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Benzin für alle, keiner zahlt

BGH, Beschluss v. 8.11.2022 – 5 StR 318/22, BeckRS 2022, 48112

Sachverhalt

A fährt mit B und C zu einer Selbstbedienungs-(SB-)Tankstelle. Sie haben vereinbart, den Pkw zu betanken, ohne den Kraftstoff zu bezahlen, sowie die Tankstelle unter Verwendung eines Messers zu überfallen. An der SB-Tankstelle angekommen, lässt A den B und C im Bereich der Toiletten raus und fährt zu einer Zapfsäule. A betankt den Wagen mit Benzin im Wert von 56 EUR, wobei er sich bemüht, unerkannt zu bleiben. Dazu zieht er die Kapuze seiner Jacke tief ins Gesicht. Zuvor hatte er bereits die Kennzeichen abgedeckt. Der Tankstellenmitarbeiter O bemerkt den Tankvorgang nicht. Anschließend stellt A das Auto fluchtbereit im Bereich der Toiletten ab. 

Nun betreten A, B und C den Verkaufsraum. A stellt sich an die Kasse, sodass O denkt, einen zahlungswilligen Kunden vor sich zu haben. Wie zur Umsetzung des Überfallplans angedacht, lenkt A den O mit der Frage nach Zigaretten ab, worauf B hinter den Verkaufstresen geht und ihm ein Messer an den Hals hält. Nach Aufforderung des A öffnet O die Kasse, woraufhin C das darin enthaltene Geld entnimmt. A, B und C flüchten mit dem Fahrzeug und teilen die Beute auf.

Wie hat sich A strafbar gemacht? Ggf. erforderliche Strafanträge gelten als gestellt.


Skizze

Gutachten

A. Strafbarkeit gem. § 242 I StGB

A könnte sich wegen Diebstahls gem. § 242 I StGB strafbar gemacht haben, indem er in der von vornherein gefassten Absicht, den Kraftstoff nicht zu bezahlen, Benzin an der SB-Tankstelle in seinen Pkw füllte.

I. Tatbestand

1. Fremde bewegliche Sache

Es müsste sich bei dem Benzin um eine fremde bewegliche Sache handeln, also einen körperlichen Gegenstand – ohne Rücksicht auf seinen Aggregatszustand[1]Fischer, StGB, 70. Aufl. 2023, § 242 Rn. 3. – , der im natürlichen Sinne beweglich ist[2]Fischer, StGB, 70. Aufl. 2023, § 242 Rn. 4. und nicht im Alleineigentum des Täters steht.[3]Lackner/Kühl/Heger/Heger, StGB, 30. Aufl. 2023, § 242 Rn. 4. Das Benzin ist eine Flüssigkeit, die im natürlichen Sinne, z.B. durch das Betätigen der Zapfsäule, bewegt werden kann.

Fraglich ist, ob das Benzin für A auch fremd ist. 

a) Eine Ansicht

Teilweise wird vertreten, der Tankstellenbetreiber unterbreite dem sich selbst bedienenden Kunden bereits mit Aufstellen der Tanksäule ein Angebot auf Übereignung des Benzins, das vom Kunden durch Einfüllen des Kraftstoffs in den Tank angenommen werde. Insofern vollziehe sich die Übereignung bereits an der Tanksäule gem. § 929 S. 1 BGB.[4]OLG Düsseldorf NJW 1982, 249; Herzberg, NJW 1984, 896 (898). Hiernach wäre dem A das Benzin nicht fremd. 

b) Andere Ansicht

Nach der Gegenansicht vollziehe sich die dingliche Einigung wie beim Kauf in Selbstbedienungsläden erst nach § 929 S. 2 BGB an der Kasse, sofern nicht ohnehin ein Eigentumsvorbehalt gem. § 449 BGB vereinbart wurde.[5]OLG Koblenz NStZ-RR 1998, 364; NK-StGB/Kindhäuser, 5. Aufl. 2017, § 242 Rn. 17. Hiernach wäre dem A das Benzin fremd.

