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Auskunftsanspruch gegen den BND

BVerwG, Urteil vom 08.07.2021– BVerwG 6 A 10.20; BeckRS 2021, 27029

Sachverhalt – gekürzt und abgewandelt

J ist Journalist der Tageszeitung T. Schon länger ärgert er sich über die Undurchsichtigkeit der Pressearbeit des Bundesnachrichtendienstes (BND). Der BND führt bekanntlich sog. Kennenlerngespräche in seinen Räumlichkeiten in Berlin, bei welchen Medienvertreter*innen und Mitarbeiter*innen des BND sich kennenlernen. Darüber hinaus gibt es abseits der generellen Pressetermine auch Einzelgespräche, bei denen einigen Medienvertreter*innen die erwünschten Auskünfte erteilt werden. J möchte in diesem Zuge die Beziehungen zwischen dem BND und den Medien aufdecken. 

Deswegen begehrt J Auskunft über dessen Pressetätigkeiten: Zum einen möchte J wissen, welchen Medienvertreter*innen der BND in den Jahren 2019 und 2020 wann und zu welchem Anlass Zugang zu seinen Liegenschaften in Berlin gewährt hat. Zum anderen mit welchen seiner Kolleg*innen der BND im Jahr 2019 vertrauliche Einzelgespräche geführt hat. Der BND, der im Besitz der relevanten Informationen ist, beantwortet diese Fragen aus Sicht des J aber nur unzureichend. Der BND beschränkte sich darauf J mitzuteilen, dass insgesamt 44 Medienvertreter*innen Einzelgespräche wahrgenommen haben, wobei sowohl die Namen verschwiegen als auch die behandelten Themen nur abstrakt beschrieben worden sind. Informationen zu den Kennenlerntreffen verweigert der BND völlig.

Daher erhebt J verwaltungsrechtliche Klage und stützt sich auf den landesrechtlichen § 4 LPressG sowie auf seinen grundrechtlichen Auskunftsanspruch aus Art. 5 I 2 GG

Der BND verweist darauf, dass § 4 LPressG auf ihn nicht anwendbar sei. Ohnehin sei das Auskunftsbegehren des J durch die Pressefreiheit der anderen Medienvertreter*innen begrenzt, deren Recherche- und Redaktionsgeheimnis durch den BND gewahrt würde. Gleiches gelte auch für deren informationelle Selbstbestimmung. Eine Offenbarung der Namen und beteiligten Medien würde in Ansehung späterer Veröffentlichungen dann Rückschlüsse auf die einzelne Recherchearbeit ermöglichen – auch die Kennenlerngespräche fielen schon unter diesen Schutz, weil sie der Vorbereitung der Informationsbeschaffung dienen würden. Der BND sei in der Beantwortung des Auskunftsersuchens gebunden.  J widerspricht dem, weil sein Auskunftsinteresse dem Schutzinteresse klar überwiege. Er wolle nicht die Arbeit seiner Kollegen ausforschen, sondern nur die die Medienarbeit des BND beleuchten. Das Persönlichkeitsrecht sei, da man sich im einen Arbeitskontext bewege, sowieso nicht anwendbar.

Hat eine Klage der K vor dem Verwaltungsgericht Erfolg?

§ 4 LPressG – Informationsrecht der Presse

(1) Die Behörden sind verpflichtet, den Vertretern der Presse die der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe dienenden Auskünfte zu erteilen. […]


Skizze


Gutachten

Die Klage des J hat Erfolg, soweit sie zulässig und begründet ist.

A. Zulässigkeit der Klage

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

Der Verwaltungsrechtsweg müsste eröffnet sein. Mangels aufdrängender Sonderzuweisung ist § 40 I 1 VwGO heranzuziehen. Sowohl § 4 LPressG als auch Art. 5 I 2 GG verpflichten ausschließlich den BND als Hoheitsträger i.S.d. modifizierten Subjektstheorie. Unabhängig davon, dass Art. 5 I 2 GG eine verfassungsrechtliche Anspruchsgrundlage ist, streiten mit J und dem BND keine zwei Verfassungsorgane i.S.d. Theorie der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit. Mithin ist die Streitigkeit öffentlich-rechtlicher, nicht verfassungsrechtlicher Natur. Eine abdrängende Sonderzuweisung ist nicht ersichtlich. 

