die Steinflächen den Hauptaspekt darstellen. Die Pflanzen haben damit in den Kiesbeeten des A keinen übergeordneten Charakter. Es wird eben nicht ein „grüner Charakter“ geprägt. Unerheblich ist auch der Einwand des A, dass kein Pflanzengebot bestehe. § 9 II NBauO ließe ebenso unbearbeitete Flächen zu, solange sie einen „grünen Charakter“ aufweisen. Kiesbeete, so wie der A sie errichtete, sind nach der Auslegung aber gerade nicht zulässig. Mithin widersprechen die Kiesbeete des A den § 9 II NBauO.

Anmerkung: Auslegung in Grenzfällen
Die Abgrenzung kann im Einzelfall größere Schwierigkeiten bereiten. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch Steinelemente unter Umständen noch zu den zulässigen Grünflächen gezählt werden können, beispielsweise wenn es sich um verhältnismäßig schmale Einfassungen von Beeten handelt oder die Steinflächen nicht übermäßig ins Gewicht fallen [14]VG Hannover Urt. v. 12.1.2022 – 4 A 1791/21, BeckRS 2022, 40379 Rn. 22.
2. Rechtsfolge

Die Behörde ist damit berechtigt die Beseitigung der Grünfläche nach § 79 I Nr. 4 NBauO zu verlangen, wenn bzw. soweit die Entscheidung auch unter Berücksichtigung einer möglichen Verwirkung und frei von Ermessensfehlern rechtmäßig ergangen ist.

a) Verwirkung

In Betracht kommt eine Verwirkung der Eingriffsbefugnisse, indem die Behörde 15 Jahre lang nicht gegen den baurechtswidrigen Zustand eingeschritten ist. Zunächst ist festzustellen, dass die Verwirkung hoheitlicher Befugnisse grundsätzlich nicht in Betracht kommt.[15]VGH Mannheim, Urteil vom 18.12.2012 – 10 S, BeckRS 2013, 46848; OVG Koblenz, NVwZ-RR 2012, 749. Beim Vorliegen der Voraussetzung für eine Verwirkung, kann jedoch das Recht der Behörde auf der Ermessensebene beschränkt sein.[16]VGH Mannheim, NVwZ-RR 2017, 315 Rn. 38.. Erforderlich dafür ist, dass ein Verhalten der zuständigen Stelle bei dem Adressaten der Anordnung das berechtigte Vertrauen erweckt hat, dass sie ihre Befugnisse nicht mehr geltend machen werde und der Adressat tatsächlich darauf vertraut hat. Aufgrund dieser Vertrauenslage muss noch ein Vertrauenstatbestand hinzukommen, der Bürger also Dispositionen in Folge seines Vertrauens geschaffen haben. Ausreichend ist daher keinesfalls nur der Umstand, dass die Behörde längere Zeit untätig geblieben ist.[17]VGH Mannheim, NVwZ-RR 2017, 315 Rn. 39. Nicht ausschlaggebend ist also auch hier der reine Zeitraum der nicht beanstandeten Nutzung der Kiesflächen. Auch wurden die Kiesflächen nie zwischen dem A und der B diskutiert. Es fehlt demnach an Anhaltspunkten für eine geschaffene Vertrauensgrundlage. Mithin liegt keine Verwirkung vor.

b) Ermessensfehler

Die Entscheidung müsste ermessensfehlerfrei erfolgt sein. Es verbleibt, mangels Verwirkung, bei der Möglichkeit eines Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.

aa) Gleichbehandlungsgrundsatz

Die Bauaufsichtsmaßnahme könnte gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen haben. Zwar ist dem Betroffenen keine Gleichheit im Unrecht zu gewährleisten, gleichwohl ist anerkannt, dass eine Bauaufsichtsbehörde gegen den Gleichheitssatz verstößt, wenn sie bei einem bauaufsichtlichen Einschreiten systemwidrig ein Vorgehen gegen vergleichbare Verstöße unterlässt. Die Forderung nach Systemgerechtigkeit hat jedoch ihre natürlichen Grenzen. So muss die Behörde nicht über die Anfechtung eines Einzelfalles hinaus in eine allgemeine Kontrolle der Verwaltung ausufern.[18]OVG Lüneburg, Beschluss vom 17.12.2021 – 1 LA 91/20, BeckRS 2021, 40642, Rn. 29. Dazu trägt der A vor, dass die B nach 15 beanstandungsfreien Jahren sein Grundstück willkürlich auserkoren habe und bisher gegen keinen anderen rechtswidrigen Zustand vorgegangen sei. Der B sind aber schon rein faktisch durch die vorhandenen Kapazitäten Grenzen gesetzt. Mithin muss auch eine Priorisierung der baurechtlichen Problemlagen erfolgen. Hinsichtlich des in Rede stehenden Einschreitens gegen Steingärten hat die B mit Blick auf die steigende Zahl von Steingärten und die zunehmend drängenden Probleme im Umwelt- und Klimaschutz verstärkt auf die Einhaltung des § 9 II NBauO hinzuwirken. Deswegen hat die B auch die Auskunft erteilt, dass sie sich erst in den letzten Jahren der Problemstellung zugewandt hat. Anders wäre der Fall eventuell zu beurteilen, wenn die Behörde trotz aufdrängender inhaltlicher und geografischer Nähe sich bei einer anderen baulichen Anlage anders entschieden hätte. Über das bisherige hinaus hat die B aber noch im Rahmen der Anhörung nachvollziehbar geschildert, dass sie die Baugebiete straßenzugweise abarbeite. Demnach verstößt die Anordnung nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz.

bb) Zwischenergebnis

Des Weiteren liegen keine Anhaltspunkte für eine Unverhältnismäßigkeit der Beseitigungsverfügung vor. Die Anordnung erging ermessenfehlerfrei.