c) Weitere Ansicht

Denkbar wäre auch, einen gesetzlichen Eigentumserwerb des Tankenden gem. § 948 I BGB i.V.m. § 947 I BGB anzunehmen. Da der Tankende über § 948 I BGB i.V.m. § 947 I BGB jedoch bloß Miteigentümer der Sache würde, wäre das Benzin für A immer noch fremd i.S.v. § 242 I StGB

d) Stellungnahme

Die Ansichten kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, weshalb eine Stellungnahme erforderlich ist. Die Ansicht, die einen Eigentumsübergang bereits an der Tanksäule nach Maßgabe des § 929 S. 1 BGB annimmt, läuft den Anschauungen des täglichen Lebens zuwider und ist mit einer Auslegung von Willenserklärungen nach den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB nicht zu vereinbaren. Denn es wird regelmäßig nicht dem Willen des Tankstelleninhabers entsprechen, an seine Kunden vorzuleisten. Vielmehr soll die Leistung Zug-um-Zug, d.h. Ware gegen Geld, erfolgen. Daher ist diese Ansicht abzulehnen. Ob sich die Übereignung rechtsgeschäftlich nach § 929 S. 2 BGB an der Kasse oder gesetzlich nach § 948 I BGB i.V.m. § 947 I BGB vollzieht, ist nicht zu entscheiden, da beide Ansichten zu dem Ergebnis kommen, dass das Benzin eine für A fremde Sache ist. Folglich ist das Benzin eine für A fremde, bewegliche Sache.

2. Wegnahme

A müsste das Benzin auch weggenommen haben. Die Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsams.[6]Rengier, BT I, 23. Aufl. 2021, § 2 Rn. 22. Gewahrsam ist die von einem natürlichen Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft, deren Reichweite sich nach der Verkehrsauffassung bestimmt.[7]BGHSt 8, 275; BGHSt 16, 271; Fischer, 70. Aufl. 2023, § 242 Rn. 11; zur Geschichte des Gewahrsamsbegriffs: Rönnau JuS 2009, 1088. Der Bruch des Gewahrsams bedeutet dabei, dass die Aufhebung des Gewahrsams ohne oder gegen den Willen des Gewahrsamsinhabers stattfindet.[8]MüKoStGB/Schmitz, 4. Aufl. 2021, § 242 Rn. 86; a.A. Rotsch, GA 2008, 65; Ludwig/Lange, JuS 2000, 446 (449 f.). Entscheidend ist allein der Wille des Berechtigten; ausdrücklich erklärt werden muss ein Einverständnis nicht, es kann vielmehr auch generell und antizipiert erteilt werden.[9]MüKoStGB/Schmitz, 4. Aufl. 2021, § 242 Rn. 87. An dem Benzin der SB-Tankstelle hat regelmäßig der Tankstelleninhaber die vom natürlichen Herrschaftswillen getragene Sachherrschaft. Er ist mithin Gewahrsamsinhaber und damit Berechtigter. Da das Geschäftskonzept einer SB-Tankstelle gerade darauf beruht, dass der Kunde das Benzin selbst in den Tank füllt, unabhängig davon, ob er dabei beobachtet oder ihm das Einfüllen im Einzelfall erlaubt wird, ist der Tankstellenbetreiber mit dem Einfüllen des Kraftstoffes grundsätzlich bei ordnungsgemäßer Bedienung der Zapfsäule einverstanden (sog. tatbestandsausschließendes Einverständnis[10]Böhringer/Wagner, ZJS 2014, 557 (558); Ast, NStZ 2013, 305 (305f.); Joecks/Jäger, Strafgesetzbuch, Studienkommentar, 13. Aufl. 2021, § 242 Rn. 61.).[11]Fischer, StGB, 70. Aufl. 2023, § 242 Rn. 24; MüKoStGB/Schmitz, 4. Aufl. 2021, § 242 Rn. 111. Vorliegend bediente A die Zapfsäule ordnungsgemäß. Mithin liegt aufgrund des tatbestandsausschließenden Einverständnisses kein Bruch des Gewahrsams und damit keine Wegnahme durch A vor. 

Vernetztes Lernen: Wie wird der Gewahrsam in sozialen Abhängigkeitsverhältnissen behandelt? Überlege dir ein Beispiel.

In vielen Fällen steht eine Person, die die unmittelbare Zugriffsmöglichkeit auf eine Sache hat, in einem sozialen Abhängigkeitsverhältnis zu dessen Eigentümer. Dies gilt z.B. für den Arbeiter, der von seinem Arbeitgeber die Werkzeuge (nicht aber die Maschinen, wie Kran, Bagger, etc.) zur Verfügung gestellt bekommt, die er für die Ausübung seiner Tätigkeit benötigt. Damit vergleichbar ist die Kassiererin im Supermarkt, die morgens vom Geschäftsherrn eine bestimmte Menge Bargeld in einer Kasse erhält und am Abend Wechselgeld nebst Einnahmen dem Geschäftsherrn zurückgibt.[12]Vgl. für den Gewahrsam von Angestellten an Kassenbeständen: RGSt 30, 88; RGSt 77, 34 BGH NStZ-RR 1996, 131 (132); BGH NStZ-RR 2001, 268; OLG Zweibrücken NStZ-RR 2018, 249 (250).
Dazu hat sich in der Rechtsprechung eine reiche Kasuistik und in der Literatur[13]Vgl. für einen Überblick: BeckOK StGB/Wittig, 58. Ed. 1.8.2023, StGB § 242 Rn. 19-20.1. eine große Meinungsvielfalt gebildet. Es gibt den übergeordneten Gewahrsam, den gleichberechtigten Mitgewahrsam und den bloß untergeordneten (Mit-)Gewahrsam.[14]Vgl. für Beispiele zum gestuften Mitgewahrsam: BGHSt 8, 273 (276); BGHSt 16, 271; BGH NStZ-RR 1996, 131 (132); BGH NStZ-RR 2015, 142; BGH NStZ-RR 2018, 108.