Vernetztes Lernen: Woraus ergibt sich die sachliche und örtliche Zuständigkeit im Verwaltungsrechtsweg?
Grundsätzlich entscheidet das Verwaltungsgericht im ersten Rechtszug (§ 45 VwGO). Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 52 VwGO.
Eine Zuständigkeit des OVG wiederum ergibt sich aus den §§ 46 ff. VwGO, wobei das OVG gleichzeitig als Rechtsmittelinstanz (§ 46 VwGO) als auch als Instanz im ersten Rechtszug tätig werden kann (§§ 47, 48 VwGO). Selbiges gilt für das BVerwG, §§ 49 f. VwGO. Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Streitigkeit, die in den Geschäftsbereich des BND fällt, sodass das BVerwG gem. § 50 I Nr. 4 VwGO im ersten Rechtszug zuständig wäre.

II. Statthafte Klageart

Welche Klageart statthaft ist, bemisst sich gem. § 88 VwGO nach dem Begehren des Klägers. K begehrt Auskunft vom BND über die Einzel- und Kennenlerngespräche. Dabei ist an eine Leistungsklage zu denken. Diese ist statthaft, wenn der Kläger ein Handeln, Tun oder Unterlassen begehrt, das nicht im Erlass eines Verwaltungsakts besteht. Die Leistungsklage ist zwar gesetzlich nicht geregelt, wird aber beispielsweise in § 43 II VwGO vorausgesetzt und ist insoweit gewohnheitsrechtlich anerkannt.[1]Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 12. Aufl. 2021, § 17 Rn. 1. Beim Auskunftsbegehren handelt es sich um einfaches Verwaltungshandeln, sodass eine Leistungsklage grundsätzlich statthaft wäre. 


Fraglich ist, ob dem Realakt eine regelnde Entscheidung mittels Verwaltungsakts vorgeschaltet ist. Dies ist unter anderem dann der Fall, wenn die Behörde eine eingehende Prüfung der Rechtslage vornehmen muss, also z.B. vor dem Verwaltungshandeln zur Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe oder dem Treffen einer Ermessensentscheidung verpflichtet ist.[2]Detterbeck, Alg. Verwaltungsrecht, 22. Aufl. 2022, Rn. 1391.. In diesem Fall wäre eine Verpflichtungsklage i.S.v. § 42 I Alt. 2 VwGO statthaft. Gem. § 4 LPressG „sind“ Informationen zu erteilen. Bei gebundenen Ansprüchen ist grundsätzlich davon auszugehen, dass hinsichtlich des „Obs“ keine regelnde Wirkung ergeht. Insbesondere verfassungsunmittelbare presserechtliche Auskunftsansprüche sind daher mit der Leistungsklage geltend zu machen.[3]BVerwG, NVwZ 2022, 248, 249, Rn. 15.

Anmerkung: Leistungs- und Verpflichtungsklage
Anders als bei einem Anspruch aus § 1 IFG geht die Rechtsprechung davon aus, dass der presserechtliche Auskunftsanspruch nicht durch Verpflichtungs- sondern Leistungsklage geltend zu machen ist. 

III. Klagebefugnis

Um Popularklagen zu vermeiden, bedarf es gem. § 42 II VwGO analog auch im Falle der Leistungsklage einer Klagebefugnis. Mithin dürfte ein Anspruch auf Auskunft i.S.d. Möglichkeitstheorie nicht von vorneherein ausgeschlossen sein. Da J Journalist ist, erscheint ein presserechtlicher Anspruch aus Art. 5 I 2 GG zumindest möglich.[4]BVerwG, NVwZ 2022, 248, 249, Rn. 15. Selbiges gilt für § 4 LPressG. J ist daher klagebefugt. 