IV. Zwischenergebnis

Die Beseitigungsverfügung war rechtmäßig.

C. Ergebnis

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Klage des A hat keine Aussicht auf Erfolg.


Zusatzfragen

1. Welche Änderungen in der Prüfung ergeben sich, wenn das Grundstück des A im unbeplanten Außenbereich liegen würde?
Zusätzlich wäre das Bauplanungsrecht zu prüfen. Dafür müssten die Kiesbeete bauliche Anlagen iSd § 29 BauGB darstellen und ein Verstoß gegen das Bauplanungsrecht gegeben sein.
Der bundesrechtliche Begriff der baulichen Anlage gemäß § 29 BauGB, der nicht identisch ist mit dem bauordnungsrechtlichen Begriff der Landesgesetze, setzt sich aus drei Elementen zusammen. Es muss sich um ein Vorhaben handeln, das den verhältnismäßig weiten Begriff des „Bauens“ erfüllt, das mit dem Boden fest verbunden und das von bauplanungsrechtlicher Relevanz ist. Bezüglich der Kiesflächen muss dann festgestellt werden, dass diese aufgrund ihrer Aufmachung und Begrenzung durch die Rasenkantensteinen in einer auf Dauer gedachten Weise künstlich mit dem Erdboden verbunden sind. Zudem entsteht die bodenrechtliche Relevanz durch die Größe der Flächen und der Gestaltungsform als Erholungs- und Rückzugsort.[19]VG Hannover Urt. v. 26.11.2019 – 4 A 12592/17, BeckRS 2019, 35509 Rn. 25
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit richtet sich dann nach § 35 BauGB. Die Kiesbeete könnten dabei öffentliche Belange beeinträchtigen. Im Gegensatz zu privilegierten Belangen reicht es bei nichtprivilegierten Belangen schon aus, wenn diese die öffentlichen Belange beeinträchtigen. In Betracht kommen hier die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege nach § 35 II und III Nr. 5 BauGB. Auch hier wird die Beseitigung wegen einer Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart verlangt werden können.
Darüber hinaus müsste dann noch (um alle Problempunkte zu behandeln) ein Verstoß gegen das Bauordnungsrecht, hier § 9 NBauO, thematisiert werden
2. Reicht die formelle Illegalität für eine Nutzungsuntersagung aus?.
Als baurechtliche Maßnahmen sehen die meisten Landesgesetze neben der Beseitigungsverfügung als weitere Maßnahmen auch die Nutzungsuntersagung und den Baustopp vor.
Für den Baustopp reicht nach einhelliger Meinung die formelle Illegalität. Demgegenüber müssen für die Beseitigungsverfügung grundsätzlich die formelle und die materielle Illegalität vorliegen. Fraglich ist, ob ebenfalls für den Erlass der Nutzungsuntersagung die materielle Illegalität erforderlich ist oder es ausreicht, wenn das Bauvorhaben formell illegal ist. Eine Ansicht argumentiert mit der Vergleichbarkeit zur Beseitigungsanordnung. Auch eine Nutzungsuntersagung könnte ähnliche negative Konsequenzen für die Betroffenen haben, wie die Beseitigungsanordnung. Andererseits wird vertreten, dass die formelle Illegalität (Baurechtswidrigkeit) ausreiche. Dies wird damit begründet, dass bei einer Nutzungsuntersagung keine Substanzeinwirkung erfolge und die Nutzungsuntersagung jederzeit rückgängig gemacht werden könne. Überzeugend ist die Ansicht vor allem, da sie den Bauherrn, aufgrund der sonst drohenden Konsequenzen, veranlasst, rechtmäßig vor Baubeginn eine Baugenehmigung zu beantragen.

Zusammenfassung

1. Bei der Auslegung des Begriffs Grünflächen iSd § 9 II NBauO ist das Gesamtbild der Fläche unter Berücksichtigung des vom Gesetzgeber verfolgten Zwecks, ökologisch wertvolle Flächen auch in Baugebieten zu erhalten und zu schaffen, entscheidend.

2. Grünflächen werden demnach durch naturbelassene oder angelegte, mit Pflanzen bewachsene Flächen geprägt („grüner Charakter“). Dies schließt Steinelemente nicht aus, wenn sie sich dem Bewuchs dienend zu- und unterordnen.

3. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz liegt erst vor, wenn bei einem bauaufsichtlichen Einschreiten systemwidrig ein Vorgehen gegen vergleichbare Verstöße unterlassen wird.

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