II. Ergebnis

A hat sich nicht wegen Diebstahls gem. § 242 I StGB strafbar gemacht.

B. Strafbarkeit gem. § 263 I StGB

A könnte sich wegen Betruges gegenüber dem O und zu Lasten der Tankstellenbetreiberin gem. § 263 I StGB strafbar gemacht haben, indem er in der von vornherein gefassten Absicht, den Kraftstoff nicht zu bezahlen, Benzin an der SB-Tankstelle in seinen Pkw füllte.

I. Tatbestand

1. Täuschung über Tatsachen

A müsste über Tatsachen getäuscht haben. Tatsachen sind Vorgänge der Gegenwart oder der Vergangenheit, die dem Beweis zugänglich sind.[15]Fischer, 70. Aufl. 2023, § 263 Rn. 6. Täuschung ist ein zur Irreführung bestimmtes und damit der Einwirkung auf die Vorstellung eines anderen dienendes Gesamtverhalten.[16]Lackner/Kühl/Heger/Heger, StGB, 30. Aufl. 2023, § 263 Rn. 6. Mit dem Tankvorgang hat A schlüssig zum Ausdruck gebracht, das Benzin nach dem Einfüllen zu bezahlen, obwohl er dies nicht vorhatte. Er ist sogar nach dem Tankvorgang in den Verkaufsraum gegangen. Mithin hat A über Tatsachen getäuscht.

2. Irrtum

Weiterhin müsste dadurch ein Irrtum bei O hervorgerufen worden sein. Der Irrtum setzt eine Fehlvorstellung, also die positive Vorstellung einer der Wirklichkeit widersprechenden Tatsache voraus.[17]BGHSt 59, 68, 71; BGH NJW 16, 3383. O hatte den Tankvorgang von A nicht bemerkt. Er hatte keine Vorstellung über die Zahlungswilligkeit von A. Somit liegt kein Irrtum bei O vor.

II. Ergebnis

A hat sich nicht wegen Betruges gegenüber dem O und zu Lasten der Tankstellenbetreiberin gem. § 263 I StGB strafbar gemacht.

C. Strafbarkeit gem. §§ 263 I, II, 22, 23 I StGB

Stattdessen könnte sich A wegen versuchten Betruges gegenüber dem O und zu Lasten der Tankstellenbetreiberin gem. §§ 263 I, II, 22, 23 I StGB strafbar gemacht haben, indem er in der von vornherein gefassten Absicht, den Kraftstoff nicht zu bezahlen, Benzin an der SB-Tankstelle in seinen Pkw füllte und O dies nicht bemerkte.

I. Vorprüfung

Die Versuchsstrafbarkeit folgt aus §§ 263 II, 23 I StGB. Mangels eines Irrtums des O ist der Betrug nicht vollendet.

II. Tatentschluss

A müsste den Tatentschluss gem. § 22 StGB gefasst haben. Dieser umfasst den Vorsatz, also den Willen zur Verwirklichung des Tatbestandes in Kenntnis aller objektiven Tatbestandsmerkmale zum Tatzeitpunkt[18]Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 52. Aufl. 2022, Rn. 313. sowie weitere subjektive Tatbestandsmerkmale.[19]Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 52. Aufl. 2022, Rn. 939.

1. Vorsatz hinsichtlich der Täuschung über Tatsachen

A müsste Vorsatz hinsichtlich der Täuschung über Tatsachen gehabt haben. A hatte von Anfang an vor, das getankte Benzin nicht zu bezahlen. Er rechnete mit der Beobachtung durch einen Tankstellenmitarbeiter, welchen er über seine Zahlungswilligkeit täuschen wollte. Mithin hatte A Vorsatz hinsichtlich der Täuschung über Tatsachen.