IV. Klagegegner

Der Klagegegner richtet sich nach dem Rechtsträgerprinzip, sodass bei Bundesbehörden der Bund richtiger Klagegegner ist, wobei die Angabe der im Fall handelnden Behörde genügt.[5]Detterbeck, Alg. Verwaltungsrecht, 22. Aufl. 2022, Rn. 1343. Mithin ist der Bund Klagegegner. 

V. Beteiligten- und Prozessfähigkeit

J ist gem. § 61 Nr. 1 VwGO beteiligtenfähig, der Bund gem. § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO. Die Prozessfähigkeit ergibt sich für J wiederum aus § 62 I Nr. 1 VwGO und für den BND bei ordnungsgemäßer Vertretung aus § 62 III VwGO.

VI. Form und Frist

Besondere Fristerfordernisse sind i.R.d. Leistungsklage nicht zu beachten. J müsste die Klage auch formgerecht gem. § 81 VwGO einreichen.   

Vernetztes Lernen: Wann wäre eine Leistungsklage verwirkt?
Zwar sieht die Leistungsklage keine Frist vor, so kann eine Klage trotzdem verwirkt sein, wenn die Geltendmachung des Klagebegehrens wegen Zeitablauf im Einzelfall rechtsmissbräuchlich wäre.[6]Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 12. Aufl. 2021, § 17 Rn. 9. Eine Verwirkung kommt in Betracht, wenn der Klagegegner wegen des Verhaltens des Klagenden darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend macht und der Klagegegner auch tatsächlich darauf vertraut hat, dass dieses Recht nicht mehr ausgeübt wird, sodass durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde.[7]Ehlers, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 42. EL 2022, § Vorbemerkung 40 Rn. 103. Außerdem ist eine Verwirkung anzunehmen, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung des Rechtsfriedens die Anrufung des Gerichts im Einzelfall unzulässig erscheinen lässt.[8]Ibid.

VII. Rechtsschutzbedürfnis

Ein Rechtsschutzbedürfnis liegt nicht vor, wenn der Kläger auf kostengünstigerem und leichterem Wege sein Klagebegehren geltend machen kann, er auch mit Hilfe der Klage sein Ziel nicht erreichen würde oder die Inanspruchnahme des Rechtsschutzes rechtsmissbräuchlich wäre.[9]Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 12. Aufl. 2021, § 23 Rn. 11. J hat erfolglos versucht sich mit seinen Begehren direkt an den BND zu wenden. Dieser ist aus Sicht des J dem Auskunftsbegehren nicht hinreichend nachgekommen, sodass ein Rechtsschutzbedürfnis besteht.[10]BVerwG, NVwZ 2022, 248, 249, Rn. 15.

VIII. Zwischenergebnis

Die Klage ist zulässig.  

B. Begründetheit

Die Klage des J ist begründet, wenn dieser einen Anspruch gegen den BND auf die Erteilung der entsprechenden Auskünfte hat. 

I. Anspruch aus § 4 LPressG

Es könnte sich ein Anspruch aus § 4 LPressG ergeben. Fraglich erscheint jedoch, ob dieser überhaupt anwendbar ist, da es sich beim BND nicht um eine Landes-, sondern eine Bundesbehörde handelt.


Dafür könnte sprechen, dass sich aus dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gem. Art. 20 III GG ergibt, dass sich die Bundesbehörden im Rahmen ihrer Tätigkeit in den entsprechenden Ländern an die dort geltenden Regelungen halten müssen. Insbesondere unterliegt das Presserecht auch nicht einer Bundeskompetenz (vgl. Art. 73, 74 GG), sondern steht nach Art. 70 GG allein den Ländern zu.[11]Anm. Huber, NVwZ 2013, 1010 f. 