2. Vorsatz hinsichtlich des Irrtums

A müsste also Vorsatz hinsichtlich des Irrtums gehabt haben. Bei realitätsnaher Betrachtung unter den heutigen Verhältnissen ist an SB-Tankstellen stets mit der Möglichkeit der unmittelbaren oder durch Überwachungsanlagen vermittelten Wahrnehmung zu rechnen. Abgesehen von Ausnahmesituationen ist daher davon auszugehen, dass der Täter beim Vorfahren an der Tankstelle billigend in Kauf nimmt, er könne jederzeit bemerkt werden und dass er für diesen Fall auf eine Irreführung des Beobachters abzielt, also mit zumindest bedingtem Täuschungsvorsatz handelt.[20]OLG Köln, NJW 2002, 1059 (1060). A tankt sein Auto ohne zahlungswillig zu sein. Um unerkannt zu bleiben, verdeckt er während des Tankvorgangs sein Gesicht. A geht also davon aus, beobachtet zu werden. Nach seiner Vorstellung ruft er bei dem ihn beobachtenden Dritten eine Fehlvorstellung über seine Zahlungsbereitschaft hervor. Dies wollte A auch. Folglich liegt Vorsatz hinsichtlich des Irrtums vor.

3. Vorsatz hinsichtlich einer Vermögensverfügung

Weiterhin müsste A Vorsatz bzgl. einer Vermögensverfügung gehabt haben. Eine Vermögensverfügung ist jedes Handeln, Dulden oder Unterlassen, das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt, wobei eine rein faktische Vermögensminderung genügt.[21]BGHSt 14, 170; BGHSt 50, 175; Fischer, 70. Aufl. 2023, § 263 Rn. 70; Jäger, JuS 2010, 761. Die Vermögensverfügung wird in Fällen des SB-Tankens unterschiedlich behandelt.

a) Eine Ansicht

Nach einer Ansicht liegt die Vermögensverfügung darin, dass der Tankstelleninhaber den Tankvorgang bewusst zulässt.[22]BGH NJW 1983, 2827; BGH NStZ 2012, 324; Fischer, StGB, 70. Aufl. 2023; § 263 Rn. 33.; Rebler JA 2013, 179 (181); Schönke/Schröder/Perron, StGB, 30. Aufl. 2019, § 263 Rn. 63b; … Continue reading Dementsprechend wird Betrug bzw. versuchter Betrug angenommen, wenn das Tankstellenpersonal den Tankvorgang wahrnimmt bzw. der Täter davon ausgeht dabei beobachtet zu werden.[23]BGH NJW 1983, 2827; BGH NStZ 2012, 324; Fischer, StGB, 70. Aufl. 2023; SSW-StGB/Satzger, 5. Aufl. 2021, § 263 Rn. 185. A geht davon aus, beim Tankvorgang beobachtet zu werden. Da er dabei nicht unterbrochen wird, stellt er sich vor, der Tankvorgang würde geduldet werden. Mithin liegt nach dieser Ansicht eine Vermögensverfügung vor.

b) Andere Ansicht

Nach anderer Ansicht wird dagegen eingewandt, dass heute die SB-Tankstellen nicht für den einzelnen Kunden freigeschaltet werden, sondern diese unabhängig vom konkreten Willen des Tankstelleninhabers bzw. des Tankstellenpersonals tanken können. Es liege daher regelmäßig kein Verfügungsbewusstsein vor. Dieses dürfe auch nicht einfach unterstellt werden.[24]Ast, NStZ 2013, 305 (307). Auch die dauerhafte Videoüberwachung könne daran nichts ändern, da das Tankstellenpersonal heutzutage deutlich mehr Aufgaben erledigen müsse, als die Freischaltung oder Überwachung der Zapfsäulen.[25]Ernst, Jura 2013, 454 (456). Nach dieser Ansicht läge hier kein Verfügungsbewusstsein und somit auch keine Vermögensverfügung vor.

c) Stellungnahme

Die Ansichten kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, weshalb eine Stellungnahme notwendig ist. Es leuchtet ein, dass sich der Beruf des Tankstellenwarts insofern weiterentwickelt hat, als er nicht mehr allein das Freischalten der Zapfsäule beinhaltet.[26]Ernst, Jura 2013, 454 (456). AIlerdings darf nicht übersehen werden, dass der Tankstelleninhaber durch das Aufstellen der Zapfsäule einen Automaten zur Verfügung stellt und damit das – beim Diebstahlstatbestand tatbestandsausschließende – Einverständnis mit der „Wegnahme“ des Benzins zum Ausdruck bringt, wobei dieses Einverständnis nur an die Bedingung der äußerlich ordnungsgemäßen Bedienung geknüpft sein kann.[27]SSW-StGB/Satzger, 5. Aufl. 2021, § 263 Rn. 185 und § 242 Rn. 29. Der innere Vorbehalt, nicht zahlen zu wollen, schließt somit das Einverständnis des Tankstelleninhabers nicht aus. Eine Wegnahme liegt daher regelmäßig nicht vor. Entsprechend ist hier dann jedenfalls Raum für einen (zumindest versuchten) Betrug.[28]SSW-StGB/Satzger, 5. Aufl. 2021, § 263 Rn. 185. Der ersten Ansicht ist mithin zu folgen, sodass eine Vermögensverfügung vorliegt. Diese hatte A auch in seinen Vorsatz aufgenommen.

d) Dreiecksbetrug

Problematisch könnte jedoch sein, dass die Vermögensminderung, die durch die Verfügung eintreten muss (und alsdann der Vermögensschaden) nicht bei dem O eintrat, sondern bei der Tankstellenbetreiberin. Allerdings müssen in der Konstellation des Dreiecksbetrugs Verfügender und Geschädigter nicht identisch sein.[29]Statt vieler Joecks/Jäger, 13. Aufl. 2021, § 263 Rn. 90; anders nur Eberl Jura 2008, 256. Wesentlich in den Fällen des Auseinanderfallens von Verfügendem und Geschädigtem ist aber, dass die Verfügung dem Geschädigten zugerechnet werden kann, mit der Folge, dass die Handlung des Verfügenden im Ergebnis als eine des Geschädigten erscheint. Die Voraussetzungen einer solchen Zurechnung sind zwar streitig, da O aber aufgrund seiner Stellung als Angestellter der Tankstellenbetreiberin in einem ausreichenden Näheverhältnis zu dieser steht, er faktisch in der Lage ist und rechtlich die Befugnis hat, über deren Vermögen zu verfügen, ist nach allen vertretenen Ansichten eine Zurechnung möglich.

Anmerkung: Weiterer Fall zum Dreiecksbetrug

Für einen weiteren Fall mit ausführlicher Ausführung zum Dreiecksbetrug siehe den Dienststiefel-Fall.

4. Vorsatz hinsichtlich eines Vermögensschadens

Schließlich müsste A Vorsatz hinsichtlich eines Vermögensschadens gehabt haben. Vermögen ist die Summe aller geldwerten Güter einer Person.[30]Joecks/Jäger, 13. Aufl. 2021, § 263 Rn. 101. Ein Vermögensschaden bestimmt sich bei Austauschbeziehungen durch eine Gesamtsaldierung, also einen Vergleich des Vermögensstandes vor und nach der Verfügung.[31]Joecks/Jäger, 13. Aufl. 2021, § 263 Rn. 101. A hatte von Anfang an nicht vor für das Benzin zu bezahlen. Nach seiner Vorstellung sollte also durch den Tankvorgang eine Minderung im Vermögen der Tankstellenbetreiberin entstehen. Ob A mit dem Einfüllen bereits das Eigentum an dem Benzin erlangt, kann dabei dahingestellt bleiben. Jedenfalls bringt der A durch die Täuschungshandlung das Benzin in seinen Besitz und erlangt damit einen Vermögensvorteil i.S.d. § 263 StGB, dem auf Seiten der geschädigten Tankstelleninhaberin ein entsprechender Vermögensnachteil gegenüber steht.[32]Siehe zu einem ähnlichen Fall: BGH NStZ 2012, 324. Folglich hatte A Vorsatz hinsichtlich des Vermögensschadens.

5. Absicht zur rechtswidrigen und stoffgleichen Bereicherung

Zudem müsste A mit der Absicht zu einer rechtswidrigen und stoffgleichen Bereicherung gehandelt haben. A kommt es darauf an, sich einen Vermögensvorteil durch das Tanken ohne zu bezahlen zu verschaffen. Auf den erzielten Mehrwert hat A auch keinen zivilrechtlichen Anspruch. Dieser Mehrwert stellt das Spiegelbild zum eingetretenen Vermögensschaden dar. Mithin hat A mit der Absicht zu einer rechtswidrigen und stoffgleichen Bereicherung gehandelt.

III. Unmittelbares Ansetzen

Mit Beginn des Tankvorgangs hat A gem. § 22 StGB zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar angesetzt.

IV. Rechtswidrigkeit und Schuld

Rechtfertigungs- sowie Entschuldigungs- oder Schuldausschließungsgründe sind nicht ersichtlich. A handelt rechtswidrig und schuldhaft.

V. Rücktritt

Ein Rücktritt (§ 24 StGB) vom Versuch ist nicht gegeben.

VI. Strafantrag

Bei dem getankten Benzin handelt es sich nicht um eine geringwertige Sache von unter 25€.[33]Fischer, StGB, 70. Aufl. 2023, § 248a Rn. 3a. Ein Strafantrag gemäß §§ 263 IV, 248a StGB war nicht erforderlich.