Dagegen ist aber anzuführen, dass das Presserecht keine eigene Gesetzesmaterie ist, die sich nach den Art. 70 ff. GG richtet. Vielmehr handelt es sich bei den presserechtlichen Tätigkeiten um eine bloße Annexkompetenz, die mit der jeweiligen Sachkompetenz einhergeht.[12]BVerwG, NVwZ 2013, 1006, 1008, Rn. 22 ff. Dies folgt daraus, dass der Staat die Möglichkeit hat Öffentlichkeitsarbeit zu leisten.[13]Vgl. BVerwG, NVwZ 2022, 248, 251, Rn. 31; auch: Anm. Gurlit, ZGI 2022, 32, 34. Welchem Rechtsbereich diese Öffentlichkeitsarbeit im föderalen Gefüge letztendlich zuzuordnen ist, bemisst sich also danach, ob die Tätigkeit der Behörde an sich dem Bundes- oder Landesrecht zugeordnet werden muss. Nach Art. 73 I Nr. 1 GG unterliegt die Verteidigung und der Schutz der Zivilbevölkerung dem Bund, darunter fällt auch die Arbeit des BND.[14]BVerwG, NVwZ 2013, 1006, 1008, Rn. 24. Da die Arbeit des BND also dem Bundesrecht unterfällt, ist auch dessen Pressetätigkeit als Annexkompetenz dem Bundesrecht zuzuordnen. Mithin haben landesrechtliche Auskunftsansprüche also keine Regelungswirkung für den BND, sodass § 4 LPressG nicht auf den BND anwendbar ist.

Anmerkung: Landesrechtliche Presseansprüche
Das BVerwG hat sich in seiner Entscheidung nicht mit landesrechtlichen Ansprüchen auseinandergesetzt – das liegt daran, dass es bereits 2013 (aus den eben dargelegten Gründen) in einem grundlegenden Urteil entschieden hat, dass die Landespressegesetze nicht gegenüber Bundesbehörden wirken können und hat (mangels einfacher bundesgesetzlicher Regelung) in diesem Zuge den verfassungsunmittelbaren Presseauskunftsanspruch entwickelt.[15]BVerwG, NVwZ 2013, 1006; vertiefend dazu: Cornils, DÖV 2013, 657 ff.; Huber, NVwZ 2013, 1010 f. Insofern wurde dies als ständige Rechtsprechung bereits vom BVerwG vorausgesetzt und bedurfte hier keiner weiteren Erörterung. Die Eingliederung in den Fall dient daher der didaktischen Aufarbeitung.

Neben dem Informationsfreiheitsgesetz, welches hier wegen der Ausschlussgründe des § 3 Nr. 8 IFG nicht anwendbar ist, finden sich landesrechtliche Presseansprüche in fast allen Ländern: § 4 LPressG, Art. 4 BayPrG, § 4 BlnPrG, § 5 BbgPG, § 4PressG, § 4 HmbPrG, § 3 HPressG, § 4 LPrG M-V, § 4 NPressG, § 4 LPresseG NRW, § 12a LMG, 3 5 SMG, § 4 SächsPresseG, § 4 PresseG LSA, § 4 LPrG SH, § 4 TPG.

II. Anspruch aus Art. 5 I 2 GG

1. Herleitung

Wegen der kompetenzbedingten Nichtanwendbarkeit der landesrechtlichen Vorschriften und in Ermangelung einer bundesgesetzlichen Regelung könnte sich ein solcher Anspruch direkt aus der Verfassung aus Art. 5 I 2 GG ergeben.[16]BVerwG, NVwZ 248, 249, Rn. 22. Bleibt der Bundesgesetzgeber, wie hier, untätig, muss unmittelbar auf Art. 5 I 2 GG als Rechtsgrundlage für pressespezifische Auskunftspflichten zurückgegriffen werden.[17]BVerwG, NVwZ 2013, 1006, 1009, Rn. 29. Ohne einen solchen Rückgriff, der – was nach der Verfassungsordnung die Ausnahme bleibt – den objektivrechtlichen Gewährleistungsgehalt des Grundrechts in einen subjektivrechtlichen Anspruch umschlägt, liefe die Pressefreiheit in ihrem objektivrechtlichen Gewährleistungsgehalt leer.[18]Ibid. Denn ohne Auskunftsanspruch wäre ein ungehinderter Zugang zu Informationen, wie er für eine freie Presse notwendig ist, nicht gegeben. Eine freie Presse ist aber aus demokratischen Gesichtspunkten essentiell, da sie gewährleistet, dass Bundesbehörden und staatliche Institutionen der öffentlichen Kontrolle unterliegen. Insofern gewährt die Freiheit der Presse aus Art. 5 I 2 GG nicht nur den Bestand und die institutionellen Rahmenbedingungen der Presse an sich, sondern kann auch als Individualrecht agieren.           