VII. Ergebnis

A hat sich wegen versuchten Betruges gegenüber dem O und zu Lasten der Tankstellenbetreiberin gem. §§ 263 I, II, 22, 23 I StGB strafbar gemacht.

D. Strafbarkeit gem. § 246 I StGB

Es kann dahinstehen, ob eine ebenfalls in Betracht kommende Unterschlagung gem. § 246 I StGB vorliegt. Sie tritt zumindest hinter den versuchten Betrug gem. §§ 263 I, II, 22, 23 I StGB als formell subsidiär zurück (§ 246 I StGB).

E. Strafbarkeit gem. §§ 249 I, 250 II Nr. 1, 25 II StGB

A könnte sich wegen gemeinschaftlichen schweren Raubes gem. §§ 249 I, 250 II Nr. 1, 25 II StGB strafbar gemacht haben, indem er O durch seine Frage ablenkte, damit B ihm ein Messer an den Hals halten konnte und C das Geld aus der Kasse nahm.

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand 
a) Grundtatbestand des Raubs, § 249 I StGB
aa) Fremde bewegliche Sache

Bei dem Geld handelt es sich um eine fremde, im Alleineigentum der Tankstellenbetreiberin stehende, bewegliche Sache.

bb) Wegnahme

Weiterhin müsste eine Wegnahme vorliegen. Indem C das Geld aus der Kasse nahm, hob er den Gewahrsam der Tankstelleninhaberin bzw. des O gegen ihren bzw. seinen Willen auf. Als er sich entfernte, begründet er neuen Gewahrsam, sodass eine Wegnahme vorliegt. Mithin hat der C und nicht der A die Tathandlung i.S.d. § 249 I StGB vorgenommen. In Betracht kommt jedoch eine Zurechnung über § 25 II StGB, soweit A, B und C mittäterschaftlich zusammengewirkt haben. Dafür bedarf es erstens einer gemeinsamen Tatausführung und zweitens eines gemeinsamen Tatplans. 

A, B und C müssten den Raub gemeinsam ausgeführt haben. Dies setzt nach der strengeren Tatherrschaftslehre voraus, dass jeder Beteiligte im Ausführungsstadium einen wesentlichen Beitrag zur Tat geleistet hat.[34]Rengier, Strafrecht AT, 15. Aufl. 2023, § 44 Rn. 40. A, B und C wirkten im Verkaufsraum zusammen. A lenkte den O ab, sodass B diesen überwältigen konnte. Nach Aufforderung des A öffnete O die Kasse und C entnahm das Geld. Alle Beteiligten leisteten einen wesentlichen Beitrag zur Tat.

Darüber hinaus müsste ein gemeinsamer Tatplan der Beteiligten vorgelegen haben. Ein gemeinsamer Tatplan liegt vor, wenn sich zwei oder mehrere Personen verabreden ernsthaft, im gegenseitigen Einverständnis, die Tat gemeinsam zu begehen und die jeweiligen Tatausführungen des jeweils anderen als Tatbeitrag anzuerkennen.[35]Rengier, Strafrecht AT, 15. Aufl. 2023, § 44 Rn. 11. A, B und C haben vereinbart, die Tankstelle unter Verwendung eines Messers zu überfallen. Ein gemeinsamer Tatplan der Beteiligten lag mithin vor.

Folglich kann die Handlung des C – die Wegnahme des Geldes – dem A zugerechnet werden. Eine Wegnahme liegt mithin vor.

Anmerkung: Weiterer Fall zur Abgrenzung Täterschaft und Teilnahme

Ausführlich zu den Voraussetzungen und dem Streit zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme siehe beispielhaft den Fall Einbruch bei Toten.

cc) Qualifiziertes Nötigungsmittel

Des Weiteren müsste A selbst oder zurechenbar Gewalt gegen eine Person angewendet oder mit einer Gefahr für Leib oder Leben gedroht haben. 

B könnte durch das Messer eine Drohung gegen O gerichtet haben. Die Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben ist das (auch konkludente) Inaussichtstellen eines künftigen Übels, auf das der Drohende Einfluss zu haben vorgibt.[36]BGHSt 16, 386; Fischer, StGB, 70. Aufl. 2023, § 240 Rn. 31. 

Das Halten eines scharfen Gegenstandes (Messer) an eine empfindliche Körperstelle (Hals bzw. Halsschlagader) stellt ein künftiges Übel für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit des O in Aussicht, auf dessen Eintritt der B hier unmittelbar Einfluss hatte. Mithin liegt eine Drohung mit einer Gefahr für Leib und Leben des O durch B vor. Auch dieses Verhalten kann dem A gem. § 25 II StGB zugerechnet werden.