2. Voraussetzungen

Voraussetzung für den Auskunftsanspruchs ist, dass das Auskunftsbegehren einen hinreichend bestimmten Bezug auf konkrete Tatsachenkomplexe erkennen lässt, also hinreichend konkret ist.[19]BVerwG, NVwZ 2022, 248, 250, Rn. 22. Gegenstand des Anspruchs können insofern nur die Informationen sein, die auch beim BND vorhanden sind. Die Grenze des Auskunftsanspruchs liegt also da, wo die Behörde die Informationen erst beschaffen muss, weil sie noch nicht in dessen Besitz ist, der Informationsanspruch also zu einem Informationsverschaffungsanspruch umschlägt.[20]Ibid.

Der BND ist im Besitz der Informationen. Darüber hinaus ist die Anfrage des J auch hinreichend verständlich und konkret. Mithin sind die grundsätzlichen Voraussetzungen des presserechtlichen Auskunftsanspruchs auch erfüllt.

3. Ausschluss im Einzelfall

Der verfassungsunmittelbare Auskunftsanspruch des J wird durch das schutzwürdige öffentliche oder private Interesse an der Geheimhaltung von Informationen begrenzt. Insofern muss eine Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Presse und diesen Belangen vorgenommen werden.[21]BVerwG NvwZ 2022, 248, 250, Rn. 20. 

Entgegenstehende öffentliche Interessen hat der BND nicht geltend gemacht.  Demgegenüber können sich entgegenstehenden private Interessen insbesondere aus den Grundrechten Dritter ergeben, sodass eine praktische Konkordanz zwischen den verschiedenen Positionen herzustellen ist.[22]BVerwG, NVwZ 2022, 248, 250, Rn. 21. In diesem Falle könnten durch die Offenbarung von Informationen Grundrechtsinteressen der Medienvertreter*innen betroffen sein, die an den Kennenlernterminen und/oder Einzelgesprächen teilgenommen haben. 

Anmerkung: Ermächtigungsgrundlage
Der Art. 5 I 2 GG dient nach dem BVerwG in seiner Ausprägung als Auskunftsanspruch gleichzeitig auch als Ermächtigungsgrundlage, um in die Rechte Dritter einzugreifen, die durch die Auskunftserteilung tangiert sind.[23]BVerwG, NVwZ 2022, 248, 250, Rn. 21.
a) Informationen hinsichtlich der Kennenlerntermine

Bei Auskunftserteilung könnten die Medienvertreter*innen in ihrer Pressefreiheit, Art. 5 I 2 GG, oder ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, Art. 2 I i.Vm. Art. 1 I GG, betroffen sein. 

aa) Pressefreiheit

Dazu müssten die Kennenlerntermine zunächst in den Schutzbereich der Pressefreiheit fallen. Geschützt ist jedes Verhalten im Zusammenhang mit der Erzeugung und Verbreitung von Presseprodukten, also die Beschaffung der Information an sich bis hin zur Verbreitung der Nachrichten und Meinungen.[24]Epping, Grundrechte, 9. Aufl. 2021, Rn. 230. Somit muss auch die vorbereitende Recherchearbeit an sich erfasst sein, da diese die effektive Wahrnehmung der Aufgaben der freien Presse erst ermöglicht.[25]BVerwG, NVwZ 2022, 248, 251, Rn. 30. Insbesondere da die Presse zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben auf die Erteilung von Auskünften durch öffentliche Stellen angewiesen ist.[26]BVerwG, NVwZ 2022, 248, 253, Rn. 40. Die Kennenlerntermine dienen den Medienvertreter*innen und Medien als Grundlage, um zukünftig Informationen von den zuständigen Ansprechpartnern des BND zu beschaffen und unterfallen somit der Pressefreiheit.[27]BVerwG, NVwZ 2022, 248, 251, Rn. 31. Die Herausgabe eben dieser geschützten Informationen stellt ebenso einen Eingriff in Art. 5 I 2 dar.