Vernetztes Lernen: Wie wäre der Fall zu beurteilen, wenn B anstelle eines Messers eine geladene Schreckschusspistole, deren Gasdruck nach vorne aus dem Lauf austritt, an die Schläfe des O halten würde?

Zunächst könne über die Waffeneigenschaft der Schreckschusspistole diskutiert werden.

e.A. (Rspr.)
Der BGH[37]BGHSt 48, 197. sieht Schreckschusswaffen als Waffen i.S.d. § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB an und zwar unabhängig davon, ob der Täter sie aus kurzer (dann objektiv gefährlich wegen des Explosionsdrucks) oder längerer Distanz gegenüber dem Opfer einsetze. Er verweist dabei auf die Vergleichbarkeit mit Messern, bei denen es ebenfalls nicht auf die Distanz ankomme.

a.A.
In der Literatur[38]Fischer, StGB, 70. Aufl. 2023, § 250, Rn. 5a-5e;Wessels/Hillenkamp/Schuhr, Strafrecht BT/2, 45. Aufl. 2022, Rn. 276, 387; Geppert Jura 1999, 605. wird hingegen teilweise schon die Waffeneigenschaft von Gas- und Schreckschusspistolen verneint, jedenfalls aber das Verwenden, wenn es aus der langen Distanz heraus erfolge, da dann keine objektive Gefährlichkeit vorläge.

Sollte man mit der Lit. zu dem Ergebnis kommen, dass keine Waffe vorliegt, dann wäre anschließend die Schreckschusspistole wohl in diesem Fall aber zumindest als gefährliches Werkzeug zu qualifizieren gewesen.

dd) Finalzusammenhang

B stellt den Gebrauch des Messers in Aussicht, um die Wegnahme des Geldes zu ermöglichen. Mithin besteht ein Finalzusammenhang zwischen Nötigungsmittel und Wegnahme.

ee) Zwischenergebnis

Der objektive Tatbestand von § 249 I StGB ist erfüllt.

b) Qualifikation

Indem B das Messer zur Bedrohung des O für A zurechenbar nutzte, könnte bei der Tat der Qualifikationstatbestand des § 250 II Nr. 1 StGB erfüllt worden sein. Dazu müsste ein gefährliches Werkzeug verwendet worden sein. Verwenden i.S.v. § 250 II Nr. 1 StGB ist jeder zweckgerichtete Gebrauch im Rahmen der Verwirklichung des Raubtatbestandes, also der Einsatz des Werkzeugs als Mittel der Gewaltanwendung oder der Drohung mit Gewalt.[39]Fischer, StGB, 70. Aufl. 2023, § 250 Rn. 18. Ein gefährliches Werkzeug ist jeder bewegliche Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall dazu geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen.[40]Fischer, StGB, 70. Aufl. 2023, § 224 Rn. 12, 14 m.w.N. Indem B das Messer an den Hals des O hält, stellt er diesem ein empfindliches Übel für seine Gesundheit Aussicht. Das Messer wird als Mittel der Drohung mit Gewalt zur Ermöglichung der Wegnahme verwendet. Ein Messer ist ein beweglicher Gegenstand, der aufgrund seiner scharfen Klinge und des Haltens an den Hals einer anderen Person abstrakt und im konkreten Fall dazu geeignet ist, erhebliche Verletzungen (z.B. an der Halsschlagader) hervorzurufen. Es ist mithin auch ein gefährliches Werkzeug i.S.d. § 250 II Nr. 1 StGB. Die Verwendung des gefährlichen Werkzeuges durch B ist dem A auch gem. § 25 II StGB zuzurechnen. Mithin ist der Qualifikationstatbestand nach § 250 II Nr. 1 StGB erfüllt.

2. Subjektiver Tatbestand

A handelt vorsätzlich und mit der Absicht, sich und seinen Mittätern das Geld rechtswidrig durch die Anwendung von oder Drohung mit Gewalt zuzueignen. Er handelt auch vorsätzlich hinsichtlich der Verwendung des gefährlichen Werkzeugs gem. § 250 II Nr. 1 StGB.

II. Rechtswidrigkeit und Schuld

Rechtfertigungs- sowie Entschuldigungs- oder Schuldausschließungsgründe sind nicht ersichtlich. A handelt rechtswidrig und schuldhaft.

III. Ergebnis

A hat sich wegen schweren Raubes in Mittäterschaft gem. §§ 249, 250 II Nr. 1, 25 II StGB strafbar gemacht. Eine Strafbarkeit wegen Nötigung nach § 240 I StGB und Diebstahl nach § 242 I StGB tritt dahinter im Wege der Spezialität zurück. 