Daher muss eine Abwägung zwischen der Pressefreiheit des J und der Medienvertreter*innen erfolgen. Einerseits muss J eine effektive Recherche in die Tätigkeit des BND ermöglicht werden, andererseits muss auch die Recherchetätigkeit seiner Kolleg*innen geschützt sein. Bei dieser Abwägung sind die Grundrechtsinteressen i.S.d. praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass beide zu optimaler Wirksamkeit gelangen und keine grundrechtliche Gewährleistung mehr als notwendig eingeschränkt oder gar gänzlich ihrer Wirksamkeit beraubt wird.[28]Epping, Grundrechte, 9. Aufl. 2021, Rn. 91.

Maßstab bei dieser Abwägung muss sein, ob bei Beantwortung der Fragen ein konkreter Bezug zu den Recherchen der Medienvertreter*innen hergestellt werden kann, der die Annahme einer Gefahr der Aufdeckung der Recherche durch Dritte rechtfertigt.[29]BVerwG, NVwZ 2022, 248, 252, Rn. 41. Dies ist bei den Kennenlernterminen zu verneinen, da sie keinen Bezug zu einer konkreten Recherche haben, sondern nur der ersten, ganz allgemeinen Kontaktaufnahme dienen, weshalb mit der Informationsweitergabe über Einzelheiten der Kennenlerntermine keine Gefahr der Aufdeckung konkreter Recherchen und Redaktionstätigkeiten verbunden ist.[30]BVerwG, NVwZ 2022, 248, 251, Rn. 32. Mithin kann dem Auskunftsanspruch des J bzgl. der Kennenlerntermine nicht die Pressefreiheit der Medienvertreter*innen entgegengehalten werden. 

bb) Allgemeines Persönlichkeitsrecht

Anderes könnte aber für das allgemeine Persönlichkeitsrecht gelten. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen.[31]Sodan/Ziekow, Grundkurs ÖR, 9. Aufl. 2020, § 27 Rn. 6 Darunter fällt als Ausprägung der Selbstbestimmung auch die Veröffentlichung persönlicher Angaben.[32]BVerwG, NVwZ 2022, 253, Rn. 33.

Bei der Abwägung ist aber zu beachten, dass die Kennenlerntermine nur die berufliche Tätigkeit der Medienvertreter*innen betreffen. Es besteht insofern ein starker Öffentlichkeitsbezug, sodass die Tätigkeit der Sozialsphäre und nicht in der schutzintensiveren Intim- und Privatsphäre zuzuordnen ist.[33]BVerwG, NVwZ 2022, 253, Rn. 33. Die Kennenlerntreffen unterliegen ferner keiner Vertraulichkeitsabrede und lassen – wie oben bereits dargelegt – keine Rückschlüsse auf konkrete Recherche- und Redaktionstätigkeiten zu.[34]BverwG, NVwZ 2022, 253, Rn. 33. Daher ist dem Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG gegenüber der Pressefreiheit des J nur geringes Gewicht beizumessen, weshalb die Interessen des J auch hier überwiegen.

b) Informationen hinsichtlich der Einzelgespräche

Auch die Einzelgespräche unterfallen dem Schutzbereich der Pressefreiheit, da sie den Medienvertreter*innen zur Informationsbeschaffung und konkreten Recherche dienen. 

Sofern der BND veröffentlichen würde, welche Medienvertreter*innen zwischen 2019 und 2020 die Einzelgespräche geführt haben, könnten ggf. in Zusammenschau mit erschienen Publikationen und in Anbetracht des kurzen Zeitraums Rückschlüsse auf die einzelnen Recherchetätigkeiten ermöglicht werden, da diese Informationen dann verknüpft werden können.[35]BVerwG, NVwZ 2022, 248, 253, Rn. 42.. Darüber hinaus erlaubt auch der Name der betroffenen Medien oder Vertreter*innen schon Einblick in den konkreteren Recherchebereich in dem die Person oder das Medium tätig ist.[36]Ibid. Insofern besteht hier Grund zur Annahme der Gefahr, dass Recherche- und Redaktionstätigkeiten aufgedeckt werden. Die Pressefreiheit der anderen Medienvertreter*innen überwiegt daher das Auskunftsinteresse des J. 

c) Anhörung der Dritten

Darüber hinaus ist eine Anhörung oder vorherige Einwilligung der Medienvertreter*innen indes nicht notwendig.[37]BVerwG, NVwZ 2022, 248, 250, 23.

Der verfassungsunmittelbare Auskunftsanspruchs der Presse hat ein besonderes Gewicht und darf nicht über das Verfahrensrecht ausgehöhlt oder entwertet werden. Insofern verbietet sich eine verfahrensrechtliche Ausgestaltung des Auskunftsanspruchs, die dessen Zweck vereiteln würde. Eine anhörungsbedingte Verzögerung der Auskunftserteilung birgt die Gefahr in sich, dass die Presse ihren Informations- und Kontrollauftrag mangels Aktualität im Zeitpunkt der Informationserteilung nicht mehr erfüllen kann.[38]Ibid. Durch die erfolgte verfassungsrechtliche Abwägung ist den gegenstehenden Interessen ausreichend Genüge getan worden. Darüber hinaus haben die Betroffenen auch die Möglichkeit nachgelagert Rechtsschutz zu suchen. Dementsprechend ist eine Anhörung verfassungsrechtlich nicht geboten.[39]BVerwG, NVwZ 2022, 248, 250, Rn. 25.

d) Zwischenergebnis

Die Auskunftsbegehren sind hinsichtlich der Kennenlerntreffen in Ansehung der Rechte Dritter nicht zu versagen. Wohl aber begrenzt die Pressefreiheit Dritter die Herausgabe von Informationen zu den Einzelgesprächen, da diese Rückschlüsse auf deren Recherchetätigkeit erlaubt.

4. Zwischenergebnis

Der Auskunftsanspruch des J besteht nur hinsichtlich der Kennenlerntreffen. 

III. Ergebnis

J hat zumindest in Teilen einen Anspruch aus Art. 5 I 2 GG. Die Klage ist daher begründet.

C. Gesamtergebnis 

Die Klage des J hat Erfolg.


Zusatzfragen

1. Der BND greift bei seiner geheimdienstlichen Tätigkeit (z.B. dem Abhören von Kommunikation) regelmäßig in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein. Welche Rechtfertigungs- bzw. Schrankenregelungen unterliegt das allgemeine Persönlichkeitsrecht generell und gibt es beim Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung besondere Rechtfertigungsaspekte, die berücksichtigt werden müssen?
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht unterliegt grundsätzlich dem Schrankentrias des Art. 2 I GG. Dabei ist im Rahmen der Abwägung bzw. der Verhältnismäßigkeit zwischen den verschiedenen Sphären zu unterscheiden (Sphärentheorie): Eingriffe in die Intimsphäre sind insofern unzulässig, Eingriffe in die Privatsphäre bei wichtigen Interessen der Allgemeinheit möglich und Eingriffe in die Sozialsphäre bereits bei jedem vernünftigen Grund.[40]Epping, Grundrechte, 9. Aufl. 2021, Rn. 648.