F. Gesamtergebnis und Konkurrenzen

Der Tankvorgang und der Raubüberfall auf die Tankstelle beruhten auf einem einheitlichen Tatentschluss und spielten sich binnen drei Minuten am selben, lediglich einige Quadratmeter umfassenden Ort ab. Die Handlungen des A gingen ohne Zäsur ineinander über. Bei natürlicher Betrachtungsweise stellt sich das gesamte Tätigwerden des A auch aus der Sicht eines Dritten als ein einheitlich zusammengefasstes Tun dar (sogenannte natürliche Handlungseinheit) und steht daher im Verhältnis der Tateinheit im Sinne von § 52 StGB.[41]st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 63, 1, 6.

A ist demnach strafbar wegen gemeinschaftlich begangenen schweren Raubes gem. §§ 249, 250 II Nr. 1, 25 II StGB in Tateinheit nach § 52 StGB mit versuchtem Betrug gem. §§ 263 I, II, 22, 23 I StGB.


Zusatzfragen

1. Im Anschluss wird A, trotz seiner Bemühungen unerkannt zu bleiben, identifiziert. Er wird zur polizeilichen Beschuldigtenvernehmung vorgeladen, erscheint aber nicht. Hat das Nichterscheinen des A zur polizeilichen Vernehmung Konsequenzen?

Eine rechtliche Verpflichtung zum Erscheinen zur polizeilichen Vernehmung besteht nicht und kann folglich auch nicht erzwungen werden. Dies ergibt sich aus einem Umkehrschluss zu § 163a III StPO, der eine Verpflichtung des Beschuldigten, auf Ladung zur Vernehmung zu erscheinen, nur für den Fall der Ladung durch die Staatsanwaltschaft vorsieht. Da die Verpflichtung zum Erscheinen einen Grundrechtseingriff bedeutet, müsste hierfür eine gesetzliche Ermächtigung vorliegen. Allerdings muss A nun damit rechnen, von der Staatsanwaltschaft vorgeladen zu werden. Dieser Vorladung müsste er sodann Folge leisten.

2. In welchen Fällen empfiehlt es sich für die Staatsanwaltschaft, im Rahmen des Ermittlungsverfahrens eine richterliche Vernehmung von Beschuldigten oder Zeugen zu beantragen?

Eine richterliche Vernehmung von Beschuldigten oder Zeugen empfiehlt sich, wenn es zur Beweissicherung bzw. besseren Aufklärung erforderlich ist, § 162 I StPO. Die dort gemachten Zeugenaussagen sind für das Verfahren „sicherer“, wenn zum Beispiel bereits im Ermittlungsverfahren klar ist, dass der vernommene Zeuge oder Beschuldigte in der späteren Hauptverhandlung ausfällt. Auch kann zum Beispiel die Abnahme von Eiden (§ 161a I 3 StPO) erforderlich sein.
Außerdem sind in der Hauptverhandlung soweit nur richterliche Vernehmungsprotokolle verlesbar, vgl. §§ 251 II, 254, 255 a II StPO. Bei einem Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht gem. § 252 StPO gebraucht macht, besteht ein Verlesungsverbot. Nach der Rspr. besteht außerdem ein Verwertungsverbot für die Aussagen von im Ermittlungsverfahren beteiligten Vernehmungsbeamten der Polizei oder Staatsanwaltschaft. Im Falle einer früheren richterlichen Vernehmung soll hingegen die Vernehmung der richterlichen Vernehmungsperson zulässig sein.[42]Beulke/Swoboda, StPO, 16. Aufl. 2022, Rn. 486, 643ff.


Zusammenfassung

1. Wird der unter Vorspiegelung der Zahlungsbereitschaft durchgeführte Tankvorgang nicht vom Tankstellenpersonal bemerkt, ist der Täter wegen versuchten Betruges zu verurteilen, soweit er von einer Beobachtung ausging. Seine Bemühungen, unentdeckt zu bleiben, ändern an dieser rechtlichen Beurteilung nichts.

2. Ein Diebstahl kommt bei SB-Tankstellen häufig nicht in Betracht, da das Geschäftskonzept einer SB-Tankstelle gerade darauf beruht, dass der Kunde das Benzin selbst in den Tank füllt, unabhängig davon, ob er dabei beobachtet oder ihm das Einfüllen im Einzelfall erlaubt wird. Der Tankstellenbetreiber ist mit dem Einfüllen des Kraftstoffes grundsätzlich bei ordnungsgemäßer Bedienung der Zapfsäule einverstanden (sog. tatbestandsausschließendes Einverständnis).

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