Sofern Daten betroffen sind oder in die informationelle Selbstbestimmung eingegriffen wird, muss ein zweistufiges Schutzkonzept vorliegen, sodass im Rahmen der technischen Möglichkeiten verhindert werden muss, dass Daten aus der Intimsphäre überhaupt erhoben werden und in einem zweiten Schritt sichergestellt werden muss, dass, sofern solcherlei Daten doch erhoben worden sind, diese unverzüglich gelöscht werden.[41]Epping, Grundrechte, 9. Aufl. 2021, Rn. 650. Darüber hinaus sind die Zweckgebundenheit der Datenerhebung, das Prinzip der Normenklarheit und das informationelle Trennungsprinzip und zu beachten.[42]Zu ersteren beiden: BVerfG, NVwZ 2006, 1156 ff. Demnach muss der Zweck sowie Inhalt und Ausmaß der Datenerhebung konkret durch die Ermächtigungsgrundlage bestimmt werden; eine Zweckänderung stellt einen neuen, eigenen Eingriff dar.[43]BVerfG, NJW 2016, 1781 ff. Das informationelle Trennungsprinzip wiederum stellt sicher, dass ein Datenaustausch zwischen verschiedenen Sicherheitsbehörden (z.B. Polizei und BND) nur in Ausnahmefällen erfolgt, da die Institutionen verschiedene Befugnisse haben und Ermittlungsrichtungen verfolgen.[44]Lang, in: BeckOK GG, 52. Ed. (2022), Art. 2 Rn. 122.

Vgl. Zu einer ähnlichen Konstellation auch: https://staging.examensgerecht.de/grundrechte-im-ausland/#I_P_Anwendbarkeit_der_Grundrechte_auf_Ausland-Ausland-Aufklaerung

2. In welchem Verhältnis stehen die Meinungsfreiheit und die Pressefreiheit zueinander?
Das Verhältnis von Presse- und Meinungsfreiheit ist umstritten. Problematisch ist, ob auch der Inhalt der Presseerzeugnisse unter Art. 5 I 2 GG fällt oder ob dieser von Art. 5 I 1 GG zu erfassen ist. Dafür, dass die Pressefreiheit hier lex specialis gegenüber der Meinungsfreiheit ist, könnte zunächst die systematische Stellung des Art. 5 I 2 GG hinter Art. 5 I 1 GG sprechen.[45]Epping, Grundrechte, 9. Aufl. 2021, Rn. 231.
Das BVerfG grenzt – eine ähnliche Argumentation kennen wir auch im Verhältnis von Art. 8 und Art. 5 I 1 GG – zwischen der Inhaltsäußerung an sich (Art. 5 I 1 GG) und den pressespezifischen Verhaltensweisen (Art. 5 I 2 GG) ab.[46]Vgl. BVerfG, NJW 1992, 1439 ff. Etwas anderes gilt nur für die Meinungsäußerungen Dritter, die in dem Presseerzeugnis „eingebettet“ sind: Diese unterfallen dann der Pressefreiheit.[47]Epping, Grundrechte, 9. Aufl. 2021, Rn. 231.
Beide Ansichten unterliegen letztendlich aber der Schrankenregelung des Art. 5 II GG, sodass ein gleichwertiges Schutzniveau gewährleistet ist, unabhängig davon, welcher Meinung gefolgt wird.

Zusammenfassung:

1. Mangels Existenz bundesrechtlicher Regelung und Anwendbarkeit landesrechtlicher Auskunftsansprüche ergibt sich ein presserechtlicher Auskunftsanspruch gegen den BND verfassungsunmittelbar aus Art. 5 I 2 GG.

2. Dieser Anspruch wird im Wege der verfassungsrechtlichen Abwägung durch das öffentliche oder private Interesse an der Geheimhaltung der angefragten Informationen beschränkt. Die auskunftspflichtige Stelle ist aber nicht verpflichtet die Betroffenen insoweit vorher anzuhören oder ihre Einwilligung einzuholen. 

3. Der Anspruch ist jedenfalls dann zu versagen, wenn durch die Erteilung der Auskunft ein hinreichend konkreter Bezug zu den Recherchen der betroffenen Medienvertreter*innen besteht, sodass die Gefahr der Aufdeckung ihrer Recherche besteht. Dies ist der Fall, wenn die Beantwortung der Fragen (gegebenenfalls in der Zusammenschau mit anderweitig vorhandenen Informationen) Rückschlüsse auf die konkrete Recherchetätigkeit der jeweiligen Medienvertreter*innen zulässt.


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